Nein zur UN Mitgliedschaft Palästinas, aber Ja zur Zwei-Staaten-Lösung – eine doppelzüngige US-Politik.

Am 19. April haben die USA ihr Veto gegen eine UN-Vollmitgliedschaft Palästinas eingelegt und gleichzeitig noch einmal mit Nachdruck eine Zwei-Staaten Lösung gefordert. Wer soll diese Nahost-Politik der USA noch verstehen?

Kurzer historische Diskurs

Am 15. November 1988 beschloss der Palästinensische Nationalrat, das legislative Organ der PLO, im Rahmen einer Tagung in Algier die Annahme einer palästinensischen Unabhängigkeitserklärung. In dieser Erklärung, die der damalige Chef der PLO Yassir Arafat verlas, heißt es wörtlich: „In Ausübung der nationalen Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, politische Unabhängigkeit und Souveränität über sein Land proklamiert der Palästinensische Nationalrat im Namen Gottes und im Namen des palästinensischen Volkes die Gründung des Staates Palästina auf seinem palästinensischen Boden mit Jerusalem als Hauptstadt.“ Mittlerweile haben138 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Palästina als unabhängigen Staat anerkannt. ( In manchen Unterlagen ist von 139 Staaten die Rede) 138 Staaten, das entspricht 72% aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und mit insgesamt 5,5 Milliarden Menschen etwa 80% der Weltbevölkerung. Dazu gehören u.a. neben den arabischen und südamerikanischen Staaten auch China, Indien, Indonesien, Iran, Russland und Südafrika.

Die Position der 32 NATO und auch der 27 EU Staaten zur Anerkennung Palästinas ist uneinheitlich. Die ehemaligen Warschauer Pakt Staaten haben Palästina mehrheitlich kurz nach der Unabhängigkeitserklärung anerkannt, während die „alten“ Mitgliedsländer beider Organisationen bis heute davon Abstand genommen haben. Auch der Weltsicherheitsrat vertritt keine einheitliche Position. China und Russland (früher als Sowjetunion) haben Palästina bereits 1988 anerkannt, während Frankreich, Großbritannien und USA eine Anerkennung bislang abgelehnt haben. 

Seit dem 29. November 2012 (UN-Resolution 67/19) hat der Staat Palästina den Status eines „ „Permanent Observer State“ (Ständiger Beobachter Staat) bei den Vereinten Nationen. Dieser Status wurde Palästina am „International Day of Solidarity with the Palestinian People“ (Internationaler Tag der Solidarität mit der Bevölkerung Palästinas) zuerkannt. Dieser Tag wurde 1977 zur Erinnerung an das Datum im Jahr 1947 geschaffen, an dem  die Vereinten Nationen eine Resolution angenommen und ein Mandat verabschiedet hatten, Palästina in zwei Staaten aufzuteilen, einen jüdischen und einen arabischen.

Durch diese Aufwertung des völkerrechtlichen Status Palästinas erhielten die Palästinenser Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof und weiteren Unterorganisationen der UN. Seit 2011 ist der Staat Palästina außerdem Vollmitglied der UNESCO. Ein Antrag der PLO auf Aufnahme des Staates Palästina in die WHO scheiterte 1989, nachdem die USA ankündigten, im Falle der Aufnahme Palästinas die Finanzierung einzustellen.

Als „Permanent Observer State“ hat Palästina kein Stimmrecht.

Deshalb hatte Palästina bereits 2011- allerdings erfolglos-  die Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen beantragt. Am 02. April 2024 hatte der palästinensische UN-Gesandte Mansur in einem Schreiben an UN-Generalsekretär António Guterres darum gebeten, das Verfahren zur Vollmitgliedschaft der Palästinenser wiederaufzunehmen.Dieser hatte den Antrag gemäß den geltenden Verfahren am 08. April an den Weltsicherheitsrat weitergeleitet.

Verfahren zur Aufnahme eines neuen Mitgliedsstaates in die Vereinten Nationen

Dazu ein paar Erklärungen, wie ein solches Verfahren abläuft.

Der Sicherheitsrat entscheidet darüber, ob der Antrag dem „Committee of Admission of New Members“ (Komitee für die Zulassung neuer Mitglieder) vorgelegt wird. Dies ist im konkreten Fall geschehen, und das Komitee hatte am 08. und 11. April 2024 über den Antrag beraten und diesen anschließend dem Weltsicherheitsrat zur Entscheidung vorgelegt. Hätte dieser positiv entschieden, wäre die UN-Generalversammlung zusammengetreten und alle 193 Mitgliedsstaaten hätten über die Mitgliedschaft Palästinas abgestimmt. Bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit wäre Palästina als Vollmitglied aufgenommen worden.

Die Entscheidung des Weltsicherheitsrates über die Vollmitgliedschaft Palästinas 

Dazu wird es jetzt nicht kommen, weil die USA durch ihr Veto eine Vollmitgliedschaft Palästinas verhindert haben. Für den von Algerien eingebrachten Resolutionsentwurf hatten 9 der Nicht Ständigen Mitglieder und auch China, Frankreich und Russland als Ständige Mitglieder gestimmt. Das Nicht Ständige Mitglied Schweiz, und das Ständige Mitglied Großbritannien hatten sich der Stimme enthalten.

Position der USA

Der Vertreter des Ständigen Repräsentanten der USA bei den Vereinten Nationen, Robert Wood, begründete das amerikanische Veto mit den Worten: “Council members have a special responsibility to ensure that their actions further the cause of international peace and security and are consistent with the requirements of the UN Charter. The report of the Committee on the Admission of New Members reflected that there was not unanimity among members as to whether the applicant met the criteria for membership, in line with Article IV of the UN Charter.” (Die Mitglieder des Weltsicherheitsrates habe eine besondere Verantwortung , sicherzustellen, dass ihre Entscheidungen den  internationalen Frieden und die internationale Sicherheit fördern und im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen stehen. Der Bericht des Komitees für die Zulassung neuer Mitglieder ließ erkennen, dass es unterschiedliche Meinungen seiner Mitglieder darüber gab, ob der Antragsteller die Kriterien nach Artikel IV der UN Charta erfüllt habe.“) “We have long called on the Palestinian Authority to undertake necessary reforms to help establish the attributes of readiness for statehood and note that Hamas, a terrorist organisation, is currently exerting power and influence in Gaza – an integral part of the State envisioned in this resolution.”( Wir haben die palästinensische Autonomiebehörde lange aufgefordert, die notwendigen Reformen durchzuführen, um zu helfen die Voraussetzungen für eine Eigenstaatlichkeit zu schaffen und darauf hingewiesen, dass die Hamas, eine Terror Organisation, akuell Macht und Einfluss in Gaza ausübt, einem integralen Teil des Staates, der in dieser Resolution angestrebt wird.“) Das sei der Grund für das Veto der USA gewesen, und Wood fügte hinzu: “The US continues to strongly support a two-State solution. This vote does not reflect opposition to Palestinian statehood, but instead is an acknowledgment that it will only come from direct negotiations between the parties,”( “Die USA unterstützen weiterhin nachdrücklich eine Zwei-Staaten-Lösung.  Ihr Abstimmungsverhalten ist keine Opposition gegen einen Palästinenser Staat, sondern vielmehr die Anerkennung der Tatsache,dass ein Palästinenserstaat nur möglich ist auf der Basis zwischen den beiden Parteien.“)

Position Russlands

Der russische Botschafter, Vassily Nebenzia, erklärte, dass es das 5. US-Veto gegen eine UN Resolution seit den Kämpfen in Gaza sei. Wörtlich sagte er: “The US once again demonstrated what they really think of the Palestinians. For Washington, they do not deserve to have their own State. They are only a barrier on the path towards realizing the interests of Israel.”(“Die USA haben einmal mehr gezeigt, was sie wirklich über die Palästinenser denken. Für Washington haben sie kein Recht auf einen eigenen Staat. Sie sind lediglich ein Hindernis auf dem Weg die Interessen Israels umzusetzen.“) Und er fügte hinzu, dass die absolute Mehrheit der Staatengemeinschaft den Wunsch Palästinas unterstütze, ein vollständiges Mitglied der Vereinten Nationen zu werden.“Today’s use of the veto by the US delegation is a hopeless attempt to stop the inevitable course of history. The results of the vote, where Washington was practically in complete isolation, speak for themselves.”)  (“Das heutige Veto der USA ist der vergebliche Versuch den unabänderlichen Lauf der Geschichte aufzuhalten.“)

Chinas Position

 Der chinesische Botschafter, Fu Cong, bestätigte diese Feststellung, indem er sagte: “The wheels of history are rolling forward, and Palestine and Israel will one day live in peace, side by side.”(“Die Räder der Geschichte rollen vorwärts und eines Tages werden Palästina und Israel Seite an Seite friedlich leben“) Im Gegensatz zu den USA vertrat Fu Cong die Meinung, dass eine Vollmitgliedschaft Palästinas bei den Verhandlungen mit Israel über eine Zwei-Staaten Lösung wirklich helfen würde.( „ The admission of Palestine as a full member at the UN would indeed help in negotiations with Israel on a two-State solution.”) Im Verlauf der vergangenen 13 Jahre habe sich die Situation in Palästina verändert vor allem durch die Ausdehnung der Siedlungen. Deshalb sei es nicht akzeptabel, die Regierungsfähigkeit Palästinas in Frage zu stellen. „Die Aufnahme Palästinas als Vollmitglieder der Vereinten Nationen ist dringender als je zuvor.“ („The admission of Palestine as a full member of the UN is more urgent than ever before.”) Und der chinesische Botschafter fügte hinzu: “The establishment of an independent State is an inalienable Right that can not be questioned.” (“Die Errichtung eines unabhängigen Staates ist ein unveräußerliches Recht, das nicht in Frage gestellt werden kann. “)

Die Position Palästinas

Das Büro von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte das Veto der USA.  „Diese aggressive amerikanische Politik gegenüber Palästina, seinem Volk und seinen legitimen

Rechten stellt eine eklatante Aggression gegen das Völkerrecht dar und ist eine Ermutigung zur Fortsetzung des völkermörderischen Krieges gegen unser Volk (…), der die Region noch weiter an den Rand des Abgrunds treibt“.

Der palästinensische UN-Gesandte Rijad Mansur erklärte: „Die Ablehnung wird unseren Willen nicht brechen und unsere Entschlossenheit nicht stoppen. Wir werden unsere Bemühungen nicht einstellen. Der Staat Palästina ist unvermeidlich, er ist real.“ (“The fact that this resolution did not pass will not break our will and it will not defeat our determination. We will not stop in our effort. The State of Palestine is inevitable. It is real.”)

Die Position Israels

Israel kritisierte die Tatsache, dass der Sicherheitsrat überhaupt über den „unmoralischen“ Antrag Palästinas beraten habe. Israels UN-Botschafter, Gilan Erdan, erklärte, dass die Unterstützer des Antrags die Palästinenser ermutigen würden, nicht an den Verhandlungstisch zurückzukehren, und „den Frieden fast unmöglich machen“. (Your vote will only embolden Palestinian rejectionism even more and make peace almost impossible.”)

Gilad Erdan warf der Autonomiebehörde vor, sie unterstütze ein Terror-Regime, dass Terroristen bezahle, uns abzuschlachten, und die Palästinenser würden Israel noch nicht einmal als einen jüdischen Staat anerkennen.(“The Palestine Authority is a terror-supporting entity, paying terrorists to slaughter us”, and Palestinians do not even recognise Israel as a Jewish State. “) Außerdem kritisierte Erdan, dass die Hamas überhaupt nicht erwähnt wurde und ergänzte, dass der Abgesandte der Autonomiebehörde höchstens die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung repräsentiere.

Unmittelbar nach der Abstimmung lobte der israelische Außenminister Israel Katz das US-Veto. Eine Anerkennung eines palästinensischen Staats ein halbes Jahr nach dem Massaker vom 7. Oktober wäre eine Belohnung für den Terrorismus der Hamas, schrieb er auf der Plattform X.

Zusammenfassende Bewertung

Auch auf die Gefahr hin, das chinesische Narrativ zu bedienen, wie man heute gern formuliert, stimme ich Boschafter Fu Cong zu, dass eine Aufnahme Palästinas als Vollmitglied in die UN für die Verhandlungen mit Israel hilfreich sein würde. Auf diese Weise würden nämlich Palästina und Israel sozusagen auf Augenhöhe verhandeln, weil am Status eines souveränen Palästinas grundsätzlich nicht mehr gezweifelt werden könnte.

Leider ist es auf Grund des Vetos der USA nicht dazu gekommen, und deswegen wird eine Zwei-Staaten-Lösung immer unwahrscheinlicher. Aus meiner Sicht gab es für das Veto der USA zwei Gründe, nämlich:

Da bereits 138, bzw. 139 Länder Palästina als souveränen Staat anerkannt haben, wäre die erforderliche Mehrheit der UN-Vollversammlung zur Aufnahme Palästinas mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine reine Formsache gewesen und Palästina wäre in naher Zukunft ein Vollmitglied der Vereinten Nationen geworden.

Und der zweite Grund ist der, dass Israel eine Zwei-Staaten Lösung kategorisch ablehnt.

Washingtons Position ist nicht nur widersprüchlich, sondern auch total unehrlich. Es passt einfach nicht zusammen, die UN-Vollmitgliedschaft Palästinas mit einem Veto zu verhindern und gleichzeitig Mantra mäßig zu wiederholen, dass man eine Zwei-Staaten-Lösung unterstütze, weil es aus amerikanischer Sicht dazu keine Alternative gebe.

Die USA inszenieren seit langem ein doppeltes Spiel. Washington propagiert eine Zwei-Staaten-Lösung in der Gewissheit, dass Israel diese mit Unterstützung der israelischen Lobby in den USA auch weiterhin ablehnt, weist damit jede Schuld von sich, dass dieser Nahostkonflikt nicht gelöst wird und schiebt Israel den schwarzen Peter zu mit der vollmundigen Erklärung: “Die USA unterstützen weiterhin nachdrücklich eine Zwei-Staaten-Lösung.  Ihr Abstimmungsverhalten ist keine Opposition gegen einen Palästinenser Staat, sondern vielmehr die Anerkennung der Tatsache, dass ein Palästinenserstaat nur möglich ist auf der Basis zwischen den beiden Parteien.“

Die Begründung der USA für ihr Veto „Die Mitglieder des Weltsicherheitsrates haben eine besondere Verantwortung sicherzustellen, dass ihre Entscheidungen den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit fördern und im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen stehen“, ist ein Hohn für alle, die sich wirklich um einen Frieden in Nahost bemühen.

Greven, 21. April 2024

Jürgen Hübschen

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Irans Militäroperation gegen Israel – Vergeltung, Warnung oder Lehre?

Der Iran hat am 13./14. April gegen Israel die „Operation True Promise“ durchgeführt und dabei nach israelischen Angaben bis zu 300 Drohnen und Raketen eingesetzt. Wie in jeder militärischen Auseinandersetzung ist die Berichterstattung der beteiligten Parteien widersprüchlich, und jeder reklamiert den Erfolg für sich. Deshalb ist es ausgesprochen schwierig, den Ablauf wahrheitsgemäß darzustellen. Trotzdem wird im Folgenden versucht, die wesentlichen Aspekte des iranischen Angriffs und der israelischen Abwehr darzustellen, wobei es entscheidend darauf ankommt, wie man das Ergebnis beurteilt und die zukünftige Lageentwicklung einschätzt.

Die iranischen Luftoperationen und ihre Abwehr

Nach vorliegenden Meldungen hat Iran Israel in der Nacht vom 13. auf den 14. April mit ca. 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern angegriffen. Teheran hatte Israel ausdrücklich vor einem Vergeltungsschlag für den israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus gewarnt, bei dem u.a. zwei Generäle und weitere hohe Offiziere der Revolutionsgarden getötet worden waren. An den Luftangriffen waren vermutlich außer dem Iran auch die Huthi Rebellen im Jemen, schiitische Milizen im Irak und auch die libanesische Hisbollah mit im Einzelnen nicht bekannten Waffen beteiligt. Der Iran selbst hatte „ Shahed“ Drohnen eingesetzt, von denen aber nicht genau bekannt ist, ob es sich um den Typ „Shahed 136“ oder um die weiterentwickelte „Shahed 238“ oder um beide Typen gehandelt hat, wobei es von der „Shahed 238“ drei verschiedene Baumuster gibt. Bei den eingesetzten Raketen und Marschflugkörpern gibt es Hinweise für folgende Typen „Abu Mahdi Missile“, „Shahab-3“, „Sejjil“, „Ghadr-110“, „Dezful“ oder sogar die hypersonic „Kheybar Shekan“. Nach aktuellen offiziellen Aussagen des Iran wurden Raketen vom Typ „Cheibarschekan“ und „Emad“ und Marschflugkörper vom Typ „Paveh“ eingesetzt. (Einzelheiten über die Charakteristika dieser Flugkörper und Raketen findet man bei Wikipedia) Ein iranischer Wissenschaftler hat zu den vom Iran eingesetzten Waffen gesagt:

„Iran has not fired its hypersonic missiles. In fact, most of the drones and missiles that were fired were older drones and missiles. They were very inexpensive and were used as decoys. So Iran spent a couple of million dollars to force the Israelis to spend $1.3 billion in anti-missile missiles, which was itself a big achievement by the Iranians. And then a number of other missiles that the Iranians fired…cut through and struck their targets,“ (“Iran hat keine hypersonischen Raketen eingesetzt (Hinweis: Das sind Raketen, die mit mindestens 5-facher Schallgeschwindigkeit fliegen) tatsächlich handelte es sich bei den meisten eingesetzten Drohnen und Raketen um ältere Modelle. Diese waren sehr kostengünstig und wurden als quasi Lockmittel genutzt. Der Iran hat ein paar Millionen Dollar investiert, um die Israelis zu zwingen 1,3 Milliarden Dollar für die Abwehr der iranischen Waffen auszugeben, was der Iran genau beabsichtigt hatte. Danach konnte eine Anzahl anderer iranischer Raketen die israelische Luftabwehr überwinden und ihre Ziele treffen.) Die Aussage des iranischen Wissenschaftlers ist nach vorliegenden Erkenntnissen grundsätzlich zutreffend. Iran hatte offensichtlich zunächst einen riesigen Schwarm an Drohnen in Richtung Israel fliegen lassen, um die Luftverteidigung möglichst zu saturieren und danach mit Raketen die im Süden Israels gelegenen Militärflugplätze „Nevatim Airbase“ und „Ramon Airbase“ und die Geheimdienst-Einrichtung „Jabal al-Sheik“ (Mount Hermon) im Norden der Golanhöhen angegriffen. Über den Umfang der Schäden gibt es widersprüchliche Meldungen, aber es steht fest, dass die Ziele getroffen wurden, obwohl Israel und seine Verbündeten erklärt haben, 99% aller Drohnen und Raketen wären abgeschossen worden und zwar zu einem großen Teil bereits außerhalb des israelischen Staatgebietes. Besonders an diesen Abwehroperationen waren die USA, Frankreich und auch Großbritannien mit Kampfflugzeugen beteiligt. Die USA haben außerdem nach einer Meldung des „US-Central Command“ auf X mehr als 80 Drohnen und mindestens 6 ballistische Raketen, die aus dem Iran und aus dem Jemen abgefeuert wurden, durch US-Kriegsschiffe zerstört. Im Jemen wurden wohl auch Abschusseinrichtungen zerstört. Von wo die Kampfflugzeuge der USA und Frankreichs gestartet sind, ist unklar. Es kommen Flugplätze in Bahrain, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten ebenso in Frage, wie Stützpunkte in Jordanien. Das Königreich soll angeblich auch an der Abwehr des iranischen Angriffs beteiligt gewesen sein. Was die britische Luftwaffe angeht, so gibt es Hinweise, dass diese von Flugplätzen auf Zypern operiert hat. Welchen prozentualen Anteil die Verbündeten Israels an der Abwehr der iranischen Drohnen und Raketen gehabt haben, lässt sich zwar nicht genau sagen, aber er dürfte erheblich gewesen sein, vor allem in der Phase, in der sich die Drohnen und auch einige Raketen auf dem Flug in Richtung Israel befunden haben. Das gilt im besonderen Maße für die „Shahed 136“ Drohne, die lediglich ca. 250 km/h fliegt und deshalb einige Stunden vom Iran bis nach Israel braucht.

Zusammenfassende Bewertung

Bei Militäroperationen muss man grundsätzlich zurückhaltend sein mit einer Bewertung, weil die beteiligten Parteien eine subjektive Sicht der Wahrheit haben. Ein wünschenswertes Mehr an Fakten muss deshalb kompensiert werden durch logische Schlussfolgerungen aus zur Verfügung stehenden Informationen. Dabei ist es wichtig, sauber zwischen Wissen und Annahmen zu unterscheiden. In Kenntnis dieser Problematik ist trotzdem folgende Bewertung der gesamten Operation möglich:

  • Durch die Militäroperationen der Hamas vom 7. Oktober 2023 und des Irans vom 13./14. April 2024 ist die bis dahin funktionierende israelische Strategie der Abschreckung obsolet geworden.
  • Die israelische Bevölkerung musste innerhalb eines halben Jahres zum zweiten Mal zur Kenntnis nehmen, dass ihre Heimat nicht mehr sicher ist.
  • Israel ist angreifbar geworden und kann sich, wenn ein solcher Angriff massiv vorgetragen wird, nicht mehr allein verteidigen.
  • Nicht nur die USA, sondern auch Frankreich und Großbritannien haben Israel mit allen verfügbaren militärischen Mitteln unterstützt. Dazu gehören nicht nur Flugzeuge, Schiffe und die bodengestützte Luftverteidigung, sondern auch Aufklärung, u.a. mit Satelliten, Luftraumüberwachung, Frühwarnung, Zieldatenübermittlung und elektronische Kampfmittel.
  • Die Abwehr des iranischen Angriffs hat bei allen beteiligten Nationen erhebliche Kosten verursacht und eine umfassende Nachbeschaffung von allen Systemen und Mitteln der Luftabwehr erforderlich gemacht. Diese dürften kurzfristig nicht im notwendigen Umfang verfügbar sein.
  •  Iran ist an einer militärischen Eskalation nicht interessiert, sondern reagiert ganz gezielt auf Einrichtungen- im konkreten Fall israelische Flugplätze und eine nachrichtendienstliche Einrichtung – die für vorangehende israelische Angriffe verantwortlich waren.
  • Iran hat seine militärischen Möglichkeiten bei diesen Angriffen nicht annähernd ausgeschöpft.
  • „Der Westen“ legt bei israelischen Militäroperationen einen völlig anderen Maßstab an als bei iranischen Angriffen. Bei der politischen und medialen Bewertung des israelischen Angriffs auf das Konsulat der iranischen Botschaft in Damaskus, also eine diplomatische Einrichtung, die nach dem Wiener Übereinkommen immun ist, und dem iranischen Angriff auf israelische Militäreinrichtungen wurden Doppelstandard und auch Doppelmoral „des Westens“ einmal mehr offensichtlich.

Insgesamt kann man konstatieren, dass die iranische Militäroperation nicht nur eine Vergeltung für den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus war, sondern gleichzeitig eine Warnung an Israel, noch einmal vergleichbare Operationen zu planen oder durchzuführen. Darüber hinaus war es sicherlich für Israel auch eine Lehre, dass man bei zukünftigen Angriffen des Irans auf die militärische Unterstützung durch Verbündete zwingend angewiesen ist. Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass Iran im konkreten Fall vor seinem Angriff gewarnt hat und in der Hauptsache Waffensysteme mit einer sehr geringen Fluggeschwindigkeit eingesetzt wurden, so dass es eine Vorwarnzeit von mehreren Stunden gegeben hat, um sich militärisch und auch die Bevölkerung darauf vorzubereiten.

Sollte sich Israel, gegen die Warnung der USA, zu einem direkten Militärschlag gegen den Iran entscheiden, könnten iranische Raketen Israel ohne jede Vorwarnung innerhalb weniger Minuten erreichen. Der iranische Brigadegeneral Mohammed Bagheri erklärte in diesem Zusammenhang: “The operation yielded its complete result and there is no intention to continue it.” Aber, so ergänzte er:  If Israel attacked Iran on its own soil, or elsewhere, “our next operation will be much bigger than this.” („Die Operation hat das gewünschte Ergebnis vollständig erreicht, und es besteht keine Absicht, sie fortzusetzen. Sollte Israel den Iran auf dessen eigenem Territorium oder anderswo angreifen, wird unsere nächste Operation viel größer sein als die bisherige.“)

Greven, 16. April 2024

Jürgen Hübschen

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Die russischen Luftangriffe gegen die ukrainische Energieversorgung vom 11. April 2024

Stellungnahme des ukrainischen Präsidenten Selensky nach den russischen Luftangriffen:

„ In der Nacht hat Russland mehr als 40 Raketen und ungefähr 40 Drohnen auf die Ukraine abgeschossen. Ich bedanke mich bei allen, die an den Bergungs- und Aufräumarbeiten nach den Angriffen  beteiligt waren und ebenso bei allen Soldaten unserer Luftverteidigung, die in der letzten Nacht im Dienst gewesen sind. Einige Raketen und „Shahed“ Drohnen wurden erfolgreich abgeschossen, unglücklicherweise aber nur ein Teil davon. Russische Terroristen haben erneut die kritische Infrastruktur angegriffen. Es gab weitere ruchlose Raketenangriffe auf Charkiv und die Region Charkiv. Es wurden außerdem Einrichtungen in Kiew, Saporischna, Liew und in der Region Odessa angegriffen.“

Dieses Statement des ukrainischen Präsidenten ist ein Eingeständnis, dass die Ukraine der Militärmacht Russland nicht gewachsen ist.

Die russischen Luftangriffe

Nach vorliegenden Meldungen wurden die russischen Angriffe mit Marschflugkörpern,eingesetzt von strategischen Langstreckenbombern vom Typ TU-95 MS oder TU-95 MS/MSM und Drohnen vom Typ „Geran-2“ durchgeführt. Die TU-Langstreckenbomber mit dem NATO Code „Bear“ sind von ihrer Leistungsfähigkeit mit der amerikanischen „B-52“ zu vergleichen. Auch die T-95 kann mit Marschflugkörpern bewaffnet werden, wobei die Anzahl der Flugkörper von der Ausführung der Tupolew abhängt. Der Bomber hat eine Reichweite von ca. 15.000 km und fliegt in einer Höhe bis zu 14.000 m. Die Drohne „Geran-22 ist die russische Version der iranischen „ Shahed“ Drohne. Sie wird mittlerweile in Russland produziert und verfügt über einen Sprengkopf von 40-60 kg. Unklar ist, ob es sich bei den eingesetzten „Geran-2“ um eine Version der „Shahed 136“ oder ihres Nachfolgers der  „Shahed 238“ gehandelt hat oder ob beide Versionen eingesetzt wurden. Sie unterscheiden sich in der Geschwindigkeit von ca. 200km/h bzw. 500 km/h bei etwa gleicher Reichweite von bis zu 2.000 km. Ein wesentlicher Unterschied liegt auch in den Fähigkeiten der Typen. Das russische Model der „Shahed 136“ wird vor dem Start auf ein festes Ziel vorprogrammiert und kann nach dem Abschuss nicht mehr beeinflusst werden. Die neue Version „ Shahed 238“ kann z. B. auch gegen mobile Ziele eingesetzt werden und ist u.a. in der Lage, selbständig Radargeräte der gegnerischen Luftverteidigung zu identifizieren und anzugreifen.

Es ist davon auszugehen, dass Russland bei den Luftangriffen in einer ersten Welle „Geran-2“ Drohnen praktisch in einem Schwarm eingesetzt hat. Auf diese Weise versucht man die gegnerische Luftverteidigung so zu saturieren, dass die in einer nachfolgenden Welle zum Einsatz kommenden Marschflugkörper nur noch zum Teil oder gar nicht mehr abgewehrt werden können. Dieses Einsatzverfahren dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass so viele Einrichtungen der ukrainischen Stromversorgung beschädigt oder vollkommen zerstört werden konnten. Nach amerikanischen Meldungen wurden durch die Angriffe fast alle nicht atomaren Einrichtungen der ukrainischen Energieversorgung vorübergehend oder auch langfristig ausgeschaltet.

Zusammenfassende Bewertung

Langstreckenbomber wie die TU-95MS oder MSM operieren auf Grund ihrer Reichweite weit außerhalb der ukrainischen Luftverteidigung und setzten von dort aus ihre Marschflugkörper ein. Auch die „Geran-2“ Drohnen können im wesentlichen erst abgewehrt werden, wenn  sie bereits in den ukrainischen Luftraum eingedrungen sind. In diesem verfügt aber Russland über die absolute Luftherrschaft, und das ist ein weiterer Grund, warum die Ukraine diesen Krieg militärisch nicht gewinnen kann und wird.

Im Grunde hat die Ukraine den Kampf bereits verloren, und das wissen die „westlichen“ Politiker auch. Zusätzliche Waffenlieferungen werden daran nichts ändern, sondern die Kampfhandlungen höchstens verlängern. Das jetzt von der Bundesregierung zugesagte weitere „Patriot-System“ aus dem Bestand der Bundeswehr, schwächt die Luftverteidigungsfähigkeit Deutschlands, ohne die Fähigkeit der Ukraine, vergleichbare russische Luftangriffe in Zukunft abzuwehren, wesentlich zu verbessern. Um das zu begreifen, muss man sich auf der Landkarte eigentlich nur die Größe des ukrainischen Staatsgebietes anschauen und sich noch einmal vergegenwärtigen, dass die Energieversorgung im gesamten Land von den russischen Luftangriffen betroffen war.  Durch zusätzliche Waffenlieferung wird sich auch die Verhandlungsposition der Ukraine

nicht verbessern, wie es von vielen z.T. selbst ernannten Experten behauptet wird.

Es ist aus meiner Sicht unlauter, dass US Außenminister Blinken – wie ich meine, wider besseres Wissen- auf der Veranstaltung zum 75-jährigen Bestehen der NATO in Brüssel gesagt hat, die Ukraine würde ein Mitglied des Bündnisses werden. Das wird nämlich nicht nur von Deutschland, Frankreich und Ungarn völlig anders gesehen. Falls die USA diese Position beibehalten, die Moskau kategorisch ablehnt, wird dieser Krieg weitergehen, und es besteht die konkrete Gefahr- so bitter es klingt-, dass es die jetzige Ukraine am Ende dieser militärischen Auseinandersetzung nicht mehr geben wird.

Greven, 14. April 2024

Jürgen Hübschen

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Die iranische Strategie in der Nahmittelost-Region oder „the boiling frog“

Seit dem Sturz des Schahs und der von den USA völlig falsch eingeschätzten Machtübernahme durch Ayatollah Ruholla Khomeini und der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran, steht der Iran auf der amerikanischen Liste der feindlichen Staaten ziemlich weit oben, vielleicht sogar auf Platz 3 hinter China und Russland. Der durch den damaligen US-Präsidenten Trump aufgekündigte Atomvertrag mit dem Iran hat die Spannungen zwischen den beiden Ländern entscheidend verschärft. In der Nahmittelost-Region besetzt Teheran sicherlich den Spitzenplatz, und seit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas ist der Iran zum gefährlichsten Gegner der USA und ihres jüdischen Vasallen geworden. Das gilt zusätzlich auch deshalb, weil es mittlerweile eine starke Annäherung zwischen dem Iran Russland und auch China gibt, die besonders durch den Beitritt Irans zu den „BRICS Staaten“ deutlich wird. Zu dieser Staatengruppe, der ihre Gründungsmitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika den Namen gegeben haben, gehören seit Januar 2024 auch Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Das nächste Treffen dieser Staaten, die mittlerweile unter der Bezeichnung „BRICS +“ firmieren, findet im Oktober 2024 in der russischen Stadt Kasan statt.

Die Gesamtstrategie des Irans in der Nahmittelost-Region ist am besten zu vergleichen mit der Parabel vom „boiling frog“.

Die Parabel vom „boiling frog

In der deutschen Literatur spricht man auch vom „Boiling Frog Syndrom“. Die Parabel beschreibt man am einfachsten wie folgt: Versucht man einen Frosch in heißes Wasser zu setzen, wird er sofort wieder herausspringen. Obwohl Frösche Kaltblüter sind und ihre Körpertemperatur der Umgebung anpassen, spüren sie unmittelbar die Gefahr für Leib und Leben. Ganz anders, wenn man einen Frosch in einen Topf mit kaltem Wasser setzt und diesen langsam erhitzt. Obwohl es für den Frosch darin immer unbequemer wird, bleibt er sitzen, passt sich an und harrt aus – so lange, bis es für einen Absprung zu spät ist und er verbrüht.

In der Nahmittelost-Region gibt es, um im Bild der Parabel zu bleiben, einen amerikanischen und einen israelischen Frosch.

„Der amerikanische Frosch“

Den amerikanischen Frosch könnte man auch als „westlichen Frosch“ bezeichnen, weil die meisten der westlichen Staaten die amerikanische Politik in der Nahmittelost-Region völlig undifferenziert teilen und sich auch in der US-Politik gegenüber Israel und dem Iran vasallenhaft hinter den USA versammelt haben. Dies ist den Herrschern in Teheran natürlich nicht verborgen geblieben, und so haben die Mullahs eine Strategie entwickelt, in der die Spannungen und Militäroperationen in der Region immer auf einem annähernd gleichen Niveau und zwar unterhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung auf Regierungsebene, sprich zwischen den regulären Streitkräften der beteiligten Staaten, bleiben. Dabei gibt es im Wesentlichen bis jetzt verschiedene Schauplätze der direkten Auseinandersetzung des Irans mit den USA, nämlich: Irak, Jemen und Syrien. Dazu kommt Israel selbst und auch der Libanon, wo die USA aber nur indirekt beteiligt sind. Nicht erst seit dem 7. Oktober greifen schiitische, vom Iran gesteuerte Milizen immer wieder amerikanische Militärstützpunkte im Irak an. Milizen, aber auch Angehörige der iranischen Revolutionsgarden, der s.g. Al Quds Brigaden oder Pasdaran, die in den USA auf der Terror Liste geführt werden, verüben Anschläge auf amerikanische Einrichtungen in Syrien. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass das irakische Parlament seit einigen Jahren den Abzug aller US-Truppen aus dem Irak fordert, was Washington aber bislang ignoriert, und es ist auch wichtig zu wissen, dass es für die amerikanischen Stützpunkte in Syrien keine völkerrechtliche Basis gibt. Nach dem 7. Oktober hatten die USA große maritime Verbände in die Nahmittelost-Region verlegt. Einige bezogen Position vor der Küste des Libanon, und der Flugzeugträger „Eisenhower“ verlegte mit den dazu gehörenden Kriegsschiffen durch die Straße von Hormuz in den persisch-arabischen Golf. Als die vom Iran unterstützten Huthis, die den Norden des Jemen kontrollieren, entschieden hatten, die Hamas in ihrem Kampf gegen Israel zu unterstützen, veränderte sich für die USA die militärische Lage. Nach jemenitischen Raketenangriffen auf den israelischen Hafen Eilat im Roten Meer verlegte der „Eisenhower-Verband“ aus dem persisch-arabischen Golf vor die jemenitische Küste im Golf von Aden und damit weg von der iranischen Küste. Am 18. Dezember starteten die USA die „Operation Prosperity Guardian“, um vor allem die Schiffe zu schützen, die für die Versorgung Israels erforderlich sind. Wenig später begannen amerikanische und britische Kampfflugzeuge militärische Einrichtungen der Huthis im Jemen zu bombardieren. Die europäische Union schützt mittlerweile die zivile Seefahrt im Golf von Aden und im Roten Meer zusätzlich im Rahmen der Operation „Aspides“.  Weder die USA noch die EU haben die Huthis bislang daran hindern können, ihre Angriffe gegen die zivile Schifffahrt fortzusetzen. Sowohl die US-Kräfte wie auch die Kriegsschiffe der europäischen Staaten haben dagegen erhebliche Schwierigkeiten, stabile Ketten für die Versorgung ihrer Besatzungen und auch für den Nachschub an Waffen, Munition und Treibstoff aufzubauen und zu unterhalten.

Indirekt sind die USA natürlich am Krieg Israels gegen die vom Iran unterstütze Hamas beteiligt und geraten wegen der Unverhältnismäßigkeit der israelischen Militäroperation im Gaza-Streifen ebenfalls zunehmend in die weltweite Kritik. Der Grund dafür liegt auf der Hand, weil Israel ohne die Lieferungen von Waffen und Munition aus den USA innerhalb von 48 Stunden nicht mehr in der Lage wäre, den Kampf gegen die Hamas fortzusetzen. Auch an Israels Kampf gegen die vom Iran unterstützte Hisbollah im Libanon sind die USA indirekt beteiligt, indem sie als Abschreckung und ggf. zur Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hisbollah immer noch Kriegsschiffe vor der Küste des Libanons für den Fall stationiert haben, dass die täglichen Scharmützel zwischen Israel und der Hisbollah an der israelisch libanesischen Grenze eskalieren sollten. 

„Der israelische Frosch“

Durch den Krieg gegen die Hamas hat sich im Gaza-Streifen eine humanitäre Katastrophe eines unvorstellbaren Ausmaßes entwickelt. Darüber sollte man aber nicht vergessen, welche Folgen dieser Krieg, auch für Israel und seine Bevölkerung hat. Da sind zunächst die israelischen Geiseln zu nennen, die sich immer noch in den Händen der Hamas und des islamischen Dschihad befinden. Dazu kommen ca. 80.000 Israelis, die ihr Zuhause im nördlichen Grenzgebiet Israels zum Libanon und nahe der Grenze zum Gaza-Streifen verlassen mussten. Sie werden zwar- im Gegensatz zu den Palästinensern im Gaza-Streifen- in jeder Hinsicht versorgt, aber haben ja vor einem halben Jahr ihre Wohnungen, Häuser, Felder und anderen Arbeitsplätze verlassen müssen. Das hat natürlich auch wirtschaftliche Folgen. Die Tourismus-Industrie ist am Boden, weil in vielen Hotels die evakuierten Israelis untergebracht sind und internationale Tourismus-Unternehmen Israel als Urlaubsland gar nicht mehr anbieten. Die eingezogenen Reservisten haben alle Aufgaben in der israelischen Wirtschaft oder staatlichen Organisationen innegehabt, die seit 6 Monaten nicht mehr wahrgenommen werden. Die israelische Wirtschaft ist insgesamt erheblich angeschlagen. Man sollte auch nicht vergessen, dass es eine große, allerdings nicht bekannte, Zahl von gefallenen und schwer verwundeten und auch traumatisierten israelischen Soldaten gibt und dass deshalb die aktuelle Entscheidung auch ultra-orthodoxe Israelis zum Militär einzuziehen, zusätzliche Spannungen in der Bevölkerung zur Folge hat.

Die aktuellen Demonstrationen und Forderungen nach Neuwahlen sind deutliche Zeichen für eine zunehmend instabile Lage in Israel. Last but not least muss man all diese Fakten und Entwicklungen vor dem Hintergrund eines erheblich belasteten Verhältnisses zwischen Israel und den USA einordnen.

Der israelische Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus.

In der Parabel ist ja die Rede davon, dass die Wassertemperatur im Topf langsam aber sicher ständig steigt, ohne dass der Frosch diese Entwicklung wirklich registriert. Und diese Temperatur ist seit dem 1. April 2024 noch einmal deutlich angestiegen. Am Ostermontag wurde das iranische Konsulat an der Botschaft des Irans in Damaskus aus der Luft angegriffen. Es ist als sicher anzunehmen, dass Israel für den Angriff verantwortlich ist. Die israelische Regierung hat die Militäroperation – wie in der Vergangenheit bislang üblich -werden bestätigt noch abgestritten, aber die USA haben auf eine Frage nach der Beteiligung Washingtons an dem Angriff empfohlen, sich mit einer solchen Frage an Israel zu wenden. Indirekt waren die USA natürlich beteiligt, weil die Flugzeuge und Waffen, die zum Einsatz gekommen sind, von den USA geliefert wurden. Bei dem Angriff wurden nach bisher vorliegenden Erkenntnissen 13 Menschen getötet. Bestätigt wurde der Tod von zwei Generälen der iranischen al Quds Brigaden, die für die Auslandseinsätze Teherans zuständig sind. Es handelt sich um Brigadegeneral Mohammad Resa Sahedi und Brigadegeneral Mohammad Hadi Hadschi. Nach einer Meldung der iranischen Nachrichtenagentur Tasnim war Sahedi der Führer der iranischen Revolutionsgarden im Libanon und in Syrien und Hadschi sein Stellvertreter. Neben den beiden Generälen wurden auch die verantwortlichen Offiziere für die Unterstützung der Hamas, der Huthi Rebellen und der schiitischen Milizen im Irak getötet.

Irans Außenmnister Hossein Amir Abdollahian machte Israel für den Angriff verantwortlich. Es handele sich um einen Bruch aller internationaler Vereinbarungen, und es werde Vergeltung geben. Außerdem ließ er „eine wichtige Botschaft“ an die USA übermitteln, weil diese eine Mitverantwortung trage. Dies wurde dem diplomatischen Vertreter der Schweiz, der die USA in Teheran vertritt, mitgeteilt, indem man ihn einbestellt hatte.

Zusammenfassende Bewertung

Wie in der Parabel beschrieben, erhöht der Iran die Temperatur im Kochtopf nach Belieben oder hält sie für eine in Teheran bestimmte Phase einfach konstant, so dass sich der Frosch besonders gut daran gewöhnt. In diesem Zusammenhang sollte man sich an einen Spruch erinnern, der im Orient, aber auch in Afrika oder, wenn man so will im gesamten globalen Süden gegenüber „dem Westen“ immer wieder gebraucht wird: Ihr habt die Uhren, aber wir haben die Zeit. Alle Aktionen und Operationen des Irans sind immer exakt getimt. Iran eskaliert nicht, sondern antwortet in der Regel „symmetrisch“ und hält den Spannungsbogen dadurch hoch, dass Reaktionen und Maßnahmen schwer bis gar nicht einzuschätzen sind. Ein Experte hat diese iranische Strategie einmal bezeichnet als „reflexive control over Washington´s actions“ (Reflexive Kontrolle über Washingtons Maßnahmen) Das hat auf „westlicher Seite“ einen hohen Materialeinsatz und extreme Belastungen des eingesetzten Personals zur Folge. Im März 2024 hatte Captain Chris Hill, Kommandant des amerikanischen Flugzeugträgers „Eisenhower“, mit Blick auf seine Besatzung erklärt: „People need breaks, they need to go home.“ (Menschen brauchen Pausen, sie wollen nach Hause.)

Israel ist mit dem Luftangriff auf das iranische Konsulat ein entscheidender Schlag gegen die Einsatzplaner der Al Quds Brigaden gelungen. Militärisch gesehen muss man diese Operation als erstklassige Leistung des Mossad und der israelischen Luftwaffe bezeichnen. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass Washington von dem geplanten Angriff gewusst hat, aber vermutlich den exakten Zeitpunkt nicht gekannt hat. Aus iranischer Sicht werden deshalb sowohl Israel wie auch die USA für die Folgen verantwortlich gemacht. Diese Einschätzung wird sicherlich der Maßstab für die iranische Antwort sein, und das hat erhebliche Auswirkungen auf die „im Westen“ zu treffenden Schutzmaßnahmen. Teheran wir vermutlich weiterhin unterhalb der Schwelle des Krieges zwischen Iran und Israel und/oder den USA bleiben, aber das schließt z.B. einen Raketenangriff auf den israelischen Flugplatz „Ben Gurion“ oder strategische Ziele in Eilat oder Haifa ebenso wenig aus wie Anschläge auf amerikanische Einrichtungen auf der Arabischen Halbinsel oder diplomatische Vertretungen Israels und/oder der USA in der Nahmittelost-Region.

Parallel dazu, um noch einmal in den Topf mit dem „boiling frog“ zu schauen, ist natürlich nicht auszuschließen, dass es „zu einem großen Knall“ kommt, weil der Frosch den Zeitpunkt verpasst hat, aus dem Topf zu springen. Das könnten z. B. vom Iran initiierte zeitgleiche Angriffe der Hisbollah aus dem Libanon, der iranischen Al Quds Brigaden auf amerikanische Stützpunkte in Syrien, der schiitischen Milizen auf US Einrichtungen im Irak, ein massiver Raketenangriff der Huthis auf „westliche“ Kriegsschiffe im Golf von Aden und Sabotageanschläge auf US-Einrichtungen auf der Arabischen Halbinsel sein.

Das Problem Israels, der USA und „des Westens“ insgesamt ist, dass einerseits die Gefahr besteht, dass man sich an die Spannungen und begrenzten vom Iran gesteuerten Aktionen in der Nahmittelost-Region gewöhnt, seine Möglichkeiten unterschätzt und andererseits letztlich niemand weiß, wann das Wasser im Topf kocht.

Greven, 09. April 2024

Jürgen Hübschen

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„As long as it takes and as intensely as needed”- eine neue Worthülse ohne Inhalt

Im Entwurf der Abschlusserklärung des EU Gipfeltreffens wird das bisherige Prinzip der Ukraine-Unterstützung „As long as it takes um die 5 Wörter „and as intensely as needed“ erweitert. Dabei wird es, wie bisher auch schon, sorgfältig vermieden zu definieren, was diese Formulierung eigentlich bedeutet, und wer entscheidet ob das darin nicht formulierte Ziel erreicht ist. Zu einer bislang nicht konkretisierten zeitlichen Dimension kommt jetzt offensichtlich eine – allerdings ebenfalls nicht präzisierte- qualitative hinzu. So bleibt es unterm Strich allen Beteiligten überlassen, was darunter zu verstehen ist.

Nachfolgend werden beispielhaft einige Möglichkeiten aufgezeigt, was mit dieser neuen Worthülse gemeint sein könnte.

Verschiedene Optionen, was die neue Worthülse bedeuten könnte.

Über die Bedeutung der neuen Worthülse kann man nur spekulieren, wobei noch hinzukommt, dass die 27 EU Staaten sicherlich nicht dasselbe darunter verstehen.

Option 1: Bis die Ukraine den Krieg gewonnen hat

Diese Möglichkeit kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, weil die Ukraine dafür nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und auch zunehmend immer weniger Soldaten hat. Die aktuellen Defizite an Artillerie und gepanzerten Kräften werden sich auf absehbare Zeit nicht beheben lassen. Hinzu kommt ein eklatanter Mangel an Munition, vor allem für Panzer, Artillerie, Flugabwehrwaffen und bodengestützte Flugabwehrraketensysteme. Diesen materiellen Mangel kann „der Westen“ nicht ausgleichen, selbst dann nicht, falls er die Unterstützung noch mehr auf Kosten der eigenen Verteidigungsfähigkeit intensivieren sollte. Die Ukraine selbst könnte die Defizite theoretisch verringern, wenn das Land auf Kriegswirtschaft umstellen würde, was bislang- im Gegensatz zu Russland- noch immer nicht geschehen ist. Ein noch kritischeres Manko ist der zunehmende Mangel an Soldaten, vor allen Dingen solchen, die kampferprobt sind. Aktuell werden immer mehr Soldaten an die Front geschickt, die eine dafür nicht annähernd ausreichende Ausbildung erhalten haben und zum Teil auch wegen ihres Alters den Anforderungen eines Krieges nicht gewachsen sind. Kiew hat bislang auf eine Generalmobilmachung verzichtet und diskutiert aktuell lediglich darüber, das Mindestalter für eine Einberufung von 28 auf 25 Jahre zu senken. Außerdem werden Modelle diskutiert, die eine Einberufung von der finanziellen Situation der Betroffenen abhängig zu machen, wobei Männer mit geringerem Einkommen eher eingezogen werden sollen als ihre finanzstärkeren Jahrgangskameraden. Kiew will nach eigener Aussage nicht versuchen, die ins Ausland geflohenen Männer im wehrfähigen Alter zur Rückkehr zu zwingen. Allein in Deutschland wären das ca. 200.000 Männer.

 Da die NATO -bis auf einige Mitgliedsländer- den Einsatz eigener Truppen (bislang?) ausschließt, erscheint eine Behebung des personellen Defizits in den ukrainischen Streitkräften ausgeschlossen.

Option 2: Bis die Ukraine eine militärische Lage geschaffen hat, die eine Verhandlung mit Russland auf Augenhöhe ermöglicht.

Auch diese Möglichkeit muss als „wishful thinking“ bezeichnet werden, weil aktuell das genaue Gegenteil der Fall ist. Das Gesetz des militärischen Handelns liegt eindeutig auf der russischen Seite, und eine Änderung zu Gunsten der Ukraine ist überhaupt nicht in Sicht. Neben den bereits dargestellten Ursachen kommt hinzu, dass Russland nicht nur über eine Luftüberlegenheit verfügt, sondern die Luftherrschaft innehat. Das schließt erfolgreiche ukrainische Offensiven, abgesehen von lokal sehr begrenzten Vorstößen, völlig aus. In dem an vielen Fronabschnitten herrschenden Stellungskrieg reiben sich die ukrainischen Streitkräfte personell auf, weil die Verluste im Kampf gegen einen Gegner, der sich professionell in mehreren Verteidigungslinien eingegraben hat, enorm hoch sind. Dieses Desaster verschlimmert die personelle Lage der ukrainischen Streitkräfte von Tag zu Tag. Weil Präsident Selensky nicht einsehen will, dass massiv zusätzliche Männer eingezogen werden müssten, um die Situation an der Front zu verbessern, hat er General Saluschnyj, den ehemaligen militärischen Befehlshaber der Streitkräfte, entlassen. Damit dieser nicht im Hintergrund weiter aktiv bleiben kann, wird er der neue ukrainische Botschafter in London. 

Option 3:  Bis Russland den Krieg verloren hat

Diese, geradezu absurde Option ist ausgeschlossen, weil – wie bereits dargestellt-die Ukraine den Krieg militärisch nicht gewinnen kann, um nicht zu sagen, militärisch bereits verloren hat.

Option 4: Bis Russland seine Truppen aus der Ukraine abgezogen hat

Diese Option vertritt Präsident Selensky und bezeichnet sie als nicht zu diskutierende Voraussetzung für Friedensverhandlungen.  Außer ihm hält allerdings niemand diese Möglichkeit für realistisch, weil Moskau dazu gegenwärtig überhaupt keine Veranlassung hat.

Option 5: Bis Moskau Verhandlungen ohne Vorabkonditionen anbietet

Wer an diese Möglichkeit glaubt, gibt sich immer noch der Illusion hin, dass sich Russland durch die militärische Lage an der Front und die umfangreichen wirtschaftlichen Sanktionen „des Westens“ veranlasst sehen oder sogar gezwungen werden könnte, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Das wird nicht passieren, weil Russland militärisch am längeren Hebel sitzt und durchaus die Chance hat, den Frontverlauf in seinem Sinne noch weiter zu verbessern. Außerdem muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Sanktionen offensichtlich nicht die erhoffte Wirkung gezeigt haben und auf absehbare Zeit wohl auch nicht haben werden. Politisch orientiert sich Russland zunehmend in Richtung China und hat neben den Iran auch immer mehr Verbündete in Afrika und Asien gefunden.

Die Wiederwahl von Präsident Putin könnte lediglich dazu führen, dass Moskau Verhandlungen zu seinen Konditionen anbietet.

Option 6:  Bis Präsident Selensky Verhandlungen auf der Basis der in Istanbul im März/April 2022 paraphierten Verhandlungsergebnisse anbietet

Grundsätzlich hat Präsident Selensky im Oktober 2022 in einem Dekret Verhandlungen mit Russland expressis Verbis verboten. Wenn er aber zu der Einsicht kommen sollte, dass eine Fortführung des Krieges die Ukraine letztlich zerstören würde, wäre das eine Möglichkeit, zumal Teile der ukrainischen Bevölkerung eine Fortsetzung des Krieges nicht mehr rückhaltlos unterstützen.

Zu viele Männer sind mittlerweile gefallen oder durch schwere Verwundungen lebenslang gezeichnet. Soldaten an der Front sind z.T. seit Beginn des Krieges ohne Unterbrechungen im Einsatz. Die Zerstörung von Teilen des Landes wird immer deutlicher. Viele Menschen sind innerhalb der Ukraine aus dem Kampfgebiet geflohen, Millionen Frauen und Kinder haben das Land verlassen. Die Wirtschaft liegt am Boden, und die öffentliche Verwaltung wird weitgehend vom „Westen“ finanziert. Präsident Selensky war kürzlich zu Gesprächen mit Präsident Erdogan in der Türkei. Vielleicht war die Wiederaufnahme von Verhandlungen dabei ein Thema. Es wäre zu wünschen.

Option 7:  Bis die USA aus innenpolitischen Gründen die Unterstützung der Ukraine einstellen

Diese Möglichkeit besteht durchaus, wenn man sich die Entwicklung der letzten Monate anschaut. Auch die Aussagen von US-Verteidigungsminister Austin III auf der 20. Ukraine-Unterstützungskonferenz in Ramstein waren mehr geprägt von Durchhalteparolen als von umfassenden weiteren militärischen Unterstützungsleistungen der USA für die Ukraine. Aktuell ist es mehr als zweifelhaft, dass das von Präsident Biden geforderte zusätzliche Unterstützungspaket für die Ukraine in Höhe von 60 Milliarden Dollar genehmigt wird, weil sich der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Mike Johnson, bislang sogar weigert, diese Maßnahme überhaupt zur Abstimmung freizugeben.

Hinzu kommt, dass der Nahostkrieg und die Unterstützung Israels zunehmend die innenpolitische Agenda bestimmten.

Ein Ausstieg der USA aus dem Ukraine-Krieg würde vermutlich eine europäische Kettenreaktion zur Folge haben.

Option 7:  Bis innerhalb der EU der eine oder andere Staat für die weitere Unterstützung der Ukraine keine Mehrheiten mehr hat

Die aktuelle Geschlossenheit der 27 EU-Staaten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es innerhalb der Union durchaus erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt. Diese werden vermutlich deutlicher werden, wenn es nationale Wahlen gibt, in denen die Frage einer weiteren Ukraine-Unterstützung entscheidend werden könnte.

Nicht alle Mitgliedsstaaten sind der Meinung, dass in der Ukraine auch ihre eigene Freiheit verteidigt wird.

Zusammenfassende Bewertung

Es ist seitens der EU unseriös, eine neue „Worthülse“ zu erfinden, ohne konkret zu sagen, was man darunter versteht. Präsident Putin hat mit seiner Entscheidung, die Ukraine anzugreifen einen politischen Fehler gemacht, weil er geglaubt hat, die russischen Truppen wären in der Ukraine willkommen und der Krieg eine Angelegenheit von maximal wenigen Wochen bis in Kiew eine neue, Russland freundliche Regierung eingesetzt worden wäre. Diese falsche Lagebeurteilung hat er erkannt und im Herbst 2022 seine Truppen von Offensive erfolgreich auf Defensive und die Verteidigung der eroberten Gebiete umschalten lassen. Die Lagebeurteilung „des Westens“ war ebenfalls falsch. Man hatte geglaubt, dass die über Jahre vom “Westen“ ausgebildete ukrainische Armee auf Grund ihres Kampfwillens und ihrer Opferbereitschaft in der Lage gewesen wäre, Russland mit Hilfe einer massiven militärischen Unterstützung „des Westens“ auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Mittlerweile hat man zwar erkannt, dass man sich fundamental geirrt hat, aber im Gegensatz zum russischen Präsidenten, will man sich das nicht eingestehen und lässt es jetzt zu, dass sich die Ukraine in diesem Krieg immer mehr selbst zerstört und neben dem Leiden der Zivilbevölkerung eine ganze Generation junger Männer geopfert wird.

Das ist unredlich, und vor allem ist die immer wieder gehörte Behauptung, dass die Ukraine auch die Freiheit „des Westens“ verteidigt, verwerflich. Wenn das nämlich so wäre – ich persönlich bestreite das- müsste z. B. Deutschland, die ukrainische Armee mit unseren eigenen Soldaten im Kampf unterstützen, weil nach unserem Grundgesetz die Bundeswehr für die Verteidigung der Bundesrepublik zuständig ist.

Fazit:

Statt eine neue Worthülse ohne Inhalt zu erfinden, wäre es an der Zeit gewesen, endlich einen gemeinsamen Vorschlag zu machen, wie ein Waffenstillstand erreicht werden kann und Verhandlungen initiiert werden könnten, mit dem Ziel einen stabilen Frieden zu erreichen. Basis könnten dafür die auf Veranlassung des ehemaligen britischen Premierministers Boris Johnson in Abstimmung mit den USA abgebrochenen Istanbuler Verhandlungen sein.

Ob mit Russland verhandelt wird, darf nicht allein in der Entscheidung von Präsident Selensky liegen, weil dieser ja ohne die Unterstützung „des Westens“ hätte militärisch längst kapitulieren und finanziell den Offenbarungseid leisten müssen.

Greven, 21. März 2024

Jürgen Hübschen

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Der Abgang Victoria Nulands, Acting Deputy Secretary of State der USA – ein Schwenk in der amerikanischen Außenpolitik?

Noch am 22. Februar 2024 hatte Victoria Nuland beim „Center für Strategic and International Studies“ in Washington eine Grundsatzrede zum Ukrainekrieg gehalten und u.a. gesagt: „Wir können nicht zulassen, dass Putin mit seinem Plan, die Ukraine von der Landkarte der freien Nationen zu tilgen, Erfolg hat. Denn wenn Putin in der Ukraine gewinnt, wird er dort nicht Halt machen, und Autokraten überall werden sich ermutigt fühlen, den Status quo mit Gewalt zu ändern. Und für die USA wird der Preis für die Verteidigung der freien und offenen internationalen Ordnung, auf die wir angewiesen sind, exponentiell ansteigen. Putin denkt, er kann uns alle aussitzen. Wir müssen ihm das Gegenteil beweisen.“

Am 5. März 2024 hat US-Außenmnister Blinken, weitgehend unkommentiert von den europäischen Medien, mitgeteilt, dass Victoria Nuland auf eigenen Wunsch das State Department Ende März verlassen werde. Damit wird die schillerndste Persönlichkeit und einflussreichste außenpolitische „Strippenzieherin“ der USA nach mehr als drei Jahrzehnten die Bühne der amerikanischen Außenpolitik verlassen und zur „School of International and Public Affairs“ (SIPA) der Columbia University wechseln.

Es stellt sich die Frage, warum das so plötzlich passiert, was dahinterstecken könnte und welche Außenwirkungen Nulands Ausscheiden auf die Außenpolitik der USA haben könnte.

Leben und politische Laufbahn von Victoria Nuland

Um die politische Bedeutung von Victoria Nuland einordnen zu können, ist es wichtig zu wissen, wer sie ist und welche politischen Ämter sie bekleidet hatte, bevor sie jetzt als Under Secretary of State for Political Affairs und seit 7 Monaten auch als Acting Deputy Secretary of State überraschend aus der amerikanischen Außenpolitik ausgeschieden ist.

Nuland ist 1961 geboren und hat unter verschiedenen amerikanischen Präsidenten gedient. Sie war u.a. eine ausgesprochen wichtige Beraterin des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und dadurch mitverantwortlich für den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak im Jahr 2003. Sie war unter Präsident George W. Bush US-Botschafterin bei der NATO und ab 2013 unter Präsident Obama Deputy Secretary of State for European and Eurasian Affairs. In dieser Eigenschaft definierte sie maßgeblich die amerikanische Russland- und Ukraine- Politik und war als „Key Player“ beteiligt am Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und der Installation von Arseni Yatseniuk im Rahmen der „Maidan Unruhen“. Aus dieser Zeit ist ihr abgehörtes Telefongespräch mit dem damaligen US-Botschafter Geoffrey Pyatt in Erinnerung, der darin auf Bedenken der EU hingewiesen hatte, Yatseniuk zum Präsidenten zu machen. Diese Einwände hatte sie mit der Bemerkung „Fuck the EU“ abgetan.

Nuland ist den amerikanischen Neokonservativen, den s.g. „Neocons“ zuzuordnen und gehörte immer zu den „Falken“ in der US-Administration. Das lag sicherlich auch an ihrer Ehe mit dem Historiker Robert Kagan. Dieser hatte 1997 zusammen mit William Kristol das „Project for the American Century“ (PNAC) entwickelt, eine Policy für Amerikas Außenpolitik mit dem Ziel, die Welt zu beherrschen. Diese Idee haben die „Neocons“, die nach wie vor maßgeblich die amerikanische Außenpolitik bestimmen, bis heute nicht aufgegeben.

Bewertende Einschätzung von Victoria Nulands Ausscheiden aus der der amerikanischen Außenpolitik

In seinem Statement zum Ausscheiden von Victoria Nuland hatte Außenminister Antony Blinken besonders herausgestellt „her fierce passion for freedom, democracy and human rights“ („Ihre leidenschaftliche Passion für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.“) Besondershob er Nulands Engagement für und in der Ukraine hervor und sagte wörtlich: „It’s Toria’s leadership on Ukraine that diplomats and students of foreign policy will study for years to come. Her efforts have been indispensable to confronting Putin’s full-scale invasion of Ukraine, marshaling a global coalition to ensure his strategic failure, and helping Ukraine work toward the day when it will be able to stand strongly on its own feet – democratically, economically, and militarily.” („Es ist Torias Vorreiterschaft in Bezug auf die Ukraine mit der sich die Diplomaten und Studenten der Außenpolitik auf Jahre hinaus

beschäftigen werden. Ihr Einsatz war in der Konfrontation mit Putins totaler Invasion der Ukraine unersetzlich, eine globale Koalition anzuführen um sein strategisches Scheitern zu garantieren und der Ukraine dabei zu helfen, später auf eigenen Füßen zu stehen, demokratisch, wirtschaftlich und militärisch.“)

Dieses positive Statement von Außenminister Blinken gibt natürlich keinerlei Hinweise darüber, warum Victoria Nuland das State Department verlässt. Geht sie wirklich freiwillig oder wurde ihr nahegelegt, ihren Abschied einzureichen oder wurde sie de facto rausgeworfen, weil die von ihr jahrelang vertretene Russland- und Ukraine- Politik nicht mehr mit der offiziellen Linie der US-Administration oder den Vorstellungen von US-Präsident Biden übereinstimmt. Natürlich könnte auch der Grund für ihr Ausscheiden eine neue Schwerpunktsetzung in der amerikanischen Außenpolitik sein.

Nach Aussage von zwei langjährigen Mitarbeitern des US-Außenministeriums soll Nuland ihren Abschied eingereicht haben, weil sie bei einer aus ihrer Sicht berechtigten Beförderung übergangen wurde. Sie hatte zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit 7 Monate die Aufgaben einer stellvertretenden Außenministerin wahrgenommen, nachdem die frühere Amtsinhaberin, Wendy Sherman in den Ruhestand gegangen war. Nuland hatte als Anwärterin gegolten, um Sherman in Vollzeit und dauerhaft zu ersetzen. Doch Außenminister Blinken entschied sich für Kurt Campbell, den früheren Spitzenbeamten des Nationalen Sicherheitsrates für Asien. Herr Campbell wurde vom Senat am 6. Februar bestätigt.

Der Abschied der US-Spitzendiplomatin Victoria Nuland wird von einigen US-Medien und Experten als Indiz für eine Kehrtwende in der Außenpolitik Washingtons gewertet. Nuland hatte sich seit dem „Euromaidan“ in Kiew 2014 als entschiedene Befürworterin eines Westkurses der Ukraine hervorgetan.  Das Ausscheiden Nulands könnte, neben der Tatsache, dass das Repräsentantenhaus sich noch immer weigert, die von Präsident Biden geplante weitere Unterstützung der Ukraine in einer Höhe von 60 Milliarden US Dollar zu genehmigen, ein weiterer Hinweis sein, dass die USA ihr Ukraine-Engagement grundsätzlich überdenken. Dabei könnte der zunehmend Fahrt aufnehmende Wahlkampf durchaus eine Rolle spielen. Natürlich könnte die Trennung von Victoria Nuland auch ein Indiz dafür sein, dass die US-Administration zu der Erkenntnis gelangt ist, dass die bisherige Strategie gegenüber Russland nicht aufgegangen ist und immer offensichtlicher wird, dass die Ukraine den Krieg verloren hat. Vielleicht handelt es sich bei dieser Kehrtwende aber auch darum, dass China jetzt ganz oben auf der außenpolitischen Agenda der Vereinigten Staaten steht, was viele Experten schon lange gefordert haben. Sie haben den Wettbewerb mit China immer als oberste Priorität eingeordnet und es für einen schwerwiegenden außenpolitischen Fehler gehalten, sich überwiegend auf Russland und den Krieg in der Ukraine zu konzentrieren. Für diese Theorie spricht vor allem Blinkens Entscheidung, Kurt Campbell mit der Aufgabe des stellvertretenden Außenministers zu betrauen und dabei das Zerwürfnis mit Victoria Nuland billigend in Kauf zu nehmen. Kurt Campbell war lange Zeit Mitglied im National Security Council der USA (NSC) und der maßgebliche Architekt von Obamas „Pivot to Asia Policy“, also einer politischen Schwerpunktsetzung im asiatischen Raum. Dazu gehörte z.B. das Bestreben, Indien zunehmend als Rivalen zu China aufzubauen, aber vor allem auch die grundsätzliche Verschiebung des amerikanischen Interesses von Europa in den Indopazifik.

Es ist davon auszugehen, dass man sehr bald sehen und wissen wird, ob sich der Schwerpunkt der amerikanischen Außenpolitik verschieben wird. Vieles spricht für diesen außenpolitischen Schwenk, in dessen Folge die Sanktionen gegenüber Russland und auch der Krieg in der Ukraine in der Hauptsache sich zu einem europäischen Problem entwickeln und zwar politisch, wirtschaftlich und militärisch.

Ich bin mir nicht sicher, ob das Signal, das mit einem Ausscheiden von Victoria Nuland aus der Russland-und Ukraine Politik der USA gesetzt wurde und die daraus resultierenden möglichen Konsequenzen, von den Politikern in Europa bereits verstanden und richtig eingeordnet worden sind.

Greven, 17. März 2024

Jürgen Hübschen

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Präsident Bidens Ansprache zur Lage der Nation- Vision oder Wahlkampf?

Am Abend des 7. März 2024 hat Präsiden Biden seine jährliche Rede zur Lage der Nation (State of the Union) gehalten. Diese Reden sind bei allen US-Präsidenten immer sehr emotional und von der Devise geprägt: „America First“. Wenn es sich um eine „State of the Union“ in einem Wahljahr handelt, in dem für den Amtsinhaber eine Wiederwahl möglich ist, ist es interessant zu prüfen, ob Visionen oder der Wahlkampf die bestimmenden Themen waren.

Inhalt der Rede zur Lage der Nation

Die Rede von Präsident Biden umfasste ca. 15 Din-A4 Seiten, von denen 13 innenpolitischen Themen gewidmet waren. Auf diese Themen soll nachfolgend inhaltlich nicht im Detail eingegangen werden. Der Präsident beginnt seine Rede, in dem er einen Bezug zur „State of the Union“ von Präsident Roosevelt 1941 herstellt, als Frieden und Demokratie durch Adolf Hitler bedroht wurden. In diesen historischen Kontext stellt Präsident Biden den russischen Angriff auf die Ukraine und vergleicht den russischen Präsidenten Putin de facto mit Adolf Hitler. Wörtlich sagt der US Präsident: „ Overseas, Putin of Russia is on the march, invading Ukraine and sowing chaos throughout Europe and beyond. If anybody in this room thinks Putin will stop at Ukraine, I assure you: he will not.” (Im Ausland ist Putin auf dem Vormarsch, ist in die Ukraine einmarschiert und sät Chaos überall in Europa und darüber hinaus. Falls jemand in diesem Raum denkt, Putin wird in der Ukraine stoppen, so versichere ich ihm: Er wird es nicht tun.“) Und der US Präsident Biden führt weiter aus, dass die Ukraine Russland stoppen kann, wenn die USA Kiew mit den erforderlichen Waffen unterstützt, sich zu verteidigen. Die Ukraine fordere keine amerikanischen Soldaten, und Präsident Biden wörtlich: „In fact there are no American soldiers at war in Ukraine, and I´m determined to keep it that way.“( In der Tat, es sind keine US-Soldaten im Krieg in der Ukraine, und ich habe entschieden, dass dies so bleibt.“) Danach gebraucht der Präsident zum ersten und einzigen Mal in seiner Rede die Formulierung „our world leadership“, gegenüber denjenigen, die sich aus dieser Verantwortung stehlen wollen und spricht in diesem Zusammenhang von seinem Vorgänger, ohne Trump beim Namen zu nennen. Das bleibt übrigens während der ganzen Ansprache so. Biden bezeichnet die NATO als stärkstes Militärbündnis der Welt, dem zwei weitere Staaten beigetreten sind und heißt den schwedischen Premierminister willkommen, der im Saal anwesend ist. Biden wiederholt die historische Dimension der aktuellen Lage und weist auf die wichtige Rolle der USA hin. Wörtlich: „ If the United States walks away, it will put Ukraine at risk, Europe is at risk, the free world will be at risk, emboldening others to do what they wish to do us harm.” (Falls die USA sich zurückziehen, gefährdet das die Ukraine, gefährdet es Europa, und die freie Welt wird gefährdet sein, weil andere ermutigt werden das zu tun, womit sie uns schaden können.“ Mit Blick auf Präsident Putin fügt er abschließend zu diesem Punkt hinzu: „ My message to President Putin, who I´ve known for a long time, is simple: We will not walk away. We will not bow down. I will not bow down.” (Meine Botschaft an Präsident Putin, den ich seit langem kenne, ist einfach: Wir ‚hauen nicht ab‘. Wir beugen uns nicht, und ich werde mich nicht beugen“)

Nach dieser knapp einen Seite Außenpolitik, beginnt der etwa 12 Seiten lange innenpolitische Teil der Rede und zwar sozusagen als Übergang von den äußeren Risiken für die Demokratie mit ihrer inneren Gefährdung wie durch den Sturm auf das Kapitol vom 06. Januar 2020. Im Weiteren spricht der amerikanische Präsident alle für die Bevölkerung relevanten Bereiche an  von der Grenzsicherung über die Schusswaffengesetze bis zum Thema „Abtreibung“. Breiten Raum nehmen zudem die wirtschaftliche Lage, die Arbeitslosenzahlen, die Steuergesetzgebung etc. ein. Insgesamt verweist Biden auf seine Erfolge in allen gesellschaftlichen Bereichen und spart dabei nicht mit Eigenlob. Nach diesen umfangreichen Ausführungen im Bereich der Innenpolitik kommt der Präsident noch einmal auf die außenpolitische Lage zu sprechen und zwar mit Schwerpunkt auf den Nahost-Krieg. Er beginnt mit dem Überfalls der Hamas auf Israel vom 07. Oktober 2023 und unterstreicht das Recht Israels auf Selbstverteidigung und fordert die Freilassung aller Geiseln. Diese Punkte formuliert Biden klar, aber eher knapp. Ausführlicher geht er auf die Verantwortung Israels ein, indem er sagt: „ Israel has a  fundamental responsibility, though, to protect innocent civilians in Gaza.“( Israel hat eine elementare Verantwortung unschuldige Zivilisten in Gaza zu schützen“)  Im Detail erinnert er daran, dass mehr als 30.000 Palästinenser gestorben sind, die Infrastruktur weitgehend zerstört ist und die humanitäre Situation der Bevölkerung als „heartbreaking“ zu bezeichnen ist. Er fordert ein Cease Fire und kündigt an, dass die USA die Voraussetzungen schaffen werden, dass Hilfsgüter von See nach Gaza gebracht werden können, betont aber gleichzeitig, dass es keine US-Soldaten im Gaza-Streifen geben wird. Biden betont, dass er in seiner gesamten Laufbahn immer ein Unterstützer Israels gewesen sei, aber jetzt gelte: „Protecting and saving lives has to be a priority.“ („Schutz und Lebensrettung müssen Priorität haben.“) Die Zwei-Staaten-Lösung bezeichnet Biden als einzige realistische Lösung. Er schließt die Thematik Nahost ab mit einem Hinweis auf die Bedrohung durch den Iran und die Angriffe der Huthis auf die internationale Seefahrt, die mit Hilfe der USA und ihrer Verbündeten abgewehrt würden. Zu China stellt der Präsident fest, dass die folgende Aussage falsch sei: „China is on the rise and America is falling behind.“ („China befindet sich im Aufstieg während die USA zurückfallen.“) Ganz im Gegenteil, so Biden: „We have the best economy in the world“) („Wir haben die beste Wirtschaft in der Welt.“) Er wolle Wettbewerb mit China und keinen Streit. Bevor Biden noch einmal auf die innere Lage der USA zu sprechen kommt, verweist er darauf, dass die USA ihre Partnerschaft mit den Staaten im Pazifik erneuert und verstärkt hätten. Die Klimakrise spricht Biden lediglich mit einem einzigen Satz an.

Biden schließt mit der Feststellung: „I believe in America, I believe in you, the American people. You´re the reason we´ve never been more optimistic about our future than I am now.  So let´s build the future together. Let´s remember who we are. We are the United States of America”). Ich glaube an Amerika, ich glaube an die Menschen in den USA. Sie alle sind der Grund, dass wir nie optimistischer über unsere Zukunft waren als ich es heute bin. Also lasst uns die Zukunft gemeinsam bauen. Lasst uns erinnern, wer wir sind. Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika.“))

Bewertung der Ansprache zur Lage der Nation

Präsident Biden beginnt seine Ansprache zur Lage der Nation mit einem außenpolitischen Thema, weil dieses möglicherweise die innenpolitische Auseinandersetzung im Wahlkampf entscheiden wird. Deshalb haben seine Redenschreiber die Dramaturgie völlig überzogen; ein westlicher Journalist bezeichnete diesen Teil des Vortrags als „inszenierte Wut“. Den russischen Präsidenten mit Hitler quasi gleichzusetzen, wird der aktuellen Situation nicht gerecht, sondern führt lediglich zu einer weiteren Emotionalisierung, die eine Verhandlungslösung zur Kriegsbeendigung unnötig erschwert, obwohl es aktuell dazu vermutlich zwei Initiativen gegeben hat. Eine waren die Gespräche zwischen einer chinesischen Delegation in Kiew, und die zweite war die kürzliche Reise des ukrainischen Präsidenten zu seinem türkischen Amtskollegen Erdogan. Auch die aktuelle Veröffentlichung der Verhandlungsergebnisse im Wall Street Journal, die zwischen Russland und der Ukraine im Frühjahr 2022 in Istanbul erzielt wurden, war wohl kein Zufall.

 Für die Behauptung Bidens, der russische Einmarsch in die Ukraine würde nur der Anfang sein, falls man Präsident Putin nicht stoppen würde, gibt es dagegen keinerlei Beweise. Vielmehr scheint sie der Versuch zu sein, doch noch das Go des Repräsentantenhauses für die ausstehenden 60 Milliarden Dollar für eine weitere militärische Unterstützung zu erhalten. An seiner Aussage: „If anybody in this room thinks Putin will stop at Ukraine, I assure you: he will not.” wird sich der US-Präsident noch einmal messen lassen müssen.

(Zusatz des Autors: US Verteidigungsminister Lloyd Austin III hat am 1. März 2024 wörtlich gesagt: „Wenn die Ukraine fällt, wird die NATO im Krieg mit Russland sein.“ Zu dieser Aussage hat der russische Außenminister Lawrow festgestellt, dass die NATO immer noch eine strategische Niederlage Russlands anstrebe. Dazu hat er als Beweis angeführt:

  • die Aussage von Austin
  • Die Überlegungen Macrons, den Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine nicht auszuschließen
  • das abgehörte Telefongespräch der deutschen Luftwaffenoffiziere

Der amerikanische Generalstabschef, General Randy A. George, hat davor gewarnt, Russland zu unterschätzen.)

Beim zweiten außenpolitischen Thema fällt auf, welch breiten Raum der Präsident seinen Forderungen an Israel einräumt, die humanitäre Katastrophe in Gaza zu beenden. Es fehlt allerdings die konkrete Forderung an Netanjahu, die Bombenangriffe einzustellen. Vor allem aber fehlt eine Aussage, wie die Konsequenzen aussehen werden, falls der israelische Premier einem Cease Fire noch immer nicht zustimmt und die amerikanische Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung weiterhin ablehnt.

Der innenpolitische Teil seiner Ansprache ist hauptsächlich ein Klopfen auf die eigene Schulter und dem Wahlkampf geschuldet.  Eine realistische Vision, wie man z.B. die Einwanderungsproblematik lösen kann, fehlt ebenso wie ein konkreter und durchsetzungsfähiger Weg, die Waffengesetze zu ändern.

Auch wenn der Präsident nur einmal von „our world leadership“ gesprochen hat, ist die Außenpolitik in dieser Rede zu kurz gekommen, weil die Zukunft einer Weltmacht ja nicht von der Lösung innenpolitischer Probleme abhängt, ganz im Gegenteil. Die zukünftige Zusammenarbeit mit der EU wird gar nicht erwähnt, und auch die Gefahr, dass die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse den USA zum Nachteil gereichen könnte, wird verschwiegen.

Natürlich ist ein „State of the Union“ immer in erster Linie nach innen gerichtet, aber die Zukunft einer Weltmacht und damit auch ihrer Bevölkerung hängt eben stark von außenpolitischen Entwicklungen ab. Das weiß Präsident Biden natürlich auch, aber als Realpolitiker versucht er mit den Themen zu punkten, die Donald Trump in den Mittelpunkt seiner Kampagne stellt.

Deshalb ist für mich die absolute Schwerpunktsetzung auf innenpolitische Themen in der Rede zur Nation dem Wahlkampf geschuldet, weil die amerikanische Bevölkerung mit dem politischen Ansatz „America first“ zufrieden ist. Visionen würden vermutlich nicht verstanden und würden deshalb die Chancen auf einen Wahlsieg nicht verbessern.

Last but not least: Eine „inszenierte Wut“, gepaart mit hoher Lautstärke ist für mich kein Beweis für physische und mentale Vitalität und auch nicht für die Fähigkeit, noch weitere fast 5 Jahre dem Anspruch einer „world leadership“ gerecht zu werden.

Greven, 10. März 2024

Jürgen Hübschen

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Westliche Bodentruppen für die Ukraine-eine französische Luftnummer?

Nach einer Konferenz zur Unterstützung der Ukraine am 26.02.24 in Paris, an der 20 Staats- und Regierungschefs teilgenommen hatten, thematisierte Präsident Macron vor der Presse das Thema „Bodentruppen für die Ukraine“.

Nachdem es dazu viele Berichte in allen Medien gegeben hat, macht es Sinn festzustellen, was der Präsident konkret gesagt hat und in welchem Zusammenhang das geschehen ist, welche politischen Reaktionen es darauf gegeben hat und welche Konsequenzen der Einsatz von „westlichen“ Bodentruppen in der Ukraine haben würde.

Die Aussagen des französischen Präsidenten

Zur Eröffnung der Konferenz sagte Macron.“ Die allgemeine Feststellung ist heute, dass unser aller Sicherheit auf dem Spiel steht.“ Das Auftreten Russlands verhärte sich sowohl auf der politischen Ebene als auch an der Front in der Ukraine, wo neue russische Angriffe drohten.

Im Gegensatz zur der allgemeinen „westlichen“ Position, die Ukraine zu unterstützen, „as long as it takes“ vertritt der französische Präsident eher das Prinzip „whatever it takes,“ und dazu gehört aus seiner Sicht offensichtlich auch die Option, ggf. westliche Truppen an der Seite der ukrainischen Streitkräfte einzusetzen.

Nach der Konferenz machte Macron vor der Presse zunächst klar, dass über einen möglichen Einsatz von „westlichen“ Bodentruppen auf der Konferenz kein Konsens bestanden habe. In der New York Times hieß es dazu, Macron stressed, that there was no consensus on sending troops to help the embattled country. Bu he insisted that “anything is possible if it is useful to reach our goal”,which he said was to ensure that “Russia cannot win this war.” (Macron unterstrich, dass es keine Übereinstimmung gegeben habe, Truppen zu entsenden, um dem bedrängten Land zu helfen. Aber er bestand darauf, dass alles möglich ist falls es dazu dient unser Ziel zu erreichen“ und das sei, sicherzustellen, dass „Russland diesen Krieg nicht gewinnt.“)

Auf die Frage eines Journalisten zu einem möglichen Einsatz von Truppen z.B. durch Polen, sagte Macron, jedes Land könne eigenständig und souverän über den Einsatz von Bodentruppen entscheiden.

Auch der französische Premierminister Gabriel Attal hält die Entsendung von Bodentruppen für möglich und sagte im Radiosender RTL:“ Man kann nichts ausschließen in einem Krieg, der im Herzen Europas und vor den Toren der Europäischen Union stattfindet.“ Vor zwei Jahren hätten viele Länder ausgeschlossen, Waffen an die Ukraine zu liefern. „Heute sind wir dabei, Raketen mit hoher Reichweite zu schicken, um die Ukrainer gegen diese Aggression zu schützen.“

Internationale Reaktionen

Als erstes ist festzustellen, dass Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der NATO, die Position des französischen Präsidenten nicht teilt. Das ist konsequent, weil er ja noch kurz vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine erklärt hat, dass sich die NATO an einem möglichen Krieg in der Ukraine nicht beteiligen würde.

Auch die meisten europäischen Verbündeten lehnten die Überlegungen des französischen Präsidenten ab und schlossen den Einsatz von Bodentruppen kategorisch aus. Auch die USA wiesen die französischen Überlegungen zurück. Adrienne Watson, Sprecherin des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates, erklärte wörtlich: „Präsident Biden hat klargemacht, dass die USA keine Truppen in die Ukraine schicken werden, um zu kämpfen.“

Der Verteidigungsminister Litauens, Arvydas Anusauskas, erkläre allerdings, er schließe nicht aus, dass sein Land Soldaten in die Ukraine entsende. Das käme aber nur für Ausbildungszwecke infrage, nicht für eine Beteiligung an Kampfhandlungen. Der Berater des Litauischen Präsidenten, Gitanas Nauseda, sagte dazu ergänzend: „ Wir sprechen über diese Möglichkeit und tun dies ganz offen. Es gibt viele Nuancen darüber, was passieren könnte und unter welchen Bedingungen.“

Kreml Sprecher Dmitrij Peskow sagte zu einem Journalisten, falls die französische Option umgesetzt würde, müsse man über die Unausweichlichkeit eines Konflikts mit der NATO sprechen. Weiter erklärte er zu Entsendung westlicher Truppen:“ Das ist absolut nicht im Interesse dieser Länder, darüber müsse man sich bewusst sein.“ Das heißt aus meiner Sicht nichts anderes als „casus belli“.

Deutsche Reaktionen

Alle im Bundestag vertretenden Parteien lehnen die Entsendung von Bodentruppen ab.

Dazu einige Beispiele ohne parteipolitische Präferenz:

Der Linken Politiker Gregor Gysi: „Der französische Präsident Macron ist offenkundig nicht mehr zu retten. Wenn ein Nato-Staat oder gar mehrere Nato-Staaten Bodentruppen in die Ukraine entsenden, haben wir den 3. Weltkrieg“ Der Vorschlag sei „völlig indiskutabel“.

Grünen-Chef Omid Nouripour erklärte auf NTV, der Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine stehe nicht zur Debatte. „Es ist überhaupt kein Thema. Es ist kein Thema in der Diskussion in Deutschland und auch nicht in einem Bündnis“. Zu den Äußerungen des französischen Präsidenten sagte er: „Ich habe einen launigen Macron erlebt, der einfach sagen wollte: Ich will nichts ausschließen.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU) im RBB Info-Radio: Westliche Bodentruppen in der Ukraine stünden nicht zur Debatte.

Der SPD-Außenexperte Michael Roth nannte den möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen eine Phantomdebatte“ und schrieb dazu auf „X“: „Ich kenne niemanden, der das ernsthaft will, auch nicht in der Ukraine.  Die brauchen vor allem Munition, Luftverteidigung, Drohnen, Langstreckenwaffen.“

Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann sagte der Funke-Mediengruppe: Deutschland müsse die Einschätzung Macrons nicht teilen, lobte aber dennoch die Entschlossenheit des französischen Präsidenten. Putins Warnung vor einer direkten Einmischung des Westens in den Krieg sei nicht in Paris, aber „mit einem Doppelwumms im Kanzleramt angekommen“,

Auf „X“ nannte der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf das „Gerede über Truppenentsendungen in die Ukraine“ ein „Spiel mit dem Feuer“. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich durch diplomatische Initiativen für eine schrittweise Entspannung einzutreten“.

Sara Wagenknecht vom BSW spricht von „gefährlichem Wahnsinn“ und findet: „Im Élysée sind offenbar alle Sicherungen durchgebrannt.“

Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil sagte im NDR, er sei strikt gegen ein entsprechendes Mandat für die Bundeswehr. Er gehe nicht davon aus, dass diesen französischen Überlegungen auch Taten folgen werden. Stattdessen müsse der Westen der Ukraine weiter mit Waffenlieferungen helfen. „Daran ist ihnen am meisten gelegen“ sagte der SPD-Politiker.

Die Position der Bundesregierung wurde von Bundeskanzler Scholz mit den Worten zusammengefasst: Es habe auf der Konferenz Einigkeit gegeben „dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird die von europäischen oder von NATO-Staaten dorthin geschickt werden.“ Und er fügte hinzu: „Ich kenne niemanden, der das ernsthaft will, auch nicht in der Ukraine“.

Westliche Soldaten dürften sich auch von ihren Heimatländern aus nicht selbst aktiv am Kriegsgeschehen beteiligen.

Zusammenfassende Bewertung

Präsident Macron bekennt sich nach eigener Aussage zu einer „strategischen Mehrdeutigkeit“ ,und so ist auch seine Aussage einzuordnen. Er will die Reaktion des Westens für den russischen Präsidenten unkalkulierbar machen, hat aber dabei übersehen, dass so etwas nur funktionieren würde, wenn „der Westen“ insgesamt die Entsendung von Bodentruppen nicht ausschließen würde. Jetzt ist allerdings für Moskau einmal mehr klargeworden, das „der Westen“ über keine gemeinsame Strategie verfügt, und deswegen ist der französische Vorschlag als „Luftnummer“ einzustufen, die die Position „des Westens“ nicht gestärkt, sondern ihr geschadet hat. So muss man dem französischen Präsidenten vorhalten, dass er einmal mehr populistisch vorgeprescht ist, um die Bedeutung Frankreichs zu unterstreichen. Dies steht im totalen Widerspruch zu den bisherigen französischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine.

Laut den jüngsten Zahlen des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft (IfW) liegt Frankreich , gemessen an seiner Wirtschaftskraft, verglichen mit anderen europäischen Ländern, einschließlich  Australien, Kanada und den USA an letzter Stelle. Die deutsche Militärhilfe für die Ukraine ist ca. 10x höher als die französische Unterstützung.

Grundsätzlich ist zu einem möglichen Einsatz von Bodentruppen allerdings noch anzumerken, dass es bei der ablehnenden Haltung der USA und auch anderer Ländern immer nur um den offiziellen Einsatz von „boots on the ground“ geht. In diesem Zusammenhang muss man sich auch die Aussage der Sprecherin des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates genau anhören. Da heißt es nämlich: „Präsident Biden hat klargemacht, dass die USA keine Truppen in die Ukraine schicken werden, um zu kämpfen.“  Die Aussage bezieht sich also nur auf die kämpfende Truppe. Dies schließt eine militärische Unterstützung durch amerikanische Soldaten in der Ukraine grundsätzlich nicht aus. Es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit schon lange US-Adviser und Berater aus anderen NATO Staaten in der Ukraine, und sicherlich ist auch die CIA vor Ort. Außerdem gab es mal Hinweise, dass die Briten die von Ihnen gelieferten britisch-französischen Marschflugkörper „Storm Shadow“- in Frankreich heißen sie „Scalp“- vor Ort programmieren, um sicherzustellen, dass die Ukraine nur bestimmte Ziele angreifen kann. Vielleicht sind auch die Franzosen mitbeteiligt.

Auch deutsche Militärs sind immer mal wieder in der Ukraine, kürzlich der Generalinspekteur und der Ukrainebeauftragte Generalmajor Dr. Freuding, Leiter des Lagezentrums Ukraine und des Planungs- und Führungsstabs des Bundesministers der Verteidigung in Berlin. Ist wohl mehr oder weniger regelmäßig in Kiew und nimmt dort auch an Konferenzen teil.

Doch diese Art von personeller militärischer Unterstützung ist das Eine, aber die offizielle Entsendung von Bodentruppen, um die Ukraine im Kampf zu unterstützen, ist das Andere, und genau so wird das vermutlich in Moskau gesehen.

Last, but not least noch etwas zur Aussage des französischen Präsidenten, die von Litauen geteilt wird, dass jeder Staat eigenständig entscheidet, ob er auf bilateraler Basis Bodentruppen in die Ukraine schickt: Diese Position ist nicht akzeptabel und widerspricht letztlich auch dem NATO-Vertrag, der ja im Artikel 5 eine Beistands Verpflichtung enthält.

Ein NATO-Land, das eigene Bodentruppen in die Ukraine schickt, wird damit automatisch zur Kriegspartei, und als Folge davon befindet sich aus Moskauer Sicht letztlich auch die NATO in einem Krieg mit Russland und zwar mit allen Folgen bis hin zum Einsatz von Atomwaffen.

Greven, 28. Februar 2024

Jürgen Hübschen

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Atommacht Europa – eine Idee von sicherheitspolitischen Phantasten

Im Zusammenhang mit einer nicht nachvollziehbaren Russland Hysterie und Phobie hat jetzt auch das Thema „Atommacht Europa“ Einzug in die Debatte derer gehalten, die sich für Sicherheitsexperten halten. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat dazu für seine Person erklärt: “ Meine Meinung: Darüber diskutiert man nicht öffentlich.“

Das kann man so sehen, muss dem aber nicht zustimmen, weil eine Diskussion über europäische Atomwaffen alle angeht und leider kaum Wissen darüber vorhanden ist, was das bedeuten würde.

Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen

Zu allererst ist es erforderlich, sich mit den rechtlichen Grundlagen über Besitz und Verbreitung von Atomwaffen vertraut zu machen. Dazu gehört in erster Linie der „Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen“, besser bekannt als „Atomwaffensperrvertrag“. Zu diesem heißt es in einem Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung vom 04. März 2022 u.a.: „Der Atomwaffensperrvertrag ist ein wichtiges Rüstungsabkommen, das am 05. März 1970 in Kraft getreten ist: Es hat zum Ziel, nicht nur die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern, sondern auch ihre Anzahl zu reduzieren – bis es irgendwann keine mehr gibt auf der Welt. Um diese Ziele zu erreichen, gründet sich der Atomwaffensperrvertrag auf drei Säulen: Erstens sollen Staaten, die über Atomwaffen verfügen, sie nicht an andere Staaten weitergeben. Diejenigen, die keine nuklearen Waffen haben, verpflichten sich wiederum, keine anzuschaffen. Die zweite Säule des Vertrags ist die Verpflichtung der Atommächte zur kompletten nuklearen Abrüstung. Drittens sollen alle Mitgliedstaaten zur zivilen Nutzung nuklearer Technologien zusammenarbeiten.

Überwacht wird die Einhaltung der Vertragsziele durch die Internationale Atomenergieorganisation. Mittlerweile haben 191 Staaten den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet – darunter auch Deutschland. Trotzdem gibt es weltweit nach wie vor neun Atommächte: China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA sind im Atomwaffensperrvertrag auch als solche anerkannt. Indien, Israel und Pakistan haben hingegen das Abkommen nicht unterzeichnet, gelten aber als sogenannte „de-facto“-Atommächte.“

 Die Atommacht Nordkorea hatte das Abkommen zwar unterzeichnet, ist aber mittlerweile aus dem Vertrag ausgeschieden.

Der Atomwaffenverbotsvertrag

Der „Atomwaffensperrvertrag“ wurde 2017 durch ein weiteres internationales und völkerrechtlich verbindliches Abkommen, den „Atomwaffenverbotsvertrag“ ergänzt, auch, weil es bisher nicht gelungen ist, die Atomwaffen in Gänze abzuschaffen. 122 Staaten haben am 7. Juli 2017 auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen angenommen. Er trat im Januar 2021 in Kraft. Die Atommächte hatten an den Verhandlungen nicht teilgenommen. Der Vertrag verbietet den Unterzeichnerstaaten, Atomwaffen zu testen, zu entwickeln, zu produzieren und zu besitzen. Verboten sind auch die Weitergabe, die Lagerung und der Einsatz sowie die Drohung des Einsatzes.Die Unterzeichnerstaaten dürfen auf dem eigenen Territorium auch keine Atomwaffen stationierten.UN-Generalsekretär António Guterres erklärte, der Vertrag stelle eine „bedeutende Verpflichtung hin zu einer kompletten Elimination von Nuklearwaffen“ dar. Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz schrieb nach dem Inkrafttreten des Vertrages auf Twitter (heute X) dass der Vertrag in Kraft treten könne, sei „ein Sieg für die Menschheit.“

Das Abkommen wurde allerdings von den Atommächten und den NATO Mitgliedsländern nicht unterzeichnet. Als Begründung gaben diese an, Atomwaffen wären im Rahmen einer Strategie der glaubhaften nuklearen Abschreckung weiterhin erforderlich. und deswegen

würde man von einem Beitritt zum „Atomwaffenverbotsvertrag“ Abstand nehmen. Das deutsche Außenministerium erklärte zusätzlich in einem Schreiben der damaligen Staatssekretärin Antje Leendertse, man hielte den „Atomwaffensperrvertrag“ für das wirksamere Instrument, um zu konkreten Abrüstungsschritten zu kommen. Aus dem neuen Abkommen ergebe sich eine Nachrangigkeit bestehender Verpflichtungen. „Aus Sicht der Bundesregierung kann dies zu einer Fragmentierung und realen Schwächung internationaler Abrüstungsbemühungen im nuklearen Bereich führen.“  Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam allerdings zu einem anderen Ergebnis und stellte fest, die beiden Verträge stünden „juristisch nicht im Wiederspruch zueinander“. Die rechtliche „Fortschreibung“ bestehe vor allem darin, dass der „Atomwaffenverbotsvertrag“ „konkrete Abrüstungsverpflichtungen enthält und die Strategie der nuklearen Abschreckung delegitimiert.“

Auch bei den Vereinten Nationen in New York wurde die harsche Ablehnung des neuen Vertrags mit Unverständnis verfolgt. „Staaten, die nicht beabsichtigen, dem Vertrag beizutreten, sollten die berechtigten Befürchtungen und alle nach Treu und Glauben unternommenen Anstrengungen zur Erreichung der nuklearen Abrüstung respektieren“, forderte der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Stéphane Dujarric, auch in Richtung der Nato-Staaten. Alle Länder müssten wieder einen Weg mit einer gemeinsamen Vision zur nuklearen Abrüstung einschlagen. Und genau da könnte auch für Deutschland und andere Länder der Beobachterstatus beim Atomwaffenverbotsvertrag eine wichtige Rolle spielen: Dieser würde es skeptischen Ländern ermöglichen, „ihre Vorbehalte zu äußern und einen Dialog mit den Vertragsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrages aufzunehmen“, sagt Dujarric.Beobachterstatus bedeutet, dass man an Vertragsstaatenkonferenzen teilnimmt, aber kein Stimmrecht hat. Allerdings müssen sich auch die Beobachter an der Finanzierung der Konferenz beteiligen, die voraussichtlich in etwa einem Jahr stattfindet. Nach UN-Angaben haben bislang nur die Schweiz und Schweden Interesse bekundet, als Beobachter teilzunehmen.

Atomwaffen weltweit

Nach einer Meldung des US-Außenministeriums von 2021 stellt sich die Anzahl der Atomwaffen* auf der Basis einer Zählung des Friedensforschungsinstituts in Stockholm vom Januar 2021 weltweit wie folgt dar:

  • Russland: 6.255
  • USA:5.550
  • China: 350
  • Frankreich: 290
  • Großbritannien: 225
  • Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea zusammen:  460

*inklusive 2.000 ausgemusterte Sprengköpfe

Im Rahmen des NATO-Programms „Nukleare Teilhabe“ werden auch in anderen NATO-Staaten, die über keine eigenen Atomwaffen verfügen, amerikanische A-waffen gelagert und zwar in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei.

Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA, der Sowjetunion und Russland

Der Atomwaffensperrvertrag hatte zwar den damaligen 5 Atommächten, China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA die Atomwaffen sozusagen zugestanden, aber gleichzeitig aufgefordert, diese zu reduzieren mit dem Ziel, sie vollständig abzuschaffen.

Bereits seit 1969 gab es zwischen den USA und der Sowjetunion erste Verhandlungen, um die strategischen Atomwaffen zu begrenzen. Diese Reduzierung gelang im Rahmen der „Strategic Arms Limitation TalksI und II“ (SALT I und II). Es folgten die „Strategic Arms Reduction Treaty I und II“, (START I und II), in denen es ebenfalls um die Reduzierung der strategischen A-Waffen ging. Allerdings trat „START II“ nie in Kraft. 2002 schlossen Russland und die USA den „Strategic Offensive Reductions Treaty“ (SOR, auch „Moskauer Vertrag genannt) in dem es ebenfalls um die Reduzierung der strategischen nuklearen Arsenale beider Staaten ging. Er galt von Juni 2003 bis Februar 2011, quasi als Übergangsregelung bis zum “New START“ Abkommen.

Auf“ SALT I und II“ und „START I und II) wird, ebenso wie auf „SORT“, in diesem Artikel nicht weiter eingegangen, weil diese Abkommen in der aktuellen Diskussion nur noch eine historische Rolle spielen.

Wichtig sind heute, wenn über die Atommacht Europa diskutiert wird: Der „Anti-Ballistic Missile Treaty“ (ABM-Vertrag) und der „Intermediate Nuclear Forces Treaty“ (INF), die beide von den USA gekündigt wurden und der „New Strategic Reduction Treaty“ (New START) der von Russland mittlerweile ausgesetzt wurde. Das sind die entscheidenden Dokumente für die Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland, um die Anzahl der A-Waffen zu begrenzen.

Anti-Ballistic Missile Treaty (ABM Vertrag)

Am 26. Mai 1972 schlossen die USA und die damalige Sowjetunion den „ABM-Vertrag“ (zu dt.: Raketenabwehrvertrag) mit einer unbegrenzten Laufzeit Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden Russland, Kasachstan, Belarus (Weißrussland) und die Ukraine Rechtsnachfolger des Vertrags. Der „ABM-Vertrag“ war ein Teil von „SALT I“ und war/ist das erste und bislang einzige Abkommen, in dem es nicht um die Begrenzung von offensiven, sondern um die Beschränkung von defensiven A-Waffen ging. Mit diesem Vertrag wollte man das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion eindämmen. Das wollte man dadurch erreichen, dass jedem Staat nur 1 „ABM System“ zugestanden wurde, um dadurch – das klingt vielleicht etwas befremdlich- sicherzustellen, dass das Prinzip der s.g. „Mutual Assured Destruction“ beibehalten wurde, ohne immer weiter aufzurüsten. Mit diesem Prinzip wurde für beide Staaten eine s.g. Erstschlagfähigkeit ausgeschlossen. Im Klartext heißt das, dass ein möglicher Angreifer durch einen Gegenschlag ebenfalls vernichtet würde. Dieses Abschreckungsprinzip hat zwischen den USA und Russland, als Nachfolgestaat der Sowjetunion, bis heute funktioniert. Ob das auf Dauer so bleibt, ist fraglich, weil die USA im Juni 2002 aus dem Vertrag ausgetreten sind.

Der damalige US-Präsident Präsident Bush hatte diesen Schritt mit seiner Wahrnehmung einer geänderten Welt begründet, in der die Bedrohung nicht mehr länger von Russland oder anderen Großmächten ausginge, sondern das Land sich gegen Terroristen oder „Schurkenstaaten“ schützen müsse. Russland hatte daraufhin angekündigt, sich nicht mehr an den „START II Vertrag“ zu halten.

Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty (INF Vertrag)

Der vollständige Name dieses ebenfalls nur bilateralen Vertrags lautet: „Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite”. Darunter fallen Raketen und Marschflugkörper (Cruise Missiles) mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometer.

Am 8. Dezember 1987 hatten der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow und der frühere US-Präsident Ronald Reagan in Washington den“ INF-Vertrag“ über den vollständigen Abbau dieser Waffen unterzeichnet. Am 1.Juni 1988 trat das Abkommen in Kraft.

In den folgenden Jahren wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in den USA und der UDSSR zwei Waffenkategorien vollständig abgeschafft. Dabei führte die Unterzeichnung des „INF-Vertrag“ nicht nur dazu, dass die Waffen außer Betrieb genommen wurden, sondern eben auch tatsächlich zerstört wurden. Die letzte Rakete wurde im Mai 1991 demontiert. Der Vertrag regelte nicht nur die Zerstörung von Waffensystemen, sondern enthielt im Artikel VI auch das Verbot, landgestützte Flugkörper mit kurz- und mittlerer Reichweite und ihre Abschussvorrichtungen herzustellen und zu erproben.

Die Vertragsdauer war zeitlich unbegrenzt, aber beide Seiten hatten jedoch das Recht, sich vom Vertrag zurückzuziehen, wenn „außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrages zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung ihrer höchsten Interessen darstellen“ (Artikel XV). Sobald eine Vertragspartei den Vertrag formell aufgekündigt hätte, gäbe es eine Wartezeit von sechs Monaten, bevor der Vertrag aufgelöst würde.

2007 drohte Russland erstmals damit, den „INF-Vertrag“ zu kündigen, falls die USA ihre Pläne umsetzen, ein Raketenabwehrsystem in Osteuropa zu stationieren. Im Jahr 2014 warfen die USA Russland erstmalig vor, gegen den Vertrag zu verstoßen und drohten ihrerseits den Vertrag zu kündigen, wenn Russland weiterhin den Vertrag verletzen würde. 

Die Verschärfung dieser Debatte lief parallel zur Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Russland und der NATO aufgrund der Krise um die Ukraine, sowie dem innerpolitischen Streit über eine vermeintliche Einmischung Russlands in die US-Wahl.

Gleichzeitig wurden und werden in beiden Ländern die Atomwaffen modernisiert. Zudem wurde die Frage erörtert, ob in Europa künftig neue, nach dem „INF-Vertrag“ unzulässige US-Waffensysteme stationiert werden sollen. Einige Stimmen in den USA – wie beispielsweise der damalige Berater für Nationale Sicherheit, John Bolton – klagten schon länger, dass der Vertrag einer militärischen Entwicklung im Weg stehe. Hinzu kam, dass mittlerweile andere Staaten, die ebenfalls über Kurz- und Mittelstreckenraketen verfügten, wie z.B. China, nicht Vertragspartei waren.

Im Oktober 2018 erklärte der damalige US-Präsident Donald Trump öffentlich, dass er den Vertrag aufkündigen wolle. Am 4. Dezember 2018 kündigte Außenminister Mike Pompeo an, dass die US-Administration in 60 Tagen beginnen würde, den Austrittsprozess in Gang zu setzen – es sei denn, Russland würde die Bestimmungen des Vertrages wieder einhalten. Am 15. Januar 2019 trafen sich Regierungsvertreter der Vertragsparteien ohne Erfolg in Genf.

Am 1. Februar 2019 erklärte US-Außenminister Mike Pompeo, die USA setze ab dem 2. Februar ihre Verpflichtungen aus dem „INF-Vertrag“ aus und leite das Verfahren zum Austritt aus dem Vertrag ein. Gleich am nächsten Tag zog Russland nach und erklärte seinerseits, die Einhaltung des Vertrags auszusetzen. Somit wurde der Vertrag am 2. August 2019 komplett außer Kraft gesetzt.Nur wenige Stunden nach dem Auslaufen des „INF Vertrages“ kündigte der damalige US-Verteidigungsminister Mark Esper die Stationierung neuer Raketensysteme im Pazifik mit den Worten an:  „Wir sind der festen Ansicht, das keine Nation die indopazifische Region dominieren sollte.“

Zwei Wochen nach Kündigung des Vertrags testeten die USA eine „Tomahawk Land Attack Cruise Missile (LACM) und zerstörten damit ein Ziel in 500km Entfernung

New Strategic Arms Reduction Treaty ( New Start Treaty)

Am 26. März 2010 wurde ein neuer START-Vertrag (auch als Prager Vertrag bekannt) zwischen den USA und Russland verkündet. Die offizielle Unterzeichnung fand am 8. April in Prag statt. Der Vertrag ist ein Nachfolge-Abkommen des „START-I-Vertrags“, der am 4. Dezember 2009 ausgelaufen war.

Der Inhalt des Vertrags wurde vom Weißen Haus vorab zusammengefasst bekanntgegeben:

  • Die Atomsprengköpfe auf strategischen Trägersystemen (Interkontinentalraketen, U-Boot- gestützte Langstreckenraketen und Langstreckenbomber) werden auf je 1.550 Stück reduziert.
  • Die Zahl der stationierten und nicht stationierten Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützten Raketen und Langstreckenbomber wird insgesamt für jedes Land auf 800 Stück begrenzt, wobei nicht mehr als 700 stationiert sein dürfen.
  • Sieben Jahre nach Inkrafttreten des neuen START-Vertrages müssen diese Zahlen erreicht sein.
  • Der Vertrag bleibt zehn Jahre gültig, wobei eine Verlängerung um fünf weitere Jahre möglich ist.
  • Zudem wurde geregelt, dass Washington und Moskau Informationen über ihre strategischen Atomwaffenarsenale austauschen und bis zu 18 Inspektionsbesuche pro Jahr abhalten dürfen.

Der „New START-Vertrag“ trat am 5. Februar 2011 in Kraft.

Im Oktober 2019 drängte der russischen Präsident Wladimir Putin darauf, den Vertrag zu verlängern, weil er „praktisch das letzte Instrument sei, das ein ernstes Wettrüsten“ einschränke.

Ein Jahr vor dem Termin zum Auslaufen des Vertrages am 5. Februar 2021 signalisierte die US Administration, Gespräche mit Russland über Rüstungskontrolle führen zu wollen. Allerdings hatten die USA kein Interesse, den Vertrag in der bisherigen Form weiterzuführen.  Der damalige US Präsident Trump wollte zunächst China in einen künftigen Vertrag miteinbinden. China lehnte diesen Vorschlag mit der Begründung ab, dass die USA und Russland weit mehr Atomwaffen besäßen als die anderen drei Atomwaffenstaaten. Erst wenn die beiden großen Besitzerländer mit ihren Atomwaffen zahlenmäßig auf das gleiche Niveau kämen, wäre China zu Gesprächen unter Beteiligung von Großbritannien und Frankreich bereit.

Im Oktober 2020 bot Russlands Präsident Wladimir Putin eine Verlängerung des Vertrags ohne Vorbedingungen für ein Jahr an, aber das Weiße Haus lehnt das Angebot zunächst ab. Dieses Angebot war eine Antwort auf den US-Vorschlag, die Vertragsverlängerung an eine politische Erklärung zu koppeln, die den Rahmen für einen neuen Vertrag angeben sollte. Das neue Abkommen sollte erst nach Chinas Beitritt verbindlich werden, schlug die Trump-Administration vor.

Schließlich löste der Wahlsieg von Joe Biden die Verlängerungsproblematik. Der neue US-Präsident Biden und Präsident Putin verlängerten am 26. Januar 2021 den „New START-Vertrag“ für fünf Jahre.

Im Februar 2023kündigte der russische Präsident Putin am Ende seiner Rede zur Lage der Nation an, Russlands Beteiligung am „New START“ Abkommen auszusetzten. Es handele sich bei der Aussetzung nicht um einen Ausstieg. Russland will sich weiterhin an die von New Start festgeschriebenen Obergrenzen bezüglich strategischer Trägersysteme und Atomsprengköpfe halten.

Schon im Januar hatte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow erklärt, dass man das Abkommen nach seinem Auslaufen 2026 »sehr wahrscheinlich« nicht mehr verlängern würde. Schuld daran seien die Vereinigten Staaten, nicht Russland. Wegen der Corona Pandemie hatten die vertraglich vereinbarten Inspektionen bereits seit März 2020 nicht mehr stattgefunden. Nach der russischen Invasion in der Ukraine verwehrten sowohl Moskau als auch Washington Kontrolleuren die Einreise, ohne den Vertrag an sich auszusetzen.

Aus der bisherigen Darstellung der Abrüstungsgespräche und -verträge zwischen den USA und Russland bleibt festzuhalten, dass es momentan keinerlei verbindliche und von beiden Seiten in Kraft gesetzte Atom-Abkommen zwischen den USA und Russland mehr gibt.

Atommacht Europa

Zusammenfassung der gegenwärtigen Lage

Die Kenntnis der dargestellten Sachverhalte ist aus meiner Sicht die Grundvoraussetzung dafür, über eine Atommacht Europa überhaupt sachlich diskutieren zu können, wobei es besonders wichtig ist zu begreifen, dass es aktuell in Bezug auf Nuklearwaffen überhaupt keine vertraglich anerkannte Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA mehr gibt.

Darüber hinaus muss zur Kenntnis genommen werden, dass China, Frankreich und Großbritannien als Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags bislang in überhaupt keine Verhandlungen oder Abkommen zwischen den USA und Russland eingebunden waren. Außerdem muss man sich immer vor Augen halten, dass sich Atommächte wie Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea dem Atomwaffensperrvertrag überhaupt nicht verpflichtet fühlen, weil sie ihn nicht unterschrieben oder wie Nordkorea ausgesetzt haben. Last but not least sollte man wissen, dass neben den NATO-Mitgliedsländern und den meisten EU-Staaten auch alle Staaten, die im Besitz von Atomwaffen sind, den Atomwaffenverbotsvertrag (noch) nicht unterzeichnet haben.

Neben diesen Faktoren müssen auch die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages bei der Diskussion über eine Atommacht Europa beachtet werden, weil alle NATO und EU-Staaten dieses Abkommen unterzeichnet haben.  In diesem Zusammenhang ist erst einmal zu konstatieren, dass die 5 Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrates, die alle über Atomwaffen verfügen, permanent gegen den Vertrag verstoßen, weil sie noch immer nicht alle A-Waffen abgeschafft haben, wie es der Vertrag verlangt. Außerdem könnte man hinterfragen, ob die Lagerung von amerikanischen Atomwaffen in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei nicht gegen das im Vertrag enthaltene Verbot, nukleare Waffen an andere Staaten weiterzugeben verstößt. Die USA sind nicht dieser Meinung, weil die Waffen zwar in anderen NATO-Staaten gelagert werden, aber ausschließlich amerikanischer Verfügungsgewalt unterliegen.

Atomare Bewaffnung Europas

In Europa verfügen nur Frankreich und Großbritannien über eigene Atomwaffen. Wenn man also Europa zu einer eigenständigen Atommacht machen wollte, müsste das auf der Basis der Arsenale dieser beiden Länder geschehen. Frankreich wäre dazu bereit, von Großbritannien, das zwar ein Mitgliedsstaat der NATO aber nicht der EU ist, liegen derartige Erkenntnisse nicht vor. Nach aktuellem Stand kämen beide Länder zusammen auf einen Bestand von 515 Atomwaffen, gegenüber Russland mit 6.255 und USA mit 5.550 Atomsprengkörpern.

Völlig unklarist bei diesen theoretischen Überlegungen, ob es dann innerhalb der NATO zwei Atommächte geben sollte, nämlich die USA und Europa und wie ggf. eine strategische Zusammenarbeit aussehen sollte? Oder soll eine europäische Atommacht letztlich eine EU-Atommacht sein, an der Großbritannien logischerweise nicht beteiligt wäre, so dass für Europa dann lediglich die 290 französischen Atomwaffen zur Verfügung ständen? Da aber bei den Atommächten, die den Atomwaffensperrvertrag unterschreiben haben, grundsätzlich Einigkeit darüber besteht, dass A-Waffen in erster Linie politische und keine militärischen Waffen sind, die man gar nicht einsetzen will, sondern mit denen man in erster Linie abschrecken will, stellt sich die Frage, wen Europa mit 515 oder sogar nur 290 A-Waffen abschrecken könnte.  Die Antwort ist sehr einfach: Niemanden, weil atomare Abschreckung, wie bereits dargestellt nach dem Prinzip der „Mutual Assured Destruction“ funktioniert. Mit 290 oder vielleicht 515 Atomsprengkörpern kann keinem potentiellen Angreifer glaubhaft machen, dass er in einem solchen Fall durch einen nuklearen Gegenschlag selbst vernichtet würde. Und es gibt einen weiteren Gesichtspunkt, den die „Atomwaffen- Phantasten“, wie z.B. die SPD Europaabgeordnete Katarina Barley, offensichtlich überhaupt nicht auf dem Schirm haben, nämlich den Atomwaffensperrvertrag, der nicht nur die Weitergabe von Atomwaffen verbietet, sondern von allen Atommächten verlangt, die Zahl ihrer Waffen mit dem Ziel zu reduzieren, diese möglichst bald vollständig abzuschaffen. Im Klartext heißt das für mich, dass die Schaffung einer „Atommacht Europa“ ein Verstoß gegen den „Atomwaffensperrvertrag“ wäre.

Fazit: So lange es Staaten gibt, die über Atomwaffen verfügen, ist Europa auf den atomaren Schutzschirm der USA angewiesen, weil nur der einen Abschreckungsmechanismus garantiert. Zusätzlich zu diesem Schirm, oder besser gesagt unter diesem Schirm sollte sich Europa um eine überzeugende konventionelle Verteidigungsfähigkeit bemühen mit dem langfristigen Ziel, eine neue europäische Sicherheitsstruktur zu schaffen. Die Basis dafür könnte/sollte die „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) sein, in der bereits heute alle europäischen Staaten und zusätzlich die USA und Kanada Mitglieder sind.  Dabei ist es wichtig, nicht nur militärisch verteidigungsfähig zu sein, sondern sich auch auf vertrauensbildende Maßnahmen verlassen zu können, so wie sie in der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (“ KSZE“) im s.g. „Korb 3“ definiert waren.

Greven, 18. Februar 2024

Jürgen Hübschen

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Der Nahostkrieg und die zu wenig genutzten Instrumente der formalen Diplomatie

Alle Menschen fordern eine Verbesserung der humanitären Situation im Gazastreifen, und die Politiker in den USA und vor allem auch in Europa überbieten sich in ihren Aussagen über die katastrophale Lage der im Süden des Gazastreifens quasi zusammengepferchten Palästinenser.

Überzeugende Anstrengungen, ein Cease Fire zu erreichen, hat es bislang nicht gegeben und leider auch kaum formale diplomatische Maßnahmen im Rahmen des Wiener Übereinkommens. Stellt sich die Frage: Warum?

Das Wiener Übereinkommen

Wesentliche Inhalte:

Das Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen trat 1964 in Kraft und wurde bislang von 193 Staaten unterzeichnet. Das Abkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag und  regelt unter anderem den Ablauf der Ernennung von Botschafterinnen und Botschaftern, den Schutz des diplomatischen Kuriers, die Unverletzlichkeit der diplomatischen Mission, sowie die Immunität und die Vorrechte von Diplomaten und Diplomatinnen. Das Gastland kann Angehörige einer ausländischen Botschaft jederzeit zu „unerwünschten Personen“ (Persona non grata) erklären und diese ohne weitere Begründung des Landes verweisen. Ein akkreditierter Botschafter darf sich nicht in die „inneren Angelegenheiten“ des jeweiligen Gastlandes einmischen. Im diplomatischen Verkehr zwischen dem Gastland und einer Botschaft gibt es im Falle von Differenzen neben der Ausweisung von Personal weitere verschiedene diplomatische Möglichkeiten informeller oder aber auch formaler Art, um diese zum Ausdruck zu bringen.

Dazu gehören im Wesentlichen:

Einladung an einen akkreditierten Boschafter, das Außenministerium des Gastlandes aufzusuchen

Bei einem solchen Gespräch wird dem Botschafter z. B. informell erklärt, warum man in einem bestimmten Fall mit seinem Verhalten/seinen Äußerungen nicht einverstanden ist oder, warum das Gastland über bestimmte Vorkommnisse im Heimatland des Botschafters besorgt ist. In der Regel ist das Problem nach einem solchen Gespräch aus der Welt

Einbestellung des Botschafters

Sollte das nicht der Fall sein oder es sich um ein schwerwiegenderes Problem handeln, wird der Boschafter in das Außenministerium des Gastlandes einbestellt. Zu diesem Vorgang heißt es bei Wikipedia: Einbestellung bedeutet in der Sprache der Diplomatie eine untere Stufe einer diplomatischen Sanktion betreffend ein Ereignis oder eine Aussage in dem Staatswesen oder der Regierung, die der Botschafter vertritt. Sie gehört zu den Sanktionsmöglichkeiten des Empfangsstaats. Diese Sanktionierung – zwischen formloser Einladung und Abgabe einer Protestnote angesiedelt – ist nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen möglich, unter Staaten mit freundschaftlichen Beziehungen aber sehr unüblich. Konkret wird dabei der Botschafter ins Außenministerium des Empfangsstaats zitiert, wo er über die Sichtweise der Regierung zur fraglichen Situation informiert wird. Diese Sichtweise übermittelt er daraufhin an die Regierung seines Heimatstaats.

Die Protestnote

Die nächste Eskalationsstufe in den diplomatischen Beziehungen von Ländern ist die Protestnote. Dazu heißt es im „Jura Forum“: Die Protestnote ist ein förmliches und schriftliches Dokument, das von einem Staat an einen anderen Staat gerichtet ist, um eine Verletzung oder einen Verstoß gegen das Völkerrecht oder gegen internationale Verpflichtungen zu rügen und den Protest gegen das betreffende Verhalten auszudrücken… Sie ermöglicht es, Meinungsverschiedenheiten, Missbilligungen oder Beschwerden auf diplomatischer Ebene auszudrücken, ohne in direkte Auseinandersetzungen einzutreten. Eine Protestnote kann somit als Instrument der Diplomatie und deeskalierenden Kommunikation angesehen werden. Sie bietet den beteiligten Parteien die Möglichkeit, ihre Standpunkte darzulegen, mögliche Missverständnisse zu klären und eventuell einen Weg zur Beilegung des Konflikts zu finden. Als Beispiele für die Anwendung einer Protestnote nennt das „Jura Forum“ u.a. ganz konkret die Verletzung von Normen oder Prinzipien des Völkerrechts. Dazu heißt es:  Ein Staat macht auf mutmaßliche Verstöße gegen die Grundsätze der Souveränität, der territorialen Integrität oder der Gleichheit der Staaten aufmerksam. Als ein weiteres Beispiel für das Verfassen einer Protestnote werden Menschenrechtsverletzungen durch das jeweilige Gastland genannt. Wörtlich heißt es dazu im „Jura Forum“: Ein Staat oder eine internationale Organisation beklagt Menschenrechtsverletzungen durch einen anderen Staat.

Rückruf eines Botschafters zur Berichterstattung

Ein weiteres Signal, diplomatische Differenzen aufzuzeigen, ist die Rückrufung des Boschafters aus dem Gastland in die Hauptstadt des Entsendestaates. Damit macht man dem Gastland deutlich, dass es Vorkommnisse und/oder Entwicklungen gibt, die kritisch gesehen werden und zu denen man eine direkte Information durch den eigenen Botschafter für erforderlich hält. So ein Rückruf kann unterschiedlich lange dauern. Während dieser Zeit nimm der jeweilige Vertreter die Amtsgeschäfte wahr.

Abbruch der diplomatischen Beziehungen

Die schärfste diplomatische Maßnahme ist die Abberufung des Botschafters und die Beendigung der diplomatischen Beziehungen zwischen den jeweiligen Ländern

Die bisherige Anwendung der Instrumente der formalen Diplomatie im Nahostkrieg

Bislang hat die formale Diplomatie im Nahostkrieg nur wenig Anwendung gefunden. Einige bekannt gewordene Beispiel für formale diplomatische Maßnahmen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

In der letzten Oktoberwoche 2023 hatte Israel wegen verschiedener Aussagen des türkischen Präsidenten Erdogan alle Diplomaten aus Ankara abgezogen. Man werde die Beziehungen zur Türkei generell neu bewerten, hieß es dazu aus dem israelischen Außenministerium.

Am 31. Oktober 2023 brach Bolivien seine diplomatischen Beziehungen zu Israel aufgrund der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen ab. Das südamerikanische Land habe die Entscheidung „in Ablehnung und Verurteilung der aggressiven und unverhältnismäßigen israelischen Militäroffensive im Gazastreifen und der Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit“ getroffen, erklärte das bolivianische Außenministerium. Gleichzeitig wurde ein Ende der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen gefordert.

Chile und Kolumbien zogen zeitgleich ebenfalls ihre Botschafter für Konsultationen zurück. In einer Mitteilung des chilenischen Außenministeriums hieß es dazu: „Chile verurteilt die Militäroperation im Gazastreifen auf das Schärfste und stellt mit großer Besorgnis fest, dass dieser Einsatz, der eine kollektive Bestrafung der palästinensischen Zivilbevölkerung darstellt, die grundlegenden Normen des Völkerrechts nicht einhält.“

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro schrieb dazu auf der Nachrichtenplattform X, ehemals Twitter: „Ich habe mich dazu entschieden, unsere Botschafterin in Israel zu einer Besprechung zurückzubeordern. Wenn Israel das Massaker am palästinensischen Volk nicht beendet, können wir nicht mehr dort sein.“

Am 1. November hatte Jordanien als Reaktion auf „den israelischen Krieg gegen den Gazastreifen“ seinen Botschafter aus Israel abberufen. Auch Israels Botschafter in Amman, der zurzeit nicht dort weilt, dürfe erst zurückkehren, wenn der Krieg und die „noch nie dagewesene humanitäre Katastrophe“ im Gazastreifen beendet seien

Aus Protest gegen Israels „mangelnde Achtung des humanitären Völkerrechts“ im Gaza Krieg folgte der Golfstaat Bahrain am 2. November und rief seinen Botschafter zurück und beendete die diplomatischen Beziehungen mit Israel. Gleichzeitig hatte das bahrainische Parlament bestätigt, dass der israelische Botschafter das Königreich verlassen habe. Alle Wirtschaftsbeziehungen mit Israel wurden demnach eingestellt. Es hieß dazu: Bahrain bekräftigte seine „feste Unterstützung für die palästinensische Sache“ und die „legitimen Rechte des brüderlichen palästinensischen Volkes“.

Am 4. November rief Honduras seinen Botschafter aus Israel zurück. Die Regierung in Tegucigalpa habe angesichts der gravierenden humanitären Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen Botschafter Martínez für Konsultationen abgezogen, teilte Außenminister Reina mit.

Am 6. November 2023 rief Südafrika alle Diplomaten aus Israel ab, damit sie, wie Außenministerin Naledi Pandor sagte, die Regierung ausführlich über die Lage in der Region informieren könnten.

Mit dem Schritt wollte die vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC) geführte Regierung gegen die Bombardierung des Gazastreifens protestieren, die sie als »Kollektivbestrafung« ansieht. Bereits 2018 hatte Südafrika seinen Botschafter in Israel aus Protest gegen die Siedlungspolitik im Westjordanland abgezogen.

Ende November 2023 entwickelte sich eine diplomatische Krise zwischen Israel und Spanien.

Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez hatte Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen wiederholt scharf kritisiert. Daraufhin hatte der israelische Premierminister Netanjahu die 

Israelische Botschafterin in Madrid zu Konsultationen nach Jerusalem zurückbeordert. Außerdem hatte er seinen Außenminister angewiesen, die spanische Botschafterin in Israel für einen Protest gegen „beschämende“ Äußerungen von Sánchez in das Außenministerium einzubestellen.

Die zu wenig genutzten Instrumente der formalen Diplomatie

Jedem Beobachter des Nahostkrieges müsste eigentlich klar sein, dass die Instrumente der formalen Diplomatie bislang viel zu wenig genutzt wurden. Die dargestellten Beispiele für die Anwendung dieser Form der Diplomatie zeigen, dass es seitens der USA und der Europäischen Union überhaupt keine Aktivitäten auf diesem Gebiet gegeben hat. Lediglich Israel hat sich gegenüber einem EU Mitgliedsland, nämlich Spanien, dieses Instrumentariums bedient. Man konnte deshalb den Eindruck gewinnen, dass es zwischen allgemeinen Aufforderungen an Premierminister Netanjahu, die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen zu stoppen, die Menschenrechte und das Völkerrecht zu beachten und der rückhaltlosen militärischen Unterstützung Israels, wie die USA sie praktizieren, überhaupt keinen Zwischenschritt, bzw. keine Alternative gäbe. Dabei ist das wirklich nicht der Fall, und daraus hätte man schon lange die Konsequenzen ziehen müssen. Alle Aufrufe an Netanjahu, seine Politik und seine Vorgehensweise gegen die Hamas im Gazastreifen zu ändern und die palästinensische Bevölkerung zu schützen, haben bislang beim israelischen Premier ebenso wenig Wirkung gezeigt, wie die Reisediplomatie von US-Außenmnister Blinken oder auch von Annalena Baerbock, um zwei Beispiele zu nennen. Ignoriert hat Netanjahu auch alle Bemühungen der Vereinten Nationen und verschiedener Staaten in der Region, einen Waffenstillstand zu erreichen.

Wenn das alles Fakt ist, stellt sich die Frage, warum die USA und auch Europa bislang nicht zu den Instrumenten der formalen Diplomatie gegriffen haben. Für Washington könnte die Erklärung- nicht eine Entschuldigung! – darin liegen, dass die israelische- nicht die jüdische! -Lobby in den USA zu stark ist und Präsident Biden sich in Wahlkampfzeiten vor einer Konfrontation mit ihr scheut. Ein weiterer Grund in den USA könnten die Neokonservativen um Viktoria Nuland und auch der „Military-Industrial-Complex sein, dem an einem Fortgang des Krieges aus naheliegenden Gründen durchaus gelegen ist. 

Für Europa und besonders auch für Deutschland, fällt es mir schwer, nachvollziehbare Gründe für diese Zurückhaltung, um nicht zu sagen für dieses Versagen, zu finden. In Deutschland wird es wohl die erklärte uneingeschränkte Solidarität mit Israel sein, die es den Politikern offensichtlich nicht möglich macht, zwischen der israelischen Bevölkerung und der verfehlten und menschenverachtenden Politik ihres Premierministers zu unterscheiden. Aber, warum reagiert auch die EU nicht mit den Instrumenten der formalen Diplomatie? Es gibt ja schließlich auch eine EU Botschaft in Israel, deren Leiter im israelischen Außenministerium vorstellig werden könnte. Auch in Brüssel könnte man den israelischen Botschafter erst einmal zu einem Gespräch einladen und bei Bedarf im Anschluss daran, formal einbestellen. Skeptiker sagen vielleicht, dass die formalen Maßnahmen der aufgeführten Staaten ja auch keine Wirkung gezeigt haben, und das mag stimmen. Ich glaube aber, dass z.B. ein Rückruf des amerikanischen Botschafters in Israel zur Berichterstattung im State Department in der israelischen Regierung wie eine Bombe einschlagen würde, und ich bin auch davon überzeugt, dass eine solche Maßnahme seitens der EU ihre Wirkung nicht verfehlen würde. Außerdem gäbe es ja auch noch die Möglichkeit einer bilateralen konzertierten Aktion aller EU-Staaten.

Jeder Politiker, der wirklich daran interessiert ist, das Leid der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen zu lindern, die Befreiung der Geiseln zu erreichen und auch den Israelis, die aus ihren Wohngebieten evakuiert wurden, eine Rückkehr in ihr Zuhause zu ermöglichen, muss die Eskalationsleiter der formalen Diplomatie nutzen, um nicht seine Glaubwürdigkeit endgültig zu verlieren. Dabei darf man auch eine Protestnote wegen Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte nicht ausschließen.

Ehe mir das Gegenteil nicht bewiesen wird, bin ich davon überzeugt, dass die genannten Instrumente der formalen Diplomatie ihre Wirkung auf Netanjahu nicht verfehlen würden und zwar auch, weil diese in der gesamten Welt zur Kenntnis genommen würden.

Greven 11. Februar 2024

Jürgen Hübschen     

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Wiedereinführung der Wehrpflicht? – eine unpopuläre aber notwendige Diskussion

Vor dem Hintergrund des seit fast 2 Jahre andauernden Krieges in der Ukraine und dem Krieg zwischen Israel und der Hamas sind Themen wie Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit wieder in das Bewusstsein der Politik und auch der deutschen Öffentlichkeit gerückt.

Militärische Fachleute, aber vor allem auch selbsternannte Experten melden sich mit immer neuen Ideen zu Wort, wie man Deutschlands Sicherheit bewahren kann. Dabei werden auch immer wieder Gedanken geäußert, ob man die seit 2011 in Deutschland zwar nur ausgesetzte, aber de facto abgeschaffte Wehrpflicht wiedereinführen sollte. Da diese Diskussion bislang mehr von Emotionen als von Wissen gekennzeichnet war und ist, wird im Folgenden der Versuch unternommen, ein paar Argumente für eine sachliche Diskussion über die genannte Thematik darzustellen.

Die Aussetzung der Wehrpflicht

Nur kurz zur Erinnerung und Ergänzung:

Am 14. März 2011 beschloss die Bundesregierung, alle deutschen Atomkraftwerke, die bis einschließlich 1980 in Betrieb gegangen waren, vom Netz zu nehmen und herunterzufahren. Diese Entscheidung wurde geradezu spontan gefällt, ohne dass es dazu vorab eine fundierte Diskussion gegeben hatte. Eine überzeugende Begründung gab es für die Entscheidung nicht.

 Im selben Monat, konkret am 24. März 2011, beschloss der Deutsche Bundestag eine Änderung des Wehrpflichtgesetzes und die Wehrpflicht mit Wirkung vom 1. Juli 2011 auszusetzen

Mit dem Gesetz wurde zugleich ein freiwilliger Wehrdienst von sechs bis 23 Monaten geschaffen, der Männer und Frauen gleichermaßen offensteht. Bis zu 15.000 Freiwillige sollten in Zukunft neben den Zeit-und Berufssoldaten in der Bundeswehr dienen.

Die Aussetzung der Wehrpflicht war Teil der angestrebten Streitkräftereform, mit der die Bundeswehr von 255.000 Soldaten auf bis zu 185.000 verkleinert werden sollte.

Zusätzlich wurde entschieden, dass die Aussetzung der Wehrpflicht nur in Friedenszeiten Gültigkeit hat und diese im Spannungs- oder Verteidigungsfall wieder aktiviert werden kann. Deshalb wurde Artikel 12a des Grundgesetztes nicht geändert, nach dem jeder männliche deutsche Staatsbürger „vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden kann.“

Der nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg seit März 2011 amtierende Verteidigungsminister Thomas de Maizière erklärte dazu vor dem deutschen Bundestag: „Ich finde das keinen Freudenakt heute, dass wir hier die Wehrpflicht aussetzen“, sie sei aber sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen. Deutschland benötige leistungsfähige und finanzierbare Streitkräfte.

Warum die Wehrpflichtarmee nicht mehr erforderlich war, wurde im Vorfeld weder diskutiert noch konkret begründet.

Wesentliche Konsequenzen aus der Aussetzung der Wehrpflicht

Verkleinerung der Bundeswehr und Wandel von einer Wehrpflichtarmee in eine Berufsarmee

Quasi selbsterklärend war, dass niemand mehr Wehrdienst leisten musste, sich aber freiwillig weiterhin zur Verfügung stellen konnte. Im Klartext heißt das, die Bundeswehr änderte sich von einer Wehrpflichtarmee in eine Armee aus Berufs- und Zeitsoldaten oder einfacher formuliert in eine Berufsarmee.

Der Umfang der Streitkräfte wurde, wie dargestellt, um 70. 000 Soldaten reduziert.

Abschaffung des Zivildienstes

Die Ableistung des Wehrdienstes konnte verweigert werden, aber ein Ersatzdienst, besser bekannt als Zivildienst, war zwingend vorgeschrieben. Diesen Ersatzdienst leistenden Männer, die s. g.  „Zivis“, übernahmen die unterschiedlichsten Aufgaben vor allem im sozialen und medizinischen Bereich, also z.B. in Seniorenheimen, Krankenhäusern, Einrichtungen für behinderte Menschen, aber auch im Katastrophenschutz, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder als Rettungssanitäter.

Man konnte aber auch an Stelle des Wehrdienstes über einen bestimmten Zeitraum, z.B. an Wochenenden, Dienst leisten beim technischen Hilfswerk (THW) oder auch bei der Freiwilligen Feuerwehr

Personal für all diese Aufgaben stand jetzt nicht mehr zur Verfügung

Auflösung der Wehrersatzorganisation

Die Kreiswehrersatzämter wurden abgeschafft. Es gab also keine Erfassung von jungen Männern mehr im wehrdienstfähigen Alter. Niemand musste mehr gemustert werden, um festzustellen, ob er für den Wehrdienst geeignet war und für welche konkreten Aufgaben. Auch eine Überprüfung von jungen Männern, die statt Wehrdienst lieber Ersatzdienst leisten wollten, war nicht mehr erforderlich. Ebenfalls entfiel auch die Dokumentation über diejenigen, die Wehrpflicht geleistet hatten und dadurch automatisch Angehörige der Reserve wurden, besser bekannt als „Reservisten“, die die Bundeswehr im Spannungs-und Verteidigungsfall als ausgebildete Soldaten hätten verstärken können. Die Fähigkeiten dieser Reservisten konnten zur Zeit der Wehrpflicht in Wehrübungen aktualisiert werden.

Umfang der Streitkräfte im Spannungs- und Verteidigungsfall

Durch die Einberufung von Reservisten konnte die Antrittsstärke der Bundeswehr im Spannungs- und Verteidigungsfall mehr als verdreifacht werden. Diese Fähigkeit war zwingend erforderlich, weil im Falle eines Krieges ja praktisch die Aufgabe eines jeden Soldaten täglich 24 Stunden lang gewährleistet werden musste. Deshalb gab es für jede militärische Einheit eine materielle, vor allem aber auch eine personelle Organisationsgrundlage für den Frieden und eine zweite für den Spannungs-und Verteidigungsfall. Einfach formuliert, war also z.B. eine Kompanie, die im Frieden über eine Personalstärke von 100 Soldaten verfügte, im Verteidigungsfall bis zu 300 Mann stark. 

Aktuell ist ein solcher Personalaufwuchs der Bundeswehr im Spannungs- und Verteidigungsfall nicht mehr möglich.

Nachwuchsgewinnung für die Bundeswehr

Wehrpflichtige Soldaten waren ein entscheidendes Fundament für die Nachwuchsgewinnung in den Streitkräften. In der Luftwaffe waren z.B. phasenweise bis zu 50% der Zeit-und Berufssoldaten ehemalige Wehrpflichtige. Diese jungen Männer hatten den Dienst in der Bundeswehr erlebt und waren dadurch zu der Entscheidung gekommen, die Möglichkeiten, die sich für Zeit-und Berufssoldaten ergaben, zu nutzen. Dafür ein paar Beispiele:  Bei einer Verpflichtung für eine bestimmte Zeit, gab es neben der Fachausbildung während der Dienstzeit zusätzlich eine Berufsförderung nach Abschluss des aktiven Dienstes. So beendete z.B. ein Soldat, der sich für 12 Jahre verpflichtet hatte, seinen aktiven Dienst für berufsfördernde Maßnahmen schon wesentlich früher und eine weitere Ausbildung wurde für bis zu 3 Jahren nach seinem Ausscheiden von der Bundeswehr bezahlt. Außerdem gab es die Möglichkeit nach dem Ausscheiden aus den Streitkräften in den öffentlichen Dienst übernommen zu werden. Für Berufsoffiziere und für Offiziere, die sich für 12 Jahre verpflichtet hatten, war das Studium an einer Universität der Bundeswehr obligatorisch und im Zivilleben anerkannt.

Heute entscheiden sich junge Menschen für einen freiwilligen Dienst in der Bundeswehr, ohne zu wissen „worauf sie sich einlassen“ und das ist der Grund, warum so viele von Ihnen nach einer Art Probezeit die Streitkräfte wieder verlassen.

Einbindung der Bundeswehr in die Gesellschaft

Die Bundeswehr ist qua Definition eine Parlamentsarmee, aber zur Zeit der Wehrpflicht war sie auch eine Armee der Bevölkerung. Durch den Wehrdienst gab es einen ständigen Austausch zwischen den Streitkräften und der Bevölkerung, was zu einer automatischen Integration der Soldaten führte. Außerdem waren die Wehrpflichtigen innerhalb der Streitkräfte für alle Vorgesetzten eine Herausforderung, diese von ihrer Aufgabe zu überzeugen. Das führte nicht selten bei Unteroffizieren und Offizieren zum Überdenken eigener Standpunkte und der Vermeidung von „militärischen Elfenbeintürmen.“ Durch den Dienst, den die eigenen Söhne oder Neffen oder jungen Leute im Bekanntenkreis leisteten, hatte die Zivilbevölkerung einen ganz persönlichen Zugang zur Bundeswehr und eine eigene Meinung über unsere Streitkräfte. Dazu gehörte auch eine sehr konkrete Vorstellung, wie und wo Soldaten Bundeswehr eingesetzt werden sollten. Im weitesten Sinne konnte man von einer persönlichen Betroffenheit sprechen, während heute eher von einem wohlwollenden Desinteresse die Rede sein kann.

Politische Entscheidungen über Einsätze der Bundeswehr

Last, but not least hatte und hat die Aussetzung der Wehrpflicht auch Konsequenzen für die Entscheidungen der gewählten Volksvertreter. Politiker entscheiden heute über alle die Streitkräfte betreffenden Maßnahmen auf Grund einer aus ihrer Sicht politischen Notwendigkeit, gestützt auf Informationen aus zweiter oder dritter Hand. Kaum jemand verfügt über Insider-Erkenntnisse, weil er keinen persönlichen Bezug zu den Streitkräften hat und vor allen Dingen auch keinerlei direkte Erfahrungen. Das ist nicht zuletzt ein Grund dafür, dass immer mehr Politiker zu selbst ernannten sicherheitspolitischen Experten mutieren. Zur Zeit der Wehrpflicht hatte man nicht nur Informationen aus erster Hand, sondern war auch persönlich betroffen, vor allen Dingen auch von Entscheidungen, die für die Soldaten mit Risiken und bisweilen auch mit Lebensgefahr verbunden waren. 

Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Die de facto Abschaffung der Wehrpflicht

Die Abschaffung der Wehrpflicht war ein politischer Fehler und die Begründung dafür war falsch.

Die Darstellung der wesentlichen Konsequenzen aus der de facto Abschaffung der Wehrpflicht sollte einerseits verdeutlichen, warum diese Entscheidung falsch war und andererseits klarmachen, dass man diese nicht einfach so rückgängig machen könnte, falls es politisch gewollt würde.

Israel hat im Nahostkrieg etwa 380.000 Reservisten eingezogen, und für die Ukraine ist das Hauptproblem das zunehmende Fehl von ausgebildeten Soldaten. Waffen und Munition kann man produzieren, Personal eben nicht. Die Bundeswehr hat nicht nur eine zu geringe Antrittsstärke bei den aktiven Soldatinnen und Soldaten, sondern vor allem überhaupt keine Möglichkeit eines nennenswerten personellen Aufwuchses für den Spannungs- und Verteidigungsfall, weil die Reservisten fehlen. „Doppel-Wums“ und Sondervermögen helfen da nicht weiter.

Was die ausreichende materielle Ausstattung der Streitkräfte angeht, müssen dafür 8-10 Jahre veranschlagt werden, falls die Politik dazu wirklich mit Priorität bereit wäre. Aktuell verschlechtert sich die Situation sogar, weil zunehmend Waffen, Munition und anderes Material aus dem Bestand der Bundeswehr an die Ukraine abgegeben wird, obwohl die Streitkräfte in vielen Bereich bereits deutlich unter ihrem Soll liegen.

Wenn heute über die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr oder sogar über eine Kriegstüchtigkeit unserer Bevölkerung gesprochen wird, muss man leider feststellen, dass beides nicht gegeben ist, wobei ich darüber hinaus bezweifle, ob die von Verteidigungsminister Pistorius geforderte Kriegstüchtigkeit des deutschen Volkes überhaupt berechtigt ist.

Was also ist zu tun?

Möglichkeiten, die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu verbessern

„Wiedereinführung“ der Wehrpflicht

Das Aussetzen der Wehrpflicht rückgängig zu machen, wäre zwar sicherheitspolitisch geboten, ist aber keine realistische Möglichkeit, weil allein die Reaktivierung der Wehrersatzorganisation Jahre dauern würde. Dafür gibt es- nicht zuletzt vor dem aktuellen Fachkräftemangel- kein geeignetes Personal, und auch die dafür benötigte Infrastruktur ist nicht mehr vorhanden.

Politisch wäre ein solcher Schritt vermutlich auch nicht durchsetzbar.

Anwerbung von Soldaten aus anderen EU-Ländern

Auch das Anwerben von Soldaten aus anderen EU-Staaten wird von einigen sicherheitspolitischen Theoretikern angedacht. Dazu ist zunächst einmal festzustellen, dass der Beruf des deutschen Soldaten eine hoheitliche Aufgabe darstellt, für die eine deutsche Staatsbürgerschaft eine Grundvoraussetzung ist. Hinzu kommt natürlich die Sprachbarriere. Vor allem aber muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese Soldaten im Spannungs-und Verteidigungsfall kaum zur Verfügung ständen, weil es nicht passieren wird, dass Deutschland als einziges NATO- oder EU-Land allein einer akuten Bedrohung ausgesetzt sein wird. Und genau in einer solchen Situation müssten diese Soldaten, die ja in ihren Heimatländern der nationalen Wehrüberwachung unterliegen, nach Hause zurückkehren.

Anwerbung von Soldaten aus Nicht-EU-Ländern

Ebenfalls wird sogar das Anwerben von Angehörigen aus Nicht-EU Staaten aktuell diskutiert, vor allem natürlich von diesen selbst ernannten Sicherheitsexperten, die noch nie eine Armee von innen gesehen haben. Bevor man eine solche Idee ins Auge fasst, muss man sich vor allem über zwei Dinge im Klaren sein, nämlich warum jemand Soldat wird und wofür ein Soldat kämpft. Den Beruf des Soldaten ergreift man, weil man bereit ist, seinem Land zu dienen. Natürlich spielt auch die finanzielle Sicherheit eine Rolle, aber die reicht nicht aus, sein Leben für ein Land einzusetzen. Der Beruf des Soldaten hat eine starke emotionale Komponente, man könnte in diesem Zusammenhang auch von Vaterlandsliebe sprechen, auch wenn das für deutsche Ohren vielleicht etwas merkwürdig klingen mag. Und diese Vaterlandsliebe ist auch ein wesentliches Motiv dafür, dass ein Soldat kämpft und sein Leben einsetzt. Das ist ja keine rationale Entscheidung, sein Leben zu riskieren, so nach dem Motto: „Ich hab es mir überlegt und bin zum Schluss gekommen, mein Leben einzusetzen“. Nein, ein Soldat muss sich seiner Aufgabe verpflichtet fühlen. Er muss, wie man im Englischen sagt, „committed“ sein. Und dieses sich verpflichtet Fühlen gilt nicht einer Staatsform, wie z.B. der freiheitlich demokratischen Grundordnung, sondern seinem Volk und seiner Heimat. Dazu kommt die Kameradschaft als wesentlicher Faktor der soldatischen Gemeinschaft. Zu allererst kämpft der Soldat für sich, weil er überleben möchte, dann aber auch für seinen Kameraden, den er nicht hängen lässt und last but not least für seinen Vorgesetzten, wenn der etwas taugt und der Soldat ihm vertraut.

Diese Begründungen für den Beruf des Soldaten treffen auf Söldner nicht zu. Und in diese Kategorie gehören im gewissen Sinne Soldaten aus anderen EU-Staaten, wenn sie in die Bundeswehr eintreten, vor allem aber Männer und ggf. auch Frauen aus Nicht EU-Ländern, die in eine fremde Armee eintreten, in der sie gutes Geld bekommen und für ihren Dienst die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Klartext: Ausländische Soldaten wären in der Bundeswehr letztlich Söldner und damit auch zur Ausübung hoheitlicher Aufgaben nicht berechtigt.

Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht

Die allgemeine Dienstpflicht für junge Männer und Frauen, die mindestens 16, besser noch 18 Jahre alt sind, könnte auch Teil einer neuen Wehrpflicht sein. Im Rahmen einer solchen allgemeinen Dienstpflicht müssten die jungen Menschen 1 Jahr ihres Lebens in das Wohl der Gemeinschaft investieren. Diese Pflicht sollte mit verschiedenen Möglichkeiten ausgestattet sein, wie und wofür man sich engagieren möchte. Das könnten die Aufgaben sein, die zur Zeit der Wehrpflicht von den „Zivis“ wahrgenommen wurden und als eine andere Alternative ein 12-monatiger Dienst in den Streitkräften. Da es, wie bereits ausgeführt, keine Wehrersatzorganisation mehr gibt, müsste die Erfassung der Jugendlichen, auch im Rahmen aller von ihnen gewählten Möglichkeiten, durch die Kommunen erfolgen, die über alle erforderlichen Informationen verfügen. Nach der Registrierung könnte die Zuständigkeit für die weitere Personalführung während der einjährigen Dienstzeit im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit an die territorialen Dienststellen der Bundeswehr übergehen. Nach Ende ihres Einsatzes müsste die Zuständigkeit der entlassenen Soldatinnen und Soldaten, die ja dann Reservisten sind, an die personalbearbeitenden Dienststellen der Bundeswehr Übergehen.

Fazit: Mit der Entscheidung, als Ersatz für die Wehrpflicht eine solche allgemeine Dienstpflicht im Grundgesetz zu verankern, müssten alle Jugendlichen, unabhängig von ihrem Geschlecht, oder wie es heute heißt m/w/d, einen Gemeinschaftsbeitrag leisten. Dem bei der Aussetzung der Wehrpflicht genannten Aspekt der Wehrgerechtigkeit wäre genüge getan, die personellen Probleme in allen sozialen Bereichen der Gesellschaft würden deutlich geringer, die Armee hätte eine Chance, ihre vorgesehene Friedenssollstärke zu erreichen, und mit dem Aufwuchs des Reservistenpotenzials würde, wenn auch erst in einigen Jahren, eine ausreichende personelle Decke für den Spannungs- und Verteidigungsfall entstehen.

Greven, 31. Januar 2024

Jürgen Hübschen

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Britische und amerikanische Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen – gibt es eine europäische Alternative zur Abwehr der Huthi Attacken gegen die Handelsschifffahrt?   

Nach wiederholten Angriffen der Huthis auf Handelsschiffe im Golf von Aden und im Roten Meer haben britische und amerikanische Kampfflugzeuge im Rahmen der Operation „Prosperity Guardian“ mehrfach Einrichtungen der Huthis im Jemen angegriffen und damit eine weitere Eskalation der Gesamtlage in der Nahmittelost-Region in Kauf genommen. Washington und London und die sie bei ihren Angriffen unterstützenden Staaten berufen sich bei ihren Operationen auf die UNO Resolution 2722 vom 10. Januar 2024.

In diesem Zusammenhang stellen sich allerdings zwei Fragen, ob nämlich die amerikanischen und britischen Angriffe auf die Huthi Einrichtungen im Jemen von der Resolution gedeckt sind und ob es keine Alternativen zu dieser offensiven Reaktion auf die Gefährdung der Handelsschifffahrt durch die Huthis gibt.

Bevor die möglichen Alternativen aufgezeigt werden, ist es wichtig zu wissen, auf welcher Basis die aktuellen Angriffe der USA und Großbritanniens auf Einrichtungen der Huthis im Jemen durchgeführt werden.

Operation „Prosperity Guardian“

Bei der Operation „Prosperity Guardian“ handelt es sich um eine multinationale Koalition ,die im Dezember 2023 als Reaktion auf die Angriffe der Huthi-Rebellen auf die Schifffahrt im Roten Meer in der Meerenge Bab al-Mandab ins Leben gerufen wurde. Außer den USA beteiligen sich, nach Angaben aus dem US-Verteidigungsministerium, u.a. Bahrain, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, die Niederlande, Norwegen und die Seychellen an der Operation. Durch die stärkere Kooperation zwischen den Seestreitkräften solle der Schutz von Handelsschiffen verbessert werden.Nach US-Angaben haben, mit Stand 22. Dezember 2023 insgesamt mehr als 20 Länder zugestimmt, sich an der Koalition zu beteiligen, wobei einige nicht öffentlich genannt wurden. 

Die Operation steht unter amerikanischem Kommando, und das Hauptquartier liegt in Bahrain, wo Groß Britannien und die USA Stützpunkte betreiben.

Vertreter des Pentagons bezeichneten das Bündnis als Antwort auf ein internationales Problem, demnach würde die Huthi-Miliz die Wirtschaft von Nationen der ganzen Welt gefährden. Die Operation müsse sich allerdings nicht nur auf Schiffe begrenzen.

Außer den USA und Groß Britannien, beteiligen sich die vom Pentagon genannten Staaten nicht an konkreten Angriffen gegen die Huthi Rebellen, vor allem nicht an Einsätzen gegen Huthi-Einrichtungen im Jemen selbst. Einige Staaten, z.B. Kanada, Niederlande und Norwegen, haben lediglich Offiziere in das Hauptquartier nach Bahrein entsandt und andere Länder, die mit eigenen Marinekräften in der Region präsent sind, haben eine Unterstellung unter das US-Kommando abgelehnt.

So erklärte das französische Verteidigungsministerium, seine Kriegsschiffe würden „unter französischem Kommando bleiben“.  Auch Italien, das aktuell die Fregatte Virginio Fasan in der Gegend stationiert hat, erklärte, dass das Kriegsschiff nicht Teil von „Prosperity Guardian“ sei. Das spanische Verteidigungsministerium machte unmissverständlich klar, s werde sich nur an Operationen unter NATO– oder EU-Koordinierung beteiligen.Außerdem legte Spanien ein grundsätzliches Veto gegen jeglichen EU-Beitrag zur Operation „Prosperity Guardian“ ein, sollte dieser über die Ressourcen der EU-geführten Operation „Atalanta“ bereitgestellt werden.

Die Ursachen für die Zurückhaltung europäischer Staaten liegen auch in begründeten Zweifeln, ob die britischen und amerikanischen Luftangriffe im Jemen durch die UN Resolution 2722 gedeckt sind.

Die UN Resolution 2722

Der nachfolgende vollständige Text der Resolution soll die Basis für die Bildung einer eigenen Meinung sein.:

Der Sicherheitsrat,

in Bekräftigung seiner nach der Charta der Vereinten Nationen bestehenden Haupt- verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie seiner Verpflichtung, die Ziele und Grundsätze der Charta hochzuhalten,

erneut erklärend, dass das Völkerrecht, wie im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 niedergelegt, den für Tätigkeiten in den Ozeanen,

einschließlich der Bekämpfung rechtswidriger Tätigkeiten auf See, anwendbaren rechtlichen Rahmen vorgibt,

mit dem Ausdruck seiner Besorgnis angesichts der Bedrohung, die von widerrechtlichen Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt für Seeleute und andere Personen ausgeht,

unterstreichend, wie wichtig die Ausübung der Rechte und Freiheiten der Schifffahrt durch Schiffe aller Staaten im Roten Meer, einschließlich der die Meerenge Bab al-Mandab durchfahrenden Handelsschiffe, im Einklang mit dem Völkerrecht ist, und

ferner unterstreichend, dass die Durchfahrt von Handelsschiffen durch das Rote Meer ungehindert weitergehen muss,

betonend, dass Stabilität und Wohlstand der Küstenstaaten des Roten Meeres zum Weltfrieden und zur internationalen Sicherheit beitragen,

nachdrücklich darauf hinweisend, dass die gestiegenen Kosten der Beförderung unverzichtbarer Güter die wirtschaftliche und humanitäre Lage weltweit und auch die der jemenitischen Zivilbevölkerung beeinträchtigen werden,

 unter Hinweis auf seine Resolutionen betreffend Jemen sowie auf die Angriffe, die in der Vergangenheit auf Ölverladestationen verübt wurden, die der Kontrolle der Regierung Jemens unterstehen,

in Bekräftigung seiner Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Küstenstaaten des Roten Meeres und

erneut erklärend, dass den Staaten in der Region eine führende Rolle dabei zukommt, in enger Zusammenarbeit mit regionalen und subregionalen Organisationen zu Frieden und Sicherheit beizutragen

S/RES/2722 (2024)

24-004372/2

1. verurteilt auf das Entschiedenste die mindestens zwei Dutzenden Angriffe der

Huthi auf Handelsschiffe seit dem 19. November 2023, als die Huthi die Galaxy Leader und

ihre Besatzung angriffen und in ihre Gewalt brachten;

2. verlangt, dass die Huthi unverzüglich alle derartigen Angriffe einstellen, die den

Welthandel hemmen und die Rechte und Freiheiten der Schifffahrt wie auch den Frieden

und die Sicherheit in der Region untergraben, und verlangt ferner, dass die Huthi die Galaxy

Leader und ihre Besatzung sofort freigeben;

3. bekräftigt, dass die Ausübung der Rechte und Freiheiten der Schifffahrt durch

Handelsschiffe im Einklang mit dem Völkerrecht zu achten ist, und nimmt davon Kenntnis,

dass die Mitgliedstaaten nach dem Völkerrecht das Recht haben, ihre Schiffe gegen An-

griffe, einschließlich solcher, die die Rechte und Freiheiten der Schifffahrt untergraben, zu

verteidigen;

4. würdigt die Anstrengungen, die Mitgliedstaaten im Rahmen der Internationalen

Seeschifffahrts-Organisation unternehmen, um die Sicherheit und die sichere Durchfahrt

von Handelsschiffen aller Staaten durch das Rote Meer zu verbessern;

5. legt den Mitgliedstaaten nahe, die Kapazitätsaufbaumaßnahmen der jemenitischen Küstenwache zu unterstützen, damit die in Ziffer 14 der Resolution 2216 (2015) verhängten Maßnahmen unter uneingeschränkter Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit Jemens wirksam umgesetzt werden können;

6. legt den Mitgliedstaaten außerdem nahe, ihre Kapazitäten weiter auszubauen und zu stärken und den Küsten- und Hafenstaaten am Roten Meer und an der Meerenge Bab

al-Mandab Hilfe beim Aufbau ihrer Kapazitäten zu leisten, um die maritime Sicherheit zu

erhöhen, unter anderem indem sie diesen Staaten nach Bedarf und auf deren Antrag über die

zuständigen Institutionen der Vereinten Nationen im Rahmen ihres jeweiligen Mandats

technische Hilfe bereitstellen;

7. unterstreicht die Notwendigkeit, die tieferen Ursachen, darunter die zu regionalen Spannungen und zur Störung der maritimen Sicherheit beitragenden Konflikte, anzugehen, um eine zeitnahe, effiziente und wirksame Reaktion zu gewährleisten, und bekräftigt

in dieser Hinsicht, dass alle Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen, darunter das in seiner

Resolution 2216 (2015) enthaltene gezielte Waffenembargo sowie die Bezeichnung der

Huthi gemäß Resolution 2624 (2022) als eine dem Waffenembargo unterliegende Gruppe,

nachkommen müssen, und erinnert daran, dass die Sachverständigengruppe des Rates in

ihrem Bericht vom Oktober 2023 (S/2023/833) umfangreiche Verstöße gegen das Waffen- embargo festgestellt hat;

8. verurteilt ferner die unter Verstoß gegen seine Resolution 2216 (2015) erfolgende Bereitstellung von Waffen und sonstigem Wehrmaterial aller Art an die Huthi und

fordert mehr praktische Zusammenarbeit, um die Huthi daran zu hindern, in den Besitz des

für weitere Angriffe benötigten Wehrmaterials zu gelangen;

9. fordert nachdrücklich zu Vorsicht und Zurückhaltung auf, um eine weitere Eskalation der Situation im Roten Meer und in der gesamten Region zu verhindern, und legt allen Parteien nahe, zu diesem Zweck stärkere diplomatische Bemühungen, einschließlich anhaltender Unterstützung für den Dialog und den Friedensprozess in Jemen unter der Ägide

der Vereinten Nationen, zu unternehmen;

10. ersucht den Generalsekretär, dem Sicherheitsrat als Informationsgrundlage für

seine künftigen Beratungen monatlich bis zum 1. Juli 2024 schriftliche Berichte über etwaige weitere Angriffe der Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer vorzulegen;

11. beschließt, mit dieser Angelegenheit aktiv befasst zu bleiben

 (Quelle: Der Deutsche Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen)

Bei der Verabschiedung dieser Resolution haben sich Algerien, China, Mozambik und Russland der Stimme enthalten.

Der aktuelle Streit geht jetzt darum, ob diese Resolution auch die „westlichen“ Luftangriffe gegen Huthi Einrichtungen im Jemen rechtfertigt oder eben nur die direkte Abwehr der Huthi Angriffe auf die internationale Schifffahrt.
Russland hält- im Gegensatz zu den USA und anderen westlichen Staaten- die Angriffe auf Ziele im Jemen selbst für nicht gedeckt von der Resolution, auch im Hinblick auf die Souveränität und territoriale Integrität des Jemen.

Darüber sollen Völkerrechtler entscheiden, aber unstrittig ist aus meiner Sicht, dass nach Ziffer 9 der Resolution alle Mitgliedstaaten der UNO aufgefordert werden, eine weitere Eskalation zu vermeiden und nach diplomatischen Lösungen zu suchen.

Das führt zu der Frage, ob es nur die Möglichkeit gibt, durch Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen selbst weitere Attacken von ihnen auf die Handelsschifffahrt zu verhindern oder Alternativen dazu vorstellbar sind.

Militärische Stützpunkte in Dschibuti

Dschibuti liegt sozusagen dem Jemen gegenüber, an der Gegenküste der Meeresstraße Bab al-Mandab. Diese Meerenge ist nur 27 km breit und verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden, der ein Teil des Arabischen Meeres und damit des Indischen Ozeans ist.

Die USA betreiben in Dschibuti das  „Camp Lemonnier“ .Der Stützpunkt wurde 2002 von Dschibuti an die Vereinigten Staaten verpachtet, zusammen mit dem Recht, den benachbarten Flughafen und die Hafenanlagen zu nutzen. Der Stützpunkt ist das Herzstück eines Netzwerks von rund sechs US-Drohnen- und Überwachungsbasen, die sich über den gesamten Kontinent erstrecken. Diese Basen sind kleiner und operieren von abgelegenen Hangars aus, die sich in lokalen Militärbasen oder zivilen Flughäfen befinden. Genauere Informationen dazu liegen nicht vor. Aufgrund seiner strategischen Lage dient „Camp Lemonnier“ auch als Drehscheibe für Luftoperationen in der Region des Persischen Golfs.

China unterhält eine Marinebasis, Frankreich den Luftwaffenstützpunkt „Colonel Massart“, Italien die „Base Militare Italiana di Supporto“, Japan die Marinebasis „Self-Defence Force Base Djiibouti“ – der einzige japanische Stützpunkt im Ausland-  und Saudi-Arabien baut aktuell in Dschibuti eine Militärbasis auf.

Diese Stützpunkte könnten in vielerlei Hinsicht zur Abwehr von Huthi Angriffen auf die Handelsschifffahrt eingesetzt werden.

EU Mission „Atalanta“

Im Februar 2008 hatte die somalische Übergangsregierung den VN-Sicherheitsrat angerufen und um Unterstützung bei der Bekämpfung der Piraterie gebeten. Der Sicherheitsrat beschloss am 2. Juni 2008 in der Resolution 1816, auch fremde Staaten zum Vorgehen gegen die Piraterie in den somalischen Hoheitsgewässern zu ermächtigen. Der Rat der Europäischen Union richtete auf Basis dieser Resolution und des Seerechtsübereinkommens der VN von 1982 am 10. November 2008 die „OperationAtalanta“ ein, deren Mandat seitdem stets erneuert und angepasst wurde. Der Auftrag der „European Union Naval Forces Somalia“ ( EU NAVFOR Somalia) – so die vollständige Bezeichnung der Mission- umfasst den Schutz der Schiffe des VN-World Food Programmes, die Abschreckung, Verhütung und Beendigung von Piraterie vor der Küste Somalias, am Horn von Afrika und im Golf von Aden, die Durchsetzung des gegen Somalia verhängten Waffenembargos, sowie das Überwachen des illegalen Handels mit Suchtstoffen und Fischereitätigkeiten. „EU NAVFOR Somalia“ ist die erste Marineoperation der EU und bezeichnet gleichzeitig einen gemischten multinationalen Marineverband, also eine Flottille. Das Mandat wurde – bislang letztmalig- 2022 bis zum Ende 2024 verlängert. An der Mission beteiligen sich nach vorliegenden Informationen 19 EU Staaten und zusätzlich auch Groß Britannien, Norwegen, Serbien, und Neuseeland.

Deutschland hat seine Beteiligung an der „Operation Atalanta“ zum 31.12.2022 beendet.

„Operation Sentinel“

Im August 2019 begann in der Straße von Hormuz die amerikanische Militärmission „Operation Sentinel“. Der damalige US-Verteidigungsminister Mark Esper erklärte,

neben dem US-Militär seien auch Kräfte aus Großbritannien, Australien und Bahrain beteiligt. Genaue Angaben darüber, wie viele Schiffe und Soldaten im Einsatz sind, machte er nicht.

Ziel der Operation sei es, die freie Schifffahrt in der für den globalen Handel bedeutenden Meerenge zu garantieren. Zudem sollten Provokationen verhindert und dadurch ein Konflikt in der Region vermieden werden. Die Sicherheitslage in der Straße von Hormuz im Persischen Golf hatte sich zuvor wegen des Konflikts zwischen den USA und dem Iran deutlich verschlechtert. Immer wieder war es dort zu gefährlichen Situationen gekommen. Die USA machten den Iran für diverse Attacken auf Handelsschiffe in dem Seegebiet verantwortlich, was die Führung in Teheran bestritt. Esper betonte trotzdem, dass die USA keinen Konflikt wollten.

Die Bundesregierung hatte eine Anfrage Washingtons zur Teilnahme an der US-Mission zurückgewiesen. Konkret sagte der damalige deutsche Außenmnister Heiko Maas wörtlich: „An der von den USA vorgestellten und geplanten Seemission wird sich die Bundesregierung nicht beteiligen. Wir befinden uns da in enger Abstimmung mit unseren französischen Partnern.“  Er begründete die deutsche Absage damit, dass Deutschland die US-Strategie des „maximalen Drucks“ auf den Iran für falsch halte. Deutschland wolle keine militärische Eskalation und setze weiterhin auf Diplomatie. Die Frage, ob er eine parallele europäische Mission befürworte, beantwortete Maas nicht

Der US-Mission wollen sich viele EU-Staaten ebenfalls nicht anschließen, weil sie fürchten, dass diese für weitere Spannungen mit dem Iran sorgen könnte.

European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz (EMASoH

Knapp ein halbes Jahr nach Beginn der US-Mission „Operation Sentinel“ begann am 25. Februar 2020 die “European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz”.  (EMASoH) ist eine europäisch geführte Meeresüberwachungsmission, die zu Beginn von acht europäischen Nationen politisch unterstützt wurde. Auf der Basis einer französischen Initiative unterstützt diese unabhängig agierende und nicht mit der Europäischen Union verbundene „Koalition der Willigen“ einen deeskalierenden Ansatz im Umgang mit regionalen Sicherheitsfragen. Die Regierungen von Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, die Niederlande und Portugal unterstützen politisch die Einrichtung von EMASoH. Seit September 2021 ist Norwegen als neunte europäische Nation EMASoH beigetreten.

Gleichzeitig wurde im Rahmen von EMASoH die Militäroperation „Agénor“ gestartet.

Operation Agénor

Die Mission „Agénor“ ist die militärische Komponente der europäischen Überwachungsinitiative in der Straße von Hormuz „EMASoH“. Den Namen „Agénor“ hatte die EU gewählt, weil „Agénor“ als Sohn des Poseidons und der Libya, der Vater der „Europa“ ist. Die von Frankreich etablierte europäisch geführte maritime Überwachungs- und Sicherheitsmission in der Straße von Hormuz zielt darauf ab, die Freiheit der Schifffahrt zu gewährleisten. Ausdrücklich unterstrichen wird der deeskalierende Charakter von EMASoH. Die Operation steht für andere Nationen, die im gleichen Sinne zur Stabilität in der Region beitragen wollen, offen.

Die damalige französische Verteidigungsministerin, Florence Parly, erklärte auf dem Gelände der französischen Marinebasis in Abu Dhabi zum offiziellen Auftakt der Operation:“ Dies ist ein entscheidender Schritt im Engagement der europäischen Partner für die Sicherheit des Seeverkehrs und die Freiheit der Schifffahrt in der Region“.  Das französische Hauptquartier Abu Dhabi übernahm die operationell Kontrolle und die taktische Führung von „Agénor“.

Neben Frankreich und den Niederlanden beteiligen sich bisher Belgien und Dänemark an der Operation (Belgien und Dänemark mit Personalabstellungen). Deutschland, Griechenland, Italien und Portugal unterstützen EMASoH politisch.

Bewertung und Aufzeigen von möglichen Alternativen

 Die aktuelle militärische Auseinandersetzung mit den Huthis ist eine Regionalisierung des Nahostkrieges. Die Huthis begründen ihre Angriffe auf Israel und auch gegen die Handelsschifffahrt mit ihrer Unterstützung der Palästinenser. Hinter den schiitischen Huthis steht der Iran, so dass durch die aktuellen Angriffe der USA und Großbritanniens die Gefahr besteht, dass es zu einer direkten Konfrontation zwischen dem Iran und den USA kommen könnte. Außerdem gefährden die Luftangriffe gegen Einrichtungen der Huthis auf jemenitischem Territorium den momentan noch bestehenden, aber sehr fragilen Waffenstillstand zwischen den Huthis und Saudi-Arabien. Der de facto Herrscher des Königshauses, Mohammed bin Salman, hatte die Huthis 2015 im Rahmen der Operation „Sturm der Entschlossenheit“ angegriffen und wurde dabei von den USA mit Waffen und vor allen Dingen auch durch Aufklärungsergebnisse unterstützt. Der Waffengang war letztendlich für Saudi-Arabien erfolglos, und deswegen ist Riad besonders darauf bedacht, dass die Kämpfe nicht wieder aufbrechen, zumal das Königreich eine 1.600 km lange Grenze zum Jemen hat.

So wie Israel die Hamas militärisch nicht besiegen kann, werden auch die Luftangriffe der USA und Großbritanniens nicht dazu führen, dass die Huthis die Handelsschifffahrt nicht mehr attackieren. Zusätzlich muss befürchtet werden, dass besonders die saudischen Ölförderanlagen – so wie in der Vergangenheit wiederholt geschehen- mit Raketen der Huthis angegriffen werden.

In Kenntnis dieser Lage, sollte darauf verzichtet werden, die Huthis direkt auf jemenitischem Territorium zu bekämpfen. Das heißt nicht, dass man die Attacken der Huthis in Zukunft hinnehmen und dabei zusehen sollte, wie sich die Frachtraten der Handelsschiffe ständig weiter erhöhen und Handelsketten unterbrochen werden, weil die zivile Schifffahrt die Risiken eines Transports durch das Rote Meer vermeidet und stattdessen die kostspielige und deutlich längere Route um Südafrika nimmt.

Europa muss sich vielmehr von der US geführtenOperation „ProsperityGuardian“ distanzieren und nach realistischen Alternativen suchen, die aus meiner Sicht sind durchaus vorhanden sind.

Mögliche Alternativen

 Alternative 1: Schutz der Handelsschifffahrt aus Stützpunkten in Dschibuti heraus

Theoretisch denkbar wäre z.B. ein Schutz der Handelsschifffahrt durch Abwehrmaßnahmen der Huthi Angriffe aus den internationalen Stützpunkten in Dschibuti heraus. Das könnten land- oder seegestützte Operationen sein oder eine Kombination. Daran könnten sich auch die USA beteiligen, allerdings nicht unter ihrem Kommando.

Vorteil

Es wären neben europäischen Kräften auch China und Japan beteiligt und als arabisches Land könnte sich auch Saudi-Arabien einbringen. Mit den USA wäre neben China ein zweite Veto Macht involviert. Durch die in unmittelbarer Nähe des Einsatzgebietes gelegenen Stützpunkte wäre die Logistik relativ einfach.

Man müsste sich über eine Führungsnation verständigen, und die würden vermutlich die USA beanspruchen, auch, weil sie den größten Stützpunkt betreiben.

Nachteil

Es wären zu wenige Staaten beteiligt. Außerdem würde Washington es vermutlich nicht akzeptieren, eigene Truppen unter ein fremdes Kommando zu stellen, da man bislang immer darauf bestanden hatte, eigene Soldaten ausschließlich unter amerikanischem Oberbefehl einzusetzen. Vermutlich wäre es aus amerikanischer Sicht auch zu schwierig, solche Einsätze mit ihrer Operation „Prosperity Guardian“ in Einklang zu bringen. Saudi-Arabien hätte sicherlich Bedenken, sich direkt in einer Operation gegen die Huthis zu beteiligen, weil der Krieg im Jemen ja noch nicht beendet und der Waffenstillstand ziemlich fragil ist.

Alternative 2:  Erweiterung des Mandats der EU-Mission Atalanta

Die zweite Möglichkeit wäre eine Ausweitung des Auftrags/Mandats der „Atalanta“ Mission um einen Schutz der Handelsschifffahrt vor den Angriffen der Huthis. Ein solcher Schutz könnte – wie auch schon beim Kampf gegen die Piraten- durch eine Art „Geleitzüge“ organisiert werden. Handelsschiffe würden sich außerhalb der bislang üblichen Reichweite der Huthi-Operationen sammeln und dann, eskortiert von Kriegsschiffen durch das Rote Meer und den Suez-Kanal zum Mittelmeer fahren.

Vorteil

 „Atalanta“ ist zweifelsfrei durch das Mandat der UN-Resolution 2722 gedeckt. Es besteht bereits eine funktionierende europäische Organisation, die völlig unabhängig von den USA arbeitet.

Nachteil

Der aktuelle Auftrag von „Atalanta“ müsste um den Schutz der Handelsschiffe vor Angriffen der Huthis erweitert werden. Darüber müsste in der EU Einigkeit erzielt werden, zumindest zwischen den aktuell beteiligten 19 Mitgliedsstaaten.

Alternative 3: Eine Kombination aus „Atalanta“ mit erweitertem Mandat und Einsätzen aus Stützpunkten in Dschibuti

Eine dritte und aus meiner Sicht besonders erfolgversprechende Option wäre eine Kombination aus Kräften von Stützpunkten in Dschibuti und einer um das Mandat „Schutz vor Huthi-Angriffen“ erweiterten „Operation Atalanta“.

Vorteil

Diese Vorgehensweise wäre durch die UN-Resolution 2722 zweifelsfrei gedeckt, würde den Waffenstillstand zwischen den Huthis und Saudi-Arabien weniger gefährden und vor allem auch die Gefahr einer Eskalation deutlich verringern. Durch die Anzahl der an „Atalanta“ beteiligten Staaten würde den Huthis ein deutliches Signal geschickt, die Angriffe auf die internationale Handelsschifffahrt einzustellen. Die finanziellen, materiellen und personellen Lasten würden auf viele Schultern verteilt. Europa würde sich deutlich von der amerikanischen und britischen Vorgehensweise distanzieren. Mit Frankreich und Italien verfügen zwei Teilnehmerstaaten von „Atalanta“ über Stützpunkte in Dschibuti. Auf eine Beteiligung der USA und Saudi-Arabiens könnte man verzichten, aber mit China und Japan würden das internationale Engagement im Kampf gegen die Huthi-Angriffe wirkungsvoll unterstrichen.

Nachteil

Zusätzlicher Zeitbedarf bei der Realisierung, weil mit China und Japan verhandelt werden müsste, unter welchen Bedingungen Peking und Tokio bereit wären, sich einer EU Mission anzuschließen

Alternative 4: Integration der European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz (EMASoH) und der Militäroperation “Agénor” in eine Mission “Atalanta” mit einem erweiterten EU-Mandat

 Die vierte Möglichkeit wäre eine Ausweitung European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz (EMASoH) und der Militäroperation “Agénor“. Da für „Agénor“ kein EU-Mandat besteht, denken die Brüsseler Diplomaten darüber nach, ob man diese Militäroperation in die Mission „Atalanta“ integrieren könnte und dadurch praktisch ein Mandat für einen gesamteuropäischen Einsatz geschaffen werden könnte. Über diese Option wird in Brüssel aktuell nachgedacht und am 19. Februar 2024 soll konkret darüber entschieden werden.

Vorteil

Auf diese Weise könnten die Streitkräfte der EU die Handelsschifffahrt auf einer Route von Hormuz, an der Küste von Oman und Südjemens entlang durch das Arabische Meer, den Golf von Aden und die Meerenge von Bab al-Mandab bis ins Rote Meer eskortieren und vor den Huthi-Angriffen schützen. Es wäre eine klare Abgrenzung von den US-Operationen, die sich in der Hauptsache an nationalen Interessen orientieren und im Grunde gegen den Iran gerichtet sind.

Nachteil

Die Handelsschiffe müssten über eine sehr lange Strecke eskortiert werden. Dafür wäre ein umfangreicher Schutz durch europäische Seestreitkräfte erforderlich, und auch für die notwendige Überwachung aus der Luft wären umfangreiche Ressourcen unabdingbar. Ob eine solche EU-Operation durch die aktuelle UN Resolution gedeckt ist, muss bezweifelt werden, weil diese ja in der Hauptsache den Schutz vor Huthi Angriffen zum Inhalt hat. Die Huthis bedrohen aber die Schifffahrt im Raum der Straße von Hormuz nicht und auch nicht entlang der Küste von Oman. Auch im Süd Jemen sind die Huthis nicht präsent, so dass auch von dort keine konkrete Bedrohung für die Handelsschifffahrt ausgeht. Da es bei der Operation „Agénor“ de facto hauptsächlich um den Schutz von Handelsschiffen vor Angriffen durch den Iran geht, würde bei einer Integration dieser Mission in die Operation „Atalanta“ der Eindruck erweckt, dass letztlich Teheran für die Gesamtbedrohung in der Region verantwortlich sei. Last, but not least darf man nicht vergessen, dass Frankreich im Falle einer solchen Integration führungsmäßig ins zweite Glied zurücktreten müsste; es sei denn, man würde Paris die Führung der Gesamtoperation übertragen.

Fazit

In Kenntnis der aktuellen Entwicklung muss man wohl davon ausgehen, dass die Huthis, wie auch die Hamas, erst dann einlenken, wenn es aus ihrer Sicht akzeptable Verhandlungsangebote für einen Waffenstillstand im Nahostkrieg gibt. Da dafür aktuell keine Anzeichen zu erkennen sind, ist es dringend geboten, eine Alternative zu den amerikanischen und britischen Luftangriffen zu versuchen, bevor die militärische Situation „aus dem Ruder läuft“ und die Folgen der unterbrochenen Handelsketten für Europa nicht eine Dimension erreichen, wie im März 2021 durch den vom Containerschiff „Ever Given“ blockierten Suez-Kanal.

Wenn man die Vor- und Nachteile der dargestellten Alternativen gegeneinander abwägt, scheint mir eine Kombination aus „Atalanta“ mit erweitertem Mandat und Einsätzen aus Stützpunkten in Dschibutidie meisten Vorteile zu bieten.

Als zweitbeste Lösung käme aus meiner Sicht eine Integration der „European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz“ (EMASoH) und der Militäroperation “Agénor” in eine Mission “Atalanta” mit einem erweiterten EU-Mandat in Frage, wobei man in diesem Fall die nicht zu übersehenden Nachteile im Auge behalten müsste.

Unabhängig davon, wofür sich die Europäer entscheiden: Wichtig ist eine klare Abgrenzung von den US Operationen „Prosperity Guardian“ und „Sentinel“, die in keiner Weise zur Deeskalation beitragen, auch, weil sie sich letztlich gegen den Iran richten und damit zu einer entscheidenden Regionalisierung des Nahostkrieges führen können.

Greven. 23. Januar 2024

Jürgen Hübschen

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BRICS plus- eine neue Macht in einer multipolaren Welt

Wer oder was ist BRICS?

BRICS ist ein in erster Linie an volkswirtschaftlichen Zielen orientierter Staatenbund. Er wurde 2006 von Brasilien, Russland, Indien und China gegründet und unter Bezug auf die Anfangsbuchstaben ihrer Länder zunächst „BRIC“ genannt. 2010 trat Südafrika dem „BRIC“ bei, und seit dieser Zeit trägt das Bündnis den Namen BRICS. Zum Jahresbeginn 2024 wurden die muslimischen Staaten Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate in die Vereinigung aufgenommen, die jetzt unter dem Arbeitsbegriff „BRICS plus“ firmiert.

BRICS hat als informelles Forum weder eine institutionelle Organisation noch besitzt das Bündnis einen Verwaltungsapparat. Der Vorsitz der BRICS-Gruppe rotiert nach der Reihenfolge der Länder des Akronyms. Das vorsitzführende Land bestimmt in Absprache mit den anderen BRICS-Mitgliedern die thematischen Schwerpunkte, legt die Termine der Treffen der verschiedenen Gruppen und Ebenen fest und übernimmt die Rolle des Gipfelgastgebers.

Ziele von BRICS

Ein zentrales Ziel der BRICS-Staaten ist die Reform der internationalen Währungs- und Finanzordnung. Sie fordern mehr Mitsprache und eine größere Repräsentation der Schwellen- und Entwicklungsländer innerhalb des internationalen Finanzsystems. Die Schwellen-und Entwicklungsländer im BRICS beklagen in diesem Zusammenhang, dass das bestehende Weltfinanzsystem nicht mehr die veränderten Kräfteverhältnisse widerspiegele und sie selbst zu wenig Mitspracherechte besäßen. Konkret sind die BRICS-Staaten gegen eine Weltordnung, die ihrer Ansicht nach den Interessen der reichen westlichen Welt und vor allem den USA dient.

Ein weiteres Ziel des Staatenbunds ist es, im Rahmen einer neuen geopolitischen und multipolaren Weltordnung ein Gegengewicht zur Dominanz des Westens und zu anderen Foren wirtschaftlich starker Länder wie den G7 zu bilden. Auch ihre Abhängigkeit vom US-Dollar als globale Leitwährung wollen die BRICS-Länder reduzieren und prüfen deswegen, inwieweit die Allianz lokale Währungen und alternative Zahlungssysteme nutzen kann.

Die „New Development Bank“

Zu diesem Zweck wurde am 15. Juni 2014 die „New Development Bank” (NDB), ehemals “BRICS Development Bank” gegründet. Die „NDB“ ist eine multilaterale Entwicklungsbank. Ihre Gründungsmitglieder sind die BRICS-Staaten, denen sich 2021 Bangladesch und die Vereinigten Arabischen Staaten anschlossen. Anfang 2023 wurde auch Ägypten Mitglied der Bank. Die „NDB“ soll vorrangig der Finanzierung von Entwicklungsprojekten und Infrastruktur innerhalb der fünf BRICS-Staaten dienen, welche im Jahre 2021 mehr als 3 Mrd. Einwohner bzw. rund 41 Prozent der gesamten Weltbevölkerung sowie 31,5 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes auf sich vereinen können. Daneben halten die BRICS-Staaten mit ca. 2.800 Mrd. Dollar, 42 % der weltweiten Devisenreserven.

Der Hauptsitz der Bank ist im chinesischen Shanghai, zusätzlich wurde eine Zweigstelle für den afrikanischen Kontinent im südafrikanischen Sandton errichtet.

Im Gegensatz zur Weltbank, die sich nach den gehaltenen Anteilen orientiert, besitzt jeder Mitgliedsstaat der „NDB“, unabhängig von seiner Größe oder Wirtschaftskraft eine einzige Stimme.

BRICS plus

Die BRICS Staaten haben bislang in mehr als 30 Abkommen und Absichtserklärungen die rechtlichen Grundlagen für ihre Zusammenarbeit in mehreren Bereichen wie zum Beispiel dem Finanz- und Bankensektor, bei Zöllen, in Wissenschaft und Technologie oder der Wettbewerbspolitik geregelt. In dieses Regelwerk sollen die neuen Mitgliedsstaaten eingebunden werden.

In den Staaten von BRICS plus leben 3,9 Milliarden Menschen, also fast die Hälfte der Weltbevölkerung

Der globale Einfluss von BRICS hat durch die zusätzlichen Mitglieder eine neue Dimension erreicht. Das wird besonders deutlich, wenn man BRICS plus mit den G7 Staaten vergleicht.

Dazu einige Zahlen des Finanz- und Medienkonzerns Bloomberg:

 BRICS plus steht für 38,3 % der weltweiten Industrieproduktion im Vergleich zu 30,5% in den G7 Staaten. Letztere verfügen lediglich über 3,9% der weltweiten Ölreserven gegenüber 45% in den BRICS plus Staaten. Bei der Aluminiumproduktion beträgt das Verhältnis 79% gegenüber 1,3 % in den G 7 Staaten, bei der Palladiumproduktion 77% gegenüber 6,9%. Die BRICS plus Staaten halten weltweit 72 % der seltenen Erden, 75% des Magnesiums, 50% bei Graphit, 28% bei Nickel und 10% bei Kupfer.

Der BRICS Anteil an der weltweiten Ölproduktion steigt durch die neuen Mitgliedsländer von 18% auf 40%. Der Anteil am weltweiten Warenhandel vergrößert sich von 20% auf 25%.

Diese beispielhaft aufgeführten Daten werden sich zu Gunsten einer „BRICS Union“ weiter verbessern, wenn sich weitere Länder diesem Bündnis anschließen. Die Liste der Interessenten ist lang. Nach Aussagen der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor auf dem BRICS-Gipfeltreffen im August 2023 in Südafrika haben etwa 40 Staaten ein mehr oder weniger verbindliches Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet, davon ca. 20 sehr konkret. Dazu gehören Algerien, Bangladesch, Indonesien, Kuwait, Thailand und Venezuela. Als weitere Staaten im Gespräch sind: Bahrain, Bolivien, Demokratische Republik Kongo, Gabun, Honduras, Kasachstan, Komoren, Kuba, Nicaragua, Nigeria, Palästina, Senegal und Vietnam.

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte sich auf dem Gipfel in Johannesburg für eine rasche Erweiterung der BRICS-Gruppe ausgesprochen. Der Prozess zur Aufnahme weiterer Staaten solle beschleunigt werden. Internationale Standards sollten von allen Ländern auf der Grundlage der Ziele und Prinzipien der UN-Charta geschrieben und aufrechterhalten werden, „anstatt von denen mit den stärksten Muskeln und der lautesten Stimme diktiert zu werden“, so Xi Jinping weiter. Wer mit dieser Aussage gemeint war, dürfte jedem klar sein.

Zusammenfassende Bewertung

BRICS plus ist nicht nur im Hinblick auf die Zahl der Mitgliedsländer ein deutlich größeres Bündnis als G-7, sondern wird in naher Zukunft die G 7 Staaten in vielen Bereichen überholen. Das wird vermutlich besonders in Washington und in der EU mit einiger Sorge zur Kenntnis genommen werden, vor allem, weil mit China und Russland, aber auch mit Indien Staaten dem Bündnis angehören, die aus amerikanischer und EU-Sicht sehr wohl als globale Konkurrenten eingeordnet werden müssen. Weiteres Unbehagen dürfte in den USA die Tatsache auslösen, dass China unübersehbar versucht, BRICS für eigene Interessen zu instrumentalisieren und seinen Einfluss weltweit zu verstärken. Denselben Ansatz verfolgt sicherlich auch Russland, dem dabei die Mitgliedschaft in der „Eurasian Economic Union“ und der „Collective Security Treaty Organisation” (CSTO) von Nutzen sein wird. China und Russland werden außerdem ihre Drähte zur „Shanghai Cooperation Organisation“ (SCO) geschickt zu nutzen wissen und Verbindungen zu BRICS aufbauen.

Die größte Sorge für die USA dürfte wohl sein, dass die Dominanz des Dollars als weltweite Leitwährung durch BRICS herausgefordert wird. „Dem Westen“ insgesamt wird durch die Erweiterung von BRICS, die mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist, unmissverständlich klargemacht, dass sich die Abhängigkeiten der eigenen Industrie von BRICS durch die Aufnahme von 6 neuen Ländern deutlich weiter verstärkt haben.

Und es gibt noch ein weiteres Problem für „den Westen“: BRICS ist zwar zunächst ein volkswirtschaftliches Bündnis, aber es gibt zunehmend auch eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Das gemeinsame Seemanöver von China, Russland und Südafrika vor der Küste Südafrikas im Februar 2023 ist dafür ein klares Signal.

Last, but not least muss man wohl dem chinesischen Staats-und Parteichef Xi zustimmen, der vor dem Hintergrund der Aufnahme von 6 neuen Mitgliedsstaaten gesagt hat: „The world is witnessing changes that have not been seen in one hundred years.“ („Die Welt ist Augenzeuge von Veränderungen, wie man sie in hundert Jahren noch nicht gesehen hat.“)

Der nächste BRICS Gipfel wird am 23. August 2024 im russischen Kasan stattfinden und sicherlich neue Überraschungen bringen.

Zum Jahreswechsel hatte Präsident Putin im Hinblick auf die kommende BRICS Präsidentschaft Russlands u.a. gesagt. „Russia will continue to promote the BRICS partnership in three areas of politics and security, economy and finance, and cultural and humanitarian contacts. Russia’s priorities include promoting cooperation in science, high technology, healthcare, environmental protection, culture, sports, youth exchanges and civil society” (“ Russland wird die BRICS Partnerschaft in den drei Bereichen Politik und Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen und kulturelle und menschliche Kontakte vorantreiben .Russlands Prioritäten sind die Intensivierung der Zusammenarbeit in Wissenschaft und HiTech , im Gesundheitswesen, im Umweltschutz ,in den Bereichen Kultur und Sport, im Jugendaustausch und Gesellschaft.“)

Fest steht bereits jetzt: Die von den USA und „dem Westen“ dominierte Welt ist zu Ende, und Multipolarität ist angesagt oder, wie es Präsident Putin im Hinblick auf die russische BRICS plus Präsidentschaft formuliert hatte:“ The theme will be Strengthening Multilateralismus for Eqitable Global Development.“ („Das Leitmotiv /der russischen Präsidentschaft/ wird die Stärkung des Multilateralismus für eine gleichberechtigte globale Entwicklung sein“)  

„Der Westen“ sollte bei diesem Wandel die Welt nicht China und Russland überlassen.

Greven, 22. Januar 2024

Jürgen Hübschen

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Britische und amerikanische Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen- eine alternativlose Maßnahme zur Abwehr der Huthi Attacken gegen die Handelsschifffahrt?

Nach wiederholten Angriffen der Huthis auf Handelsschiffe im Golf von Aden und im Roten Meer haben britische und amerikanische Kampfflugzeuge bereits zum zweiten Mal Einrichtungen der Huthis im Jemen angegriffen und damit eine weitere Eskalation der Gesamtlage in der Nahmittelost-Region in Kauf genommen. Washington und London und die sie bei ihren Angriffen unterstützenden Staaten berufen sich bei ihren Angriffen auf die UNO Resolution 2722 vom 10. Januar 2024.

In diesem Zusammenhang stellen sich allerdings zwei Fragen, ob nämlich die Angriffe auf die Huthi Einrichtungen im Jemen von der Resolution gedeckt sind und ob es keine Alternativen zu dieser offensiven Reaktion auf die Gefährdung der Handelsschifffahrt durch die Huthis gibt.

Die UN Resolution 2722

Der nachfolgende vollständige Text der Resolution soll die Basis für die Bildung einer eigenen Meinung sein.:

Der Sicherheitsrat,

in Bekräftigung seiner nach der Charta der Vereinten Nationen bestehenden Haupt- verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie seiner Verpflichtung, die Ziele und Grundsätze der Charta hochzuhalten,

erneut erklärend, dass das Völkerrecht, wie im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 niedergelegt, den für Tätigkeiten in den Ozeanen,

einschließlich der Bekämpfung rechtswidriger Tätigkeiten auf See, anwendbaren rechtlichen Rahmen vorgibt,

mit dem Ausdruck seiner Besorgnis angesichts der Bedrohung, die von widerrechtlichen Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt für Seeleute und andere Personen ausgeht,

unterstreichend, wie wichtig die Ausübung der Rechte und Freiheiten der Schifffahrt durch Schiffe aller Staaten im Roten Meer, einschließlich der die Meerenge Bab al-Mandab durchfahrenden Handelsschiffe, im Einklang mit dem Völkerrecht ist, und

ferner unterstreichend, dass die Durchfahrt von Handelsschiffen durch das Rote Meer ungehindert weitergehen muss,

betonend, dass Stabilität und Wohlstand der Küstenstaaten des Roten Meeres zum Weltfrieden und zur internationalen Sicherheit beitragen,

nachdrücklich darauf hinweisend, dass die gestiegenen Kosten der Beförderung unverzichtbarer Güter die wirtschaftliche und humanitäre Lage weltweit und auch die der jemenitischen Zivilbevölkerung beeinträchtigen werden,

 unter Hinweis auf seine Resolutionen betreffend Jemen sowie auf die Angriffe, die in der Vergangenheit auf Ölverladestationen verübt wurden, die der Kontrolle der Regierung Jemens unterstehen,

in Bekräftigung seiner Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Küstenstaaten des Roten Meeres und

erneut erklärend, dass den Staaten in der Region eine führende Rolle dabei zukommt, in enger Zusammenarbeit mit regionalen und subregionalen Organisationen zu Frieden und Sicherheit beizutragen

S/RES/2722 (2024)

24-004372/2

1. verurteilt auf das Entschiedenste die mindestens zwei Dutzenden Angriffe der

Huthi auf Handelsschiffe seit dem 19. November 2023, als die Huthi die Galaxy Leader und

ihre Besatzung angriffen und in ihre Gewalt brachten;

2. verlangt, dass die Huthi unverzüglich alle derartigen Angriffe einstellen, die den

Welthandel hemmen und die Rechte und Freiheiten der Schifffahrt wie auch den Frieden

und die Sicherheit in der Region untergraben, und verlangt ferner, dass die Huthi die Galaxy

Leader und ihre Besatzung sofort freigeben;

3. bekräftigt, dass die Ausübung der Rechte und Freiheiten der Schifffahrt durch

Handelsschiffe im Einklang mit dem Völkerrecht zu achten ist, und nimmt davon Kenntnis,

dass die Mitgliedstaaten nach dem Völkerrecht das Recht haben, ihre Schiffe gegen An-

griffe, einschließlich solcher, die die Rechte und Freiheiten der Schifffahrt untergraben, zu

verteidigen;

4. würdigt die Anstrengungen, die Mitgliedstaaten im Rahmen der Internationalen

Seeschifffahrts-Organisation unternehmen, um die Sicherheit und die sichere Durchfahrt

von Handelsschiffen aller Staaten durch das Rote Meer zu verbessern;

5. legt den Mitgliedstaaten nahe, die Kapazitätsaufbaumaßnahmen der jemenitischen Küstenwache zu unterstützen, damit die in Ziffer 14 der Resolution 2216 (2015) verhängten Maßnahmen unter uneingeschränkter Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit Jemens wirksam umgesetzt werden können;

6. legt den Mitgliedstaaten außerdem nahe, ihre Kapazitäten weiter auszubauen und zu stärken und den Küsten- und Hafenstaaten am Roten Meer und an der Meerenge Bab

al-Mandab Hilfe beim Aufbau ihrer Kapazitäten zu leisten, um die maritime Sicherheit zu

erhöhen, unter anderem indem sie diesen Staaten nach Bedarf und auf deren Antrag über die

zuständigen Institutionen der Vereinten Nationen im Rahmen ihres jeweiligen Mandats

technische Hilfe bereitstellen;

7. unterstreicht die Notwendigkeit, die tieferen Ursachen, darunter die zu regionalen Spannungen und zur Störung der maritimen Sicherheit beitragenden Konflikte, anzugehen, um eine zeitnahe, effiziente und wirksame Reaktion zu gewährleisten, und bekräftigt

in dieser Hinsicht, dass alle Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen, darunter das in seiner

Resolution 2216 (2015) enthaltene gezielte Waffenembargo sowie die Bezeichnung der

Huthi gemäß Resolution 2624 (2022) als eine dem Waffenembargo unterliegende Gruppe,

nachkommen müssen, und erinnert daran, dass die Sachverständigengruppe des Rates in

ihrem Bericht vom Oktober 2023 (S/2023/833) umfangreiche Verstöße gegen das Waffen- embargo festgestellt hat;

8. verurteilt ferner die unter Verstoß gegen seine Resolution 2216 (2015) erfolgende Bereitstellung von Waffen und sonstigem Wehrmaterial aller Art an die Huthi und

fordert mehr praktische Zusammenarbeit, um die Huthi daran zu hindern, in den Besitz des

für weitere Angriffe benötigten Wehrmaterials zu gelangen;

9. fordert nachdrücklich zu Vorsicht und Zurückhaltung auf, um eine weitere Eskalation der Situation im Roten Meer und in der gesamten Region zu verhindern, und legt allen Parteien nahe, zu diesem Zweck stärkere diplomatische Bemühungen, einschließlich anhaltender Unterstützung für den Dialog und den Friedensprozess in Jemen unter der Ägide

der Vereinten Nationen, zu unternehmen;

10. ersucht den Generalsekretär, dem Sicherheitsrat als Informationsgrundlage für

seine künftigen Beratungen monatlich bis zum 1. Juli 2024 schriftliche Berichte über etwaige weitere Angriffe der Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer vorzulegen;

11. beschließt, mit dieser Angelegenheit aktiv befasst zu bleiben

 (Quelle: Der Deutsche Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen)

Bei der Verabschiedung dieser Resolution haben sich Algerien, China, Mozambik und Russland der Stimme enthalten.

Der aktuelle Streit geht jetzt darum, ob diese Resolution auch die „westlichen“ Luftangriffe gegen Huthi Einrichtungen im Jemen rechtfertigt oder eben nur die direkte Abwehr der Huthi Angriffe auf die internationale Schifffahrt.
Russland hält- im Gegensatz zu den USA und anderen westlichen Staaten- die Angriffe auf Ziele im Jemen selbst für nicht gedeckt von der Resolution, auch im Hinblick auf die Souveränität und territoriale Integrität des Jemen.

Darüber sollen Völkerrechtler entscheiden, aber unstrittig ist aus meiner Sicht, dass nach Ziffer 9 der Resolution alle Mitgliedstaaten der UNO aufgefordert werden, eine weitere Eskalation zu vermeiden und nach diplomatischen Lösungen zu suchen.

Das führt zu der Frage, ob es nur die Möglichkeit gibt, durch Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen selbst weitere Attacken von ihnen auf die Handelsschifffahrt zu verhindern oder Alternativen dazu vorstellbar sind.

Militärische Stützpunkte in Dschibuti

Als Alternative zu den britischen und amerikanischen Luftangriffen auf Huthi Einrichtungen im Jemen könnten Militärstützpunkte in Dschibuti genutzt werden. Dschibuti liegt sozusagen dem Jemen gegenüber, an der Gegenküste der Meeresstraße Bab al-Mandab. Diese Meerenge ist nur 27 km breit und verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden, der ein Teil des Arabischen Meeres und damit des Indischen Ozeans ist.

Die USA betreiben das  „Camp Lemonnier“ .Der Stützpunkt wurde 2002 von Dschibuti an die Vereinigten Staaten verpachtet, zusammen mit dem Recht, den benachbarten Flughafen und die Hafenanlagen zu nutzen. Der Stützpunkt ist das Herzstück eines Netzwerks von rund sechs US-Drohnen- und Überwachungsbasen, die sich über den gesamten Kontinent erstrecken. Diese Basen sind kleiner und operieren von abgelegenen Hangars aus, die sich in lokalen Militärbasen oder zivilen Flughäfen befinden. Genauere Informationen dazu liegen nicht vor. Aufgrund seiner strategischen Lage dient „Camp Lemonnier“ auch als Drehscheibe für Luftoperationen in der Region des Persischen Golfs.

China unterhält eine Marinebasis, Frankreich den Luftwaffenstützpunkt „Colonel Massart“, Italien die „Base Militare Italiana di Supporto“, Japan die Marinebasis „Self-Defence Force Base Djiibouti“ – der einzige japanische Stützpunkt im Ausland-  und Saudi-Arabien baut aktuell in Dschibuti eine Militärbasis auf.

Diese Stützpunkte könnten in vielerlei Hinsicht zur Abwehr von Huthi Angriffen auf die Handelsschifffahrt eingesetzt werden.

EU Mission „Atlanta“

Im Februar 2008 hatte die somalische Übergangsregierung den VN-Sicherheitsrat angerufen und um Unterstützung bei der Bekämpfung der Piraterie gebeten. Der Sicherheitsrat beschloss am 2. Juni 2008 in der Resolution 1816, auch fremde Staaten zum Vorgehen gegen die Piraterie in den somalischen Hoheitsgewässern zu ermächtigen. Der Rat der Europäischen Union richtete auf Basis dieser Resolution und des Seerechtsübereinkommens der VN von 1982 am 10. November 2008 die „OperationAtalanta“ ein, deren Mandat seitdem stets erneuert und angepasst wurde. Der Auftrag der „European Union Naval Forces Somalia“ ( EU NAVFOR Somalia) – so die vollständige Bezeichnung der Mission- umfasst den Schutz der Schiffe des VN-World Food Programmes, die Abschreckung, Verhütung und Beendigung von Piraterie vor der Küste Somalias, am Horn von Afrika und im Golf von Aden, die Durchsetzung des gegen Somalia verhängten Waffenembargos, sowie das Überwachen des illegalen Handels mit Suchtstoffen und Fischereitätigkeiten. „EU NAVFOR Somalia“ ist die erste Marineoperation der EU und bezeichnet gleichzeitig einen gemischten multinationalen Marineverband, also eine Flottille. Das Mandat wurde – bislang letztmalig- 2022 bis zum Ende 2024 verlängert. An der Mission beteiligen sich nach vorliegenden Informationen 17 EU Staaten und zusätzlich auch Groß Britannien, Norwegen, Serbien, und Neuseeland.

Deutschland hat seine Beteiligung an der „Operation Atlanta“ zum 31.12.2022 beendet.

Bewertung

 Die aktuelle militärische Auseinandersetzung mit den Huthis ist eine Regionalisierung des Nahostkrieges. Die Huthis begründen ihre Angriffe auf Israel und auch gegen die Handelsschifffahrt mit ihrer Unterstützung der Palästinenser. Hinter den schiitischen Huthis steht der Iran, so dass durch die aktuellen Angriffe der USA und Großbritanniens die Gefahr besteht, dass es zu einer direkten Konfrontation zwischen dem Iran und den USA kommen könnte. Außerdem gefährden die Luftangriffe gegen Einrichtungen der Huthis auf jemenitischem Territorium den momentan noch bestehenden, aber sehr fragilen Waffenstillstand zwischen den Huthis und Saudi-Arabien. Der de facto Herrscher des Königshauses, Mohammed bin Salman, hatte die Huthis 2015 im Rahmen der Operation „Sturm der Entschlossenheit“ angegriffen und wurde dabei von den USA mit Waffen und vor allen Dingen auch durch Aufklärungsergebnisse unterstützt. Der Waffengang war letztendlich für Saudi-Arabien erfolglos, und deswegen ist Riad besonders darauf bedacht, dass die Kämpfe nicht wieder aufbrechen, zumal das Königreich eine 1.600 km lange Grenze zum Jemen hat.

So wie Israel die Hamas militärisch nicht besiegen kann, werden auch die Luftangriffe der USA und Großbritanniens nicht dazu führen, dass die Huthis die Handelsschifffahrt nicht mehr attackieren. Zusätzlich muss befürchtet werden, dass besonders die saudischen Ölförderanlagen – so wie in der Vergangenheit wiederholt geschehen- mit Rakteen der Huthis angegriffen werden.

In Kenntnis dieser Lage, sollte darauf verzichtet werden, die Huthis direkt auf jemenitischem Territorium zu bekämpfen. Das heißt nicht, dass man die Attacken der Huthis in Zukunft hinnehmen und dabei zusehen sollte, wie sich die Frachtraten der Handelsschiffe ständig weiter erhöhen und Handelsketten unterbrochen werden, weil die zivile Schifffahrt die Risiken eines Transports durch das Rote Meer vermeidet und stattdessen die kostspielige und deutlich längere Route um Südafrika nimmt.

Man muss vielmehr nach möglichen Alternativen suchen, und die sind aus meiner Sicht durchaus vorhanden. Denkbar wäre ein Schutz der Handelsschifffahrt durch Abwehrmaßnahmen der Huthi Angriffe aus den internationalen Stützpunkten in Dschibuti. Das könnten land- oder seegestützte Operationen sein oder eine Kombination. Die zweite Möglichkeit wäre eine Ausweitung des Auftrags/Mandats der „Atlanta“ Mission um einen Schutz der Handelsschifffahrt vor den Angriffen der Huthis. Ein solcher Schutz könnte – wie auch schon beim Kampf gegen die Piraten- durch eine Art „Geleitzüge“ organisiert werden. Handelsschiffe würden sich außerhalb der bislang üblichen Reichweite der Huthi-Operationen sammeln und dann, eskortiert von Kriegsschiffen durch das Rote Meer und den Suez-Kanal zum Mittelmeer fahren. Die dritte und aus meiner Sicht besonders erfolgversprechende Option wäre eine Kombination aus Kräften von Stützpunkten in Dschibuti und einer um das Mandat „Schutz vor Huthi-Angriffen“ erweitere „Operation Atlanta“.

Diese Vorgehensweise wäre durch die UN-Resolution 2722 zweifelsfrei gedeckt, würde den Waffenstillstand zwischen den Huthis und Saudi-Arabienweniger gefährden und vor allem auch die Gefahr einer Eskalation deutlich verringern.

Man muss davon ausgehen, dass die Huthis, wie auch die Hamas, erst dann einlenken, wenn es aus ihrer Sicht akzeptable Verhandlungsangebote für einen Waffenstillstand im Nahostkrieg gibt. Da dafür aktuell keine Anzeichen zu erkennen sind, ist es dringend geboten, eine Alternative zu den amerikanischen und britischen Luftangriffen zu versuchen, bevor die militärische Situation „aus dem Ruder läuft“ und die Folgen der unterbrochenen Handelsketten für Europa nicht eine Dimension erreichen, wie im März 2021 durch den vom Containerschiff „Ever Given“ blockierten Suez-Kanal. Die EU sollte initiativ werden und sich wegen der Stützpunkte in Dschibuti auch mit China, Japan und Saudi-Arabien kurzschließen.

Das gilt für gemeinsame Militäroperationen und diplomatische Lösungen gleichermaßen.

Greven. 14. Januar 2024

Jürgen Hübschen

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Deutsche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien –  verjährt Mord nur im Inland nicht?

Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht,so heißt es im §78 das deutschen Strafgesetzbuches.

Gilt dieser Grundsatz nur im Inland oder ist er auch gegenüber Mördern im Ausland relevant? Diese Frage stellt sich im Zusammenhang mit deutschen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien in Bezug auf den de facto Herrscher des Königsreichs am Golf, Kronprinz Mohammed bin Salman.

Kurzer Rückblick auf wesentliche Ereignisse in Saudi-Arabien seit 2011

Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr

Im Jahr 2011 gab es auch in Saudi-Arabien Demonstrationen im Zusammenhang mit dem s.g. „Arabischen Frühling“. Wichtigster Anführer der Proteste war der schiitische Geistliche Nimr al- Nimr, der die Abspaltung der östlichen Regionen Katif und Al-Ihsaa befürwortet hatte, weil dort in dem sunnitisch dominierten Königreich die rund 2 Millionen Schiiten des Landes leben. Für seine Aktionen wurde der Prediger verhaftet, 2014 wegen Aufwiegelung, Ungehorsam und Waffenbesitz zum Tode verurteilt und im Januar 2016 mit weiteren 46 Angeklagten hingerichtet. Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei drohte daraufhin mit „der Rache Gottes“. Es kam zu großen Demonstrationen in Teheran, die dazu führten, dass die saudische Botschaft in Brand gesteckt wurde. Letztlich führte diese Entwicklung zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi- Arabien, die erst 2023 wieder aufgenommen wurden.

Der saudische Krieg gegen den Jemen

Zwischenzeitlich hatte Saudi-Arabien auf Weisung von Kronprinz Mohammed bin Salman im März 2015 den Jemen angegriffen. Die Operation „Sturm der Entschlossenheit“ richtete sich gegen die Huthis, die vom Iran unterstützt wurden und werden. Nach mehr als 7 Jahren Krieg gab es 2022 erste Verhandlungen zwischen den Huthis und Saudi-Arabien, auch weil Riad den Kampf nicht für sich entscheiden konnte. Aktuell gibt es einen Waffenstillstand, aber die Gespräche sind wohl momentan ins Stocken geraten. Nach einem UN-Bericht aus dem Jahr 2021 starben im Jemen bislang 377.000 Menschen, davon 70% Kinder unter 5 Jahren. 24 Millionen Jemeniten, also 80% der Bevölkerung, sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, 2,2 Millionen Kinder leiden nach UNICEF Angaben an Unterernährung.

Die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi

Am 02. Oktober 2018 wurde der saudische Journalist Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet.  Er hatte dort Dokumente für seine Hochzeit mit einer Türkin abholen wollen. Nach einem Bericht der CIA wurde die Ermordung Kashoggis vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) nicht nur gebilligt, sondern angeordnet. Auch der US Senat hatte MbS einstimmig in einer Resolution als „verantwortlich für den Mord Kashoggis“ bezeichnet.

 Die Bundesregierung reagierte auf die Ermordung des Journalisten bereits im November 2018 mit klaren Maßnahmen. Sie stoppte alle Rüstungsexporte in das Königreich und verhängte gegen 18 saudische Staatsangehörige Einreisesperren. Die Betroffenen stünden mutmaßlich in Verbindung zu der Tat, so hatte der damalige Außenminister Heiko Maas die Maßnahme am Rande eines EU-Treffens in Brüssel begründet. Bei den betroffenen Personen handelte es sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes um das mutmaßliche 15-köpfige Mordkommando, sowie um drei weitere Personen, die im Verdacht stehen, an der Organisation des Mordes mitbeteiligt gewesen zu sein.

Den Stopp der Rüstungsexporte begründete die Bundesregierung außer mit der Ermordung Kashoggis zusätzlich mit dem saudischen Krieg im Jemen.

Die neue Politik der Bundesregierung gegenüber Saudi-Arabien

Jetzt hat die Bundesregierung in ihrer Politik gegenüber Saudi-Arabien eine Kehrtwendung um 180° vollzogen und den Exportstopp für deutsche Waffen aufgehoben.

Sie hat der von Großbritannien geplanten Lieferung von 48 Eurofightern zugestimmt. Diese Genehmigung war erforderlich, weil Deutschland neben Italien und Spanien an diesem Rüstungsprojekt beteiligt ist. Die deutsche Außenministerin verwies bei ihrem aktuellen Besuch in Jerusalem darauf, dass die saudische Luftwaffe gegen Israel gerichtete Raketen der Huthi-Miliz im Jemen abschieße. Damit trage Saudi-Arabien maßgeblich auch in diesen Tagen zur Sicherheit Israels bei und dämme die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes ein, sagte die Frau Baerbock nach Gesprächen mit Israels Präsident Izchak Herzog und Israel Katz, dem neuen Außenminister des Landes. „Gerade deshalb sehen wir nicht, dass wir uns als deutsche Bundesregierung den britischen Überlegungen zu weiteren Eurofightern für Saudi-Arabien entgegenstellen“, erklärte die Ministerin.

Zusätzlich will Deutschland 150 Luft-Luft-Lenkflugkörper vom Typ „IRIS-T“ an das Königreich liefern, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit bestätigte.  

Dieser Kurzstrecken Luft-Luft-Flugkörper wird gegen feindliche Kampfflugzeuge eingesetzt, also, wenn man so will, im Luftkampf.

Eigentlich widerspricht dieser Rüstungsexport der nach wie vor geltenden Rechtsposition Deutschlands, keine Rüstungsgüter in Kriegs- oder Krisengebiete zu liefern. So steht es expressis verbis sogar noch einmal im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Dort heißt sogar noch wesentlich konkreter:  „Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind„.

Die Begründung der deutschen Außenministerin für diese politische Kehrtwende lautet:  Saudi-Arabien habe sich gewandelt und erfülle inzwischen eine wichtige Funktion bei der Unterstützung Israels im Kampf gegen die palästinensische Hamas.

Nach einem Bericht des Spiegels habe die Bundesregierung für die erneute Aufnahme von Waffenexporten nach Saudi-Arabien bereits die Genehmigung erteilt.

Der Bundessicherheitsrat – ein Kabinettsausschuss, der auch für Rüstungsexporte zuständig ist – habe die Genehmigung dafür bereits Ende des vergangenen Jahres erteilt, schreibt das Magazin. Das gehe aus einer Mitteilung hervor, die das Ministerium von Robert Habeck an den Wirtschaftsausschuss des Bundestages verschickt habe.

Habeck selbst wollte die Entscheidung des Bundessicherheitsrates nicht kommentieren, sondern erklärte lediglich: „Aber wir schauen bei allen Entscheidungen auf zwei Dinge: Erstens, ob andere Partner, etwa die Ukraine, nicht einen notwendigeren Bedarf haben, und zweitens, ob diese Waffen in einer komplizierter gewordenen Welt zum Schutz, zur Deeskalation beziehungsweise zur Stabilität beitragen können.“

Bewertung der politischen Kehrtwende der Bundesregierung

Die saudischen Luftstreitkräfte verfügen insgesamt über 364 Kampfflugzeuge, davon 72 „Eurofighter“. Die deutsche Luftwaffe hat aktuell 231 Kampfflugzeuge im Bestand. Man kann also in diesem Zusammenhang feststellen, dass weitere „Eurofighter“ für die Verteidigung Saudi-Arabiens sicherlich nicht erforderlich sind.

Außerdem ist bekannt, dass das Königreich alle Flugzeugmuster, als auch den „Eurofighter“ in dem von Riad begonnenen Krieg im Jemen einsetzt, auch wenn dort aktuell ein – wenn auch fragiler-Waffenstillstand herrscht. Annalena Baerbock stellte diesbezüglich kürzlich fest, gerade Saudi-Arabien kenne schon seit geraumer Zeit die Gefahr, die von den Huthi für die Sicherheit in der Region ausgehe. „Dass die saudische Luftwaffe dabei auch Eurofighter einsetzt, ist, glaube ich, ein offenes Geheimnis“. Aktuell haben britische und amerikanische Kampfflugzeuge erstmalig Einrichtungen der Huthis im Jemen angegriffen. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in Zukunft auch die saudischen Luftstreitkräfte an solchen Angriffen beteiligen.

Zweifel an der Notwendigkeit der Lieferung von Luft-Luft-Raketen des Typs „IRIS-T“ sind noch berechtigter, weil diese ja für den Luftkampf konzipiert sind, also für den Einsatz gegen feindliche Luftstreitkräfte. Ein drohender Krieg, für den Saudi-Arabien diese Waffen bräuchte, ist nicht erkennbar, wohl aber der Wunsch Riads, seine militärischen Fähigkeiten auf dem Weg zu einer dominierenden Regionalmacht weiter auszubauen.

Kein Wunder, dass die Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang sich im RBB24 Inforadio gegen die Lieferung von Eurofightern an Saudi-Arabien ausgesprochen hat: „Mit Blick auf die Menschenrechtssituation, auch auf die innere Verfasstheit Saudi-Arabiens, finde ich eine Lieferung von Eurofightern nach wie vor falsch. Ich fände es richtig, wenn wir bei der Position bleiben, dass keine Eurofighter an Saudi-Arabien geliefert werden.“

Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Sara Nanni, gab sich im Interview mit dem „Spiegel“ irritiert. „Die Meldung überrascht. Die Bundesregierung hat sich noch im Sommer dazu bekannt, keine Eurofighter an Saudi-Arabien zu liefern.“ Dies sei aus guten Gründen geschehen. „Es ist keine fünf Jahre her, da hat die von den Saudis geführte Allianz den Jemen großflächig bombardiert.“

Noch im Oktober 2023 hatte die deutsche Außenministerin dieselbe Position wie ihre Parteikolleginnen, als sie auf dem Parteitag der Grünen sagte: „Wir liefern direkt nicht nach Saudi-Arabien, ein Land wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden“. Knapp 3 Monate später war Annalena Baerbock offensichtlich zu völlig anderen Erkenntnissen gelangt und stellte fest, die Regierung in Riad zeige ihre Bemühungen um eine bessere Zukunft in der Region. Die Ministerin nannte es bemerkenswert, dass Israel und Saudi-Arabien ihrem Normalisierungskurs nach den Terrorattacken der islamistischen Hamas am 7. Oktober keine Absage erteilt hätten. „Dass Saudi-Arabien jetzt Raketen und Drohnen abfängt, die die Huthi auf Israel abschießen, unterstreicht dies, und dafür sind wir dankbar.“

Fazit: Die Entscheidung der Bundesregierung, den Waffenexport an Saudi-Arabien, der eigentlich erst 2025 einer erneuten Überprüfung unterzogen werden sollte, aufzuheben, ist ein Fehler. Die Begründung für den 180° Schwenk ist nicht nachvollziehbar, vor allem auch deswegen nicht, weil Saudi-Arabien die genannten Waffen zu seiner Verteidigung überhaupt nicht braucht.

Seit Januar 2024 ist Saudi-Arabien Mitgliedsland des „BRICS“, einer Vereinigung, die von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika geschaffen wurden und daher ihren Namen trägt. Neben Saudi-Arabien wurden auch Ägypten. Argentinien Äthiopien, Iran, und die Vereinigten Arabischen Emirate, in die Vereinigung aufgenommen, die sich nicht zuletzt als Gegengewicht zu den USA und auch zur EU versteht.

Das ölreiche Saudi-Arabien importiert übrigens- trotz den Russischen Krieges gegen die Ukraine- für den Eigenbedarf Öl zu einem besonders günstigen Preis aus Russland. Dafür exportiert das Königreich Erdöl aus der eigenen Förderung zu einem deutlich höheren Preis für den Weltmarkt. Ein vertrauenswürdiger Partner „des Westens“ ist Saudi-Arabien vermutlich nicht.

Die generellen Gründe für einen Exportstopp von Waffen gelten unverändert. Deutschlands Grundsatz lautet: Keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern. Es bestehen keine Zweifel, dass diese Kriterien auf Saudi-Arabien uneingeschränkt zutreffen.

Kronprinz Mohammed Bin Salman ist weiterhin der Führer Saudi-Arabiens und wurde für den Mord an Jamal Kashoggi nicht zur Rechenschaft gezogen.

Der Krieg im Jemen ist nicht beendet, und vor dem Hintergrund der britischen und amerikanischen Luftangriffe gegen die Huthis besteht die Gefahr, dass der fragile Waffenstillstand nicht mehr lange Bestand hat.

Hinzu kommt, dass die Menschenrechte in Saudi-Arabien immer noch nicht garantiert sind. 2023 wurden in Saudi-Arabien nach China und Iran die meisten Menschen hingerichtet.

Unabhängig von diesen Argumenten benötigt Israel die militärische Unterstützung Saudi-Arabiens im Kampf gegen die Hamas nicht. Außerdem ist die militärische Unterstützung Israels durch die Saudis für das Königreich innenpolitisch und außenpolitisch auch in der übrigen arabischen Welt konterproduktiv, weil die Muslime weltweit auf der Seite der Palästinenser stehen. Deshalb ist es den Potentaten in Riad vermutlich gar nicht recht, dass Deutschland die Aufhebung des Waffenexportstopps mit der saudischen Unterstützung für Israel begründet.

Letztlich praktiziert die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung knallharte Realpolitik und macht damit klar, dass Mord in Deutschland zwar nicht verjährt, gegenüber Saudi-Arabien und seinem Kronprinzen MbS aber offensichtlich doch und zwar bereits nach 5 Jahren!

Greven, am 12. Januar 2024

Jürgen Hübschen

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Die Ukraine hat den Krieg verloren- nur keiner „im Westen“ sagt es

Dass die Ukraine den Krieg militärisch verloren hat, ist spätestens seit ihrer gescheiterten Frühlings-/Sommer Offensive offensichtlich. Mittlerweile muss allerdings davon ausgegangen werden, dass Kiew den Kampf gegen Russland auch politisch nicht mehr gewinnen wird, dass der Krieg also insgesamt verloren ist. Stellt sich die Frage, warum das niemand im „Westen“ sagt oder wahrhaben will.

Die Gründe dafür sind sicherlich vielfältig und sowohl innenpolitischer als auch außenpolitischer Natur.

Kurze Bilanz der bisherigen Entwicklung

Russland hatte 2014 die Krim annektiert, und in einem 2014 offen ausgebrochenen Bürgerkrieg hatten bis 2022 bereits 14.000 Menschen der russischen Bevölkerungsgruppe im Donbass ihr Leben verloren hatten. „Der Westen“ hatte nachweislich seit 2008 die Ukraine nicht nur durch Waffenlieferungen unterstützt, sondern die ukrainischen Streitkräfte in gemeinsamen Ausbildungsvorhaben und Manövern militärisch aufgerüstet. Moskau hatte diese Aktivitäten beobachtet und durch große Truppenansammlungen an der russisch-ukrainischen Grenze seit Mitte 2021 signalisiert, dass man diese Entwicklung nicht weiter hinnehmen und vor allem einen möglichen Beitritt der Ukraine zur NATO nicht akzeptieren würde. Trotzdem wurden verschiedene russische Gesprächsangebote vom „Westen“ ignoriert, so dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass es besonders die USA darauf ankommen ließen, ob Russland wirklich „ernst machen“ würde oder es sogar darauf angelegt hatten, dass Moskau militärisch eingreifen würde, um dann die Ukraine dabei zu unterstützen, Russland eine Niederlage in diesem Krieg zuzufügen, der von Beginn an ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland werden würde oder eben sein sollte.  Am 24. Februar 2022 griffen russische Truppen völkerrechtswidrig die Ukraine an, und damit hatte Washington genau das erreicht, womit man kalkuliert oder das man sogar gewollt hatte. Anfangs schien die Rechnung aufzugehen, und Russland zahlte für seinen Angriff einen hohen materiellen und auch personellen Preis. Moskau hatte nämlich die Lage völlig falsch beurteilt und geglaubt, man könne praktisch „in einem Spaziergang“ und mit der Unterstützung der Bevölkerung die ukrainische Regierung gegen eine Russland freundliche Variante ersetzen.

Doch im Herbst 2022 wendete sich das Blatt, weil Moskau seine falsche Lagebeurteilung korrigierte. Während „der Westen“ immer noch glaubte, Russland militärisch schlagen zu können und die Ukraine durch immer umfangreichere Waffenlieferungen dabei unterstützte, hatte Moskau seine Strategie geändert und war von einer Offensive in die Verteidigung der eroberten Gebiete übergegangen. Man kann also in einer Zwischenbilanz zum Ende 2022 feststellen, dass Russlands den Krieg mit einer falschen Lagebeurteilung begonnen hatte, aber flexibel genug war, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Diese Erkenntnis hatte „der Westen“ nicht, sondern setzte weiterhin auf einen Sieg der Ukraine nach dem Motto, „egal, wie lange es dauert und egal, wieviel es kostet“. Der endgültige Sieg sollte durch eine ukrainische Offensive ab Juni 2023 errungen werden, obwohl sich die Lage bereits in vielerlei Hinsicht verändert und für die Ukraine trotz der massiven militärischen und finanziellen Unterstützung „des Westens“ dramatisch verschlechtert hatte. Es hatte zwar auf beiden Seiten große personelle Verluste gegeben, die aber auf russischer Seite wegen der größeren Ressourcen leichter zu verkraften waren. Fachleute gehen davon aus, dass neben der nicht genau bekannten Anzahl von Gefallenen auf beiden Seiten etwa 10% der ukrainischen Gesamtbevölkerung von der Situation in den Streitkräften irgendwie betroffen waren. Fast 80 % davon hatten entweder Freunde oder Familienmitglieder, die gefallen waren oder verwundet wurden. Man geht davon aus, dass mittlerweile 30.000 oder noch mehr ukrainische Soldaten Gliedmaßen verloren haben also amputiert werden mussten und damit auf Dauer kampfunfähig sind. Zu Beginn des Krieges hatte die Ukraine eine Bevölkerung von c. 31 Million. Mittlerweile sind mehr als 6 Millionen in „den Westen“ geflohen, ca. 2 Millionen nach Russland und etwa 8 Millionen haben innerhalb der Ukraine ihre Heimat verloren. Das Potential an wehrfähigen Männern ist weitgehend erschöpft, auch ,weil viele junge Ukrainer sich ins Ausland abgesetzt haben. Allein in Deutschland sollen sich etwa 200.000 Ukrainer im wehrfähigen Alter aufhalten. Die Militärführung der Ukraine spricht von einem dringenden Bedarf von zusätzlich etwa 500.000 Mann, um das aus ihrer Sicht noch vorhandene militärische Patt auf dem Schlachtfeld zu halten. Mittlerweile sind große Teile der Infrastruktur zerstört, die Wirtschaft liegt am Boden, und das Land ist bankrott, lebt nur noch von der finanziellen Unterstützung „des Westens“ in der Hauptsache von den USA und durch Deutschland. Die demokratische Entwicklung der Ukraine ist gänzlich vorbei. Die Korruption wuchert in allen Bereichen, die Medien sind weitgehend gleichgeschaltet, und die Justiz funktioniert nicht mehr. Von der Opposition hört man ebenso wenig wie vom Parlament. Politisch scheint die Ukraine nur noch aus Präsident Selensky und ein bisschen aus Außenmnister Kuleba zu bestehen. Am 04. Oktober 2022 hatte der ukrainische Präsident z.B. Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verboten, nachdem dieser die Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson annektiert hatte. Das Dekret basierte nicht auf einer Entscheidung des Parlaments, sondern auf einem Beschluss des „Rates für Sicherheit und Verteidigung“. Selenskyj leitet diesen Rat, der sich aus Regierungsmitgliedern und den Chefs von Armee und Geheimdiensten zusammensetzt. Die eigentlich für März 2024 geplanten Wahlen wurden ebenfalls ohne Beteiligung des Parlaments durch Anweisung des Präsidenten auf unbestimmte Zeit mit der Begründung verschoben, im Krieg könne man nicht wählen.

In Russland ist ebenfalls der Präsident die dominierende Person allerdings mit dem Unterschied, dass es sich in Russland um ein totalitäres System handelt, während die Ukraine von sich behauptet, eine Demokratie zu sein. Präsident Putin hat seine Position nach einigen Schwierigkeiten, z.B. durch Prigoshin, den Chef der Wagner Söldner, wieder gefestigt und wird von ca. 70% der Bevölkerung unterstützt. Diejenigen, die über die „Spezialoperation“ anders denken, bilden keine geschlossene Opposition und haben keine Chance zur politischen Veränderung, weil Russland eben nicht demokratisch regiert wird. Die vom „Westen“ gegen Russland verhängten Sanktionen sind offensichtlich weitgehend verpufft, und es gibt Stimmen in Russland, die ironisch behaupten, man solle US Präsident Biden für diese Sanktionen dankbar sein, weil Russland in seiner Geschichte dadurch noch nie zuvor eine solche Fähigkeit zur Innovation entwickelt habe. In der russischen vom Staat gelenkten Industrie wurde erfolgreich auf Kriegswirtschaft umgestellt, so dass es keinerlei Verknappungen bei Waffensystemen, Munition, Raketen oder Drohnen zu geben scheint. Nach einer Meldung der Frankfurter Rundschau legte das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal 2023 um 5,5 % zu.

Gesamtlage zum Jahresbeginn 2024

Die militärische Lage

Zum Jahresbeginn 2024 hat Russland seine Luftangriffe auf die Infrastruktur der Ukraine verstärkt, ohne dass die ukrainische Luftverteidigung das letztlich verhindern kann. Es gibt zwar immer wieder Aussagen darüber, wie viele russische Drohnen und/oder Raketen abgeschossen wurden, aber niemand kann diese Angaben überprüfen. Es werden immer wieder Schäden an Wohnblocks und andere zivilen Objekten gezeigt, aber die Anzahl der dabei getöteten und /oder verletzten Zivilisten beweist, dass Russland derartige Einrichtungen nicht direkt angreift, weil sonst die Verluste in der Zivilbevölkerung viel höher wären. Die Ukraine verbraucht zu Abwehr russischer Luftangriffe sehr viel Munition und vor allem auch Raketen, die „der Westen“ nicht in ausreichender Zahl nachliefern kann. Es findet hier, ebenso wie an der Front, ein klassischer Abnutzungskrieg statt, den Russland auf Grund seiner Ressourcen so lange fortsetzen kann und wird, wie Moskau sich das vorstellt. Am Boden können die russischen Streitkräfte eigene Verluste minimieren, weil diese durch eine hervorragend gestaffelte Verteidigung weitgehend geschützt sind. Wann immer die ukrainischen Streitkräfte gegen diese vor allem auch durch umfangreiche Minenfelder gesicherten russischen Linien vorgehen, erleiden sie erhebliche personelle Verlusten, die sie mittlerweile nicht mehr ausgleichen können. Moskau kennt die Lage auf dem Gefechtsfeld auf Grund der Beherrschung des Luftraums und hervorragender Aufklärungsmittel sehr genau und muss eigentlich nur noch abwarten bis die ukrainischen Streitkräfte vollständig geschlagen sind. Daran werden auch die punktuellen erfolgreichen ukrainischen Angriffe gegen Ziele auf russischem Territorium oder im Schwarzen Meer nichts ändern.

„Der Westen“ gibt mittlerweile mehr oder weniger offen zu, dass die Ukraine den Krieg militärisch nicht gewinnen kann, begründet aber die immer noch erfolgenden Waffenlieferungen jetzt damit, dass die Ukraine dadurch in die Lage versetzt würde, eine eventuelle Verhandlungsposition zu verbessern. Dabei ist jedem Fachmann klar, dass vor allem die Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte immer nur punktuell eine Entlastung an der Front schaffen, falls überhaupt. Dafür sind neben der Anzahl vor allem die fehlende Logistik, als nicht vorhandene Nachschublinien verantwortlich. Einfach gesprochen kann z.B. ein gelieferter „Leopard“ nur so lange eingesetzt werden bis die notwendige Wartung ansteht oder irgendein Bauteil ersetzt werden muss. Es gibt keine ausreichend ausgebildeten ukrainischen Mechaniker und auch keine Feldinstandsetzung.  Nicht mehr einsatzbereite „Leos“ oder andere schwere deutsche Waffen, wie z.B. die Panzerhaubitze 2000 oder der „Gepard“ müssen entweder in deutsche Instandsetzungseinrichtungen in der Slowakei oder nach Litauen verbracht werden. Welcher Zeitaufwand dafür zu veranschlagen ist und wie risikoreich der Hin- und Rücktransport ist, liegt auf der Hand. Die Logistik und die Instandsetzung der schweren Waffen wird natürlich auch dadurch verschärft oder vielleicht sogar nicht möglich, weil viel zu viel verschiedene Waffensysteme im Einsatz sind, weil diese ja von sehr vielen Ländern geliefert wurden, die ihre eigenen Streitkräfte sehr unterschiedlich ausgerüstet haben. Und noch ein Wort zu den immer wieder genannten Lieferungen von F-16 Kampfflugzeugen, von denen vor allem aktuell immer die Rede ist. Die ukrainischen Piloten, die bereits an diesem Kampfflugzeug ausgebildet werden, können das Flugzeug am Ende ihrer Ausbildung zwar fliegen, aber deswegen noch lange nicht einsetzen. Dazu gehört nicht nur das Umsetzen von Einsatztaktiken und das Erkennen der russischen Abwehrmöglichkeiten, sondern vor allem auch eine für dieses Flugzeug geeignete Infrastruktur an den ukrainischen Fliegerhorsten, eine funktionierende Logistigkette und vor allem auch gut ausgebildetes und erfahrenes Wartungspersonal. Das ist übrigens ein Grund, warum Dänemark die für Januar 2024 zugesagte Lieferung von F-16 um 6 Monate verschoben hat. Last, but not least ist jedes Kampfflugzeug entscheidend gefährdet und nur begrenzt einsetzbar, wenn, wie in der Ukraine, der Luftraum vom Gegner beherrscht wird.

Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, General Saluschnyi sagte im November 2023 in einem Interview mit dem britischen Economist:

  •  „Wie im ersten Weltkrieg haben wir ein Niveau der Technologie erreicht, das uns in eine Sackgasse bringt.“
  • Der Krieg stecke angesichts der gegenwärtigen „militärischen Parität“ der russischen und ukrainischen Armee fest.
  • „Es wird aller Wahrscheinlichkeit nach keinen tiefen und schönen Durchbruch geben.“
  • Ändern könne sich das nur, wenn die Ukraine Luftüberlegenheit und mehr Ausrüstung für das Räumen der bis zu 20km tiefen russischen Minenfelder bekomme, mehr Artilleriemunition und bessere Ausrüstung zur Störung der effektiven russischen Elektronik, und zudem mehr Ukrainer einziehen und trainieren könne.
  • All dies sei umso notwendiger, weil das gegenwärtige Patt es Russland ermögliche, „seine militärische Macht wiederherzustellen und aufzubauen.“
  • Trotz hoher Verluste behalte Moskau seine „Überlegenheit in Waffen und Ausrüstung, Raketen und Munition für beachtliche Zeit, während die Fähigkeiten seiner Militärindustrie wachsen.“
  • Zwar steigerten auch Kiews Partner die Produktionskapazität von Waffen und Munition dramatisch, doch daure dies je nach Waffen-oder Munitionstyp ein oder auch zwei Jahre.

Die politische Lage

Spätestens seit dem NATO-Gipfel vom Juli 2023 in der litauischen Hauptstadt ist klar- vermutlich sogar dem ukrainischen Präsidenten- dass die Ukraine niemals ein Mitglied der NATO werden wird, weil das einen Krieg zwischen Russland und den USA zur Folge haben würde. Was einen möglichen Beitritt der Ukraine zur EU angeht, so ist dieser in weiter Zukunft theoretisch möglich. Auf dem EU-Gipfel am 14. Dezember 2023 haben die EU-Staaten beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine (und Moldawien) aufzunehmen. Diese Entscheidung, für die ein einstimmiges Votum erforderlich war, gelang nur mit dem Trick, indem der ungarische Präsident Orban vorher den Raum verlassen und nicht mit abgestimmt hatte. Dieses bühnenreife Theater muss als Signal dafür gewertet werden, dass ein EU-Beitritt der Ukraine insgesamt wenig realistisch ist.

Ob die finanzielle und auch militärische Unterstützung durch die USA und die EU auch weiterhin gewährleistet ist, muss bezweifelt werden. Präsident Biden hat bislang kein grünes Licht vom Kongress, die Ukraine 2024 auch nur annähernd so massiv finanziell und militärisch zu unterstützen, wie das bislang der Fall gewesen ist. In diesem Zusammenhang spielt auch der Nahostkrieg eine Rolle, in dem Israel zwingend auf die militärische Unterstützung der USA angewiesen ist. Es ist durchaus möglich, dass sich der US-Präsident im amerikanischen Wahljahr zwischen einer finanziellen und militärischen Unterstützung Israels und der Ukraine entscheiden muss. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass es Israel sein wird. Damit müsste Europa sozusagen in die Bresche springen, falls man noch immer nicht bereit sein sollte, Präsident Selensky an den Verhandlungstisch zu zwingen. Das Problem dabei wäre neben der Tatsache, dass die Europäer gar nicht in der Lage wären, die amerikanische Militärhilfe zu kompensieren, dass die EU sich in ihrer Ukraine- und Russlandpolitik überhaupt nicht einig ist. Neben Ungarn geht jetzt auch die Slowakei auf Distanz, was weitere Waffenlieferungen an die Ukraine angeht.

Die politische Alternative zu den zu erwartenden Problemen sind Verhandlungen mit Russland, die Präsident Selensky nach wie vor ablehnt, entweder in totaler Selbstüberschätzung oder weil die USA und vielleicht auch GB dafür noch kein grünes Licht gegeben haben, weil das ja letztlich das Eingestehen einer Niederlage wäre. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es bereits im März 2022 in der Türkei Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gegeben hat, die nach dem Besuch des damaligen britischen Premierminister Johnson am10. April 2022 in Kiew auf Druck aus Washington und London abgebrochen wurden. Russland selbst – das mag Beobachtern gefallen oder nicht – hat überhaupt keine Veranlassung, irgendwelche Gespräche anzubieten, falls dafür weiterhin Vorbedingungen gestellt werden. In einer Rede hatte Präsident Putin am 15. Dezember 2023 seine Grundforderungen noch einmal formuliert:

  • Entmilitarisierung der Ukraine
  • Entnazifizierung der Ukraine
  • Neutralität der Ukraine

Moskau wird die Krim nicht zurückgeben und für die anderen aktuell besetzten/annektierten Gebiete mit überwiegend russischer Bevölkerung maximal eine zeitlich befristete internationale Verwaltung mit anschließender Volksabstimmung akzeptieren

Zusammenfassung

Die weltpolitische Lage hat sich seit Beginn des Ukrainekrieges ganz entscheidend verändert und für „den Westen“ deutlich verschlechtert. Die vom „Westen“ auf Initiative der USA angestrebte Isolierung Russlands hat nicht funktioniert, sondern zur Bildung von für „den Westen“ nachteiligen neuen Bündnissen geführt. Russland und China sind näher zusammengerückt, und der Iran hat sich diesen beiden Staaten angeschlossen. Immer mehr Staaten schließen sich dem BRICS- Bündnis an oder bewerben sich um eine Mitgliedschaft. In Afrika gewinnen Russland und China zunehmend an Einfluss und zwar zu Lasten „des Westens.“ Mali ist aktuell dafür das deutlichste Beispiel.

Die wirtschaftliche Situation hat sich vor allem in Deutschland durch die neue Energiepolitik deutlich verschlechtert. Statt des billigen russischen Gases importiert Deutschland jetzt u.a. das deutlich teurere amerikanische LNG-Gas, obwohl dieses durch das von Deutschland abgelehnte Fracking-Verfahren gewonnen wird.

Die USA und mit ihr die westlichen Verbündeten wollen nicht zugeben, dass sie im Ukrainekrieg gescheitert sind und auch ihre einseitige anti-russische Strategie erfolglos oder besser gesagt sozusagen ein Schuss ins eigene Knie war und weiterhin ist. Ausschließlich auf die militärische Karte zu setzen, war völlig falsch und das damit verbundene Ignorieren einer diplomatischen Lösung ein kaum noch zu reparierender Fehler.

„Der Westen“ hat zwar immer wieder behauptet, in der Ukraine würde auch seine Freiheit verteidigt, hat aber die ukrainischen Soldaten und auch die Zivilbevölkerung dafür den Preis bezahlen lassen.  Durch umfangreiche Waffenlieferungen und massive finanzielle Hilfe hat man dabei das eigene Gewissen beruhigt.

Es ist an der Zeit, dass vor allem Washington einsieht, dass dieser Stellvertreterkrieg gegen Russland definitiv verloren ist, so wie die amerikanischen Kriege in Vietnam, im Irak und auch in Afghanistan verloren wurden und die USA auch in Libyen und Syrien mit ihren Einsätzen gescheitert sind.

Außerdem müssen die USA und auch die EU endlich begreifen, dass Präsident Selensky kein geeigneter ukrainischer Verhandlungsführer für Gespräche mit Russland ist. Das hat er spätestens durch sein Interview bewiesen, dass er zum Jahresende dem britischen „Economist“ gegeben hat, in dem er „dem Westen“ für den Fall, dass die Ukraine den Krieg verlieren würde, prophezeite: „Putin wird Euch alle zum Abendessen fressen samt Eurer EU, NATO, Freiheit und Demokratie.“

Es muss jetzt gehandelt werden, bevor Russland weitere ukrainische Gebiete mit überwiegend russischer Bevölkerung besetzt und sich dadurch die Verhandlungsposition „des Westens“ noch weiter verschlechtert.

Greven, 07. Januar 2024

Jürgen Hübschen

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Die ersten israelischen Soldaten verlassen den Gazastreifen- Rückzug, Abzug oder lediglich eine Variante des Krieges?

Versuch einer Analyse

Am 31. Dezember 2023 sind die ersten israelischen Soldaten aus dem Gazastreifen nach Israel zurückgekehrt. Ob es in absehbarer Zeit weitere Truppenreduzierungen geben wird, bleibt abzuwarten. Jetzt stellt sich erst einmal die Frage, ob es sich bei der aktuellen Reduzierung um einen Abzug oder einen Rückzug handelt und was die Gründe für die Verringerung der israelischen Truppen im Gazastreifen sind. Hat Israel seine Kriegszeile erreicht oder diese aufgegeben oder handelt es sich lediglich um eine neue Phase dieses Krieges? Ist es ein Signal an die eigene Bevölkerung, dass auch dieser Krieg ein Ende haben wird? Hat die israelische Regierung sich eigenständig zu diesem Schritt entschlossen oder ist dieser auf Druck der US-Regierung und der zunehmenden weltweiten Kritik an der Art der israelischen Kriegsführung erfolgt, durch die mittlerweile ca. 22.000 Palästinenser, darunter fast die Hälfte Frauen und Kinder zu Tode gekommen sind.  Oder war der Grund die zunehmende Gefahr einer Regionalisierung des Krieges und damit möglicher neuer Fronten für Israel, für die man ebenfalls Soldaten benötigen würde?

Mögliche Gründe für die Verringerung der militärischen Präsenz Israels im Gazastreifen

Mögliche Innenpolitische Gründe

Zunächst einmal kann es für die Entscheidung handfeste innenpolitische Gründe geben.

Die evakuierten Menschen

 Da ist in erster Linie die Evakuierung von ca. 100.000 israelischen Bürgern aus den Grenzgebieten zum Gazastreifen und zum Libanon zu nennen. Diese Menschen sind in sicherere Regionen Israels gebracht worden und leben dort hauptsächlich in großen Hotelanlagen. Die Kosten dafür trägt die Regierung. Aber neben der finanziellen Belastung des Staates gibt es natürlich auch Probleme mit der Versorgung dieser Menschen, nicht mit Nahrungsmitteln, sondern mit allen anderen Gütern des täglichen Bedarfs. Die Evakuierten konnten beim Verlassen ihrer Häuser und Wohnungen ja nur das Nötigste mitnehmen, und die Kinder haben ihre Kitas und Schulen verlassen müssen. Die sozialen Spannungen, die sich für die betroffenen Menschen zunehmend ergeben, werden natürlich noch dadurch verschärft, dass viele der Evakuierten Angehörige bei der kämpfenden Truppe haben oder die zu den Geiseln gehören, die sich immer noch in den Händen der Hamas oder anderer islamistischer Gruppen befinden.

Das Schicksal der israelischen Geiseln

Die Zahlen der noch immer in der Hand der Hamas und anderer islamistischer Organisationen befindlichen Geiseln sind nicht genau bekannt, aber es dürften immer noch zwischen 100 und 110 Personen sein.  Niemand weiß, wie es den Geiseln geht, und die Sorgen der Angehörigen wachsen mit jedem weiteren Tag, vor allem, weil wiederholt tote Geiseln gefunden wurden, bzw. drei sogar von israelischen Soldaten erschossen wurden.

Dazu kommt, dass viele der freigelassenen Geiseln von Misshandlungen durch Angehörige der Hamas sprechen. In wieweit diese Aussagen zutreffen, kann man nicht beurteilen.

Die Belastungen der israelischen Wirtschaft

Neben den Kosten für die Kriegsführung geht das israelische „Taub Center for Social Policy Studies“ von einem Rückgang der israelischen Wirtschaft von mehr als 2% aus, Tendenz steigend. Hauptgrund dafür sind die für den Krieg eingezogenen Reservisten- man spricht von bis zu 350.000 Soldaten-, die ja in Friedenszeiten alle einer zivilen Beschäftigung nachgehen. Diese Arbeitskräfte fehlen jetzt in allen Wirtschaftsbereichen und natürlich auch in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheits- und auch im Bildungswesen.

Die Entwicklungen im Westjordanland und an der israelisch-libanesischen Grenze

Die israelischen Soldaten, die im Gazastreifen gebunden sind, fehlen natürlich für andere Bereiche, in denen die Sicherheitslage ausgesprochen instabil ist. Das gilt einmal für das Westjordanland, in dem die Siedler ganz offensichtlich- quasi im Windschatten des Gaza-Krieges- immer mehr Gewalttaten gegenüber den Palästinensern begehen und zwar vielfach unter den Augen israelischer Milizen. Aber zum Zweiten trifft es ganz besonders auf das Gebiet südlich der israelisch-libanesischen Grenze zu, also für den Norden Israels. Dort wird die militärische Lage von Tag zu Tag brisanter, so dass man schon fast von einer zweiten Front sprechen kann. Entscheidend hat zur Verschärfung der Lage der Tod des stellvertretenden Führers der Hamas im Libanon, Saleh al-Arouri, beigetragen. Nach bislang vorliegenden Hinweisen wurde er in Beirut mit Hilfe einer israelischen Drohne liquidiert. Mit ihm starben nach Aussage des libanesischen Chefs der Hamas, Ismail Haniyeh, 7 weitere Angehörige der Hamas.

Das Urteil des israelischen Supreme Court

Last, but not least hat auch das aktuelle Urteil des obersten israelischen Gerichts die innenpolitische Lage des Landes verändert und auch die Regierung Netanjahus erheblich geschwächt. Das Gericht hatte mit 8:7 Stimmen ein Gesetz, das die Position der Justiz entscheidend geschwächt hätte, abgelehnt, obwohl das israelische Parlament diesem im Juli zugestimmt hatte. In Israel hatte es monatelang massive Proteste gegen dieses Gesetz gegeben, die nur wegen des Überfalls der Hamas vom 07. Oktober aufgehört hatten. Auch viele Reservisten hatten sich an diesen Demonstrationen beteiligt und angekündigt, nicht mehr für den Dienst in den Streitkräften zur Verfügung zu stehen, falls die Regierung Netanjahus nicht von diesem Gesetz Abstand nehmen würde. Wegen des Krieges hatten sie sich dann doch für die Verteidigung ihres Vaterlandes zur Verfügung gestellt, was aber an ihrer Grundhaltung gegenüber der Regierung nichts geändert haben dürfte.

Mögliche außenpolitische Gründe

Die Haltung der US-Regierung

In einem sehr intensiven Telefongespräch hatte US Präsident Biden den israelischen Premierminister in den Weihnachtstagen noch einmal dringend aufgefordert, seine Strategie zur Eliminierung der Hamas zu ändern. Biden hatte Netanjahu letztlich sogar davor gewarnt, eine Kriegsführung fortzusetzen, bei der immer mehr Zivilisten zu Tode kommen. Er wird dem Premier sicherlich auch klargemacht haben, dass sein Krieg sofort beendet sein würde, falls die USA ihre militärische Unterstützung einstellen würden. Bislang hatte Netanjahu diese amerikanischen Mahnungen und Warnungen in den Wind geschlagen, aber musste mittlerweile wohl einsehen, dass er ohne US-Unterstützung langfristig in einem Krieg scheitern würde, in dem es ihm nicht zuletzt um das eigene politische Überleben geht. Vielleicht hat das Treffen seines wichtigsten Beraters, Ron Dermer, mit dem US-Außenminister Tony Blinken und dem Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan am 26. Dezember 2023 im Weißen Haus zu einem Meinungsumschwung Netanjahus geführt. In diesem Gespräch war Israel noch einmal nachdrücklich aufgefordert worden, statt des bislang üblichen Bombardements der Infrastruktur im Gazastreifen konkrete Operationen gegen die Kämpfer der Hamas durchzuführen, auch auf die Gefahr hin, größere eigene Verlusten in Kauf zu nehmen. Wörtlich hieße es seitens des Weißen Hauses „maximize focus on high-value Hamas targets.“

Zunehmende Gefahr einer Regionalisierung des Krieges

Eine weitere Sorge der USA und wohl auch Israels ist mit Sicherheit eine mögliche Ausweitung des Krieges. Dabei sieht Washington nicht nur die Entwicklung an der israelisch-libanesischen Grenze, sondern auch z.B. die Liquidierung eines Hamas Führers im Ausland, wie jetzt ganz konkret in Beirut. Es muss in diesem Zusammenhang bezweifelt werden, ob Israel diese Operation vorher mit den USA abgestimmt hat. Washington ist nämlich sehr bemüht, dass es nicht zu einer direkten Konfrontation mit dem Iran kommt, dem stärksten Verbündeten der Hisbollah im Libanon. Weitere Sorgen bereiten Washington sicherlich auch israelische Luftangriffe gegen Ziele in Syrien und zwar nicht nur auf die Flughäfen von Damaskus und Aleppo, sondern auch gegen iranische Milizen in Syrien. Die USA mussten zur Kenntnis nehmen, dass sie als engster Verbündeter Israels selbst ins Fadenkreuz arabischer und iranischer Milizen geraten. Es gab Anschläge gegen US-Einrichtungen in Syrien und vermehrt im Irak. Auch die Raketenangriffe der Huthis auf Ziele in Israel und zunehmend gegen die internationale Schifffahrt im Bereich des Roten Meer verwickeln die USA immer mehr in den Nahostkrieg. Amerikanische Kriegsschiffe haben aktuell drei Boote der Huthis, mit denen ein Containerschiff angegriffen werden sollte, versenkt und die jemenitischen Kämpfer getötet. Mittlerweile gibt es sogar Überlegungen der USA und Großbritanniens, Einrichtungen der Huthis im Jemen direkt anzugreifen. In all diesen Szenarien spielt der Iran im Hintergrund eine wichtige Rolle, und das macht die amerikanischen Operationen besonders brisant.

Auch die Rolle der Türkei muss im Auge behalten werden, schließlich hat sich Präsident Erdogan ohne Wenn und Aber auf die Seite der Hamas gestellt und die eigene Bevölkerung massiv gegen Israel demonstrieren lassen. Insgesamt besteht die Gefahr, dass die Regierungen der arabischen Staaten durch die eigene Bevölkerung, die sich mit den Palästinensern solidarisiert, so unter Druck geraten, dass sie praktisch zu Maßnahmen oder sogar militärischen Operationen gegen Israel gezwungen werden könnten, um die eigene Macht nicht zu gefährden.

Weltweite Kritik an der israelischen Kriegsführung

Ein weiterer Grund für die Verringerung der militärischen Präsenz Israels im Gazastreifen könnte die weltweite Kritik an Israels Kriegsführung sein. Niemand auf der Welt akzeptiert, was Israel mit der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen macht. Das Recht auf Selbstverteidigung, das niemand Israel nach dem Überfall der Hamas abspricht, rechtfertigt aber nicht den Tod von 22.000 Palästinensern und noch viel mehr verwundeten und traumatisierten Zivilisten, nicht zu vergessen die Vertreibung von fast 2 Millionen Menschen innerhalb des Gazastreifens und die weitgehend zerstörte zivile Infrastruktur in diesem Küstenstreifen. Allen Bewohnern des Gazastreifens werden auf Grund der israelischen Angriffe die menschlichen Grundbedürfnisse verweigert, und es gibt für niemanden dieser leidenden Menschen irgendeine Zukunftsperspektive, und das alles geschieht vor den Augen der Weltbevölkerung. Unmittelbar nach dem 7.Oktober waren die Sympathien und das Mitgefühl der meisten Menschen auf der Seite Israels, aber das hat sich seit Wochen in das Gegenteil verkehrt.

Vielleicht hat die Regierung Netanjahus doch endlich eingesehen, dass man einen Kampf gegen die Weltmeinung nicht gewinnen kann und endlich irgendein Signal erforderlich ist, dass man diese nicht weiter völlig ignorieren wird.

Die ersten israelischen Soldaten verlassen den Gazastreifen- Rückzug oder Abzug?

Die genauen Gründe für die israelische Truppenreduzierung im Gazastreifen sind nicht bekannt. Möglicherweise handelt es sich sozusagen um eine Mischung aus den dargestellten Begründungen. Handelt es sich also jetzt um einen Abzug oder einen Rückzug? Ein Abzug würde bedeuten, dass die israelische Regierung der Meinung ist, man brauche nicht mehr so viele Soldaten im Gazastreifen. Ein Rückzug dagegen wäre das Zugeständnis oder zumindest ein Hinweis, dass man seine Ziele im Kampf gegen die Hamas nicht erreichen könne, die eigenen Verluste zu hoch würden oder die Soldaten in einem anderen Bereich dringender benötigt würden. Der ehemalige israelische Brigadegeneral Yossi Kuperwasser ordnet die Maßnahme in Bezug auf den Norden des Gazastreifens als einen Abzug ein, indem er sagt: „We can dilute our forces there, because we´ve taken control. To hold on, you need fewer than it took to take over.”  (Wir können dort unsere Truppen ausdünnen, weil wir den Raum kontrollieren. Um etwas zu halten, braucht man weniger Soldaten als es zu erobern.) Mick Mulroy, ein ehemaliger Pentagon Experte für den Mittleren Osten, bewertete die Verringerung der israelischen Militärpräsenz im Gazastreifen mit den Worten:“ The troop withdrawl does not mean that the war is close to conclusion,“ but it could mean „a lower intensity phase for the near future.“ („Ein Truppenrückzug heißt nicht, dass der Krieg kurz vor dem Ende ist“, aber er könnte bedeuten, „dass es in der nahen Zukunft eine weniger intensive Phase gibt.“ Der israelische Militärsprecher, Rear Admiral Daniel Hagar, betonte ausdrücklich, dass die Demobilisierung einiger Soldaten kein Hinweis dafür wäre für „any compromise of Israel´s intention to continue fighting until it destroys Hamas, and the fighting across Gaza remained intense.“ (auf irgendeinen Kompromiss hinsichtlich Israels Absicht, den Kampf fortzusetzen bis die Hamas zerstört ist.“ Und er fügte hinzu, dass dieser Krieg noch für das ganze Jahr andaure („He expected warfare throughout this year.“) unddass es durchaus sein könne, dass einige Reservisten in 2024 noch einmal eingezogen würden. ( „that some troops would be called back to service in 2024.”)

Zusammenfassende Bewertung

Aus meiner Sicht handelt es sich bei der Truppenreduzierung im Norden des Gazastreifens um eine Mischung aus einem Abzug und einem Teilrückzug. Dieser erste Abzug erfolgt nämlich nicht wirklich freiwillig und ist auch nicht darin begründet, dass die Truppen nicht mehr gebraucht würden. Das Gegenteil könnte nämlich sehr schnell der Fall sein, weil die Hamas militärisch noch nicht annähernd besiegt ist. Nein, dieser Abzug ist in der Hauptsache sowohl innenpolitisch als auch außenpolitische ein dringend notwendiges Signal. Der eigenen Bevölkerung will man demonstrieren, dass man militärisch im Kampf gegen die Hamas so erfolgreich war, dass bereits die ersten Reservisten entlassen werden können.  Dass diese Männer und Frauen zu Hause z.B. dringend auf ihren zivilen Arbeitsplätzen gebraucht werden, muss man ja nicht ausdrücklich erwähnen… Man wird dieses erste Signal der „Normalisierung“ vermutlich dadurch noch verstärken, dass die ersten evakuierten israelischen Bürger in die Grenzregion zum Gazastreifen zurückkehren können, wie es der israelische Verteidigungsminister, Yoav Gallant am Abend des 1. Januar 2024 bereits angedeutet hat. Ob das auf Dauer allerdings so bleiben kann, muss sich erst einmal zeigen. Außenpolitisch handelt es sich um den- wie ich fürchte untauglichen-  Versuch, der Welt klar zu machen, dass ein Ende des Krieges und damit die angestrebte Vernichtung der Hamas möglich sei obwohl davon noch nicht einmal in Ansätzen die Rede sein kann.

Aktuell bleibt jetzt erst einmal abzuwarten, ob der in Kürze zu erwartende Besuch von US Außenmnister Blinken in Israel die Gesamtsituation entscheidend verändert.

Dafür müsste es aus meiner Sicht einen sofortigen Waffenstillstand und im Gegenzug die Freilassung aller israelischen Geiseln geben. Parallel dazu müssten massive Hilfslieferungen für die palästinensische Bevölkerung auf den Weg gebracht werden, um eine konkret drohende Hungernot noch abzuwenden. Ohne großen Zeitverzug müssten unter Vermittlung der Vereinten Nationen konkrete Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern beginnen, begleitet vom schrittweisen Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen, die durch eine arabische Friedenstruppe ersetzt würden.

Bis jetzt ist die israelische Truppenreduzierung nicht mehr als eine neue Phase oder Variante des Krieges, in dem wie immer die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten den Preis bezahlt.

Greven, 02. Januar 2024

Jürgen Hübschen

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Präsident Biden und der Nahostkrieg- wofür steht der US Präsident wirklich?

Am 18. Dezember 2023 hat der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin III in Tel Aviv Gespräche mit dem israelischen Premierminister Netanjahu und seinem Amtskollegen Joav Gallant geführt. Austin hatte bei seinem zweiten Besuch seit Kriegsbeginn versucht, die israelische Regierung davon zu überzeugen, endlich ein Konzept für die weitere Vorgehensweise gegen die Hamas vorzulegen. In der Hauptsache ging es darum, Israel zu veranlassen, statt der Bombardierung des Gazastreifens eher ganz gezielte Operationen gegen Kämpfer und Einrichtungen der Hamas durchzuführen, um die Zivilbevölkerung mehr zu schützen. Der amerikanische Präsident Biden hatte zwar in der Vorwoche davor gewarnt, dass Israel durch „die willkürliche Bombardierung“ die Unterstützung weiter Teile der Welt verlieren würde, aber nicht konkret verlangt, diese Form des Bombardements zu stoppen. Dadurch stellt sich einmal mehr die Frage, wofür der US-Präsident wirklich steht.

Die Position des amerikanischen Präsidenten im Nahostkrieg 

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die USA am 08. Dezember 2023 eine UN-Resolution, in der ein humanitären Waffenstillstand gefordert wurde, durch ihr Veto mit der Begründung geblockt haben, ein Waffenstillstand gäbe der Hamas die Chance, sich neu zu formieren. Ein Cease Fire würde „nur die Saat für den nächsten Krieg legen„, sagte der US-Vertreter im Sicherheitsrat, Robert Wood.

Eine Forderung der UN-Vollversammlung desselben Inhalts wurde am 12. Dezember 2023 von den USA mit einem Nein abgelehnt haben, obwohl die Vollversammlung dieses Cease Fire mit 153 Stimmen, also einer Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert hatte.

Am 15. Dezember 2023 sagte Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten bei einem Treffen mit hochrangigen israelischen Vertretern u.a., Israel und die USA seien sich einig, dass der Krieg noch Monate dauern werde.

Derartige Aussagen und das Abstimmungsverhalten sind mit den persönlichen Aussagen des Präsidenten nicht in Einklang zu bringen, weil er Israel immer wieder aufgefordert hat, die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu schützen. Allerdings habe er „no confidence“ (kein Vertrauen) in die Zahlen die das Gesundheitsministerium der Hamas veröffentliche, aber sei „sure innocents have been killed“ . („sei sich aber sicher, dass Unschuldige dort getötet würden“).

Der Präsident betont immer wieder Israels Recht auf Selbstverteidigung und nimmt das als Begründung für die uneingeschränkte militärische Unterstützung der USA, die, auch vor diesem Krieg, bereits 3,8 Milliarden US Dollar pro Jahr betrug. Die konkrete Forderung der USA an Israel, die Zivilbevölkerung besser zu schützen, überlässt er in der Regel seiner Administration. So erklärte Vizepräsidentin Kamala Harris „Israel must do more to protect innocent civilians“ („Israel muss mehr tun, unschuldige Zivilisten zu schützen“) und Außenmnister Blinken sagte, als Israel seine Offensive auf den Süden Gazas ausdehnte, es sei eine zwingende Notwendigkeit aus Sicht der USA, „that the massive loss of civilian life and displacement of the scale that we saw in northern Gaza not be repeated in the South.“ ( „dass sich die massiven Verluste in der Zivilbevölkerung und der Umfang von  Vertreibung im Norden des Gazastreifens im Süden nicht wiederholt.“)

Der Präsident selbst erklärte Anfang Dezember auf einer Wahlveranstaltung„I´ve been a strong, strong supporter of Israel from the time I entered the United States Senate in 1973”. (“ Ich bin ein starker, starker Unterstützer Israels seit ich 1973 Mitglied des US Senats geworden bin.“)  Bei einer anderen Gelegenheit hatte Biden sogar gesagt „I´m a Zionist“. („Ich bin ein Zionist“) Vermutlich hat der US-Präsident bei dieser Aussage nicht bedacht oder es schlicht und einfach nicht gewusst, dass es die Zionisten sind, die das „Heilige Land“ ausschließlich für sich beanspruchen und die Palästinenser vollständig vertreiben oder sogar vernichten wollen.

Nach Aussagen von Sicherheitsberater Jake Sullivan und Pentagon Sprecher John F. Kirby sei der Präsident, in seiner Kritik am Vorgehen Israels gegen die Hamas und an Netanjahus Position, genau so klar wie Vizepräsidentin Harris, halte sich aber in der Öffentlichkeit zurück. Martin S. Indyk , ein ehemaliger Sonderbeauftragter für den Mittleren Osten erklärte: “While the words were not inconsistent, the disparity in tone and emphasis reflected to some extent traditional good-cop-bad cop diplomacy, where a president leaves it to others to lay down a harder line” und er ergänzte “ The President wants to avoid criticizing ´Bibi´ in public to the farthest extent possible.” („Die Aussagen sind nicht widersprüchlich, sondern der Unterschied im Ton und in der Nachdrücklichkeit spiegeln in einem gewissen Masse die traditionelle Diplomatie des ´guten und bösen´ Polizisten wider, wobei ein Präsident es anderen überlässt, eine härtere Position zu vertreten und er ergänzte „Der Präsident möchte vermeiden, ´Bibi´ in der Öffentlichkeit so stark wie möglich zu kritisieren.“)

Olivia Dalton, eine Sprecherin des Weißen Hauses, fasste die Position der US-Regierung im Nahostkrieg am 5. Dezember 2023 auf einem Flug in der Präsidentenmaschine Air Force One nach Boston wie folgt zusammen: „Israel has heard from us loud and clear our expectations that they uphold international law, abide the rules of war, and take steps to minimize, to every extent possible, civilian casualties as they persecute this war against Hamas.”( “Israel hat laut und klar unsere Erwartungen gehört, internationales Recht und die Regeln des Kriegsrechts zu beachten und alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um die Zahl der zivilen Opfer in ihrem Krieg gegen die Hamas zu minimieren.“)

Stellt sich die Frage, ob der US Präsident wirklich einen Beitrag dazu leistet, dass Israel diese Position der US Regierung tatsächlich umsetzt oder ob es sich seinerseits letztlich nur um „stramme Sprüche“ handelt, die Israel ungestraft ignorieren kann, wie Sarah Leah Whitson von der Gruppe „„Democracy for the Arab World now“ es auf den Punkt bringt: „ Ultimately, the Israelis will only pay attention to what the Biden administration actually does, not just what it says.“( Letztlich wird Israel sich nur darum kümmern, was die Biden Administration aktuell macht, nicht das, was sie nur sagt.“

Was macht die US Regierung unter Führung ihres Präsidenten aktuell wirklich?

Was macht die US-regierung tatsächlich, um Israel im Kampf gegen die Hamas zu unterstützen, und was mach sie, um die Zivilbevölkerung zu schützen?

Militärische Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hamas

Details ihrer militärischen Unterstützung werden seitens der USA nicht veröffentlicht. Bekannt ist allerdings, dass Bomben, Granaten, Raketen für das Abwehrsystem „Iron Dome“ und Ersatzteile für alle von den USA gelieferten Waffensystemen praktisch über eine Luftbrücke permanent an Israel geliefert werden. Bei diesen Bomben, die eine Sprengkraft von bis zu 2000 Pounds haben, handelt es sich nach Aussagen von Col. ret. Lawrence Wilkerson, dem ehemaligen militärischen Berater von US Außenmnister Colin Powell und anderer amerikanischen Insider zu annähernd 50% um s.g. „dumb bombs“. Das sind ungelenkte Bomben, die fast ohne Zielgenauigkeit einfach abgeworfen werden und dabei immense Kollateralschäden verursachen. Es ist davon auszugehen, dass die USA auf diese Weise ihre Arsenale leeren; denn sie selbst setzen ausschließlich gesteuerte Bomben ein, die allerdings sehr viel teurer sind. Diese Vorgehensweise passt übrigens zu der Lieferung von Streubomben an die Ukraine, die von den USA selbst auch nicht mehr eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass es unbestätigte Hinweise aus den USA gibt, Washington habe auch Phosphorbomben, an Israel geliefert, obwohl diese Waffe mittlerweile völkerrechtlich verboten ist.

Amerikanische Fachleute gehen davon aus, dass Israel seinen Kampf gegen die Hamas in der jetzigen Form maximal noch 3 Tage fortsetzen könnte, falls Washington seine Waffenlieferungen einstellen würde.

Bei ihrer militärischen Unterstützung Israels ignoriert die US Regierung das bereits angesprochene „Leahy Law“, das die Lieferung von Waffen an ein Land unter Strafe stellt, wenn durch den Einsatz dieser Waffen Menschenrechte verletzt werden, was gegenüber der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen zweifellos der Fall ist. Unter Umgehung des Kongresses und des „Arms Export Control Act“ wurde am 09. Dezember 2023 die Lieferung von 14.000 Panzergranaten an Israel im Wert von 106,5 Millionen US Dollar genehmigt. Das war nur möglich, nachdem Außenminister Blinken unter Eid ausgesagt hatte, dass andernfalls die nationale Sicherheit der USA bedroht sei.

Amerikanische Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung

Auch der amerikanische Druck auf Israel hat sicherlich dazu beigetragen, dass der Grenzübergang nach Ägypten immer wieder geöffnet wurde und jetzt noch ein zweiter Grenzübergang zur Lieferung von Hilfsgütern von Israel freigegeben wurde. Auch an den Verhandlungen zum Geisel-und Gefangenenaustausch waren die USA beteiligt. Es muss allerdings konstatiert werden, dass Washington sicherlich nicht entscheidend dafür war, dass diese Maßnahmen erfolgt sind, sondern die ganze Welt hatte mehr humanitäre Unterstützung für die Bevölkerung im Gazastreifen gefordert. Die bislang erfolgte Freilassung der Geiseln und auch die aktuell stattfindenden Gespräche gehen in der Hauptsache nicht auf die USA, sondern auf die Bemühungen Katars und anderer arabischer Staaten zurück.

Entscheiden aber ist, dass die US-Regierung ihre Forderungen nach humanitärer Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung und an Israel, bei den Militäroperationen mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung selbst dadurch ad absurdum geführt hat, indem Washington die entsprechende UN-Resolution mit einem Veto blockiert– außer Großbritannien, dass sich enthalten hatte, hatten alle anderen 13 Mitglieder des Sicherheitsrates für diese Resolution gestimmt-  und in der UN-Vollversammlung gegen ein Cease Fire gestimmt hat.

Wofür steht der US Präsident wirklich?

Die USA haben eine wesentliche Mitverantwortung für die katastrophale Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen, und auch der amerikanische Präsident trägt dafür eine nicht geringe Schuld. Er hat sich bislang damit begnügt, in der Israel-Politik den „good cop“ zu spielen, wohl wissend, dass er die Vorgehensweise von Netanjahu damit in keiner Weise beeinflussen, geschweige denn ändern oder letztlich auch stoppen kann. Das Ganze kommt mir vor, wie ein politisches Rollenspiel ohne irgendwelche Auswirkungen auf die Lage der palästinensischen Bevölkerung einerseits und dem militärischen Vorgehen Netanjahus auf der anderen Seite. Dabei ist schwer einzuschätzen, was Joe Biden wirklich denkt und vorhat. Unstrittig ist, dass er ein sehr empathischer Mensch ist, aber, was ist ihm wirklich wichtig? Geht es ihm wirklich darum, Israels Politik in seinem Sinne zu beeinflussen oder ist er in der Hauptsache daran interessiert, seine jüdischen Wähler nicht zu verprellen. Zweifellos kann er sich gegenüber einem Kongress, der aus Sicht von amerikanischen Insidern von den Juden dominiert wird, nicht durchsetzen, auch weil das jüdische „American Israel Public Affairs Committee“ (AIPAC) neben der „National Rifle Association“ die mit Abstand stärkste Lobby- Group der USA ist. Aber als Präsident hätte er- im Gegensatz z.B. zum deutschen Bundespräsidenten, der in der aktuellen Politik über keinerlei Befugnisse verfügt- die Möglichkeit mit s.g. „Executive Orders“ viel stärker in die US-Politik einzugreifen. Außerdem hätte er die Waffenlieferungen an Israel unter Hinweis auf das „Leahy Law“ spätestens dann stoppen können, als die israelischen Verletzungen der Menschenrechte im Krieg gegen die Hamas unübersehbar wurden. Mittlerweile sprechen auch namhafte amerikanische Intellektuelle von einem Genozid der palästinensischen Bevölkerung. Präsident Biden hätte auch die aktuelle Lieferung der 13.000 Panzergranaten unterbinden und Außenmnister Blinken daran hindern können, unter Eid zu lügen, indem dieser behauptet hatte, die nationale Sicherheit der USA sei in Gefahr, wenn diese Waffen nicht an Israel geliefert wurden. Auch das Abstimmungsverhalten der USA im Weltsicherheitsrat und in der UN Vollversammlung wäre letztlich ohne Zustimmung des Präsidenten nicht möglich gewesen.

Last but not least, sind sicherheitspolitische Experten der USA, wie Ray Mc Govern, Col. Ret. Macgregor, Jeffrey Sachs oder auch Professor Mearsheimer, um nur einige zu nennen, davon überzeugt, dass Präsident Biden durch einen Anruf bei Premierminister Netanjahu einen sofortigen Waffenstillstand erreichen könnte, indem er einen Stopp aller amerikanischen Waffenlieferungen für den Fall einer Ablehnung des Cease Fire durch den israelischen Premier ankündigen würde.

Vor diesem Hintergrund gibt es aus meiner Sicht keine Zweifel, dass der amerikanische Präsident mehr an seiner Wiederwahl interessiert ist als an einem schnellen Ende des Nahostkriegs, sonst hätte er seinen nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan am 15.12.23 in Tel Aviv nicht erklären lassen, Israel und die USA seien sich einig, dass der Krieg noch Monate dauern werde.

Greven, 19. Dezember 2023

Jürgen Hübschen

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Resolution der UN-Vollversammlung vom 12. Dezember 2023

Die UN-Vollversammlung hat am 12. Dezember 2023 per Resolution einen sofortigen humanitären Waffenstillstand im Gazastreifen verlangt. Der von Ägypten eingebrachte Antrag erreichte am Dienstag in New York die notwendige Zweidrittelmehrheit. 152 Länder stimmten dafür, 10 dagegen. 23 Länder enthielten sich.

Dabei war das Abstimmungsverhalten der NATO-und auch der EU-Mitgliedsstaaten einmal mehr nicht einheitlich.:

Von diesen Staaten stimmten gegen die Resolution:

Österreich, Tschechien und die USA

Von diesen Staaten stimmten für die Resolution:

Albanien, Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Kanada, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Malta, Nord Mazedonien, Montenegro, Norwegen, Polen, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, Türkei

Von diesen Staaten enthielten sich:

Bulgarien, Deutschland, Groß Britannien, Italien, Litauen, Niederlande, Rumänien, Slowakei, Ungarn

Das Auswärtige Amt erklärte zum deutschen Abstimmungsverhalten im Rahmen seiner „Werte orientierten Außenpolitik“, die Resolution habe Deutschland „vor eine schwere Entscheidung“ gestellt. „Wir wollen das unerträgliche Leid der Menschen beenden – in Israel und in Gaza „. Die Resolution fordere einen „pauschalen Waffenstillstand, sagt aber nicht, warum Israel gezwungen ist, sich zu verteidigen: „Weil die Hamas Israel am 7.10. barbarisch angegriffen hat. Und weil die Hamas Israel weiterhin vernichten will.“ Deswegen habe Deutschland nicht zustimmen können – aber weil man sich dafür einsetzen wolle, das Leid der Palästinenser zu beenden, habe man auch nicht dagegen stimmen können.

Bewertung des Abstimmungsverhalten der NATO- und/oder der EU-Mitgliedsstaaten

Weder die NATO noch die EU haben es geschafft, ihre Geschlossenheit durch ein einheitliches Abstimmungsverhalten zu unterstreichen. Ganz offensichtlich ist drei dieser Staaten die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen egal, so dass die die Resolution abgelehnt haben. Ob das aus Solidarität zu Israel und/oder zu den USA der Fall war oder aus eigener Überzeugung, kann man letztlich nicht beurteilen. Die Staaten, die für einen humanitären Waffenstillstand gestimmt haben, halten die Verbesserung der unerträglichen humanitären Lage der Palästinenser für wichtiger als die Wiederholung der seitens der UNO bereits eindeutig erfolgten Verurteilung des Hamas Überfalls vom 07. Oktober 2023.

Die neun Staaten, die sich enthalten haben, waren nicht in der Lage oder vielleicht einfach zu feige, klar Position zu beziehen, ob ihnen das Leiden der Bevölkerung wichtiger war als eine erneute Verurteilung der Hamas und haben sich deshalb vor einer Entscheidung gedrückt. Dabei ist unklar, ob das aus Überzeugung oder letztlich aus Angst vor möglichen Konsequenzen aus einer Zustimmung oder sogar Ablehnung geschehen ist. Die Aussage des deutschen Außenministeriums „Wir wollen das unerträgliche Leid der Menschen beenden – in Israel und in Gaza “ ist aus meiner Sicht nicht nur unerklärlich, sondern im Grunde Menschen verachtend. Hier werden politischen Prinzipien, nämlich vor allem der Solidarität mit Israel und dem Schulterschluss mit den USA Vorrang eingeräumt vor der Menschlichkeit, die in einer Werte orientierten Außenpolitik den höchsten Stellenwert haben müsste. Um diese Tatsache nicht zu deutlich werden zu lassen, hat man sich der Stimme enthalten, einmal mehr nach dem Prinzip: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“

Der ehemalige und jetzt verstorbene amerikanische Außenminister Henry Kissinger, dessen Lebenswerk man sicherlich sehr unterschiedlich bewerten kann und aus meiner Sicht auch muss, hat einmal auf die Forderung, die USA müsste ihre Politik mehr mit Europa abstimmen, dem Sinne nach gesagt: „Ich bin bereit dazu, aber nennen Sie mir die Telefonnummer Europas.“ Gemeint war damit, dass Europa nicht mit einer Stimme spricht, und genau das hat die EU durch ihr unterschiedliches Abstimmungsverhalten erneut bewiesen, das sogar in den baltischen Staaten nicht einheitlich war.

Vor diesem Hintergrund, dass noch nicht einmal eine abgestimmte Position zu einem Waffenstillstand möglich war, scheint es ausgeschlossen zu sein, dass es von der EU eine realistische Initiative gibt, um den Nahost-Krieg zu beenden.

Jürgen Hübschen

 

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Der Friedensplan für Israel und Palästina von Prof. Jeffrey Sachs

Der amerikanische Wissenschaftler und Professor an der Columbia Universität in New York, Jeffrey Sachs, versucht seit Langem eine Umsetzung der Zwei-Staaten Lösung für Israel und Palästina zu erreichen. Vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges hat er am 30. November 2023 einen Artikel mit einem Friedensplan für Israel und Palästina verfasst.

Kurzer historischer Rückblick

Palästina wurde zwar bereits von 139 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen als souveräner Staat anerkannt, allerdings noch nicht von den USA und den meisten Ländern der EU. Am 23. September 2011 hatte die Palästinensische Autonomiebehörde offiziell einen Antrag auf die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen gestellt und zwar im Einklang mit verschiedenen UN-Resolutionen, u.a. der Resolution 242 aus dem Jahr 1967 und der Resolution 338 aus dem Jahr 1973, in denen ganz konkret eine Zwei-Staaten Lösung gefordert wird.  Der Palästinensische Präsident Mahmoud Abbas hatte in seinem Antrag an den zuständigen Ausschuss der UN für die Aufnahme neuer Mitglieder u.a. auf diese beiden Resolutionen hingewiesen und „das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit und die Vision einer Zwei-Staaten-Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt“ betont.

Trotz der bilateralen Anerkennung Palästinas durch mittlerweile 139 Staaten hat der UN-Sicherheitsrat auf Grund des Widerstands der USA bis heute über den Antrag nicht abgestimmt, sondern Palästina lediglich einen „Beobachterstatus“ ohne Stimmrecht zugestanden.  

Alle Versuche, besonders der arabischen Staaten, endlich einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und Palästina zu erreichen, sind bislang gescheitert. In diesem Zusammenhang ist besonders der Friedensplan des saudischen Kronprinzen und späteren Königs Abdullah Ibn Abd al-Aziz zu nennen, der von der Arabischen Liga und von allen 57 Mitgliedern der „Organisation der Islamische Konferenz“ (OIK) angenommen wurde. Der Plan beinhaltet im Wesentlichen die Anerkennung Israels und fordert im Gegenzug von Israel den Rückzug aus allen 1967 besetzten Gebieten, sowie die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon lehnte den Plan ab und 2018 lehnte auch Premierminister Netanjahu den Vorschlag als Grundlage für Friedensgespräche ab. Netanjahu versuchte stattdessen bis zum 07. Oktober 2023 bilaterale Verträge mit den Staaten der Arabischen Liga zu schließen, um auf diese Weise zu verhindern, dass die „Zwei-Staaten-Lösung“ immer wieder thematisiert wurde. Um auf der palästinensischen Seite das Thema praktisch zu „unterlaufen“, spielte er die palästinensische Autonomiebehörde und die im Gazastreifen herrschende Hamas jahrelang erfolgreich gegeneinander aus. Präsident Abbas schwächte er durch die Genehmigung immer neuer Siedlungen im Westjordanland, während er es ganz bewusst zuließ, dass die Hamas mit Hilfe einer regelmäßigen finanziellen Unterstützung durch Katar nicht nur im Gazastreifen an der Macht blieb, sondern diese ständig weiter festigte.

Die Arabische Liga unternahm zusammen mit der „Organisation Islamische Konferenz“  am 11. November 2023 in Riad einen erneuten Versuch, die Zwei-Staaten-Lösung auf die aktuelle Tagesordnung der Weltgemeinschaft zu setzen und forderte die umgehende Aufnahme eines „glaubwürdigen Friedensprozesses“ zwischen Israel und Palästina. Die Verhandlungsbasis sollte im Wesentlichen der „Abdullah-Friedensplan“ sein. Passiert ist bis heute leider nichts.

Der Friedensplan von Jeffrey Sachs

Vor dem Hintergrund der mittlerweile kaum noch zu beschreibenden humanitären Katastrophe im Gazastreifen wurde Jeffrey Sachs initiativ, indem er einen eigenen Friedensplan für Israel und Palästina erarbeitete.  Dieser enthält im Wesentlichen folgende Punkte in der von Sachs gewählten Reihenfolge:

  • Sofortige Gründung des Staates Palästina und Aufnahme als 194. Mitgliedsstaat in die Vereinten Nationen in den von der UN bestätigten Grenzen vom 04. Juni 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt und der Kontrolle über die islamischen Heiligen Stätten
  • Sofortige Freilassung aller Geiseln, dauerhafter Waffenstillstand aller Parteien und Bereitstellung humanitärer Hilfen unter Aufsicht der UN
  • Aufstellung einer hauptsächlich von Arabischen Staaten gestellten Friedenstruppe für Palästina, die unter dem Mandat des UN Sicherheitsrates operiert.
  • Sofortige Entwaffnung und Demobilisierung der Hamas und anderer Milizen durch die Friedenstruppe als Teil des Friedens.
  • Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und allen Staaten der Arabischen Liga

Die genannten Punkte sollen aus seiner Sicht Inhalt einer entsprechenden Resolution des Weltsicherheitsrates sein.

Ergänzend fordert Sachs einen neuen UN Friedens-und Entwicklungsfond, wie er ihn kürzlich im UN- Sicherheitsrat vorgestellt hat. Mit diesem soll neben anderen Zielen ein langfristiges und nachhaltiges Entwicklungsprogramm im östlichen Mittelmeerraum finanziert werden, das neben Palästina und Israel, auch Ägypten, Jordanien, den Libanon, Syrien und andere Nachbarländer einschließt.

Abschließend stellt Sachs in seinem Beitrag fest, dass es über die genannten Punkte hinaus natürlich noch vieles zu verhandeln gibt, einschließlich einvernehmlicher Grenzanpassungen, aber solche Verhandlungen würden dann im Frieden zwischen zwei souveränen UN-Mitgliedsstaaten und unter der Schirmherrschaft des UN-Sicherheitsrates, der UN-Generalversammlung und vor allem auf der Basis der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geführt werden.

Bewertung des Friedensplanes von Jeffrey Sachs

Pessimisten und Berufsskeptiker werden wahrscheinlich sagen, dass dieser Plan, wie alle seine Vorgänger scheitern wird. Dieser Standpunkt ist aber, vor allem angesichts der sich abspielenden Katastrophe nicht zielführend, einmal davon abgesehen, dass ja nicht alle Punkte sofort in Angriff genommen werden müssen.

Zunächst, und das ist aus meiner Sicht das wirklich Neue an diesem Plan, muss Palästina als Voraussetzung für alle weiteren Schritte sofort als 194. Mitgliedsstaat in die Vereinten Nationen aufgenommen werden. Der entsprechende Antrag liegt dem zuständigen Gremium seit nunmehr 12 Jahren zur Entscheidung auf dem Tisch. De facto fehlt lediglich die Zustimmung der USA, damit Palästina als souveräner Staat Mitglied der Vereinten Nationen wird. Wenn es Washington mit seiner ständig erneut gestellten Forderung nach einer Zwei-Staaten Lösung ernst ist, könnte Präsident Biden das mit seiner Zustimmung zum Beitritt Palästinas umgehend beweisen. Im Anschluss daran müsste eine entsprechende Resolution über den Beitritt Palästinas verabschiedet werden, ggf. separat von den anderen Punkten des Friedensplans. Unmittelbar danach müsste die Umsetzung der anderen Punkte in Angriff genommen werden, als erstes ein Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln und umfassende humanitäre Hilfeleistungen unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Nach der Aufstellung der arabischen Friedenstruppe müssten sich die israelischen Streitkräfte aus dem Gaza-Streifen zurückziehen bei gleichzeitiger Entwaffnung und Demobilisierungen der Hamas und aller Milizen.

Erst dann könnten weitere Verhandlungen zwischen den souveränen Staaten Palästina und Israel unter der Mediation der Vereinten Nationen beginnen, die praktisch von der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und aller Staaten der Arabischen Liga begleitet würden. Im Detail müssten u.a. folgende Themen auf den Verhandlungstisch.

  • Endgültige Festlegung der Grenzen im Detail
  • Rücknahme der Annexion der Golanhöhen und Jerusalems
  • Gesicherte Verbindung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland
  • Beseitigung sämtlicher Sperren, Zäune und sonstiger Barrieren im Westjordanland, und im Gazastreifen
  • Klärung des Status der Siedler mit zwei Optionen:
    • Zustimmung als jüdische Bürgerinnen und Bürger mit allen Rechten und Pflichten im Staat Palästina zu verbleiben
    • Umsiedlung nach Israel
  • Unterstellung der Hamas unter die palästinensische Autonomiebehörde und Vorbereitung freier Wahlen für eine palästinensische Regierung

Da davon auszugehen ist, dass Netanjahu jegliche Verhandlungen ablehnen wird, bevor nicht seine Kriegsziele erreicht sind, – dazu gehört übrigens vor allem sein politisches Überleben- muss die US Regierung ihn zu einem Waffenstillstand zwingen. Das wird vermutlich aber nur gelingen, wenn Washington nicht nur damit droht, andernfalls sämtliche Waffenlieferungen einzustellen, sondern dies auch macht. Letzteres ist allerdings kaum zu erwarten, wenn man sich daran erinnert, dass Washington erst am 08. Dezember 2023 eine UN-Resolution, in der ein Cease Fire gefordert wurde, mit einem Veto blockiert hat, obwohl 13 Mitglieder des Weltsicherheitsrates für die Resolution gestimmt hatten. GB als „Appendix der USA“ hatte sich enthalten. Auch die Entscheidung des US Außenministeriums vom 07. Dezember 2023 den Kongress mit Hilfe eines s.g. „Government Sale“ zu umgehen, um Panzermunition an Israel liefern zu können, lässt am ehrlichen Bemühen der USA, diesen Krieg zu beenden, zweifeln.

Wenn man sich zusätzlich die aktuellen Bilder von gefangenen Palästinensern ansieht, die nur mit Unterhosen bekleidet und z.T. mit verbundenen Augen unter Bewachung durch israelische Soldaten im Sand sitzen, dann weiß man leider auch, was von den Aussagen des amerikanischen Außenministers Blinken zu halten ist, der am 7. Dezember 2023 gesagt hat:

 “It is imperative — it remains imperative — that Israel put a premium on civilian protection, and there does remain a gap between exactly what I said when I was there, the intent to protect civilians, and the actual results that we’re seeing on the ground.”( es ist eine zwingende Notwendigkeit und bleibt eine solche, dass Israel alles tut, um die Zivilbevölkerung zu schützen und es besteht immer noch eine Lücke zwischen dem, was ich gesagt habe, als ich vor Ort war, nämlich die Bedeutung, die Zivilbevölkerung zu schützen und den tatsächlichen Ergebnissen, die wir am Boden sehen.“

Fazit: Die internationale Staatengemeinschaft sollte in einem ersten Schritt auf dem Weg zu einem dauerhaften Nahostfrieden in einer UN Resolution fordern, Palästina umgehend als 194. Land mit allen Rechten und Pflichten eines souveränen Staates in die Vereinten Nationen aufzunehmen, weil ja erst dann formal überhaupt eine Zwei-Staaten Lösung möglich wird.

Das wäre die Nagelprobe für die US-Regierung, ob sie es ernst meint mit der Zwei-Staaten- Lösung und außerdem überhaupt willens und in der Lage ist, sich gegenüber Netanjahu durchzusetzen.

Danach sollte umgehend damit begonnen werden, den von Jeffrey Sachs erarbeiteten Friedensplan sukzessive umzusetzen.

Greven, 11. Dezember 2023

Jürgen Hübschen

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Deutschlands Solidarität mit Israel bedarf dringend der Präzisierung

Bei seinem aktuellen Besuch in Israel hat der Bundespräsident seinem israelischen Amtskollegen Izchak Herzog noch einmal versichert: „Unsere Solidarität mit Israel gilt.

Sie gilt nicht nur mit dem Israel als Opfer des Terrors. Unsere Solidarität gilt auch mit dem Israel, das sich wehrt, das kämpft gegen eine existenzielle Bedrohung.“ Noch nie sei Israel so tief verwundet worden wie am 7. Oktober. Das Land kämpfe um seine Existenz.

„Israel hat jedes Recht, sich selbst zu verteidigen und seine Existenz zu sichern. Die Terrororganisation Hamas darf ihr erklärtes Ziel, nämlich die Auslöschung Israels, dieses Ziel darf sie nie erreichen.“

Diese Aussage bedarf einer Ergänzung, dass Israel nämlich nicht „jedes Recht“ hat sich selbst zu verteidigen, sondern dabei dem Völkerrecht verpflichtet ist. Darauf hatte der Bundespräsident bei früheren Gelegenheiten zwar hingewiesen, aber – wie bisher alle deutschen Politiker- es versäumt, die israelische Regierung für den ständig stattfindenden Bruch des Völkerrechts zu kritisieren und ggf. auch Konsequenzen anzudrohen, falls das auch weiterhin passiert.

Israel, das Völkerrecht und die rechtsradikalen Kräfte im Land

Die beiden israelischen Historiker Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann wollen die deutsche Solidarität präzisiert sehen auf ein „demokratisches Israel“ und sehen in ihrem jüngsten Buch „Denk ich an Deutschland-ein Dialog in Israel“ das „jüngste rechtsradikale Kabinett Netanjahus“ als eine Zäsur und beklagen den fehlenden Widerspruch aus Deutschland gegenüber den „israelischen Zerstörern der freiheitlichen Demokratie und eine fatale Solidarität, die überwiegend einer ultrarechten israelischen Regierung, aber nicht den verbliebenen demokratischen Kräften in Israel gilt.“  Sie sehen die aktuelle Regierung angesichts ihrer extremistischen Kabinettsmitglieder und ihrer grundsätzlichen Ablehnung einer Zweistaatenlösung eher als eine Gefahr als einen Garanten israelischer Sicherheitsinteressen.

Zu diesen extremistischen Kabinettsmitgliedern gehört der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich mit Aussagen wie: „Die freiwillige Abwanderung und die Aufnahme von arabischen Gaza-Bewohnern durch die Länder der Welt ist eine humanitäre Lösung, die dem Leiden von Juden und Arabern gleichzeitig ein Ende setzen wird.“Dieser zynische Gedanke ist nichts anderes als eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen, die ja de facto bereits begonnen hat, indem man die Menschen aus dem Norden durch s.g. humanitäre Korridore in den Süden vertrieben hat, wo diese Menschen unter schlimmsten Verhältnissen zusammengepfercht sind.

In einem Interview mit Brigitte Kramer im „“Echo der Zeit“ des Schweizer Sender SRF vom 28.11.23 hat der Chef der „United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East“ (UNRWA), Philippe Lazzarini,nach seinem 2. Besuch im Gaza-Streifen u.a. gesagt: „Bei Kriegsbeginn haben wir als erstes die Massaker der Hamas in Israel vom 07. Oktober mit Nachdruck verurteilt. Die Massaker haben zur Ermordung von 1.200 Personen und der Entführung von etwa 250 Menschen geführt. Danach habe ich meine Befürchtung geäußert, dass die Empathie der internationalen Gemeinschaft das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge in Gaza nicht miteinschließt“ Und dann führt als Beispiel für seine Befürchtungen u.a. an:

  • „Innerhalb von 45 Tagen wurden etwa 14.000 Menschen getötet, unter ihnen sind 10.00 Frauen und Kinder.“
  • „Die Bedingungen für die Menschen im Gaza-Streifen haben sich durch die Feuerpause nicht grundsätzlich verbessert. Es fehlt den Menschen an allem, sie haben alles verloren, haben Verwandte verloren. Sie besitzen nicht einmal mehr eine Decke oder eine Matratze.“
  • „Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, sind immer wieder in Tränen ausgebrochen. Sie haben gesagt, sie fühlten sich vollkommen machtlos, verarmet, gedemütigt. Sie haben den Eindruck, dass man ihnen ihre Würde genommen hat.“
  • „Bislang wurden 108 Mitarbeiter von UNRWA getötet.“

Die Kabinettsmitglieder, die eine Vertreibung der Palästinenser aus ganz Israel anstreben, werden von extremistischen Kräften im Land unterstützt, vor allem aber durch die 700.000 Siedler im Westjordanland, die seit Wochen, quasi im Windschatten des Krieges mit der Hamas systematisch an einer Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung arbeiten, dabei Felder verwüsten und sogar Dörfer zerstören, und das Ganze geschieht unter den Augen von bewaffneten israelischen Sicherheitskräften.

Neben denjenigen, die in Israel offen oder verdeckt daran arbeiten mit Hilfe der Vertreibung der Palästinenser das „große Israel“ zu realisieren, gibt es Extremisten, wie den ehemaligen israelischen Offizier Giora Eiland, die das Problem mit den Palästinensern in Gaza-Streifen auf eine Art lösen wollen, wie man sie bislang nur aus den Konzentrationslagern der Nazis kannte. Eiland ist nicht irgendein Offizier, sondern war u.a. der Leiter der militärischen „Operations and Planning Division“ und Leiter des „National Security Council“. Seine Überlegungen hat er zunächst in der hebräischen Zeitung „Yedioth Ahronoth“ dargelegt, und am 23. November 2023 wurden sie in der israelischen Zeitung „Haaretz“ veröffentlicht. Allgemein zugänglich gemacht wurden sie am 28.November 2023 im Internet durch den Journalisten Gideon Levy in „John Menadu´s „Public Policy Journal.“

In „Yedioth Ahronoth“ entwickelt Eiland die Idee, dass Epidemien im Gaza-Streifen gut wären für Israel und denkt dabei offensichtlich an die im Süden des Gaza-Streifens zusammengepferchten Palästinenser und schreibt wörtlich: „Epidemics in Gaza are good for Israel. After all, severe epidemics in the southern Strip will bring victory closer and reduce fatalities among IDF soldiers. One only has to wait for the daughters of Hamas’ leaders to contract the plague, and we’ve won.” (Epidemien in Gaza sind gut für Israel. Letzten Endes werden uns schwere Epidemien im südlichen Gaza-Streifen dem Sieg näherbringen und die Verluste bei den israelischen Soldaten reduzieren. Man muss nur noch darauf warten, dass sich die Töchter der Hamas mit der Seuche infizieren, und wir haben gewonnen.“)

Ich erspare mir eine Bewertung dieser menschenverachtenden Aussage und nehme sie als einen schrecklichen Beweis dafür, dass Deutschland seine generelle Solidarität gegenüber Israel einer sehr genauen Überprüfung unterziehen muss.

Zusammenfassung

Ich fasse meinen Appell an die Bundesregierung, diese undifferenzierte Solidarität mit Israel aufzugeben, mit den Aussagen zusammen, die die jüdische deutsch-amerikanische Schriftstellerin Deborah Feldmann in einem Interview in der SZ gemacht hat, indem sie u.a. erklärt hat:

  • „Deutschland sollte seine bedingungslose Solidarität zur israelischen Regierung überdenken und darüber, dass die offiziellen Institutionen in diesem Land-jüdische wie nicht-jüdische- bisher nur eine Art von Juden unterstützen, zu denen ich aber nicht gehöre. Und die durch Diskreditierung zum Schweigen gebracht werden soll“
  • „Es gibt so viele Stimmen in Israel, die diese Gewalt (Israels) für exzessiv und unverhältnismäßig halten. Der Entzug von Wasser ist völkerrechtswidrig. Die Vertreibung ist völkerrechtswidrig. Die Inkaufnahme ziviler Opfer ist völkerrechtswidrig.“
  • „Deutschland hat sich sehr früh darauf festgelegt, dass in der bedingungslosen Solidarität zu Israel die Erlösung liegt, vom Antisemitismus, vom Rassismus, vom gesamten Hass in der Gesellschaft.“
  •  „Es ist ein Trugschluss, dass man dem Antisemitismus entgegentritt, indem man Israel beisteht.“
  • „Die Rechtsradikalen in Israel wollen den Krieg von Gog und Magog, diese eschatologischen Prophezeiungen, einen Krieg, um alle Kriege zu beenden, einen Krieg, der alle fremden Völker vernichten wird, Libanon, Iran. Aber noch sind sie nicht die Mehrheit. Wir als freie Welt müssen das verhindern. Wir müssen die Demokratie in Israel unterstützen, den Palästinensern eine Perspektive geben und den Opfern beistehen. Es ist unsere letzte Chance.“

Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann stellen am Ende ihres Buches fest: „Die jetzigen deutsch-israelischen Beziehungen zeigen jedenfalls, das etwas mit den Lehren aus der Geschichte schiefläuft.“

Noch ist Zeit, dass zu ändern, und dazu gehört zwingend eine neue Definition der deutschen Solidarität gegenüber Israel. Ein erster Schritt auf diesem Weg muss sein, dass sich niemand in Deutschland mehr einreden lassen darf, dass berechtigte und mittlerweile auch dringend erforderliche Kritik an der Politik Israels irgendetwas mit Antisemitismus zu tun hat.  

Greven, 29. November 2023

Jürgen Hübschen

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Gefangenenaustausch und Feuerpause- menschlich berührend aber sicherheitspolitisch eher unbedeutend

Am 24. und 25. November wurden von der Hamas die ersten der am 07. Oktober genommenen Geiseln im Austausch gegen die Freilassung palästinensischer Gefangener dem Roten Kreuz übergeben. Gleichzeitig zum Gefangenenaustausch wurde ein 4-tägige Feuerpause vereinbart. Sie wurde in der Hauptsache damit begründet, humanitäre Hilfe für die Palästinenser zu ermöglichen.

Bei den Gefangenen handelte es sich – nach den vorliegenden Meldungen – auf beiden Seiten in der Hauptsache um junge Menschen und Frauen, und auch asiatische Gastarbeiter befanden sich unter den frei gelassenen Geiseln. Mit dieser „Auswahl“ sollte wohl der menschliche Aspekt besonders betont werden, was aber von der Sache her eher ohne Bedeutung ist. Jede freigelassene Geisel und jeder aus dem Gefängnis befreite Palästinenser, der vielleicht sogar ohne Gerichtsurteil festgehalten wurde, ist unter dem menschlichen Aspekt etwas Gutes. Zu ergänzen ist noch, dass sich die Geiseln nach israelischen Angaben in einem guten körperlichen Gesundheitszustand befinden. Damit ist aber leider die Haben-Seite der gesamten Aktion auch fast schon dargestellt.

Nach wie vor befindet sich die Mehrzahl der von der Hamas genommenen Geiseln in den Händen oder sagt man besser in den Tunneln der Hamas, und in israelischen Gefängnissen sitzen immer noch Tausende Gefangene, zum Teil jünger als 14 Jahre und nicht wenige ohne ein Gerichtsurteil. Zwar wird jetzt von selbst ernannten Experten vollmundig angekündigt, dass dieser Gefangenenaustausch erst ein Anfang sei, aber wissen tut das niemand. Außerdem muss man darauf hinweisen, dass sich unter den weiterhin festgehaltenen Geiseln auch israelische Soldaten befinden, für deren Freilassung die Hamas sicherlich einen ganz anderen Preis verlangen wird. Vor 12 Jahren waren für den Austausch des israelischen Soldaten Gilad Schalid -nach annähernd 4 Jahren Verhandlungen-  im Gegenzug mehr als 1.000 palästinensische Gefangene auf freien Fuß gesetzt worden.

Positiv ist sicherlich noch festzustellen, dass es sich offensichtlich auszahlt, die Gesprächskanäle zur Hamas offen zu halten. Dafür ist vor allem Katar zu danken, weil das Emirat an seinen Beziehungen festgehalten hat, obwohl das kleine Land im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft für die Verletzung der Menschenrechte besonders vom „Westen“ an den Pranger gestellt wurde und aktuell immer wieder übel als ein Hort für Terroristen beschimpft wurde, weil sich u.a. der Hamas Führer Hanija in Doha aufhält.

Die humanitäre Hilfe, die während der Feuerpause ermöglicht werden soll, gilt vor allem den mehr als 1,5 Millionen Palästinensern, die im Süden des Gaza-Streifens zusammengepfercht wurden, ohne fest Unterkünfte und jede Privatsphäre, ohne regelmäßige Verpflegung und medizinische Versorgung, vor allem aber ohne jede Hoffnung, weil ihre Heimat im Norden des Gaza-Streifens durch das israelische Bombardement völlig zerstört ist. Dort fehlen sämtliche Lebensgrundlagen, um dorthin zurückzukehren. Vor diesem Hintergrund fällt es mir schwer, überhaupt noch von humanitären Maßnahmen für die Palästinenser zu sprechen, die unter unmenschlichen Bedingungen praktisch ein trauriges Dasein fristen. Anders kann man die Lage im Süden des Gaza-Streifen wohl nicht mehr beschreiben. Nicht wenige bezeichnen das, was mit den Palästinensern geschieht, mittlerweile als Massenmord, andere sprechen schon von Genozide.

Aber, so beruhigen sich die Politiker, es gibt ja wenigstens eine Feuerpause, wozu auch immer diese von der Hamas und den israelischen Streitkräften genutzt wird.

Die vereinbarte 4-tägige Feuerpause

Wenn man sich an seine Schulzeit erinnert, waren doch Pausen lediglich Unterbrechungen des Unterrichts. Und analog dazu ist eine Feuerpause lediglich eine Unterbrechung des Feuers, im konkreten Fall des Bombardements der israelischen Luftwaffe, der israelischen Artillerieangriffe, des Raketenbeschuss der Hamas auf Israel und der Kämpfe am Boden zwischen der Hamas und den israelischen Streitkräften. Und damit auch nur eine Unterbrechung des Tötens, Verletzens und Vertreibens. Deshalb bin ich schon unter diesem Aspekt nicht in der Lage, einer Feuerpause etwas Gutes abzugewinnen. Wenn ich eine solche Pause militärisch und sicherheitspolitisch bewerte, ist sie eine zynische Maßnahme ohne jeden sicherheitspolitischen Wert, weil damit überhaupt kein Konzept verbunden ist, wie man ein dauerhaftes Cease Fire, geschweige denn ein Ende dieses sinnlosen Krieges erreichen kann, Ministerpräsident Netanjahu hat ja bereits vor der Feuerpause öffentlich verkündet, dass Israel danach weitermachen wird, die Hamas zu vernichten. Dass es dabei bislang überhaupt keine konkreten Ergebnisse gibt, lässt er dabei unerwähnt. Er wird den Kampf fortsetzen und weiterhin versuchen, die 40.000 Hamas Kämpfer zu liquidieren und dabei billigend in Kauf nehmen, dass weiterhin 2 Millionen Palästinenser den Preis für die Vernichtung dieser 2% der Gesamtbevölkerung bezahlen. Netanjahu hatte sich ja lange geweigert, auch nur einer kurzen Feuerpause zuzustimmen und ist letztlich nur darauf eingegangen, weil der innenpolitische Druck durch die Angehörigen der Geiseln zu groß geworden war. Für ihn hat die Vernichtung der Hamas eindeutig Vorrang vor der Befreiung der Geiseln, obwohl auch er eigentlich wissen müsste, dass er zwar einige Kämpfer der Hamas töten kann, aber die Ideologie weiterleben wird. Sie wird nicht nur weiterleben, sondern durch die unverhältnismäßige militärische Reaktion Israels auf den Überfall der Hamas vom 07. Oktober 2023 weitere Anhänger gefunden haben. Eine Ideologie kann man nämlich nur dann zerstören, wenn man ihren Anhängern eine bessere Alternative bietet, und davon kann ja nur immer weniger die Rede sein.

Nach 4 Tagen wird also der Kampf zwischen den israelischen Streitkräften und der Hamas fortgesetzt werden, wobei Netanjahu vielleicht daraufsetzt, dass ihm die Vertreibung der Palästinenser auf die Sinai-Halbinsel doch noch gelingt. Wer weiß schon, ober er nicht bereits den Plan seines Parteikollegen Omer Distri verfolgt. Distri ist ein ehemaliger Funktionär von Netanjahus Likud Partei, der jetzt als Sicherheitsstratege am Jerusalemer „Institute for Security and Strategy“ arbeitet und zusätzlich als Rechercheur am „Israel Defense and Security Forum“ tätig ist. Distri schreibt in seinem Plan u.a. wörtlich: “From a security perspective, the optional choice for Israel is to occupy the Gaza Strip and establish a lasting military presence… A robust ground campaign in the Gaza Strip, encompassing the occupation of territories, the creation of new Israeli settlements, and the voluntary relocation of hundreds of thousands of Palestinians to Egypt with no option for return will greatly fortify Israeli deterrence and project influence throughout the entire Middle East”. („Unter dem Sicherheitsaspekt ist es am besten für Israel, den Gaza-Streifen zu besetzen und auf Dauer militärisch dort präsent zu bleiben…. Eine robuste Bodenoffensive, verbunden mit der Besetzung des eroberten Geländes, die Errichtung neuer israelischer Siedlungen, und die freiwillige Umsiedlung von Hunderttausenden Palästinensern nach Ägypten, ohne Rückkehroption, wird die Israels Abschreckungsfähigkeit entscheidend stärken, verbunden mit Einflussnahme auf den gesamten Mittleren Osten „)

Etwas Ähnliches hatte Netanjahu zu einem früheren Zeitpunkt ja selbst auch schon gesagt.

So weit die lokale militärische und sicherheitspolitische Lage, die de facto nach der Feuerpause unverändert sein wird. Anders verhält es sich in der Region. Die jordanische Botschafterin in den USA hat gerade davon berichtet, dass die israelische Luftwaffe vor einigen Tagen auch ein Feldlazarett bombardiert hat, dass die jordanischen Streitkräfte im Süden des Gaza-Streifens aufgebaut hatten. Diese und andere Völkerrechtsverletzungen Israels erhöhen den innenpolitischen Druck auf die Regierungen in der Region jeden Tag mehr, und es besteht die konkrete Gefahr, dass andere arabische Regierungen sich zu einem militärischen Eingreifen gezwungen sehen, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen. Das gilt besonders für Jordanien und Syrien, wo die US-Luftwaffe mehrfach angebliche Stellungen iranischer Milizen angegriffen und Israel mindesten 2 Mal die zivilen Flughäfen von Damaskus und Aleppo bombardiert hat. Auch im Irak wird die Lage immer instabiler. Fast täglich werden US-Militäreinrichtungen, die seitens der USA genauso völkerrechtswidrig wie in Syrien unterhalten werden, von irgendwelchen Milizen angegriffen, so dass die USA Anfang dieser Woche erstmalig auch im Irak Stellungen von Milizen bombardiert haben. Die Huthis im Jemen attackieren Israel immer wieder mit Raketen und haben jetzt sogar ein ausländisches Schiff interniert, das angeblich Rüstungsgüter für Israel geladen hatte. Ein besonderes Fall für die weitere militärische Entwicklung und sicherheitspolitische Gesamtlage ist die Hisbollah. Diese Organisation agiert ja völlig unabhängig von der „Interimsregierung“ des Libanon und in enger Abstimmung mit dem Iran. Seit dem 7. Oktober steigert die Hisbollah ihre Angriffe auf den Norden Israels und eskaliert sozusagen horizontal. Das hat u.a. dazu geführt, dass Israel mehr als 30.000 Bürger aus diesem Bereich evakuiert, die jetzt seit Wochen mit weiteren fast 50.000 oder sogar mehr Israelis in Hotels weiter entfernt von der Grenze untergebracht sind. Sollte Israel, wie von Netanjahu angekündigt, nach der Feuerpause weitermachen wie bisher, kann ein härteres militärisches Vorgehen der Hisbollah nicht ausgeschlossen werden.  

Vorläufiges Fazit mit einem Hinweis auf den aktuellen Besuch des Bundespräsidenten in Israel

Nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen waren der Austausch der Gefangenen und die zeitgleich vereinbarte Feuerpause leider nicht Teil eines sicherheitspolitischen Konzeptes, sondern der untaugliche Versuch mit Hilfe medienwirksamer Aktionen der Gesamtentwicklung ein wenig Brisanz zu nehmen, aber nicht diese zu stoppen.

Da niemand bislang eine echte Initiative gestartet hat, den Krieg zu beenden und mittlerweile offensichtlich ist, dass sich Präsident Biden gegen die jüdische Lobby und auch den Kongress, der mit großer Mehrheit hinter der israelischen Vorgehensweise steht, nicht durchsetzen kann,

muss man wohl davon ausgehen, dass die Feuerpause tatsächlich nur eine Pause war. Das lässt befürchten, dass sich der gerade stattfindende Ablauf für eine unbestimmte Zeit wiederholt: Hamas-Raketen auf Israel, israelisches Bombardement des Gaza-Streifens, dann Gefangenenaustausch in Verbindung mit einer Feuerpause, dann wieder Krieg mit der Hamas, unterbrochen von einer Feuerpause mit einem Gefangenenaustausch usw.

Dieser fatale Kreislauf könnte allerdings dazu führen, dass sich diese Art von Krieg nicht mehr lokal begrenzen lässt, sondern zu einer regionalen Ausweitung der Kampfhandlungen führt und, falls der Iran auf Seiten der Hisbollah eingreift, sogar zu einem Krieg über die Nahmittelost-Region hinaus. Dann stände letztlich wohl die Existenz Israels auf dem Spiel.

Vor diesem Hintergrund könnte und sollte der Bundespräsident bei seinem anstehenden Besuch Israels eine neue Art von deutscher Solidarität definieren und versprechen, weg von dieser phrasenhaft formulierten Beteuerung des israelischen Rechts auf Selbstverteidigung, aber natürlich nur unter Einhaltung des Völkerrechts. Man weiß doch auch in Berlin ganz genau, dass nicht nur die Hamas, sondern in zunehmenden Maße auch Israel das Völkerrecht bricht. Die jüdische deutsch-amerikanische Schriftstellerin Deborah Feldmann hat zum Vorgehen Israels gegen die Palästinenser im Gaza-Streifen aktuell in einem Interview mit der SZ u.a.  gesagt: „Es gibt so viele Stimmen in Israel, die diese Gewalt für exzessiv und unverhältnismäßig halten. Der Entzug von Wasser ist völkerrechtswidrig. Die Vertreibung ist völkerrechtswidrig. Die Inkaufnahme ziviler Opfer ist völkerrechtswidrig.“  Und sie fügt hinzu: „Ich weiß nicht, welche Völkerrechtler Olaf Scholz konsultiert hat.“ Deborah Feldmann fordert: „Deutschland sollte seine bedingungslose Solidarität zur israelischen Regierung überdenken und darüber, dass die offiziellen Institutionen in diesem Land- jüdische wie nicht-jüdische- bisher nur eine Art von Juden unterstützen, zu denen ich aber nicht gehöre und die durch Diskreditierung zum Schweigen gebracht werden soll.“ Dann berichtet sie von einem Angehörigen, dessen zwei Geschwister am 07. Oktober 2023 von der Hamas verschleppt wurden. Dieser Mann habe in der Knesset den Politikern vorgeworfen, dass sie Worte wie „ausrotten“, „vernichten“ und „tilgen“ benutzen. Wörtlich habe er gesagt: „Es ist meine Familie, da sind Menschen in Gaza, das ist Leben.“

Ihre Forderung, dass Solidarität gegenüber Israel viel differenzierter gesehen werden muss, unterstreicht sie mit der Aussage: „Die Rechtsradikalen in Israel wollen den Krieg von Gog und Magog, diese eschatologischen Prophezeiungen, einen Krieg, um alle Kriege zu beenden, einen Krieg, der alle fremden Völker vernichten wird., Libanon, Iran. Aber noch sind sie nicht die Mehrheit. Wir als freie Welt müssen das verhindern. Wir müssen die Demokratie in Israel unterstützen, den Palästinensern eine Perspektive geben und den Opfern beistehen. Es ist unsere letzte Chance.“

Bundespräsident Steinmeier wird sich für seinen Besuch mit Hilfe von Sprechzetteln, die sein Stab verfasst hat, vorbereiten. Es ist allerdings zu befürchten, dass die Gedanken von Deborah Feldmann darin nicht enthalten sind.

Präsident Steinmeier hat in seinen Gesprächen mit dem israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog die Chance, eine neue,  ehrliche und zukunftsweisende deutsche Solidarität mit Israel zu definieren mit dem Ziel, einer Zwei-Staaten-Lösung eine Chance zu geben, obwohl diese von Premierminister Netanjahu de facto abgelehnt wird.

Wie schreibt Deborah Feldmann? „Mein eigener Lösungsansatz lautet wie der von vielen Menschen in Israel und in der Diaspora: Lasst uns die Stimmen lauter machen, die nicht von ‚tilgen‘ reden. Sie sind die Einzigen, die eine Lösung herbeiführen können.“

Unser Präsident hat bei seinem Besuch in Israel dazu die Chance.

Greven, 26. November 2023

Jürgen Hübschen

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Internationales Recht und das amerikanische „Leahy Law“

UN Menschenrechts Kommissar Volker Türk erklärte am 19. November 2023, die Ereignisse der vergangenen 48 Stunden „übersteigen das Vorstellungsvermögen“. Bei Angriffen auf zu Notunterkünften umfunktionierten Schulen würden Menschen getötet, Hunderte müssten aus dem Al Shifa-Krankenhaus flüchten, während Hunderttausende in den südlichen Gaza-Streifen vertrieben würden. Dies alles verstoße gegen den grundlegenden Schutz, „der Zivilisten nach internationalem Recht gewährt werden muss“ und weiter „Der Schmerz, der Schrecken und die Angst, die sich auf den Gesichtern von Kindern, Frauen und Männern zeigen, sind schwer zu ertragen“. Türk forderte eine sofortige Feuerpause.

Das internationale Recht in Nahost-Krieg

Niemand kann mehr bestreiten, dass beide Kriegsparteien gegen das internationale Recht verstoßen und die Menschenrechte verletzen. Dabei ist es nicht relevant, welche Partei damit begonnen hat. Fest steht allerdings, dass sich Israel in der Art seiner Selbstverteidigung nicht darauf berufen kann, dass die Hamas in ihrer Kriegsführung Völkerrecht und Menschenrechte missachtet. Das ist, wenn man so will, der Nachteil einer Demokratie, dass das völkerrechtswidrige Verhalten des Gegners, eigene Verstöße gegen internationales Recht nicht legitimiert.

Das internationale Recht und das amerikanische „Leahy Law“

Eine der Fragen, die sich in diesem Nahost-Krieg stellt ist, ob „nur“ die Hamas und Israel gegen geltendes Recht verstoßen oder sich auch die USA diesen Vorwurf gefallen lassen müssen.

Das „Leahy Law“ ist eine juristische Ergänzung zum „Foreign Assistance Act“ des Jahres 1961. Es wurde im Jahr 1997 verabschiedet und besagt: „ No assistance shall be furnished under this Act or the „Arms Export Control Act” to any unit of the security forces of a foreign country if the Secretary of State has credible information that such unit has committed a gross violation of human rights.” („Nach diesem Gesetz und auch gemäß dem Gesetz zum Waffenexport dürfen Sicherheitskräfte eines fremden Staates nicht unterstützt werden, wenn dem US- Außenminister glaubhafte Informationen vorliegen, dass eine Einheit dieser Sicherheitskräfte eine grobe Verletzung der Menschenrechte begangen hat.“) Dieses Gesetz wurde entwickelt vom ehemaligen Senator Patrick Leahy aus Vermont und nach ihm benannt. Dieser ist mittlerweile 84 Jahre alt und im Januar diesen Jahres zurückgetreten.

Zum Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte im Gaza-Streifen sagt Patrick Leahy u.a.:“ It appears to me that shooting civilians and targeting civilian infrastructure , when you can´t prove it is being used by Hamas, would be a violation of human rights.” (Für mich sind das Schießen auf Zivilisten und Angriffe auf zivile Infrastruktur, falls nicht sicher ist, dass diese von der Hamas genutzt wird, ein Verstoß gegen die Menschenrechte.“) Leahy lässt keine Zweifel aufkommen, dass die Hamas gestoppt werden muss, sagt aber auch, dass Israel sein Vorgehen ändern muss, nämlich „ far more selective in how they go after Hamas.“  („Israel muss deutlich selektiver vorgehen gegen die Hamas.“)

Die Einschätzung von Leahy wird mittlerweile von vielen amerikanischen Politikern und auch von Mitarbeitern des Außenministeriums geteilt, weil diese sich dem „Leahy law“ und damit amerikanischem Gesetz und auch dem Völkerrecht verpflichtet fühlen. So schrieb der ehemalige Präsidentschaftskandidat und unabhängige Senator von Vermont, Bernie Sanders, gemeinsam mit Peter Welch, dem Nachfolger von Patrick Leahy, unterstützt von der jüdischen Abgeordneten  Becca Balint und 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des amerikanischen Außenministeriums in einem gemeinsamen Statement, dass sie sich verpflichtet fühlen, alles zu tun „ everything we can to stop the indiscriminate bombing which caused massive civilian casualties, bring in desperately needed humanitarian aid and protect innocent people in Gaza. This is a humanitarian catastrophe and we need action now. “ („alles zu tun, das rücksichtslose Bomben das massive zivile Opfer verursacht zu stoppen, dringend benötige humanitäre Hilfe zu bringen und unschuldige Menschen im Gaza-Streifen zu schützen. Das Ganze ist eine humanitäre Katastrophe, und wir müssen jetzt handeln.“)

Josh Paul, ein Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums, ist wegen der ständigen Verletzung des „Leahy Law“ durch die amerikanische Regierung zurückgetreten. Er war 11 Jahre lang der verantwortliche Leiter des „Congressional and Public Affairs Office“ im Büro des Außenministeriums für „Political Military Affairs“, das in der Hauptsache für den amerikanischen Waffenexport an Verbündete zuständig ist. Um Missverständnisse zu vermeiden, hat er vor seinem Rücktritt erklärt, dass der Überfall der Hamas „an atrocity and an outrage “ war. („eine Gräueltat und ein ungeheuerlicher Frevel“) Aber dann sagt Paul: „Israel wird zwar ständig unter dem Aspekt des „Leahy Gesetz“ überprüft, aber noch nie hat man eine israelische Einheit gefunden, die die Menschenrechte schwerwiegend verletzt hat. Das System ist kaputt. “) („ There is a “Leahy” vetting process for Israel. It has never found an Israeli unit to be guilty of a gross violation of human rights. It´s a broken system.”)

Zusammenfassung

Durch ihre militärische Unterstützung Israels bei der Verletzung des internationalen Rechts machen sich die USA ebenfalls schuldig. Israel missbraucht sein verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung durch die Unverhältnismäßigkeit seiner militärischen Reaktion, vor allem durch das Bombardieren der palästinensischen Bevölkerung, das Versagen von Nahrungsmitteln, der medizinischen Versorgung und die Vertreibung innerhalb des Gaza-Streifen. Das alles geschieht mit der militärischen Unterstützung durch die USA. Dazu gehören zunächst einmal die amerikanischen Waffensysteme, die durch Israel eingesetzt werden. Nicht nur die Flugzeuge und Hubschrauber stammen aus amerikanischer Produktion, sondern auch ein Großteil der Ausstattung der israelischen Streitkräfte insgesamt. Ohne die Nachlieferung von amerikanischen Bomben und Artilleriegranaten, wären die laufenden Militäroperationen Israels gegen die Hamas, aber auch gegen die palästinensische Bevölkerung und Infrastruktur nicht möglich. Wie dargestellt, verstoßen die USA aber nicht nur gegen internationales Recht, sondern auch gegen die eigenen Gesetze. Diese Tatsache ist nicht nur  ein wesentlicher Grund für die zunehmenden Differenzen im Kongress und Senat, sondern auch für die immer größer werdenden Demonstrationen  in den USA.

Es ist Zeit, dass „der Westen“ nicht nur politischen Druck auf Israel ausübt, die Verletzung der Menschenrechte im Gaza-Streifen zu beenden, sondern auch in Washington vorstellig zu werden, das Völkerrecht zu achten und die eigenen Gesetze einzuhalten.

Greven, den 19. November 2023 Jürgen Hübschen

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Zeitenwende in der Ukraine? – die Anzeichen dafür mehren sich.

Am 24. Februar 2022 waren die russischen Streitkräfte in die Ukraine einmarschiert. Bereits im März 2022 hatte es in Istanbul auf Vermittlung von Präsident Erdogan Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gegeben, um den Krieg zu beenden. Die zwischenzeitlich erreichten Ergebnisse waren nach Aussagen von Insidern durchaus erfolgversprechend. Nach einem Besuch des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson in Kiew am 09. April 2022 wurden die Verhandlungen ohne irgendwelche öffentlichen Verlautbarungen abgebrochen. Es ist davon auszugehen, dass Großbritannien und auch die USA an einem Waffenstillstand nicht interessiert waren, so dass Kiew nichts Anderes übrigblieb als die Gespräche zu beenden.

Praktisch seit dieser Zeit lehnt der ukrainische Präsident Selensky bis zum heutigen Tag jede Art von Verhandlungen ab und diese mittlerweile sogar per Gesetz verboten. Er betont immer wieder, dass er erst dann zu Gesprächen mit Präsident Putin bereit sei, nachdem alle russischen Soldaten aus der Ukraine abgezogen wären. Der ukrainische Präsident fügte seit dem Sommer 2023 in der Regel noch hinzu, dass die im Juni begonnene ukrainische Offensive erfolgreich verlaufe und die Ukraine den Krieg gewinnen würde. Dafür müsse allerdings die militärische Unterstützung „des Westens“ beibehalten und nach Möglichkeit noch intensiviert werden.

Bislang war man davon ausgegangen, dass diese unnachgiebige Position des Präsidenten, verbunden mit einer optimistischen Beurteilung der Gesamtlage, auch von der militärischen Führung der ukrainischen Streitkräfte grundsätzlich loyal mitgetragen wurde, obwohl zwischenzeitlich immer mal wieder kritische Stimmen laut wurden.

Die Differenzen zwischen der militärischen Führung und dem ukrainischen Präsidenten

Mittlerweile wird aber immer klarer, dass die militärische Führung der Streitkräfte die Gesamtlage sehr viel schlechter beurteilt als der Präsident, der als ziviler Befehlshaber über dem Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte steht und damit die letzte Entscheidungsgewalt hat.

Erstmalig wurden erhebliche Differenzen zwischen Präsident Selensky und der Führung der Streitkräfte im Zusammenhang mit dem Gefecht um die ukrainische Stadt Bachmut offenkundig. Die Generalität hatte erkannt, dass die Stadt nicht zu halten war und wollte deshalb weitere Verluste vermeiden. Auf Weisung des Präsidenten musste die Stadt noch einige Wochen länger „gehalten“ werden, bis man letztlich vor der russischen Übermacht aufgeben musste, nachdem zusätzlich Tausende ukrainische Soldaten gefallen waren oder verwundet wurden. Im Verlauf der im Juni begonnenen ukrainischen Offensive mehrten sich die kritischen Stimmen aus dem Militär, die aber von Präsident Selensky ignoriert wurden. Offensichtlich war das Maß jetzt voll, vermutlich auch bedingt durch die schlechten Witterungs- und Bodenverhältnissen, die den Einsatz von Panzern und anderen schweren Waffen immer schwieriger machten, so dass der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte Walerij Saluschnyi in einem Interview mit der britischen Zeitschrift „Economist“ an die Öffentlichkeit ging. Wörtlich sagte er u.a.:  

  • „Wie im ersten Weltkrieg haben wir ein Niveau der Technologie erreicht, das uns in eine Sackgasse bringt.“
  • Der Krieg stecke angesichts der gegenwärtigen „militärischen Parität“ der russischen und ukrainischen Armee fest.
  • „Es wird aller Wahrscheinlichkeit nach keinen tiefen und schönen Durchbruch geben.“
  • Ändern könne sich das nur, wenn die Ukraine Luftüberlegenheit und mehr Ausrüstung für das Räumen der bis zu 20km tiefen russischen Minenfelder bekomme, mehr Artilleriemunition und bessere Ausrüstung zur Störung der effektiven russischen Elektronik, und zudem mehr Ukrainer einziehen und trainieren könne.
  • All dies sei umso notwendiger als das gegenwärtige Patt es Russland ermögliche, „seine militärische Macht wiederherzustellen und aufzubauen.“
  • Trotz hoher Verluste behalte Moskau seine „Überlegenheit in Waffen und Ausrüstung, Raketen und Munition für beachtliche Zeit, während die Fähigkeiten seiner Militärindustrie wachsen.“
  • Zwar steigerten auch Kiews Partner die Produktionskapazität von Waffen und Munition dramatisch, doch daure dies je nach Waffen-oder Munitionstyp ein oder auch zwei Jahre.

Zwei Tage nach diesem Interview entließ Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Empfehlung von Verteidigungsminister Rustem Umjerow den Kommandeur der Spezialeinheiten der ukrainischen Streitkräfte, General Wiktor Chorenko. Dies berichtete die Ukrajinska Prawda unter Berufung auf den stellvertretenden Leiter des Präsidialamtes, Roman Mashovets. Die Entlassung erfolgte, ohne den Offizier vorher angehört und ohne sich vorher mit Walerij Saluschnyi als dessen Vorgesetzten abgestimmt zu haben. Selensky hatte den Geheimdienstveteranen Chorenko erst im Juni 2023 zum Chef der oft hinter den feindlichen Linien operierenden Spezialeinheiten gemacht und ihn im September wegen seiner Erfolge zum General ernannt. In seiner Abendansprache sagte das Staatsoberhaupt, dass Chorenko weiterhin Sonderaufgaben im Rahmen der Hauptdirektion für Nachrichtendienste des Verteidigungsministeriums wahrnehmen wird. Der ehemalige Kommandeur der Sondereinsatzkräfte sagte, er kenne die Gründe für seinen Rücktritt nicht.

Als neuen Kommandeur der Sondereinsatzkräfte ernannte der Präsident Serhij Lupantschuk.

Die Entlassung von General Chorenko und vor allen Dingen auch die Art und Weise der Entlassung- Chorenko hatte wohl aus der Zeitung davon erfahren-  hat zu großer Unruhe im ukrainischen Offizierskorps geführt, die bis heute offensichtlich anhält. Die Militärführung ist empört über die Einmischung des Präsidenten in militärische Belange ohne Absprache mit seinem Oberkommandierenden. Vor allem wegen der Art und Weise der Entlassung wird dem Präsidenten ein Verstoß gegen die „militärische“ Ethik“ vorgeworfen. Saluschnyi hat sich bislang zu dem Vorgang nicht öffentlich geäußert.

Am 05. November 2023 widersprach der ukrainische Präsident in einem Interview mit dem US Fernsehsender NBC der Analyse seines höchsten Militärs und erklärte u.a.: Ich glaube nicht, dass dies eine Sackgasse ist. Unser Militär kommt mit verschiedenen Plänen, verschiedenen Operationen, um schneller vorwärts zu kommen und die Russische Föderation unerwartet zu treffen.“

Am 06. November 2023 starb der persönliche Adjutant von Walerij Saluschnyi, Major Hennadij Tschastijakow, an seinem Geburtstag, als eine ihm von einem Kameraden geschenkte Handgranate explodierte. Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte erklärte auf „Telegram“ dazu: „Heute ist mein Assistent und naher Freund an seinem Geburtstag im Kreis seiner Verwandten unter tragischen Umständen ums Leben gekommen.“ Innenminister Ihor Klymenko sprach von einem Unglücksfall. Demnach hatte der Major einige ihm zum Geburtstag geschenkte Granaten seinem Sohn gezeigt. Dabei sei zufällig die Granate entsichert und der Vater bei der Explosion getötet worden. Das Kind wurde verletzt. Der Mann, der dem Offizier die verhängnisvollen Granaten geschenkt hatte, wurde laut Innenminister Klymenko bereits identifiziert. Er soll dem Adjutanten eine Flasche Whiskey und sechs Granaten geschenkt haben. Bei einer Durchsuchung von dessen Arbeitszimmer seien weitere Handgranaten gefunden worden, hieß es weiter. Die Ermittlungen dauerten an. Ein Anschlag oder eine Moskauer Spur im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurden in Kiew ausgeschlossen.

Zeitenwende in der Ukraine?

Ob man bereits von einer Zeitenwende in der Ukraine sprechen kann, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt zwar etwas verfrüht, kann aber nicht ausgeschlossen werden.

Neben den unübersehbaren Differenzen zwischen dem Präsidenten und der Führung der ukrainischen Streitkräfte müssen vor allem die politischen Veränderungen gesehen werden. Bei seinem letzten Besuch in den USA wurde Präsident Selensky nicht mit Standing Ovations im Kongress hofiert, sondern musste vielmehr zur Kenntnis nehmen, dass die umfassende finanzielle und militärische Unterstützung durch die USA nicht mehr als selbstverständlich eingeordnet werden kann. Neben den zunehmenden amerikanischen Zweifeln am militärischen Erfolg der Ukraine spielt dabei der Krieg in Nahost eine entscheidende Rolle. Dieser hat den Ukrainekrieg nicht nur aus den Schlagzeilen verschwinden lassen, sondern auch in den Interessen vieler Abgeordneter. Das gilt im Übrigen nicht nur für die USA, sondern auch für viele Politiker in Europa. Insgesamt ist man offensichtlich zu derselben Erkenntnis gelangt wie Walerij Saluschnyi, dass der Krieg von der Ukraine auf absehbare Zeit nicht gewonnen werden kann, völlig unabhängig davon, wieviel Geld und Waffen „der Westen“ in die Ukraine pumpen wird. Der bereits begonnene Wahlkampf in den USA ist sicherlich auch kein Vorteil für den ukrainischen Präsidenten.

Last but not least scheint Präsident Selenskyj mittlerweile der Einzige zu sein, der immer noch glaubt, die Ukraine könne den Krieg militärisch für sich entscheiden.

Fachleute sind sich einig, dass Saluschnyi mit seiner Lagebeurteilung grundsätzlich Recht hat. Dabei ist allerdings die entscheidende Frage, ob oder wie lange es überhaupt noch eine Patt Situation gibt oder ob Russland bereits die Oberhand gewonnen hat, wofür vieles spricht.

Die Differenzen mit der militärischen Führung haben dem ukrainischen Präsidenten massiv geschadet. Die Tatsache, dass er offensichtlich nicht die Kraft und Autorität hat, den Oberkommandierenden zu entlassen, obwohl ihm dieser öffentlich widersprochen hat, ist offenkundig. Die unbegründete Entlassung von General Chorenko erscheint in diesem Licht wie der untaugliche Versuch, Führungsstärke zu beweisen, was ihm vor allem beim Militär immens geschadet hat. Den Tot des Adjutanten von Saluschnyi sollte man nicht überbewerten, obwohl es dazu durchaus berechtigte Fragen gibt. Eine Handgranate explodiert nun einmal nicht von alleine…

Wer genau zuhört und die Entwicklung aufmerksam verfolgt, gewinnt den Eindruck, dass die Zeit des halsstarrigen und Kompromiss unfähigen Präsidenten abgelaufen ist. Seine Entscheidung, keine Wahlen abzuhalten und dies mit dem Kriegszustand zu begründen, erscheint vielen als durchsichtiges Manöver der Machterhaltung. Es gibt durchaus viele Stimmen in der Ukraine, die den populären Saluschnyi für den besseren Präsidenten halten. Ob die USA Selenskyj immer noch für den richtigen Mann am richtigen Platz halten, kann auch durchaus bezweifelt werden.

Die Ukraine braucht nicht erst jetzt einen Präsidenten, der begreift, dass immer mehr Tote und eine immer größere Zerstörung der Ukraine keine tragfähige Alternative zu Verhandlungen mit Moskau sind. Es wäre geboten, dass auch die USA, zusammen mit der EU ihm dieses klarmacht und ihn, falls er es selbst nicht einsieht, durch eine andere Persönlichkeit ersetzen lässt. Das könnte durchaus Walerij Saluschnyi sein, der das Vertrauen der Bevölkerung besitzt und sich vielleicht durch sein Interview bereits selbst in Stellung gebracht hat.

Greven, den 10. November 2023

Jürgen Hübschen

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Humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen- ein echter Akt der Menschlichkeit oder eine Art von politischer Perversion?

In diesem Beitrag geht es nicht um die Hintergründe dieses Krieges, der, wie der UNO Generalsekretär Guterres es formuliert hat, „nicht im luftleeren Raum stattfindet“.  Es geht auch nicht um die Darstellung der aktuellen Situation im Gazastreifen, die aus den warmen Sesseln der „westlichen“ Wohnungen sowieso nicht beurteilt werden kann, weil, wie in jedem Krieg, als erstes die Wahrheit durch Propaganda ersetzt wird. Es geht auch nicht darum zu beurteilen, ob Israel diesen Krieg militärisch gewinnen kann, weil es ja letztlich eine Ideologie vernichten müsste. Nein, es geht in diesem Beitrag darum, ob die humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen wirklich ein Akt echter Menschlichkeit ist oder vielleicht eher eine Art von Perversion der Politik

Der Krieg zwischen der Hamas und Israel

Seit dem Terrorangriff vom 07. Oktober 2023 herrscht ein offener Krieg zwischen der Hamas und Israel. Die seitdem stattfindenden Ereignisse dominieren die Schlagzeilen der „westlichen Presse“ und haben den Ukrainekrieg auf einen Nebenschauplatz verdrängt, obwohl dort auch noch jeden Tag gestorben und ein Land immer weiter zerstört wird. Aber ein Thema, das auf den Titelseiten der Presse abgehandelt und in Rundfunk und Fernsehen einen breiten Raum einnimmt, zwingt auch die Politiker, die eigene Agenda darauf abzustimmen. Auf diese Weise erfahren die Menschen weltweit nicht nur, wie sich Israel für den Terrorangriff der Hamas rächt, sondern dass dieses Vorgehen als ein legitimer Akt der Selbstverteidigung eingestuft wird. Die der Form halber immer ergänzte Aussage, dass sich Israel bei seiner Verteidigung an Recht und Gesetz halten muss, kann man durchaus als eine Pflichtübung bezeichnen, weil es nämlich offensichtlich keinen Politiker stört, dass Israels Handeln zunehmend von Rache und nicht mehr von Recht und Gesetz bestimmt wird. Israel – oder sagt man vielleicht besser: Premierminister Netanjahu? –  will die Hamas vernichten nach dem Grundsatz „Aug um Auge Zahn um Zahn“, lässt dabei jede Verhältnismäßigkeit vermissen, weist jede Form von Kritik zurück, verstößt durch massive Luft- und Artillerieangriffe gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und missbraucht auf diese Weise das ihm zugestandene Recht auf Selbstverteidigung in sträflicher Art und Weise.Fachleute gehen davon aus, dass die Hamas über ca. 40.000 Kämpfer verfügt, das entspricht weniger als 2% der Bevölkerung des Gazastreifens. Um diese 40.000 auszuschalten- was vermutlich gar nicht gelingen wird- werden Tausende unschuldige Menschen, getötet, verstümmelt, traumatisiert, aus ihren Häusern vertrieben und ganze Ortschaften durch israelische Bomben, Raketen und Artillerie plattgemacht. Die Gefahr, dass es zu einer Ausweitung dieses Krieges kommt, ist immer noch imminent und die Frage, was nach diesem Krieg kommen soll, ist völlig ungeklärt.

Humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen- ein echter Akt der Menschlichkeit oder eine Art von politischer Perversion?

Während weltweit die Stimmen nach einem vollständigen Cease Fire immer lauter und die Forderungen nach einer Lösung des Konfliktes immer unüberhörbarer werden, lehnt Premierminister Netanjahu einen Waffenstillstand ab und wird in seiner Haltung dabei von den USA und der Mehrheit der westlichen Staaten unter Hinweis auf das israelische Recht auf Selbstverteidigung unterstützt. Da diese unnachgiebige Haltung das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung aber ständig vergrößert und die schrecklichen Bilder davon immer unerträglicher werden, will „der Westen“ wenigstens nicht mehr tatenlos zusehen, wie es den Menschen im Gazastreifen an allem fehlt. Es gibt für die mehr als 1 Million Vertriebenen keine festen Unterkünfte mehr, keine regelmäßige Verpflegung und die Gesundheitsversorgung ist in einer Form zusammengebrochen, dass es glaubhafte Berichte gibt, dass mittlerweile auch Kindern ohne Narkose Gliedmaßen amputiert werden.

Deshalb fordert „der Westen“ einen humanitären Waffenstopp, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Auf dem G-7 war dies ein wesentlicher Punkt auf der Agenda, und auch auf der internationalen Konferenz, zu der Präsident Macron nach Paris eingeladen hat, geht es darum, die humanitäre Situation der Menschen im Gazastreifen zu verbessern. Die Forderung nach einem Ende dieses Krieges, nicht einmal nach einem Stopp der Bombardierung des Gazastreifens wird überhaupt nicht gestellt, und auch das Thema, was geschieht „Danach“, steht nicht auf der Agenda der EU, der G-7 Staaten oder der USA. So stellt sich die Frage, ob es hier wirklich um echte Menschlichkeit geht oder vielleicht eher um eine Art von pervertierter Politik. Mit einem gewissen Zynismus könnte man fragen: Will „der Westen“ die Menschen im Gazastreifen erst satt machen, sie gesundheitlich versorgen, sich um Unterkünfte für die Vertriebenen bemühen, bevor sie durch israelische Bomben, Raketen und Granaten weiterhin getötet, verletzt, traumatisiert oder bei lebendigem Leib verschüttet werden? Ist das wirklich humanitäre Unterstützung oder nicht eher nur die Beruhigung des schlechten Gewissens, weil es doch eigentlich jedem verantwortungsbewussten Politiker klar sein müsste, dass die beste humanitäre Unterstützung eine sofortige Beendigung des Krieges oder wenigstens ein Stopp der Bombardierung wäre. Durch die aktuelle westliche Politik entsteht der Eindruck, dass man sich davor fürchtet, dem israelischen Premierminister klipp und klar zu sagen, dass dieses Bombardement aufhören muss, was ja nicht automatisch die Forderung beinhaltet, dass sich die israelischen Truppen umgehend aus dem Gazastreifen zurückziehen müssen. Es geht in erster Linie nicht darum, den Kampf gegen die Hamas einzustellen, sondern damit aufzuhören, diesen Kampf zu Lasten der Zivilbevölkerung zu führen.Die Methode, unschuldige Menschen zu bombardieren und dadurch zu töten, zu verletzen oder zu vertreiben, um auf diese Weise Druck auf ein handelndes Regime auszuüben, ist mit den Wertvorstellungen des christlichen Abendlandes nicht zu vereinbaren und hat auch noch nie funktioniert. Israel hat den Anspruch eine Demokratie zu sein, und für einen Rechtsstaat gibt es nun einmal klare Regeln, auch dann, wenn er von Terroristen oder anderen Gewalttätern angegriffen wird, denen das Völkerrecht und auch ethische Grundsätze egal sind. Wenn man so will, ist es ein Nachteil von Demokratie, dass Verbrechen anderer dasselbe eigene Handeln nicht rechtfertigen. Die Zeiten, in denen das Prinzip „Auge um Auge Zahn um Zahn“ eine Handlungsmaxime war, müssen unwiderruflich der Vergangenheit angehören.

Als eine Kompromissformel oder als eine ehrliche humanitäre Unterstützung sollte „der Westen“ nicht auf einem sofortigen und aktuell wohl auch kaum zu erreichenden umfassenden Cease Fire bestehen, sondern als einen ersten Schritt fordern, dass die israelischen Luft- und Artillerieangriffe sofort eingestellt werden, weil die sich mehr gegen die Zivilbevölkerung richten als gegen die Hamaskämpfer, die sich vermutlich vorwiegend in dem riesigen Tunnelsystem aufhalten.

Ein Ende der Bombardierung ist aus meiner Sicht die Voraussetzung für eine ehrliche humanitäre Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen.

Greven, 09. November 2023

Jürgen Hübschen

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Der Bundespräsident in Tansania, der Bundeskanzler in Nigeria und Ghana, die Innenministerin in Marokko und die Außenministerin in Armenien und Aserbeidschan- was heute im politischen Berlin wirklich wichtig wäre

Am 07. Oktober 2023 hat die Hamas einen offensichtlich langfristig geplanten Angriff auf Israel durchgeführt. Je nach Sichtweise bezeichnen die Einen diesen Überfall als einen Terrorakt, andere nennen ihn einen Ausbruchsversuch aus dem größten „Freiluft-Gefängnis der Welt“ und wieder andere definierten ihn als eine mit beeindruckender Präzision durchgeführte Militäroperation, mit der auf israelischer Seite offensichtlich niemand gerechnet hatte. Etwa 1.400 Israelis wurden getötet und ca. 240 Geiseln genommen und in den Gazastreifen entführt. Seit diesem 7. Oktober findet- man könnte sagen wieder einmal-  ein Krieg zwischen Israel und der Hamas statt, und ein Ende ist nicht absehbar. Vielmehr wird die Gefahr immer größer, dass sich dieser Krieg auf die Region oder sogar darüber hinaus ausbreitet. Unmittelbar nach dem Angriff der Hamas ist die deutsche Außenministerin zwei Mal in die Region geflogen, und auch der Bundeskanzler hat durch seinen Besuch Israel seine Solidarität gezeigt und noch einmal versichert, dass die Sicherheit Israels ein Teil der deutschen Staatsräson ist. Der Bundespräsident hat in einer Rede in Berlin ebenfalls seine Solidarität mit Israel bekundet und jede Form von Antisemitismus in Deutschland verurteilt.

Zwischenzeitlich hat es zum Nahost-Krieg verschiedene Treffen der EU auf unterschiedlichen Ebenen gegeben, bei denen deutlich wurde, dass es unter den Mitgliedsstaaten keine einheitliche Position zu diesem Krieg gibt. Diese Zerstrittenheit wurde auf der Sitzung der UN Vollversammlung überdeutlich, als die EU zu einer von Jordanien eingebrachten Resolution für eine „humanitäre Waffenpause“ völlig unterschiedlich abstimmte. Es gab mit Frankreich einen Befürworter der Resolution, Nein-Stimmen u.a. von Österreich und Ungarn und Enthaltungen, u.a. von Deutschland. Klarer hätte man die Unfähigkeit der EU im Bereich des Krisenmanagements nicht demonstrieren können.

Was passiert aktuell?

Nach ihrem anfänglichen Engagement und den vollmundigen Erklärungen, Israel uneingeschränkt zu unterstützen, aber auch alles zu tun, um das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu lindern, scheint man im politischen Berlin wieder zur Tagesordnung überzugehen. Der Bundespräsident fliegt zum Staatsbesuch nach Tansania, der Kanzler zu Wirtschaftsgesprächen nach Nigeria und Ghana, die Innenministerin zu Gesprächen über Zuwanderungsregeln nach Marokko und die Außenministerin nach Armenien und Aserbeidschan, um in dem langjährigen Konflikt zwischen diesen beiden Ländern zu vermitteln. Der Verteidigungsminister ist in Deutschland geblieben und fordert mit markigen Worten eine Kriegsfähigkeit von Bundeswehr und Gesellschaft.

Das alles ist nur schwer nachvollziehbar, so lange in Nahost ein neuer Krieg tobt, während die militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine in einen von Kiew nicht zugewinnenden Stellungskrieg überzugehen droht.

Was müsste passieren?

Wenn die Sicherheit Israels wirklich ein Teil der deutschen Staatsräson ist und vor dem Hintergrund einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen, einer unverhältnismäßigen militärischen Antwort auf den Überfall der Hamas und einer zunehmenden Destabilisierung der gesamten Nahmittelost-Region, müssten in Berlin alle politischen Aktivitäten gebündelt werden, um zunächst in Nahost einen Waffenstillstand zu erreichen und dann die Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung endlich konkret in Angriff zu nehmen.

Dafür müsste die EU umgehend so lange tagen bis erst einmal eine einheitliche Position zu diesem Krieg und eine politische Strategie für die weitere gemeinsame Vorgehensweise definiert werden. Dazu müsste der Bundeskanzler als erstes nach Paris fliegen, um sich mit Präsident Macron abzustimmen und dann ggf. zusammen mit dem französischen Präsidenten nach Washington, um eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Die Außenministerin müsste praktisch ihren Dienstort nach Brüssel verlegen, um im ständigen Austausch mit ihren Kollegen zu sein.

Zusätzlich müsste der Kanzler nach Israel fliegen und Premierminister Netanjahu klipp und klar sagen, dass Deutschland dessen Haltung, einen Waffenstillstand rigoros abzulehnen, nicht akzeptiert, weil diese verhärtete Position letztlich Israel selbst schaden wird. Bei einem solchen Besuch müsste dem israelischen Premier auch endlich gesagt werden, dass Kritik an politischen Entscheidungen der israelischen Regierung nichts mit Antisemitismus zu tun hat, genauso, wie Kritik an der Hamas nicht gleichgesetzt werden darf mit einer antimuslimischen Haltung.

Fazit:

In der aktuellen Situation, in der es offensichtlich nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis dieser Krieg außer Kontrolle gerät, muss Deutschland, zusammen mit der EU, den USA und auch der Arabischen Liga alle Energien bündeln, um den immer drohender werdenden Flächenbrand zu vermeiden. Die Raketenangriffe des Jemen auf die israelische Stadt Eilat am Roten Meer, die Angriffe auf US-Stützpunkte in Syrien und im Irak und den darauf erfolgten Luftschlägen der USA auf Einrichtungen iranischer Milizen in Syrien, das Ultimatum des Hisbollah Chefs Hassan Nasrallah, mit seinen hochgerüsteten Kämpfern in diesen Krieg einzugreifen, falls es nicht bis zum 03. November 2023 einen Waffenstillstand gibt, die emotionale Rede des türkischen Präsidenten, der alle Muslime in dieser Welt zur Solidarität mit den Palästinensern aufruft, die zunehmenden Demonstrationen für die Palästinenser in arabischen und europäischen Ländern und in den USA und nicht zuletzt die emotionale Rede des israelischen Premierministers vom 29. Oktober, in der er den Krieg gegen die Hamas als eine Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse bezeichnet, sind klare Signale, dass die Zeiger der Uhr auf fünf Minuten vor Zwölf stehen.

Dieser Tatsache sollten auch in Deutschland alles anderen politischen Aktivitäten untergeordnet werden

Greven, den 03. November 2023

Jürgen Hübschen

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Falls die Abschreckung versagt- die Lunte in Nahost ist kürzer als manche Politiker wahrhaben wollen

In diesem Artikel geht es nicht um Schuldzuweisungen an die Israelis oder die Palästinenser oder an all die Politiker, die es bislang versäumt haben, eine Lösung für ein friedliches Miteinander aller Menschen in Nahost durchzusetzen, sondern darum aufzuzeigen, was passieren könnte, falls die amerikanische Politik der Abschreckung durch militärische Stärke versagt.

Abschreckung als sicherheitspolitische Strategie

Im aktuellen Krieg in Nahost hat die US-Regierung ihre maritime Präsenz und auch die noch immer zunehmenden Truppenverstärkungen und Waffenlieferungen in der Nahmittelost-Region  hauptsächlich mit der Abschreckung gegenüber dem Iran und der Hisbollah begründet, als Warnung in das aktuelle Kriegsgeschehen einzugreifen. Was passieren würde, für den Fall, dass diese Abschreckung versagen sollte- im Fachjargon heißt das: „If deterrence fails“, ist der US-Präsident bislang die Antwort schuldig geblieben.

Um dieses Problem etwas genauer zu beleuchten, nachstehend einige Informationen zur aktuellen Strategie der NATO, in der ja die „Abschreckung“ eine mitentscheidende Rolle spielt:

Mitte der 50er Jahre folgte die NATO dem strategischen Konzept der „Massiven Vergeltung“. Im Zusammenhang mit der Kuba-Krise wurde das Konzept überdacht, und das Prinzip der „Nuklearen Abschreckung“ wurde die entscheidende Komponente der Strategie des Bündnisses. Danach entschied sich die NATO für eine Strategie der „Flexible Response“, um einen potenziellen Gegner über eine mögliche Reaktion des Bündnisses im Unklaren zu lassen. Auf dem NATO Gipfel im Juni 2022 in Madrid verabschiedete die NATO ihr aktuelles strategisches Konzept einer kollektiven Sicherheit mit drei Kernaufgaben, wörtlich definiert als: „Die drei Kernaufgaben der NATO sind Abschreckung und Verteidigung, Krisenprävention und -bewältigung und kooperative Sicherheit“

Letztlich behält sich die NATO mit dem aktuellen strategischen Konzept, in dem die Abschreckung nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, trotzdem eine flexible Reaktion vor, um auf jede mögliche Bedrohung durch welchen Gegner auch immer, lagegerecht zu reagieren. Es gibt keinerlei Automatismus.

Ob Washington diese aktuelle Strategie, die ja von den USA entscheidend entwickelt wurde, auf die aktuelle Situation in Nahost übertragen oder sich eher für eine „massive Vergeltung“ entscheiden, bleibt abzuwarten

If deterrence fails

Und damit zurück zur Begründung der massiven amerikanischen maritimen Präsenz vor der Küste im östlichen Mittelmeer und den militärischen Verstärkungsmaßnahmen in der gesamten Nahmittelost-Region.

Was würde passieren, falls der Iran und/oder die Hisbollah sich nicht abschrecken ließen und aktiv in den Krieg eingriffen.? Würden die USA dann auf der israelischen Seite in diesen Krieg durch eine direkte Bekämpfung der Hisbollah von der Seeseite mit Schiffsartillerie oder Raketen eingreifen oder durch Luftunterstützung für die israelischen Bodentruppen im Kampf gegen die Hisbollah und/oder gegen die iranischen Milizen in Syrien oder mit strategischen Raketen und/oder Kampfbombern gegen Militäreinrichtungen in Syrien oder sogar gegen Damaskus, vielleicht auch gegen den Iran? Würde man vielleicht sogar Beirut angreifen und letztlich den Libanon ebenso zu einem „Fail State“ machen wie zuvor schon Libyen? Würde man es bei Raketen- und Luftangriffen belassen oder würden die etwa 2.000 auf den Schiffsverbänden präsenten US Marines in den Kampf gegen die HAMAS in Gaza eingreifen? Über all diese Möglichkeiten kann man nur spekulieren. Was aber als sicher angenommen werden kann, ist, dass die USA reagieren müssen, falls ihre Strategie der Abschreckung vor allem gegen die Hisbollah und den Iran versagt, weil sie sonst jede Glaubwürdigkeit verlieren und letztlich vor der Welt wie ein zahnloser Tiger dastehen würden.

Mögliche Reaktionen auf das Eingreifen der USA in den Krieg

Diese Überlegungen sind aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite geht es um mögliche Reaktionen, falls die USA- mit welchen militärischen Mitteln auch immer- auf der Seite Israels in diesen Krieg eingreifen würden.

Die Hisbollah

Der Libanon hat eine gemeinsame Grenze mit Israel. Die Hisbollah ist nicht nur eine entscheidende politische Kraft im Libanon, einem Land, in dem es nur eine provisorische Regierung gibt, sondern militärisch weit stärker als die libanesische Armee. Niemand kennt die genauen Zahlen, aber sie ist um ein vielfaches stärker als die Hamas, verfügt über professionelle Kämpfer und auch ihre Bewaffnung stellt vor allem mit den Raketen, die jeden Punkt in Israel erreichen können, für die israelische Bevölkerung eine viel größere Bedrohung dar, vor der die israelische Armee die Menschen nicht schützen kann. Das Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ wurde bereits durch die Menge der zeitgleich abgefeuerten Raketen der Hamas saturiert und konnte deshalb nicht alle abwehren. Bei der Hisbollah geht man von deutlich mehr als 100.000 und technisch deutlich höherwertigen Raketen aus, so dass die Einwohner Israels davor letztlich nur unzureichend geschützt werden könnten. In Erinnerung an die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 muss außerdem bezweifelt werden, ob Israel in einem Zwei-Fronten-Krieg die Hisbollah besiegen kann.

Da einige Führer der Hamas im Libanon residieren, dürfte eine Kooperation mit der Hisbollah relativ einfach sein.

Die iranischen Milizen in Syrien

In Syrien sind immer noch iranische Milizen präsent, die ihre Kampfkraft auch im Irak gegen den Islamischen Staat unter Beweis gestellt haben, als sie mit Hilfe amerikanischer Luftunterstützung – an die man heute in Washington nicht mehr gern erinnert wird.- diese islamistischen Terroristen zum größten Teil vernichtet haben. Unklar ist, ob immer noch iranische Revolutionsgarden in Syrien stationiert sind, die Präsident Assad im Kampf gegen den IS und zur Verteidigung der eigenen Macht offiziell um Unterstützung gebeten hatte.

Die iranischen Kämpfer könnten gegen Israel ein 3. Front eröffnen.

Die syrischen Streitkräfte

Die israelische Luftwaffe hat in den letzten beiden Wochen zwei, vielleicht sogar drei Mal die zivilen Flughäfen von Aleppo und Damaskus mit der Begründung angegriffen, den Nachschub für die Hamas zu unterbrechen. Bislang hat der syrische Präsident darauf noch nicht reagiert, aber das könnte sich auch ändern. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass in Syrien immer noch US-Soldaten stationiert sind, die in eine militärische Auseinandersetzung hineingezogen werden oder sich aktiv daran beteiligen könnten.

Die russischen Streitkräfte in Syrien

Russland hat sich zwar bislang aus der neuen Nahost-Krise weitgehend rausgehalten. Russland verfügt in Syrien in Tartus über einen Marinestützpunkt und bei Latakia über eine Luftwaffenbasis mit unterschiedlichen Kampfflugzeugen. Aktuell gibt es keinerlei Anzeichen, dass Russland in diesen Krieg eingreifen würde, obwohl sich Moskau zunehmend auf der Seite der Palästinenser positioniert. Sollte sich die Lage verändern, hätte Russland nicht nur von Syrien aus, sondern auch von Kriegsschiffen im Mittelmeer und im Schwarzen Meer die Möglichkeit in den Krieg einzugreifen.

Die Türkei

Die Türkei ist nach einem Manöver südlich von Zypern immer noch mit mehreren Kriegsschiffen im östlichen Mittelmeer präsent und hat sich eindeutig auf der Seite der Palästinenser positioniert. Die besondere Brisanz dabei ist, dass es sich bei der Türkei um das einzige NATO-Land mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung handelt, die allein aus religiösen Gründen mit den Palästinensern solidarisch ist. 

Je nach Lageentwicklung wäre auch ein Eingreifen der Türkei nicht auszuschließen, wobei dann zwei NATO-Staaten unterschiedliche Kriegsparteien unterstützen würden.

Der Iran

Mit dem Iran und den USA stehen sich zwei Todfeinde gegenüber. Dafür gibt es neben den von den USA verhängten Sanktionen mehrere sehr konkrete Gründe. Der erste ist die Geiselnahme des amerikanischen Botschaftspersonals in Teheran im Jahr 1979, nach wie vor ein Trauma für Washington. Der zweite Grund ist die völlig falsche Lagebeurteilung der USA, als Ayatollah Khomenie mit seinen Islamisten die Macht im Iran übernehmen konnte, nachdem Washington den Schah fallen gelassen hatte. Der dritte wesentliche Grund ist der versehentliche Abschuss eines zivilen iranischen Airbus durch das amerikanische Kriegsschiff „USS Vincennes“ über der Straße von Hormuz am 03. Juli 1988. Dabei kamen 290 Menschen ums Leben, darunter 60 Kinder.  Der vierte und aktuellste Grund ist die Aufkündigung des „Atomabkommens“ mit den USA durch den damaligen US-Präsidenten Trump im Jahr 2018 und damit verbunden noch schärfere Sanktionen gegen den Iran.

Es ist davon auszugehen, dass ein Eingreifen des Irans wohl nur im Zusammenhang mit den Operationen durch oder gegen die Hisbollah erfolgen könnte. Dabei stehen dem Iran verschiedene Möglichkeiten offen und zwar immer vor dem Hintergrund des schiitischen Halbbogens, der sich vom Iran, über den Irak, dem von den schiitischen Alawiten beherrschten Syrien bis zur Hisbollah im Libanon spannt. In diesen Halbbogen ist auch die Hamas einzugliedern, obwohl es sich um eine sunnitische Gruppe handelt. Der Iran ist mit seinen weitreichenden Raketen in der Lage, Israel direkt anzugreifen, sozusagen als höchste Form der Eskalation. Wesentlich einfacher wäre es für Teheran allerdings, Angriffe auf die amerikanischen Stützpunkte im benachbarten Irak oder in Ländern auf der arabischen Halbinsel, wie z.B. in Kuwait oder auch in Bahrain und Katar. Der Stützpunkt der 5. US-Flotte in Bahrain könnte vom Iran, der die gesamte Gegenküste des persisch-Arabischen Golfes beherrscht, von See und aus der Luft angegriffen werden, ebenso die „Al Udeid“ Air Base in Katar, der mit 10.000 US-Soldaten größte Luftwaffenstützpunkt der USA in der Nahmittelost-Region.  Hier ist auch das US-Central Command mit einer vorgeschobenen Basis stationiert. Last but not least verfügt der Iran über die Fähigkeit, die Straße von Hormuz, als den Eingang zum Persisch-Arabischen Golf zu sperren. Rund ein Fünftel der weltweiten Öltransporte gehen durch dieses Nadelöhr.

Reaktionen der muslimischen Bevölkerung

Neben den politischen und/oder auch militärischen Reaktionen der angesprochenen Länder könnten natürlich auch Unruhen in der jeweiligen Bevölkerung dazu führen, dass sich vor allem noch andere arabische Länder zu einem militärischen Eingreifen auf Seiten der Palästinenser entschließen oder gar genötigt sehen. Für Jordanien gilt das besonders, weil das Land einen Bevölkerungsanteil von fast 2 Millionen Palästinensern hat und fast 3.000 US- Soldaten auf der Air Base „Al-Azraq“ stationiert sind, zusätzlich übrigens auch deutsche Soldaten im Rahmen ihrer Beteiligung an der Operation „Counter Daesh“, der Bekämpfung des islamischen Staates. (IS).

 In Ägypten hat sich Präsident Al Sisi deutlich auf Seiten der Palästinenser positioniert und die eigene Bevölkerung zu Demonstrationen aufgefordert, die sich jederzeit ausweiten können. Das ist besonders brisant, weil Ägypten den einzigen Grenzübergang zum Gaza-Streifen kontrolliert.

Man darf in Bezug auf die arabischen Länder insgesamt nicht vergessen, dass die in den letzten Jahren erfolgte Annäherung zwischen ihren Regierungen und Israel immer nur von den Eliten ausgegangen ist und nicht von der Bevölkerung, den s.g. einfachen Leuten. Diese stehen, wie die aktuellen Demonstrationen und zunehmenden Unruhen zeigen, mehr oder weniger geschlossen auf Seiten der Palästinenser. Letztlich kann die Lage für alle US-Stützpunkte in der Nahmittelost-Region brisant werden, falls es zu größeren Unruhen in der Bevölkerung kommt. Das gilt besonders für Bahrain und Katar. Hier könnten solche Unruhen dazu führen, dass die Regierungen die Stationierungsabkommen mit den US aufkündigen und Washington auffordern, die US-Truppen abzuziehen und die Stützpunkte zu schließen. Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass es auch in relativ vielen Ländern Europas große muslimische Anteile in der jeweiligen Bevölkerung gibt.  Die aktuellen Demonstrationen verdeutlichen das nachdrücklich.  

Diplomatie, der einzige Weg, einen Flächenbrand zu verhindern

Der israelische Historiker Ilan Pappe ruft in seinem 2019 erschienenen Buch „Die ethnische Säuberung Palästina“ die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konfliktes in Erinnerung und schockt den Leser durch Zitate, wie: Ben Gurion (1949 1. Premierminister Israels): „Ich bin für die Zwangsumsiedlung: darin sehe ich nichts Unmoralisches“ oder Golda Meir (Ministerpräsidentin Israels von 1969-1974): “ So etwas wie ein Palästinenservolk gibt es nicht, hat nie existiert.“

Wer diese Zitate jetzt als eine Rechtfertigung des Überfalls vom 07. Oktober 2023 versteht, hat mich völlig missverstanden. Ich will damit deutlich machen, in welchen Kontext dieser brutale Angriff einzuordnen ist. Spätestens seit dem Beginn des „Oslo-Friedensprozess“ im Jahr 1993 steht eine Zwei-Staaten Regelung auf der Agenda für ein Zusammenleben von Israelis und Palästinensern, aber geschehen ist nichts. Ganz im Gegenteil. Die Bevölkerung des Gazastreifens lebt seit annähern 17 Jahren in einem Gefängnis, um das belastete Wort Ghetto nicht zu gebrauchen. Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter fast 50% unter 15 Jahre alt, werden mehr oder weniger von den Vereinten Nationen am Leben gehalten und zwar ohne irgendeine Perspektive, dass sich das einmal ändert. Jetzt hat es einen in seiner Brutalität geradezu archaisch zu nennenden Ausbruch aus diesem Gefängnis gegeben, der bis jetzt fast 1.500 Israelis und – nach den veröffentlichen Angaben- etwa 4.500 Palästinensern das Leben gekostet hat. Ein Ende der Gewalt ist nicht abzusehen, aber dafür eine Ausweitung des Krieges in einen Flächenbrand zu befürchten. Das gilt besonders, weil alle Bemühungen, die Diskussion zu versachlichen und humanitären Maßnahmen Vorrang einzuräumen gegenüber der Bekämpfung der Hamas im Gazastreifen bislang gescheitert sind.

Am 18. Oktober 2023 scheiterte ein brasilianischer Resolutionsentwurf, der den Fokus auf humanitäre Hilfe gelegt hatte, am Veto der USA.Am 21. Oktober blieb die von Ägypten organisierte „Konferenz für den Frieden“ ohne Ergebnis. Bereits an der Teilnehmerliste war zu erkennen gewesen, welch unterschiedliche Bedeutung die einzelnen Länder diesem Treffen beigemessen hatten. So waren z.B. der jordanische König Abdullah und die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni nach Ägypten gereist, während die USA lediglich ihre die Botschafterin in Ägypten, Beth Jones, geschickt hatten und der US Sondergesandte David Satterfield am selben Tag zu Konsultationen nach Tel Aviv geflogen war. Ägyptens Präsident Al-Sisi verurteilte „die militärische Eskalation“ seit dem 7. Oktober und „die kollektive Bestrafung der Palästinenser“. Der Welt warf er vor, schweigend zuzusehen, wie sich eine katastrophale humanitäre Krise im Gasastreifen entfalte.

Jordaniens König Abdullah sagte in seiner Ansprache auf der Konferenz, Israel müsste einsehen, dass „es für Sicherheitsbedenken keine militärische Lösung gibt.“ Er zeigte sich empört über „die zivilen Opfer in Gaza, dem Westjordanland und Israel. Alle zivilen Leben sind wichtig. Die unerbittliche Bombenkampagne, die in diesem Moment in Gaza stattfindet, ist in jeder Hinsicht grausam und unverzeihlich. Sie ist eine kollektive Bestrafung eines belagerten und hilflosen Volkes. Es ist ein eklatanter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Es ist ein Kriegsverbrechen.”

Bei einem Treffen der Außenmnister der EU zeigte sich, dass es keine einheitliche Meinung gab., was die Aussage von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bestätigte, indem er feststellte: „Die EU ist kein Player, sondern ein Payer ohne Plan.“

Die deutsche Außenministerin Baerbock stellte sich, ebenso wie Österreich und Tschechien, gegen die Forderung nach einem humanitären Waffenstillstand für den Gaza-Streifen mit der Begründung die Bekämpfung des Terrorismus sei essenziell, obwohl der UN Generalsekretär Antonio Guterres unmittelbar vor dem Treffen der EU Außenmnister zu diesem Waffenstillstand aufgefordert hatte.

Ganz aktuell gab es weitere vergebliche Bemühungen, wenigstens einen humanitären Waffenstillstand zu erreichen. So appellierte der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, ein offizieller Unterstützer der Hamas, an Israel, das Bombardement einzustellen. „Genug ist genug“. Das Blutvergießen müsse gestoppt und Zivilisten müssten die Folgen militärischer Konfrontation erspart werden.“ In unserer Zeit sollte auch nicht erlaubt sein, den Zugang zu Wasser abzuschneiden und Arzneimittel und Essen zurückzuhalten als eine Waffe gegen eine gesamte Bevölkerung.“ Am 24. Oktober 2023 verurteilte der UN Generalsekretär auf einer Sitzung des Weltsicherheitsrates die Angriffe von Terroristen im Auftrag der islamistischen Hamas auf Israel erneut auf das Schärfste, aber er sagte auch mit Blick auf die 56 Jahre dauernde „erdrückende Besatzung“ durch Israel: „Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden.“  Er kritisierte Israels Angriffe auf den Gazastreifen mit den Worten: „Der Schutz der Zivilbevölkerung bedeutet nicht, mehr als eine Million Menschen zur Evakuierung in den Süden zu befehlen, wo es keine Unterkünfte, keine Nahrung, kein Wasser, keine Medikamente und keinen Treibstoff gibt und dann den Süden selbst weiter zu bombardieren.“  Das palästinensische Volk habe erlebt, wie sein Land durch Siedlungen dezimiert und von Gewalt heimgesucht worden sei. Die Hamas Angriffe könnten „die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen.“ Israels UN-Botschafter verurteilte die Äußerungen von Guterres scharf. Diese hätten eine „verzerrte und unmoralische Sicht“ des am 7.Oktober von HAMAS-Terroristen in Israel verübten Massakers. Israels Außenminister Eli Cohen sagte ein Treffen mit Guterres ab und schrieb: „Ich werde den UN-Generalsekretär nicht treffen. Nach dem 07. Oktober gibt es keinen Platz mehr für eine ausgewogene Position.“ Später forderte er sogar den Rücktritt des UN Generalsekretärs.

Der israelische Außenmnister liegt mit seiner Aussage völlig falsch; denn was die Welt braucht ist genau diese von ihm abgelehnte ausgewogene Position, um ein Ende dieses Krieges und eine darauf aufbauende Friedensregelung im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen. Wichtigste Voraussetzung dafür ist eben diese ausgewogene Position, nämlich einerseits den Angriff der Hamas auf Israel eindeutig zu verurteilen, aber auf der anderen Seite nicht mehr länger zu akzeptieren, dass begründete Kritik an israelischer Politik und ihren unverhältnismäßigen militärischen Maßnahmen Mantra mäßig und fälschlicher Weise von allen israelischen Regierungen als Antisemitismus bezeichnet und kategorisch zurückgewiesen wird.

Die angesprochene Lunte kann, um im Bild zu bleiben, nur mit Hilfe von Weitsicht und Objektivität im Rahmen professioneller Diplomatie, in die unbedingt Katar einzubeziehen ist, ausgetreten werden.

Greven, 25. Oktober 2023

Jürgen Hübschen

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Der Krieg in Nahost- warum Israel die „HAMAS“ militärisch nicht besiegen kann

Die zionistischen Israelis verfolgen das Ziel, Palästina von der Landkarte zu tilgen und in den Staat Israel zu integrieren, weil auch Palästina zum „Heiligen Land“ und damit zu Israel gehört. Die HAMAS will den Staat Israel in seiner Gesamtheit vernichten und alles zu einem einzigen Palästina werden lassen. Das ist, einfach dargestellt, der gordische Knoten, den es zu durchschlagen gilt. Darum hat sich in der Vergangenheit leider niemand konsequent und ehrlich gekümmert, sonst wäre dieser noch nie da gewesene Ausbruch von Gewalt nicht möglich gewesen. Israel reagiert auf die Verbrechen der HAMAS mit durchaus vergleichbarer Brutalität und propagiert, so lange Krieg zu führen bis die HAMAS endgültig und unwiderruflich zerschlagen ist. Dieser Beitrag wird versuchen zu erklären, warum dieses Ziel militärisch unerreichbar ist.

Die HAMAS

Ich habe den mittlerweile üblichen Zusatz „Terrororganisation“ ganz bewusst nicht benutzt, weil dadurch ein Tenor in die nachfolgenden Ausführungen käme, der die geplante objektive Darstellung vor dem Hintergrund der unvorstellbaren Grausamkeit dieses Krieges noch schwieriger machen würde. Davon einmal abgesehen, ist es grundsätzlich ein Problem, ob man z.B. einen Menschen, der Gewalt anwendet, als Terroristen oder als Freiheitskämpfer bezeichnet, weil das hauptsächlich eine Frage des jeweiligen Standpunktes oder der eigenen Sichtweise ist.

Außerdem habe ich Zweifel, ob der Begriff „Organisation“ überhaupt auf die heutige  „HAMAS“ überhaupt noch zutrifft oder diese nicht besser, analog zur Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, von der sich die „HAMAS“ nicht vertreten sieht, als „Gaza-Autonomiebehörde“ zu bezeichnen ist. Schließlich ist die „HAMAS“ die alles bestimmende Macht in Gaza. Sie verfügt über einen Beamtenapparat für alle gesellschaftlichen Bereiche, zieht Steuern ein, unterhält Kindergärten und Schulen, gewährleistet die Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung und arbeitet vor allem mit den Vereinten Nationen zusammen, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung sicherzustellen. Kurz gesagt: Die „HAMAS“ ist verantwortlich für die staatliche Daseinsvorsorge und damit zuständig für das Überleben der Bevölkerung in diesem seit 2007 von Israel vollständig abgeriegelten Gebiet. Deshalb greift aus meiner Sicht die Bezeichnung „Organisation“ zu kurz.

Die „HAMAS“ gliedert sich in einen politischen und einen militärischen Bereich, der häufig auch als „Arm“ bezeichnet wird.

Zu diesen beiden Bereichen nachstehend ein paar Informationen.

Der politische Bereich/Arm und die Ideologie der „HAMAS“

Die „HAMAS“ wurde als eine sunnitische Organisation in der Zeit der 1. Intifada, die von 1987-1993 dauerte, gegründet. Sie wurde zunächst von Israel und auch von den USA als Gegengewicht zur PLO und Al Fatah nicht nur geduldet, sondern aktiv unterstützt. Das änderte sich erst, als die PLO unter der Führung von Yassir Arafat Bereitschaft zeigte, sich mit Israel zu verständigen, mit dem Ziel, eine „Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen.

Den Gaza-Streifen kontrolliert die „HAMAS“ , nachdem sie 2006 die demokratisch durchgeführten Wahlen gewonnen hat. Spätere mit der im Westjordanland regierenden Palästinensischen Autonomiebehörde getroffene Vereinbarungen, sich in diese unter Führung des heutigen Präsidenten Abbas einzugliedern und vor allem auch alle Waffen abzugeben, wurden nicht umgesetzt. Die Folge davon ist, dass Abbas überhaupt keinen Einfluss auf die „HAMAS“ hat und deshalb für „den Westen“ unter diesem Aspekt auch überhaupt kein Ansprechpartner ist. Die politischen Führer der „HAMAS“ befinden sich im arabischen Ausland, hauptsächlich im Libanon und in Katar. In Doha betreibt die „HAMAS“ auch ein offizielles Büro, und Katar hat sogar als einziges Land überhaupt in Gaza eine Botschaft eingerichtet. Katar ist der Hauptunterstützer der „HAMAS“ und bezahlt z.B. jeden Monat die Gehälter der Beamten in Gaza. Der zweite wichtige Unterstützer der „HAMAS“ ist der Iran, was eher ungewöhnlich ist, weil der Iran ja ein schiitischer islamischer Staat ist. Die Erklärung dafür ist das gemeinsame Ziel, den Staat Israel zu vernichten.

Die Ideologie der „HAMAS“

In der Ideologie der „HAMAS“ ist Israel kein Staat, sondern ein „zionistisches Gebilde“, das es zu zerstören gilt. Es geht der „HAMAS“ also in erster Linie nicht um die Befreiung der palästinensischen Gebiete, weil die ja automatisch erfolgt, nachdem Israel vernichtet wurde. Die „HAMAS“ will Palästina von den „Zionisten“ befreien und kämpft für einen islamischen Gottesstaat auch auf dem Staatsgebiet des heutigen Israels nach dem Motto: 

Wir bekämpfen die Juden nicht, weil sie Juden sind, sondern weil sie unser Land besetzen. Folglich sehen sich die „HAMAS“ Mitglieder als Freiheitskämpfer und begründen das mit der andauernden Besetzung der palästinischen Gebiete, die auch aus Sicht der Vereinten Nationen völkerrechtswidrig ist, ebenso wie die Annexion der Golanhöhen und Jerusalems und der israelische Siedlungsbau. Für sie ist der von Israel abgeriegelte Gaza-Streifen das größte Gefängnis der Welt, weil seit 2007 allein Israel über das Betreten und Verlassen des Gebietes entscheidet und auch darüber, ob es z.B. in Gaza eine Versorgung mit Wasser, Strom und allen Dingen des täglichen Lebens gibt und auch Gesundheitsversorgung gewährleistet ist.

Der militärische Bereich/Arm der „HAMAS“

Stärke und Gliederung des militärischen Arms sind im Detail nicht bekannt. Fest steht allerdings, dass es keine Kompanien oder Bataillone wie in regulären Streitkräften gibt, sondern stattdessen sehr flexible Gruppierungen, so wie das bei Milizen durchaus üblich ist. Natürlich ist eine militärische Hierarchie vorhanden, die allerdings extrem schwer zu durchschauen ist. Eigentlich ist immer nur von irgendwelchen „Führern“ die Rede, deren Zuständigkeiten aber kaum zu definieren sind. Es gibt auch keine Garnisonen oder vergleichbare Einrichtungen, sondern die Militärs der „HAMAS“ leben, vergleichbar mit Stadt-Guerillas auf und unter der Erde mitten in der Zivilbevölkerung. Deshalb ist für einen Angreifer auch die Trennung/Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen weitgehend lediglich theoretischer Natur. Last, but not least tragen die Kämpfer keine Uniformen und sind auch nicht durch irgendwelche Symbole von der Zivilbevölkerung zu unterscheiden. Hinzu kommt- ähnlich wie in Afghanistan- dass viele Kämpfer offiziell irgendwelchen zivilen Berufen nachgehen.

Warum Israel die „HAMAS“ militärisch nicht besiegen kann

Bevor ich versuche zu erklären, warum ich dieser Meinung bin, möchte ich zwei Beispiele aus dem Krieg zwischen Iran und Irak (22.Sept. 1980 – 20. Aug. 1988) anführen, die das „westliche“ Vorstellungsvermögen übersteigen und zwar eins aus dem Bereich der Indoktrination und eins auf dem Gebiet der Weltanschauung.

Zwei persönliche Erfahrungen aus dem Iran-Irak-Krieg 

Ich habe die beiden nachfolgenden Beispiele erlebt als ich von Dezember 1986 bis September 1989 als Militärattaché bei der Deutschen Botschaft in Bagdad eingesetzt war.

Indoktrination oder Gehirnwäsche

Die irakische Armee hatte im Süden des Landes die Grenze zum Iran mit großen Minenfeldern zur Abwehr von iranischen Angreifern verstärkt. Da der Iran nicht über genügend Minenräumausstattung verfügte, wurden Jungs im Alter zwischen 10 und 15 Jahren in diese Sperren geschickt, um mit ihren Körpern die Minen zur Explosion zu bringen. Diese Kinder und Jugendlichen hatte man vorher in Lagern zusammengefasst und ihnen quasi über eine Gehirnwäsche eingetrichtert, dass sie für den Fall, dass sie in den Minenfeldern sterben, direkt in den Himmel und zu Allah kämen. Diese Jungen sind danach zum Teil mit ihren Mopeds bis an den Rand der Minenfelder gefahren, haben ihre Mopeds liegen gelassen, sind zu Fuß durch die Minenfelder in Richtung Irak gestürmt und zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden auf diese Weise durch explodierende Minen gestorben. Ich habe in diesem Zusammenhang ein Interview mit einer iranischen Mutter gesehen, die auf diese Weise 3 ihrer Söhne verloren hatte und nicht traurig, sondern dankbar dafür war, dass diese jetzt schon bei Allah waren ohne den mühsamen Erdenweg gegangen zu sein. Sie hat ihre Kinder deshalb überhaupt nicht betrauert.

Weltanschauung

Die Firma Siemens hat während dieses Krieges auf dem Gefechtsfeld im Südirak gehärtete mobile Krankenhäuser zur Erstversorgung von Verwundeten eingesetzt. Ich habe einen deutschen Siemens-Ingenieur getroffen, der diese Krankenstationen gewartet hat, und der hat mir folgende Geschichte erzählt: Nachdem die irakischen Streitkräfte die iranischen Truppen in einem Gefecht zurückgeschlagen hatten, bin ich auf dem Gefechtsfeld auf zwei irakische Soldaten gestoßen, von denen einer am Boden lag und offensichtlich gefallen war, während der andere neben ihm stand und weinte. Wir kamen ins Gespräch, und ich erfuhr, dass es sich um zwei Brüder handelte. Daraufhin versuchte ich den Weinenden in seinem Schmerz über den Verlust des Bruders zu trösten und musste lernen, dass dieser gar nicht um den toten Bruder weinte, sondern darüber, dass dieser jetzt direkt bei Allah war, während er weiterleben musste. 

Die Situation In Gaza

Vor dem Hintergrund dieser beiden Beispiele zurück zur Situation in Gaza.

Die „HAMAS“ ist, wie beschrieben, also nicht nur die herrschende Macht in Gaza, sondern auch eine gelebte Ideologie, nämlich Israel zu vernichten und dafür einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Diese Ideologie oder, wenn man so will, diese Vision wird von einem schlecht einzuschätzenden Teil der Bevölkerung von Gaza bewusst oder unbewusst seit vielen Jahren übernommen, und vor allem die junge Generation – ca. 50 % der Einwohner Gazas sind unter 15 Jahre alt – kennt überhaupt keine andere Sichtweise. Schon die Kinder in der Schule wachsen mit dem Feindbild Israel auf, das gelehrt und in den Schulbüchern beschrieben und erläutert wird.

Wie in allen vergleichbaren Organisationen oder – im Falle von Gaza- staatsähnlichen Systemen sind vor allem die männlichen Mitglieder bereit, ihr Leben für die ihnen vermittelte Ideologie einzusetzen. Das fällt den Führern der „HAMAS“ besonders leicht, weil die Menschen in diesem durch Israel abgeschotteten Raum keine Alternativen und die Jungen auch keine Zukunftsperspektiven sehen. Dies alles macht eine Indoktrination, aber auch eine Erziehung zum Hass und zum bereitwilligen Einsatz des Lebens ausgesprochen leicht. Aus der „westlichen Sicht“ ist das zwar kaum nachvollziehbar, aber in diesem Zusammenhang auch nicht relevant. Die ideologischen Grundlagen wurden seit dem Ender der 80er Jahre von einer Generation auf die nächste übertragen und hat mit Sicherheit auch die heutigen Kämpfer der „HAMAS“ geprägt, die mit Gleitschirmen über den Grenzzaun nach Israel geflogen sind, mit Bulldozern den Zaun niedergerissen haben und mit T-Shirts bekleidet und mit einer Kalaschnikow bewaffnet auf Mopeds in die israelischen Siedlungen und auf das Festgelände gefahren sind, um alles zu töten, was sie vorgefunden haben. Gleichzeitig haben von Gaza aus andere Kämpfer Israel mit Tausenden Raketen beschossen und machen das trotz der israelischen Luftangriffe immer noch. Sollte sich Israel wirklich zu einer Bodenoffensive entschließen, dann könnten Panzer und anderes schweres Gerät nur bedingt eingesetzt werden, weil das Gebiet unvorstellbar eng bebaut ist, um mehr als 2 Millionen Menschen ein Zuhause zu geben. Letztlich wird es in den Gassen von Gaza zum Kampf Mann gegen Mann kommen und wegen der hohen Verluste auf beiden Seiten wird es über kurz oder lang einen Waffenstillstand geben. Dann wird die israelische Armee vielleicht den größten Teil der heutigen Kämpfer-Generation der „HAMAS“ vernichtet haben, aber die nachfolgende Generation ist schon bereit, den Kampf irgendwann fortzusetzen, weil die Ideologie der „HAMAS“ auch diesen Krieg überstehen wird und die Kinder der heute gefallenen Väter das überlieferte Ziel weiterverfolgen werden, nämlich das „zionistische Gebilde“ zu vernichten.

Eine Ideologie kann man mit militärischen Mitteln nicht vernichten, und deshalb muss jetzt endlich eine andauernde Initiative gestartet werden, um eine Alternative zu dieser Ideologie aufzuzeigen. Das aber wird nur dann möglich sein, wenn auch die zionistischen Israelis ihr Ziel aufgeben, das „Heilige Land“ für sich zu reklamieren. Da kaum davon ausgegangen werden kann, dass Israel und die “HAMAS“ freiwillig ihre Ziele aufgeben, ist andauernder und überzeugende Druck von außen unerlässlich. Dabei wird man auf politische und vor allem auch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegenüber den rivalisierenden Parteien nicht verzichten können. Die UNO wird alleine dazu nicht in der Lage sein, sondern hier sind vor allem die USA, Europa und auch die Arabische Liga gefordert. Aber auch die Türkei und vor allem Iran müssen an einer solchen strategischen Initiative beteiligt werden

Auf keinen Fall darf, wie in den vorhergegangenen Auseinandersetzungen irgendwann wieder zur Tagesordnung übergegangen wird, bevor die Zwei-Staaten Lösung realisiert wurde.

Greven 18. Oktober 2023

Jürgen Hübschen

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Die „Spontan-Reise“ des Bundespräsidenten in die USA- eine Nachbetrachtung

Unsere Zeit ist schnelllebig und aktuell gekennzeichnet von den verstörenden Ereignissen in der Nahost-Region.

Durch die Fülle der Nachrichten und die Berichterstattung in den Medien über den erneuten Krieg zwischen der HAMAS und Israel besteht die Gefahr, andere wichtige Ereignisse aus den Augen zu verlieren. Das gilt nicht nur für den Ukrainekrieg, der in keiner aktuellen Schlagzeile mehr zu finden ist, sondern auch für die „Spontan-Reise“ von Bundespräsident Steinmeier in die USA am 06. Oktober 2023, über deren Inhalt die Bevölkerung offiziell noch immer nichts Konkretes erfahren hat.

In der Nacht vom 5. Auf den 6. Oktober 2023 flog Bundespräsident Steinmeier nach einer kurzfristigen Einladung durch Präsident Biden direkt von einem Staatsbesuch auf den Kapverdischen Inseln in die USA und sagte deshalb seine für den 6. Oktober 2023 geplante Teilnahme am Treffen der „Arraiolos-Gruppe“ in Porto ab. Als offizieller Grund für diese „Spontan-Reise wurde die Teilnahme am „Deutsch-Amerikanischen Tag“ genannt, der tradionell am 6. Oktober gefeiert wird. Da diese Erklärung wenig überzeugend ist, lohnt sich eine Nachbetrachtung.

Die „Arraiolos-Gruppe“

Vorab sollte man sich kurz in Erinnerung rufen, was es mit dieser „Arraiolos Gruppe“ auf sich hat: In dieser Gruppe treffen sich seit 2003 einmal jährlich die „nicht-exekutiven“ Staatsoberhäupter der EU zum Gedankenaustausch. Aktuell gehören der Gruppe die Präsidenten Bulgariens, Deutschlands, Estlands, Finnlands, Griechenlands, Irlands, Italiens, Kroatiens, Lettlands, Maltas, Österreichs, Polens, Portugals, Sloweniens, der Slowakei und Ungarns an.

Leider wurde – nach meiner Kenntnis- zum Ende des diesjährigen Treffens der Gruppe keine sonst übliche Abschlusserklärung veröffentlicht.

Die „Spontan-Reise“ des Bundespräsidenten

Unmittelbar vor der Reise von Frank-Walter Steinmeier gab es auf amerikanischer Seite  lediglich eine kurze Erklärung  durch die Pressesprecherin des Weißen Haus, Karine Jean-Pierre:
„President Joe Biden looks forward to welcoming President Frank-Walter Steinmeier to the White House on Friday, October 6, 2023 to commemorate German-American Day. As the presidents mark this occasion, they will reaffirm the strong ties between the United States and Germany, including our close coordination as NATO Allies on a range of important issues, including defending democratic values and our shared commitment to support Ukraine as it defends itself from Russia’s invasion.“ (Präsident Biden freut sich Präsident Steinmeier am 6.Oktober im Weißen Haus begrüßen zu können., um an den „Deutsch-Amerikanischen Tag“ zu erinnern. Der Präsident sieht dies als Gelegenheit, die starken Verbindungen zwischen den USA und Deutschland zu unterstreichen, einschließlich unserer engen Absprachen als NATO Verbündete im Bereich wichtiger Themen, einschließlich der Verteidigung demokratischer Werte und unserer gemeinsamen Verpflichtung, die Ukraine zu unterstützen in ihrer Verteidigung der russischen Invasion.“)

Später betone Präsident Biden persönlich, dass Deutschland und die USA weiterhin zusammen „für die Werte einstehen“ würden, „die uns vereinen: Freiheit und Souveränität“. Das bedeute auch, „an der Seite der mutigen Menschen in der Ukraine zu stehen, während sie sich gegen Russlands brutalen Angriff verteidigen.“

Das Bundespräsidialamt begnügte sich zunächst mit der Mitteilung, Steinmeier reise auf Einladung Bidens nach Washington. Später hieß es in einer ergänzenden Verlautbarung: „„Unser Bündnis ist von zentraler Bedeutung in unserem fortwährenden Einsatz für die Unterstützung der Ukrainerinnen und Ukrainer und ihrer tapferen Verteidigung ihres Landes, ihrer Freiheit und ihrer Zukunft.“ Zusätzlich wurde der Bundespräsident mit den Worten zitiert: „Unser Partnerschaft ist unverzichtbar für das Streben, globale Herausforderungen anzugehen von Klimawandel und Ernährungssicherheit bis zur Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten.“

Für den Bundespräsidenten war es das erste Treffen mit Präsident Biden. Vor dem Besuch im Weißen Haus traf Steinmeier William Burns, den Chef des amerikanischen Auslandsgeheimdienste CIA. Zu Einzelheiten seines Gesprächs äußerte sich der Bundespräsident nicht, sondern sagte lediglich, man habe über „aktuelle Konflikte und geopolitische Veränderungen gesprochen.“

In den von den Zuschauern bevorzugten Nachrichtensendungen der ARD „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ vom 06. Oktober 2023 gab es zu der kurzfristig anberaumten Reise des deutschen Staatsoberhauptes keine Meldung, lediglich im „Heute-Journal“ des ZDF wurde die Reise kurz erwähnt. Auch am 07. Oktober 2023 war das Treffen des Bundespräsidenten in der „Tageschau“ und auch in den „Tagesthemen“ der ARD keine Meldung. Lediglich in der „Heute“ Sendung des ZDF wurde nach 13 Minuten kurz über das Zusammentreffen der beiden Präsidenten berichtet.

Am 07. Oktober 2023 war dann im Internet um 00:45 Uhr folgende Tagesschau-Meldung zu lesen:

„Präsidenten nennen Partnerschaft unverzichtbar

Beim ersten Treffen von Bundespräsident Steinmeier und US-Präsident Biden als Staatsoberhäupter stand der Krieg gegen die Ukraine im Fokus. Dabei steht die Unterstützung Kiews aus den USA derzeit auf der Kippe.

Bei einem kurzfristig angekündigten Besuch in den USA ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit US-Präsident Joe Biden zusammengetroffen. Es war das erste Mal, dass die beiden in ihrer Funktion als Staatsoberhaupt zusammenkamen – offiziell am Tag der deutsch-amerikanischen Freundschaft, der in den USA am 6. Oktober gefeiert wird, um an die Ankunft der ersten deutschen Siedler in Philadelphia im Jahr 1683 zu erinnern.

Die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehungen sei angesichts der heutigen Herausforderungen entscheidend, betonten Biden und Steinmeier.“

Vom Weißen Haus gab es nach dem Treffen ein s.g. „Readout“, in dem es hieß:

“President Joseph R. Biden, Jr. met today with German President Frank-Walter Steinmeier at the White House. The two presidents marked the occasion of German-American Day, celebrating the significant contributions of German-Americans as well as the strength of our bilateral relationship as NATO Allies and close partners. President Biden also offered congratulations on Germany’s Unity Day, which was celebrated earlier this week. The presidents discussed their countries’ ongoing efforts to provide Ukraine with security, economic, and humanitarian assistance. They also exchanged views on strengthening democratic resilience, respect for human rights, and the importance of transparent and accountable government at home and abroad.  („Präsiden Biden und der deutsche Präsident Steinmeier haben sich heute im Weißen Haus getroffen. Die beiden Präsidenten bezeichneten den deutsch-Amerikanischen Tag als Gelegenheit, die bedeutenden Beiträge der Deutsch-Amerikaner für die Stärke der bilateralen Beziehungen sowohl als NATO-Verbündete als auch als enge Partner zu feiern. Präsident Biden gratulierte auch zum Tag der Deutschen Einheit, der vor wenigen Tagen begangen wurde. Die beiden Präsidenten diskutierten über die anhaltenden Anstrengungen beider Länder, die Ukraine in puncto Sicherheit und Wirtschaft und auf humanitären Gebiet zu unterstützen. Sie haben auch ihre Meinung ausgetauscht über demokratische Widerstandsfähigkeit, Achtung der Menschenrechte und die Bedeutung von Transparenz und Verlässlichkeit von Regierungen innerhalb und außerhalb ihrer Länder.“)

Während der Bundespräsident nach seinem Besuch in Washington noch eine kurze Pressekonferenz gab, fand nach seiner Rückkehr in Deutschland nichts Vergleichbares statt.

Zusammenfassende Bewertung

Wie schon nach dem einstündigen Besuch des Bundeskanzlers bei Präsident Biden am 03, März 2023 wurden auch nach dem Treffen des Bundespräsidenten mit seinem amerikanischen Amtskollegen keine Einzelheiten über die geführten Gespräche bekannt. Das ist grundsätzlich unter politischen Aspekten und vor allem auch aus Gründen der Geheimhaltung nachvollziehbar. Doch in diesen beiden Fällen ist das nur bedingt akzeptabel. Der Bundeskanzler gewährte vor seiner Abreise aus den USA CNN ein Fernsehinterview, aber nach seiner Rückkehr in Deutschland gab es keine Presseerklärung und seitens des Kanzlers auch keine Regierungserklärung im Deutschen Bundestag, so dass die Bevölkerung bis heute nicht weiß, warum der Kanzler für ein 60-Minuten Gespräch mit dem US-Präsidenten in die USA geflogen ist.

Jetzt hat sich ein vergleichbarer Vorgang im Zusammenhang mit dem „Spontan-Besuch“ des Bundespräsidenten im Weißen Haus wiederholt. Ganz sicher kann davon ausgegangen werden, dass der „Deutsch-Amerikanische-Tag,“ der jährlich immer zum selben Datum stattfindet, nicht der Anlass für den Besuch gewesen sein kann. Es kann auch berechtigt angenommen werden, dass die allgemeine Zusicherung einer stabilen Partnerschaft als Begründung für eine solch ungewöhnliche Reise nicht ausreicht. Besuche und Reisen des deutschen Staatsoberhauptes werden in der Regel langfristig vorab und bis ins Detail vorbereitet. Auch die kurzfristige Absage seiner Teilnahme am „Arraiolos- Treffen“ ist mit den öffentlichen Verlautbarungen seitens der US-Administration und des Bundespräsidialamtes aus meiner Sicht nicht zu erklären. Wie die offiziellen Aussagen beider Seiten zum Ukraine-Krieg verdeutlichen, war dieser offensichtlich das Hauptthema des Treffens. Bleibt die Frage, warum man das nicht öffentlich erklärt hat. Unter anderem deswegen schießen Gerüchte ins Kraut, von denen ich nur einige aufzeigen will, ohne diese zu bewerten oder mich inhaltlich daran zu beteiligen:

Hatte Präsident Biden vielleicht Zweifel, ob Deutschland seine umfassende Ukraine-Unterstützung beibehalten würde oder wollte er von seinem deutschen Amtskollegen wissen, ob Deutschland finanziell in die Bresche springen könnte/würde, falls der US-Kongress die bislang veranschlagten Gelder für die Ukraine nicht mehr genehmigen oder kürzen würde? Für einen solchen Fall, müsste er eigentlich wissen, dass der deutsche Präsident keinerlei exekutive Befugnisse hat, aber vielleicht hoffte er darauf, dass der Bundespräsident ggf. auf den Kanzler Einfluss nehmen könnte, weil beide derselben Partei angehören. Es könnte auch sein- so ein weitere zu hörende Vermutung- dass Joe Biden, ergänzend zu den Ausführungen des CIA-Chefs, seinem deutschen Kollegen reinen Wein eingeschenkt hat, was die wirkliche Situation auf dem Kriegsschauplatz in der Ukraine angeht und vielleicht darüber hinaus, dass die USA – sozusagen als back up- bereits an einer Exit-Strategie arbeiten. Manche Beobachter fragen sich, ob vielleicht auch über die Pipeline-Zerstörung gesprochen wurde, die in den deutschen Medien immer noch präsent ist?

Der Verzicht auf jegliche glaubhafte Erklärung für den „Spontan-Besuch“ des deutschen Staatsoberhauptes lässt den Eindruck entstehen, dass ein Treffen mit 16 europäischen Kollegen für den Bundespräsidenten in dem Moment belanglos wird, wenn der US-Präsident „on a very short notice base“ und mit Hilfe einer wenig überzeugenden Einladung seinen deutschen Kollegen zu sprechen wünscht.

Unabhängig von unbestätigten Vermutungen und Gerüchten, wäre es aus meiner Sicht interessant zu erfahren, ob der Bundespräsident die Problematik der von den USA an die Ukraine gelieferten und von Deutschland geächteten Streubomben angesprochen hat oder auch das Thema „uranhaltige Munition“ für Artillerie und Kampfpanzer, die seitens der USA in der Planung für die Ukraine ist. Ohne ist Detail zu gehen, hätte man der deutschen Öffentlichkeit ja mitteilen können, dass der Bundespräsident darum gebeten habe, nur solche amerikanischen Waffen in der Ukraine zum Einsatz zu bringen, die aus deutscher Sicht nicht abgelehnt werden. Besonders sympathisch wäre es für mich gewesen, wenn das Präsidialamt seinem Chef den „Friedensplan der Professoren Peter Brandt, Hajo Funke, Horst Teltschik sowie General a. D. Harald Kujat“ mitgegeben hätte, um diesen US-Präsident Biden und dessen Administration vorzustellen. Darüber hätte man dann natürlich auch ohne Probleme berichten können.

Für den „Spontan-Besuch“ in den USA hat der Bundespräsident auf die Gelegenheit verzichtet, z.B. den Versuch zu unternehmen, auf dem „Arraiolos-Treffen“ zusammen mit seinen 16 europäischen Amtskollegen eine Initiative ins Leben zu rufen, um im Ukrainekrieg einen Waffenstillstand zu erreichen als Grundlage für einen Friedensvertrag und darauf aufbauend für eine europäische Sicherheitsstruktur. Auch unter diesem Aspekt sind die offiziellen Verlautbarungen des Weißen Hauses und des Präsidialamtes für den „Spontan-Besuch“ des Bundespräsidenten nicht überzeugend.

Nach der Reise des Bundeskanzlers vom 03. März 2023 ist die Information der Bevölkerung über die „Spontan-Reise“ des Bundespräsidenten ein weiteres Beispiel dafür, dass „the importance of transparent and accountable government at home and abroad.“ “– wie es im Read Out des Weißen Hauses heißt- im politischen Berlin lediglich Worthülsen sind.

Nach dem jetzigen Stand der Informationen war die Absage des Bundespräsidenten an der Teilnahme der Arraiolos- Gruppe zu Gunsten der „Spontan-Reise“ zu Präsident Biden, nicht nur ein Affront gegenüber 16 Staatspräsidenten der EU und dem Gastgeberland Portugal und ein Zeichen von fehlender Souveränität, sondern für mich eine irritierende politische Fehlentscheidung.

Greven 13. Oktober 2023

Jürgen Hübschen

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Der neue Krieg in Nahost-eine vorhersehbare Katastrophe

Der erneute Krieg in Nahost war eine vorhersehbare Katastrophe, die „im Westen“ politisch zunehmend verdrängt wurde. Um diesen Krieg zu beenden, ist weit mehr erforderlich als ein Waffenstillstand. Spätestens jetzt müssen auch die befreundeten Staaten Israels erkennen, dass die immer wieder geforderte Zwei-Staaten Lösung nicht nur das Recht der Palästinenser, ist, sondern die einzige wirkliche Garantie für die Sicherheit Israels.

Der Überfall der HAMAS

Über die „Operation Al-Aksa-Flut“, den Überfall der HAMAS auf Israel,wurde und wird in allen Medien ausführlich berichtet, so dass auf die Darstellung der aktuellen Ereignisse in diesem Beitrag bewusst verzichtet wird. Es geht vielmehr um die Konsequenzen für die Sicherheit Israels, die Folgen für die palästinensische Autonomiebehörde und die gesamte Nahmittlost-Region und auch darum, wie ein solcher Überfall, der offensichtlich generalstabsmäßig geplant war, überhaupt möglich sein konnte. Last but not least muss bewertet werden, was dieser Angriff für das deutsch-israelische Verhältnis bedeutet, weil die Aussage der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel: „Die Sicherheit Israels ist Teil der Deutschen Staatsräson“, weiterhin Gültigkeit hat.

Die Konsequenzen für die Sicherheit Israels

Der Überfall der HAMAS hat gezeigt, dass die israelische Regierung nicht in der Lage ist, die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Die von Ministerpräsident Netanjahu geführte Koalition  ist offensichtlich unfähig, die eigenen Grenzen zu sichern, und die israelische Luftverteidigung konnte einen solchen massiven Raketenangriff nicht vollständig abwehren. Das hat dazu geführt, dass sich die Menschen in Israel in ihrer Gesamtheit, egal, wo sie wohnen, zum ersten Mal nicht mehr sicher fühlen. So bleiben Israel für die Zukunft grundsätzlich nur drei Möglichkeiten.

1.Die endgültige Zerschlagung und Vernichtung der HAMAS

Das kann und wird nicht gelingen, weil eine Trennung/Unterscheidung zwischen den Bewohnern des Gaza-Streifens und der HAMAS nicht möglich ist. Auch die Unterstützung der HAMAS durch den Iran oder auch Katar wird Israel nicht unterbrechen können. Katar hat seit mehr als 10 Jahren eine diplomatische Vertretung in Gaza. Auch die Zusammenarbeit der libanesischen Hisbollah mit der HAMAS kann durch Israel nicht beendet werden

2. Ein verstärkter Schutz der Grenzen durch elektronische Installationen, wie Kameras, elektrische Zäune, Minengürtel und andere Formen der technischen, auch unterirdischen Absicherung. Ein solches Vorhaben ist letztlich zu hundert Prozent nicht zu realisieren.

3. Intensive Verhandlungen mit den Palästinensern über eine Zwei-Staaten-Lösung, die unbedingt auch eine Anbindung des Gaza-Streifens an das Westjordanland und eine einvernehmliche Lösung für den Status von Jerusalem enthalten muss.

Es liegt eigentlich bereits jetzt auf der Hand, dass nur die 3. Möglichkeit zielführend sein kann.

Die Folgen für die palästinensische Autonomiebehörde

Die Folgen für die palästinensische Autonomiebehörde, die Fatah und auch für Präsident Abbas sind noch nicht absehbar. Die Fatah-Partei von Abbas und die Hamas hatten nach mehr als zehn Jahren Konflikt am 12. Oktober 2017 in Kairo ein Versöhnungsabkommen vereinbart. Ziel war eine einheitliche Herrschaft im Gazastreifen und im Westjordanland. Dieses Abkommen wurde bislang nicht umgesetzt. Die HAMAS hatte 2006 zwar die Wahlen in Gaza gewonnen, sich danach aber nie mehr Neuwahlen gestellt, vergleichbar mit Präsident Abbas, der seit 2009 die Amtsgeschäfte ohne parlamentarische Legitimierung führt. Anfang Mai 2011 unterschrieb Abbas gemeinsam mit dem damaligen Chef der HAMAS ,Ismail Haniyya ein Versöhnungsabkommen, das eineinhalb Jahre zuvor die ägyptische Führung in Auftrag der Arabischen Liga aufgesetzt hatte. Beide Fraktionen planten, eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden und danach mit zwei Jahren Verspätung Parlamentswahlen durchzuführen. Das ist bis heute nicht erfolgt.

Deshalb sieht sich Abbas auch nicht in der Verantwortung für den Überfall der HAMAS, und

die palästinensische Autonomiebehörde ist für die israelische Regierung überhaupt kein Ansprechpartner. Gespräche über ein Ende der Kampfhandlungen können also nur mit Mohammed Deif geführt werden, der die aktuelle „Operation Al-Aksa-Flut“ leitet, ergänzend vielleicht noch mit Khalil al-Hayyeh und Zaher Jabareen, die beide im Libanon leben. Al-Hayyeh gehört dem Politbüro der Hamas an und ist bei der Organisation für die Beziehungen zur islamischen und arabischen Welt zuständig. Jabareen ist stellvertretender Chef der Hamas im Westjordanland und zuständig für das Register der Organisation über inhaftierte Palästinenser in Israel. Auch Ziyad Al-Nakhaleh, Chef des Islamischen Dschihad in Palästina, hat seinen Sitz in Beirut. Der Islamische Dschihad in Palästina ist, wie die Hamas, vor allem im Gazastreifen aktiv.

Die Bedeutung für die gesamte Nahmittelost-Region

Dieser erneute Nahost-Krieg destabilisiert die gesamte Region in einem noch nicht einzuschätzenden Ausmaß. Bereits jetzt befindet sich Israel de facto in einem Zwei-Fronten Krieg, nämlich gegen die HAMAS im Gaza-Streifen und die Hisbollah im Südlibanon. Die Arabische Liga ist in ihrem Verhältnis zu Israel völlig zerstritten. Es haben in der jüngeren Vergangenheit zwar immer mehr arabische Staaten die Existenz Israels anerkannt, und Israel hat nach Ägypten und Jordanien auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Botschaft eröffnet, aber andere arabische Staaten lehnen diplomatische Beziehungen mit Israel nach wie vor ab, einige, wie z.B. Irak, Libyen und Syrien, bezeichnen Israel sogar immer noch als Feind. Nur Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit Israel einen Friedensvertrag geschlossen. Basierend auf dem jeweiligen Verhältnis zu Israel fallen auch die Stellungnahmen der arabischen Staaten völlig unterschiedlich aus. Welche Reaktionen es letztlich geben wird, hängt auch von den Bevölkerungen dieser Staaten ab und ist im Moment noch unkalkulierbar.

Als nicht arabischer Staat in der Region hat sich der Iran auf die Seite der von Teheran generell unterstützen HAMAS gestellt, ignoriert die darauf erfolgten Drohungen „des Westens“ und erklärt auch offen seine anhaltende Unterstützung der Hisbollah im Libanon.

Der offensichtlich für Israel überraschende Angriff der HAMAS

Der breit angelegte und sorgfältig vorbereitete Überfall der HAMAS hat die politische Führung Israels völlig überrascht, weil es offensichtlich weder durch den israelischen Geheimdienst Mossad noch seitens der in der Region äußerst präsenten CIA gegeben hat. Das ist in einer Zeit der immer perfekteren Luftraumüberwachung und Fernmeldeaufklärung in einem direkten Nachbarland nicht nachvollziehbar. Auch die Möglichkeit des Einsatzes von Agenten, die s.g. „human intelligence“ ist in einer Situation wie in Gaza und Israel eigentlich unbeschränkt möglich, zumal ja auch viele Palästinenser aus Gaza in Israel arbeiten. Wie die Vorbereitungen für einen solchen Militärschlag in Israel unbemerkt bleiben konnten, ist für alle Fachleute ein totales Rätsel. Es gibt eigentlich nur drei theoretische Erklärungen für ein solches geheimdienstliche Desaster: Entweder haben waren die zuständigen Stellen völlig unaufmerksam und das über eine ziemlich lange Zeit oder man hat die gemachten Beobachtungen gänzlich falsch beurteilt. Die dritte Möglichkeit ist, dass die politische Führung zwar über entsprechende Warnungen verfügt hat- z.B. soll es solche aus Ägypten gegeben haben-, diese aber ignoriert hat in dem überheblichen Glauben, man könne einen eventuellen Angriff leicht abwehren. Eine solche erfolgreiche Abwehr hätte für Premierminister Netanjahu den Vorteil gehabt, von den aktuellen, vor allem mit seiner geplanten Justizreform verbundenen innenpolitischen Schwierigkeiten, abzulenken.

Was immer die Begründung für diese „Geheimdienstpanne“ gewesen sein mag, die Zeche bezahlen die Menschen mit und ohne Uniform in Gaza und in Israel selbst.

Der Überfall der HAMAS und seine Bedeutung für das deutsch-israelische Verhältnis

Der Überfall der HAMAS auf Israel könnte auch für Deutschland schwerwiegende Folgen haben. Die damalige deutsche Bundeskanzlerin hatte öffentlich erklärt, dass die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson sei. Der damalige Bundespräsident Gauck hatte dieser Aussage zwar widersprochen, aber für die derzeitige Bundesregierung ist diese Feststellung immer noch verbindlich. Das heißt im Klartext, dass Deutschland Israel unterstützen muss, wenn es seine Sicherheit bedroht sieht. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat kurz nach dem Überfall gesagt, dass sich Israel im Krieg befände, und mittlerweile hat die israelische Regierung offiziell den Kriegszustand erklärt. Nach geltendem Völkerrecht ist Jerusalem befugt, andere Länder zu bitten, Israel bei der Verteidigung zu unterstützen. Sollte Israel eine solche Bitte an Deutschland richten, wäre die deutsche Regierung verpflichtet, das Land ggf. auch militärisch zu unterstützen. Nach dem Grundgesetz ist die Bundeswehr dafür zuständig, die äußere Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten und es zu verteidigen. Wenn die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson ist, gilt diese Verpflichtung auch für die Unterstützung Israels im Kampf gegen die HAMAS, falls Jerusalem darum bittet. Im äußersten Fall könnte das nicht nur bedeuten, dass die deutsche Luftwaffe, die in der Vergangenheit bereits gemeinsame Manöver mit den israelischen Luftstreitkräften durchgeführt hat, Ziele in Gaza bombardiert, sondern Bundeswehrsoldaten an einer israelischen Bodenoffensive teilnehmen müssten, falls Israel das beantragen würde. Diese Tragweite hatte der damalige Bundespräsident Gauck wohl gesehen, als er der Aussage von Angela Merkel widersprochen hatte.

Bewertende Zwischenbilanz der aktuellen Situation in der Nahmittelost-Region

Die aktuelle Lage ist völlig unübersichtlich und ihre Darstellung in Teilen auch widersprüchlich. Um eine weitere Destabilisierung der Lage und die Ausweitung des Krieges zu verhindern, muss umgehend eine diplomatische Initiative gestartet werden, um zunächst einmal einen Waffenstillstand zu erreichen. Für den Fall einer Bodenoffensive dürften die Verluste auf beiden Seiten immens werden. In Gaza ist der Einsatz schwerer Waffen kaum möglich, so dass eine solche Offensive im Kampf Mann gegen Mann geführt werden müsste. Ein solcher ist in einem dicht bebauten Gelände, ohne auch nur den Ansatz einer Front zu erkennen und gegen einen nicht uniformierten Gegner kaum zu gewinnen, jedenfalls nicht in kurzer Zeit. Hinzu kommt, dass bei einer solchen Entwicklung die Kämpfe in Israels Norden an Intensität zunehmen würden, weil die Hisbollah aus dem Süden des Libanon weiter auf israelisches Territorium vorstoßen würde. Sollten die USA, die einen Flottenverband ins östliche Mittelmeer verlegt haben, aktiv in die Kämpfe eingreifen, müsste Israel mit Angriffen der iranischen Milizen aus Syrien rechnen.

Vor diesem Hintergrund müssen die UNO, die EU und auch die Arabische Liga umgehend aktiv werden, um einen Stopp der Kampfhandlungen zu erreichen. Die von Israel geplante vollständige Blockade des Gaza-Streifens ist mit dem geltenden Völkerrecht nicht zu vereinbaren, weil das letztlich eine Geiselnahme der palästinensischen Bevölkerung ist.

Auf einen Waffenstillstand muss endlich mit der Etablierung einer Zwei-Staaten Regelung begonnen werden. Dabei muss sich Israel darüber im Klaren sein, dass die Voraussetzung dafür die Umsetzung aller bisherigen UNO-Resolutionen ist. Das heißt, dass die Grenzen von 1967 wieder Gültigkeit haben müssen. Dazu gehören eine einvernehmliche Regelung für das Westjordanland, die Rückgabe der völkerrechtswidrig annektierten syrischen Golan-Höhen, die Umsetzung des von der UNO geforderten Status von Jerusalem, das Israel ebenfalls völkerrechtswidrig annektiert hat und das Ende des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus. Für die bestehenden Siedlungen muss eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung gefunden werden. Von palästinensischer Seite muss garantiert werden, dass es keinerlei Gewaltaktionen mehr gegen israel gibt.

Der Überfall der HAMAS ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen, wäre aber aus meiner Sicht vermeidbar gewesen, wenn sich alle Beteiligten in den vergangenen Jahrzehnten ehrlicher und intensiver um die Realisierung einer Zwei-Staaten Lösung bemüht hätten, anstelle sich mit regelmäßigen Verlautbarungen zu begnügen und zu beruhigen, dass man sich dieser verpflichtet fühle.

Last, but not least hat dieser neue Krieg einen Nebeneffekt für den Ukrainekrieg. Dieser ist nämlich – zum eindeutigen Nachteil für die Ukraine- völlig aus den Schlagzeilen verschwunden, und es stellt sich die Frage, ob die USA willens und in der Lage sind, zwei Verbündete in verschiedenen Kriegen gleichwertig zu unterstützen. Auf der anderen Seite dürfte es in Moskau nicht ungern zur Kenntnis genommen werden, dass Russlands Angriff auf die Ukraine nicht mehr im Fokus der westlichen Medien ist.

Greven, 10. Oktober 2023

Jürgen Hübschen

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Das Treffen der Arraiolos-Gruppe und die abgesagte Teilnahme des Bundespräsidenten

Am heutigen 6. Oktober 2023 findet in Porto das Treffen der Arraiolos-Gruppe statt, an dem nach dem ursprünglichen Plan auch Bundespräsident Steinmeier im unmittelbaren Anschluss an seinen Staatsbesuch in der Republik Cabo Verde (Kapverdische Inseln) teilnehmen wollte. Auf Grund einer sehr kurzfristig übermittelten Einladung des amerikanischen Präsidenten ins Weiße Haus ließ der Bundespräsident seine Teilnahme absagen und flog stattdessen in der Nacht vom 05. auf den 06. Oktober nach Washington.

Die Arraiolos-Gruppe

Gemäß Wikipedia ist die Arraiolos-Gruppe „ein seit 2003 bestehender informeller Zusammenschluss von derzeit sechzehn nicht-exekutiven Staatsoberhäuptern innerhalb der Europäischen Union. Nicht-exekutiv sind in der Regel die Staatspräsidenten in parlamentarischen Regierungssystemen, sie erfüllen meist nur repräsentative Funktionen. Die Gruppe wurde 2003 auf Initiative von Jorge Sampaio gegründet und hält einmal jährlich ein Treffen ab. Sie wurde nach der portugiesischen Stadt Arraiolos, wo das erste Treffen stattfand, benannt. Die Treffen dauern mehrere Tage und enden mit gemeinsamen politischen Erklärungen der Teilnehmer zu internationalen Themen. Derzeit sind die Staatsoberhäupter Bulgariens, Deutschlands, Estlands, Finnlands, Griechenlands, Irlands, Italiens, Kroatiens, Lettlands, Maltas, Österreichs, Polens, Portugals, Sloweniens, der Slowakei und Ungarns Mitglieder der Gruppe.“

Einordnung der Absage des Bundespräsidenten

Wie man aus der Liste der Teilnehmer entnehmen kann, handelt es sich um einen durchaus „illustren“ Kreis von Staatsoberhäuptern der Europäischen Union, die sicherlich über eine derartig kurzfristige Absage des deutschen Staatsoberhauptes erstaunt, vielleicht sogar irritiert sind. Für den Gastgeber gilt das im besonderen Masse. Gerade in der heutigen krisenhaften Zeit sind solche Treffen ungemein wichtig. Obwohl diese Präsidenten keine exekutive Verantwortung haben hat ihr Wort, nicht nur in der internationalen Gemeinschaft, sondern auch in der eigenen Bevölkerung ein erhebliches Gewicht. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass es ganz besondere Gründe gegeben haben muss, die den US Präsidenten veranlasst haben, seinen deutschen Amtskollegen „on a very short notice base“ ins Weiße Haus zu bitten.

Die offizielle Begründung Washingtons für die kurzfristige Einladung lieferte die Pressesprecherin des Weißen Haus, Karine Jean-Pierre:
„President Joe Biden looks forward to welcoming President Frank-Walter Steinmeier to the White House on Friday, October 6, 2023 to commemorate German-American Day. As the presidents mark this occasion, they will reaffirm the strong ties between the United States and Germany, including our close coordination as NATO Allies on a range of important issues, including defending democratic values and our shared commitment to support Ukraine as it defends itself from Russia’s invasion.“

Aus dem Bundespräsidialamt hieß es, Steinmeier reise auf Einladung Bidens nach Washington.

Zusammenfassende Bewertung

In diesem Beitrag wird ganz bewusst von Spekulationen, von denen es sicherlich viele gibt, Abstand genommen. Es soll lediglich festgestellt werden, dass der „German-American Day“ nicht der Anlass für diese Reise gewesen ist und vor allem nicht als Begründung gedient haben kann, die Staatsoberhäupter Bulgariens, Estlands, Finnlands, Griechenlands, Irlands, Italiens, Kroatiens, Lettlands, Maltas, Österreichs, Polens, Portugals, Sloweniens, der Slowakei und Ungarns durch eine derartig kurzfristige Absage letztlich vor den Kopf zu stoßen. Schließlich findet dieser „German-American Day“ in jedem Jahr statt, so dass die Planung, daran teilzunehmen ausgesprochen langfristig möglich wäre.

Am 03. März 2023 ist Bundeskanzler Scholz für einen Besuch von nur 60 Minuten Dauer nach Washington geflogen. Das Gespräch mit Präsident Biden war exakt auch nur für eine Stunde terminiert. Im Anschluss daran hat der Bundeskanzler bei CNN ein Interview gegeben. Auf eine Pressemitteilung hat man nach seiner Rückkehr vergeblich gewartet, und es gab auch keine Regierungserklärung im Deutschen Bundestag. Deshalb weiß die deutsche Bevölkerung bis heute nicht, was in Washington besprochen wurde und warum der Kanzler für ein einstündiges Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten in die USA geflogen ist.

Bleibt zu hoffen, dass dies spätestens nach diesem extrem kurzfristig anberaumten Besuch von Bundespräsident Steinmeier anders sein wird.

Transparenz ist nicht nur ein wichtiges Prinzip der Politik, sondern vor allem eine Grundvoraussetzung für das Vertrauen der Bevölkerung in ihre politischen Führer.

Greven, den 06. Oktober 2023 Jürgen Hübschen

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Deutschlands militärische Unterstützung der Ukraine- ohne Strategie und ohne Moral

Man kann grundsätzlich darüber streiten, ob es richtig war und ist, die Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland militärisch zu unterstützen, aber diese politische Entscheidung ist ja bereits unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine gefallen. Die berechtigte Frage ist allerdings, ob die Bundesregierung diese Entscheidung unter dem Aspekt der aktuellenWaffenlieferungen durch Großbritannien und die USA nicht schon im Frühjahr dieses Jahres hätte auf den Prüfstand stellen müssen.

Die veränderte Haltung der Bundesregierung von einem strikten Nein bis zur militärischen Unterstützung der ukrainischen Gegenoffensive

 In diesemZusammenhang ist zunächst noch einmal daran zu erinnern, dass die Bundesregierung weder das Ziel ihrer militärischen Unterstützung der Ukraine definiert hat noch über eine sicherheitspolitische Strategie verfügt, wie dieses nicht klar benannte Ziel erreicht werden kann. Dabei verläuft die Art der militärischen Unterstützung immer nach demselben Muster. Nachdem die Bundesregierung das bis zum Ukrainekrieg geltende Prinzip, keine Waffen in Kriegs und Krisengebiete aufgegeben hatte und damit als möglicher Vermittler für einen Waffenstillstand und eine darauf basierende Friedensregelung nicht mehr zur Verfügung stand, lieferte sie nach immer demselben Strickmuster immer schwerere Waffen. Nach der Aufgabe des Nein zur Waffenlieferung in Kriegs-und Krisengebiete lieferte Deutschland zunächst militärische Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte. Auf diese Unterstützung folgte die Lieferung von Handfeuerwaffen zur Selbstverteidigung.

In einem zweiten Schritt wurde die persönliche Bewaffnung der Soldaten durch Panzerfäuste und Fliegerfäuste ergänzt. Diese Unterstützung wurde- wie immer nach erheblichem Zögern und nur auf innenpolitischen Druck und auf Grund von sehr präzisen und öffentlichen Forderungen Kiews -ausgeweitet auf Waffensysteme, die man im weitesten Sinne noch der Selbstverteidigung der Ukraine zuordnen konnte. Zusätzlich wurde- trotz einer Warnung durch den wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages vor einer möglichen Kriegsbeteiligung- damit begonnen ukrainische Soldaten in Deutschland an den Waffensystemen auszubilden, die die Bundesrepublik an die Ukraine lieferte. Nach erneutem Zögern, stimmte die Bundesregierung in weiteren Schritten der Lieferung von Schützenpanzern und dann auch von deutschen „Leopard“ Kampfpanzern zu.

Aktuell steht vermutlich die nächste Eskalation an, nachdem sich die Bundesregierung lange genug geziert hatte, nämlich die Lieferung von Lenkflugkörpern „Taurus“. Wie schon in der Vergangenheit – Kampfpanzer nur zu liefern, wenn die USA das auch machen –  beruft man sich dabei erneut auf die Verbündeten. Großbritannien hatte mit dem Lenkflugkörper „Storm Shadow“ – bereits eine Waffe geliefert mit der das russische Kernland erreicht werden kann.

Neben der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland agiert die Bundesrepublik mittlerweile ganz offiziell als militärischer Berater der ukrainischen Armeeführung. So hat jüngst der Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Brigadegeneral Dr. Christian Freuding, an einer entsprechenden Konferenz in Kiew teilgenommen und dort auch vorgetragen. U.a. sagte der General: „Ich kann hier versichern, wir unterstützen die Ukraine, so lange es nötig ist“ und weiter: „Wir teilen ihre Vision des Sieges.“ Die Ukraine müsse ihre territoriale Integrität komplett zurückbekommen. Auf die Frage der amerikanischen Moderatorin der Veranstaltung, Anne Applebaum: „In den Grenzen von 1991?“ antwortete der deutsche General: „Exakt“, also offensichtlich inklusive der Krim.

Lieferung von uranhaltigen Granaten und Streubomben

Uranhaltige Granaten

Im Frühjahr 2023 hatte Großbritannien entschieden, uranhaltige Munition für die Bewaffnung der von London an die Ukraine gelieferten Kampfpanzer „Challenger“ zu liefern. Diese Munition wurde sowohl von den USA und Großbritannien bereits in den Kriegen gegen den Irak und auch im „Kosovo-Krieg“ eingesetzt. Dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass die Gebiete, in denen uranhaltige Munition zum Einsatz kommt, langfristig verseucht sind. Internationale Untersuchungen haben u.a. bewiesen, dass es in diesen Regionen vermehrt zu schwersten Missbildungen bei Neugeborenen gekommen ist und auch heute noch zu beobachten ist.

Die Bundeswehr verfügt über diese Art der Munition nicht und lehnt ihren Einsatz, auch wegen der Folgen für die Zivilbevölkerung ab. Allerdings ist der britische Kampfpanzer „Challenger“, wie auch der amerikanische Kampfpanzer „M1 Abrams“ mit dergleichen Kanone vom Kaliber 120mm ausgestattet, wie der deutsche „Leopard“. Es ist also davon auszugehen, zumindest aber zu befürchten, dass diese Munition- trotz gegenteiliger Zusicherung der ukrainischen Regierung-auch von „Leopard“ Panzern verschossen wird.

Aktuell hat die US Regierung angekündigt, ebenfalls uranhaltige Munition an die Ukraine zu liefern, sobald die ersten „M1 Abrams“ in der Ukraine eingetroffen sind.

Streubomben

Diese s.g. Cluster Bombs sind Kampfmittel, die sowohl von Flugzeugen als auch durch Artillerie und Haubitzen eingesetzt werden können. Es sind praktisch Behälter/Geschosse, die mit einer unterschiedlichen Anzahl von Bomblets gefüllt sind. Sie sind hauptsächlich zur Bekämpfung von s.g. „Weichzielen“, sprich Truppenansammlungen, vorgesehen und können Flächen in der Größe von mehreren Fußballfeldern unpassierbar machen. Neben den vielen Blindgängern, die in einer solchen Bombe oder Granate enthalten sind, gibt es auch s.g. „Lauermunition“, die mit einem Zeitzünder versehen ist und deshalb erst ggf. auch Tage später explodiert, sobald man auf so ein Bomblet tritt oder fährt.

Streubomben sind seit 2008 international geächtet. Allerdings haben z.B. Russland die Ukraine und auch die USA diese Vereinbarung nicht unterzeichnet und fühlen sich deshalb auch nicht daran gebunden.

Die USA haben mittlerweile Streumunition in großem Umfang an die Ukraine geliefert und zwar mit der Begründung, dass man nicht mehr genügend herkömmliche Artilleriegranaten im Bestand habe.

Die von den USA an die Ukraine gelieferten Artilleriegeschütze und Haubitzen haben das Kaliber 155mm, ebenso wie die deutsche Panzerhaubitze 2.000, die seit langem in der Ukraine im Einsatz ist.

Die Ukraine setzt Streumunition ein und begründet dies damit, dass auch Russland Streumunition verschieße. Angeblich verschießen die ukrainischen Streitkräfte diese Art von Munition nicht mit der deutschen Panzerhaubitze 2.000.

Für Deutschland hatte der damalige Bundesaußenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Vertrag über die Ächtung von Streumunition unterschrieben.

Die Bundeswehr hat ihre Bestände an Streubomben für das Kampfflugzeug „Tornado“ schon vor vielen Jahren vernichtet und lehnt den Einsatz dieser Waffen ab.

Der moralische Kompass

Wie bereits ausgeführt, kann man durchaus kontrovers darüber diskutieren, ob man die Ukraine umfassend militärisch unterstützen sollte oder nicht, aber es ist sicherlich falsch, seine politische Position ständig zu verändern. Das ist besonders unverständlich, wenn diese Veränderung nicht aus politischer Überzeugung der Bundesregierung und vor allem des Bundeskanzlers passiert, sondern auf innenpolitischen Druck durch die Opposition, aber auch aus den Regierungsparteien selbst und vor allem durch massive Einflussnahme von außen.

Unstrittig ist für mich allerdings, dass sich die deutsche Position an ethischen Normen orientieren muss, die auch von ihren westlichen Alliierten eingehalten werden müssen.

Das ist in puncto uranhaltige Munition und vor allem auch beim Einsatz der geächteten Streumunition nicht der Fall. Aus meiner Sicht hätte es der moralische Kompass der Bundesregierung, falls es denn einen solchen gibt, zwingend erforderlich gemacht, bereits im Frühling in London vorstellig zu werden, um die deutsche Position zum Einsatz uranhaltiger Munition unmissverständlich klar zu machen. Man hätte die britische Regierung auffordern müssen, von der Lieferung dieser Munition abzusehen und gleichzeitig deutlich machen müssen, dass Berlin sich nicht in der Lage sieht, weiterhin einer Allianz anzugehören, in der diese Munition zum Einsatz kommt. Leider ist das versäumt worden, und auch gegenüber Washington hat man diese Konsequenz vermissen lassen, als die USA sich entschieden hatten, die geächtete Streumunition an die Ukraine zu liefern. Berlin redet ständig über Moral und ethische Grundsätze, lässt diese aber vermissen, wenn es darüber zum Schwur kommt. Es ist zu befürchten, dass die Bundesregierung auch der amerikanischen Lieferung von uranhaltiger Munition und der damit verbundenen Verseuchung ganzer ukrainischer Gebiete tatenlos zusehen wird.

Nicht nur derjenige Staat, der international geächtete Munition einsetzt und Granaten, die schwerste Folgen für nachfolgende Generationen und die Umwelt haben, macht sich schuldig, sondern auch eine Regierung, die, wie Deutschland, einer solchen Allianz angehört und nichts dagegen unternimmt.

Am 15. September hat in Münster die 1. Westfälische Friedenskonferenz stattgefunden, über die leider in den Abendnachrichten von ZDF und ARD überhaupt nicht berichtet wurde. Auf dieser Konferenz hat Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Rede gehalten, die den Bundeskanzler und alle deutschen Politiker zum Nachdenken anregen sollte. Pistorius stellte mit Bezug auf den Westfälischen Frieden fest, dass mit ausreichendem Willen, Mut und Kreativität auch Frieden in scheinbar aussichtslosen Fällen möglich sei. Der unbedingte Willen zum Frieden erfordere: „Geduld, Hartnäckigkeit, Kompromissbereitschaft und Kreativität.“ Diesen Sinn, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und zu sprechen, wünsche er sich auch im Falle des Ukraine Krieges.

 Leider ist davon in der aktuellen Lage noch nichts zu erkennen

Greven, 17. September 2023

Jürgen Hübschen

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Der Ukrainekrieg und die Freiheit Deutschlands und Europas

In unregelmäßigen Abständen wird von Politikern „des Westens“ erklärt, dass die Ukraine auch die Freiheit Europas verteidigt. Besonders deutsche Politiker gebrauchen dieses Argument immer wieder, um die umfangreiche und generelle Unterstützung der Regierung zu begründen und vor allem auch die massiven militärischen Leistungen der Bundesrepublik Deutschlands zu rechtfertigen.

Verteidigungsmaßnahmen gegen einen konkreten Angriff oder auf eine mögliche Bedrohung

Eine Verteidigungsmaßnahme, die der Abwehr eines konkreten Angriffs auf die territoriale Integrität eines Landes und damit dem Schutz der eigenen Bevölkerung dient, findet ihre Berechtigung im allgemeinen Völkerrecht und ist damit eigentlich selbsterklärend. Natürlich gibt es auch Verteidigungsmaßnahmen, die das Ziel haben, einen möglichen Angriff zu verhindern. Dazu bedarf es keiner konkreten Bedrohung. Sie sind sozusagen prophylaktischer Natur und nicht an einem bestimmten Gegner orientiert.

All diese Maßnahmen können national oder im Rahmen eines Verteidigungsbündnisses erfolgen. Es gibt auch, allerdings eher als eine Ausnahme, Verteidigungsmaßnahmen als Unterstützung eines anderen Staates, der darum gebeten hat, dem gegenüber aber keinerlei Bündnisverpflichtung besteht. In diese Kategorie, um es einmal als eine solche zu bezeichnen, fällt die deutsche militärische Unterstützung der Ukraine. Eine derartige politische Entscheidung ist nicht zwangsläufig damit verbunden, dass im Rahmen einer solchen Unterstützungsleistung auch die eigene Freiheit verteidigt wird.

Die deutsche Außenministerin hat allerdings bei ihrem aktuellen Besuch in Kiew gesagt: „Wir in Europa wissen: Ihr verteidigt hier auch unsere europäische (und damit natürlich auch die deutsche) Freiheit.“

Stellt sich die Frage, ob Frau Baerbock mit ihrer Aussage Recht hat. Darauf sind nur zwei Antworten möglich:

Ja:  Im Ukrainekrieg wird auch die europäische und damit auch die deutsche Freiheit verteidigt.

Diejenigen, die behaupten, dass die Ukraine auch die europäische Freiheit verteidigt, sollten ehrlicherweise besser sagen, dass Europa seine Verteidigung in der Ukraine verteidigen lässt. Das nämlich beinhaltet das Sterben ukrainischer Soldaten und Zivilisten, die Flucht der Ukrainer innerhalb ihres Landes und ins Ausland ebenso wie die Zerstörung der Ukraine durch russische Angriffsoperationen am Boden und in der Luft. Die militärischen Unterstützer der Ukraine bilden in ihren Heimatländern immer mehr ukrainische Soldaten aus, liefern nicht nur Aufklärungsergebnisse, sondern vor allem immer schwerere Waffen, die eine entsprechende Reaktion Moskaus zur Folge haben und damit entscheidenden zu der sich immer schneller drehenden Eskalationsspirale beitragen. Gleichzeitig behaupten die Politiker dieser Länder trotzdem und geradezu Mantra mäßig, nicht Kriegspartei zu sein und machen unmissverständlich deutlich, dass eine Entsendung eigener Truppen aktuell und auch in Zukunft nicht in Frage kommt.

Und genau das ist aus meiner Sicht nicht nur inkonsequent, sondern ausgesprochen schäbig.

Nein:  Im Ukrainekrieg wird die europäische und damit auch die deutsche Freiheit nicht verteidigt

Einmal davon abgesehen, wen die deutsche Außenministerin mit diesem „Ihr verteidigt“ -also einer sehr persönlichen und anbiedernd vertraulichen Ansprache- eigentlich meint, stelle ich fest, dass die Ukraine nicht die europäische Freiheit gegen Russland verteidigt, weil diese in ihrer Gesamtheit durch Russland aktuell überhaupt nicht bedroht ist. In diesem Krieg verteidigt sich die Ukraine gegen den Angreifer Russland, um ihre Souveränität zu bewahren und ihre in Teilen eingebüßte territoriale Integrität wiederherzustellen. Gleichzeitig kämpft sie für die USA in einem Stellvertreterkrieg gegen Russland, das Washington, nach konkreter Aussage von US-Verteidigungsminister Austin, militärisch in einer Weise schwächen, will, dass Moskau zukünftig nicht mehr in der Lage sein wird, einen solchen oder ähnlichen Krieg zu führen. Außerdem hat dieser Krieg das Ziel, Russland als globalen Konkurrenten der USA auszuschalten. Einige europäische Staaten, mit Abstand an der Spitze Deutschland, unterstützen mit ihrem militärischen Engagement also nicht nur die Ukraine, sondern vor allem auch die USA bei der Durchsetzung deren globalen Interessen.

Die Verteidigung der deutschen Freiheit

Für die Verteidigung der Freiheit Deutschlands sind laut Grundgesetz die Soldaten der Bundeswehr zuständig. Im Artikel 87a GG heißt es dazu wörtlich: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“  Und deshalb schwören/geloben deutsche Soldaten im 

Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz – SG)§ 9 Eid und feierliches Gelöbnis

„Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“
Der Eid kann auch ohne die Worte „so wahr mir Gott helfe“ geleistet werden.

Es geht also im Auftrag der deutschen Soldaten immer um die Verteidigung von Recht und Freiheit des deutschen Volkes, und beides wird durch den Ukrainekrieg nicht gefährdet.

Jeder Politiker, der die Lage in der Ukraine anders bewertet und Recht und Freiheit des deutschen Volkes durch Russlands Krieg gefährdet sieht, müsste konsequenter Weise deutsche Soldaten in die Ukraine zu schicken.

Da dies aber nicht passieren wird, weil es einen Krieg mit Russland zur Folge hätte, sollten Politiker das deutsche Volk nicht weiter für dumm verkaufen, indem sie behaupten, dass die Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt, um mit dieser Falschaussage den ständig zunehmenden Export von schweren Waffen und eine zunehmende Beratertätigkeit der militärischen Führung der Ukraine durch deutsche Fachleute zu rechtfertigen. Aktuell ist in diesem Zusammenhang die angebliche Teilnahme des Leiters des Planungsstabes der Bundeswehr, Brigadegeneral Dr. Christian Freuding, an einem Meeting in Kiew zu nennen.

Stattdessen sollten deutsche Politiker alles dafür tun, dass dieser Krieg auf dem Verhandlungswege beendet wird, weil er weder von Russland noch durch die Ukraine militärisch gewonnen werden kann.

Das gilt allerdings nur so lange, wie Moskau darauf verzichtet, die Ukraine vollständig zu zerstören, wozu Russland durch Flächenbombardements oder durch den Einsatz von Atomwaffen in der Lage wäre. 

Greven, 13. September 2023

Jürgen Hübschen

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Der „Entscheidungsprozess“ der Bundesregierung im Rahmen der militärischen Unterstützung der Ukraine

Der „Entscheidungsprozess“ der Bundesregierung – wenn man ihn überhaupt als einen solchen bezeichnen will- im Zusammenhang mit der militärischen Unterstützung der Ukraine verläuft seit Kriegsbeginn immer nach demselben Schema, das nachstehend in Erinnerung gerufen werden soll.

Keine Waffen in Kriegs – und Krisengebiete

Vorab noch einmal ein Hinweis auf die bisherige grundsätzliche Haltung der deutschen Regierungen, nämlich keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern. Daran hat sich offiziell nichts geändert. Doch im Verlauf der militärischen Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland wurde diese Position durch die amtierende Bundesregierung aufgegeben. Dieser Prozess gestaltete sich wie folgt.

Die veränderte Haltung der Bundesregierung von einem strikten Nein bis zur militärischen Unterstützung der ukrainischen Gegenoffensive

Diese Entwicklung verläuft eigentlich immer nach demselben Muster, nämlich von einem „Nein“ über ein „Ja aber“ zu einem „Ja“. Dafür nachstehend die wichtigsten Beispiele:

Nein

Am Anfang stand ein striktes Nein zur militärischen Unterstützung der Ukraine, unter Hinweis auf den Grundsatz, keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern. Auf der Basis von politischer Neutralität wollte man u.a. die Option wahren, in diesem Krieg eventuell als europäischer Vermittler zu agieren, um ihn möglichst schnell zu beenden.

Nein zur Lieferung letaler Waffen

Diese Position wurde sehr schnell aufgegeben zu Gunsten einer militärischen Unterstützung der Ukraine mit der Lieferung von Ausrüstung zur Selbstverteidigung. Dazu gehörten nicht nur die Stahlhelme, über die in den Medien mehr oder weniger süffisant und spottend berichtet wurde, sondern auch Sanitätsmaterial, spezielle Ausrüstung zum Schutz vor einem möglichen Angriff mit chemischen Waffen und andere Komponenten für die persönliche Schutzausrüstung der ukrainischen Soldaten.

Auch dieser zurückhaltende Ansatz wurde relativ schnell aufgegeben, weil es immer mehr innenpolitische Kontroversen gab und auch der Druck aus dem Ausland deutlich zunahm.

Nein zur Lieferung schwerer letaler Waffen

Der nächste Schritt auf dem Weg der militärischen Unterstützung war die Lieferung von letalen Waffen, aber nur für den persönlichen Einsatz der Soldaten. Dazu gehörten Gewehre, Maschinengewehre und z.B. auch Handgranaten. In einem zweiten Schritt wurde die persönliche Bewaffnung der Soldaten durch Panzerfäuste und Fliegerfäuste ergänzt. Letztere sind Schulterwaffen des einzelnen Soldaten, die nicht gegen Panzer, sondern gegen Hubschrauber oder tief fliegende Kampfflugzeuge zum Einsatz kommen.

Nein zu schweren Waffen, die nicht der Verteidigung dienen

Es dauerte nicht lange, da wurde auch diese Position aufgegeben, wobei schwere Waffen eigentlich nur theoretisch in Verteidigungs- und Offensivwaffen eingeordnet werden können. Dazu gehörten im konkreten Fall die gelieferten „Panzerhaubitzen 2.000“ und vor allem die Schützenpanzer „Marder“. Anders verhielt es sich mit den schweren Waffen zur Luftabwehr, die man konkret als Verteidigungswaffen bezeichnen kann. Dazu gehörten der Flak-Panzer „Gepard“, das taktische Luftverteidigungssystem „IRIS-T SLM“ und auch das Flugabwehrraketensystem „Patriot“.

Zusätzlich zur Lieferung dieser schweren Waffen wurden jetzt auch ukrainische Soldaten in Deutschland an diesen Waffen ausgebildet, obwohl der wissenschaftliche Dienst des Bundestages festgestellt hatte, dass Deutschland dadurch in eine Grauzone geraten würde, was seinen möglichen Status als Kriegspartei angeht.

Nein zu Kampfpanzern im Alleingang

Auch auf ein zunächst kategorisches „Nein“ zur Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine kam es letztlich doch zu einem „Ja“, wenn auch unter einer wenig überzeugenden einschränkenden Bedingung.

Weil der politische Druck, vor allem aus der Ukraine, immer stärker wurde, auch den deutschen Kampfpanzer „Leopard 2“ zu liefern, flüchtete sich die Bundesregierung in die Position, dieser Forderung nur nachzugeben, falls auch die USA den Kampfpanzer „M1 Abrams“ der Ukraine zur Verfügung stellen würden. Die USA sicherten das grundsätzlich zu, verwiesen allerdings darauf, dass das wohl erst zum Jahresende 2023 möglich sein würde. Der Grund dafür sei, dass man ein neues Modell produzieren würde, dessen Panzerung nicht identisch mit dem „Original“ sein solle. Man fürchtete, dass die Russen einen „echten“ M1 Abrams“ erobern könnten und dann in der Lage wären, die materielle Zusammensetzung der Panzerung zu entschlüsseln. Die Bundesregierung begnügte sich mit dieser grundsätzlichen Zusage der USA und lieferte jetzt nicht nur Kampfpanzer vom „Typ Leopard 1“, sondern auch den deutlich moderneren „Leopard 2“ und war sogar bereit, eine s.g. „Panzer-Koalition“ zu leiten. Auch für die Kampfpanzer wurden die zukünftigen ukrainischen Besatzungen in Deutschland ausgebildet.

Mit der Lieferung von Kampfpanzern war die Position der Bundesregierung, nur Defensivwaffen zu liefern de facto Makulatur geworden, auch wenn manche s.g. Experten behaupten, die beste Verteidigungswaffe gegen angreifende Panzer seien eigene Panzer.

Nein oder vielleicht doch jetzt ein „Ja“ zur Lieferung von eindeutigen Offensivwaffen?

Zum Zeitpunkt dieses Artikels intensiviert sich die Diskussion, ob die Bundesregierung die Lieferung des Flugkörpers „Taurus“ an die Ukraine genehmigt. Aus einem erneut kategorischen „Nein“ mit der eindeutigen Begründung, keine Waffen zu liefern, mit denen die Ukraine Ziele in Russland eingreifen könne, ist bereits eine kontroverse Diskussion in Richtung eines „Ja „entstanden.  Auslöser war neben den üblichen selbst ernannten parteipolitischen Experten in Deutschland erneut die Forderung der Ukraine mit dem mittlerweile bekannten Argument, dass diese Waffe Leben retten und den Krieg verkürzen würde.

„Taurus“ ist ein Flugkörper mit einer Reichweite bis zu 500km, der von einem Kampfflugzeug eingesetzt wird und auf Grund seines Gefechtskopfs auch geeignet ist, schwere Betonarmierungen zu zerstören. Da die Ukraine ausschließlich über ehemalige sowjetische Flugzeugmuster verfügt, müsste einer dieser Typen für den Einsatz der „Taurus“ modifiziert werden. Da etwas Ähnliches bereits für den Einsatz des britischen Flugkörpers „Storm Shadow“ bei dem sowjetischen Flugzeugmuster S-24 erfolgreich praktiziert wurde, ist davon auszugehen, dass diese Anpassung auch für den „Taurus“ möglich sein wird.

Die letzte Hilfskonstruktion in der Argumentation der Bundesregierung, eine bestimmte Waffenart nicht im Alleingang an die Ukraine zu liefern, wurde von den Befürwortern der schweren Waffen für die Ukraine unter Hinweis auf die schon erfolgte Auslieferung der britische „Storm Shadow“ und möglicherweise auch der französischen „SCALP EG“ umgehend ausgehebelt. Da der „Taurus“ aber eine deutlich größere Reichweite hat, will man diese angeblich vor der Lieferung an die Ukraine auf technischem Wege reduzieren.

In Kenntnis dieser Entwicklungen ist davon auszugehen, dass auch beim „Taurus“ das ursprüngliche „Nein“ der Bundesregierung letztlich zu einem „Ja“ werden wird.

Zusammenfassende Bewertung

Man kann durchaus kontrovers darüber diskutieren, ob man die Ukraine umfassend militärisch unterstützen sollte oder nicht, aber es ist sicherlich falsch, seine politische Position ständig zu verändern. Das ist besonders unverständlich, wenn diese Veränderung nicht aus politischer Überzeugung der Bundesregierung und vor allem des Bundeskanzlers passiert, sondern auf innenpolitischen Druck durch die Opposition, aber auch aus den Regierungsparteien selbst und vor allem durch massive Einflussnahme von außen.

Aus meiner Sicht war es bereits ein Fehler, die grundsätzliche Position, keine Waffen in Kriegs-und Krisengebiete zu liefern, aufzugeben, weil man dadurch ohne Not ein wichtiges und wohl begründetes Prinzip über Bord geworfen hat und die Chance auf eine diplomatische Vermittlerrolle aus der Hand gegeben hat.

Weil man sich-aus welchen Gründen auch immer- für diese grundsätzliche Haltungsänderung entschieden hat, wäre eine stringente und dadurch auch kalkulierbare Position unbedingt erforderlich gewesen. Das ist leider nicht passiert, und dadurch ist nicht nur deutlich geworden, dass die Regierung überhaupt keine Ukraine-Strategie hat, sondern, dass auch eine Definition des Ziels ihres politischen Handelns fehlt. Das aktuell praktizierte „Solange wie nötig, egal, was es kostet“ ist dazu keine Alternative.

Statt einer nach kontrovers geführten Debatte gefundenen Empfehlung des Bundestags zu folgen, orientiert sich die Regierung an den Meinungen einzelner Abgeordneter und/oder häufig populistischen Aussagen irgendeiner Partei, sowohl aus der Regierung als auch aus der Opposition.  Irgendwelche, häufig auch noch wenig fundierte Aussagen von selbst ernannten politischen Experten in den s.g. social medias scheinen die Regierung offensichtlich mehr zu beeindrucken als die Vorschläge von kompetenten Beratern und/oder engagierten Parlamentariern. Der daraus entstehende Druck erhöht sich noch dadurch, dass viele Medien derartige Statements und Einzelmeinungen gern aufgreifen und in ihrer Wirkung potenzieren.

Der Bundeskanzler muss sich als derjenige, der die Richtlinien der Politik bestimmt, vorwerfen lassen, dass jemand, der ausschließlich reagiert statt selbst initiativ

 zu werden, letztlich zu wenig oder überhaupt nicht führt.

In der Ukraine, aber auch bei unseren Verbündeten und wohl auch in Moskau ist der Eindruck entstanden, dass, wenn in und auf Deutschland nur genügend Druck aufgebaut wird, diese Regierung sich letztlich willfährig zeigt, eigene Positionen aufzugeben und sich stattdessen den Vorstellungen anderer unterzuordnen.

Fazit: Das ist- gelinde gesagt- fatal und schadet dem Ansehen Deutschlands bei Freunden und Gegnern gleichermaßen.

 Das ist das Eine, das Andere ist die Befürchtung, dass diese Entwicklung auch nach der Lieferung von „Taurus“ anhält und eine weitere Drehung der Eskalationsschraube nicht auszuschließen ist. Dabei müssten doch alle Akteure mittlerweile begriffen haben, dass die „westlichen“ Waffenlieferungen weder das Leid der ukrainischen Bevölkerung und/oder die Zerstörung des Landes verringert oder die Durchschlagskraft der ukrainischen Offensive verbessert haben, sondern immer eine Ausweitung der russischen Angriffe zur Folge hatten.

Wie wäre es deshalb, – mal statt eines kategorischen „Nein“ der Bundesregierung zur Lieferung weiterer und immer schwererer Waffen, das über kurz oder lang letztlich immer wieder ein „Ja“ geworden ist- mit einem klaren „Ja“ zu einer diplomatischen Initiative, verbunden mit einem entsprechenden deutschen Vorschlag zu einem Waffenstillstand und einer darauf basierenden Friedensordnung?

Greven, 13. August 2023

Jürgen Hübschen

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Die Friedenskonferenz in Dschidda- ehrlicher Ansatz zur Konfliktlösung oder gezielte PR-Aktion?

Am 05. August 2023 hat auf Einladung Saudi-Arabiens in Dschidda eine Friedenskonferenz zum Krieg in der Ukraine stattgefunden. Die Konferenz wurde von geleitet von Musaid al-Aiban, dem Sicherheitsberater des facto Herrschers Saudi-Arabiens, Kronprinz Mohammed Bin Salman.

Es sollen Vertreter von ca. 40 Staaten teilgenommen haben. Dazu sind allerdings nur relativ wenige Details bekannt geworden, weil die Konferenz unter Ausschluss der Medien durchgeführt wurde. Fest steht, dass das Treffen auf der Ebene der Sicherheitsberater der Teilnehmerländer stattgefunden hat. Die USA waren durch Präsident Bidens Sicherheitsberater Jack Sullivan vertreten, Deutschland hatte den außen- und sicherheitspolitischen Berater des Bundeskanzlers, Jens Plötner entsandt, und aus China hatte der Sonderbeauftragte für die Ukraine, Li Hui teilgenommen. Bekannt wurde auch, dass Ägypten, Brasilien, Chile, Großbritannien, Indien, Indonesien, Kanada, Südafrika und die Türkei eine Delegation geschickt hatten und auch die EU präsent war. Ob Vertreter der OSZE und/oder der UNO in Dschidda anwesend waren, ist nicht bekannt. Von den Kriegsparteien nahm nur die Ukraine teil, weil Russland zur Konferenz nicht eingeladen war. Die Delegation der Ukraine wurde vom Chef des Präsidialamts, Andriy Yermak, geleitet.

Die Basis der Gespräche war der von der Ukraine erstellte Friedensplan. Es sollen allerdings auch andere Pläne noch einmal vorgestellt und diskutiert worden sein. Dabei soll ein Abgleich zwischen den einzelnen Initiativen stattgefunden haben. Ob dadurch möglicherweise durch Saudi-Arabien ein neuer Friedensvorschlag entwickelt wird, wie es einige Beobachter behaupten, ist zunächst einmal reine Spekulation. Das wird auch erst einmal so bleiben,

weil auf eine Abschlusserklärung verzichtet wurde, wie man bereits im Vorfeld entschieden hatte. So muss man sich mit der Aussage des saudischen Gastgebers zufriedengegeben, der gemäß einer Meldung der saudischen Staatsagentur SPA nach der Konferenz erklärt hat, die teilnehmenden Staaten hätten sich darauf geeinigt, die internationalen Beratungen fortzusetzen, um auf einer gemeinsamen Grundlage, den Weg zum Frieden zu ebnen. Diese Aussage wurde aus EU Kreisen ergänzt:  Ein weiteres Treffen, dann auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, scheine möglich zu sein und sei noch vor Jahresende „denkbar“. Saudi-Arabien werde einen Plan für weitere Gespräche in Arbeitsgruppen vorlegen, um Themen wie globale Ernährungssicherheit, nukleare Sicherheit und Gefangenenfreilassung zu erörtern. In Riad verlautete aus Diplomatenkreisen, Saudi-Arabien bemühe sich um einen Kompromiss mit dem Ziel eines „globalen Friedensgipfels im weiteren Verlauf des Jahres“.

Der ukrainische Friedensplan

Der ukrainische Friedensplan wird oft auch als „Friedensformel des ukrainischen Präsidenten“ bezeichnet. Bevor dieser in seinen 10 Punkten dargestellt wird, soll nachstehend an die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine im März in Istanbul erinnert werden, die nach dem Besuch des damaligen britischen Premierministers, Boris Johnson in Kiew am 09. April 2022 nicht mehr fortgesetzt wurden.

Der Verhandlungsentwurf für ein Sicherheitsgarantieabkommen zwischen Russland und der Ukraine

Der Verhandlungsentwurf für ein Sicherheitsgarantieabkommen zwischen Russland und der Ukraine wurde am 29. März 2022 von Farida Rustamowa veröffentlicht. Er ist Ergebnis der russisch-ukrainischen Gespräche vom 29. März in Istanbul ist und soll vom Berater des russischen Präsidenten, Wladimir Medinski, nach Moskau gebracht worden sein Es handelte sich nicht um endgültige Vereinbarungen zwischen Russland und der Ukraine, sondern um Entwürfe der ukrainischen Seite, die von Moskau noch geprüft und diskutiert werden sollten. Einige dieser Überlegungen wurden von Vertretern der russischen und ukrainischen Delegationen bekannt gemacht:

  • Vorschlag 1: Proklamation der Ukraine als neutraler Staat mit völkerrechtlichen Garantien zur Umsetzung des blockfreien und atomwaffenfreien Status. Mögliche Garantiestaaten: Russland, Großbritannien, China, USA, Frankreich, Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen, Israel. Auch andere Staaten können dem Vertrag beitreten.
  • Vorschlag 2: Die internationalen Sicherheitsgarantien der Ukraine im Rahmen des Vertrages gelten nicht für die Krim, Sewastopol und einzelne Gebiete des Donbass. Die Parteien müssen die Grenzen dieser Gebiete festlegen oder sich darauf einigen, dass jede Seite sie auf ihre eigene Weise versteht.
  • Vorschlag 3: Die Ukraine wird keinem Militärbündnis beitreten, keine ausländischen Militärstützpunkte oder -kontingente stationieren und internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantenstaaten durchführen. Die Bürgschaftsstaaten bekräftigen ihrerseits ihre Absicht, die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union zu fördern
  • Vorschlag 4: Die Garantiestaaten und die Ukraine kommen überein, dass im Falle einer Aggression, eines bewaffneten Angriffs gegen die Ukraine oder einer Militäroperation gegen die Ukraine jeder der Garantiestaaten nach einer dringenden und unverzüglichen Konsultation zwischen ihnen (die innerhalb von höchstens drei Tagen stattfinden wird) in Ausübung des in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung (als Reaktion auf ein förmliches Ersuchen der Ukraine und auf der Grundlage dieses Ersuchens) der Ukraine als dauerhaft neutralem Staat Beistand leisten wird. Dies geschieht durch die unverzügliche Durchführung der erforderlichen individuellen oder gemeinsamen Maßnahmen, einschließlich der Sperrung des Luftraums über der Ukraine, der Bereitstellung der erforderlichen Waffen und der Anwendung bewaffneter Gewalt, um die Sicherheit der Ukraine als eines auf Dauer neutralen Staates wiederherzustellen und dann aufrechtzuerhalten.
  • Vorschlag 5: Jeder bewaffnete Angriff (jede Militäroperation) und alle daraufhin getroffenen Maßnahmen werden unverzüglich dem UN-Sicherheitsrat gemeldet. Diese Maßnahmen werden beendet, sobald der Sicherheitsrat die zur Wiederherstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.
  • Vorschlag 6: Der Mechanismus zur Umsetzung der Sicherheitsgarantien für die Ukraine wird nach zusätzlichen Konsultationen zwischen der Ukraine und den Garantiegeberstaaten im Vertrag geregelt, wobei der Schutz vor möglichen Provokationen berücksichtigt wird.
  • Vorschlag 7: Der Vertrag wird ab dem Zeitpunkt seiner Unterzeichnung durch die Ukraine und alle / bzw. die Mehrheit der Bürgschaftsstaaten vorläufig angewandt. Der Vertrag tritt in Kraft, nachdem der Status der Ukraine als dauerhaft neutraler Staat durch ein gesamtukrainisches Referendum gebilligt wurde und die entsprechenden Änderungen an der ukrainischen Verfassung vorgenommen und von den Parlamenten der Ukraine und der Bürgschaftsstaaten ratifiziert wurden.
  • Vorschlag 8: Der Vertrag sieht vor, das Bestreben der Parteien festzuhalten, die Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol innerhalb von 15 Jahren durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu lösen. Es wird auch vorgeschlagen, festzuhalten, dass die Ukraine und Russland die Fragen der Krim und Sewastopols nicht militärisch lösen werden, sondern ihre politischen und diplomatischen Bemühungen zur Lösung dieser Frage fortsetzen werden.
  • Vorschlag 9: Die Parteien werden ihre Konsultationen (unter Einbeziehung anderer Garantiegeberstaaten) fortsetzen, um die Bestimmungen des Vertrags über Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Modalitäten für einen Waffenstillstand, den Rückzug der Truppen und anderer paramilitärischer Formationen, die Öffnung und Gewährleistung des sicheren Funktionierens der humanitären Korridore auf dauerhafter Basis sowie den Austausch der Leichen und die Freilassung von Kriegsgefangenen und internierten Zivilisten vorzubereiten und zu vereinbaren.
  • Vorschlag 10: Die beiden Parteien halten es für möglich, dass die Präsidenten der Ukraine und Russlands zusammenkommen, um einen Vertrag zu unterzeichnen und/oder politische Entscheidungen über die noch offenen Fragen zu treffen.

(Quelle:  01.04.2022 „Russland-Ticker.de)

Angeblich soll der ukrainische Präsident Selensky die Vorschläge grundsätzlich positiv bewertet haben und bereit gewesen sein, darüber direkte Gespräche mit dem russischen Präsidenten zu führen.

Dazu ist es wegen der Intervention von Boris Johnson, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Vorfeld mit den USA abgestimmt worden war, nicht gekommen. Deshalb weiß man nicht, ob diese Verhandlungen erfolgreich gewesen wären.

Der 10-Punkte Friedensplan der Ukraine

Nach ziemlich genau 10 Monaten Krieg präsentierte der ukrainische Präsident Selensky bei seinem Besuch in den USA am 22. Dezember 2022 erstmalig seinen 10 Punkte Friedensplan, die „Friedensformel des ukrainischen Präsidenten“.  Konkret geht es bei dem Plan um zehn Bedingungen, die Selenski erfüllt sehen will, sollte ein Ende des Krieges erreicht werden.

Der Plan umfasst im Einzelnen:

  • Strahlenschutz und nukleare Sicherheit,
  • Lebensmittelsicherheit,
  • Sicherheit der Energieversorgung,
  • Freiheit für alle Gefangenen und Deportierten,
  • Charta der Vereinten Nationen sichert die territoriale Integrität der Ukraine zu,
  • Rückzug aller russischen Truppen und Einstellung aller Feindseligkeiten,
  • Internationaler Sondergerichtshof zur Untersuchung aller russischen Verbrechen sowie Wiedergutmachungen,
  • unmittelbarer Schutz der Umwelt,
  • Verhinderung weiterer Eskalationen,
  •  Friedensabkommen mit der Bestätigung der Beendigung des Krieges.

Zuvor hatte bereits der Fraktionschef der Selensky Partei, „Diener des Volkes“, David Arachamija, auf Telegramm erklärt, die Ukraine sei unter 4 Bedingungen bereit, mit Russland Gespräche aufzunehmen:

  • Vollständiger Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine
  • Reparationszahlungen
  • Bestrafung aller Kriegsverbrecher
  • „freiwillige Abgabe aller Nuklearwaffen“

Danach sei man bereit, sich an den Verhandlungstisch zu begeben und über Sicherheitsgarantien zu sprechen.

Weitere bekannte formale Friedensvorschläge

Wegen fehlender Presseerklärungen, kann man nur vermuten, über welche Alternativen zum ukrainischen Friedensplan auf der Konferenz gesprochen wurde. Deshalb sollen die drei bislang bekannt gewordenen offiziellen Vorschläge /Initiativen nachfolgend dargestellt werden.

Der italienische Friedensplan

Am 22. Mai 2022 stellte der damalige italienischen Außenmnister Di Maio auf dem Treffen des Europarates in Turin einen Plan vor, der zuvor mit dem UN Generalsekretär abgesprochen worden sei. Ziel sei es, Schritt für Schritt vorzugehen und am Ende einen dauerhaften Frieden mit einem echten Abkommen zu erreichen. Der Vorschlag sehe unter anderem die Bildung einer internationalen Vermittlergruppe mit Vertretern von UNO, EU und OSZE vor.

Nach Informationen der italienischen Zeitung „La Repubblica“ sieht das Dokument vier Schritte vor:

  • einen Waffenstillstand in der Ukraine mit einer Demilitarisierung der Front unter UNO-Aufsicht,
  • Verhandlungen über den Status der Ukraine,
  • ein bilaterales Abkommen zwischen Kiew und Moskau über die Krim und den Donbass sowie
  • ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa.

Der Friedensplan des mexikanischen Präsidenten

Es sei nie zu spät, einen Fehler zu korrigieren, insbesondere, wenn er zu einem Angriff auf menschliche, soziale und wirtschaftliche Rechte auf der ganzen Welt geworden sei.

Vor diesem skizzierten Hintergrund präsentierte der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador am 24.08.2022 seinen Friedensplan:

Mexikos Regierung schlägt darin vor, dass

  • „anstelle der Fortsetzung dieses schmerzhaften und absurden Krieges“ unverzüglich ein Komitee für Dialog und Frieden gebildet wird.
  • Als Vermittler sollen die Staatsoberhäupter Indiens und des Vatikans sowie der Generalsekretär der Vereinten Nationen agieren. Also der indische Premierminister Modi, Papst Franziskus und Generalsekretär António Guterres.
  • Die Friedensmission unter Leitung der genannten Vertreter soll dann unverzüglich eine Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine und die Aufnahme direkter Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Selensky und dem russischen Präsidenten Putin anstreben.
  • Darüber hinaus sollte dieses Verhandlungs-Komitee nach unserem Vorschlag auch ein multinationales Abkommen erzielen, um einen Waffenstillstand von mindestens fünf Jahren zu vereinbaren, einstimmig angenommen im UN-Sicherheitsrat, welches auch
  • die sofortige Aussetzung militärischer Aktionen und Provokationen sowie von Atom- und Raketentests beinhaltet.
  •  Das Abkommen würde die Verpflichtung aller Staaten begründen, Konfrontationen zu vermeiden und nicht in interne Konflikte einzugreifen.

Abschließend erklärte Obrador, dass seine Regierung hoffe, dass auf diese Weise eine Atmosphäre des Friedens und der Ruhe geschaffen werden könne, die es ermöglichen wird, alle Anstrengungen der Regierungen darauf zu verwenden, die elementaren Probleme der Welt wie Armut, Gesundheit, Gewalt und Migration anzugehen. Der mexikanische Präsident schloss mit den Worten:

„Ohne Frieden wird es kein Wirtschaftswachstum geben, geschweige denn Gerechtigkeit. Regieren sollte keine Ausübung von Hegemonie oder Herrschaft sein, sondern vor allem die Suche nach Wohlergehen für die Völker; Macht ergibt nur Sinn und wird zur Tugend, wenn sie in den Dienst anderer gestellt wird. Hoffentlich werden wir mit dieser Initiative Erfolg haben, aber egal was passiert, es wird nie umsonst sein, für Gerechtigkeit und Frieden zu kämpfen.“

 Der chinesische 12-Punkte Plan

Der offizielle Titel lautet: „Position Chinas zu politischen Lösung der Ukraine-Krise“

Der chinesische 12-Punkte Plan wurde am 24.02 2023, also am 1. Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine veröffentlicht.

In dem Dokument heißt es:

„Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und letztendlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen. Konflikt und Krieg dienen niemandem. Alle Parteien müssen rational bleiben, Zurückhaltung üben und vermeiden, die Flammen anzufachen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder sogar außer Kontrolle gerät.“

Auch fordert China, dass die Grundsätze der Vereinten Nationen streng beachtet werden müssten. Das chinesische Außenministerium verspricht darin, dass China weiterhin eine „konstruktive Rolle“ bei der Wiederaufnahme der Friedensgespräche spielen werde, nannte aber keine weiteren Einzelheiten.
Auf jeden Punkt folgt ein Absatz, in dem die chinesische Position erläutert wird, der jedoch keine konkreten Vorschläge enthält, wie die Punkte erreicht werden sollen.

Die Forderungen Chinas im 12-Punkte-Papier:

  • Respektierung der Souveränität aller Länder
  • Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges
  • Einstellung der Feindseligkeiten
  • Wiederaufnahme der Friedensgespräche
  • Beilegung der humanitären Krise
  • Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen
  • Sicherheit der Kernkraftwerke
  • Verringerung der strategischen Risiken
  • Erleichterung der Getreideexporte
  • Beendigung einseitiger Sanktionen
  • Stabilisierung von Industrie- und Versorgungsketten
  • Förderung des Wiederaufbaus nach Konflikten

Stellungnahmen von Teilnehmerstaaten zu Zielen, Inhalten und zum Ergebnis der Konferenz

Auch zu diesen Punkten gibt es wegen der fehlenden Pressepräsens nur wenige Details. Deshalb nachfolgend nur die bekannt gewordenen Positionen einiger Länder

Ukraine

Nichts weniger als die Grundlage einer neuen globalen politischen Architektur soll in Dschidda gelegt werden. So hoch steckt Mychajlo Podoljak, der zum engsten Kreis des ukrainischen Präsidenten gehört, Kiews Erwartungen an den Gipfel in Saudi-Arabien.

Der Leiter des ukrainischen Präsidialstabs, Andrij Jermak, erklärte, dass die Konferenz ein „großer Schlag“ für Russland gewesen sei. Es seien nur Friedensvorschläge der Ukraine diskutiert worden. Auf Telegram schrieb er:“ Wir diskutierten mit Vertretern anderer Länder über Verteidigung, Sicherheitsgarantien, die Bedeutung eines globalen Friedensgipfels und eines Getreideabkommens“. Später erklärte Jermak, die Position der Ukraine sei nach den Gesprächen gestärkt. Alle teilnehmenden Länder hätten sich zur UN-Charta, zum Völkerrecht, zur Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Staaten bekannt. „Wir hatten sehr produktive Beratungen über die wesentlichen Prinzipien, auf deren Basis ein gerechter und dauerhafter Frieden geschaffen werden sollte.“ 

Ein neues Treffen solle in sechs Wochen stattfinden.

Der ukrainische Präsident Selensky lobte das Treffen in seiner täglichen Videoansprache am Abend des 05. August. Die Ukraine treibe ihren 10-Punkte Friedensplan voran. Dieser Plan sei von weiteren Ländern akzeptiert worden. Namen nannte der Präsident jedoch nicht. Während der Konferenz seien viele bilaterale Gespräche geführt worden, ob dazu auch ein Treffen zwischen der ukrainischen und der amerikanischen Delegation gehört hat, wurde nicht bekannt.

Brasilien

Der frisch gewählte brasilianische Präsident Lula da Silva hatte sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Vermittler im Ukraine-Krieg angeboten und angeregt, einen „Friedensclub“ zu gründen. Der Krieg sei an einem Punkt angekommen, an dem keiner mehr seine Maximalziele erreichen könne. Es sei notwendig, eine Gruppe von Ländern zu bilden, die stark genug sei und respektiert werde, um sich mit Russland und der Ukraine an einen Verhandlungstisch zu setzen. Neben Brasilien erwähnt er China, Indien und Indonesien – diejenigen Staaten, die zwar mehr oder weniger scharf den russischen Angriffskrieg verurteilen, sich aber weder an den westlichen Sanktionen noch an Waffenlieferungen beteiligen. Russland habe den Fehler begangen, „in das Territorium eines anderen Landes einzudringen“, sagte Lula. „Aber ich denke immer noch: ‚Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht.“ Man wisse nicht genau, warum der Krieg begonnen worden sei, aber einige sagten, „der Krieg habe begonnen, weil die Ukraine in die Nato“ wolle. Für eine Lösung des Konfliktes müsse mithin über die Ursachen und Hintergründe geredet werden

Bei einem Portugal-Besuch im April 2023 hatte Brasiliens Staatschef die Ukraine erneut aufgerufen, sich zu Friedensverhandlungen mit Moskau bereitzuerklären, um den russischen Angriffskrieg zu beenden. „Ebenso wie meine Regierung die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine verurteilt, treten wir für eine politische Verhandlungslösung für den Konflikt. Wir brauchen dringend eine Gruppe von Ländern, die sich sowohl mit der Ukraine als auch it Russland gemeinsam an den Tisch setzt.«

In Dschidda forderte der brasilianische Delegationsleiter Celso Amorim in seiner Stellungnahme, dass „echte Verhandlungen alle Parteien einschließen“ müssten, also auch Russland. „Auch, wenn die Ukraine das größte Opfer ist, müssen wir, wenn wir wirklich Frieden wollen, Moskau auf irgendeine Weise in diesen Prozess einbeziehen“.

China

China hat den russischen Überfall bislang nicht offiziell kritisiert und sprach auf der Konferenz weiter offiziell von einer „unparteiischen“ Position, die es in dem Konflikt einnehme.

Deutschland

Im Vorfeld der Konferenz hieß es in Berlin, Ziel des Treffens in Dschidda sei die „Konsolidierung verschiedener Friedenspläne“. Nach einer Erklärung der Bundesregierung hätten sich alle Teilnehmer der Konferenz zur UN-Charta und damit etwa zur Unverletzlichkeit der territorialen Integrität und Souveränität der UN-Mitgliedsländer bekannt. Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich vorsichtig optimistisch. „Jeder Millimeter Fortschritt in Richtung eines gerechten und fairen Friedens bringt ein Stück Hoffnung für die Menschen in der Ukraine“. Das Signal von Dschidda sei, dass der russische Angriffskrieg „auch die Menschen in Afri­ka, Asien und Südamerika“ betreffe, etwa was die Energiesicherheit und die Versorgung mit Nahrungsmitteln angehe. Für ein Ende des Krieges habe der ukrainische Präsident Selenskyj mit seiner Friedensformel dafür einen ganz entscheidenden Pfad aufgezeigt“, sagteBaerbock.

Russland

Am 04. September 2022 hatte Kreml Sprecher Dmitri Peskow in der im Staatsfernsehen ausgestrahlten Sendung „Moskau-Kreml-Putin“ gesagt: „ Jede Konfrontation endet mit einer Entspannung, und jede Krisensituation endet am Verhandlungstisch. Das wird auch diesmal der Fall sein“ Wahrscheinlich sei, dass es nicht so schnell geschehen werde, aber es werde passieren.

Am 22. Dezember 2022 hatte sich Präsident Putin auf einer Konferenz in Jekaterinburg zu möglichen Friedensverhandlungen mit der Ukraine ähnlich geäußert.„Alle bewaffneten Konflikte enden mit Verhandlungen, und Russland hat sich nie gedrückt, im Gegensatz zur Ukraine. Je schneller in Kiew die Erkenntnis einkehrt, dass Gespräche notwendig sind, umso besser“.

In Dschidda hätte man den russischen Präsidenten beim Wort nehmen können, aber

Russland war zu der Konferenz nicht eingeladen. Trotzdem kündigte Kremlsprecher Dimitri Peskow im Vorfeld an, man werde die Konferenz verfolgen. Man müsse erst verstehen, was die Ziele der geplanten Gespräche seien und was besprochen werden solle. Alle Versuche, eine friedliche Lösung zu fördern, seien „eine positive Bewertung wert.“

Der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow bezeichnete das Treffen laut TASS als

sinnlosen und vergeblichen Versuch des Westens, Länder des globalen Südens auf die Seite der Ukraine zu ziehen. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, erklärte die Konferenz für bedeutungslos, solange Russland nicht an der Konferenz teilnehme. Sie bekräftigte erneut die russische Position, dass Russland für eine diplomatische Lösung offen sei – aber nur zu seinen Bedingungen. Als solche nannte Moskau in der Vergangenheit etwa, dass die Ukraine alle besetzten Gebiete abtreten solle. Präsident Selenskyjs Formel habe mit Frieden nichts zu tun. Die Russische Föderation habe mehrfach bestätigt, dass diese Formel inakzeptabel sei. Die Gespräche unter saudischer Vermittlung bezeichnete Sacharowa als Betrug.

Kremlsprecher Peskow relativierte seine vorsichtig positive Aussage vor der Konferenz am 06. August gegenüber der New York Times und erklärte, es gebe derzeit „keine Grundlagen für eine Einigung. Wir werden die Operation für die absehbare Zukunft fortsetzen.“ Darüber hinaus deutete er an, Russland wolle die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete verteidigen und behalten.

Nach vorliegenden Hinweisen, war Russland von Saudi-Arabien über Inhalt und Verlauf der Konferenz unterrichtet worden.

Zusammenfassende Bewertung

Die Friedenskonferenz als saudische PR-Aktion abzutun, würde dem Treffen nicht gerecht. Man muss vielmehr der deutschen Außenministerin grundsätzlich- allerdings ohne die von ihr gemachten Einschränkungen und Ergänzungen- zustimmen, dass jeder Millimeter Fortschritt in Richtung eines gerechten und fairen Friedens zu begrüßen ist. Das gilt besonders deswegen, weil die UNO und auch die OSZE keinerlei Initiativen erkennen lassen, wie man diesen Krieg beenden könnte. Umso bedauerlicher ist es, dass Russland zu der Konferenz nicht eingeladen wurde, obwohl jedem Politiker klar sein muss, dass man bei einem Streit gleich welcher Art, nie eine Lösung finden wird, wenn man nur mit einer Partei spricht und verhandelt.  Trotzdem gab und gibt es positive Signale, dass es in Zukunft weitere Verhandlungen geben soll und dann hoffentlich unter Beteiligung Russlands, wie es von Brasilien gefordert wurde. Außerdem war es sicherlich wichtig und richtig, dass auch bilateral die jeweiligen Positionen ausgetauscht wurden und sich offensichtlich alle Teilnehmer darin einig waren, dass dieser Krieg schnellstmöglich beendet werden müsse und dies nur auf dem Verhandlungsweg zu erreichen sei. Hervorzuheben ist auch, dass mit Brasilien, China, Indien und Südafrika außer Russland alle BRICS Mitgliedstaaten auf der Konferenz vertreten waren, weil dieses Bündnis in der zukünftigen Gestaltung einer neuen globalen Weltordnung eine wichtige Rolle spielen wird.

Die Initiative Saudi-Arabiens muss uneingeschränkt anerkannt werden, auch wenn das Königreich damit sicherlich eigene politische Ziele verfolgt hat. Das ist legitim und zu respektieren. Durch die, wahrscheinlich sogar vom Kronprinzen Mohammed Bin Salman gebilligte oder gar veranlasste Ermordung des kritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi war Saudi-Arabien von vielen westlichen Staaten massiv kritisiert worden. Der amerikanische Präsident hatte das Land in seinem Wahlkampf 2020 sogar als „Paria“ bezeichnet. Die Weigerung Saudi-Arabiens, den amerikanischen Wunsch nach einer höheren Ölförderquote zu erfüllen, hatte das Verhältnis zu Washington zusätzlich belastet. Auch der noch immer andauernde Krieg im Jemen schadet dem Königreich.

Durch die unterschiedlichsten politischen Aktivitäten und Initiativen ist es dem Land aber gelungen, sich der Welt positiver zu präsentieren und vor allen Dingen auch seine internationale Position zu stärken. Dazu gehört die Annäherung an die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) – Saudi-Arabien hat mittlerweile den Status eines Dialogpartners- ebenso wie die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Iran. Der Krieg in der Ukraine wird seitens des Kronprinzen als gute Gelegenheit gesehen als kommender global Player in Erscheinung zu treten. Schon im September 2022 spielte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman eine führende Rolle bei den Vermittlungsbemühungen, die zur Freilassung von zehn Kriegsgefangenen führten, darunter zwei US-Bürger.

Im Februar 2023 war Außenminister Prinz Faisal bin Farhan al-Saud in Kiew mit Präsident Selensky zusammengetroffen. „Wir unternehmen alle möglichen Anstrengungen, um das Leid des ukrainischen Volkes zu lindern“, sagte der saudische Minister gegenüber Selenskyj. In diesem Rahmen unterzeichneten Riad und Kiew ein Abkommen und ein Memorandum of Understanding, mit dem sich der Golfstaat verpflichtete, insgesamt 400 Millionen Dollar zugunsten der Ukraine zu finanzieren. Konkret fließen 100 Millionen Dollar in ein Kooperationsprogramm zur Bereitstellung humanitärer Hilfe über das „King Salman Humanitarian Aid and Relief Center“, während weitere 300 Millionen Dollar für die Lieferung von Ölderivaten an das europäische Land über den „Saudi Fund for Development „verwendet werden. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte nach einem Gespräch mit seinem saudischen Amtskollegen:  „Wir sehen eine Interaktion mit Saudi-Arabien nicht nur bilateral, nicht nur multilateral im Rahmen der UNO und anderer internationaler Organisationen, sondern auch regional, und wir werden unsere Bemühungen koordinieren“.

Im Mai 2023 hatte der ukrainische Präsident Selensky als Gast am Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Dschidda teilgenommen.

Obwohl man Russland zur Konferenz nicht eingeladen hatte, dürfte das Königreich auch in Zukunft ein zumindest pragmatisches Verhältnis zu Moskau pflegen, nicht zuletzt, weil man im Energiesektor eng zusammenarbeitet. Saudi-Arabien hatte z.B. in der Vergangenheit für den heimischen Gebrauch preiswertes russisches Öl importiert, um auf diese Weise mehr teures eigenes Öl auf dem Weltmarkt zu verkaufen.

Mit Selbstbewusstsein hat Riad auch sein Verhältnis zu den USA wieder normalisiert und arbeitet aktuell mit Washington an einer Lösung, das Verhältnis zwischen Israel un den arabischen Staaten weiter zu verbessern.

Fazit: Der Wert der Friedenskonferenz in Dschidda liegt trotz des fehlenden konkreten Ergebnisses darin, dass sich etwa 40 Länder überhaupt zu diesem Thema getroffen und ausgetauscht haben und vor allem auch die BRICS Staaten teilgenommen haben. Die Fortsetzung derartiger Gespräche wird aber nur dann zu einem konkreten Ergebnis führen, wenn auch Russland als zweite Kriegspartei an solchen Treffen teilnimmt. Wenn Riad das gelänge, wäre das nicht nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Friedenslösung, sondern für das Königreich ein Meilenstein als global Player anerkannt zu werden.

Greven, den 09. August 2023

Jürgen Hübschen

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Der Militärputsch in Niger, die „EU Partnership Mission Niger“ und der amerikanische Stützpunkt „Base 201“

Aktuelle Gesamtlage

Der Militärputsch in Niger wird in der Welt mit Besorgnis, Interesse oder Genugtuung verfolgt, je nachdem, in welchem Lager sich die jeweiligen Politiker und Regierungen befinden. Der 2021 – wie es heißt-  demokratisch gewählte Präsident Mohamed Bazoum wurde von den Militärs gestürzt und unter Hausarrest gestellt.  Die USA und auch die EU verurteilten den Coup und stellten sich hinter die Forderung der „Economic Community of West African States“ (ECOWAS), die den Putschisten eine Frist bis zum 05. August 2023 gesetzt haben, den rechtmäßigen Präsidenten wiedereinzusetzen. Andernfalls drohen die ECOWAS mit einem militärischen Eingreifen. Für einen solchen Fall erklärten die Machthaber in Burkina Faso, Guinea und Mali, die ebenfalls durch Militärputsche die Regierungsgewalt an sich gerissen hatten, mit militärischen Unterstützungsmaßnahmen für die Putschisten in Niger. Die EU und auch Deutschland stoppten alle Unterstützungsmaßnahmen für Niger. Insgesamt ist die Lage so unübersichtlich, dass sich das Personal der Deutschen Botschaft auf das Gelände des Bundeswehrstützpunktes in Niger zurückgezogen hat. Die Bundeswehr betreibt mit ca. 100 Soldaten diesen Stützpunkt als logistisches Drehkreuz für die Versorgung deutscher Soldaten in Afrika, besonders für die noch etwa 1.000 Bundeswehrangehörigen im benachbarten Mali, die dort für die UNO und zuvor auch im Rahmen einer EU Mission im Einsatz waren. Die Operation in Mali soll offiziell im Mai 2024 beendet werden, und deshalb hat die Rückverlegung von Personal über den Luftwaffenstützpunkt in Niamey bereits vor geraumer Zeit begonnen. Frankreich, die ehemalige Kolonialmacht in Niger, hat mit der Evakuierung seiner Staatsbürger aus Niger begonnen und auch deutschen im Land befindlichen Zivilisten angeboten, sie ebenfalls auszufliegen. Das Auswärtige Amt hat allen deutschen Staatsbürgern in Niger dringend empfohlen, dieses Angebot anzunehmen, aber bislang auf eigene Evakuierungsmaßnahmen verzichtet und lediglich eine Reisewarnung für das Land ausgesprochen.

Die Lage ist insgesamt unübersichtlich, so dass man nicht weiß, ob und ggf. wie lange der Stützpunkt der Luftwaffe noch betrieben werden kann und welche Alternativen es überhaupt gibt, die deutschen Soldaten in Mali weiter zu versorgen und die Operation insgesamt abzuwickeln.

„EU Partnership Mission Niger“

Völlig unklar ist auch, ob an der „EU Partnership Mission Niger“ festgehalten wird, die in 2024 gestartet werden und zunächst auf 3 Jahre befristet werden soll. Der endgültige Beschluss soll Mitte Dezember beim EU-Außenministertreffen in Brüssel fallen.

Brüssel will mit dieser EU-Mission Militärhilfe im Niger leisten und damit die Sahelzone stabilisieren. Mit schwerem Gerät und starken Institutionen soll der Vormarsch von Terroristen gestoppt werden.

Die militärische Mission verfolgt drei Ziele:

  • die Ausbildung von nigrischen Streitkräften,
  • die Unterstützung von „militärischen Institutionen“ im Land und
  • die Lieferung von schweren und letalen Waffen, insbesondere für Luftstreitkräfte.

Die Gelder sollen aus der Europäischen Friedensfazilität (EPF) stammen, einem neuen Sondertopf der EU zum Einsatz in Krisenregionen. Daraus werden derzeit auch Waffenlieferungen von EU-Ländern an die Ukraine mitfinanziert.

In Brüssel heißt es dazu, die Europäer dürften neben der Ukraine die anderen weltweiten Krisenherde, die die Sicherheit Europas bedrohen können, nicht aus den Augen verlieren. Dies sei auch der Anspruch des neuen Strategischen Kompasses, eines Grundsatzdokuments der EU zur Ausrichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, das maßgeblich unter dem Einfluss von EU-Chefdiplomat Josep Borrell entstanden ist.

Der amerikanische Stützpunkt „Base 201“

Der amerikanische Stützpunkt „Base 201“ taucht in der bisherigen Berichterstattung über den Putsch in Niger überhaupt nicht auf, irgendwie so, als gäbe es ihn nicht.

Mit dem Bau von „Base 201“ wurde 2014/2015 in Niger begonnen, und seit 2019 ist der Stützpunkt in der Nähe der Stadt Agadez in Zentral-Niger einsatzbereit. Aktuell sind ca. 1.000 US Soldaten dort stationiert. Es handelt sich um den größten US-Stützpunkt in Afrika, der auf Grund der Länge seiner Runway von allen amerikanischen Flugzeugmustern angeflogen werden kann.

Der Stützpunkt dient nach US Angaben schwerpunktmäßig dem Einsatz von Drohnen gegen IS und Al Quaida Terroristen, Drogenhändler und Schleuserbanden, aber auch als Aufklärungsmissionen für verschieden afrikanische Staaten in der Sahel-Zone. Seit 2013 hatten die USA zwar bereits unbewaffnete Drohnen von einem Stützpunkt in der Hauptstadt Niamey eingesetzt, aber jetzt werden die Missionen von bewaffneten „MQ-9 Reaper“ geflogen. Diese Drohnen werden von US-Stützpunkten in den USA, möglicherweise aber auch aus Deutschland gesteuert, vermutlich durch das amerikanische „African Command“, das in Stuttgart stationiert ist.

Für „Base 201“ besteht ein Nutzungsvertrag mit Niger von 10 Jahren; danach geht der Stützpunkt in den Besitz von Niger über.

Zusammenfassende Bewertung

Wie bereits festgestellt, ist die aktuelle Lage in Niger völlig unübersichtlich, und es ist auch nicht klar, warum und mit welchem Ziel die Militärs geputscht haben. Auffällig ist, wie konsequent sich die EU hinter die Position der ECOWAS gestellt hat, während sie sich, und vor allem auch Deutschland in Mali zunächst mit den Putschisten arrangiert hatten. Die deutsche Außenministerin hatte sich seinerzeit sogar an der Seite von General Assimi Goita, der bereits zum zweiten Mal geputscht hatte, ablichten lassen. Bemerkenswert ist auch, dass die Franzosen ihre Staatsbürger evakuieren, während das deutsche Außenministerium dafür offensichtlich (noch) keine Notwendigkeit sieht, sondern sich mit der „französischen Mitfluggenehmigung“ für deutsche Staatsbürger begnügt. Ganz besonders ist allerdings im Zusammenhang mit der Berichterstattung und den Stellungnahmen westlicher Politiker, dass der US-Stützpunkt „Base 201“ überhaupt keine Erwähnung findet, eine Installation, die vermutlich bislang nur ganz wenigen, falls überhaupt, bekannt war. Dabei könnte es doch durchaus sein, dass die Basis im Hinblick auf den Putsch eine wesentliche Rolle spielt. Akzeptieren die Putschisten, dass dieser Stützpunkt weiter betreiben wird oder werden sie vielleicht dagegen vorgehen? Könnte es sein, dass Teile der Bevölkerung, die ja bereits die französische Botschaft attackiert haben, auch diese US-Einrichtung angreifen? Wie könnte die amerikanische Reaktion aussehen, falls das geschieht?

Interessant wäre es auch zu erfahren, warum bislang keine Überlegungen bekannt wurden, „Base 201“ für die Rückführung der deutschen Soldaten und die Abwicklung der deutschen Militäreinrichtungen in Mali zu nutzen, falls das Drehkreuz in Niamey aufgegeben werden muss.

Die gleiche Frage stellt sich auch in Bezug auf den französischen Stützpunkt Dirkou in Niger.

Übrigens versorgt Frankreich seine Kernkraftwerke mit Uran aus der Mine bei Arlit in Niger. Sollte es nach dem Putsch dort zu einem Lieferstopp kommen, hätten nicht nur die Franzosen ein Problem, sondern auch Deutschland, das zwar seine Kernkraftwerke abgeschaltet hat, aber Atomstrom aus Frankreich importiert.

Last but not least stellt sich die Frage, wieso „der Westen“ bei einer so hohen Präsenz von deutschem, französischem und auch amerikanischem Militär von diesem Putsch überrascht werden konnte. Vielleicht ist die Erklärung ja die, dass die europäischen Politiker gar nicht genau wissen oder wissen wollen, wie die Lage in den afrikanischen Ländern insgesamt einzuschätzen ist, weil man hauptsächlich mit drei Themen beschäftigt ist:

  1. Wie kann der Flüchtlingsstrom aus der Sahel Zone nach Europa gestoppt werden?
  2. Wie kann man die Lieferung afrikanischer Rohstoffe für die heimische Industrie sicherstellen?
  3. Wie kann man verhindern, dass der Einfluss Chinas und vor allen Dingen auch Russlands in Afrika weiter zunimmt?

Welche Politik die USA in Afrika betreiben, scheint in den europäischen Hauptstädten von eher marginaler Bedeutung zu sein. Und welches Mandat Washington überhaupt hat, bewaffnete Drohnen gegen selbst definierte Terroristen einzusetzen, spielt offensichtlich auch keine Rolle.

Aus meiner Sicht wird immer klarer, dass Afrika seinen eigenen Weg gehen und seine Zukunft selbst in die Hand nehmen wird und muss. Und sollten sich die afrikanischen Länder dazu entscheiden, die bisherige dominante Rolle „des Westens“, gegen eine russische oder chinesische einzutauschen, dann ist das allein ihre Sache und vom „Westen“ auch nicht zu ändern.

Vielleicht ist der Partner- oder Lagerwechsel der afrikanischen Staaten ja nur ein Zwischenschritt auf dem Weg, sich jede Einmischung von außen zu verbieten und ihre Entwicklung selbst zu bestimmen.

Greven, 02. August 2023

Jürgen Hübschen

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Angriff der ukrainischen Luftwaffe auf eine russische Instandsetzungseinrichtung auf der Krim

Nach einer Meldung des US-Magazins „Forbes“ und anderer westlicher Medien sollen die ukrainischen Luftstreitkräfte am 25. Juli 2023 auf der Krim eine russische Militäreinrichtung zur Instandsetzung von im Krieg beschädigten Fahrzeugen in der Nähe des Ortes Nowostepowe angegriffen haben und dabei eine große Anzahl von ihnen zerstört haben.

Der Angriff soll durch „SU-24“ Kampflugzeuge erfolgt sein, die dafür von Großbritannien gelieferte Marschflugkörper vom Typ “Storm Shadow“ eingesetzt haben. Der Angriff wurde von ukrainischer Seite zwar grundsätzlich bestätigt, allerdings ohne Einzelheiten zu nennen, welche Waffen und welcher Träger dafür genutzt wurden.

Marschflugkörper „Storm Shadow“

Der „Storm Shadow“ ist ein von Großbritannien und Frankreich gemeinsam entwickelter Marschflugkörper, der in Frankreich unter der Bezeichnung „SCALP-EG“ geführt wird. Der Flugkörper hat eine Reichweite von bis zu 560 km und wird in verschiedenen Luftstreitkräften der NATO von Kampfflugzeugen der Typen „Eurofighter“, „Mirage 2000“, „Rafale“ und „Tornado“ eingesetzt. Von Kampfflugzeugen sowjetischer Bauart in der Originalversion kann der Flugkörper nicht abgeschossen werden, ist also nicht kompatibel. Deutschland verfügt über den FK „Storm Shadow“ nicht, sondern hat die eigene Luftwaffe mit dem Marschflugkörper „Taurus“ ausgerüstet. „Taurus“, als Luft-Luft-FK, wird ebenfalls von Kampfflugzeugen eingesetzt, ist aber wesentlich moderner als der „Storm Shadow“ und verfügt, je nach Modell, über eine erheblich größere Reichweite.

Lieferung von „Storm Shadow“ Marschflugkörpern an die Ukraine

Bereits im Oktober 2022 wurde bekannt, dass Großbritannien die Lieferung von „Storm Shadow“ FK an die Ukraine in Betracht zieht. Im Februar 2023 wurden die Aussagen konkreter, als der britische Premierminister Rishi Sunak die Lieferung von „Waffen mit größerer Reichweite“ an die Ukraine ankündigte. Am 11. Mai 2023 bestätigte schließlich der britische Verteidigungsminister Ben Wallace die erfolgte Lieferung dieser FK an die Ukraine. Kurz danach, am 16. Mai 2023, kündigte die französische Regierung die Lieferung eines neuen Waffenpakets an die Ukraine an. Dieses umfasste neben anderen Waffensystemen auch die Lieferung des Marschflugkörpers „SCALP-EG“. Konkret und bestätigt wurde diese Absicht durch eine entsprechende Aussage des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf dem NATO-Gipfel in Vilnius. Ob die FK schon in der Ukraine angekommen sind, kann man noch nicht sagen.

Die USA und Deutschland lehnen (bislang) die Lieferung von Marschflugkörpern, mit denen die Ukraine Ziele im russischen Kernland angreifen kann/könnte, ab.

Einsatz des Marschflugkörpers „Storm Shadow“ durch die ukrainischen Luftstreitkräfte

Die Lieferung des Flugkörpers ist bestätigt, aber es fehlen verbindliche Erkenntnisse, wie und ob die ukrainischen Luftstreitkräfte in der Lage sind, diese einzusetzen, weil sie ausschließlich über ehemals sowjetische Kampfflugzeuge verfügt, u.a. über die „SU-24“, NATO Codierung „Fencer“. Die „SU-24“ und auch andere ukrainische Kampfflugzeuge sind in ihrer ursprünglichen technischen Konfiguration nicht dazu geeignet, den Marschflugkörper „Storm Shadow“ einzusetzen. Dazu müsste der Waffenträger eines Kampfflugzeugs ebenso modifiziert werden wie die Avionik, und auch der Pilot müsste eine entsprechende Zusatzausbildung erfahren. Ob und wie das möglicherweise geschehen ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es gibt allerdings Hinweise, dass im Dezember 2022 in Polen an einem ukrainischen Kampfflugzeug des Typ „SU-24“ Tests durchgeführt wurden mit dem Ziel, den Einsatz des Marschflugkörpers „Storm Shadow2 durch die „SU-24“ zu ermöglichen. Ob diese Tests erfolgreich waren, kann man nicht mit Sicherheit sagen, und auch die Frage ist offen, wie denn eine ukrainische „Su-24“ zu diesem Zweck nach Polen geflogen werden konnte und ggf. wohin genau. Es steht jedenfalls fest, dass es sich wirklich um eine ukrainische „SU-24“ gehandelt haben muss, weil dieser Flugzeug Typ in den polnischen Luftstreitkräften nicht vorhanden ist, falls – wie gesagt- diese Tests wirklich stattgefunden haben.

Bleiben folgende Fragen:

  • Welche Fachleute haben die technischen Modifizierungen an den ukrainischen „SU-24“ und die Ausbildung der ukrainischen Piloten wo durchgeführt? Ukrainische Soldaten müssen dabei von westlichen Experten unterstützt worden sein. Das gilt ebenso für die ukrainischen Flugzeugführer.
  • Von welchem Militärflugplatz in der Ukraine konnten die „SU-24“ trotz der russischen Luftraumkontrolle zu ihrem Angriff auf die Krim starten und wohin sind sie nach der Operation zurückgekehrt?

Zusammenfassende Bewertung

Wie immer in diesem Krieg, weiß man auch in diesem Fall nicht, wie sich der Vorgang konkret abgespielt hat und ob der Angriff wirklich von ukrainischen „SU-24“ mit „Storm Shadows“ durchgeführt wurde. Sicher ist, wie bereits ausgeführt, lediglich der Angriff selbst. Theoretisch könnte es sogar sein, dass der Angriff überhaupt nicht von den ukrainischen Luftstreitkräften durchgeführt wurde, aber an derartigen Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen. 

Was ist Wahrheit oder Propaganda, was wishful thinking oder Fakt, was Interpretation oder Annahme?

Nur vier Dinge scheinen zweifelsfrei zu sein:

1. Es hat einen Luftangriff auf eine militärische Einrichtung Russlands auf der Krim gegeben, weil dieser von beiden Kriegsparteien bestätigt wird.

2. Die USA haben sich, wie bei den Panzerlieferungen erneut einen schlanken Fuß gemacht, indem sie die Marschflugkörper, die sie wegen der Reichweite und des damit verbundenen Eskalationspotenzials selbst nicht geliefert haben, durch Verbündete haben in die Ukraine liefern lassen. Dadurch haben sie eine formale und direkte Konfrontation mit Russland vermieden.

3. Deutschland hat sich hinter der Position der USA verschanzt, keine Flugkörper mit einer Reichweite zu liefern, die es der Ukraine ermöglicht, das russische Kernland zu treffen. „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, lautet offensichtlich einmal mehr Berlins Devise, wie bei der Lieferung von uranhaltiger Munition durch Großbritannien, die man ebenso kritisiert hat wie den Export der von Deutschland geächteten Streubomben durch die USA, hat aber daraus keinerlei Konsequenzen gegenüber den Verbündeten gezogen. Wie lange hält die deutsche Position, keine Marschflugkörper „Taurus“ an die Ukraine zu liefern, wenn doch Großbritannien und Frankreich ihre vergleichbare Zurückhaltung bereits aufgegeben haben?  

4.Durch den Einsatz von „Storm Shadow“ Marschflugkörpern ist die Lage im Ukraine-Krieg weiter eskaliert, wie die russischen Angriffe auch auf Ziele im Westen der Ukraine nachdrücklich unterstreichen.

Fazit: Die Lage im Ukrainekrieg wird insgesamt immer unübersichtlicher und dadurch auch zunehmend gefährlicher.

Ukrainische Angriffe auf das russische Kernland- und aus der Sicht Moskaus gehört die Krim dazu – werden zur Folge haben, dass Russland Ziele in der gesamten Ukraine angreifen wird.

Die russischen Angriffe gegen ukrainische Häfen an der Donau, die sich in unmittelbarer Nähe zur rumänischen Grenze befinden, haben einerseits deutlich gemacht, zu welch präzisen Luftschlägen Russland in der Lage ist, aber andererseits auch erkennen lassen, welche Risiken Moskau eingeht, dass auch ein NATO-Mitgliedsland in Mitleidenschaft gezogen wird, vielleicht im Rahmen eines nicht beabsichtigten Kollateralschadens. Dieser würde aber z.B. für Rumänien ausreichen, eine Beistandsverpflichtung aller NATO Mitgliedsstaaten im Rahmen des Artikel 5 zu fordern, als Basis für den Bündnisfall.

Wer noch immer nicht erkennt, dass die Gefahr einer Ausweitung dieses Krieges immer größer wird, verschließt die Augen vor der Realität.

Das Gebot der Stunde sind keine weiteren Waffenlieferungen, sondern Diplomatie und Verhandlungen.

Greven, 28. Juli 2023

Jürgen Hübschen

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As long as it takes and no matter the cost ( so lange wie nötig und egal was es kostet)

 “As long as it takes”

Das Prinzip “as long as it takes” ist die grundsätzliche Aussage der Politiker, wenn es um die Frage geht, wie lange man die Unterstützung der Ukraine aufrecht erhalten will. Was das konkret bedeutet hat bislang noch kein Politiker definiert, so dass man sich dadurch alle Möglichkeiten offenhält. Zwischen den Zeilen klingt in politischen Statements allerdings immer wieder durch, dass man die Ukraine offensichtlich so lange unterstützen will bis sie den Krieg gewonnen oder Russland ihn verloren hat oder sich Kiew durch die militärischen Erfolge eine akzeptable Ausgangsposition für Verhandlungen mit Moskau geschaffen hat.

Diese Vorstellungen haben in der Realität keine Basis und können nur als „wishful thinking“ bezeichnet werden. Die Ukraine ist militärisch nicht in der Lage, diesen Krieg für sich zu entscheiden, und daran werden auch weitere westliche Waffenlieferungen nichts ändern. Der Grund sind nicht nur die Vernichtung/der Verlust dieser Waffen auf dem Gefechtsfeld und die zunehmenden Schwierigkeiten „des Westens“, überhaupt weitere Waffen und vor allem auch die notwendige Munition zu liefern, sondern vor allem auch das Fehlen qualifizierter ukrainischer Soldaten, diese Waffen fachgerecht einzusetzen. Die Soldaten der ukrainischen Streitkräfte, die in den Herstellungsländern an westlichen Waffensystemen ausgebildet wurden, können diese zwar bedienen aber nicht qualifiziert einsetzen, vor allem nicht im Rahmen des Gefechts der verbundenen Waffen. Wer dieser Einschätzung widerspricht, muss eine überzeugende Erklärung dafür liefern, wie und ob die ukrainischen Soldaten, nach einer in der Regel um 50-80% verkürzten Ausbildung im Vergleich z.B. mit ihren deutschen Kameraden, über eine gleichwertige Qualifikation verfügen. Es ist nicht nur unfair, sondern geradezu verbrecherisch, junge ukrainische Soldaten mit unzureichender Befähigung und zusätzlich noch fehlender Erfahrung in einen Krieg zu schicken. Diesen Vorwurf muss sich nicht nur die ukrainische Führung gefallen lassen, sondern alle „westlichen“ Militärs und Politiker, die dieser Vorgehensweise zugestimmt haben. Und damit komme ich zum zweiten Teil meiner Ausführungen „no matter the cost“

„No matter the cost“

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu sehen, dass die Kosten oder der Preis, wie immer man will, offensichtlich weder auf dem militärischen Sektor noch im zivilen Bereich eine Rolle zu spielen scheinen.

Der militärische Bereich

Deutschland- natürlich auch „der Westen“- leistet militärische Unterstützung ohne politisches Konzept, ohne Strategie und ohne definierte Zielsetzung. Aber nicht nur das, sondern auch ohne sich in irgendeiner Weise über die Kosten Gedanken zu machen für die letztlich die Steuerzahler geradestehen müssen. Deshalb ist es aus meiner Sicht an der Zeit, sich z.B. die bislang erbrachten militärischen Unterstützungsleistungen einmal konkret und im Detail vor Augen zu führen und zwar an Hand einer offiziellen Aufstellung der Bundesregierung mit Stand vom 20. Juli 2023.

Diese Aufstellung vermittelt eine Übersicht der von der Bundesrepublik Deutschland erbrachten militärische Unterstützungsleistungen für die Ukraine. Sie umfasst Abgaben aus Beständen der Bundeswehr, solche der Industrie und Lieferungen gemeinsam mit Partnern, die unter anderem aus Mitteln der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung finanziert werden.

Die Mittel des Ertüchtigungstitels belaufen sich auf insgesamt rund 5,4 Milliarden Euro für das Jahr 2023 (nach 2 Milliarden Euro im Jahr 2022) zzgl. Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre in Höhe von rund 10,5 Milliarden Euro. Diese Mittel sollen vornehmlich für militärischen Unterstützung der Ukraine eingesetzt werden. Zugleich werden sie zur Finanzierung der Wiederbeschaffung von an die Ukraine aus Beständen der Bundeswehr abgegebenen militärischem Material für die Bundeswehr sowie der deutschen Beiträge an die Europäische Friedensfazilität (EPF) eingesetzt, aus der wiederum Kosten der EU-Mitgliedstaaten für Unterstützungsleistungen an die Ukraine erstattet werden können.

Ich habe diese, wie ich meine wirklich informative Liste als Anlage 1 beigefügt.

Wichtig ist, zur Kenntnis zu nehmen, dass – getreu dem Prinzip „as long as it takes“-  auch schon geplante weitere Unterstützungsleistungen in dieser Übersicht aufgeführt sind, ohne überhaupt zu wissen, ob zum Zeitpunkt der Lieferung dafür überhaupt noch eine Notwendigkeit vorhanden ist.

Sonstige, nicht materielle und nicht militärische Unterstützungsleistungen

Die im Rahmen der Ausbildung ukrainischer Soldaten erbrachten Leistungen sind in der Übersicht der militärischen Unterstützungsleistungen nicht erfasst.

Es fehlt auch eine genaue Übersicht der Kosten für das gelieferte militärische Material.

Neben den militärischen Unterstützungsleistungen gibt es umfangreiche finanzielle Leistungen und eine Vielzahl von zivilen Leistungen zur Unterstützung der Ukraine in allen Lebensbereichen. Eine vollständige und ausgesprochen informative Übersicht des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung – zu umfangreich für dieses Artikel – findet man im Internet unter dem Titel:

„Deutsche Bilaterale Unterstützungsleistungen der Bundesregierung für die Ukraine

und Menschen aus der Ukraine.“

Durch diese Zusammenstallung wird neben den einzelnen Unterstützungsmaßnahmen und –Leistungen auch deutlich, dass es offensichtlich dabei keinerlei Abstimmung zwischen den einzelnen Ressorts gibt, also auch hier überhaupt keine Strategie erkennbar ist. Es wird unterstützt und zwar auf allen Gebieten, koste es, was wolle. Klar wird dabei auch, dass die erbrachten Unterstützungsleistungen nicht selten aus Bereichen stammen, in denen in Deutschland Eigenbedarf vorhanden ist.

Die Folgen des „as long as it takes and „no matter the cost“

Die Folgen dieses politischen Handels ohne erkennbare Strategie und eine definierte Zielsetzung sind natürlich nicht nur finanzielle und materielle Belastungen, sondern gehen weit darüber hinaus

  • Tote und Verletzte in der ukrainischen Zivilbevölkerung und gefallene, körperlich verwundete, traumatisierte und vermisste ukrainische und auch russische Soldaten. Keine Kriegspartei gibt dazu genaue Zahlen bekannt, aber die liegen mittlerweile sicherlich im sechsstelligen Bereich. Durch die erfolglose Offensive steigen besonders die Opferzahlen bei den ukrainischen Streitkräften aktuell dramatisch an.
  • Der Krieg droht sich auszuweiten und immer brutaler zu werden. Nach der von Groß Britannien gelieferten uranhaltigen Panzermunition haben die USA international geächtete Streumunition an die Ukraine geliefert, die diese auch bereits einsetzt. Auf der Krim kommt es immer wieder zu Angriffen auf russische Einrichtungen, und der Ausstieg Russlands aus dem Getreideabkommen hat jetzt auch eine Intensivierung der russischen Angriffe auf Odessa und andere ukrainischen Hafenstädte am Schwarzen Meer zur Folge. Die Ukraine fordert immer dringender Raketen mit größerer Reichweite, um auch Ziele in den russisch besetzten Gebieten oder auch darüber hinaus bekämpfen zu können. Im “Westen“ wird die Bereitschaft immer deutlicher, auch „F-16“ Kampfflugzeuge an die Ukraine zu liefern, um die russische Luftherrschaft zu brechen. Dass ukrainische Piloten dieses Kampfflugzeug – falls überhaupt – frühestens in ca. 2 Jahren erfolgreich einsetzen könnten, spielt in der Diskussion überhaupt keine Rolle.
  •  Flüchtlinge innerhalb der Ukraine und außerhalb der Landesgrenzen. Auch hier gibt es keine belastbaren Zahlen im Detail, aber es steht fest, dass Millionen Ukrainer innerhalb des Landes ihre Wohnorte verlassen haben und viele weitere Millionen aus dem Land geflohen sind, vornehmlich Frauen und Kinder
  • Die zunehmende Zerstörung der zivilen Infrastruktur der Ukraine, angefangen von Wohngebäuden bis zu Transportwegen, Einrichtungen zur Strom- und Wasserversorgung etc.
  • Differenzen bis hin zum Hass zwischen den russischen und ukrainischen Bevölkerungsgruppen im Land.
  • Bruch zwischen der russischen und der ukrainischen orthodoxen Kirche im Land
  • Dämonisierung des Russischen im „Westen“ und zwar in allen Lebensbereichen inklusive der Kunst und Kultur
  •  Durch die massive militärische Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte wurde die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr weiter eingeschränkt. Man muss ja zur Kenntnis nehmen, dass die deutschen Streitkräfte bei Beginn der Unterstützung für die Ukraine keinerlei Überhänge in den Beständen von Ausrüstung, Versorgung und bei ihren Waffensystemen hatten. Alles, was aus dem Bestand der Streitkräfte abgezogen wurde, hatte und hat deshalb ein entsprechender Fehl zur Folge und damit eine Schwächung der eigenen Landesverteidigung. Das gilt übrigens in unterschiedlichem Umfang für alle NATO-Staaten, wenn sie Unterstützungsleistungen aus dem aktiven Bestand ihrer eigenen Streitkräfte geleistet haben.
  • Rückkehr zu den Paradigmen des Kalten Krieges und den entsprechenden Folgen für die Menschen und auch die Wirtschaft.
  • Hohe Energiekosten und massive Preissteigerungen in Europa mit Verlust an Lebensqualität für die Menschen und enormen Belastungen in Teilen der Wirtschaft
  • Politische und soziale Veränderungen bis hin zu Verwerfungen in den europäischen NATO Staaten und in der EU. In Italien ist mittlerweile eine rechte Regierung an der Macht und in Finnland offensichtlich eine rechtsradikale Finanzministerin im Amt. In Holland musste die Regierung zurücktreten und in Spanien wurden Neuwahlen anberaumt. In Deutschland sinken die Zustimmungswerte für die Regierungskoalition dramatisch. Die AFD ist mittlerweile mit 22% die zweitstärkste politische Kraft im Land.
  • Zunehmende Differenzen innerhalb der EU mit Blick auf die Ukrainepolitik. Auch die NATO befindet sich nicht mehr „Im Gleichschritt“, was die Ukrainepolitik angeht. Das wurde besonders deutlich auf dem aktuellen NATO-Gipfeltreffen in Vilnius. Es wird immer offensichtlicher, dass die östlichen NATO Staaten einen anderen Blick auf Russland haben als die westlichen Mitglieder der Allianz.
  • Verschiebung der globalen Machtverhältnisse zum Nachteil „des Westen“. Die Annäherung zwischen Russland und China, der Wechsel des Irans ins “östliche“ Lager, das zunehmende Erstarken der „BRICS-Staaten“ und die wachsende Attraktivität der „Shanghai Cooperation Organization “ (SCO) für afrikanische und arabische Staaten sind klare Anzeichen dafür, dass die bislang von den USA und vom „Westen“ dominierte Weltordnung einer multipolaren globalen Ordnung wird weichen müssen.

Zusammenfassung

Aus meiner Sicht machen vor allem die aufgezeigten Folgen dieses ziellosen Prinzips „As long as it takes- no matter the cost“, die keinerlei Anspruch auf Vollzähligkeit erheben, deutlich, dass dieser Krieg beendet werden muss und diplomatische Initiativen dringender als je zuvor sind, um eine Ausweitung der Katastrophe zu verhindern. 

Anlage 1:

Gelieferte militärische Unterstützungsleistungen:

(Änderungen im Vergleich zur Vorwoche in fett)

Gepanzerte Gefechtsfahrzeuge

  • 10 LEOPARD 1 A5
  • 138 MG3 für LEOPARD 2, MARDER und DACHS (zuvor: 118)
  • 8 Mehrzweckfahrzeuge mit Kette Bandvagn 206 (BV206)*
  • Munition für Kampfpanzer LEOPARD 1*
  • 18 Kampfpanzer LEOPARD 2 A6 mit Munition (deutscher Anteil am gemeinsamem Projekt mit weiteren LEOPARD 2 Nutzerstaaten)
  • 40 Schützenpanzer MARDER mit Munition (aus Bundeswehr- und Industriebeständen*)
  • 50 Allschutz-Transport-Fahrzeuge DINGO
  • 54 M113 gepanzerte Truppentransporter mit je 2 MG* (Systeme aus Dänemark, Umrüstung durch Deutschland finanziert)
  • Ersatzteile für LEOPARD 2 und MARDER

Luftverteidigung

  • 40 Flakpanzer GEPARD inklusive ca. 6.000 Schuss Flakpanzermunition*
  • 2 Luftraumüberwachungsradare TRML-4D*
  • 2 Luftverteidigungssysteme Iris-T SLM*
  • Flugkörper IRIS-T SLM*
  • 10 Feuerleitstände für IRIS-T SLM Luftverteidigungssysteme*  
  • Luftverteidigungssystem PATRIOT mit Flugkörpern
  • 55.000 Schuss Flakpanzermunition GEPARD
  • 4.000 Schuss Flakpanzerübungsmunition
  • 500 Fliegerabwehrraketen STINGER
  • 2.700 Fliegerfäuste STRELA 

Artillerie

  • 28.535 Schuss 155 mm Artilleriemunition (zuvor: 27.230)
  • 3.248 Schuss 155mm Nebelmunition (zuvor: 1.184)
  • 155mm Präzisionsmunition*
  • 5 Mehrfachraketenwerfer MARS II mit Munition (deutscher Anteil am gemeinsamem Projekt den USA und Großbritannien)
  • Munition für Mehrfachraketenwerfer MARS II
  • 14 Panzerhaubitzen 2000 (deutscher Anteil am gemeinsamen Projekt mit den Niederlanden)
  • 20 Raketenwerfer 70mm auf Pick-up trucks mit Raketen*
  • Artillerieortungsradar COBRA*
  • 10 Laserzielbeleuchter VULCANO Artilleriemunition*

Pionierfähigkeiten

  • 18 schwere und mittlere Brückensysteme und 12 Spezialanhänger (zuvor: 17/0)
  • 5 Brücken für Brückenlegepanzer BIBER
  • 10 Brückenlegepanzer BIBER*
  • 15 Bergepanzer 2*
  • 2 Bergepanzer 3
  • 5 Pionierpanzer DACHS*
  • 3 mobile, ferngesteuerte und geschützte Minenräumgeräte*
  • 6 Paletten Material für Kampfmittelbeseitigung
  • 12 mobile und geschützte Minenräumgeräte*  
  • 4 Minenräumpanzer WISENT 1*

Schutz- und Spezialausrüstung

  • 163 Grenzschutzfahrzeuge* (zuvor: 159)
  • 18 Bodenüberwachungsradare* (zuvor: 8)
  • 10 Störsender*
  • 57 Drohnenabwehrsensoren und -jammer*
  • 68 Aufklärungsdrohnen VECTOR*
  • 2 Ersatzteilpakete für VECTOR Drohnen
  • 93 Drohnensensoren*
  • 40 Bandbreitenerweiterungen für elektronische Drohnenabwehrgeräte*
  • 1 Frequenzscanner/Frequenzjammer*
  • 32 Aufklärungsdrohnen*
  • 42 mobile Antennenträgersysteme*
  • 40 Laserzielbeleuchter*
  • 10 Überwasserdrohnen*
  • 10 Antidrohnenkanonen* 
  • 28.000 Gefechtshelme
  • 125 Doppelfernrohre
  • 600 Schießbrillen
  • 1 Radiofrequenzsystem
  • 3.000 Feldfernsprecher mit 5.000 Rollen Feldkabel und Trageausstattung
  • 353 Nachtsichtbrillen* 
  • 12 elektronische Drohnenabwehrgeräte* 
  • 165 Ferngläser* 
  • 38 Laserentfernungsmesser* 
  • 6 Lkw Fahrzeugdekontaminationspunkt HEP 70 inklusive Material zur
  • Dekontaminierung 
  • 10 Fahrzeuge HMMWV (8x Bodenradarträger, 2x Jammer/Drohnenträger)*
  • 1 Hochfrequenzgerät inkl. Ausstattung*

Logistik

  • 140 LKW Zetros* (zuvor: 124)
  • 32 Schwerlastsattelzüge 8×8 HX81 und 27 Auflieger*
  • 14 ferngesteuerte Kettenfahrzeuge THeMIS*
  • 4 LKW 8×6 mit Wechselladesystem mit 20 Abrollplattformen*
  • 288 Kraftfahrzeuge (Lkw, Kleinbusse, Geländewagen)
  • 179 Pick-up*
  • 12 Schwerlastsattelzüge M1070 Oshkosh*
  • 26 Wechselladesysteme 15t*
  • 35 LKW 8×8 mit Wechselladesystem
  • 30 sondergeschützte Fahrzeuge*
  • 10 Abrollplattformen

Durchhaltefähigkeit

  • 260.000 Erste-Hilfe Kits* (zuvor: 160.000)
  • 107.712 Schuss Munition 40mm*
  • 11.000 Einheiten Gruppenverpflegung
  • 103.000 Tourniquet
  • 500 Pistolen SFP9*
  • 2 Hangar-Zelte*
  • 8 Gabelstapler*
  • 295 Stromerzeuger
  • 10 Wintertarnnetze
  • 168 Feldheizgeräte*
  • 36 Krankenkraftwagen*
  • 36.400 Wolldecken
  • 14.000 Schlafsäcke
  • Mi-24 Ersatzteile*
  • Ersatzteile schweres Maschinengewehr M2
  • 200 Zelte
  • 116.000 Kälteschutzjacken
  • 80.000 Kälteschutzhosen
  • 240.000 Wintermützen
  • 405.000 Rationen Einpersonenpackungen (EPa)
  • 67 Kühlschränke für Sanitätsmaterial*
  • 3.000 Patronen „Panzerfaust 3“ zuzüglich 900 Griffstücke
  • 14.900 Panzerabwehrminen (davon 9300* aus Ertüchtigungsinitiative)
  • 22 Millionen Schuss Handwaffenmunition
  • 50 Bunkerfäuste zuzüglich 15 Griffstücke
  • 100 Maschinengewehre MG3 mit 500 Ersatzrohren und Verschlüssen
  • 100.000 Handgranaten
  • 5.300 Sprengladungen
  • 100.000 Meter Sprengschnur und 100.000 Sprengkapseln   
  • 350.000 Zünder
  • 100 Auto-Injektoren
  • 15 Paletten Bekleidung
  • 1.200 Krankenhausbetten
  • 18 Paletten Sanitätsmaterial, 60 OP-Leuchten
  • Schutzbekleidung, OP-Masken
  • 1 Feldlazarett (Projekt gemeinsam finanziert mit Estland)*
  • Sanitätsmaterial (unter anderem Rucksäcke, Verbandspäckchen)
  • Kraftstoff Diesel und Benzin*
  • 10 Tonnen AdBlue*
  • 500 Stück Wundauflagen zur Blutstillung* 
  • MiG-29 Ersatzteile*
  • 7.944 Panzerabwehrhandwaffen RGW 90 Matador*

Militärische Unterstützungsleistungen in Vorbereitung/Durchführung:

(Aus Sicherheitserwägungen sieht die Bundesregierung bis zur erfolgten Übergabe von weiteren Details insbesondere zu Modalitäten und Zeitpunkten der Lieferungen ab.)

Gepanzerte Gefechtsfahrzeuge

  • 46 Mehrzweckfahrzeuge mit Kette Bandvagn 206 (BV206)*
  • 66 Armoured Personnel Carriers (APC)*
  • 100 Kampfpanzer LEOPARD 1 A5* (Projekt gemeinsam finanziert mit Dänemark)
  • 20 Schützenpanzer MARDER*
  • Munition für Kampfpanzer LEOPARD 1*
  • Munition für Schützenpanzer MARDER*

Luftverteidigung

  • Flugkörper PATRIOT
  • 6 Luftverteidigungssysteme IRIS-T SLM*
  • Flugkörper Iris-T SLM*
  • 12 Startgeräte Iris-T SLS*
  • Flugkörper Iris-T SLS (aus Bundeswehr- und Industriebeständen*)
  • 6 Luftraumüberwachungsradare TRML-4D*
  • 12 Flakpanzer GEPARD*
  • 300.000 Schuss Gepard Munition*

Artillerie

  • 26.174 Schuss Artilleriemunition 155 mm*
  • 3.836 Schuss Nebelmunition 155 mm
  • 18 Radhaubitzen RCH 155*
  • 16 Panzerhaubitzen Zuzana 2* (Projekt gemeinsam finanziert mit Dänemark und Norwegen)

Pionierfähigkeiten

  • 16 Brückenlegepanzer BIBER*
  • 2 mobile und geschützte Minenräumgeräte*
  • 38 Minenräumpanzer WISENT 1*
  • 2 schwere und mittlere Brückensysteme*

Schutz- und Spezialausrüstung

  • 80 Aufklärungsdrohnen RQ-35 HEIDRUN*
  • 357 Aufklärungsdrohnen VECTOR*
  • 121 Aufklärungsdrohnen*
  • 10 Überwasserdrohnen*
  • 30 Bodenüberwachungsradare*
  • 1 Satcom Überwachungssystem*
  • 2000 portable Lichtsysteme*
  • 8 mobile Antennenträgersysteme*
  • 5 mobile Aufklärungssysteme (auf Kfz)*
  • 337 Grenzschutzfahrzeuge*
  • Fahrzeugdekontaminationspunkt
  • 11 Frequenzscanner/Frequenzjammer*

Logistik

  • 12 Schwerlastsattelzüge M1070 Oshkosh*
  • 30 Tankfahrzeuge (Wasser/Kraftstoff)*
  • 3 LKW 8×6 mit Wechselladesystem mit 8 Abrollplattformen*
  • 58 Schwerlastsattelzüge 8×8 HX81 und 63 Auflieger*
  • 2 Zugmaschinen und 4 Auflieger* 
  • 10 geschützte Kfz*
  • 52 LKW Zetros*

Durchhaltefähigkeit

  • 108.288 Schuss Munition 40mm Granatwerfer*
  • kontinuierliche Lieferung von Sanitätsmaterial*
  • 100 Maschinengewehre MG5*
  • 100 Granatmaschinenwaffe MGW*
  • 200.000 Erste-Hilfe Kits*
  • 17 Feldheizgeräte*
  • Feldlazarett (Rolle 2)*

* Es handelt sich um eine aus Mitteln der Ertüchtigungsinitiative finanzierte Lieferungen der Industrie. Mit den Lieferungen sind teilweise Instandsetzungsmaßnahmen verbunden oder die Produktion dauert noch an; zudem erfolgen teilweise noch Ausbildungsleistungen.

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Der NATO Beitritt Schwedens- Sicherheitsplus für Stockholm oder Prestigegewinn für Washington?

Auf dem NATO Gipfeltreffen in Vilnius wurde der Weg für einen NATO Beitritt Schwedens freigemacht, nachdem die Türkei und Ungarn ihren Widerstand aufgegeben hatten. Damit wird die NATO, sobald die Formalien abgeschlossen sind ,32 Mitglieder haben, also exakt doppelt so viele wie zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Warschauer Paktes. Die NATO-Osterweiterung begann 1999 und umfasste bis 2023 ausschließlich ehemalige Mitgliedsstaaten oder Republiken der Sowjetunion und/oder des Warschauer Paktes oder des ehemaligen Jugoslawien. Durch den bereits vollzogenen Beitritt Finnlands und den beschlossenen Eintritt Schwedens erfährt das Bündnis jetzt auch einer Erweiterung in Richtung Norden. Nach Artikel 10 des NATO –Vertrages ist es grundsätzlich allen Ländern freigestellt, sich um einen Beitritt in das Bündnis zu bemühen. Ob die NATO diesem Antrag zustimmt ist allerdings die alleinige Entscheidung ihrer Mitgliedsländer, die einstimmig erfolgen muss. Die zweite Voraussetzung ist, dass jeder Kandidat durch seinen Beitritt einen Beitrag zur  Sicherheit des Bündnisses leistet.

Artikel 10 des NATO Vertrages

Wörtlich heißt es im Artikel 10: The Parties may, by unanimous agreement, invite any other European State in a position to further the principles of this Treaty and to contribute to the security of the North Atlantic area to accede to this Treaty. Any State so invited may become a Party to the Treaty by depositing its instrument of accession with the Government of the United States of America. The Government of the United States of America will inform each of the Parties of the deposit of each such instrument of accession.( (Die Mitgliedsstaaten dürfen einvernehmlich jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Prinzipien dieses Vertrages zu fördern und einen Beitrag zur Sicherheit des nordatlantisches Gebietes zu leisten, einladen, diesem Vertrag beizutreten. Jeder Staat der auf diese Weise eingeladen wurde, kann ein Mitglied dieses Vertrages werden, indem er sein Beitrittsdokument bei der Regierung der Vereinigten Staaten hinterlegt. Die Regierung der Vereinigten Staaten wird jedes Mitgliedsland über diese Hinterlegung der Beitrittserklärung informieren.)

Vor dem Hintergrund des Art.10 war bereits der Beitritt Finnlands zumindest diskussionswürdig, weil nicht zweifelsfrei feststeht, dass die Sicherheit der NATO dadurch verbessert wurde. Schließlich hat Finnland eine ca. 1.300 km lange Grenze zu Russland, die, falls erforderlich, im Rahmen der Beistandsklausel nach Artikel 5 des NATO Vertrages durch das Bündnis verteidigt werden müsste, weil Finnland dazu alleine überhaupt nicht in der Lage wäre.

Die Frage, ob die Ukraine durch ihren Beitritt einen Beitrag zur Sicherheit des Bündnisses geleistet hätte, ist dagegen eindeutig mit Nein zu beantworten. Obwohl auf dem Gipfel in Vilnius kein Politiker den Artikel 10 als Begründung für die Ablehnung einer aktuellen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine angeführt hat, ist dies das entscheidende Kriterium. Die Tatsache, dass Russland eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine kategorisch ablehnt, impliziert nicht nur keine Verbesserung der Sicherheit des Bündnisses, sondern im Gegenteil eine Verschlechterung wegen des Risikos einer permanenten Auseinandersetzung mit Russland.

Der NATO-Beitritt Schwedens

Im Falle Schwedens stellt sich die Lage anders dar.

Bedeutung für Schweden selbst

Schweden hat nach etwa 200 Jahren der bewaffneten Neutralität seine politische Grundhaltung verändert und sich entschlossen, der NATO beizutreten. Nach Allem, was man lesen und hören konnte, war der russische Angriff auf die Ukraine dafür der auslösende Faktor. Man hat den Eindruck, dass dabei eher emotionale Gründe eine Rolle spielten als harte Fakten, weil eine konkrete Bedrohung des Landes weder zu erkennen noch zu erwarten waren und sind. Dafür sprechen verschiedene Aspekte. Schweden war bislang zwar kein Mitglied der NATO, aber mit dieser durch gemeinsame Vereinbarungen und Operationen eng verbunden. Auch mit den USA gab es eine langjährige sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Hinzu kommt, dass die geographische Lage für Schweden eine natürliche Sicherheitsgarantie darstellt. Seit dem Eintritt Finnlands in das Bündnis, ist Schweden praktisch in das NATO-gebiet eingebettet, und auch die Ostsee ist ein vom Bündnis kontrolliertes Meer.

Für den Eintritt in die NATO hat Schweden der Türkei, die Stockholm de facto erpresst hat, einen nicht genau bekannten Preis gezahlt, der durchaus Auswirkungen auf die innere Stabilität des Landes haben könnte. Außerdem gibt Schweden natürlich Teile der Befehlsgewalt über die eigenen Streitkräfte auf, weil bestimmte Verbände einem NATO- Kommando unterstellt werden. Last but not least ist Schweden durch den Beitritt zur NATO natürlich auch verpflichtet, andere Mitgliedsstaaten nach Artikel 5 zu unterstützen, falls das erforderlich werden sollte.

Dass Schwedens Sicherheit durch einen NATO Beitritt erhöht wird, scheint eher ein Gefühl als ein Faktum zu sein, weil keine Art von Bedrohung, wie bereits erwähnt, auch nur in Ansätzen erkennbar ist.

Bedeutung für die Türkei

Neben dem bereits angesprochenen erfolgreichen Druck Ankaras auf Schweden, seine Kurdenpolitik zu verändern, dürfte die Türkei auch von den USA für ihre Zustimmung zu Schwedens NATO Beitritt belohnt worden sein. Es ist wahrscheinlich, dass die USA jetzt doch eine Zustimmung für die von der Türkei seit langem angestrebte Lieferung von F-16 Kampfflugzeugen geben werden oder bereits erteilt haben. Außerdem könnte es sein, dass auch die Zusammenarbeit beim Bau des amerikanischen Kampfflugzeug F-35 wiederaufgenommen wird. Die Türkei hatte Bauteile für die F-35 produziert, musste dies aber auf Weisung Washingtons einstellen, weil Ankara das russische Flugabwehrsystem „S-400“ beschafft hatte.  Wie in vielen anderen Fällen hat sich der türkische Präsident Erdogan das vom „Westen“ gewünschte Verhalten einmal mehr bezahlen lassen.

Bedeutung für die NATO

Die Sicherheit des Bündnisses wird durch den Beitritt Schwedens eher theoretisch verbessert, weil das „NATO-Meer“ Ostsee, das auch zuvor schon im Wesentlichen vom Bündnis kontrolliert wurde, jetzt fast vollständig von NATO Staaten umgeben ist. Lediglich ganz im Osten grenzt auch Russland, inklusive des Kaliningrader Oblast an die Ostsee und verfügt damit über einen eisfreien Hafen.

Auf Grund der bislang bereits engen Zusammenarbeit, ändert sich durch den Beitritt zum Bündnis eher die juristische als die militärische Lage. Schwedens Armee hat lediglich eine Stärke von 60.000 Soldaten, die allerdings durch die 2017 wieder eingeführte Wehrpflicht relativ schnell durch Reservisten erhöht werden kann. Die Ausrüstung der Armee ist modern und vor allem die Marine stellt für die NATO sicherlich eine Verstärkung dar. Allerdings sind nicht alle Waffensysteme mit den Streitkräften anderer NATO Staaten kompatibel. Das ist eine logistische Herausforderung und schließt z.B. bei den Kampfflugzeugen ein „Cross-Servicing“ aus, weil das schwedische Flugzeugmuster Saab JAS 39 „Gripen“ in keinem anderen NATO-Land im Einsatz ist.

Der Beitritt Schwedens hat aber noch einen anderen Aspekt und dieser betrifft die Belastung und das Engagement der anderen NATO-Staaten im Rahmen des gemeinsamen Auftrags, das s.g. „burden sharing“. Hier dürfte es zu einer spürbaren Entlastung im maritimen Bereich kommen, weil Schweden über moderne und umfangreiche Seestreitkräfte verfügt.

Einsatz der NATO Seestreitkräfte

Aktuell gibt es 3 besonders wichtige ständige Einsätze der NATO Seestreitkräfte, an denen sich Schweden nach dem Abschluss der Beitrittsformalitäten sicherlich beteiligen und damit andere Bündnisstaaten personell und materiell entlasten wird:

  • Standing NATO Maritime Group 1 ( SNMG 1)
    Früher: Standing Naval Force Atlantic

Der Ständige Marineverband SNMG 1 ist vor allem für Kontrolle und Schutz strategisch wichtiger Seewege im Nordatlantik, Nord- und Ostsee zuständig.

  • Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2 )

Früher: Naval On-Call Force for the Mediterranean, später: Standing NATO Response Force

Im Mittelmeer, gerade vor den Küsten der Krisengebiete in Nordafrika und Nahost, sorgt der Ständige Marineverband SNMG 2 für Sicherheit.

  • Operation Sea Guardian

Früher: „Active Endeavor“

„Sea Guardian“ ist eine maritime Sicherheitsoperation der NATO im Mittelmeer. Sie wurde von den Mitgliedsstaaten der NATO im Juli 2016 auf dem Gipfel in Warschau beschlossen.

Sie soll zur Sicherheit im Mittelmeer und zur Stärkung der Südflanke der Allianz beitragen. Gleichzeitig steht bei dieser Mission die frühzeitige Erkennung krisenhafter Entwicklungen im Mittelmeerraum und maritimer Terrorismus im Vordergrund.

Bedeutung für die USA

Der Beitritt Schwedens zur NATO ist für Washington ein weiterer erfolgreicher Schritt, das Bündnis zu seinem eigenen Machtinstrument auszubauen. Auch die Dokumente des schwedischen NATO-Beitritts werden vertragsgemäß nicht in Brüssel, sondern in Washington aufbewahrt werden. Der NATO Oberbefehlshaber Europa ist immer ein amerikanischer General, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Die Bündnispolitik wird weiterhin von den USA bestimmt, weil diese über die größten Streitkräfte und militärischen Fähigkeiten verfügen und den europäischen NATO-Staaten ihren nuklearen Schutzschirm bereitstellen. Im Fall der Ukraine hat Washington zwar von einem aktuellen NATO-Beitritt Abstand genommen, was aber nicht heißt, dass man das Vorhaben von der Agenda gestrichen hat. Für die USA ist die Erweiterung der NATO generell noch lange nicht abgeschlossen. Die Teilnahme Georgiens, Moldawiens und Bosnien-Herzegowinas am NATO Gipfel in Vilnius sind dafür deutliche Signale.

Mit dem Beitritt Schwedens ist das Bündnisgebiet noch kompakter geworden und zeigt der Welt und vor allem den globalen Konkurrenten China und Russland einmal mehr, über was für ein Machtinstrument die USA verfügen.

Bedeutung für Russland

Aus russischer Sicht ist der Block, dem sich Moskau gegenübersieht, in seiner Gesamtheit durch den Beitritt Schwedens noch bedrohlicher geworden; denn für Moskau ist die NATO kein Verteidigungsbündnis, sondern lediglich eine militärische Allianz, die notfalls auch ohne UN-Mandat agiert. Als Beweis dafür sieht man nicht nur den Kosovo Krieg, sondern vor allem auch die Kriege der USA außerhalb des Bündnisgebietes, an denen NATO Mitgliedsländer als Alliierte teilgenommen haben, nämlich in Afghanistan, im Irak, in Libyen und in Syrien.

In Bezug auf Schweden will man in Moskau vermutlich nicht wahrhaben, dass es einen NATO Beitritt dieses Landes und auch Finnlands wohl ohne den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine nicht gegeben hätte. Auch die von Russland – wie ich meine- immer zu Recht monierte Osterweiterung der NATO kann gegen den Beitritt Schwedens nicht angeführt werden, weil er nicht in diese Kategorie eingeordnet werden kann.

Zusammenfassende Bewertung

Für Schweden gewährt das Bündnis nach eigener Einschätzung ein Mehr an Sicherheit, obwohl man sich keiner konkreten Bedrohung ausgesetzt sieht. Die Sicherheit der NATO als Ganzes wird durch die Mitgliedschaft Schwedens nicht wesentlich verbessert, für das „Burden Sharing“ innerhalb der NATO ist Schweden im maritimen Sektor- wie aufgezeigt-   aber zweifelsfrei ein deutliches Plus.

Für die USA ist der Beitritt ein klarer Machtzuwachs und damit ein erneuter globaler Prestigegewinn, weil Washington im Bündnis das Sagen hat. Dabei erhöhen sich die Verpflichtungen Washingtons quasi gar nicht, weil man einerseits schon immer mit Schweden kooperiert hat und anderseits das Land von NATO-Mitgliedstaaten umgeben und keiner erkennbaren Bedrohung ausgesetzt ist.

Russland sieht sich in seiner Befürchtung bestätigt, von der NATO immer mehr aus der europäischen Staatengemeinschaft hinausgedrängt zu werden. Der Beitritt Schwedens und vor dem Hintergrund, dass man im Schlusskommuniqué des Gipfels von Vilnius noch einmal bestätigt hat, dass die Zukunft der Ukraine in der NATO liegt – wörtlich heißt es dazu im Kommuniqué: „Ukraine’s future is in NATO“- und damit eine mögliche NATO Mitgliedschaft der Ukraine noch immer nicht endgültig ausgeschlossen ist, sind dafür die Beweise aus Moskauer Sicht.

Fazit: Nach Finnland steht jetzt auch Schweden durch seinen NATO-Beitritt nicht mehr als neutraler Mediator für die Lösung internationaler Konflikte zur Verfügung. Das ist vor allem auch deshalb bedauerlich, weil die europäische Sicherheitsstruktur durch den Beitritt Schwedens nicht stabiler geworden ist; denn diese wird aus westlichere Sicht völlig anders bewertet als durch Russland, das bis zum Ural ein Teil Europas ist und auch nach dem Ukrainekrieg bleiben wird. Das muss man zur Kenntnis nehmen, unabhängig von der eigenen Beurteilung.

Greven, den 15. Juli 2023

Jürgen Hübschen

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Die Ukraine soll Mitglied der NATO werden, aber jetzt noch nicht

Wörtlich heißt es im Summit Communiqué von Vilnius ….”We reaffirm the commitment we made at the 2008 Summit in Bucharest that Ukraine will become a member of NATO… Ukraine has made substantial progress on its reform path. … The Alliance will support Ukraine in making these reforms on its path towards future membership.  We will be in a position to extend an invitation to Ukraine to join the Alliance when Allies agree and conditions are met.” (Wir bestätigen die Verpflichtung, die wir auf dem Gipfel von 2008 in Bukarest eingegangen sind, dass die Ukraine NATO Mitglied wird….Die Ukraine hat wesentliche Fortschritte bei ihren Reformen gemacht. Die Allianz wird die Ukraine bei ihren Reformen auf dem Weg zu einer zukünftigen Mitgliedschaft in der NATO unterstützen. Wir werden in der Lage sein, die Einladung der Ukraine, der NATO beizutreten zu verlängern, wenn die Mitglieder der NATO zustimmen und die Voraussetzungen für den Beitritt gegeben sind.)

Diese weichen und eher unverbindlichen Formulierungen kann man kurz und knapp in einem Satz zusammenfassen, nämlich: Die Ukraine soll Mitglied der NATO werden, aber jetzt noch nicht.

Das ist sicherlich für den ukrainischen Präsidenten nicht zufriedenstellend, aber wesentlich kritischer dürfte dieses Fazit in Moskau beurteilt werden.

Das Ergebnis aus ukrainischer Sicht

Die NATO hat sich erneut nicht zu einer klaren Position entschließen können. Der Hauptgrund dürfte der sein, dass es bei einem klaren Ja zum Beitritt der Ukraine in das Bündnis, verbunden mit einem engen Zeitplan, zu einer extrem brisanten Lage zwischen Russland und den USA gekommen wäre, die Präsident Biden auf jeden Fall vermeiden will. Es könnte durchaus sein, dass der US-Präsident bereits einen ganz anderen Plan verfolgt, nämlich für die Ukraine statt eines NATO- Beitritts eine vergleichbare Sicherheitsgarantie anzubieten, wie sie durch die USA seit vielen Jahrzehnten gegenüber Israel besteht. Um die Ukraine zwischenzeitlich quasi ruhig zu stellen, wurde ein NATO-Ukraine Rat installiert, eine umfangreiche Unterstützung der Ukraine durch die G 7 Staaten in Aussicht gestellt und der Ukraine seitens der NATO erneut versichert, sie in allen Belangen weiterhin zu unterstützen, „as long as it takes“. Die aktuellen amerikanischen und auch deutschen Pakete zur militärischen Unterstützung sollen dieses Statement, das bislang noch niemand definiert hat, unterstützen.

Das Ergebnis aus russischer Sicht

Dieses Ergebnis heißt nämlich nichts Anderes als dass der seit mindestens 2008 bestehende Konflikt ungelöst ist. Die Ukraine hat ihr Streben nach einer Mitgliedschaft nicht aufgegeben, und „der Westen“ hat seinen Plan, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, noch einmal bekräftigt. Präsident Putin wird diese Situation nicht akzeptieren und alles daransetzen, dass es nicht zu einer Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO kommen wird. In diesem Zusammenhang hat man in Moskau sicherlich auch registriert, dass neben dem ukrainischen Staatspräsidenten auch die Außenminister Georgiens und Moldawiens ebenso anwesend waren wie der stellvertretende Außenminister von Bosnien-Herzegowina, um – wie es im Kommuniqué heißt, „to consult closely on the implemenation of NATO´s tailored support measures.“

Das sind aus russischer Sicht klare Signale, dass auch für diese Länder eine Mitgliedschaft in der NATO und damit die NATO Osterweiterung weiterhin auf der Agenda „des Westens“ oder besser der USA steht, die konsequent daran arbeiten, die NATO in erster Linie zu einem Machtinstrument Washingtons zu machen. Für diese Überlegung spricht auch die Summit-Teilnahme der Staats/Regierungschefs Australiens, Japans, Neu Seelands und Südkoreas und des Präsidenten des Europarates und der Präsidentin der EU-Kommission.

Mit dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine hat Russland unmissverständlich klargemacht, dass man auch einen Bruch des Völkerrechts nicht scheut, um letztlich den Beitritt der Ukraine in die NATO zu verhindern. Vor diesem Hintergrund und in Kenntnis der Ergebnisse des NATO Gipfels von Vilnius ist davon auszugehen, dass Moskau jetzt auf eine Entscheidung dieses Krieges drängen wird. Ein „frozen conflict“ kommt für Russland nicht in Frage. Die ukrainische Offensive ist gescheitert, und daran wird auch die Lieferung von Streubomben nichts ändern, zumal „der Westen“ bei verschiedenen Gelegenheit das Fehl an „herkömmlicher“ Artilleriemunition als Begründung oder fast als Entschuldigung für die Lieferung dieser geächteten Munition ins Feld führt. Ich gehe davon aus, dass Russland, jetzt oder in nächster Zeit zur Gegenoffensive übergehen wird, um eine Entscheidung auf dem Gefechtsfeld herbeizuführen. Ziel wäre dabei möglicherweise weniger die Eroberung weiterer Gebiete als vielmehr den Druck auf „den Westen“ so zu erhöhen, dass dieser vorschlägt, sich am Verhandlungstisch um eine diplomatische Lösung zu bemühen. Hinweise, dass es aktuell bereits Gespräche zwischen den USA und Russland gegeben haben soll, unterstreichen aus meiner Sicht diese Entwicklung.

Fazit

Bei allen denkbaren Szenarien muss man immer im Auge behalten, dass für Washington die nationalen Interessen immer im Vordergrund stehen. Dazu gehört nicht zuletzt, dass es zwischen der Atommacht USA und der Nuklearmacht Russland nicht zu einer direkten Konfrontation kommt. Bei der Vermeidung eines solchen Risikos spielt Europa eine völlig untergeordnete Rolle und die Ukraine letztlich überhaupt keine.

Greven. Den 13. Juli 2023

Jürgen Hübschen

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Die Eskalationsschraube dreht sich weiter: USA planen Lieferung von Streumunition an die Ukraine

Schlagzeile in der SZ von Samstag/Sonntag 08./09. Juli 2023: „USA liefern Ukraine Streumunition- Die NATO-Partner zeigen Verständnis, obwohl sie selbst den Einsatz verboten haben.“ In den Westfälischen Nachrichten vom Samstag 08.Juli 2023 heißt es auf der Seite 2: „USA liefern Streumunition an dem Ukraine- Berlin signalisiert Verständnis.“ Regierungssprecher Steffen Hebestreit am 07. Juli 2023 wörtlich: „Wir sind uns sicher, dass sich unsere US-Freunde die Entscheidung über eine Lieferung entsprechender Munition nicht leichtgemacht haben.“ Die Streumuniton würde von der Ukraine in „einer besonderen Konstellation“ verwendet. „Die Ukraine setzt die Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung ein. …“

In der NEW York Times vom 07.Juli 2023 lautet die Schlagzeile: “Biden Defends ‘Difficult’ Decision to Send Cluster Munitions to Ukraine.-

With Ukraine burning through stockpiles of conventional artillery, President Biden concluded that he had little choice but to provide the weapons.”

Der Präsident wörtlich: “It was a difficult decision but the Ukrainians are running out of ammunition in the fight against Russian forces.”

Das Übereinkommen über Streumunition

Auf Wikipedia heißt es:

Das Übereinkommen über Streumunition, umgangssprachlich auch als Streubomben-Konvention bezeichnet, ist ein am 1. August 2010 in Kraft getretener völkerrechtlicher Vertrag über ein Verbot des Einsatzes, der Herstellung und der Weitergabe von bestimmten Typen von konventioneller Streumunition. Der Begriff Streu- oder Clustermunition bezeichnet Bomben, Granaten oder Gefechtsköpfe, die nicht als Ganzes explodieren, sondern eine Vielzahl an kleineren Sprengkörpern freisetzen. …..Neben den Verbotsbestimmungen enthält das Abkommen, das Teil des humanitären Völkerrechts und des internationalen Rüstungskontrollrechts ist, das Gebot zur Zerstörung von vorhandenen Beständen, zur Beseitigung von Rückständen aus eingesetzter Clustermunition sowie zur Unterstützung der Opfer von Streubomben. Die Konvention, die im Mai 2008 während einer diplomatischen Konferenz in Dublin ausgehandelt wurde, kann seit Dezember 2008 unterzeichnet werden. Am 28. Februar 2023 hat Nigeria als 111. Staat das Abkommen ratifiziert.[1]

Deutschland hatte das Ratifizierungsverfahren als elftes Land vollständig abgeschlossen und am 8. Juli 2009 seine Ratifikationsurkunde hinterlegt. Bei Unterzeichnung des Übereinkommens war Deutschland eines derjenigen Länder mit den größten Lagerbeständen an Streumunition, obwohl die Bundeswehr diese nie eingesetzt hatte. Bereits 2001 hatte Deutschland begonnen, die erheblichen Streumunitionsbestände der Bundeswehr zu vernichten. Die Vernichtung der deutschen Lagerbestände wurde am 25.11.2015, und somit zweieinhalb Jahre vor Ablauf der im Übereinkommen festgelegten Frist, abgeschlossen.

Die USA haben das Abkommen, ebenso wenig unterzeichnet, wie die Vereinbarung über die Ächtung von chemischen Waffen und das Verbot von Anti-Personen Minen. Auch der Atomwaffensperrvertrag wird von den USA nicht eingehalten. Die russische Position zu den genannten Abkommen ist identisch.

Streumunition (Englische Bezeichnung: Cluster Bombs)

Bei Streumunition handelt es sich um kleine Sprengkörper unterschiedlicher Art und Anzahl in Granaten oder Bomben, die entweder mit der Artillerie verschossen oder von Kampfflugzeugen abgeworfen werden. Bei den Artilleriegranaten handelt es sich in der Regel um das Kaliber 155mm, das in allen NATO Staaten hauptsächlich verwendet wird. Auch die von Deutschland an die Ukraine gelieferte „Panzerhaubitze 2.000“ hat das Kaliber 155mm. Bei der Streumunition handelt es sich entweder um Sprengkörper, die nach ihrem Aufschlag am Boden oder aber auch schon in einer bestimmten Lufthöhe explodieren. Eine besondere Art ist die in Cluster Bombs verwandte s.g. Lauermunition Dabei handelt es sich um Sprengkörper mit einem Verzögerungszünder. Sie explodieren entweder erst, wenn Menschen – nicht nur Soldaten! – drauftreten oder Fahrzeuge drauffahren oder aber erst zu einem späteren Zeitpunkt, je nachdem wie der Zünder eingestellt ist.

Streumunition wird schwerpunktmäßig gegen s.g. Flächenziele eingesetzt, also vor allem gegen Truppenansammlungen, die sarkastisch auch als „Weichziele“ bezeichnet werden. Mit Streumunition können Flächen in der Größe von mehreren Fußballfeldern gleichzeitig bekämpft werden.

Die USA haben diese Art von Waffen in allen Kriegen der letzten Jahrzehnte eingesetzt und damit in den betreffenden Ländern ganze Regionen für die Zivilbevölkerung unbrauchbar gemacht. Für die Menschen in diesen Ländern stellen vor allem die zahlreichen Blindgänger und die beschriebene Lauermunition eine besondere Gefährdung dar.

Der Einsatz von Streumunition in der Ukraine

Es ist davon auszugehen, dass die ukrainischen Streitkräfte die amerikanischen Cluster Bombs vor allem gegen die russischen Verteidigungsstellungen einsetzen werden. Dazu wird vornehmlich die Artillerie mit Kaliber 155mm zum Einsatz kommen, weil die USA wohl keine entsprechenden Bomben liefern werden, zumal die ukrainische Luftwaffe in und ans ihren Kampfflugzeugen auch keine Trägervorrichtungen hat, um diese abzuwerfen.

Wie das mit Hilfe dieser Waffen zurückeroberte Gelände im Anschluss an den Beschuss wieder genutzt werden könnte, bleibt unklar.

Zusammenfassende Bewertung

Die Begründung der USA für die Lieferung dieser Waffen kann nur als zynisch bezeichnet werden. Weil man der Ukraine nicht genügend „herkömmliche“ Artilleriegranaten zur Verfügung stellen kann, greift man auf eine Form der Munition zurück, die völkerrechtlich geächtet ist und für die Zivilbevölkerung unabsehbare Folgen hat. Die ukrainische Offensive muss endlich funktionieren, und deswegen spielt das Völkerrecht keine Rolle!

Die Inkonsequenz in der Reaktion der NATO Verbündeten zu dieser Vorgehensweise bis hin zur Scheinheiligkeit ist geradezu unerträglich. Deutschland ist in puncto Doppelmoral einmal mehr der Spitzenreiter, auch, weil man noch nicht einmal darauf hingewiesen hat, dass die Bundesregierung nicht damit einverstanden ist, sollte die Ukraine diese Munition auch mit deutschen Waffensystemen einsetzen- unabhängig davon, dass es ja niemand kontrollieren könnte. . „Die Ukraine setzt die Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung ein. …“ sagte der Regierungssprecher. Das Gegenteil wird der Fall sein!

Mit der Lieferung von Uran haltigen Granaten vom Kaliber 120mm durch Großbritannien, Granaten, die nicht nur vom britischen Kampfpanzer „Challenger“, sondern auch vom Kampfpanzer „Leopard“ verschossen werden können, hatte der Krieg bereits eine weitere Eskalation erfahren, die durch die Streumunition jetzt noch einmal deutlich verschärft wird.  Russland wird dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass Moskau bei einem Einsatz von Streumunition gegen die russischen Verteidigungsstellungen mit einem massiven Beschuss einer ukrainischen Großstadt – das muss nicht das durch eine Raketenabwehr teilweise geschützte Kiew sein –  vielleicht sogar durch Mittelstreckenraketen reagiert.

Nach dem Ausbringen von Streumunition kann auch der Einsatz von chemischen Granaten nicht mehr ausgeschlossen werden. Wie hoch die Schwelle zum Einsatz von A-Waffen noch ist, sei dahingestellt.

In diesem Krieg geht es schon lange nicht mehr um die Ukraine und vor allem nicht um die dort lebenden Menschen, sondern darum, dass die USA diese Auseinandersetzung nicht verlieren dürfen, also um knallharte nationale Interessen Washingtons. Wann endlich begreifen das die Regierungen der westlichen Verbündeten und haben den Mut, Washington zu signalisieren, dass man die amerikanische Politik nicht mehr unterstützt und den eigenen Wählern einzugestehen, dass man sich in der Positionierung zum Ukrainekrieg fundamental geirrt hat.

Russland wird seine Truppen aus der Ukraine nicht abziehen, und die Ukraine wird diesen Krieg militärisch nicht gewinnen. Hier geht es nicht um Moral, sondern um Fakten, und deshalb muss verhandelt werden und zwar sofort!

Greven, 08. Juli 2023

Jürgen Hübschen

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Der Ukrainekrieg und das Problem mit der Wahrheit

In allen Medien wird ständig über den Krieg in der Ukraine berichtet. Neben geschriebenen Abhandlungen gibt es eine Fülle von Bildern und Videos. Neben den Problemen der nicht definierten Aktualität der Beiträge, der räumlichen Zuordnung und technischen Qualität von Fotos und/oder Videos, der nicht einzuordnenden Kompetenz der Berichterstatter und dem fehlenden sicherheitspolitischen Know-How vieler Politiker, ist das Hauptproblem der Wahrheitsgehalt aller Meldungen. Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit den Hauptursachen dieses Dilemmas:

Wahrheit und Propaganda

Es heißt nicht umsonst, dass die Wahrheit in jedem Krieg zuerst stirbt und durch Propaganda ersetzt wird. Diese Aussage trifft auch im Ukrainekrieg uneingeschränkt zu und zwar für alle Kriegsparteien und teilweise sicherlich auch für die sie unterstützenden Staaten. In Russland und auch in der Ukraine bestimmt letztlich der Präsident, was in diesem Krieg gemeldet wird und was eben nicht. Der ukrainische Präsident Selensky wird dabei von einer Vielzahl internationaler PR-Agenturen beraten und unterstützt. Das erklärt nicht nur die Inhalte seiner täglichen Video Botschaften und seine medienwirksamen Frontbesuche, von denen niemand genau weiß, wo und wann diese stattgefunden haben, sondern vor allem auch seine professionellen Auftritte in anderen Ländern und bei internationalen Meetings und Organisationen, durch persönliche Präsens oder per Videoschaltung.  Dabei ist es ihm nicht selten gelungen, sich selbst zu verschiedenen Events einzuladen und die Sympathien der Veranstalter und Teilnehmer für sich zu gewinnen. Für den russischen Präsidenten gab und gibt es vergleichbare Möglichkeiten nicht. Bis auf wenige Ausnahmen, an denen er selbst in den Medien präsent war, begnügte Präsident Putin sich mit Aussagen von Außenministers Lawrow und/oder Pressesprecher Peskow.

Der Wahrheitsfindung dienten weder die Verlautbarungen des Kremls noch der ukrainischen Regierung, weil die dafür erforderlichen Fakten Außenstehenden nicht bekannt waren und sind. 

Informationen, Annahmen, Behauptungen, wishful thinking und Fakten

Dieses grundsätzliche Problem wird noch dadurch erheblich verstärkt, dass Journalisten, Politiker und vor allem viele der s.g. Experten in ihren Aussagen und Feststellungen in Printmedien und vor allem politischen Talkshows nicht unterscheiden zwischen Informationen, Annahmen, Behauptungen, wishful thinking und Fakten. Vielfach sind nicht einmal die Unterschiede bekannt oder sie werden bewusst ignoriert. Informationen können stimmen, müssen es aber nicht. Annahmen sind ganz persönliche Einschätzungen, die seriöser Weise als solche gekennzeichnet werden sollten. Behauptungen werden häufig nach dem Motto formuliert: „Fest behauptet ist halb bewiesen“. Mit der Wahrheit haben sie in der Regel nichts zu tun, sondern basieren häufig auf einem „wishful thinking“.  Das heißt, dass Situationen und Entwicklungen mit der Realität wenig bis gar nichts zu tun haben, sondern lediglich darstellen, wie man eine bestimmte Lage gern hätte. Häufig dienen solche Aussagen lediglich dazu, das eigene Handeln zu rechtfertigen, vor allem dann, wenn es um die Begründung von finanziellen Leistungen oder Waffenlieferungen geht. Dann wird z.B. eine Offensive herbeigeredet und auch dann noch als erfolgreich dargestellt, obwohl sie nachweislich von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Ganz anders verhält es sich mit Fakten, von denen allerdings kaum welche verfügbar sind, weil sie entweder der Geheimhaltung unterliegen oder wegen ihres nachteiligen Inhalts nicht veröffentlicht werden. Selbst bei der Berichterstattung von Fakten bedarf es vorher einer seriösen Prüfung. Erst eine vertrauenswürdige Bestätigung macht sie belastbar und dadurch letztlich zu einer gesicherten Erkenntnis. Dann erst wird eine Tatsache zu einer Wahrheit.

Das „Nachrichtenkarussell“

Im Zusammenhang mit der Einstufung von Fakten als gesicherte Erkenntnisse muss man sich über die Problematik des „Nachrichtenkarussells“ im Klaren sein. Darunter versteht man die scheinbare Bestätigung eines Sachverhalts, die aber letztlich auf dieselbe Quelle zurückgeht. Dafür ein Beispiel: Ein Journalist, Politiker oder Diplomat „A“ erfährt in einem Gespräch mit einer Person „B“ von einem bestimmten Sachverhalt, der durchaus möglich und zutreffend erscheint. Eine Person „C“ spricht separat ebenfalls mit der Person „B“ über dasselbe Thema.

 Später trifft „A“ auf derselben Veranstaltung oder auch bei einer anderen Gelegenheit auch die Person „C“, unterhält sich mit ihr über denselben Sachverhalt und findet die Aussage, die  „B“ zuvor auch ihm gegenüber gemacht hat, bestätigt. Da „A“ nicht weiß, dass die Person „C“ vorher dieselbe Information von „B“ erhalten hat, hält er diese für bestätigt und bewertet sie als Fakt. Dieses „Nachrichtenkarussell“ habe ich während des Irak-Iran-Krieges in meiner Tätigkeit als Militärattaché bei der Deutschen Botschaft in Bagdad immer wieder erlebt. Dieses „Karussell“ dreht sich besonders oft und auch schnell, wenn es in einem Krieg an offiziellen und nachprüfbaren Verlautbarungen der beteiligten Parteien mangelt.    

Die Qualität der genutzten Quellen

Ein weiteres Problem, eine belastbare Lagebeurteilung erstellen zu können, liegt in der Qualität der genutzten Quellen. Um diese beurteilen zu können, bedarf es neben eigenen Erfahrungen eines soliden und erprobten Netzwerks, das man sich in der Regel mühsam selbst aufbauen muss. Erst nach geraumer Zeit vor Ort ist man in der Lage, eine genutzte Quelle hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit einigermaßen zuverlässig einzuordnen. Das gilt natürlich besonders für persönliche Gesprächspartner. Diese sind, wie alle Menschen, sehr unterschiedliche Charaktere. Im Krieg ist es besonders wichtig zu wissen, ob der jeweilige Gesprächspartner eher ängstlich ist und deshalb vielleicht dazu neigt, Sachverhalte zu dramatisieren oder es sich um einen Draufgänger handelt, der Entwicklungen eher verharmlost oder ob es sich vielleicht um einen Aufschneider handelt, der sich lediglich wichtigmachen will. Die Auswahl der Quellen bedarf einer besonderen Sorgfalt und erfordert eine Menge Zeit.

Fake-News

Bei allen genutzten Quellen kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei scheinbar glaubwürdigen Informationen um Fake News handelt. Das herauszufinden ist in Zeiten massiver Propaganda besonders schwierig und wird noch dadurch erschwert, wenn derartige Informationen von Quellen verfügbar gemacht werden, die man bislang für vertrauenswürdig gehalten hat. Agenten sind auf diesem Feld natürlich besonders erfinderisch und professionell. Doch auch staatliche Institutionen bedienen sich dieser Methode, um ihr aktuelles Handeln oder aber auch zukünftige Planungen und Entscheidungen zu rechtfertigen.

Die Anonymität in den s.g. social medias 

In den social medias kann jeder ohne Namensnennung Dinge berichten oder auch Behauptungen aufstellen, die keine solide Grundlage haben oder aber auch schlicht und einfach gelogen sind. Dies führt bei allen, die diese Medien nutzen, häufig nicht nur zu großer Verunsicherung[H1] [H2] , sondern nicht selten auch zu einer völlig falschen Lagebeurteilung und vielfach auch zu einer letztlich manipulierten eigenen Meinung.

Außerdem kann mit Hilfe dieser Medien erheblicher Druck auf die politischen Entscheidungsträger aufgebaut werden und diese sogar zu wenig sinnvollen Maßnahmen veranlassen.

Der Wettstreit zwischen den direkten und den traditionellen Medien

Ich möchte für die Bezeichnung von Twitter, Face Book etc. den Begriff“ Direkt-Medien“ verwenden, im Gegensatz zu den Print-Medien und dem Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen.

Das Problem, das sich in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Berichterstattung entwickelt hat, liegt in der „Konkurrenz der Systeme“, was ihre Aktualität angeht. Die Direkt-Medien können- falls sie Lust dazu haben- auf jede Entwicklung, jeden Sachverhalt unverzüglich reagieren, völlig losgelöst vom Wahrheitsgehalt der jeweiligen Meldung.

Da es bei den Print-Medien, auch bei den überregionalen, wie z.B. „Welt“, „FAZ“, „SZ“ und „Zeit“, letztlich auch um die Auflagenhöhe und bei den Öffentlich-Rechtlichen auch um Quoten geht, versuchen diese hinsichtlich der Aktualität mit den Direkt-Medien zu konkurrieren, was aber nur zu Lasten einer seriösen Recherche möglich ist. Der Wahrheitsfindung und einer differenzierten Berichterstattung dient dieser „Wettbewerb“ sicherlich nicht

Zusammenfassung

Kein Außenstehender weiß wirklich, was sich aktuell in der Ukraine abspielt. Einige Gründe für dieses Dilemma habe ich aufgezeigt. Sie erheben allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Dieser Beitrag soll in der Hauptsache dazu dienen, bei der eigenen Meinungsbildung zurückhaltend zu sein. Aktuell hat sich bezüglich des Ukrainekrieges in unseren Medien eine „Schwarz-Weiß-Darstellung“ entwickelt, die auf der ukrainischen Seite alle Ereignisse und Entwicklungen eher positiv und auf der russischen völlig negativ bewertet. Die mittlerweile üblichen Gäste in den politischen Talkshows unterstreichen diesen Sachverhalt mit ihren Aussagen besonders nachdrücklich

Eine derartig einseitige Darstellung entspricht nicht der Realität, führt bei Lesern und Zuschauern zu einem verzerrten Blickwinkel und letztlich zu einer falschen Lagebeurteilung der aktuellen Situation.

Wegen der wenig differenzierten Berichterstattung über den Krieg und den aufgezeigten Problemen, die Wahrheit herauszufinden, besteht für die Bevölkerung die Gefahr, sich eine eher einseitig geprägte eigene Meinung zu bilden. Davor möchte ich warnen und zwar in der Gewissheit, dass die Ukraine diesen Krieg militärisch nicht gewinnen kann und eine politische Lösung immer dringender wird.  

Greven, 05. Juli 2023

Jürgen Hübschen


 [H1]

 [H2]

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Die zwei entscheidenden Irrtümer im Ukraine Krieg und ihre Folgen

Russland hatte anfangs geglaubt, ein Krieg gegen die Ukraine wäre ein Spaziergang und seine Truppen wären im Nachbarland willkommen, Die USA sind davon ausgegangen, dass die ukrainische Armee den russischen Streitkräften mit westlicher Unterstützung eine Niederlage bereiten und Russland dadurch als globalen Konkurrenten zumindest schwächen würde. Während Russland seine anfängliche Fehleinschätzung teuer bezahlt und daraufhin seine Taktik vollständig geändert hat, halten die USA an der Illusion fest, die Ukraine könne den Krieg militärisch gewinnen und verschließen die Augen vor der Realität.

Diese beiden grundsätzlichen Fehleinschätzungen Moskaus und Washingtons bezüglich der militärischen und politischen Lage sind die wesentlichen Ursachen dafür, dass dieser Krieg noch andauert und keine Verhandlungsinitiativen erkennbar sind.

Die falsche Lagebeurteilung auf russischer Seite

Auf der russischen Seite beruhte die anfängliche Lagebeurteilung im Wesentlichen auf folgenden Annahmen:

  • Die Ukraine und der sie unterstützende „Westen“ werden sich von dem massiven russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze beeindrucken lassen und sich den Plänen Moskaus letztlich nicht entgegenstellen.
  • Bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine wird die NATO, wie sie selbst erklärt hat, nicht eingreifen.
  • Ein Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine wird, vor allem vom russischen Bevölkerungsanteil, begrüßt werden.
  • Eine wirklich ernst zu nehmende Gegenwehr der ukrainischen Streitkräfte ist nicht zu erwarten und falls doch wird ein solcher Widerstand schnell gebrochen werden.
  • Die russischen Truppen werden bis Kiew durchmarschieren und eine neue Russland freundliche Regierung installieren. Damit werden sich aller Überlegungen eines möglichen NATO Beitritts der Ukraine erledigt haben.

Umsetzung dieser Fehleinschätzung

Diese falschen Annahmen wurden wie folgt umgesetzt:

  • Die russischen Truppen marschierten in die Ukraine ein wie in ein Manöver. Fahrzeugkolonnen bewegten sich ungeschützt auf Landstraßen, und man hielt es nicht einmal für nötig, Dörfer zu umfahren.
  • Auf eine Unterstützung durch eigene Luftstreitkräfte wurde verzichtet.
  • Ein Kräfteansatz von mindestens 3:1, wie bei einer Offensive unbedingt erforderlich, war nicht gegeben.

Ergebnis der falschen Lagebeurteilung

Das Ergebnis der falschen Lagebeurteilung und der darauf basierenden Entscheidungen stellt sich wie folgt dar:

  • Da die ukrainischen Truppen, beginnend 2008, aber intensiv und strukturiert seit 2014 von den USA und anderen westlichen Staaten ausgebildet und beraten wurden, waren Widerstand und vor allem auch Kampfkraft deutlich stärker als von Russland angenommen.
  • Die Aussage der NATO, nicht einzugreifen, wurde in Moskau falsch interpretiert. In Brüssel hat man nämlich damit nur den Einsatz eigener Truppen gemeint, nicht aber eine intensive militärische und auch finanzielle Unterstützung der Ukraine.
  • Deshalb mussten auf russischer Seite schwere eigene Verluste an Soldaten und auch Material hingenommen werden.
  • Das strategische Ziel, einer Einnahme Kiews und das Einsetzen einer Moskau genehmen politischen Führung mussten aufgegeben werden.
  • Die angestrebte „Frontal-Lösung“ wurde hinfällig.
  • Der Zeitfaktor bedurfte einer neuen Justierung.

Strategische und taktische Konsequenzen einer neuen Lagebeurteilung

Moskau hat- auch nach eigener Aussage- die anfängliche Fehleinschätzung erkannt und die erforderlichen Konsequenzen gezogen, was nicht mit einem Aufgeben der politischen Ziele verwechselt werden sollte.

  • Die Taktik wurde auf Anraten der militärischen Führung von Offensive auf Defensive grundlegend geändert.
  • Die eigenen Verteidigungsstellungen in den eroberten Gebieten wurden ausgebaut und das Gelände massiv verstärkt, vor allem durch Panzersperren und Minenfelder. Die Front wurde zum eigenem Vorteil, z.B. durch den Rückzug aus Chersson, begradigt.
  • Die „Wagner-Miliz“ kam verstärkt zum Einsatz, um reguläre Truppen zu schonen.
  • In Russland wurden zusätzliche Soldaten rekrutiert und ausgebildet.
  • Mit Raketen und Drohnen wurde und wird die zivile Infrastruktur angegriffen. Mit Schwerpunkt wurden Einrichtungen zur Strom- und Wasserversorgung, aber auch Treibstofflager zerstört.
  • Zusätzlich zu Drohnen und Raketenangriffen kam und kommt die schwere Artillerie zum Einsatz, um den Gegner zur zermürben und vor allem auch personell zu schwächen, weil gerade in diesem Bereich die ukrainischen Ressourcen beschränkt sind.
  • Bei den Angriffen auf die ukrainische Luftverteidigung setzt Moskau zunehmend auf Abnutzung, weil „der Westen“ unübersehbare Schwierigkeiten hat, neue Raketen für die an die Ukraine exportierten Waffensysteme zu liefern. Wenn z.B. zur Abwehr einer vom Iran an Russland gelieferte Drohne zum Preis von ca. 20.000 $ eine westliche Flugabwehrrakete zum Preis von 100.000 $ und deutlich mehr eingesetzt werden muss, ist das Ergebnis absehbar.
  • Da Präsident Selensky immer wieder betont, die Ukraine werde so lange kämpfen bis alle besetzten Gebiete, einschließlich der Krim, befreit sind, setzt die russische Seite „auf Abwarten“ und auf ein Ausbluten der Ukraine in Bezug auf ausgebildete und kriegserfahrene Soldaten.
  • Der Faktor Zeit, eine Abnutzungsstrategie und ein langer Atem sind wesentliche Aspekte der aktuellen russischen Kriegsführung

Die falsche Lageeinschätzung auf amerikanischer Seite

Auf der amerikanischen Seite beruhte die Lagebeurteilung im Wesentlichen auf folgenden Annahmen:

  • Die russischen Truppenansammlungen an der ukrainischen Grenze wurden lange beobachtet, ohne einschätzen zu können, ob sie die russisch-ukrainische Grenze überschreiten würden.
  • Es gab aus amerikanischer Sicht keine Zweifel, dass Moskau die Aktivitäten von NATO-Militärs, besonders von US Soldaten in der Ukraine bekannt waren. Doch es fehlte das entscheidende Signal, um einen russischen Einmarsch zu provozieren.
  • Der mögliche Ausschlag für den russischen Angriff war das Statement der NATO, in einem solchen Fall nicht einzugreifen.
  • Man ging davon aus, dass Moskau in diese Falle tappen würde und die von den USA ausgebildeten ukrainischen Streitkräfte der russischen Armee eine vernichtende Niederlage zufügen würden.

Umsetzung der Fehlentscheidung

Diese falschen Annahmen wurden wie folgt bestätigt und umgesetzt:

  • Für diese Einschätzung sprachen auch die amerikanischen Aufklärungsergebnisse, die der Ukraine regelmäßig in Echtzeit zur Verfügung stellten und auch weiterhin stellen.
  • Die ersten Kampfhandlungen mit den schweren russischen Verlusten und dem Abbruch der Eroberung von Kiew schienen diese Lagebeurteilung zu bestätigen.
  • In Washington rechnete man damit, dass die russischen Streitkräfte wegen der Verluste entweder den Angriff abbrechen oder eine schwere Niederlage hinnehmen würden.
  • Deshalb wurden die bereits im März 2022 begonnenen Gespräche zwischen Russland und der Ukraine von den USA nicht unterstützt. Ganz im Gegenteil veranlasste der damalige britische Premierminister Johnson – nach vorheriger Absprache mit Washington- bei seinem Besuch in Kiew den ukrainischen Präsidenten Selensky die Gespräche, die in der Türkei stattgefunden hatten, abzubrechen.

Ergebnis der falschen Lagebeurteilung

Die Fakten der falschen Lagebeurteilung und der darauf basierenden Entscheidungen stellen sich wie folgt dar:

  • Die russischen Streitkräfte zogen sich nicht zurück, sondern reagierten auf die ersten Verluste mit der bereits beschriebenen Änderung ihrer Taktik, was die politische Führung in Washington- zum Teil im Gegensatz zur Position des Pentagon- nicht erkannte oder nicht wahrhaben wollte.
  • Man hatte die Flexibilität der russischen Generalität und ihr Durchsetzungsvermögen gegenüber dem russischen Präsidenten, aber vor allem auch die materiellen und personellen Ressourcen der russischen Streitkräfte offensichtlich unterschätzt.
  • Dagegen begann die Ukraine, der in den ersten Kriegsmonaten vorwiegend russisches Kriegsmaterial und russische Waffensysteme zur Verfügung gestanden hatten, unter erheblichen Nachschubproblemen zu leiden, vor allem in der Ersatzteilversorgung und bei der Munition, besonders für die schwere Artillerie.
  • Hinzu kamen die starken Belastungen der Zivilbevölkerung durch Strom- und damit Heizungsausfälle, Probleme mit der Wasserversorgung und der ständigen Luftalarme wegen der russischen Angriffe mit Drohnen und Raketen. 
  • Es begann ein klassischer Abnutzungskrieg. Deutlichstes Beispiel war dafür der monatelange Kampf um Bachmut, das auf Weisung des ukrainischen Präsidenten -gegen den Rat der militärischen Führung – bis zur völligen Zerstörung gehalten wurde und neben hohen personellen Verlusten vor allem auch den Bestand an Artilleriemunition dramatisch einbrechen ließ.

Umsetzung der Fehlentscheidung

Um keine Schwäche zu zeigen, hielt/hält die US Regierung an den getroffenen Entscheidungen fest.

  • Da sich Washington – im Gegensatz zu Moskau- seine falsche Lagebeurteilung nicht eingestehen wollte, entschlossen sich die USA zu einer umfassenden Unterstützung der Ukraine nach dem Prinzip: „As long as it takes“, ohne diesen Grundsatz zu definieren. NATO und EU wurden von Washington dazu gedrängt, dieses Vorgehen zu übernehmen.
  • Die Unterstützungslieferungen wurden immer umfassender vor allem im Bereich der schweren gepanzerten Waffen, der Munition, soweit vorhanden und bei den Boden gestützten Systemen der Flugabwehr, um die ukrainische Luftverteidigung zu stärken.
  • Monatelang wurde eine ukrainische Gegenoffensive angekündigt, obwohl sich alle militärischen Fachleute darüber klar waren und sind, dass diese Offensive, die angeblich jetzt begonnen hat, keinen durchschlagenden Erfolg bringen wird, weil die Ukraine nicht über genügend gepanzerte Kräfte verfügt und für die Bodentruppen keine Luftunterstützung verfügbar machen kann, denn Russland hat die uneingeschränkte Luftherrschaft über der ganzen Ukraine.
  • Zudem werden die ukrainischen Streitkräfte zunehmend Probleme bekommen, die in immer größerer Anzahl von den USA und ihren alliierten gelieferten High Tech- Waffensysteme von qualifiziertem Personal bedienen/besetzen zu lassen.
  • Last, but not least, sind die ukrainischen Streitkräfte personell nicht in der Lage die erforderliche zahlenmäßige Überlegenheit von mindestens 3:1 gegenüber den russischen Truppen herzustellen, die im Rahmen einer tief gestaffelten Verteidigung mit ihrer guten Ausrüstung und der jederzeit verfügbaren Luftunterstützung über beste Voraussetzungen verfügen, jeden größere Offensivoperation der ukrainischen Streitkräfte abzuwehren.

Fazit der beiden Fehlentscheidungen

Die Fortdauer des Krieges ist das Ergebnis der dargestellten Fehlentscheidungen. Allerdings hat Moskau mit der Umstellung seiner Taktik wohl auch den letzten Optimisten klargemacht, dass die Ukraine diesen Krieg militärisch nicht gewinnen kann. Daran werden auch zukünftige Waffenlieferungen „des Westens“ nichts ändern, die letztlich den Krieg nur verlängern, zu immer mehr Opfern bei den Streitkräften auf beiden Seiten und der ukrainischen Zivilbevölkerung und zu immer größeren Zerstörungen der zivilen Infrastruktur der Ukraine führen werden.

Die einzige Alternative zu diesem „Weiter so“ sind Verhandlungen. Dafür gibt es auf russischer Seite aktuell keine Veranlassung und aus amerikanischer Sicht sind sie keine akzeptable Option, weil dadurch das Scheitern der amerikanischen Politik gegenüber Russland und im Ukrainekrieg für die ganze Welt sichtbar würde.

Deshalb muss man befürchten, dass dieser Krieg noch so lange weitergehen wird bis die ukrainische Regierung doch eine von Präsident Selensky bislang immer wieder abgelehnte Verhandlungsbereitschaft signalisiert, um das Sterben der eigenen Bevölkerung und die Zerstörung des Landes zu beenden. Die zweite Möglichkeit wäre, dass ein europäischer Unterstützer aus dem amerikanischen Lager ausschert, weil es im eigenen Land zunehmend wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt und die Wähler die Politik der Regierung nicht mehr mittragen. Der dritte und wahrscheinlichste Grund könnte sein, dass der Krieg zu einem Wahlkampfthema in den USA und damit zum politischen Überleben von Präsident Biden wird, der sein persönliches Schicksal mit dem der Ukraine verbunden hat. Sollte dieser Krieg dafür entscheidend werden, wer die nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnt, werden die USA von jetzt auf gleich – und zwar ohne Rücksprache mit ihren Verbündeten oder etwa dem ukrainischen Präsidenten- die Unterstützung der Ukraine beenden, so wie sie im August 2021 ihre Truppen aus Afghanistan abgezogen haben.

Innenpolitisch würde man eine solche Entscheidung als Erfolg verkaufen, indem man behauptet, die amerikanischen Kriegsziele erreicht zu haben, nämlich:

  • Russland wurde als geopolitischer Rivale zwar nicht ausgeschaltet, aber erheblich geschwächt
  • Die NATO und die Führungsrolle der USA im Bündnis wurden gestärkt und die Erweiterung der NATO erfolgreich fortgesetzt. Finnland wurde bereits neues Mitglied, und Schwedens Beitritt ist nur noch eine Frage der Zeit
  • Die EU wurde insgesamt auf den amerikanischen Kurs eingeschworen und hat erhebliche finanzielle Leistungen erbracht, z.B. sogar von den USA an die Ukraine geleaste Waffensysteme bezahlt.
  • Der amerikanische „industrial-military- complex“ ist erfolgreicher als je zuvor. Die Auftragsbücher der Rüstungsindustrie sind auf Jahre ausgelastet, und damit wurden Tausende amerikanische Arbeitsplätze gesichert.
  •  Der europäische Energiemarkt wurde für die USA geöffnet, teures amerikanisches durch Fracking gewonnenes LNG anstelle von russischem Erdgas an Europa geliefert.   

All diese Überlegungen könnten allerdings konterkariert werden, wenn die Wahrheit über die Anschläge auf die Nordstream Pipelines an die Öffentlichkeit gelangten. Dann würden die Karten im Lager „des Westens“ vermutlich völlig neu gemischt.

Greven, 20. Juni 2023

Jürgen Hübschen

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Drohnenangriff auf Moskau oder: „As long as it takes“

Seit Tagen greift Russland Kiew mit Drohnen und Raketen an, und jetzt gab es mit dem ersten, auch von russischer Seite bestätigten, Drohnenangriff auf Moskau, für den der Kreml die Ukraine verantwortlich macht, die vorläufig letzte Drehung der Eskalationsspirale in diesem Krieg.

Vor diesem Hintergrund soll noch einmal die Frage gestellt werden, was diese vom „Westen“ Mantra mäßig wiederholte Unterstützungsparole für die Ukraine „As long as it takes“ eigentlich bedeutet. Von US-Präsident Biden angefangen über die EU Kommissionspräsidentin von der Leyen, Bundeskanzler Scholz bis zum deutschen Verteidigungsminister Pistorius wird dieser Slogan gebetsmühlenartig immer wieder betont. Stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine Sicherheitsstrategie oder vielleicht sogar um eine Zielsetzung handelt und was diese Aussage eigentlich bedeutet.

Denkbar wären folgende Interpretationen:

  • Bis Russland seine Truppen freiwillig aus der Ukraine abzieht, weil man in Moskau eingesehen hat, dass eine weltweite internationale Isolierung des Landes droht.

Dafür gibt es keinerlei Hinweise. Außerdem kann eigentlich nur von einer amerikanischen und europäischen Isolierung die Rede sein, weil die Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten zwar den Krieg verurteilt, sich aber nicht an den Sanktionen gegen Russland und schon gar nicht an einer Isolierung des Landes beteiligt.

  • Bis Russland seine Truppen aus der Ukraine abzieht, weil man eingesehen hat, dass die gesetzten Ziele weder politisch noch militärisch erreicht werden können?

Auch dafür gibt es keine Indikatoren, vielmehr hat es den Anschein, dass die aktuelle russische Strategie zunehmend erfolgreich zu sein scheint. Man hat in Moskau erkannt, dass die ursprüngliche offensive Vorgehensweise, auch auf Grund eines zu geringen Truppenansatzes, ein Fehler war und gescheitert ist. Russland zog unter der neuen Führung von General Surovikin die Konsequenzen und setzte auf eine defensive Strategie mit möglichst viel Abstandswaffen, wie Artillerie, Drohnen und Raketen. Die ukrainische Niederlage in Bachmut und die Angriffe auf Kiew und andere Städte und Einrichtungen in der Ukraine sind Beweise dafür, dass und wie diese neue Strategie umgesetzt wird. Der jetzige russische Oberbefehlshaber in der Ukraine, General Gerasimov, scheint an dieser Strategie festzuhalten. Auch in Bezug auf die ukrainische Luftverteidigung verfolgt Moskau offensichtlich eine Abnutzungsstrategie. Sollten die Zahlen der Raketen und Drohnen, mit denen Russland Kiew angegriffen hat und die ukrainischen Angaben zutreffen, wie viele davon durch die eigene Luftverteidigung abgeschossen wurden, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis die Ukraine „leer geschossen ist“, verbunden mit immensen Kosten für Raketen, die pro Stück zwischen 400.000 und 1 Million Euro zu Buche schlagen.

  • Bis die Ukraine mit Unterstützung ihrer westlichen Alliierten, alle von Russland besetzten Gebiete, einschließlich der Krim zurückerobert und den Krieg militärisch gewonnen hat?

Davon spricht „im Westen“ mittlerweile überhaupt niemand mehr. Stattdessen scheint man – abgesehen von Präsident Selensky selbst – nur noch darauf zu setzen, einen „frozen conflict“ zu erreichen, allerdings ohne zu erklären, was danach kommt.

  • Bis der ukrainische Präsident einsieht, dass die Tür für Verhandlungen nicht mehr lange offenbleibt und er Moskau ein Gesprächsangebot macht?

Das erscheint ausgeschlossen, weil Präsident Selensky – im Gegensatz zum März 2022- immer wieder und auch immer noch erklärt, dass Verhandlungen so lange ausgeschlossen seien bis der letzte russische Soldat die Ukraine verlassen habe.

  • Bis Präsident Biden gegenüber Präsident Putin erklärt, die USA seien unter Leitung des UN Generalsekretärs zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen bereit?

Auch diese Option ist derzeit unrealistisch, weil der US Präsident, trotz immer mehr kritischer Stimmen in den USA, vor allem aus dem Pentagon, keinen Sinneswandel in diese Richtung erkennen lässt. Zudem fehlt seitens des UN- Generalsekretär Guterres auch jegliche Initiative in diese Richtung.

  • Bis die politischen Führer Europas erkennen, dass die Sanktionen gegenüber Russland nicht oder vielleicht auch noch nicht die erhoffte Wirkung zeigen?

Die zu beobachtenden geostrategischen Verschiebungen entwickeln sich zu Lasten „des Westens“, und es scheint letztlich ein Fehler zu sein, den USA vasallenhaft zu folgen, weil die Interessen einer Supermacht nicht identisch mit denen Europas sind.

  • Bis die finanziellen Belastungen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Entwicklungen aus Sicht der amerikanischen Regierung und/oder der europäischen Führer nicht mehr (er)tragbar werden?

Aktuelle wirtschaftliche Zahlen könnten dafür ein Indiz sein. Hinzu kommen eine hohe Inflation und Preissteigerungen, die ein immer größerer Teil der Bevölkerung offensichtlich nicht mehr stemmen kann.

  • Bis die Bevölkerung in den USA und/oder in einem oder mehreren europäischen Ländern die Entscheidungen ihrer Regierungen nicht mehr mitträgt?

Eine solche Entwicklung könnte bei anstehenden Wahlen zu einer entscheidenden Komponente werden. Eine entsprechende Thematisierung in den Medien oder öffentliche Demonstrationen und Proteste könnten dazu wesentlich beitragen.

  • Bis- und auch das sollte nicht ausgeschlossen werden- dieser Krieg immer weiter eskaliert bis hin zu einer direkten militärischen Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland?

Das wäre eine nicht mehr kalkulierbare und beherrschbare Situation, vermutlich verbunden mit einem Flächenbrand in Europa, vor dem die USA ( wieder einmal) durch den Atlantik geschützt wären. Mittlerweile sind zwar immer wieder irgendwelche roten Linien scheinbar folgenlos überschritten worden, aber wenn der Drohnenangriff auf Moskau der Anfang von weiteren direkten Angriffen auf Russland sein sollte, dann könnte das auch der Beginn eines 3. Weltkriegs sein. Davor hatte ja der US-Präsident bereits vor geraumer Zeit gewarnt, als es um die mögliche Lieferung von F-16 Kampfflugzeugen an die Ukraine ging. Diese Position hat Präsident Biden jetzt aufgegeben, der Ausbildung ukrainischer Piloten auf der F-16 in den USA zugestimmt und auch seinen Vorbehalt bezüglich einer Lieferung von F-16 durch europäische Länder zurückgenommen.

  • Bis der Einsatz von russischen Atomwaffen alle bisherigen Überlegungen hinfällig werden lässt?

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die damalige US-Regierung den Abwurf der beiden Atomwaffen auf Hiroshima und Nagasaki damit begründet hat, den Krieg schnellstmöglich zu beenden, was sich ja auch bewahrheitet hat.

Diese Interpretationsversuche erheben keinerlei Anspruch auf Vollzähligkeit und hinzu kommt noch, dass die politischen Verantwortlichen im „Westen“ mit großer Wahrscheinlichkeit nicht dieselben Meinungen darüber haben, was dieses „As long as it takes“ eigentlich bedeutet.

Zusammenfassende Bewertung

Keine westliche Regierung sollte der Ukraine eine Sicherheitsgarantie geben und auch nicht den Anschein erwecken, es zu tun. Die Ukraine verteidigt sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff Russlands und wird dabei vom „Westen“ militärisch, wirtschaftlich und auch finanziell unterstützt. Die Ukraine verteidigt aber nicht die Freiheit der USA oder Europas, sondern führt vielmehr einen Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland mit dem Ziel -wie es US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III am 25. April 2022 nach seinem Besuch in Kiew erklärt hat-  Russland so zu schwächen, dass es niemals mehr in der Lage sein wird, einen solchen Krieg anzuzetteln. (“We want to see Russia weakened to the degree it cannot do the kind things that it has done in invading Ukraine,”) In diesem Zusammenhang muss man auch an die Aussage von Präsident Biden in dessen Rede vom 26. März 2002 in Warschau erinnern, als er wörtlich erklärte: „For God´s sake, this man can not remain in power.“

Wenn es zuträfe, was immer wieder behauptet wird, dass die Ukraine die „westlichen Werte“ – wer immer diese definiert hat- verteidigt, dann müsste „der Westen“ die Ukraine konsequenterweise mit eigenen Truppen im Kampf gegen die russischen Streitkräfte unterstützen. Das wird aber von den USA und allen europäischen Regierungen ausgeschlossen.

Bleiben die Fragen nach einer sicherheitspolitischen Strategie „des Westens“ und einer klaren Zielsetzung aller militärischen, wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine. Die aktuelle Antwort lautet: Es gibt diese Strategie nicht  und auch kein definiertes Ziel, es sei denn, Europa übernähme die Position der USA oder hat diese bereits übernommen, nämlich: „For God´s sake, this man can not remain in power“, was gleichbedeutend mit einem Regierungswechsel in Moskau ist und …“see Russia weakened to the degree it cannot do the kind things that it has done in invading Ukraine“, gleichbedeutend mit einem militärischen Sieg über die russischen Streitkräfte in der Ukraine. Sollte also die US-Regierung die Zielsetzung „des Westens“ im Ukrainekrieg definiert haben, wäre das ein sicherheitspolitisches Versagen aller europäischen Regierungen auch gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern.

Da dies aber bestenfalls eine Vermutung ist, bleibt die Frage nach einer sicherheitspolitischen Strategie und einer klaren Zielsetzung weiterhin unbeantwortet, und es gibt überhaupt keine Anzeichen dafür, dass sich das in absehbarer Zukunft ändert. Den politisch Verantwortlichen in Europa fällt offensichtlich immer noch nichts Anderes ein, als gegenüber Russland ständig weitere Sanktionen zu verhängen und durch immer mehr und immer schwerere Waffen an die Ukraine die Eskalationsschraube weiter anzuziehen.

Dabei hätte es bereits schon knapp einen Monat nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine eine Chance gegeben, diesen Krieg zu stoppen, als nämlich Präsident Selensky am 22. März 2022 Russland zu direkten Verhandlungen aufgefordert hatte. Er hatte Moskau einen Verzicht auf eine NATO Mitgliedschaft der Ukraine angeboten, wenn Moskau im Gegenzug einen Waffenstillstand akzeptiert und seine Truppen aus der Ukraine abgezogen hätte. In Bezug auf die Regionen Lugansk und Donezk sollte es, ebenso wie (erneut) für die Krim Referenden geben. Auf dieser Basis hatten Moskau und Kiew Verhandlungen begonnen, die -daran bestehen heute kaum noch Zweifel- auf Druck des damaligen britischen Premierminister Johnson bei dessen Besuch in Kiew am 10. April 2022 abgebrochen wurden.

Fazit: Dieses Mantra „as long as it takes” solle endlich definiert oder, was deutlich erstrebenswerter wäre, durch den Start einer diplomatischen Initiative zur Beendigung des Krieges überflüssig gemacht und ersetzt werden.

Jürgen Hübschen

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Der russische Krieg gegen die Ukraine- wesentliche Fragen ohne eindeutige Antworten

In jedem Krieg stirbt die Wahrheit zuerst und wird durch Propaganda ersetzt. Diese Erkenntnis ist sicherlich unstrittig und macht es extrem schwierig, die aktuelle Lage einigermaßen gesichert zu beurteilen. Das gilt in besonderem Masse für die Situation auf dem Gefechtsfeld., aber auch für das Engagement internationaler Organisationen, diesen Krieg zu beenden.

Die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

 Die Vereinten Nationen

In Krisen- und Kriegssituationen war es bislang üblich, dass der UN Generalsekretär einen Sonderbeauftragten für das betreffende Land ernannt hat und häufig auch selbst durch Besuche vor Ort aktiv geworden ist.

Häufig ernennt der Generalsekretär für die Ausführung seiner Aufgaben Sonderbeauftragte (Special Repräsentatives of the Secretary-General, SRSG), Persönliche Beauftragte (Personal Repräsentatives) oder Gesandte (Envoys), die in seinem Auftrag handeln. Sie übernehmen vielseitige Tätigkeiten und sind für die Leitung von Friedensmissionen, einzelne Regionen oder grenzübergreifende Themen (z.B. Menschenrechte, Kinder in bewaffneten Konflikten sexuelle Gewalt in Konflikten) zuständig. Sie haben den Rang von „Beigeordneten Generalsekretären“ oder „Untergeneralsekretären“. Aktuell gibt es etwa 100 Sonderbeauftragte. Dafür einige Beispiele:

Für die Ukraine gibt es bislang mit Pramila Patten lediglich eine UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, die sich mit erheblichen Vorwürfen gegen Russland zu Wort gemeldet hat, aber keinen Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, der sich im eine Lösung des Krieges in seiner Gesamtheit kümmert.

Auch der Generalsekretär ist bislang kaum in Erscheinung getreten. Bei seinem Besuch in Moskau im April 2022 hatte er zwar, wie direkt danach auch in Kiew ein Ende des Krieges gefordert, aber ohne irgendeinen konkreten Vorschlag zu machen. Bei zwei weiteren Besuchen in Kiew, zuletzt am 08. März 2023 ging es in der Hauptsache um eine Verlängerung des Getreideabkommens, das am 18. Mai 2023 auslaufen würde. Mittlerweile haben mehr als 200 hochrangige ehemalige UN-Mitarbeiter den Generalsekretär in einem Brief aufgefordert, sich stärker für eine Friedenslösung im Ukraine-Krieg einzusetzen. Wörtlich heißt es in dem Brief u.a.: „Uns entsetzt die Alternative, dass die Vereinten Nationen zunehmend an Bedeutung verlieren.“ Den Vereinten Nationen drohe das Schicksal des glücklosen Völkerbundes, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg, den er nicht verhindern konnte, selbst auflöste.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)

Die OSZE besteht aus 57 europäischen Mitgliedsländern und Kanada und den USA. Sie wird geführt durch die s.g. Troika. Diese wird gebildet aus dem aktuellen Vorsitzenden, einstimmig gewählt jeweils für die Dauer vom 1. Januar – 31. Dezember eines Kalenderjahres, seinem Vorgänger und seinem Nachfolger. Aktuell stellt Mazedonien den Vorsitzenden, unterstützt von Polen als Vorgänger und möglicherweise von Estland als Nachfolger. Russland und Weißrussland haben Estland aber wegen der massiven Kritik der estnischen Regierung am russischen Krieg gegen die Ukraine ihre Zustimmung, die einvernehmlich erfolgen muss, verweigert. Zurzeit steht die Option im Raum, dass Österreich für Estland, das seine Bewerbung aufrechterhält, einspringen könnte.

Der Vorsitzende der OSZE kann in Krisenfällen oder zur besseren Koordination der Bemühungen der Teilnehmerstaaten in bestimmten Bereichen persönliche Beauftragte oder Sonderbeauftragte ernennen. Im Zusammenhang mit der Ukraine wurden zwei persönliche Beauftragte ernannt, der polnische Botschafter Andrzej Kasprzyk für die „Minsk Konferenz“

und der dänische Botschafter Henrik Villadsen als „Projekt Koordinator in der Ukraine.“

Die beiden Sonderbeauftragten haben keinen konkreten Auftrag zur Konfliktlösung in der Ukraine. Seitens der Generalsekretärin der OSZE, Helga Maria Schmid des amtierenden Vorsitzenden der OSZE, des mazedonischen Außenministers Bujar Osmani und auch der Troika sind ebenfalls keine Initiativen bekannt, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Es sind auch keine nationalen Vorstöße eines der Mitgliedsländer bekannt, eine diplomatische Lösung zur Beendigung des Krieges zu starten.

Die militärische Lage im Ukraine-Krieg

Deutsche und andere europäische „Experten“, die sich in Videos, politischen Talk-Shows oder in den Print-Medien zu Wort melden und behaupten, ihnen wäre die militärische Lage in der Ukraine bekannt, verwechseln Vermutungen, Absichten, persönliche Einschätzungen, „wishful thinking“ und veröffentliche Informationen mit gesicherten Erkenntnissen auf der Basis von Fakten. Kurz gesagt: Sie behaupten die Wahrheit zu kennen oder klarer ausgedrückt: Sie lügen. Selbst die US-Geheimdienste haben mehrfach erklärt, sie könnten auf Grund der ihnen vorliegenden nachrichtendienstlichen Erkenntnisse die russische Lage besser beurteilen als die Situation und Planungen auf der ukrainischen Seite, weil diese bei weitem nicht alle Fakten und Pläne mit den USA teile. Die Furcht vor eventuellen „Whistle Blowern“ ist dafür sicherlich ein Grund. Moskau spielt auf der Propaganda-Klaviatur mindestens genau so professionell wie die Ukraine, die sich dabei zusätzlich von vielen internationalen PR-Firmen beraten lässt.

Kurzum: Verlässliche Aussagen zur militärischen Lage können Außenstehende nicht machen, und die Kriegsparteien wollen es aus verständlichen Gründen nicht.

Das Einzige, was deshalb sinnvoll und zielführend sein könnte, sind Fragen und Überlegungen speziell zur russischen Kriegsführung, die öffentlich überhaupt nicht diskutiert werden. Das grundsätzliche Problem dabei ist allerdings, nicht zu wissen, ob und warum bestimmte militärische Operationen von Russland nicht durchgeführt wurden/werden oder vielleicht doch erfolgt sind und nur nicht darüber berichtet wurde. In diesem Zusammenhang muss man sich darüber im Klaren sein, dass es dafür immer mehrere Erklärungen geben kann, nämlich:

  • Moskau verzichtet auf bestimmte Operationen und Angriffe gar nicht, sondern berichtet darüber selbst aus übergeordneten taktischen oder gar strategischen Gründen nicht. Es könnte sich ja um einen Test gehandelt haben oder als Beginn für weitere vergleichbare Aktionen.
  • Moskau führt bestimmte Operationen zwar durch, hat aber dabei letztlich keinen durchschlagenden Erfolg. Aufwand und Mittel stehen in keinem akzeptablen Verhältnis zum militärischen Ergebnis ,und deshalb wiederholt man sie nicht.
  • Moskau sieht von bestimmten militärischen Aktionen wegen einer zu erwartenden Verurteilung durch die UNO und/oder die westliche Staatengemeinschaft ab.
  • Die Ukraine verschweigt russische Erfolge und behauptet, falls Militäroperationen Moskaus trotzdem bekannt werden, wie z.B. massive Raketen-und oder Drohnenangriffe, diese erfolgreich abgewehrt zu haben.
  • Die Ukraine meldet russische Militäroperationen, die zurückgeschlagen wurden, obwohl diese überhaupt nicht oder nicht im behaupteten Umfang stattgefunden haben.

Fragen und Überlegungen speziell zur russischen Kriegsführung, die öffentlich überhaupt nicht diskutiert werden.

Die nachfolgend beispielhaft aufgeführten Fragen und Überlegungen geben keinerlei Priorität wieder:

  • Warum hat Moskau die Rundfunk- und Fernsehstationen der Ukraine nicht ausgeschaltet? In jedem Putsch oder Krieg weltweit, versuchen die Aggressoren als erstes diese Einrichtungen zu besetzen oder auszuschalten, um auf diese Weise die Bevölkerung zu manipulieren.
  • Warum hat Moskau die Angriffe gegen die ukrainische Stromversorgung eingestellt, obwohl diese in der Vergangenheit durchaus Wirkung gezeigt haben? Strom wird ja nicht nur zum Heizen benötigt.
  • Warum gibt es keine gezielten Angriffe auf die Treibstoffversorgung der Zivilbevölkerung und der ukrainischen Streitkräfte? Derartige Angriffe würden die ukrainische Wirtschaft erheblich treffen und das Leben der Zivilbevölkerung deutlich erschweren. Die Streitkräfte würden durch fehlenden Treibstoffnachschub in ihrer Beweglichkeit entscheidend eingeschränkt. 
  • Warum gibt es keine gezielten Angriffe auf das ukrainische Eisenbahnnetz? Im militärischen Bereich würde die Logistik ohne ein funktionierendes Eisenbahnnetz zusammenbrechen. Die Frontlinie ist mehr als 1.000 km lang, und auch die westliche Unterstützung mit Waffen, Material und Munition kann – auch mengenmäßig- nur über das Bahnnetz sichergestellt werden. Auch die Versorgung der Zivilbevölkerung ist leichter mit Hilfe von Bahntransporten zu gewährleisten. Hochrangige westliche Politiker können Kiew nur über die Schiene einigermaßen sicher erreichen.
  • Warum greift Russland nicht die westlichen Waffen- und Materiallieferungen an, bevor diese die Front erreichen und zum Einsatz kommen? Der russischen Aufklärung – technisch oder mit Hilfe von Agenten in der Ukraine- bleiben diese Lieferungen nicht verborgen, zumal diese Transporte mit der Bahn erfolgen und die Orte der Grenzübertritte sicherlich bekannt sind. Außerdem kommt es z.B. durch die Spurwechselzone zwischen Polen und der Ukraine zu längeren Aufenthalten im Grenzbereich. Der Transport durch die Ukraine bis zu den Einsatzorten dauert mehrere Stunden, in denen vor allem die Züge mit schweren Waffen grundsätzlich ein leichtes Ziel bieten.
  • Warum greift Russland die schweren ukrainischen Waffensysteme nicht gezielt an, wenn sich diese nach der Wartung und Instandsetzung in Polen und/oder der Slowakei auf dem Rücktransport/-weg zum Einsatz befinden? Im Rahmen der Aufklärung können diese Abläufe Moskau nicht verborgen bleiben.
  • Warum greift Russland die Einrichtungen und Stellungen der ukrainischen Luftverteidigung nicht an, obwohl diese aktuell in zunehmendem Maße durch „den Westen“ verstärkt werden? Auch in Russland kennt man Einsatzverfahren wie „Suppression of Enemy Air defense“, bei denen die gegnerische Luftverteidigung durch elektronische Kampfmittel quasi „blind gemacht“ wird. Da Russland nach Kiews Angaben über der Ukraine die Luftherrschaft hat, ist die Bekämpfung von Radar- und/ Raketenstellungen oder auch von Gefechtsständen der Luftverteidigung grundsätzlich möglich.
  • Warum setzt Russland seine bemannten Luftstreitkräfte, also Flugzeuge und Hubschrauber, trotz der angesprochenen Luftherrschaft über der Ukraine nicht ein? Will man auf keinen Fall Besatzungen verlieren oder solche Einsätze für eine mögliche Großoffensive schonen?
  • Warum greift Russland die fliegende Luftwaffe der Ukraine und ihre Infrastruktur nicht an. Die Zerstörung von Start-und Landebahnen und Versorgungseinrichtungen (Treibstoff- und Munitionslager) von Militärflugplätzen ist nicht nur durch Kampfflugzeuge, sondern vor allem auch durch Raketen möglich.
  • Warum hat Russland die russische Stadt Bachmut noch nicht vollständig zerstört oder eingenommen? Ist Russland dazu nicht in der Lage oder verfolgt man das Ziel, möglichst viele ukrainische Kräfte zu binden und auch zu vernichten? Auch der hohe Verbrauch an ukrainischer Artilleriemunition, den der „Westen“ nicht kompensieren könnte bei der aktuellen russischen Taktik ein Aspekt sein.
  • Setzt man insgesamt in Moskau auf einen Abnutzungskrieg, in dem der Westen zwar immer neue Waffen liefern kann aber den Einsatz eigener Soldaten ausgeschlossen hat, so dass es- einfach gesprochen- immer weniger ausgebildete ukrainische Soldaten gibt? 
  • Könnte es sein, dass Russland in diesem Abnutzungskrieg damit kalkuliert, dass die Ukraine zur Abwehr der unregelmäßigen schweren Raketen-und Drohnenangriffe zu viele sehr teure westliche Raketen verbraucht, die die westlichen Unterstützerstaaten nicht mehr ersetzen können oder wollen?

Für all diese Beispiele gilt, dass es keine gesicherten Erkenntnisse darüber gibt, ob sie zutreffen oder nicht. Das wäre aber für eine fundierte Lagebeurteilung unbedingt erforderlich.

Zusammenfassende Bewertung

Das Hauptproblem bei der Einschätzung der militärischen und auch der sicherheitspolitischen Lage scheint aus meiner Sicht zu sein, dass niemand wirklich weiß, welche Pläne der russische Präsident hat und welche Absichten er verfolgt. Es gab und gibt in dieser Hinsicht immer wieder unterschiedliche Aussagen des Kremls oder vielleicht auch nur in der Berichterstattung der westlichen Medien. Die Spanne der Spekulationen ist ausgesprochen weit. Sie beginnt damit, dass es Präsident Putin genügt, die aktuell besetzten ukrainischen Gebiete in das russische Staatsgebiet einzugliedern bis hin zu der Vermutung/Behauptung, Russland wolle die gesamte Ukraine wieder zu einem Teil Russlands machen und in einem weiteren Schritt die politische Gesamtsituation in Osteuropa so verändern, dass praktisch die ehemalige Sowjetunion wieder entsteht.

Wie bei der Beurteilung der militärischen Lage und dem weiteren Verlauf des Krieges gibt es für die weitere Entwicklung der gesamten sicherheitspolitischen Lage keine gesicherten Erkenntnisse, auf denen sich die Aussagen der deutschen und europäischen „Experten“ beziehen könnten. Anders verhält es sich meines Erachtens mit den Einschätzungen und Beurteilungen von amerikanischen Fachleuten, die über ein enges Netzwerk und beste Verbindungen in die Regierungsadministration und vor allem ins Pentagon verfügen. Diese Beobachter sind der übereinstimmenden Ansicht, dass die veröffentlichte Meinung in den USA nicht übereinstimmt mit der internen Beurteilung der Fachleute. Sie sind sich darüber hinaus sicher, dass die an die Öffentlichkeit gelangten amerikanischen Geheimdienstdokumente nicht von dem als „Whistle Blower“ verhafteten einfachen Soldaten der US-luftwaffe stammen, sondern davon überzeugt, dass diese von hochrangigen US-Militärs aus der unmittelbaren Nähe von Generalstabschef Milley stammen und gezielt an die Öffentlichkeit lanciert wurden. Dadurch sollte ein Umdenken der politischen Führung der USA erreicht werden, die immer noch behauptet, man müsse die Ukraine nur weiterhin intensiv militärisch unterstützen, dann würde Präsident Putin seine Truppen aus der Ukraine abziehen. Diese Fachleute halten dieses Ziel für ebenso unerreichbar wie einen militärischen Sieg der Ukraine. Sie bewerten auch die Zahl gefallener und schwer verwundeter ukrainischer Soldaten wesentlich höher als die europäischen „Experten“ und halten einen qualitativ gleichwertigen Ersatz auf absehbare Zeit für ausgeschlossen.

Sie sind vielmehr der Meinung, dass die verfügbaren Ressourcen Russlands in materieller wie auch personeller Hinsicht so umfangreich sind, dass keine zeitliche Begrenzung des Krieges erforderlich ist. Was allerdings die nächsten militärischen Schritte Moskaus sein werden, vermögen auch die amerikanischen Fachleute nicht vorherzusagen.

Deshalb kann das Fazit für die europäischen Regierungen und letztlich auch für US Präsident Biden nur sein: Die immer wieder versicherte Position, die Ukraine militärisch zu unterstützen „as long as it takes“ gleicht einem Fass ohne Boden und sollte durch konkrete diplomatische Initiativen ersetzt werden. Dass man mit Moskau verhandeln kann, beweist nicht nur der regelmäßige Austausch von Kriegsgefangenen, sondern auch die sich abzeichnende Verlängerung des Getreideabkommens zwischen der Ukraine und Russland.

Greven, 16. Mai 2023

Jürgen Hübschen

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Evakuierungsoperationen der Bundesregierung- Diplomaten zuerst?

Im Zusammenhang mit der sich ständig verschlechternden Sicherheitslage und zunehmenden Kampfhandlungen in Sudans Hauptstadt Khartum hatten die USA als erste Nation Evakuierungsmaßnahmen getroffen und ihr Botschaftspersonal mit Hubschraubern aus Khartum in Sicherheit gebracht. Andere Nationen folgten, und auch die Bundesregierung hatte entschieden, deutsche Staatsbürger außer Landes zu bringen.  Dazu wurde vom 23. – 27. April 2023 unter Einsatz der Bundeswehr die Evakuierungsoperation „Sudan“ durchgeführt, die nachträglich vom Bundestag genehmigt wurde. Nach Presseberichten wurden 700 Menschen durch die Luftwaffe evakuiert, deutsche, aber auch ausländische Staatsbürger und vor allem auch das Personal der deutschen Botschaft. Diese wurde nach Abschluss der Evakuierungsoperation geschlossen.

Nach Presseberichten wurde das Botschaftspersonal bei der Evakuierung priorisiert und danach erst die deutschen Staatsbürgerinnen und-bürger, die sich in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes „ELEFAND“ hatten eintragen lassen.

Im Zusammenhang mit der Evakuierung stellt sich nicht nur die Frage, ob es richtig ist, Botschaftsangehörige zuerst zu evakuieren, sondern auch, ob nicht die Botschaft in einer solchen Situation – wenigstens mit einer Notbesetzung für Konsularangelegenheiten- geöffnet bleiben sollte.

Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD)

Diplomaten stehen nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen unter einem besonderen Schutz. Seit 1961 regelt es den rechtlichen Status von Diplomaten, wie deren Immunität und Unverletzlichkeit. Das am 18. April 1961 ausgehandelte Dokument wurde am 6. August 1964 in Deutschland verkündet und trat am 11. Dezember 1964 in Kraft. Mittlerweile haben 193 Länder, darunter fast alle UN-Mitgliedsstaaten, das WÜD unterzeichnet und halten sich in der Regel auch konsequent an diese Vereinbarung.

Nach dem WÜ ist die Unverletzlichkeit ein zentraler Grundsatz im Diplomatenrecht. Während Immunität den rechtlichen Schutz vor Strafverfolgung regelt, schützt die Unverletzlichkeit Diplomat/-innen vor polizeirechtlichen Zwangsmaßnahmen. Der Staat, in den diese entsandt werden, hat jegliche hoheitlichen Handlungen gegen Vertreter/-innen des anderen Staats zu unterlassen. Der Empfangsstaat darf Diplomat/-innen nicht von der Polizei festnehmen lassen, oder Strafverfahren gegen sie einleiten. Dabei ist es irrelevant, ob die Ermittlungen dienstliche oder private Handlungen der Diplomat/-innen betreffen. …Der Grundsatz der Unverletzlichkeit gilt auch für die Räumlichkeiten der Mission, also das Botschaftsgelände, sowie die Privatwohnung der Diplomat/-in und deren Gepäck. In Artikel 22, Absatz 2 des WÜD heißt es, dass der Empfangsstaat die besondere Pflicht hat, „alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen […].“ Der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Gastlandes unterliegen Diplomat/-innen nur äußerst eingeschränkt, etwa für Klagen in Nachlasssachen, Nebentätigkeiten oder in Bezug auf privates unbewegliches Vermögen. Auch Vollstreckungsmaßnahmen dürfen nur in diesen Ausnahmefällen durchgeführt werden.

Das Gastland ist verpflichtet, stets geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Unverletzlichkeit auch gegenüber Dritten zu garantieren. So müssen etwa bei Protesten vor einer Botschaft genügend Sicherheitskräfte für deren Schutz abgestellt werden. Der Sturm von iranischen Studierenden auf die US Botschaft und die anschließende Geiselnahme des Personals im Jahr 1979 beispielsweise war ein Verstoß gegen die Unverletzlichkeit.

Status eines Botschafters

Ein Botschafter ist ein Diplomat und der beamtete oberste Beauftragte eines Staates in einem anderen Land oder bei einer internationalen Organisation. Er wird vom Außenministerium entsandt und ist der persönliche Repräsentant des Staatsoberhauptes seines Landes.

Das Botschaftsgelände

Dazu schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung:

Auch Botschaften gehören zum Hoheitsgebiet des Gastgeberlandes. Sie bilden keine Exklaven, in denen das Recht des Botschafterlandes gilt. Aber: Im Wiener Übereinkommen von 1964 ­einigten sich die Staaten darauf, auf die Ausübung ihrer Hoheitsrechte auf dem Gelände von Botschaften zu verzichten. Das bedeutet: Der Botschafter kontrolliert den Zutritt zum Gelände – nicht einmal Verhaftungen darf die einheimische Polizei durchführen. Dennoch gilt bei Straftaten auf dem Gelände das Recht des Gastgeberlandes. Einzige Ausnahme: Ist der Täter Diplomat, schützt ihn seine Immunität vor der Strafverfolgung im Land seiner diplomatischen Mission.

Aufgaben von Diplomaten und Botschaften (diplomatischen Vertretungen)

Die Aufgaben der Diplomat/-innen sind im WÜD klar umrissen: Sie sollen den Entsendestaat im Empfangsstaat vertreten und dessen Interessen innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Grenzen schützen. Diplomat/-innen sammeln Informationen und Reaktionen aus dem Ausland und berichten darüber ihrer Regierung. Sie verhandeln mit der Regierung des Empfangsstaats und sollen freundschaftliche Beziehungen zwischen Entsende- und Empfangsstaat fördern. In der Praxis wirken Diplomat/-innen oft in allen Bereichen der auswärtigen Beziehungen mit, so etwa bei der Wirtschaftszusammenarbeit oder der Entwicklungspolitik.

Das Auswärtige Amt schreibt dazu explizit:

Wesentliche Aufgaben der diplomatischen Vertretungen sind es,

  • Informationen zu beschaffen,
  • über Angelegenheiten zu berichten, die für die verschiedenen Regierungsstellen des Bundes und der Länder von Bedeutung sind,
  • deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu helfen, die in Not geraten sind, Krisenvorsorge zu leisten sowie behördliche und notarielle Funktionen für im Ausland lebende Deutsche zu übernehmen,
  • Visa für Reisen nach Deutschland auszustellen
  • deutschen Unternehmen bei ihren Aktivitäten im Gaststaat zur Seite zu stehen und allgemein den beidseitigen Handel zu heben,
  • den Kulturaustausch zu fördern,
  • die Öffentlichkeit des Gastlandes über unsere Außenpolitik, über Deutschland im allgemeinen, seine Gesellschaft und Kultur, zu informieren,
  • hochrangige Besuche aus Deutschland vorzubereiten und zu begleiten.

Vergütung deutscher Diplomatinnen und Diplomaten

Deutsche Diplomatinnen und Diplomaten werden nach den Bestimmungen des Beamtenrechts besoldet. Dazu erhalten sie nach dem Bundesbesoldungsgesetz Auslandszuschläge entsprechend der „Verordnung über die Gewährung von Auslandszuschlägen“Die Bemessungsgrundlage richtet sich nach der Zuordnung der jeweiligen Dienstorte zu den Zonenstufen 1-20.

In der „Verordnung über die Gewährung von Auslandszuschlägen (Auslandszuschlagsverordnung – AuslZuschlV) heißt es dazu im § 2:

 (1) Als monatlicher Zuschlag zur Abgeltung außergewöhnlicher materieller Mehraufwendungen oder immaterieller Belastungen können zusätzlich zum Auslandszuschlag gezahlt werden:

1.

bis zu 300 Euro, wenn es sich um einen Dienstort mit einer außerordentlich hohen Rate an Gewaltdelikten handelt,

2.

bis zu 400 Euro, wenn der Dienstort von den Auswirkungen eines örtlichen bewaffneten Konflikts oder unmittelbar von einer Naturkatastrophe, einer von Menschen verursachten Katastrophe oder einer Epidemie betroffen ist,

3.

bis zu 600 Euro, wenn der Dienstort von den Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts betroffen ist und die staatliche Ordnung stark beeinträchtigt ist oder wenn die Empfängerinnen oder Empfänger von Auslandsdienstbezügen am Dienstort auf Grund von organisiertem gewaltsamem Widerstand oder Terror besonders gefährdet sind,

4.

bis zu 700 Euro, wenn der Dienstort unmittelbar und gegenwärtig von einem bewaffneten Konflikt betroffen ist und die Empfängerinnen oder Empfänger von Auslandsdienstbezügen beispielsweise durch Kampfhandlungen, Luftangriffe oder Raketenbeschuss konkret gefährdet sind.

Khartum ist der Zonenstufe 20 zugeordnet und erfüllt damit sicherlich die Voraussetzungen nach Ziffer (1) 4.

Zusammenfassende Bewertung

Diplomatinnen und Diplomaten sind in ihrer Auslandstätigkeit besonderen Belastungen ausgesetzt. Dazu gehören zweifellos die zahlreichen Umzüge, vor allem aber Einsätze in Ländern mit einer schlechten Infrastruktur, einer fragilen Sicherheitslage und der damit verbundenen Belastungen und nicht zuletzt auch einer persönlichen Gefährdung.

Diesem Sachverhalt trägt der Dienstherr mit einer angemessenen Besoldung und der dargestellten Zulage in geeigneter Form Rechnung. Ergänzend gibt es viele Sonderregelungen im Zusammenhang mit einem s.g. Diplomatenrabatt, z.B. beim Kauf von vielen deutschen Autofabrikaten, die weitgehende Befreiung von der Mehrwertsteuer, die gesicherte Verfügbarkeit von Devisen etc. Außerdem gibt es eine großzügige Regelung für den Heimaturlaub und vor allen Dingen eine attraktive Anschluss Verwendung nach einer Tätigkeit auf einem besonders belastenden Posten im Ausland.

Jeder, der sich entscheidet, in den Auswärtigen Dienst einzutreten, akzeptiert damit auch persönliche Risiken, mit denen er an verschiedenen Dienstorten konfrontiert werden kann.

Das WÜD schützt die Diplomatinnen und Diplomaten- im Gegensatz zu den anderen ausländischen und damit auch deutschen Staatsbürgern- umfassend. Eine Geiselnahme wie 1979 in der US-Botschaft in Teheran war eine absolute Ausnahme und hat sich in dieser oder ähnlicher Form nicht wiederholt.

Auf der Basis der Regelungen des Auswärtigen Amtes und durch die Vereinbarungen des WÜD gibt es aus meiner Sicht keine Veranlassung das Botschaftspersonal in einer Krisensituation mit Vorrang zu evakuieren, ganz im Gegenteil.

Vor allem die Konsulatsabteilung muss so lange geöffnet bleiben, wie der Bedarf an diese Ansprechstelle besteht.

Wie sollen die Aufgaben:

  •  deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu helfen, die in Not geraten sind, Krisenvorsorge zu leisten sowie behördliche und notarielle Funktionen für im Ausland lebende Deutsche zu übernehmen,
  • Visa für Reisen nach Deutschland auszustellen

wahrgenommen werden, wenn die Botschaftsangehörigen als erste evakuiert werden und die Botschaft geschlossen wird?

Für den Botschafter sollte es eine Regelung vergleichbar mit der Seefahrt geben, in der der Kapitän das Schiff als Letzter verlässt.

Jürgen Hübschen

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Einsatzfähigkeit und Einsatzwillen-zwei Seiten derselben Medaille oder: Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist ohne die Wertschätzung der Soldaten lediglich eine Summe.

20 Jahre Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan

Nach zwanzig Jahren, in denen 150.000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan eingesetzt, 59 von ihnen gefallen viele verwundet und Hunderte traumatisiert waren, kehrten am 30. Juni 2021 die letzten 264 Soldatinnen und Soldaten mit einer Luftwaffenmaschine in die Heimat zurück und landeten auf dem Luftwaffenflugplatz Wunstorf. Kein Politiker war zu ihrer Begrüßung und um Dank zu sagen, gekommen. Auch der Generalinspekteur war nicht erschienen. So blieb es Aufgabe des Befehlshabers des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Pfeffer, den Soldaten für ihren Einsatz zu danken, indem er u.a. sagte, der Auftrag sei in herausragender Weise erfüllt worden. „Sie haben sich nicht beirren lassen von unklaren Lagen, häufigen Änderungen der Rahmenbedingungen und auftretenden Friktionen.“ Der Vorsitzende des deutschen Bundeswehrverbandes Oberstleutnant (heute Oberst) André Wüst stellte zu dem Vorgang fest: Die Politik hat bei der Begrüßung der letzten Afghanistan-Rückkehrer in der Heimat so gut wie alles falsch gemacht. Das gilt für die Umstände des ‚stillen Empfangs‘ ebenso wie für die Kommunikation danach.“

Vor dem Hintergrund dieses Ereignisses werden im Folgenden die bisherigen vier Evakuierungsoperationen der Bundeswehr dargestellt.

Die bisherigen Evakuierungsoperationen der Bundeswehr.

„Evakuierungsoperation Libelle“

„Operation Libelle“ war die erste bewaffnete Evakuierungsoperation der Bundeswehr. Am 14. März 1997 wurden aus Albaniens Hauptstadt Tirana trotz eines Feuergefechts 120 deutsche und ausländische Staatsbürger erfolgreich evakuiert. Sie wurden mit Hubschraubern nach Montenegro geflogen und vom Flughafen Podgorica mit zwei Transportflugzeugen der Luftwaffe weiter nach Deutschland. Das Bundesverteidigungsministerium verweigerte den beteiligten Soldaten anfangs, ähnlich wie später, nach der 2011 durchgeführten „Operation Pegasus“, eine Einsatz-Auszeichnung. Als Begründung wurde angeführt, die Operation sei selbstverständlicher Teil des Einsatzes der „NATO Stabilisation Force“ (SFOR) in Bosnien und Herzegowina gewesen. In der deutschen Bevölkerung wurde die Operation lediglich am Rande zur Kenntnis genommen. Das lag vielleicht auch daran, dass der militärpolitische Slogan von „der Armee im Einsatz“ 1997 noch nicht erfunden war.

Die Operation „Libelle“ wurde nachträglich mit großer Mehrheit vom Deutschen Bundestag genehmigt.

„Evakuierungsoperation Pegasus“

Zwischen dem 21. Februar und dem 05. März 2011 wurden 262 deutsche und ausländische Staatsbürger durch die Bundeswehr aus Libyen evakuiert. Wegen der sich ständig verschlechternden Lage konnten nur 103 deutsche Staatsbürger von Tripolis ausgeflogen werden, und andere konnten auch die Küste für eine Evakuierung nicht erreichen. Deshalb landeten jeweils zwei deutsche und zwei britische Transportflugzeuge auf dem libyschen Feldflugplatz „Nafuhra“ und evakuierten unter dem Schutz bewaffneter Kräfte – auf deutscher Seite mit Maschinenpistolen bewaffnete Fallschirmjäger-  132 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder. Nach der erfolgreichen Operation warfen Abgeordnete der Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag der Bundesregierung vor, das Parlament bei der Aktion unzulässig umgangen zu haben. Bei Gefahr im Verzug (GiV) bedürfe es nach § 5 des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland einer nachträglichen Zustimmung, diese müsse aber unverzüglich nachgeholt werden. Aus Sicht des Auswärtigen Amtes handelte es sich bei der „Operation Pegasus“ nicht um einen „bewaffneten Einsatz“, sondern um einen „gesicherten Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung“. Dafür sei eine nachträgliche Zustimmung nicht notwendig gewesen.

Daraufhin reichte die Grünen wegen der fehlenden Beteiligung des Bundestages beim Verfassungsgericht eine Organklage gegen die Bundesregierung ein.

Das Gericht stufte die Operation am 23. September 2015 als „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ ein. Somit wäre eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages erforderlich gewesen. In Abänderung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden die Richter weiter, dass auf eine nachträgliche Zustimmung verzichtet werden kann, wenn der Auslandseinsatz der Bundeswehr wegen „Gefahr im Verzug“ von der Bundesregierung beschlossen worden war und bereits beendet ist, bevor sich der Bundestag erstmals mit dem Einsatz befassen kann. Die Regierung ist dann jedoch verpflichtet, den Bundestag anschließend „unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten“.

Für die beteiligten Soldaten hatten diese Querelen zur Folge, dass ihr Einsatz formal zunächst als „Auslandsdienstreise“ definiert und abgerechnet wurde und sie keinen Auslandsverwendungszuschlag erhielten. Später wurden den Soldaten nachträglich Zulagen wegen „Dienstes zu ungünstigen Zeiten plus eine Mehrarbeitsvergütung“ und ein verringerter Satz des Auslandsverwendungszuschlages ausgezahlt. Als Resultat der unklaren Einstufung des Einsatzes wurde den deutschen Einsatzkräften lange Zeit eine besondere Auszeichnung verweigert. Die anfangs ausgestellten Urkunden für die „Im Einsatz gezeigten Leistungen“ werteten Juristen des Bundesverteidigungsministeriums als ungültig. Im Juli 2022 veröffentlichte die Website der Bundeswehr eine Bekanntmachung, die die Operationen „Libelle“ und „Pegasus“ nun als auszeichnungswürdig deklarierte. Die geschätzten 1.300 Teilnehmer beider Operationen erfüllten demnach die Voraussetzungen für eine Auszeichnung mit der im September 2021 gestifteten Einsatzmedaille „Militärische Evakuierungsoperation“ (MilEvakOp). Abweichend von anderen Einsatzmedaillen, setzt die Verleihung der MilEvakOp keine Mindesteinsatzzeit voraus. Da „begründende Unterlagen“, speziell bei aus dem Dienst ausgeschiedenen Personen, im Fall der Operationen „Libelle“ und „Pegasus“ oft nicht mehr vorlagen, wurden die Betroffenen gebeten, selbst initiativ zu werden. Dazu sollten sie ihre Antragsunterlagen für eine Einsatzmedaille per E-Mail an das jeweils zuständige „Landeskommando der Bundeswehr“ schicken.

„Evakuierungsoperation Afghanistan“

Weil sich die Sicherheitslage nach der Machtübernahme der Taliban dramatisch verschlechtert hatte, unterstützte die Bundeswehr vom 16. bis zum 26. August 2021 die Evakuierungsoperation des Auswärtigen Amtes aus Afghanistan, um deutsche Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sowie einheimische Ortskräfte und ihre Familien und weiteren Schutzbedürftigen in Sicherheit zu bringen. Mit Transportflugzeugen vom Typ A 400M und A 310 wurden insgesamt in 36 Flügen 5.347 Personen aus mindestens 45 Nationen evakuiert und über eine durch die Luftwaffe eingerichtete „Drehscheibe“ im usbekischen Taschkent nach Deutschland ausgeflogen. Die Bundeswehr war bei dieser internationalen Mission eine Führungsnation.

Zur Absicherung und Unterstützung waren unter anderem Fallschirmjäger, Spezialkräfte, Feldjäger, Sanitäter, ein Krisenunterstützungsteam und weitere Spezialisten aus vielen Bereichen der Bundeswehr vor Ort. Am 18. August 2021 bestätigte das Kabinett die Evakuierungsmission. Der Deutsche Bundestag stimmte am 25. August 2021 dem Einsatz nachträglich zu.

Am 26. August wurde die Evakuierungsoperation, wie geplant abgeschlossen, fast zeitgleich, als am North-Gate des Flughafen Kabul, an dem kurz zuvor auch noch deutschen Soldaten kontrolliert hatten, mehrere US-Soldaten durch zwei schwere Explosionen getötet wurden.

Mit der sicheren Ankunft der Hauptkräfte des deutschen Einsatzkontingentes am 26.August 2021 auf dem Fliegerhorst der Luftwaffe in Wunstorf endete die Evakuierungsoperation der Bundeswehr. Mit an Bord waren die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn und der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes Oberstleutnant André Wüstner, die tags zuvor nach Taschkent geflogen waren, um die Soldaten auf ihrem Heimflug zu begleiten.

Vor den zur Verabschiedung angetretenen Soldaten sagte der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr Generalleutnant Erich Pfeffer u.a.: „Der heutige Tag ist angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan kein Grund zum Feiern. Aber, es ist ein Tag zur Würdigung der erfolgreichen Evakuierung von mehr als 5.000 Menschen, ein Tag zur Würdigung Ihres extrem intensiven Einsatzes über nahezu zwei Wochen.“

Die Verteidigungsministerin zeigte sich sehr bewegt und sagte u.a.: Die Soldaten hätten „Unfassbares gesehen und erlebt“ sowie „Unglaubliches geleistet“ und fügte hinzu: „Sie haben das Vertrauen, das wir in Sie gesetzt haben, mehr als erfüllt. Wir stehen tief in Ihrer Schuld.“

Der Kommandeur der Evakuierungsoperation, Brigadegeneral Jens Arlt, erklärte in einem Pressestatement, der Einsatz sei „mit nichts zu vergleichen, was ich bis dato erlebt habe“, jeder sei an seine Belastungsgrenze gegangen. „Dieser Einsatz wird mich prägen, wird uns alle prägen.“ Danach umarmte die Verteidigungsministerin spontan den General, der seine Waffe noch umgehängt hatte.

Die ARD hatte life über die Heimkehr der Truppe aus Wunstorf berichtet, um die deutsche Bevölkerung an dem Ereignis zu beteiligen.

Am 22. September 2021 wurde der Einsatz im niedersächsischen Seedorf bei einem feierlichen Abschlussappell im Beisein der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gewürdigt. Alle Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation sowie des Krisenunterstützungsteams, die vor Ort in Kabul oder in Taschkent eingesetzt waren, wurden mit der neuen „Einsatzmedaille für Militärische Evakuierungsoperationen“ (MilEvakOp) ausgezeichnet.

Am 17. September 2021 hatte bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Brigadegeneral Arlt für seinen beispielgebenden Einsatz das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen– auch stellvertretend für alle anderen an der Mission beteiligten deutschen Soldatinnen und Soldaten.

„Evakuierungsoperation Sudan“

Die Evakuierungsoperation „Sudan“ hat vom 23. – 27. April 2023 stattgefunden und wurde nachträglich einstimmig vom deutschen Bundestag genehmigt. Rund 1.000 Soldaten waren an dieser Operation beteiligt, und mindestens doppelt so viele Angehörige haben während dieses Einsatzes gebangt, ob ihre Liebsten heil und gesund wieder nach Hause kommen.

Über Vorbereitung und Durchführung der Operation ist in den Medien umfassend berichtet worden. Am 28. April 2023 kehrte das Gros der Soldaten nach Deutschland zurück und landete auf dem Lufwaffenfliegerhorst in Wunstorf. An dieser Stelle soll nur der Tagesbefehl des Bundesverteidigungsministers vom 28. April 2023, also nach Ende der erfolgreichen Operation, zitiert werden: 

Soldatinnen und Soldaten, Reservistinnen und Reservisten, 
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!

Am heutigen Tage haben wir die Hauptkräfte der militärischen Evakuierungsoperation aus dem Sudan auf dem Flughafen Wunstorf willkommen geheißen.

Bei dem gefährlichen und komplexen Einsatz haben Soldatinnen und Soldaten des Heeres und der Luftwaffe insgesamt 230 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie über 500 Angehörige befreundeter Nationen aus dem Krisengebiet aufgenommen und ausgeflogen. Ein Einsatzgruppenversorger der Marine stand zudem bereit, weitere deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger über den Seeweg abzuholen.

Unsere Gedanken sind weiterhin bei der Bevölkerung des Sudans. Wir hoffen auf ein schnelles Ende des Konflikts.

Die Bundeswehr hat mit dieser Operation einmal mehr ihre Einsatzfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. In enger Abstimmung der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche mit den Ressorts und unseren internationalen Partnern gelang eine schnelle und effektive Operation zur Rettung unserer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. All dies erforderte eine kontinuierlich hohe Einsatzbereitschaft, den unbedingten Willen zum Erfolg und nicht zuletzt den Mut und die Entschlossenheit jeder einzelnen Soldatin und jedes einzelnen Soldaten. Unser Dank gilt allen an dieser Operation Beteiligten. Wir sind stolz auf Ihre Leistung!

Die Operation im Sudan hat gezeigt: Die Bundeswehr ist da, wenn sie gebraucht wird. 

Die in dieser gefährlichen Lage bewiesene Kaltstartfähigkeit wollen wir flächendeckend in der gesamten Bundeswehr erreichen. Gehen wir mit frischem Mut weiter voran. Wir können das.

von Boris Pistorius und Carsten Breuer 

Zur Begrüßung der heimkehrenden Soldaten, der Angehörigen der Bundespolizei und der Angehörigen des Krisenunterstützungsteams (KUT) des Auswärtigen Amtes hatten sich außer dem Generalinspekteur auch viele Politiker auf dem Luftwaffenflugplatz Wunstorf eingefunden, darunter die Bundesminister Pistorius und Baerbock, die Wehrbeauftragte Eva Högl und die Vorsitzende des Verteidigungsausschuss Frau Strack-Zimmermann. Die heimkehrenden Soldaten wurden von den beiden Ministern begrüßt, die sich bei allen Beteiligten für die erfolgreiche Operation bedankten. Zudem wurde vom Bundesverteidigungsminister angekündigt, dass alle Soldaten mit der Einsatzmedaille ausgezeichnet werden.

Zusammenfassende Bewertung

Die angemessenen finanziellen Aufwendungen für die Bundeswehr und die erforderliche materielle Ausstattung und Bewaffnung der Streitkräfte sind wesentliche Voraussetzungen für deren Einsatzbereitschaft, aber ohne den Einsatzwillen und die Fähigkeiten der Soldatinnen und Soldaten kann eine überzeugende Verteidigungsfähigkeit nicht erreicht werden.  Der Beruf des Soldaten hat eine stark ausgeprägte emotionale Komponente, und deswegen hat die Wertschätzung der Truppe durch die politische Führung und in der Bevölkerung eine ganze besondere Bedeutung. Vordergründige und aus parteipolitischem Kalkül geführte Parlamentsdebatten, kleinkariertes Auslegen von Vorschriften und mangelndes Einfühlungsvermögen in das Denken und Fühlen der Truppe beeinträchtigen die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr mindestens genauso wie eine schlechte materielle Ausstattung der Streitkräfte. Besonders die demonstrative Abwesenheit von Politikern bei der Rückkehr von Soldaten aus Einsätzen, die mit konkreter Lebensgefahr der Soldaten verbunden waren- wie zum Beispiel am Ende der Afghanistan Mission- fügen der Moral der Truppe nachhaltigen Schaden zu.

Dagegen war – wie nach der „Evakuierungsoperation Afghanistan“ – die erneute Anwesenheit vieler Politiker bei der Heimkehr unserer Soldaten aus dem Sudan ein beeindruckender Beweis dafür, dass diese Auswirkungen mittlerweile erkannt wurden. Das wurde mit Sicherheit nicht nur von den beteiligten Männern und Frauen zur Kenntnis genommen, sondern in der gesamten Truppe.

Leider wurde dieses politische Umdenken durch die Berichterstattung in der ARD und im ZDF über die „Evakuierungsoperation Sudan“ – im Gegensatz zur „Evakuierungsoperation Afghanistan“-  der Bevölkerung nicht mehr angemessen vermittelt. Im NDR gab es zwar eine ca. 1 ½ stündige Life-Schalte, aber in der 20.00 Uhr Tagesschau der ARD vom 28.April 2023 wurde erst nach etwa 8 Minuten für die Dauer von 20 Sekunden über den Appell für die heimkehrenden Soldaten berichtet. In den Tagesthemen der ARD dauerte der Bericht am selben Tage immerhin eine ganze Minute. Der erste Beitrag der Sendung befasste sich allerdings mit der Einführung des 49 € Ticket, und dauerte einschließlich des ergänzenden Kommentars insgesamt 12 Minuten.

„49 € Ticket gegen die Rettung von über 700 Menschen unter Einsatz des eigenen Lebens“- alles eine Frage der redaktionellen Schwerpunktsetzung. Im ZDF sah es leider nicht anders aus. In der „Heute-Sendung“ vom 28.04.23 um 19:00 Uhr wurde die Rückkehr der Soldatinnen und Soldaten nach 10 Minuten innerhalb von 20 Sekunden abgehandelt; im „Heute-Journal“ desselben Tages nach 15 Minuten im Nachrichtenüberblick für 20 Sekunden. Im „Heute-Journal Update“ um 00:10 Uhr gab es einen längeren Bericht über die Evakuierungsoperation und die Rückkehr der Truppe. Anschließend wurde der Leiter der „Evakuierungsoperation Sudan“, Generalmajor Dirk Faust, telefonisch interviewt. Wer diese ausführlichere Berichterstattung mitten in der Nacht überhaupt gesehen hat, sei dahingestellt.

Die Begründung für die Schwerpunkte in der Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist immer dieselbe: Man richtet sich nach dem Interesse der Fernsehzuschauer/innen und hat damit vermutlich sogar recht, denn, wie hat einmal jemand gesagt?  Das Verhältnis der Bevölkerung zur Bundeswehr sei von einem „wohlwollenden Desinteresse“ geprägt.

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang allerdings stellt ist, ob die Fernsehanstalten damit ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag gerecht werden.

Am 03. März 2023 hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung von einer Zeitenwende gesprochen und auf dieser Basis auch ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von zusätzlichen 100 Milliarden Euro angekündigt.Dieses Sondervermögen für die Bundeswehr ist ohne die Wertschätzung der Soldaten lediglich eine Summe. Wie bereits angesprochen, beruht die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr und damit auch die Sicherheit unseres Landes auf zwei Säulen. Zum einen sind es die materielle Ausstattung und die sachgerechte Organisation der Streitkräfte und zum anderen die Ausbildung, der Einsatzwillen und der Mut der Soldatinnen und Soldaten. Einsatzwille basiert auf Motivation und Überzeugung, und dafür spielt die Wertschätzung der Truppe durch die Politiker und in der Bevölkerung eine ganz entscheidende Rolle. Um diese Wertschätzung zu erreichen, müssen sich natürlich zunächst die Streitkräfte selbst um eine überzeugende Außendarstellung kümmern, aber diese muss ergänzt werden durch eine in Umfang und Inhalt angemessene und objektive Berichterstattung, vor allem in den großen Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Medien.

Die Umarmung von Brigadegeneral Jens Arlt durch die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer war keine Show, sondern ein spontaner Beweis dafür, dass sie verstanden hat: Der Soldat muss im Einsatz natürlich seinen Kopf benutzen, aber kämpfen und sein Leben einsetzen tut er mit dem Herzen.  

Jürgen Hübschen

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Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, die militärische Unterstützung der Ukraine, das Grundgesetz und der Amtseid des Bundeskanzlers

Es besteht ganz offensichtlich ein Zielkonflikt zwischen dem Erhalt und vor allen Dingen der dringend erforderlichen Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und der umfassenden militärischen Unterstützung der Ukraine. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die derzeitige politische Entscheidung der Bundesregierung zu Gunsten der militärischen Unterstützung der Ukraine mit dem Grundgesetz und dem Amtseid des Bundeskanzlers zu vereinbaren ist.

Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr

Bereits im November 2022 hatte der der oberste Soldat des deutschen Heeres, Heeresinspekteur Generalleutnant Alfons Mais, in einem Artikel der SZ u.a. festgestellt: „Wir haben einen riesigen Aufholbedarf….. Die Bundeswehr ist trotz des Milliardenpakets kaum verteidigungsfähig“. Von dem Geld sei noch nicht viel zu sehen.

Generalleutnant Alfons Mais, sieht kaum Fortschritte bei der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr. Auch acht Monate, nachdem Bundeskanzler Scholz eine Zeitenwende und ein 100-Milliarden-Euro-Paket angekündigt hatte, sei die Lage kaum verändert. Zwar werde seit dem russischen Überfall auf die Ukraine in Deutschland „sachlicher und tiefer“ über Fragen der Sicherheit diskutiert, an der Ausstattung habe sich aber nicht viel getan. Mais wörtlich:

Momentan ist die materielle Einsatzbereitschaft des Heeres nicht größer als am 24. Februar 2022″. Mais hatte am Tag des Kriegsbeginns gewarnt, die Truppe des Heeres, bestehend aus 60.000 Frauen und Männern, stehe „mehr oder weniger blank“ da.

Bislang habe man sich auf Auslandseinsätze konzentriert, und da sei die Verteidigung zu Hause zu kurz gekommen. „Wir verfügen derzeit über keine komplette deutsche Brigade, die sofort und ohne längere Vorbereitungszeit in der Lage wäre, einen Kampfauftrag über mehrere Wochen durchzuführen. Das müssen wir angesichts der Lage schnell ändern“, erklärte Mais. Unter anderem in der Artillerie sieht er „riesigen Aufholbedarf“.

Der Heeresinspekteur wörtlich: „Das Heer, so wie es heute dasteht, verfügt noch über vier Artillerie-Bataillone, etwa 100 Panzerhaubitzen und knapp 40 Raketenwerfer MARS. Von denen ist tagesaktuell immer nur ein Teil einsatzbereit. Das macht mir mit Blick auf die Zukunft große Sorgen.“ Zu Zeiten des Kalten Krieges sei die Artillerie-Truppe größer als die gesamte Marine gewesen. Das sei nicht mehr notwendig. „Aber wir wollen die Zahl der Bataillone auf mehr als das Doppelte erhöhen. Dazu brauchen wir zusätzliche Geschütze und Raketenwerfer…Für uns so wichtige Projekte wie die Nachrüstung beziehungsweise Stückzahlerhöhung des Schützenpanzers Puma, Radfahrzeuge für die Mittleren Kräfte, neue Hubschrauber, Drohnenschutz – über all diese Vorhaben müssen wir jetzt entscheiden, denn es dauert, bis die Waffen produziert sind„, mahnte er.

Die Verbände seien aus dem Stand nicht fähig, die Landes-und Bündnisverteidigung sicherzustellen.

Getan hat sich offensichtlich bislang wenig, wenn man liest, was der Heeresinspekteur am 12. April 2023 in einem Artikel in der SZ sagt, in dem es u.a. um Deutschlands Zusagen an die NATO geht. Konkret geht es um eine voll ausgestattete Heeresdivision, die Deutschland in der Amtszeit von Verteidigungsministerin Lamprecht für 2025, also 2 Jahre früher als geplant, der NATO zugesagt hatte. Generalleutnant Mais geht davon aus, dass diese Heeresdivision mit ca. 15.000 Soldaten nur bedingt einsatzbereit sein wird, weil es der Bundeswehr weiterhin fast an allem fehle: Personal, Gerät, Munition. Mais wörtlich: „Zurzeit sind selbst bei Rückgriff auf die Bestände des ganzen Heeres 256 von insgesamt 1.139 Positionen zu weniger als 60% verfügbar “. Und selbst, wenn umgehend z.B. neue Leopard Kampfpanzer bestellt würden, um das durch die Lieferung an die Ukraine entstandene Fehl aufzufüllen, kämen diese nicht rechtzeitig bis 2025.

 Bereits im November 2022 hatte Generalleutnant Mais festgestellt, dass die massive Waffenhilfe der Bundesregierung an die Ukraine für die lediglich bedingte Einsatzbereitschaft der Bundeswehr eine große Rolle spiele. Mais wörtlich: „Das ist als politische Entscheidung angesichts der Lage auch völlig nachvollziehbar. Es dauert allerdings, bis wir dieses Material ersetzt bekommen. Unterm Strich heißt das: Es ist weniger da als vor dem Kriegsbeginn.“

Die militärische Unterstützung der Ukraine durch die Bundesrepublik Deutschland.

Deutschland unterstützt die Ukraine mit Ausrüstungs- und Waffenlieferungen – aus Beständen der Bundeswehr und durch Lieferungen der Industrie, die aus Mitteln der s.g.  „Ertüchtigungshilfe“ der Bundesregierung finanziert werden. Dazu veröffentlicht die Bundesregierung regelmäßig eine listenmäßige Übersicht.

Um die Dimension der militärischen Unterstützungsleistungen einmal aufzuzeigen, sollte man sich die von der Bundesregierung veröffentlichte Liste aller militärischen Unterstützungsleistungen mit Stand vom 06. April 2023 – trotz oder gerade wegen ihrer Länge- einmal im Detail ansehen. Die aufgeführten Positionen sind natürlich von unterschiedlicher Bedeutung für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte, aber ihnen ist gemeinsam, dass Material, Waffen, Gerät und Munition in der Bundeswehr ja nicht über dem Soll vorhanden war/ist, sondern in vielen Fällen ein vorhandenes Defizit noch vergrößert hat.

Wie bereits erwähnt, umfasst die Liste Lieferungen aus Beständen der Bundeswehr – und solche der deutschen Industrie, die aus Mitteln der „Ertüchtigungshilfe“ der Bundesregierung finanziert werden.

Das Material, das die Bundesrepublik auch hätte liefern können, ohne die Auflagen des Kriegswaffenkontrollgesetztes aufzuheben, nämlich keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern, wurden von mir markiert. Einige dieser Positionen könnte/müsste man bei strenger Auslegung dieses Grundsatzes einer „Grauzone“* zuordnen.

Offizielle Liste der gelieferten militärischen Unterstützungsleistungen:

  • 60 LKW Zetros
  • 42 mobile Antennenträgersysteme*
  • 32 Aufklärungsdrohnen
  • 83.520 Schuss Munition 40mm
  • 18 Kampfpanzer LEOPARD 2 A6 mit Munition (gemeinsames Projekt mit weiteren LEOPARD 2 Nutzerstaaten)
  • 40 Schützenpanzer MARDER mit Munition (aus Bundeswehr- und Industriebeständen)
  • 2 Bergepanzer 3
  • 2 Minenräumpanzer WISENT 1
  • 160.000 Erste-Hilfe Kits
  • 103.000 Tourniquet (Hilfe zum Abbinden)
  • 100 MG3 für LEOPARD 2, MARDER und DACHS
  • Ersatzteile für LEOPARD 2 und MARDER
  • 90 Drohnensensoren
  • 500 Pistolen SFP9
  • 2 Hangar-Zelte
  • 23.500 Schuss 155 mm Artilleriemunition
  • 155mm Präzisionsmunition
  • Munition für Mehrfachraketenwerfer MARS II
  • 8 Gabelstapler
  • 295 Stromerzeuger
  • 34 Flakpanzer GEPARD inklusive ca. 6.000 Schuss Flakpanzermunition
  • 122 Grenzschutzfahrzeuge
  • 6 Brückenlegepanzer BIBER
  • 10 Wintertarnnetze
  • 26 Wechselladesysteme 15t
  • 32 Bandbreitenerweiterungen für elektronische Drohnenabwehrgeräte
  • 10 Abrollplattformen
  • Flugkörper IRIS-T SLM*
  • 3 mobile, ferngesteuerte und geschützte Minenräumgeräte*
  • 40 Laserzielbeleuchter
  • 12 Sattelzugmaschinen und 4 Sattelaufleger*
  • 145 Pick-up
  • 8 mobile und geschützte Minenräumgeräte*
  • 168 Feldheizgeräte
  • 20 Raketenwerfer 70mm auf Pick-up Trucks mit Raketen
  • 15 Bergepanzer 2
  • 12 Schwerlastsattelzüge M1070 Oshkosh*
  • 7 ferngesteuerte Kettenfahrzeuge für Unterstützungsaufgaben*
  • 35 LKW 8×8 mit Wechselladesystem*
  • 36 Krankenkraftwagen
  • 36.400 Wolldecken
  • 12 Schwerlastsattelzüge*
  • 55 Drohnenabwehrsensoren und -jammer
  • 50 Allschutz-Transport-Fahrzeuge Dingo*
  • 10 Überwasserdrohnen
  • 14.000 Schlafsäcke
  • Mi-24 Ersatzteile
  • Ersatzteile schweres Maschinengewehr M2
  • 17 schwere und mittlere Brückensysteme
  • 5 Mehrfachraketenwerfer MARS II mit Munition
  • 14 Panzerhaubitzen 2000 (gemeinsames Projekt mit den Niederlanden)
  • Luftverteidigungssystem Iris-T SLM
  • 200 Zelte
  • 116.000 Kälteschutzjacken
  • 80.000 Kälteschutzhosen
  • 240.000 Wintermützen
  • 405.000 Rationen Einpersonenpackungen (EPa)
  • 67 Kühlschränke für Sanitätsmaterial
  • Artillerieortungsradar COBRA
  • 4.000 Schuss Flakpanzerübungsmunition 
  • 54 M113 gepanzerte Truppentransporter mit Bewaffnung (Systeme aus Dänemark, Umrüstung durch Deutschland finanziert)  
  • 53.000 Schuss Flakpanzermunition
  • 3.000 Patronen „Panzerfaust 3“ zuzüglich 900 Griffstücke
  • 14.900 Panzerabwehrminen (davon 9300 aus Ertüchtigungsinitiative)
  • 500 Fliegerabwehrraketen STINGER
  • 2.700 Fliegerfäuste STRELA 
  • 22 Millionen Schuss Handwaffenmunition
  • 50 Bunkerfäuste
  • 100 Maschinengewehre MG3 mit 500 Ersatzrohren und Verschlüssen
  • 100.000 Handgranaten
  • 5.300 Sprengladungen
  • 100.000 Meter Sprengschnur und 100.000 Sprengkapseln
  • 350.000 Zünder
  • 10 Antidrohnenkanonen 
  • 100 Auto-Injektoren
  • 28.000 Gefechtshelme
  • 15 Paletten Bekleidung
  • 280 Kraftfahrzeuge (Lkw, Kleinbusse, Geländewagen) *
  • 6 Paletten Material für Kampfmittelbeseitigung
  • 125 Doppelfernrohre
  • 1.200 Krankenhausbetten
  • 18 Paletten Sanitätsmaterial, 60 OP-Leuchten
  • Schutzbekleidung, OP-Masken
  • 600 Schießbrillen
  • 1 Radiofrequenzsystem
  • 3.000 Feldfernsprecher mit 5.000 Rollen Feldkabel und Trageausstattung
  • 1 Feldlazarett (gemeinsames Projekt mit Estland)
  • 353 Nachtsichtbrillen 
  • 12 elektronische Drohnenabwehrgeräte 
  • 165 Ferngläser 
  • Sanitätsmaterial (unter anderem Rucksäcke, Verbandspäckchen)
  • 38 Laserentfernungsmesser 
  • Kraftstoff Diesel und Benzin (laufende Lieferung)
  • 10 Tonnen AdBlue
  • 500 Stück Wundauflagen zur Blutstillung 
  • MiG-29 Ersatzteile
  • 30 sondergeschützte Fahrzeuge*
  • 7.944 Panzerabwehrhandwaffen RGW 90 Matador
  • 6 Lkw Fahrzeugdekontaminationspunkt HEP 70 inklusive Material zur Dekontaminierung 
  • 10 Fahrzeuge HMMWV (8x Bodenradarträger, 2x Jammer/Drohnenträger)
  • 7 Störsender
  • 8 mobile Bodenradare und Wärmebildgeräte
  • 1 Hochfrequenzgerät inkl. Ausstattung

Militärische Unterstützungsleistungen in Vorbereitung/Durchführung:

(Aus Sicherheitserwägungen sieht die Bundesregierung bis zur erfolgten Übergabe von weiteren Details insbesondere zu Modalitäten und Zeitpunkten der Lieferungen ab.)

  • 6.350 Schuss Artilleriemunition 155 mm
  • Flugkörper für Iris-T SLM
  • 20 Brückenlegepanzer BIBER
  • 300.000 Schuss Gepard Munition
  • 2 Luftraumüberwachungsradare*
  • 78 Sattelzugmaschinen und 86 Sattelauflieger*
  • Luftverteidigungssystem PATRIOT mit Flugkörpern
  • 8 mobile Antennenträgersysteme
  • 40.000 Erste-Hilfe Kits
  • 108 Aufklärungsdrohnen
  • 1 Schwerlastsattelzüge M1070 Oshkosh*
  • 17 Feldheizgeräte
  • 18 Radhaubitzen RCH 155
  • 7 LKW 8×6 mit Wechselladesystem mit 18 Abrollplattformen*
  • 3 Flakpanzer GEPARD
  • 7 ferngesteuerte Kettenfahrzeuge für Unterstützungsaufgaben
  • 6 mobile und geschützte Minenräumgeräte*
  • 40 Minenräumpanzer WISENT 1
  • 5 mobile Aufklärungssysteme (auf Kfz)
  • 378 Grenzschutzfahrzeuge
  • 132.480 Schuss Munition 40mm Granatwerfer
  • 1 Pionierpanzer Dachs
  • 3 schwere und mittlere Brückensysteme
  • 16 Panzerhaubitzen Zuzana 2 (gemeinsames Projekt mit Dänemark und Norwegen)
  • 78 Schwerlastsattelzüge*
  • 3 Luftverteidigungssysteme IRIS-T SLM
  • 12 Frequenzscanner/Frequenzjammer
  • Feldlazarett (Rolle 2)
  • 8 Bandbreitenerweiterungen für elektronische Drohnenabwehrgeräte
  • 2 Zugmaschinen und 4 Auflieger 
  • 10 geschützte Kfz
  • Fahrzeugdekontaminationspunkt
  • 5.032 Panzerabwehrhandwaffen 
  • 140 LKW Nutzfahrzeuge

* Dieses Material könnte man der angesprochenen „Grauzone“ zuordnen.

Auf das Aufzeigen des finanziellen Aspekts der aufgeführten Unterstützungsleistungen wurde von mir bewusst verzichtet.

Das Grundgesetz als rechtliche Grundlage für die Bundeswehr

Das Grundgesetz ist die entscheidende rechtliche Grundlage für die Aufstellung und Existenz der Bundeswehr. Es heißt dazu im Artikel 87a (1) GG: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“  Damit ist in erster Linie gemeint: Die Bundeswehr verteidigt Deutschlands Souveränität und territoriale Integrität. Das kann national oder im Bündnisrahmen erfolgen, also im Rahmen der NATO und der EU oder auf der Basis eines UN-Mandats. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und deshalb ist, vor allem bei Auslandseinsätzen, eine vorherige Genehmigung durch den Deutschen Bundestag verpflichtend.

Der Amtseid des Bundeskanzlers und der Bundesminister

Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag ebenfalls den in Artikel 56 vorgesehenen Eid (Art. 64 Abs. 2 GG).

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe.) “

Zusammenfassende Bewertung

Die Aussagen des Heeresinspekteurs beschreiben einen offensichtlichen Zielkonflikt, nämlich entweder die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu garantieren oder die Ukraine militärisch zu unterstützen und das offensichtlich unter Inkaufnahme einer weiteren Verschlechterung der ohnehin nur bedingt gegebenen Fähigkeit der Streitkräfte zur Landes- und Bündnisverteidigung. Die Bundesregierung hat in diesem Konflikt eine Entscheidung zu Gunsten der militärischen Unterstützung der Ukraine getroffen, und damit verstoßen der Bundeskanzler, ebenso wie die Bundesminister, gegen den geleisteten Amtseid.

Die Aufhebung des Kriegswaffenkontrollgesetzes ist das Eine, aber die Waffen zu Lasten der Bestände der Bundeswehr zu liefern, ist das Andere, und das ist mit dem Amtseid nicht zu vereinbaren. Besonders deutlich wird dieser Verstoß am Beispiel des Luftverteidigungssystems „IRIS-T-SLM“, das statt der geplanten und dringend erforderlichen Einführung in die Bundeswehr, an die Ukraine geliefert wurde.

Ein weiterer Aspekt, der in der Liste der Bundesregierung gar nicht berücksichtigt wird, ist die indirekte Unterstützung der Ukraine, z.B. durch die Stationierung von „Patriot“ Luftabwehrsystemen in der Slowakei und in Polen zu Lasten der Luftverteidigung Deutschlands.  

In Kenntnis, dass die Bundeswehr schon zu Beginn des Krieges in der Ukraine nur bedingt in der Lage war, ihren im Grundgesetz verankerten Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung wahrzunehmen, wiegt die Verletzung des Amtseides doppelt schwer. Die Bundeswehrausstattung entsprach schon am 24. Februar 2022 in vielen Bereichen nicht dem vorgegebenen Soll; Überbestände waren überhaupt nicht vorhanden. Daraus folgt, dass die gesamte militärische Unterstützung der Ukraine zu Lasten der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte geleistet wurde und zwar in den Bereichen Material, Geräte, Waffen und Munition annähernd gleichermaßen. Das ist grundsätzlich nicht akzeptabel, wäre aber aus politischen Überlegungen im Zweifelsfall noch nachvollziehbar, wenn die Unterstützung im Rahmen des Kriegswaffenkontrollgesetzes geleistet worden wäre und weiterhin stattfinden würde. Das ist aber nicht der Fall. Aus der dargestellten offiziellen Liste der Bundesregierung geht deutlich hervor, dass man wesentliche Unterstützungsleistungen hätte erbringen können, ohne gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu verstoßen. Damit wäre die Bundesregierung konsequent geblieben und hätte sich außerdem die Option bewahrt, sich als Vermittler anzubieten, um diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Stattdessen wurden und werden immer mehr und immer schwerere Waffen geliefert. Zusätzlich wird durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland an Waffensystemen, die von der Bundesrepublik an die Ukraine geliefert wurden, das Risiko in Kauf genommen, dadurch selbst zur Kriegspartei zu werden.

Mittlerweile ist die Bundesrepublik Deutschland durch ihre militärische Unterstützung der Ukraine zur europäischen Speerspitze im Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA geworden und das zu Lasten der eigenen Verteidigungsfähigkeit.

Dadurch, dass die CDU/CSU als mit Abstand größte Oppositionspartei die Regierungspolitik der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht nur uneingeschränkt unterstützt, sondern sogar immer wieder eine Ausweitung der Unterstützungsleistungen fordert, ist eine Änderung dieser Politik, durch die letztlich die Sicherheit der deutschen Bevölkerung zunehmend gefährdet wird, nicht zu erwarten.

Jürgen Hübschen

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Der NATO- Beitritt Finnlands- mehr Sicherheit für Europa?

Am 04. April 2023 ist Finnland das 31ste Mitgliedsland der NATO geworden. Dieser Beitritt zum das nordatlantischen Bündnis hat nicht nur Auswirkungen für Finnland selbst, sondern auch für andere Bündnispartner und natürlich auch für Staaten, die nicht dem Bündnis angehören. Somit stellt sich die Frage, welche Konsequenzen diese erneute Ost-Erweiterung der NATO für die Sicherheit Europas in seiner Gesamtheit hat. 

Kurzer historischer Rückblick

In diesem Zusammenhang ist es durchaus wichtig, sich die wesentlichen Fakten der geopolitischen Entwicklung Europas nach dem Ende des 2. Weltkrieges in Erinnerung zu rufen.

Staaten/Republiken der ehemaligen Sowjetunion (UDSSR)

Armenien, Aserbeidschan, Estland (Sowjetrepublik), Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland (Sowjetrepublik), Litauen (Sowjetrepublik), Moldawien, Russische Föderation, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland.

Zwischen dem 11. März 1990 und dem 25. Dezember 1991 wurde die UDSSR aufgelöst

Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes (WP):

Neben der UDSSR gehörten Albanien, Bulgarien, DDR, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei und Ungarn zum Warschauer Pakt. Der WP wurde am 1. Juli 1991 aufgelöst

NATO Mitglieder, die früher zur UDSSR und/oder zum Warschauer Pakt gehörten mit dem Jahr ihres Beitritts

Albanien (2009), Bulgarien (2004), ehemalige DDR (mit der deutschen Wiedervereinigung) , Estland (2004 ), Lettland ( 2004) , Litauen (2004), Polen (1999) , Rumänien ( 2004 ) Slowakei ( 2004) , Tschechische Republik (1999)  und Ungarn (1999) 

Das heißt im Klartext: 10, bzw. 11 Staaten – weil die Tschechoslowakei sich geteilt hat in die Tschechische Republik und die Slowakei – von 14 Staaten/Republiken, die unter der Vorherrschaft der UDSSR standen, haben sozusagen zwischen 1999 und 2004 de facto die Seiten gewechselt haben. Um das richtig einordnen zu können, sollte man sich diese Veränderungen einmal auf der Karte ansehen.

Die Erweiterung der NATO zwischen 1949 und 2022

Die NATO wurde 1949 von 12 Mitgliedsstaaten gegründet- der Warschauer Pakt übriges erst 1955. Bis 2022 gehörten 30 Staaten dem Bündnis an. Zuletzt beigetreten waren 2017 Montenegro und 2020 Nord Mazedonien. Der von den USA angestrebte Beitritt Georgiens und der Ukraine scheiterte 2008, weil Deutschland und Frankreich unter Berufung auf Artikel 10 des NATO Vertrages ihre Zustimmung versagten und damit die erforderliche Einstimmigkeit nicht gegeben war.

Artikel 10 des NATO Vertrages

Weil dieser Artikel 10 des NATO Vertrages aktuell beim Beitritt Finnlands eine wesentliche Rolle gespielt hat, ist es wichtig, sich seinen Originaltext vor Augen zu führen:

„The Parties may, by unanimous agreement, invite any other European State in a position to further the principles of this Treaty and to contribute to the security of the North Atlantic area to accede to this Treaty. Any State so invited may become a Party to the Treaty by depositing its instrument of accession with the Government of the United States of America. The Government of the United States of America will inform each of the Parties of the deposit of each such instrument of accession”. (Die Mitgliedsstaaten dürfen einvernehmlich jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Prinzipien dieses Vertrages zu fördern und einen Beitrag zur Sicherheit des nordatlantisches Gebietes zu leisten, einladen, diesem Vertrag beizutreten. Jeder Staat der auf diese Weise eingeladen wurde, kann ein Mitglied dieses Vertrages werden, indem er sein Beitrittsdokument bei der Regierung der Vereinigten Staaten hinterlegt. Die Regierung der Vereinigten Staaten wird jedes Mitgliedsland über diese Hinterlegung der Beitrittserklärung informieren.)

Der offizielle NATO-Beitritt Finnlands

Am 04. April 2023 wurde im NATO Hauptquartier in Brüssel im Beisein des amerikanischen Außenministers Antony Blinken der formelle Beitritt Finnlands vollzogen. Finnland war durch seinen Außenminister Pekka Haavisto vertreten, die NATO durch ihren Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Um deutlich zu machen, wie die „Rollenverteilung“ zwischen den USA, dem NATO Generalsekretär und einem neuen Nato-Mitglied aussieht, macht es Sinn, sich den Ablauf des  formalen Akts zum NATO- Beitritt einmal vor Augen zu führen:

SECRETARY BLINKEN:  Well, Secretary General, Mr. Minister, I’m delighted to report that just a few moments ago, Türkiye deposited with me, on behalf of the United States, Türkiye’s ratification of the instrument of acceding to the protocol for Finland’s accession to NATO .And with the receipt and submission of that protocol, I can say that the protocol is now in force

SECRETARY GENERAL STOLTENBERG:  “Thanks so much.  This is great news, Secretary Blinken. And with that, I can actually then hand over to you, Minister Haavisto, the formal invitation on behalf of all the Allies for the Republic of Finland to accede to the North Atlantic Treaty.  So, please

FOREIGN MINISTER HAAVISTO:  “Thank you.”

SECRETARY GENERAL STOLTENBERG:  “And then at the same time, I’d also invite you to deposit your documents of accession to the U.S. Government, here represented by Secretary Blinken.”

FOREIGN MINISTER HAAVISTO:  “Thank you, Mr. Secretary General.  Thank you, Secretary Blinken.  Now that I’ve got this invitation, it’s my great pleasure to deposit with the Secretary of State of the United States of America Finland’s Instrument of Accession to the North Atlantic Treaty. Please.”

(The deposit of Finland’s Instruments of Accession to the North Atlantic Treaty took place.) ( Die Hinterlegung der Beitrittsdokumente  zum NATO Beitritt Finnlands wird vollzogen.)

SECRETARY BLINKEN:  “Thank you very much. Well, with receipt of this Instrument of Accession, we can now declare that Finland is the 31st member of the North Atlantic Treaty.  (Applause.)

SECRETARY GENERAL STOLTENBERG:  “Congratulations”

SECRETARY BLINKEN:  “Welcome”

FOREIGN MINISTER HAAVISTO:  “And since we are now a member of NATO, we have a very important task. And the task is actually to give to you for the deposit also our ratification for Swedish membership.  This is our first act as a member state.  Please.”

SECRETARY BLINKEN:  “Thank you, Pekka.  I’m delighted to receive this on behalf of Finland.  Thank you very much.”

FOREIGN MINISTER HAAVISTO:  „Thank you“.

SECRETARY GENERAL STOLTENBERG:  Thank you. And then we welcome Finland to the Alliance, and we also appreciate that you have agreed also to invite Sweden.  So this ends this moment, and then we will continue outside the building in just a moment.  So thank you so much.”

SECRETARY BLINKEN:  “Thank you”.

FOREIGN MINISTER HAAVISTO:  “Thank you.”

( Außenmnister Blinken: „Herr Generalsekretär, Herr Minister, ich bin erfreut zu berichten, dass gerade vor wenigen Augenblicken, die Türkei bei mir, als Vertreter der Vereinigten Staaten, die Ratifizierung des Beitrittsdokuments für den NATO Beitritt Finnlands hinterlegt hat. Und mit der Entgegennahme und Annahme der Niederschrift, kann ich sagen, dass das Verfahren nunmehr in Kraft ist.“

NATO Generalsekretär Stoltenberg: „Herzlichen Dank. Dies sind großartige Neuigkeiten, Außenminister Blinken. Und damit kann ich Ihnen, Minister Haavisto, im Namen aller NATO-Mitgliedsländer, die offizielle Einladung an die Republik Finnland überreichen, der NATO beizutreten. Bitte sehr. “

Außenmnister Haavisto:  “Vielen Dank”

NATO Generalsekretär Stoltenberg : Und gleichzeitig bitte ich Sie, ihre Beitrittsdokumente bei der US Regierung zu hinterlegen, die hier durch Außenminister Blinken vertreten wird.“ 

Außenmnister Haavisto: “Danke, Herr Generalsekretär, danke Außenmnister Blinken.

Jetzt, nachdem ich die Einladung erhalten habe, ist es mir eine große Freude, Finnlands Beitrittsdokumente beim Außenminister der Vereinigten Staaten zu hinterlegen. Bitte“

(Die Hinterlegung der Beitrittsdokumente zum NATO Beitritt Finnlands wird vollzogen.)

Außenmnister Blinken “Herzlichen Dank, wir können jetzt verkünden, dass Finnland das 31ste Mitglied der NATO ist.“

NATO Generalsekretär Stoltenberg: Glückwünsche”

Außenmnister Blinken: “Gern”

Außenmnister Haavisto: „Und seit wir ja jetzt ein MATO Mitglied sind, haben wir einen wichtigen Auftrag. Und dieser Auftrag ist, Ihnen unsere Ratifizierung für die NATO Mitgliedschaft Schwedens zu hinterlegen. Das ist unsere erste Aktion als Mitgliedsstaat. Bitte“.

Außenminister Blinken: „Danke, Pekka, ich bin erfreut diese im Auftrag Finnlands entgegenzunehmen.  Herzlichen Dank.“

Außenmnister Haavisto:Danke“

NATO Generalsekretär Stoltenberg: „Vielen Dank. Und jetzt heißen wir Finnland in der Allianz willkommen und wir begrüßen es, dass Sie zugestimmt haben, Schweden einzuladen. Damit ist dieser Teil beendet und wir werden die Zeremonie in wenigen Augenblicken vor dem Gebäude fortsetzen.“)

Außenmnister Blinken: „Danke”.

Außenmnister Haavisto: „Danke“

Die Bedeutung des NATO Beitritts Finnlands.

Die Bedeutung für Finnland selbst

Finnland hat seine traditionelle politische Unabhängigkeit aufgegeben, weil das Land sich von einem NATO Beitritt mehr Sicherheit verspricht. In Helsinki war und ist man sich offensichtlich darüber im Klaren, dass die eigene Armee im Falle eines russischen Angriffs nicht in der Lage sein würde, das Land zu verteidigen. Der entscheidende Grund für diese Entscheidung war/ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine und zwar besonders vor dem Hintergrund der etwa 1.300 km langen gemeinsamen Grenze mit Russland. Nach vorliegenden Berichten stimmen 80% der Finnen dem NATO Beitritt ihres Landes zu. 20% sind der Meinung, dass es besser gewesen wäre, den neutralen Status beizubehalten, weil keine konkrete Gefahr durch den russischen Nachbarn gesehen wird und außerdem, weil Finnland jetzt nicht mehr als Vermittler bei internationalen Krisen agieren kann.

Finnlands Präsident Sauli Niinistö bezeichnete den NATO-Beitritt seines Landes als Beginn einer neuen Ära. Die Zeit der militärischen Bündnisfreiheit seines Landes sei nun zu Ende gegangen, erklärte das finnische Staatsoberhaupt.

Auf einer Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg in Brüssel sagte er: „Es ist ein großartiger Tag für Finnland.“ Die NATO-Mitgliedschaft verschaffe Finnland Sicherheit, gleichzeitig werde auch die Verteidigungsallianz durch die Mitgliedschaft sicherer, so Niinistö. „Finnland, das der Sicherheit aller NATO-Mitgliedsstaaten verpflichtet ist, wird ein zuverlässiger Verbündeter sein, der die regionale Stabilität stärkt.“ Die finnische Mitgliedschaft richte sich gegen niemanden.

Die Bedeutung für die NATO

Die Aufnahme Finnlands erfolgte genau 74 Jahre nach der Gründung der NATO am 4. April 1949 in Washington. NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, er könne sich kaum etwas Besseres vorstellen, als diesen Geburtstag mit dem Beitritt Finnlands zu feiern. Er machte deutlich, „dass er den Beitritt Finnlands als Zeichen für ein Scheitern der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin sieht“. Ein erklärtes Ziel der Invasion in die Ukraine sei es gewesen, weniger NATO an der russischen Grenze zu haben und neue Mitgliedschaften zu verhindern. Nun bekomme Putin genau das Gegenteil, nämlich mehr NATO-Truppen im östlichen Teil des Bündnisses und mehr NATO-Mitglieder. Zugleich betonte Stoltenberg, dass es für Russland keinerlei Grund gebe, sich durch die „Norderweiterung“ bedroht zu fühlen. Er widersprach auch Darstellungen, das Bündnis wolle Russland regelrecht einkreisen, und die NATO begründet das wie folgt: Nach vorliegenden Statistiken hat Russland eine Landgrenze von insgesamt 22.407 km, davon bislang 1.317 km mit NATO-Staaten und zwar mit 324km mit Estland ,332km mit Lettland,191km mit Norwegen und zusätzlich durch den Kaliningrader Oblast 261 km mit Litauen und 209 km mit Polen. Durch den Beitritt Finnlands erhöht sich die Grenze zu NATO-Staaten um etwa 1.300 km.

Die Überwachung der Ostsee wird durch den Beitritt Finnlands erheblich verbessert und durch den geplanten Beitritt Schwedens weiter ausgebaut, so dass die Ostsee dann, abgesehen vom russischen Kaliningrader Oblast, auf beiden Seiten praktisch von NATO-Staaten „eingerahmt“ ist.

Stoltenberg erwähnte nicht, dass sich durch die finnische Mitgliedschaft die direkte Grenze zwischen der NATO und Russland um rund 1.300 Kilometer verlängern und damit ziemlich genau verdoppeln wird. Im Klartext ist dies für die NATO eine ganz entscheidende Ausweitung der Bündnisverpflichtung gemäß Artikel 5 des NATO Vertrages. Auch wenn die finnischen Streitkräfte über eine hohe Einsatzbereitschaft verfügen, sind sie mit einer Antrittsstärke von lediglich 12.000 Soldaten nicht in der Lage, das Land alleine zu verteidigen. Auch die hohe Anzahl von Reservisten würde das vermutlich nicht ändern, weil viele Angehörige der Reserve relativ alt sind und zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr geübt haben. Eine weitere Frage ist, ob die grundsätzlich sehr gut ausgerüsteten finnischen Streitkräfte auch dann noch über genügend moderne Waffensysteme verfügen, wenn sich die Personalstärke durch einberufene Reservisten immens erhöhen würde.

Deshalb kann durchaus kontrovers diskutiert werden, ob die Forderung aus Artikel 10 des NATO-Vertrags, nämlich ob der Beitritt Finnlands zur NATO tatsächlich auch einen Beitrag zur Sicherheit des Bündnisses darstellt, „to contribute to the security of the North Atlantic area to accede to this Treaty.“ Ich persönlich glaube das nicht, weil sich die Beistandsverpflichtung der NATO durch die rund 1.300 km lange finnisch-russische Grenze immens erhöht, während die finnische Armee mit einer Antrittsstärke von lediglich 12.000, wenn auch gut ausgebildeten und modern ausgerüsteten, aktiven Soldaten die Verteidigungsfähigkeit der NATO nicht in einem vergleichbaren Maße verbessert. Daran ändert auch die hohe Zahl von Reservisten nichts.

Die Bedeutung für andere europäische Mitgliedsstaaten

Aus Sicht der baltischen Staaten erhöht sich deren Sicherheit auf Grund der geografischen Nähe Finnlands. Das gilt im besonderen Maße für die beiden Länder Estland und Lettland, die gemeinsame Grenzen mit Russland haben, während Litauen ja lediglich an den Kaliningrader Oblast grenzt.

Für die übrigen europäischen NATO- Länder ändert sich an der jeweiligen nationalen Sicherheit durch den Beitritt Finnlands nichts. In der Gesamtbetrachtung ihrer Sicherheit hat sich die Bündnisverpflichtung durch die ca. 1.300 km lange finnisch-russische Grenze allerdings erheblich ausgeweitet, weil diese ein wesentliches Sicherheitsrisiko darstellt. Daran ändert auch das militärische Potential der USA auf der anderen Seite des Atlantiks nichts.

Die Bedeutung für die USA

Der gesamte Ablauf des NATO-Beitritts Finnlands hat unmissverständlich verdeutlicht, dass die Fäden in einem solchen Vorgang nicht in Brüssel, sondern in Washington gezogen werden. Es ist schwer nachvollziehbar, warum auch heute noch alle relevanten Dokumente im Zusammenhang mit der NATO-Mitgliedschaft in Washington und nicht in Brüssel aufbewahrt werden und warum der NATO-Oberbefehlshaber immer ein amerikanischer und nie ein europäischer General ist, obwohl 30 Mitgliedsstaaten zu Europa gehören.

Wie für die europäischen Mitgliedsländer der NATO erhöht sich für die USA zwar auf der einen Seite ebenfalls die Bündnisverpflichtung nach Art. 5 des Vertrages wegen der langen gemeinsamen Grenze zwischen Finnland und Russland ganz erheblich, aber auf der anderen Seite verstärkt Washington seinen sicherheitspolitischen Einfluss in Europa deutlich. Hinzu kommt, dass die USA durch den Beitritt Finnlands direkt an der russischen Grenze präsent sein werden. Es ist davon auszugehen, dass es in naher Zukunft auch amerikanische Stützpunkte in Finnland geben wird. Um formal nicht gegen die 2+4 Abmachungen zu verstoßen, werden US-Truppen vermutlich zunächst rotierend in Finnland stationiert werden, um nach einer Übergangsphase, so wie aktuell in Polen, permanent vor Ort zu bleiben.

Außerdem dürften die Lieferungen amerikanischer Waffen deutlich zunehmen.

Last, but not least haben die USA ihre Position gegenüber Russland durch die erneute Erweiterung der NATO gestärkt und Präsident Putin klargemacht, dass über eine Vergrößerung der NATO nicht in Moskau, sondern letztlich in Washington entschieden wird.

Die Bedeutung für Russland

Genau das musste der russische Präsident Putin zur Kenntnis nehmen. Mit dem Angriffskrieg in der Ukraine hat Russland bislang wenig bis nichts erreicht, sondern – sicherlich unbeabsichtigt- zur Stärkung der NATO und zur Einigkeit der EU beigetragen.

Aus russischer Sicht ist der Beitritt Finnlands eine Provokation und eine Bedrohung der eigenen Sicherheit. Präsident Putin hat in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass er mit der NATO-Erweiterung in Richtung Russland ein großes Problem hat. Entsprechend reagierte Moskau in den vergangenen Monaten auf den Beitrittsprozess Finnlands. Das russische Außenministerium kritisierte, ein Beitritt des Nachbarn werde den russisch-finnischen Beziehungen schweren Schaden zufügen. „Russland wird gezwungen sein, entsprechend zu antworten – in militärisch-technischer und in anderer Hinsicht -, um den Gefahren mit Blick auf seine nationale Sicherheit Rechnung zu tragen“. Wie Russland auf die erneute Erweiterung reagieren wird und vor allem darauf, dass das Bündnis jetzt erheblich umfassender an die russische Grenze herangerückt ist, bleibt abzuwarten. Ändern kann und wird er daran nichts, aber sicherlich seine Präsenz auf der russischen Seite verstärken. 

Die Bedeutung für die Sicherheit Europas und zusammenfassende Bewertung

Nicht nur im Zusammenhang mit der Sicherheit Europas ist es grundsätzlich erforderlich, nach dem Grundsatz zu handeln: „Audiatur et altera pars“ (man sollte immer auch die andere Seite hören) Die NATO beansprucht für sich, ein Verteidigungsbündnis zu sein, das niemanden bedroht, aber dieses eigene subjektive Verständnis ändert nichts daran, dass Russland dieses Bündnis und vor allem seine ständige Erweiterung in Richtung Russland als eine Bedrohung der eigenen Sicherheit einstuft.

Der ehemalige US-Botschafter in Moskau und heutige Chef der CIA, William Burns, schreibt in seinem Buch „The Black Channel“ u.a. : “With President Bush´s support, Baker sold the concept to German chancellor Helmut Kohl and foreign minister Hans-Dietrich Genscher in early February ( 1990) , agreeing to use Two Plus Four negotiations to press for rapid unification and full NATO membership, while reassuring the Sovjets that NATO would not be extended any farther to the east, and would be transformed to reflect the end of the Cold War and potential partnership with the Soviet Union” ( Mit der Unterstützung von Präsident Bush  „verkaufte“ James Baker ( damaliger US-Außenmnister ), im frühen Februar 1990 folgendes Konzept ( der deutschen Wiedervereinigung) an den deutschen Kanzler Helmut Kohl und Außenmnister Hans-Dietrich Genscher: Zustimmung,  die Zwei-Plus-Vier Verhandlungen zu nutzen, um Druck auszuüben für eine rasche Wiedervereinigung und vollständige NATO Mitgliedschaft, bei gleichzeitiger Zusicherung gegenüber der Sowjetunion, dass die NATO nicht nach Osten erweitert und umstrukturiert wird, um so das  Ende des Kalten Krieges und eine potentielle Partnerschaft mit der Sowjetunion widerzuspiegeln.“

Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt stellte mit seinem politischen Weitblick bereits 1993 fest.

„Wenn ich ein sowjetischer Marschall wäre oder ein Oberst, würde ich die Ausdehnung der NATO-Grenzen, erst von der Elbe bis an die Oder und dann über die Weichsel hinaus bis an die polnische Ostgrenze, für eine Provokation und eine Bedrohung des Heiligen Russlands halten, Und dagegen würde ich mich wehren. Und wenn ich mich heute nicht wehren kann, werde ich mir vornehmen, diese morgen zu Fall zu bringen.“

Das wird hoffentlich nicht passieren, aber der Krieg in der Ukraine hat unmissverständlich klargemacht, dass Russland auch vor einem völkerrechtswidrigen Krieg nicht zurückschreckt, wenn dieser der Durchsetzung eigener Interessen und der Abwehr einer subjektiv wahrgenommenen Bedrohung der eigenen Sicherheit dient.

Wenn man eine erneute Blockbildung in Europa und letztlich auch in der ganzen Welt vermeiden will, muss die aktuelle Eskalationsspirale in der Ukraine gestoppt und ein Waffenstillstand erreicht werden, der eine stabile Sicherheitsstruktur des ganzen Europas zum Ziel haben muss.

Der ehemalige außenpolitische Berater der damaligen Bundesregierung, Egon Bahr, hat zu diesem Thema festgestellt:

 „Europa kann seine Stabilität nur gewinnen, wenn es sicherheitspolitisch zwischen Lissabon und Wladiwostok für seine Staaten eine Struktur mit gemeinsamen Regeln formt… „Das amerikanische Interesse verlangt das Ziel einer sich selbst tragenden Sicherheitsstruktur für ganz Europa nicht, das europäische Interesse aber sehr wohl“

Mein persönliches Fazit des NATO Beitritts Finnlands lautet deshalb: Die Sicherheit des gesamten Europas wird durch den NATO-Beitritt Finnlands nicht gestärkt und zwar nicht zuletzt deshalb, weil Russland bis zum Ural ein Teil dieses Europas ist und auch bleiben wird.

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Der Krieg in der Ukraine- wer stoppt die Eskalationsspirale?

Der Krieg in der Ukraine dauert jetzt schon länger als 1 Jahr, und es gibt keinerlei Anzeichen für ein Ende. Allerdings ist es während der Kampfhandlungen zunehmend deutlicher geworden, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland handelt.  Die Ukraine verteidigt nicht nur ihre von Russland bedrohte Freiheit, sondern dient den USA sozusagen als verlängerte „Kampfarm“, um Russland als globalen Konkurrenten Washingtons zu schwächen und nach Möglichkeit auszuschalten. Diese Rivalität zwischen den USA und Russland wird nicht nur durch eine immer umfangreichere militärische und finanzielle Unterstützung seitens der USA und ihrer Verbündeten deutlich, sondern auch durch immer gefährlichere Provokationen und Demonstrationen der beiden Weltmächte.

Beteiligung von zwei amerikanischen B-52 H Langstreckenbombern an den Feierlichkeiten zum estnischen Unabhängigkeitstag

Am 24. Februar 2023, also zeitgleich zum 1. Jahrestags des russischen Angriffs auf die Ukraine, wurde in Tallin, der Hauptstadt Estlands, der Unabhängigkeitstag des Landes gefeiert.105 Jahre zuvor hatte das kleine Land im Baltikum erstmals seine Loslösung von Russland verkündet. An der stattfindenden Parade nahmen im Rahmen eines Überflugs auch Luftstreitkräfte verbündeter NATO-Staaten teil. Neben deutschen „Eurofighter“, polnischen „F-16“ Kampfflugzeugen und französischen „Mirage“ zeigten die USA durch zwei „B-52 Stratofortress“ Langstreckenbomber mit ihren jeweils 8 Triebwerken demonstrativ ihre militärische Stärke. Diese Bomber können mit ihrer Reichweite von bis zu 14.000 km jeden Punkt der Erde erreichen und sind, auch wegen der Möglichkeit sie atomar zu bewaffnen, seit über 50 Jahren das strategische Rückgrat der US-Luftwaffe. Die beiden „B-52 H“ gehörten zum „5th Bomb Wing“ von der „Minot Air Force Base“ in North Dakota. Die besondere Brisanz dieser „B-52 Show“ in Estland bestand darin, dass Tallin nur etwa 320 km entfernt von St. Petersburg liegt. Bis zur russischen Grenze sind es lediglich 200km. Die US-Luftwaffe betonte in einer Pressmitteilung den Wert der strategischen Zusammenarbeit zwischen den beiden NATO-Verbündeten USA und Estland, die darauf abziele, „die baltischen Staaten zu stärken und abzusichern, Operationen zur Terrorismusbekämpfung zu unterstützen und Europas Ostflanke zu befestigen.“

Der Absturz einer unbewaffneten amerikanischen „MQ-9 Reaper“ Drohne über dem Schwarzen Meer

Am 14. März 2023 stürzte eine unbewaffnete amerikanische Drohne vom Typ „MQ-9 Reaper“ nach einem nicht abschließend geklärten Zusammentreffen mit zwei russischen „SU-27“Abfangjägern über dem Schwarzen Meer ab. Die Einzelheiten des Zwischenfalls wurden von Moskau und Washington unterschiedlich dargestellt. Vorhandene Videoaufnahmen konnten zur Klärung auch deswegen nicht beitragen, weil nach US-Angaben zwischenzeitlich die Kamera der Drohne ausgefallen war. Fest steht, dass die Drohne wohl in Rumänien stationiert war und aus der amerikanischen „Air Base Ramstein“ in Deutschland gesteuert wurde. Die beiden russischen Abfangjäger waren von der von Russland annektierten Halbinsel Krim gestartet.  Das amerikanische European Command erklärte zu dem Vorfall, die Drohne habe sich im internationalen Luftraum befunden. Die russischen “SU-27“ hätten bei mehreren Anflügen immer wieder Sprit abgelassen, um die Kamera der Drohne unbrauchbar zu machen und schließlich den Propeller touchiert. Das US-Militär habe sie deshalb ins Meer stürzen lassen.

US Verteidigungsminister Austin erklärte, der Zwischenfall sei „Teil eines Musters von aggressivem, riskantem und gefährlichem Handeln von russischen Piloten“ im internationalen Luftraum. Die USA wiederum würden ihre Flüge überall dort fortsetzen, „wo es das internationale Recht erlaubt“.

Die russische Seite bestritt dieses Verhalten der russischen Piloten und erklärte im Gegenzug, die russischen Maschinen hätten die Drohne nicht berührt und auch keine Waffen eingesetzt; die Drohne sei durch eine zu heftige eigene Flugbewegung abgestürzt.

Das amerikanische Außenministerium bestellte den russischen Botschafter ein. Nach dem Zwischenfall über dem Schwarzen Meer telefonierten die Verteidigungsminister beider Länder miteinander. US Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, er habe mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Schoigu über den Absturz der Aufklärungsdrohne gesprochen und erklärte:  „Wie ich immer wieder gesagt habe, ist es wichtig, dass große Mächte Vorbilder für Transparenz und Kommunikation sind“.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe seinem US-Kollegen gegenüber die vermehrten nachrichtendienstlichen Tätigkeiten Washingtons gegen Russland als eine Ursache für den Drohnenvorfall über dem Schwarzen Meer genannt.

„Verstärkte nachrichtendienstliche Tätigkeiten gegen die Interessen der Russischen Föderation“ sowie die „Nichteinhaltung des Flugbeschränkungsgebiets“ hätten zu dem Vorfall geführt. Das Verteidigungsministerium in Moskau warnte, Russland sei „an einer solchen Entwicklung der Ereignisse nicht interessiert, wird aber weiterhin auf alle Provokationen verhältnismäßig reagieren“, hieß es.

Unabhängige Fachleute gehen davon aus, dass die relativ hoch und langsam fliegende Drohne von der russischen Luftverteidigung aufgefasst wurde, die daraufhin zwei Abfangjäger starten ließ, um die Identität des Flugobjekts zu klären, das sich wohl zumindest in der Nähe der russischen „Air Defence Identifikation Zone“ (ADIZ) befunden und vermutlich den Transponder ausgeschaltet habe. Nach Meinung der Experten verfügen „SU 27“ Abfangjäger über keine Einrichtung, um während des Fluges Sprit abzulassen. Ein Touchieren des Propellers der Drohne hätte bei einem Abfangjäger zu dessen Absturz geführt. Aus ihrer Sicht sei die Drohne durch die von den Manövern der Abfangjäger erzeugten starken Turbulenzen abgestürzt.

Übungen von B-52H Langstreckenbombern über der Ostsee

Die beiden „B-52 H“ Langstreckenbomber waren nach ihrem Abstecher ins Baltikum im spanischen Morón gelandet. Dort bildeten sie mit zwei weiteren B-52H des „5th Bomb Wing“ die aktuelle Abordnung der sogenannten „Bomber Task Force“, in deren Rahmen die USA regelmäßig schwere Bomber für Patrouillen und Übungsflüge nach Europa und in andere Weltregionen schicken.

Am Morgen des 20. März starteten zwei „B-52H“ der US Air Force vom spanischen Fliegerhorst Morón und flogen wieder in Estlands Luftraum, um über der Ostsee unter anderem mit Kampfjets aus Polen zu trainieren. Die russische Nachrichtenagentur TASS schrieb dazu: „Am 20. März 2023 entdeckten Radargeräte der diensthabenden Luftverteidigungskräfte des westlichen Militärbezirks zwei Luftziele über der Ostsee, die auf die Staatsgrenze der Russischen Föderation zuflogen. Die Ziele wurden als zwei strategische Bomber B-52H der US-Luftwaffe identifiziert“, zitiert die Agentur das russische Verteidigungsministerium. Die Abfangmission der Su-35S sei „unter strikter Einhaltung des internationalen Luftrechts“ erfolgt. „Nachdem sich die ausländischen Militärflugzeuge wieder von der Staatsgrenze der Russischen Föderation entfernt hatten, kehrte das russische Flugzeug zu seiner Heimatbasis zurück“

Von amerikanischer Seite gab es zu den Übungen über der Ostsee keine offizielle Erklärung, aber es steht zweifelsfrei fest, dass es diese Übungen unter Beteiligung von zwei „B-52H“ der US-Luftwaffe gegeben hat.

Geplante Lieferung von uranhaltiger Munition durch Großbritannien an die Ukraine

Am 20. März 2023 bestätigte die britische Verteidigungsministerin Annabel Goldie auf Nachfrage, London werde Kiew unter anderem auch panzerbrechende Munition liefern, die sogenanntes abgereichertes Uran enthält. Bei dieser Munition handelt es sich vermutlich um

Depleted Uranium Grenades“ vom Kaliber 120mm, die zur Bekämpfung von Panzern zum Einsatz kommen. Sie können theoretisch vom britischen Kampfpanzer „Challenger“ dem amerikanischen Kampfpanzer „M1 Abrams“ und vom deutschen Kampfpanzer „Leopard“ eingesetzt werden, weil alle drei Panzertypen über eine 120mm Kanone verfügen, die von der deutschen Firma Rheinmetall hergestellt wird. Die Bundeswehr verfügt über keine uranhaltigen Granaten, weil Deutschland diese Waffen im Wesentlichen aus zwei Gründen ablehnt: Auf Grund ihrer hohen Durchschlagskraft dringt das Geschoss in den Kampfraum des getroffenen Panzers ein und verbrennt dort auch die Besatzung. Außerdem verursacht diese uranhaltige Munition durch ihre Strahlung dauerhafte Umweltschäden im Kampfgebiet.

Bei Menschen, die sich in einem Gelände aufhalten, in dem diese Munition eingesetzt wurde oder mit Panzern in Berührung kommen, die von einem solchen Geschoss zerstört wurden, sind schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten. 

Der russische Präsident Putin bezeichnete die von Großbritannien angekündigte Lieferung von uranhaltiger Munition als rote Linie und drohte gleichzeitig damit, in einem solchen Fall diese Art von Munition ebenfalls einzusetzen.

Geplante Stationierung von russischen Atomwaffen in Weißrussland

Am 25. März 2923 gab der russische Präsident im Staatsfernsehen bekannt, dass sich Russland und Belarus auf die Stationierung von taktischen Atomwaffen verständigt haben. Der Kremlchef verwies darauf, dass auch die USA bei Verbündeten in Europa Atomwaffen (der Verfasser: z.B. in Deutschland) stationiert haben. „Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen“, sagte Putin.

Zudem kündigte der russische Präsident- wie bereits erwähnt-  an, in der Ukraine Geschosse mit abgereichertem Uran einzusetzen, falls Kiew solche Munition vom Westen geliefert bekomme.

Die Ankündigung des russischen Präsidenten Atomwaffen im Nachbarland Belarus zu stationieren, bezeichnete das Auswärtige Amt in Berlin als „weiteren Versuch der nuklearen Einschüchterung“ Weiter hieß es: „Der von Präsident Putin gezogene Vergleich zur Nuklearen Teilhabe der Nato ist irreführend und kann nicht dazu dienen, den von Russland angekündigten Schritt zu begründen“. Zudem habe sich Belarus international in mehreren Erklärungen darauf festgelegt, frei von Nuklearwaffen zu sein. Aus Sicht der US-Regierung gibt es erst einmal keinen Handlungsbedarf. „Wir haben keine Gründe gesehen, unsere eigene strategische nukleare Haltung anzupassen, noch irgendwelche Hinweise darauf, dass Russland den Einsatz einer Atomwaffe vorbereitet“, sagte eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Adrienne Watson, am Samstag. Man werde die Auswirkungen von Putins Bekanntgabe im Auge behalten.

Zusammenfassende Bewertung

Die dargestellten Ereignisse haben die Spannungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg erheblich erhöht und – wenn man so will- einige Umdrehungen der Eskalationsschraube zur Folge. Das gilt im besonderen Maße für die USA und Russland. Der russische Außenmnister Sergej Lawrow stellte im russischen Staatsfernsehen in diesem Zusammenhang fest:  „Alle Vorfälle, die einen Zusammenstoß der zwei Supermächte, der zwei größten Atommächte provozieren, führen zu großen Risiken“.

Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen, vor allem, was die völlig überflüssigen Provokationen wie Übungen der „B-52H“ über der Ostsee angeht.

Die Frage ist, wie man diese Eskalationschraube stoppen kann.

Der frühere Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, war im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine bislang eher als „Hardliner“ einzuordnen, scheint seine Position jetzt aber überdacht zu haben und teilt die internationalen Sorgen über eine Eskalation des Kriegs in der Ukraine und ein Hineinziehen weiterer Staaten in den Konflikt. Dazu hat sicherlich auch der Zwischenfall über dem Schwarzen Meer beigetragen, der ersten direkten Auseinandersetzung der beiden Atommächte USA und Russland.

Ischinger fordert eine diplomatische Initiative aus Berlin, um die Ukraine zu unterstützen. Berlin müsse Verhandlungen vorbereiten und russische Forderungen durchdenken. In einem ZDF-Interview sagte Ischinger: „Es ist die klassische Aufgabe des Auswärtigen Amts, für die Bundesregierung mögliche Verhandlungen vorzudenken.“Die Bundesregierung müsse sich überlegen, ob sie auf bestimmte Forderungen Russlands eingehen wolle. Solche Szenarien müssten durchdacht werden. „Das ist nicht unsere deutsche Aufgabe allein. Das müssen wir mit den Balten, den Polen, mit anderen Nachbarn und mit der Ukraine durchkakeln.“ Jetzt sei die Zeit, sich vorzubereiten. Die Kritik, sein Vorschlag sei unrealistisch, weil Russland derzeit gar nicht verhandeln wolle, weist Ischinger zurück. Er wolle schließlich nicht jetzt die Ukraine zu Verhandlungen bringen. Wohl aber solle man heute schon detailliert erarbeiten, was man künftig in möglichen Verhandlungen beitragen könne.

„Es gibt nicht schrecklich viele Leute hier in Berlin, die selber als Diplomat Friedensverhandlungen geführt haben. Ich habe das Erlebnis und die Erfahrung gehabt„, so Ischinger. Deswegen wisse er, dass Verhandlungen bestens vorbereitet sein müssten – etwa politisch und juristisch. „Man kann da nicht einfach mit einer Zigarette im Mund reingehen und sagen: Jetzt machen wir mal. Das ist das Bohren dicker Bretter.“

Ischinger ist aus meiner Sicht zuzustimmen, dass man für Friedensverhandlungen auf ein möglichst breites Bündnis setzen müsse. Konkret nennt er Indien und Brasilien, dessen Präsident Lula da Silva sich ja bereits angeboten habe.  Auf China setzt er keine grossen Hoffnungen, und die UNO erwähnt er gar nicht. Beides halte ich für einen Fehler, weil China einen 12 Punkte Plan erarbeitet hat, für den man China beim Wort nehmen sollte. Erst dann wird man wissen, ob China wirklich dazu steht oder ob es sich nur um vollmundige Erklärungen handelt. Eine Beteiligung der UNO, die bislang noch nicht einmal einen Sonderbeauftragten für die Ukraine benannt hat, halte ich für absolut zwingend und auch die OSZE sollte konkret in die Pflicht genommen werden.

In kritischen Situationen wird häufig vorschnell gesagt, es sei „5 vor 12“. Auf den Krieg in der Ukraine trifft es tatsächlich zu. Wenn das Gelände in der Ukraine nach dem Ende der „Matsch-Periode“ für gepanzerte Fahrzeuge wieder befahrbar sein wird und die russische Offensive begonnen hat, dann ist es 12 Uhr und damit zu spät.

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Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Präsident Putin

Am 18. März 2023 hat der Internationale Strafgerichtshof, der leider u.a. von China, Russland und den USA noch immer nicht anerkannt wird, auf Antrag seines britischen Chefanklägers, Karim Khan, einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten erlassen. Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht, weil dieser einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine führt. Die zusätzliche Begründung, er sei für die Verschleppung von ukrainischen Kindern nach Russland verantwortlich, unterstreicht aus meiner Sicht die Rechtfertigung dieses Haftbefehls.

Einen Beigeschmack erhält dieser Haftbefehl allerdings dadurch, dass sich der damalige amerikanische Präsident George W. Busch für seinen ebenfalls völkerrechtwidrigen Krieg gegen den Irak im Jahr 2003 noch immer nicht verantworten musste.

Vor diesem Krieg hatten der US-Präsident Bush und sein damaliger Außenmnister Powell gegenüber der UNO unmissverständlich erklärt, dass die USA von niemandem eine Genehmigung brauche, wenn es um die Sicherheit der Vereinigten Staaten gehe.  Vor dem Weltsicherheitsrat hatte Powell den Krieg mit Lügen über angebliche Massenvernichtungswaffen des Iraks, ein nichtexistierendes umfassendes Raketenprogramm, und die falsche Behauptung, der Irak unterstütze den internationalen Terrorismus, begründet.

Powell bezeichnete seine Rede vor dem Weltsicherheitsrat später als die größte Schande seiner politischen Laufbahn.

Mehr als 19 Jahre nach dem amerikanischen Überfall auf den Irak hielt der ehemalige US-Präsident George W. Bush am 18. Mai 2022 in seinem Präsidentenzentrum in Dallas eine Rede, in der er versehentlich eine politische und juristische Wahrheit aussprach. Er verurteilte das Vorgehen des russischen Präsidenten in der Ukraine und verglich die russische Invasion mit „der Entscheidung eines einzigen Mannes, eine völlig ungerechtfertigte und brutale Invasion im Irak zu starten.“ Als er seinen Fehler bemerkte, fuhr er fort: „in der Ukraine“ und murmelte dann „im Irak sowieso“. Als das ihm freundlich gesinnte Publikum nicht buhte, sondern lachte, scherzte Bush über sein Alter ,75, und kritisierte dann Präsident Putin und begrüßte die militärische Unterstützung des ukrainischen Präsidenten Selenski durch die USA.

Vor dem Hintergrund dieser Doppelmoral des Internationalen Gerichtshofes und seinem Messen mit unterschiedlichen Maßstäben klingt es irritierend, wenn nicht sogar zynisch, dass der US Präsident Biden das Vorgehen des Gerichtshofes mit den Worten kommentiert: Der internationale Haftbefehl gegen Präsident Putin sei ein „sehr starkes Signal“.

Es ist ebenfalls wenig überzeugend, wenn der deutsche Justizminister Buschmann den Haftbefehl gegen Präsident Putin begrüßt und sagt: „Wer wie Putin einen blutigen Krieg angezettelt hat, sollte sich dafür vor Gericht verantworten müssen. Die beste Lösung ist es, wenn eine Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof erhoben werden kann. Der nun erlassene Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen ist ein wichtiges Signal der Entschlossenheit.“ Daneben gelte es, auch weiterhin über andere Modelle nachzudenken, „wie wir eine konsequente Strafverfolgung umsetzen, etwa mit einem Sondertribunal zur Verfolgung des Verbrechens des Angriffskrieges…“

Der Kreml bezeichnete den Haftbefehl als rechtlich nichtig. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa sagte, Moskau werde „nicht mit dem Gericht kooperieren“. „Allein die Formulierung der Frage halten wir für unverschämt und inakzeptabel“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. „Russland erkennt die Rechtsprechung dieses Gerichts nicht an. Entsprechend sind Entscheidungen dieser Art für Russland vom rechtlichen Standpunkt unbedeutend.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Haftbefehl als eine „historische Entscheidung“ des Internationalen Strafgerichtshofs gelobt. „Der Anführer eines Terrorstaates und eine weitere russische Amtsträgerin sind offiziell Verdächtige in einem Kriegsverbrechen“

In der Begründung des Haftbefehls wird expliziert die Verschleppung ukrainischer Kinder angeführt wird und auch der ukrainische Präsident weist besonders daraufhin.

Deshalb ist es wichtig, daran zu erinnern, dass es auch im Irak-Krieg Verbrechen gab, die neben dem Verstoß gegen das Völkerrecht eine Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof zweifelsfrei gerechtfertigt hätte, nämlich die nachgewiesenen Folterungen von Irakern durch amerikanische Soldaten im, Gefängnis von Abu Graib.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Auch ich bin der Meinung, dass Verbrechen nicht durch das Aufzeigen anderer Untaten gerechtfertigt oder relativiert werden dürfen und deswegen auch nicht auf Anklagen verzichtet werden sollte, weil sie in vergleichbaren Fällen nicht erhoben wurden.

Das ändert aber nichts daran, dass neben seiner Unabhängigkeit vor allem auch seine Glaubwürdigkeit entscheidend für die Akzeptanz des Internationalen Gerichtshofes ist, und diese steht in Frage, solange vergleichbare Verbrechen unterschiedlich behandelt werden. Das gilt übrigens nicht nur für den Krieg gegen den Irak, sondern auch um den Krieg in Libyen und im Jemen, um noch zwei weitere Beispiele zu nennen.

Jetzt ist die Gelegenheit für den Internationalen Gerichtshof zu beweisen, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Das würde nicht zuletzt auch der Reputation des Chefanklägers dienlich sein und dem aus bestimmten Ecken zu erwartenden Vorwurf vorbeugen, er habe sich als Brite von den USA instrumentalisieren lassen.

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Ende der Eiszeit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, ein cleverer chinesischer Schachzug und eine neue Lage für „den Westen“

Am 10. März 2023 haben die Außenmnister Irans und Saudi-Arabien, Ali Schamchani und Musaed bin Muhammad Al-Aiban, unter der Vermittlung Chinas in Peking vereinbart, das Verhältnis der beiden Länder auf eine neue Basis zu stellen und innerhalb der nächsten 2 Monate wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich nicht nur die Frage, welche Absichten China mit der Übernahme der Vermittlerrolle verbindet, sondern auch, wie diese neue Situation aus westlicher Sicht zu beurteilen ist

Die beiden Regionalmächte und ihre wesentlichen Interessenkonflikte

Das bisherige Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien war bislang im Wesentlichen von folgenden Aspekten, Differenzen und Streitigkeiten geprägt:

 Die größten Anrainer-Staaten des Persisch-Arabischen Golfes, Saudi-Arabien und der Iran befinden sich in einem direkten Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft in der Region. Das Königreich ist als Bewahrerin der Heiligen Stätten Mekka und Medina die dominierende sunnitische Macht am Golf, während der Iran weltweit und einzigartig sozusagen die Mutter aller Muslime schiitischen Glaubens ist.

Das Verhältnis zwischen den beiden muslimischen Staaten veränderte sich grundsätzlich nach dem Sturz des Schahs und der Umwandlung Persiens in den islamischen Gottesstaat Iran 1979 durch den Revolutionsführer Ayatollah Khomeini. Diese zunächst religiös begründete Rivalität verschärfte sich entscheidend 1987 als 400 schiitische Pilger aus dem Iran bei dem Hadsch in Mekka ihr Leben verloren und die weitere Teilnahme iranischer Pilger für 3 Jahre untersagt wurde. Imam Khomeini verkündete damals vor der ganzen Welt, „that he would never forgive the Saoud ruling family„. 2016 wurden der schiitische Prediger Nimr al-Nimr und andere schiitische Geistliche in Saudi-Arabien hingerichtet. Daraufhin stürmten aufgebrachte Iraner die saudische Botschaft in Teheran und setzten diese teilweise in Brand. Es kam zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. In ihrem politisch-religiösen Bestreben die Region zu dominieren, stehen die beiden Staaten de facto in allen Konflikten der Region auf der jeweils anderen Seite. In dem von Saudi-Arabien 2015 vom Zaun gebrochenen Bürgerkrieg im Jemen unterstützt Riad die rechtmäßige Regierung von Maeen Abdul Malek und des Leiters des präsidialen Führungsrates  Rashad al-Alimi, die sich mit der Regierung im saudischen Exil befinden, während der Iran-wenn auch nicht offiziell- auf der Seite der rebellierenden Huthis steht, die ihre Raketen auch immer wieder auf saudisches Territorium abschießen. Nach dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak, in dem der sunnitische Herrscher Saddam Hussein gestürzt wurde, ist der Iran zum engsten Verbündeten der nunmehr schiitischen Regierung des Iraks geworden, was in Riad ein ständiger Anlass zur Sorge ist. Im Libanon sieht sich der sunnitische und von Saudi-Arabien gestützte Premierminister Nadschib Miqati nicht nur einer mittlerweile mehrheitlich schiitischen Bevölkerung gegenüber, sondern befindet sich in einem Dauerkonflikt mit der Hisbollah, die eng verbündet ist mit dem Iran und als stärkste politische und vor allem auch militärische Kraft des Libanons zwangsweise an der Regierung beteiligt werden muss. In Syrien bemüht sich der alawitische und damit religiös den Schiiten nahestehende Präsident Bashar al-Assad zwar um ein gutes Verhältnis mit Saudi-Arabien, aber dürfte sich wohl darüber im Klaren sein, dass die jahrelange CIA Operation „Timber Sycamore“, die seinen Sturz zum Ziel hatte oder vielleicht immer noch hat, zu einem großen Teil von Saudi-Arabien finanziert war/wird. Sie ist Teil der amerikanischen Doppelstrategie in Syrien. Der Iran steht seit 2011, dem Beginn der Auseinandersetzungen, eindeutig auf der Seite des syrischen Herrschers und unterstützt diesen, in einem engen Bündnis mit der Hisbollah, durch iranische Milizen und die Pasdaran, die Revolutionsgarden Teherans. Es gibt Hinweise, dass auch reguläre iranische Soldaten an der Seite der syrischen Armee kämpfen. Ohne die Unterstützung Russland und des Irans wäre Assad bereits vor Jahren gestürzt worden, während er heute mit Hilfe dieser, seiner wichtigsten Verbündeten den größten Teil Syriens wieder kontrolliert.

Last but not least gibt es zwischen dem Iran und Saudi-Arabien auch noch einen Interessenkonflikt in Bahrain, wo Riad behauptet, Teheran würde die schiitische Bevölkerungsmehrheit zum Sturz des sunnitischen Herrscherhauses anstiften, während Iran Saudi-Arabien vorwirft, den selbst ernannten König von Bahrain, Hamad bin Isa Al Chalifa, dabei zu unterstützen, eben diese schiitische Mehrheit zu unterdrücken und politisch und gesellschaftlich nicht zu beteiligen.

Die USA und ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien und Teheran

Neben den wesentlichen Interessenkonflikten zwischen den beiden Regionalmächte spielen natürlich auch ihre Beziehungen zu den USA eine wichtige Rolle.

Der britische Rückzug „östlich von Suez“ab 1966 konfrontierte die USA mit einer völlig neuen Lage, weil sie durch den Abzug der britischen Truppen praktisch keine militärischen Verbündeten mehr in der Region hatten und das auf der Höhe des Kalten Krieges mit der Sowjetunion auf der einen Seite und dem Vietnamkrieg andererseits.

Das erforderte für die US-Regierung unter Präsident Nixon die Entwicklung eines völlig neuen sicherheitspolitischen Konzeptes für die Region und war letztlich die Geburtsstunde der s.g. „Twin Pillar Strategy“. Die eine Säule wurde der Iran unter dem westlich orientierten Schah und die zweite Saudi-Arabien unter seinem damaligen Herrscher König Faisal. Beide Staaten wurden von den USA in der Hauptsache durch massive Waffenlieferungen unterstützt, und in Saudi-Arabien wurden zusätzlich amerikanische Militäreinrichtungen geschaffen und US Soldaten stationiert. Diese Strategie funktionierte bis zur iranischen Revolution 1979, in der die eine Säule mit der Geiselnahme amerikanischer Staatsbürger in der US-Botschaft in Teheran umgehend und vollständig zusammenbrach. Diese Geiselnahme war der Beginn einer ausgesprochen emotionalen Beziehung zwischen den USA und Teheran. Praktisch bis zum heutigen Tag versuchen die USA, auch wenn Washington das offiziell bestreitet, einen ihrer „berüchtigten Regime Changes“ im Iran durchzusetzen. Vor allem durch immer schärfere Sanktionen wollte und will man auch über innenpolitischen Druck erreichen, dass die iranische Bevölkerung sich gegen das System auflehnt. In wieweit die aktuellen Demonstrationen im Iran von den USA beeinflusst werden, ist bislang nur eine Vermutung.

Das einseitige Aufkündigen des Atomvertrags durch die USA hat das Verhältnis schwer belastet und dazu geführt, dass der Iran sich nicht mehr an die Auflagen Vertrags gebunden fühlt. Die Absicht der USA, den islamischen Staat als Ganzes in der westlichen Staatengemeinschaft zu isolieren, scheint- zumindest teilweise, Erfolg zu haben, allerdings mit der Konsequenz, dass sich der Iran deshalb zunehmend in Richtung Russland orientiert und Moskau z.B. in seinem Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Neben Sanktionen kam es auch zu Gewaltaktionen wie z. B. der Liquidierung des iranischen Generals Suleimani durch eine amerikanische Drohne bis hin zum Abschuss einer amerikanischen „Global Hawk“ Drohne durch die iranische Luftverteidigung. Es herrscht quasi bis heute auf allen Ebenen ein unerklärter Krieg zwischen den USA und dem Iran.  

Washington versuchte 1979 den Ausfall des ehemaligen Verbündeten Iran durch verstärkte Waffenlieferungen an Saudi-Arabien auszugleichen und darüber hinaus mit Hilfe Israels zu kompensieren, musste aber erkennen, dass dies wegen der Differenzen Jerusalems mit den arabischen Staaten letztlich keine Lösung war. So setzte man auf den irakischen Herrscher Saddam Hussein und unterstützte diesen in seinem Krieg gegen den Iran. Mit dem Überfall Saddam Husseins auf das Emirat Kuwait brach 1990 auch diese „Ersatz-Säule“ zusammen. Das war de facto das endgültige Ende der „Twin Pillar“ Strategie. Der völkerrechtswidrige Krieg der USA gegen den Irak belastet das Verhältnis zu den arabischen Staaten immer noch, wenn auch nicht ganz so entscheidend wie die einseitige Politik Washingtons gegenüber Israel.

Die US-Regierung von Präsident Biden schien Saudi-Arabien – u.a. wegen Riads Krieg im Jemen und der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zunächst nicht mehr vorbehaltlos zu unterstützen. Das änderte sich aber im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. So war der Besuch des US-Präsidenten im Sommer 2022 der Versuch, das Verhältnis zu Saudi-Arabien auf eine neue Basis zu stellen, muss aber letztlich als gescheitert angesehen werden. Dem Wunsch Präsident Bidens, die Ölförderung wegen der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Energiekrise zu steigern, wurde nicht entsprochen. Stattdessen wurde bekannt, dass Saudi Arabien billiges russischen Erdöl für den heimischen Bedarf importiert und das eigene wesentlich teurere[H1]  Öl auf dem Weltmarkt verkauft. Trotzdem erklärte der US Präsident auf dem Gipfel des Golfkooperationsrates im Juli 2022: „Lassen Sie mich klar sagen, dass die Vereinigten Staaten ein aktiver, engagierter Partner im Nahen Osten bleiben werden. Wir werden nicht weggehen und ein Vakuum hinterlassen, das von China, Russland oder dem Iran ausgefüllt wird.“ Ob diese Aussage auch den Vorstellungen der Saudis entsprach, sei dahingestellt.

Nicht zuletzt die Entwicklungen in den Beziehungen zu den USA scheinen in Teheran und Riad zu der Erkenntnis geführt zu haben, dass es durchaus sinnvoll sein könnte, ihr bilaterales Verhältnis auf eine neue Basis zu stellen und damit die Abhängigkeit von Washington zu verringern.

Ende der Eiszeit zwischen Saudi-Arabien und Iran?

Vor diesem Hintergrund entwickelten Riad und Teheran eine Initiative, die im Oktober 2019 im saudischen Jidda begonnen hatte. Damals trafen sich der damalige pakistanische Premierminister Imram Khan und der saudische Kronprinz, Mohammed Bin Salman (MBS), der de facto Herrscher Saudi-Arabiens. In diesem Gespräch soll der Kronprinz den pakistanischen Premier mit den Worten  „I want to avoid war“ gebeten haben, mit dem Iran zu sprechen. Wenige Tage später traf sich Imram Khan am Rande der UN-Vollversammlung mit dem damaligen iranischen Präsidenten Rohani. Dieser wandte sich später in seiner Rede vor der UN Vollversammlung an die arabischen Staaten mit den Worten: “ It´s the Islamic Republic of Iran who is your neighbour„, und er ergänze in Richtung Amerika: „At the day of an event you and us will be alone. We are each other´s neighbours, not America.“

Wenige Tage nach dem pakistanischen Regierungschefs besuchte der damalige irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi Saudi-Arabien und sprach mit MBS ebenfalls über das Verhältnis Saudi- Arabiens zum Iran und erklärte nach seiner Rückkehr vor Journalisten in Bagdad: “ There is a big response from Saudi Arabia and from Iran…and I think that these endeavors will have a good effect.“ Die Antwort gab wenige Tage später Ali Larijani, der damalige Sprecher des iranischen Parlaments: “ Iran is open to starting a dialogue with Saudi Arabia and other countries in the region. An Iranian-Saudi Dialogue could solve many of the region´s security and political problems.“

Danach hatte man lange nichts mehr über die Entwicklung der Beziehungen zwischen Teheran und Riad gehört, wahrscheinlich, weil die Diskussion über den iranischen Atomvertrag die Schlagzeilen beherrschte. Erst 2021 wurde bekannt, dass es am 9. April in Bagdad unter Vermittlung des damaligen irakischen Premierministers Mustafa al Kadhimi ein Treffen zwischen hochrangigen Delegationen der Geheimdienste und Außenministerien aus Teheran und Riad gegeben hat, das nur eine Woche später fortgesetzt werden sollte. Nach einer Quelle, die nicht genannt werden wollte, soll Hauptthema die Wiederaufnahme der 2016 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen und die Wiedereröffnung der Botschaften und Konsulate gewesen sein.

Nachdem die Thematik, nicht zuletzt wegen des Ukrainekrieges, aus den Schlagzeilen verschwunden war, weiß man jetzt, dass die positive Entwicklung der Beziehungen zwischenzeitlich offensichtlich weitergegangen war und mit der Vereinbarung von Peking zu einem konkreten Ergebnis gekommen ist, das aber durch die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen quasi noch offiziell bestätigt werden muss.

Welche konkreten Veränderungen könnten sich in der Region durch das neue Verhältnis zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ergeben?

Die für die betroffenen Menschen wichtigste Konsequenz aus der Normalisierung der Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien könnte eine Beendigung des seit fast 8 Jahren andauernden Kriegs im Jemen sein, einem Krieg mit Millionen von Toten in einem Land, in dem die Bevölkerung entsetzlich unter Hunger und fehlender medizinischer Versorgung leidet. Entscheidend wird dabei sein, dass der Iran die Huthis dazu bringt, Verhandlungen zu akzeptieren und dass auch die Verbündeten Saudi-Arabiens, nämlich Ägypten, Bahrain, Jordanien, Marokko. Katar, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch der Sudan die Regierung Saudi-Arabiens dabei unterstützen, zunächst einmal den im Oktober 2022 nicht verlängerten Waffenstillstand wieder einzuhalten.

Der zweite Krisenherd, der ganz wesentlich von den Spannungen zwischen Teheran und Riad bestimmt wird, ist der Libanon. Hier kommt es vor allem darauf an, dass Teheran seinen Einfluss auf die Hisbollah dafür nutzt, sich konstruktiv an einer stabilen Regierung zu beteiligen und der Iran und Saudi-Arabien auf die Schiiten und Sunniten im Libanon einzuwirken, das aktuelle politische und in seiner Folge wirtschaftliche Chaos im Land zu beenden.

Der dritte „Kriegsschauplatz“, auf dem Iran und Saudi-Arabien auf der jeweilig gegnerischen Seite stehen, ist Syrien. Iran hat bislang die Kämpfer der schiitischen Hisbollah unterstützt und zusätzlich durch den Einsatz von Kräften der Revolutionsgarden und mit Hilfe russischer Luftunterstützung den Sturz des syrischen Präsidenten verhindert. Auf der Gegenseite hat Saudi-Arabien über Jahre die verdeckte Operation der CIA „Timber Sycamore“ unterstützt, die das Ziel eines Regime Change in Damaskus hatte oder vielleicht immer noch hat, obwohl Washington behauptet hat, sie sei beendet.

Sollten sich der Iran und Saudi-Arabien darauf einigen, diese Krisenherde nicht nur zu entschärfen, sondern die Auseinandersetzungen wirklich zu beenden, so hätte das wohl nur dann Erfolg, wenn Washington diese Bemühungen unterstützt und in Bezug auf den Libanon und Syrien auch Israel in eine Lösung einbindet.   

Das veränderte Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Iran und die Konsequenzen für die USA

 Diese fundamentale Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die einmal die Stützen der US-Politik in der Region waren, wird in den USA sicherlich mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen, vor allem, weil eine damit verbundene Distanzierung gegenüber den USA nicht zu übersehen war.

Der damalige amtierende Präsident des Iran, Hassan Rohani, hatte es vor der UN-Vollversammlung auf den Punkt gebracht, in dem er sagte: “ It´s the Islamic Republic of Iran who is your neighbour and at the day of an event you and us will be alone. We are each other´s neighbours, not America.“ Zu dieserEinsicht scheint man auch in Riad gekommen zu sein, und dies könnte die Basis für ein neues Verhältnis zwischen den beiden Ländern sein. Die Vision der USA eines „New Middle East“ ist zerplatzt, und die Folge ist eine völlig destabilisierte Region, in der die Staaten jetzt offensichtlich dieGestaltung ihrer Zukunft selbst in die Hand nehmen. Ein erster Schritt dazu ist das Beenden einer Rivalität zwischen Iran und Saudi- Arabien um die Vorherrschaft in der Region. Damit stoppen sie die Verschwendung von Ressourcen und reduzieren gleichzeitig die amerikanische Dominanz. Um ein offizielles Scheitern ihrer bisherigen Strategie zu vermeiden, setzen die USA jetzt offensichtlich auf „interne Problemlösung“ durch die Staaten der Region, bei der Iran und Saudi-Arabien eine Schlüsselrolle zukommt. Washington verlangt einen Stopp des Bürgerkriegs im Jemen, der aber nur in enger Abstimmung zwischen Teheran und Riad zu erreichen ist. Dasselbe gilt für den Irak, den die USA zerstört haben, für dessen Zukunft Washington aber offensichtlich ein Konzept fehlt. Die zurzeit auf Eis liegenden Verhandlungen über den Atomvertrag mit dem Iran könnten einen positiven Impuls bekommen, wenn Saudi-Arabien sich von Teheran nicht mehr bedroht fühlt, Gleichzeitig dürfte Washington allerdings nicht der Versuchung unterliegen, weiterhin auf die Kassandra Rufe des erneut wiedergewählten Premierministers Netanjahu zu hören.

Was Syrien angeht, muss Washington sein doppeltes Spiel aufgeben und gemeinsam mit Assad, Russland, Saudi-Arabien und Iran eine Zukunftsperspektive entwickeln. Dazu gehört sicherlich auch der Abzug der völkerrechtswidrig stationierten amerikanischen Truppen aus der Öl Region im Nordosten Syriens. Darüber hinaus wäre Washington gut beraten, sich am Wiederaufbau des auch von amerikanischen Streubomben zerstörten Jemen zu beteiligen und sich auch im Libanon mit umfangreicher Wirtschaftshilfe zu engagieren.

Chinas Engagement bei der Aussöhnung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran

Die USA sollten sich bei der Stabilisierung der genannten Krisenherde auch im eigenen Interesse engagieren, allerdings nur in enger Abstimmung mit den jeweiligen Regierungen und sich immer darüber im Klaren sein, dass China und auch Russland keine „selbstlosen Ziele“ verfolgen. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, welche Vorteile China z.B. in einer engeren Zusammenarbeit mit dem Iran hat, nachdem Peking erst im Januar dieses Jahrs ein umfangreiches Abkommen mit den Taliban in Afghanistan geschlossen hat, einem Land, das im Westen eine 950 km lange Grenze zum Iran hat. Dabei spielt vor allem die weitere Realisierung der chinesischen „Belt and Road Initiative“ (BRI), als Nachfolgerin des Konzeptes der Seidenstraße eine wichtige Rolle.  Diese Überlegung gilt auch für Saudi-Arabien, das ja die Gegenküste des Iran am Persisch Arabisch Golf beherrscht, Wenn es Peking gelingt, in einem von Iran und Saudi-Arabien stabilisierten Jemen Einfluss zu gewinnen, hätte China nicht nur Zugang in Richtung der Ostküste Afrikas, sondern über die Straße von „Bab al Mandab“ eine mögliche Nutzung von 10 jemenitischen Häfen zum indischen Ozean und durch das Rote Meer auch zum Mittelmeer. Neben den geostrategischen Aspekten sind natürlich auch die Öl- und Gasvorkommen im Iran und in Saudi-Arabien für China von Bedeutung.

Zusammenfassende Bewertung

Das Engagement Chinas bei der Normalisierung der Verhältnisse zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist eindeutig positiv zu bewerten, weil es zur Stabilisierung der genannten Krisenherde beitragen kann und hoffentlich auch wird. Dass die Initiative Chinas nicht völlig selbstlos erfolgt, ist legitim und nicht zu beanstanden, solange sie friedlich umgesetzt wird und vor allem die Lebenssituation der Bevölkerung in den betroffenen Ländern verbessert.

Leider war es zu erwarten, dass die USA das Abkommen zwar grundsätzlich begrüßen, aber sofort auch ihre Skepsis ausdrücken hinsichtlich der Vermittlerrolle Chinas und der Einhaltung der Verpflichtungen durch den Iran. So sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates John Kirby: „Wir hoffen auf ein Ende des Krieges im Jemen – das Abkommen könnte dazu führen“, Es bleibe aber abzuwarten, ob Teheran seinen Teil des Abkommens einhalten werde. Sollte das Abkommen Bestand haben, „begrüßen wir das“ – ganz gleich, wie oder durch wen es zustande gekommen sei, sagte Kirby. Die USA würden Versuche Chinas, „in seinem eigenen egoistischen Interesse Einfluss zu nehmen und anderswo auf der Welt Fuß zu fassen“, aber weiter beobachten.

Washington hat ganz offensichtlich nicht rechtzeitig erkannt, dass der eigene Einfluss und der „des Westens“ in der Welt auf Grund einer verfehlten Politik, geprägt von einer unilateralen oder gar hegemonialen Zielführung, abnimmt und sich die Machtverhältnisse zu Gunsten Chinas verschieben. Bleibt zu hoffen, dass die USA und „der Westen“ auf diese, aus der eigenen Sicht natürlich kritisch zu bewertenden Entwicklung, kooperativ und – im handfesten eigenen Interesse- vor allem auch konstruktiv reagieren und man nicht versucht, diese Entwicklung militärisch wieder umzudrehen oder sogar zu stoppen.


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Chinas Position zu der politischen Beilegung der Ukrainekrise

So müsste die korrekte Übersetzung des offiziellen Dokuments des chinesischen Außenministeriums „China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis“

lauten. Den Anspruch eines „Friedensplanes“ wie das Dokument in vielen Medien bezeichnet wird, hat die chinesische Positionierung nicht. Trotzdem lohnt es sich natürlich, sich inhaltlich und vor allem sachlich mit dem Dokument auseinanderzusetzen.

“China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis“

Die chinesische Führung hat ihre grundsätzliche Position zum Krieg in der Ukraine, den sie als Ukrainekrise bezeichnet, in 12 Punkten zusammengefasst.

Zuerst wird festgestellt, dass die Souveränität aller Länder das internationale Recht und die Charta der Vereinten Nationen die Grundlage zwischen den Beziehungen aller Länder darstellen. Die legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder sind zu achten, eine Blockbildung sollte verhindert, eine europäische Sicherheitsstruktur sollte geschaffen und Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent sichergestellt werden. Alle Länder und Parteien werden aufgefordert, Russland und die Ukraine zu motivieren, so schnell wie möglich erneut direkte Gespräche aufzunehmen, um die Gesamtlage zu deeskalieren und einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen. Dialog und Verhandlungen sind die einzig erfolgversprechende Lösung für die Ukrainekrise. Die internationale Gemeinschaft sollte sich verpflichtet fühlen, den Parteien zu helfen, die Tür für Verhandlungen zu öffnen. China ist bereit, dabei eine konstruktive Rolle zu spielen. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die humanitäre Krise zu beenden. Das sollte auf der Basis von Neutralität und Überparteilichkeit erfolgen. Die Zivilbevölkerung muss geschützt und Korridore für die Evakuierung aus den Konfliktzonen geschaffen werden. Die Vereinten Nationen sollten dabei unterstützt werden, die humanitären Maßnahmen zu koordinieren. Die Konfliktparteien sollten sich strikt an das internationale Recht halten, Angriffe auf die Bevölkerung und zivile Einrichtungen unterlassen und Frauen, Kinder und andere Opfer beschützen. Das Recht von Kriegsgefangenen ist zu respektieren. China unterstützt den Austausch von Kriegsgefangenen und fordert alle Parteien auf, dafür noch bessere Bedingungen zu schaffen. China lehnt jegliche Angriffe auf zivile nukleare Einrichtungen ab und fordert die Parteien auf, sich an die „Convention on Nuclear Safety“ (CNS) zu halten, um nukleare Unfälle zu vermeiden. In diesem Zusammenhang unterstützt China die Rolle der „International Atomic Energy Agency“ (IAEA). Peking stellt darüber hinaus klar, dass nukleare Waffen nicht eingesetzt und nukleare Kriege nicht geführt werden dürfen. Die Verbreitung von Nuklearwaffen muss verhindert und nukleare Krisen müssen vermieden werden. China verurteilt jegliche Forschung, Entwicklung und Einsatz von chemischen und biologischen Waffen, gleichgültig von welchem Land und unter welchen Umständen. Das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland sollte von allen Ländern unterstützt werden. Die von China vorgeschlagene „Cooperation Initiative On Global Food Security“ bietet einen Ansatz zur Lösung der globalen Ernährungskrise. Einseitige Sanktionen und maximaler Druck können die Krise nicht lösen, sondern führen nur zu neuen Problemen. China lehnt jede Form von Sanktionen, die nicht von den Vereinten Nationen verhängt wurden, ab. Diejenigen Länder, die das betrifft, sollten den Missbrauch einseitiger Sanktionen und „long-arm jurisdiction“ beenden, um die Ukrainekrise zu deeskalieren und um den Entwicklungsländern die Möglichkeit zu schaffen, ihr Wirtschaftswachstum zu steigern und die Lebensbedingungen für die Bevölkerung zu verbessern. Alle Staaten sollten die bestehenden Wirtschaftssysteme stärken und es ablehnen, die Weltwirtschaft als Waffe für politische Zwecke zu missbrauchen. Gemeinsame Anstrengungen sind erforderlich, um eine Ausweitung der Krise zu vermeiden und eine Unterbrechung der internationalen Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Finanzen, Nahrungsmittelhandel und Transport zu verhindern, damit sich die Weltwirtschaft erholt. Die internationale Gemeinschaft wird aufgefordert, Initiativen für den Wiederaufbau nach Beendigung der Krise zu planen. China ist bereit, dabei eine konstruktive Rolle zu spielen.

Chinas Position zu der politischen Beilegung der Ukraine Krise- ein ernst zu nehmender Ansatz oder lediglich ein „politischer Versuchsballon“? – Versuch einer Bewertung

Zu allererst ist festzuhalten, dass jeder Vorschlag, wie man diesen Krieg beenden könnte, grundsätzlich positiv zu bewerten ist, vor allem dann, wenn man selbst überhaupt keine tragfähige Alternative oder ein politisches Konzept anzubieten hat.

Wenn man dieses Dokument sorgfältig gelesen hat, ist es nicht nachvollziehbar, dieses als „substanzlos“ zu bezeichnen, wie es z. B. der s.g. Sicherheitsexperte Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel, in der Ausgabe der Westfälischen Nachrichten vom 25. Februar 2023 getan hat. Es ist auch nicht zielführend, dieses Dokument quasi sofort zu einem „non paper“ zu erklären, weil es von China verfasst wurde, das den russischen Krieg expressis verbis bislang nicht verurteilt hat und ihn in diesem Dokument lediglich als „Ukrainekrise“ bezeichnet. Wer China vorwirft, in dieser 12 Punkte Erklärung, die aus chinesischer Sicht nicht den Anspruch eines Friedensplanes erhebt, keine konkreten Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen formuliert zu haben, hat schlicht und einfach ein grundlegendes Prinzip von Diplomatie nicht verstanden. Vorbedingungen und Diplomatie schließen sich nämlich im Grunde ebenso aus, wie Schuldzuweisungen oder persönliche Verurteilungen von politischen Entscheidungsträgern.

Mit dem Hinweis auf das internationale Völkerrecht und der Forderung, die Souveränität und Integrität eines jeden Landes zu achten, hat Peking den russischen Krieg eindeutig verurteilt. Die Forderung an beide Kriegsparteien, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen, nimmt doch auch den russischen Präsidenten in die Pflicht. Dass solche Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufgenommen werden müssen, kann man nur unterstreichen und dass zuvor die Waffen schweigen müssen, kann doch auch von niemandem bestritten werden.

Die Ablehnung des Einsatzes von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen ist uneingeschränkt zu unterstützen und sollte nicht mit dem Hinweis abgewertet werden, dass dies ja nichts Neues sei. Der Forderung, keine Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen durchzuführen, muss man ebenfalls beipflichten. Dazu ist es nicht erforderlich, Russland in diesem Zusammenhang beim Namen zu nennen, weil das in Moskau auch so verstanden wird. Der Aufruf, das Getreideabkommen weiterhin umzusetzen und sich insgesamt für eine Lösung der globalen Nahrungsmittelkrise einzusetzen, ist eindeutig positiv zu bewerten.

Es gibt in dem gesamten Dokument lediglich einen Passus, in dem eine separate Forderung an die Unterstützer der Ukraine gestellt wird, nämlich die Aufhebung der Sanktionen. Das muss man als Parteinahme für Russland einordnen, obwohl China damit nicht nur die Sanktionen gegen Russland gemeint hat, sondern sich generell gegen solche Maßnahmen ausgesprochen hat, falls diese nicht von den Vereinten Nationen beschlossen wurden.  

Diese Tatsache reicht aus meiner Sicht aber bei weitem nicht aus, dieses Dokument als „pro-russisch“ zu bezeichnen, auch wenn noch eine Reihe von Formulierungen sich eindeutig an die Adresse der USA richten.

Dafür muss Moskau aus diesem Dokument klipp und klar zur Kenntnis nehmen, dass die Aussage von Chinas Präsident Xi Jinping seinem russischen Kollegen „grenzenlose Freundschaft“ zu schwören, nicht automatisch bedeutet, das Vorgehen Russlands in der Ukraine gut zu heißen.

Die Positionierung Pekings ist ein möglicher Ansatz, die gegenwärtige Spirale der Gewalt zu stoppen. Dafür ist es allerdings nicht ausreichend, Präsident Putin davon zu überzeugen, dass Verhandlungen die einzige Lösung zur Beendigung dieses Krieges sind, sondern das muss auch Präsident Biden einsehen und vor allem seinen Einfluss auf Präsident Selensky geltend machen, dass auch dieser Verhandlungen nicht mehr kategorisch ablehnt und von Vorbedingungen abhängig macht, die für Russland unannehmbar sind.

Dieses Dokument ist ein ernst zu nehmender Ansatz, diesen Krieg zu beenden und sollte nicht voreilig als politischer Versuchsballon abgewertet werden.

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Wird Deutschland zur europäischen Speerspitze der USA gegen Russland?

Der amerikanische Präsident hat durch seinen Besuch in Kiew -nunmehr auch für die ganze Welt sichtbar- seine politische Zukunft mit einem militärischen Erfolg der Ukraine im Krieg gegen Russland verbunden. Welche möglichen Folgen könnte diese eindeutige Positionierung der USA und vor allem auch ihres Präsidenten für Deutschland haben?

Die amerikanische Strategie im Ukraine Krieg

Die Ukraine kämpft gegen Russland nicht nur um ihre eigene Freiheit, sondern auch für die Interessen der USA, um Russland als Konkurrenten auf der weltpolitischen Bühne auszuschalten. Deshalb ist die umfassende militärische Unterstützung durch die USA nur auf den ersten Blick ein selbstloses Engagement für die Zukunft der Menschen in der Ukraine, sondern ein glasklares Umsetzen der globalen amerikanischen nationalen Interessen. Dazu braucht Washington die Unterstützung durch die europäischen Verbündeten und zwar nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich. Deshalb haben die USA zunächst einmal die NATO wieder in die Spur gebracht, weil die NATO das entscheidende militärische Instrument Amerikas ist. Sicherheitspolitische Zielsetzungen haben aber auch immer starke wirtschaftliche Aspekte, und deshalb musste zusätzlich auch die EU auf die amerikanische Linie eingeschworen werden. Dazu war es erforderlich, die europäischen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland zu reduzieren und gleichzeitig die Abhängigkeiten der Europäer von den USA auszubauen. In diesem Zusammenhang sind alle Sanktionen gegenüber Russland einzuordnen, vor allem natürlich die europäische Zusammenarbeit auf dem Energiesektor. Das ist bereits weitgehend gelungen, nicht zuletzt durch den Sabotageanschlag auf die Pipelines Nordstream 1 und 2, für den offiziell noch kein Land verantwortlich gemacht wurde. Allerdings verstärken sich die Hinweise, dass die USA nicht völlig unbeteiligt daran waren, um es vorsichtig zu formulieren.

Die Folgen von einem Gas- und Ölembargo gegenüber Russland und dem Krieg in der Ukraine, sind immens steigende Energiekosten und eine hohe Inflationsrate in Europa.

Viele europäische Firmen haben ihre Investitionen in Russland gestoppt und zu einem großen Teil bereits jegliche Zusammenarbeit mit Moskau eingestellt. Europäische Firmen wurden -quasi im Gegenzug – durch attraktive Angebote eingeladen, statt in Russland oder anderen Ländern Europas in den USA zu investieren. Parallel dazu hat Präsident Biden in seiner Ansprache zur Lage der Nation die Devise ausgegeben, dass Handelsketten in Zukunft nicht in den USA enden, sondern dort beginnen sollten.

Zusätzlich zu den amerikanischen Plänen in und mit Europa gibt es auf der nuklearen Ebene weiterhin eine Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland, an der Europa aber nicht beteiligt ist. Allerdings gibt es in diesen Beziehungen mittlerweile erheblich Friktionen. Da ist in erster Linie das Aufkündigen des „ABM Vertrag“, der „INF-Vereinbarung“ und das Abkommen „Open Skies“ durch die USA zu nennen.

Der „Anti-Ballistic Missile Treaty“ ( ABM-Vertrag) wurde am 28. Mai 1972 mit unbefristeter Gültigkeit abgeschlossen. Es handelte sich um ein Rüstungskontrollvertrag zwischen den USA und der Sowjetunion zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (Anti-Ballistic Missiles, ABM). Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 traten die USA am 13. Juni 2002 einseitig vom Vertrag zurück, um neue Raketenabwehrsysteme entwickeln zu können, nachdem sie, wie vertraglich festgelegt, 6 Monate zuvor eine Absichtserklärung abgegeben hatten, in der sie dem Vertragspartner – dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion, Russland – den Rücktritt ankündigten.

Der „INF-Vertrag“ (Intermediate Range Nuclear Forces) war ein Abkommen zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion aus dem Jahr 1987. Der Vertrag wurde auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs geschlossen und stellte einen Wendepunkt dar: Die beiden Großmächte vereinbarten, alle landgestützten Raketen und Marschflugkörper mittlerer Reichweite (500-5500km) zu vernichten. Gleichzeitig verbietet der Vertrag, neue Waffen dieser Kategorie zu produzieren oder zu testen. 2007 erklärte Russland, der Vertrag entspreche nicht mehr seinen Interessen. Anstatt seine Inhalte neu zu verhandeln, wurde der Vertrag am 1. Februar 2019 durch die USA mit der vorgesehenen 6-monatigen Frist aufgekündigt.

 „Open-Skies“ ist die Bezeichnung für einen Vertrag aus dem Jahre 1992 zwischen 27 damaligen KSZE-Staaten (NATO– und ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten), der es den Vertragsteilnehmern gestattet, gegenseitig ihre Territorien auf festgelegten Routen zu überfliegen und Lagebilder durch Beobachter und mittels technischer Sensoren zu erstellen.

Durch diese vertrauensbildende Maßnahme im KSZE/OSZE-Raum sollen Vereinbarungen der Rüstungskontrolle sowie zur Konfliktverhütung überwacht, Konflikte vermieden und der Frieden gesichert werden.

Die Vereinigten Staaten sind als bisher einziger Staat rechtswirksam am 22. November 2020 aus dem Vertrag ausgestiegen. Am 15. Januar 2021 leitete Russland als Reaktion auf den Austritt der USA ebenfalls Schritte zum Austritt aus dem Abkommen ein.

Aktuell hat der russische Präsident Putin angekündigt, das erst 2021 verlängerte „NEW START“ Abkommen mit den USA auszusetzen. Im „New Start“-Vertrag bekennen sich Russland und USA zur Verringerung strategischer Atomwaffen. Das Abkommen schreibt vor, dass die Vertragspartner die Zahl ihrer nuklearen Sprengköpfe auf maximal 1550 und die Zahl nuklearer Trägersysteme auf 800 reduzieren – von letzteren dürfen maximal 700 im Einsatz sein. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow reagierte damit auf Kritik aus den USA an der Aussetzung von Kontrollen durch Russland wegen des Ukrainekrieges. Der russische Präsident hat allerdings versichert, dass sich Russland trotzdem strikt an die vereinbarten Obergrenzen halten werde.

Die Rolle Deutschlands in der amerikanischen Russland- Ukraine-Strategie

Deutschland hat seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland radikal zurückgefahren und vor allem seine Zusammenarbeit im Energiesektor vollständig beendet. Ein Teil der bisherigen russischen Gaslieferungen wird durch amerikanisches LNG-Gas ersetzt, obwohl dieses durch Fracking gewonnen wird, ein Verfahren, das bislang von Deutschland kategorisch abgelehnt wurde. Die im Beisein von Bundeskanzler Scholz von US-Präsident Biden gemachte Ankündigung, dass ein russischer Einmarsch in die Ukraine das Ende von Nordstream 2 bedeuten würde, hatte der Kanzler seinerzeit wortlos zur Kenntnis genommen. Der Ukrainekrieg und die gestoppten russischen Gaslieferungen haben in Deutschland in allen Wirtschaftsbereichen zu erheblichen Preissteigerungen geführt.

Während sich Deutschland zu Beginn des Krieges bei der militärischen Unterstützung der Ukraine zunächst auf nicht letale militärische Güter beschränkt hatte, wurde schon sehr bald das Prinzip, keine Waffen in Kriegs-und Krisengebiete zu liefern, außer Kraft gesetzt. Begonnen hatte Deutschland mit allen Arten von Personen-gestützten Panzer- und Fliegerabwehrwaffen und hat mittlerweile die Ukraine mit deutschen Panzerhaubitzen, Flak-Panzern und mobilen Flugabwehrraketensystemen ausgestattet, nachdem zuvor ukrainische Soldaten in Deutschland an diesen Waffensystemen ausgebildet wurden. Darüber hinaus wurde die Lieferung von deutschen Schützenpanzern zugesagt, wobei auch in diesem Fall die ukrainischen Besatzungen in Deutschland ausgebildet werden. Aktuell hat Deutschland nicht nur die Lieferung von Leopard 2 und Leopard 1 Kampfpanzern zugesagt, sondern sich auch bereit erklärt die Führung einer s.g. „Panzer-Allianz“ zu übernehmen. Alle Entscheidungen, schwere Waffen zu liefern, wurden nicht zuletzt auf Drängen westlicher Partnerstaaten, die nicht alle der NATO angehören, getroffen. Aber, wenn es um konkretere Waffenlieferungen ging, blieben und bleiben viele dieser Länder in der „politischen Deckung“.

Innerhalb der Bundesregierung gab es, vor allem zur Lieferungen schwerer Waffen, durchaus unterschiedliche Positionen. Aber der Druck von Seiten der Grünen und der FDP, weniger massiv durch die SPD und verstärkt durch CDU/CSU Opposition haben den Bundeskanzler veranlasst, der Lieferung von immer schwereren Waffen zuzustimmen.

Neben der Lieferung von gepanzerten Waffensystemen hat Deutschland in der Slowakei, nahe der ukrainischen Grenze, ein Wartungs- und Instandsetzungszentrum für diese Waffen aufgebaut.

Die konkreten Unterstützungsmaßnahmen Deutschlands im humanitären, wirtschaftlichen und vor allem auch im militärischen Bereich wurden begleitet durch zahlreiche Ukraine Besuche von Politikern der Regierungsparteien und der Opposition. Neben dem Bundespräsidenten besuchte auch der Bundeskanzler während des Krieges die Ukraine, ebenso wie viele Kabinettsmitglieder, Die Außenministerin fuhr sogar bei einem ihrer Besuche medienwirksam an die Front. Begleitet wurden und werden all diese Maßnahmen von den s.g. „Leitmedien, die die Ukraine- und Russlandpolitik der Bundesregierung nicht nur eher wenig reflektiert unterstützen, sondern diese sogar massiv dazu drängen, vor allem auch schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.

Neben den konkreten politischen Entscheidungen der Bundesregierung wurde das deutsche Engagement für die Ukraine und die konfrontative Haltung gegenüber Russland nicht unwesentlich durch amerikanische Vorhaben auf deutschem Boden verstärkt. So tagt im Regelfall die von den USA geführte „Ukraine-Unterstützungsgruppe“ auf dem US-Militärstützpunkt in Ramstein, und auf dem amerikanischen Truppenübungsplatz Grafenwöhr bilden die USA ukrainische Soldaten an den Waffensystemen aus, die Washington an Kiew liefert. Die ersten US-Schützenpanzer für die Ukraine wurden in Bremerhaven angelandet, und Präsident Biden hat auf seinem Flug nach Polen, um von dort mit dem Zug nach Kiew weiterzufahren, einen Stopp auf der US-Airbase in Ramstein eingelegt.

Wird Deutschland zur europäischen Speerspitze der USA gegen Russland?

Deutschland wird nicht zur europäischen Speerspitze der USA gegen Russland, sondern ist es bereits. Es gibt mittlerweile kein anderes EU Land, das die Ukraine derart intensiv humanitär, wirtschaftlich, und vor allem auch militärisch unterstützt wie Deutschland. Auch kein anderer EU oder NATO Staat hat mit so vielen Politikern die Ukraine besucht und dort „Flagge gezeigt“ wie Deutschland. Für die USA ist Deutschland nach Polen mittlerweile zur wichtigsten Drehscheibe in der Unterstützung der Ukraine, bzw. im Stellvertreterkrieg mit Russland, geworden, ohne dass Deutschland um diese zentrale Rolle gebeten hat. Die Ukraine-Unterstützungsgruppe könnte ja auch in Brüssel tagen, und die ukrainischen Soldaten hätten von den USA ja auch in Polen ausgebildet werden können, aber das hat Washington wohl mit Bedacht anders entschieden. Ob das der politischen Führung in Berlin bewusst ist?

Die Deutschland aufgedrängte Führung der s.g. „Panzer-Allianz“, die allerding noch immer nicht zustande gekommen ist, hat dazu geführt, dass Präsident Putin in seiner Rede zur Erinnerung an die Schlacht von Stalingrad gesagt hat, dass es erneut so weit sei, dass Panzer mit dem Eisernen Kreuz wieder gegen Russland kämpfen würden.

Da Moskau die direkte Konfrontation mit den USA, die behaupten, nicht im Krieg mit Russland zu sein, vermeiden will, ist zu befürchten, dass Deutschland sozusagen zu einem Ersatzziel werden könnte. Ob deutsche Politiker diese Gefahr sehen, muss bezweifelt werden, wenn man die Aussagen von einigen „Polit-Amateuren“ hört, die den Ukrainekrieg mit einer Art Video-Spiel zu verwechseln scheinen. Eklatantestes Beispiel ist Annalena Baerbock, die einerseits sagt, Deutschland befinde sich im Krieg mit Russland und andererseits ihren unsäglichen Auftritt beim Karneval in Aachen mit den Worten begonnen hat, sie habe zunächst überlegt, in einem Leopardenkostüm zu erscheinen. Der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete den Leopard 2 als „Gamechanger“, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt twitterte „The Leopard´s feed !“, und das Auswärtige Amt hatte in einem offiziellen Tweet, in dem es um Russlands Außenpolitik ging, das Tier-Emoji eines Leoparden eingesetzt. Die SZ schrieb dazu am 21.02.23: Krieg im Kinderzimmer, Gamefiction-und alles nicht so schlimm?“

Was die deutschen Politiker darüber hinaus nicht zu kapieren scheinen, ist die Rolle Polens und der anderen osteuropäischen Staaten im amerikanischen Strategieansatz. Polen erfüllt für Washington eine Doppelfunktion. Zum einen ist es der amerikanische Grenzübergang in die Ukraine, und zum anderen bildet Warschau einen geographischen Puffer zwischen Deutschland und Russland, falls die Bunderegierung ihre einseitige und von Emotionen geprägte Russlandpolitik überdenken sollte. Da passt es bestens ins amerikanischen Konzept, dass Polen auf Grund seiner Vergangenheit nicht nur Russland hasst, sondern auch zu Deutschland ein Verhältnis pflegt, das noch immer vom 2. Weltkrieg geprägt ist. Ein Beispiel dafür sind die Forderungen von Reparationen an Deutschland, die von polnischen Politikern immer wieder ins Spiel gebracht werden.

Die Tatsache, dass sich Präsident Biden nach seinem Auftritt in Polen ausschließlich mit den mittel- und osteuropäischen NATO-Staaten, dem „Bukarest 9 Format“, also neben Polen, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien Slowakei, Tschechische Republik und Ungarn ,treffen wird, macht deutlich, dass er diesen NATO Verbündeten mehr traut und vor allen Dingen davon überzeugt ist, dass diese bei der Stange bleiben, solange die USA – nicht die NATO- ihre Sicherheit garantieren und zwar nicht zuletzt durch die Präsenz von amerikanischen Soldaten. In Polen allein sollen es aktuell ca. 11.000 sein. Neben der Nibelungentreue dieser Staaten zu den USA- lediglich Ungarn sieht das etwas differenzierter- spielt bei diesem engen Verhältnis mit den USA für Washington natürlich auch die geografische Nähe dieser Länder zu Russland eine wesentliche Rolle. Die amerikanischen „Aegis Ashore“ Raketenabwehranlagen in Polen und Rumänien sind dafür ein deutlicher Beweis.

Und ein dritter Punkt scheint den deutschen Politikern nicht klar zu sein, dass nämlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass Washington aus innenpolitischen Erwägungen seine Unterstützung der Ukraine so plötzlich und ohne Rücksprache mit den Verbündeten beendet, wie das in Afghanistan im August 2021 der Fall war. Wie bereits ausgeführt, hat Präsident Biden seine politische Zukunft mit einem militärischen Erfolg der Ukraine verbunden und dies mit seinem Besuch in Kiew nachdrücklich unterstrichen. Nach Meinung von amerikanischen Experten sieht es allerdings aktuell überhaupt nicht danach aus, sondern ganz im Gegenteil rechnen diese mit einer baldigen und entscheidenden russischen Offensive und einer militärischen Niederlage der Ukraine.

Sollte das zutreffen, müsste der amerikanische Präsident -falls er das US-Engagement beenden wollte- rechtzeitig versuchen, die bis dahin praktizierte amerikanische Ukraine- und Russlandpolitik innenpolitisch trotzdem als Erfolg zu verkaufen. Dafür hätte er ggf. im Wesentlichen folgende Argumente

  • Russland wurde als Konkurrent auf der weltpolitischen Bühne erheblich geschwächt
  • Die NATO ist wieder in der Spur, und die europäischen Staaten sind bereit, ihre Verteidigungsanstrengungen zu erhöhen
  • Schweden und Finnland wollen der NATO beitreten
  • Die meisten Staaten und Republiken der ehemaligen Sowjetunion sind bereit, die dauerhafte Stationierung von US-Truppen zu erlauben.  
  • Die EU wurde von der preiswerten Energieversorgung durch Russland abgeschnitten und Amerika wurde die Tür zum europäischen Energiemarkt weit aufgestoßen
  • Insgesamt ist die EU bereit, sich wirtschaftlich wieder mehr in Richtung der USA zu orientieren als dies vor dem Krieg der Fall war.
  • Die EU hat sich bereits verpflichtet, den Wiederaufbau der Ukraine entscheidend mitzufinanzieren.
  • Die amerikanische Rüstungsindustrie hat prall gefüllte Auftragsbücher und wird vor allem für viele Jahre US-Waffensysteme an die osteuropäischen NATO-Staaten verkaufen
  • Die finanziellen Aufwendungen der USA für die militärische Unterstützung der Ukraine werden zu einem nicht unerheblichen Teil im Rahmen des amerikanischen „Lend-Lease-Act“ von den Europäern kompensiert, weil die Ukraine dazu nicht in der Lage sein wird.

Für die USA standen und stehen immer die nationalen Interessen im Vordergrund, und diese sind globaler Natur. Das ist legitim, muss allerdings den europäischen und vor allem auch den deutschen Politikern klar sein.

Sollten sich die USA aus nationalem Interesse und handfesten politischen Überlegungen der Demokraten und auch des US Präsidenten im Hinblick auf die 2024 anstehenden Präsidentschaftswahlen, für die der Wahlkampf bereits begonnen hat, entschließen, ihr massives Engagement in der Ukraine zu beenden, stände Deutschland als europäische Nummer 1 in der Ukraine-Unterstützung plötzlich mitten im Fadenkreuz des russischen Präsidenten. Es muss bezweifelt werden, ob dies der Bundesregierung klar ist.

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Präsident Bidens Ansprache zur Lage der Nation- eine innenpolitische Tour d´Horizon ohne jede außenpolitische Vision

Am 07. Februar 2023 hat US Präsident Biden vor dem Kongress seine jährliche Ansprache zur Lage der Nation gehalten. Immer wieder von großem Beifall unterbrochen hat er aufgezeigt, was in seiner Präsidentschaft erreicht wurde und welche innenpolitischen Ziele er sich für den Rest seiner Amtszeit gesetzt hat. Wie bei all seinen Vorgängern war die Ansprache von großem Nationalbewusstsein und Patriotismus geprägt.*

Gleich zu Beginn stellt der Präsident fest: “As we gather here tonight, we’re writing the next chapter in the great American story — a story of progress and resilience.

When world leaders ask me to define America — and they do, believe it or not — I say I can define it in one word, and I mean this: possibilities. We don’t think anything is beyond our capacity. Everything is a possibility.” („So, wie wir heute hier zusammengekommen sind, schreiben wir das nächste Kapitel in der großen Geschichte Amerikas. Wenn die Führer der Welt mich fragen- und glaubt mir, sie fragen mich – was Amerika ausmacht, dann antworte ich mit einem Wort: Möglichkeiten. Wir denken nicht, dass irgendetwas außerhalb unserer Fähigkeiten liegt. Alles ist eine Möglichkeit“)

Kurz gesagt: Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Im Anschluss daran geht der Präsident in die Einzelheiten und beschwört geradezu, die Seele der Nation wieder zu beleben, mit Hilfe der Mittelklasse das Rückgrat des Landes wiederherzustellen und Amerika zu einen. Dann geht er auf die Wirtschaft der USA ein und sagt: „Where is it written that America can’t lead the world in manufacturing?“ („Wo steht es geschrieben, dass die Produktion USA nicht führend in der Welt sein kann?“) Er weist daraufhin, dass man über Jahrzehnte Projekte importiert und Jobs exportiert habe und es an der Zeit sei, diese Entwicklung umzukehren.

Es folgt ein kurzer Hinweis darauf, dass der brutale und unfaire Krieg Präsident Putins dazu geführt habe, dass Lieferketten zusammengebrochen seien, sowohl im Energiesektor wie im Bereich der Nahrungsmittel, z.B. der Getreidexport aus der Ukraine. Aber die USA seien trotzdem in einer besseren Position als der Rest der Welt, und er gibt die Parole aus: „We’re going to make sure the supply chain for America begins in America“. („Wir werden sicherstellen, dass die Versorgungskette für Amerika in Amerika beginnt.“) Es folgen umfassende Aussagen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zu Investitionen im Bereich der Infrastruktur. Bei Letzterem weist der Präsident darauf hin, dass bei diesen Maßnahmen auf amerikanische Produkte Wert gelegt wird. Im weiteren Verlauf seiner Rede beschäftigt sich der Präsident mit den Lebenshaltungskosten der Amerikaner, ihrem Durchschnittsverdienst, der sozialen Absicherung und der Gesundheitsvorsorge. Auch die Verschuldung der USA wird thematisiert, aber gleichzeitig relativiert. Danach geht Joe Biden auf das amerikanische Bildungssystem ein und ruft kurz die erfolgreiche Bekämpfung von Covid in Erinnerung. Anschließend stellt der Präsident die Situation im Bereich der inneren Sicherheit dar und verspricht eine Reform der Polizei. Eindringlich fordert er das Verbot von Angriffswaffen. Auch die illegale Einwanderung wird behandelt und das neue Konzept gelobt, diese zu stoppen.

Dann erst behandelt Joe Biden kurz die amerikanische Außenpolitik. Zunächst geht er auf den russischen Angriffskrieg und die damit verbundenen Herausforderungen ein und stellt die rhetorischen Fragen: „Would we stand for the most basic of principles? Would we stand for sovereignty? Would we stand for the right of people to live free of tyranny? Would we stand for the defense of democracy?” (“Würden wir einstehen für die wichtigsten Prinzipien, für Souveränität, für das Recht der Menschen frei von Tyrannei zu leben und für die Verteidigung der Demokratie?“) Dann beantwortet er die Frage selbst: „One year later, we know the answer. Yes, we would. And we did. We did.” (“ Ein Jahr später kennen wir die Antwort. Ja, wir würden es und wir haben es getan, haben es getan.“) Zu Bekräftigung dieser Aussage führt der Präsident aus: „And together, we did what America always does at our best. We led. We united NATO. We built a global coalition. We stood against Putin’s aggression. We stood with the Ukrainian people.” („Und zusammen haben wir das gemacht, was Amerika immer am besten kann: Wir haben geführt. Wir haben die NATO geeinigt. Wir haben eine globale Allianz geschmiedet. Wir haben uns Putins Aggression widersetzt. Wir haben der ukrainischen Bevölkerung zur Seite gestanden.“) Während Joe Biden dies sagt, zeigt er auf die anwesende ukrainische Botschafterin, die ihr Volk repräsentiert und bittet sie aufzustehen, damit sie von allen Kongressmitgliedern gesehen werden kann. Der Präsident bedankt sich und sagt: „ We’re going to stand with you as long as it takes.

Our nation is working for more freedom, more dignity, and more — more peace, not just in Europe, but everywhere.” (“ Wir stehen an Ihrer Seite so lange, wie es nötig ist. Unsre Nation arbeitet für mehr Freiheit, mehr Würde und mehr Frieden, nicht nur in Europa, sondern überall.“)

Im Anschluss an diese sehr kurze Aussage zum Krieg in der Ukraine geht der Präsident auf das Verhältnis der USA zu China ein. Er sagt, China wäre auf dem Weg gewesen, ständig seine Macht und seinen Einfluss zu stärken bis er sein Amt übernommen hätte. Er habe mehrfach mit dem chinesischen Präsidenten Xi gesprochen und ihm erklärt, man sei im Wettbewerb mit China, nicht in einem Konflikt. Er sei bereit mit China zusammenzuarbeiten zum Wohle der USA und der Welt und machte klar, wie das geschehen soll: „Modernizing our military to safeguard stability and determine — deter aggression.Today, we’re in the strongest position in decades to compete with China or anyone else in the world. „(Modernisierung unserer Streitkräfte, um Stabilität zu sichern und Aggression zu verhindern. Heute sind wir in der stärksten Position seit Jahrzehnten, um im Wettbewerb mit China oder jedem anderen in der Welt zu bestehen.“) Zu Taiwan sagte der Präsident nichts, sondern fasst stattdessen praktisch zusammen, dass die USA sich allen Herausforderungen stellen würden, vom Klimawandel zur globalen Gesundheitsvorsorge bis hin zu Bekämpfung von Hunger, Terrorismus und territorialen Aggressionen.

Praktisch übergangslos wechselt Joe Biden von diesen sehr kurzen Ausführungen zur Außenpolitik wieder zu innenpolitischen Themen und spricht über Drogenhandel und politische Gewalt in den USA.

Zum Ende seiner Ansprache wird der Präsident noch einmal patriotisch, indem er sagt: I’ve never been more optimistic about our future — about the future of America.

We just have to remember who we are. We’re the United States of America. And there’s nothing — nothing beyond our capacity if we do it together.

God bless you all. And may God protect our troops. Thank you.“ („Ich war nie optimistischer im Hinblick auf unsere Zukunft. Wir müssen uns nur daran erinnern, wer wir sind. Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Und es gibt nichts, nichts, was unsere Fähigkeiten übersteigt, wenn wir es zusammen machen. Gott segne sie alle und möge unsere Soldaten beschützen. Ich danke Ihnen.“)

Zusammenfassende Bewertung

Die Ansprache von Joe Biden lässt jegliche Vision eines US-Präsidenten vermissen, der den Anspruch erhebt, Führer der freien Welt zu sein.

In mehr als 90% seiner Rede hat sich der amerikanische Präsident mit der Innenpolitik der Vereinigten Staaten beschäftigt und dabei alle – auch für eine mögliche Wiederwahl- wichtigen Themen angesprochen. Dabei hat er immer wieder an die Zusammenarbeit aller Repräsentanten beider großen Parteien appelliert und aufgezeigt, wie wichtig dieser Zusammenhalt für die Zukunft der USA ist. Durch die von ihm gesetzten Schwerpunkte in seiner Ansprache hat der Präsident unmissverständlich klargemacht, worum es in der US-Politik in erster Linie geht, nämlich um die nationalen Interessen Amerikas. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat er diese Politik zwar nicht bezeichnet als „America First“, aber mit seiner Rede genau dies gemeint. Obwohl sich das Land de facto in der Ukraine in einem Stellvertreterkrieg mit Russland befindet, der, nicht zuletzt, den amerikanischen Steuerzahler Milliarden Dollar kostet, war ihm diese Auseinandersetzung nur ein paar Sätze wert. Seine Worthülse „We we´re going to stand with you as long as it takes”, hat er in keiner Weise mit Inhalt gefüllt. Kein Wort zu den Zerstörungen in der Ukraine, kein Wort zu den Millionen Flüchtlingen, allerdings auch kein Wort zur zukünftigen militärischen Unterstützung. Vor allen Dingen fehlte jegliche Aussage zu einer konkreten Strategie, zum einen gegenüber Russland, aber auch dazu, wie es in diesem Krieg weitergehen soll, wie die USA einen Waffenstillstand erreichen und diesen Krieg letztlich beenden wollen. Von einer möglichen Verhandlungslösung war überhaupt nicht die Rede.

Der Präsident hat zwar ganz kurz den grundsätzlichen Führungsanspruch der USA deutlich gemacht, aber jede Vision vermissen lassen, wie er diesen eigentlich gestalten will. Für die NATO hatte Joe Biden nur die Feststellung übrig, dass diese geeinigt sei und behauptet, die USA habe eine globale Allianz gegen Russland geschmiedet, was definitiv nicht der Fall ist. Die EU wurde in seiner Ansprache überhaupt nicht erwähnt, was deutlich macht, welche Rolle Europa eigentlich in der amerikanischen Politik spielt. Das liegt vermutlich nicht zuletzt daran, dass Europa ja bislang hat nicht erkennen lassen, dass es eine eigne Rolle beansprucht und zwar möglichst auf Augenhöhe mit den USA.

Fazit: Die amerikanische Innenpolitik hat auch bei früheren US-Präsidenten die State of the Union Ansprachen dominiert, aber nie zuvor hat die Außenpolitik einen derart geringen Stellenwert in einer Rede zur Nation gehabt.

Wer den Anspruch erhebt, Führer der freien Welt zu sein und sein Land als die Nummer 1 dieser Welt einordnet, sollte auch in seiner Ansprache zur Lage der Nation genau dieser Welt einen angemessenen Raum zugestehen und mit überzeugenden Visionen einen Weg in eine bessere und vor allem friedlichere Zukunft für alle Menschen weisen.  

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*Bei der inhaltlichen Darstellung der Rede habe ich das Präsenz gewählt, weil das besser zu den Zitaten passt. 

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Mögliche Lieferungen von westlichen Kampfflugzeugen an die ukrainischen Streitkräfte- eine realistische militärische Option? 

Kaum haben sich Politiker und Medien im Zusammenhang mit der Lieferung westlicher Kampfpanzer an die Ukraine wieder einigermaßen beruhigt, wird mit einem eventuellen Export westlicher Kampfflugzeuge an die ukrainischen Streitkräfte bereits „ein neues Fass aufgemacht.“

Wie schon bei den westlichen gepanzerten Waffensystemen stellt sich neben der politischen Dimension einer solchen Lieferung zunächst die Frage, ob es für die ukrainischen Piloten überhaupt möglich wäre, westliche Flugzeugmuster zu fliegen und welche Voraussetzungen dafür erforderlich wären.

Kampfflugzeuge der ehemaligen Sowjetunion in den Luftstreitkräften der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten, die heute NATO-Mitglieder sind

 Die nachfolgenden Zahlen basieren auf offenen Quellen und sind deshalb ggf. nicht in jedem Fall präzise.

  • Bulgarien: 11 MIG-29 und 6 SU-25
  • Rumänien: 15 MIG-21
  • Slowakei: 10 MIG-29
  • Polen: 28 MIG-29

Die tschechische Republik und Ungarn haben keine sowjetischen Kampfflugzeuge (mehr) im Bestand.

Die Ukraine selbst verfügte zu Kriegsbeginn über folgende sowjetische Kampfflugzeugtypen:

43 MIG-29,

12 SU-24,

17 SU-25

25 SU-27

Über die Einsatzbereitschaft der genannten russischen Flugzeugmuster in den jeweiligen Luftstreitkräften liegen keine Erkenntnisse vor.

Bestand oder Bestellung von amerikanischen F-16 Kampfflugzeugen in den ehemaligen Warschauer Pakt Staaten, die heute NATO Mitglieder sind

Auch die nachfolgenden Angaben basieren auf offen zugänglichen Quellen und können deshalb unvollständig sein.

  • Polen: 48 F-16
  • Rumänien: 14 F-16
  • Slowakei: 70 F-16

Außerdem hat Bulgarien die ersten amerikanischen F-16 bestellt.

Verfügbare amerikanische F-16 in Europa

Außer den F-16 in den genannten osteuropäischen NATO Staaten wird dieses Flugzeugmuster in großer Zahl in sehr vielen westeuropäischen Luftstreitkräften der NATO geflogen und natürlich auch in der US-Luftwaffe selbst auf ihren Stützpunkten in mehreren NATO-Staaten.

Grundsätzliche Probleme bei der Umschulung ukrainischer Piloten auf westliche Flugzeugmuster und zusammenfassende Bewertung

Zu allererst muss geprüft werden, ob es in der Ukraine überhaupt (noch) geeignete einsatzbereite Flughäfen gibt, die auch mit der erforderlichen Luftabwehr vor russischen Angriffen geschützt sind.

Bevor danach überhaupt weiter über die Umschulung ukrainischer Piloten auf westliche Flugzeugmuster diskutiert wird, sollte die Option eines Ringtausches geprüft werden, wie er im Zusammenhang mit der Lieferung von Kampfpanzern bereits praktiziert wurde, bevor man sich entschieden hatte, auch westliche Kampfpanzer direkt an die Ukraine zu liefern.

 Im Klartext hieße das: Osteuropäische NATO-Staaten überlassen der Ukraine einsatzbereite Flugzeuge sowjetischer Bauart und erhalten im Gegenzug weitere amerikanische F-16, von denen sie bereits einige im Bestand haben. Auf Grund der großen Zahl von F-16 in den westlichen NATO-Luftstreitkräften dürfte das kein Problem sein, zumal die Flugzeuge ja sozusagen im NATO-Bestand blieben und sogar näher an der Ukraine stationiert würden.

Sollte man sich alternativ oder zusätzlich zu einem möglichen Ringtausch für eine direkte Lieferung von amerikanischen F-16 oder anderer westlicher Kampfflugzeugmodelle an die Ukraine entscheiden, wären die damit verbundenen Schwierigkeiten erheblich und nur schwer einzuschätzen. Das beginnt damit, dass die vorhandenen Baumuster der sowjetischen Kampfflugzeuge und die amerikanische F-16 aus Flugzeuggenerationen stammen, zwischen denen grundsätzlich entwicklungstechnisch sozusagen Welten liegen, nicht nur im Hinblick auf Bedienung und Flugeigenschaften, sondern vor allem, was die Avionik und die Selbstschutzeinrichtungen der Flugzeuge angeht. Zusätzliche Herausforderungen würden sich für die ukrainischen Piloten aus der Bewaffnung der Luftfahrzeuge ergeben. Neben einer Borkanone, über die auch sowjetische Baumuster verfügen, können die westlichen Kampfflugzeuge mit vielen verschiedenen Bewaffnungskonfigurationen ausgerüstet werden, u.a. zur Bekämpfung von Boden und/oder Luftzielen mit den unterschiedlichsten Arten von Raketen, aber auch mit speziellen Waffen zur Bekämpfung von Radareinrichtungen oder lasergesteuerten Bomben, die sich nach dem Abwurf selbst in mehrere Kilometer weit entfernte Ziele lenken, um nur einige Beispiele zu nennen. Für die Einsetzung dieser unterschiedlichen Waffen ist eine gesonderte fundierte Ausbildung erforderlich. Last, but not least wird für westliche Kampfflugzeuge auch eine bestimmte Infrastruktur auf den genutzten Einsatzflughäfen benötigt, u.a. für die Betankung, aber auch für die Wartung und Instandsetzung der Maschinen und das Anbringen der unterschiedlichen Bewaffnung.

Damit sind die wesentlichen militärischen Aspekte beschrieben und bewertet, die aber im Vergleich zu der politischen Dimension einer Entscheidung zur Lieferung von westlichen Kampfflugzeugen deutlich nachgeordnet sind. Mit der amerikanischen F-16 -um die wahrscheinlichste Option zu nennen- würde der Ukraine ein Waffensystem zur Verfügung gestellt, das über erhebliche Offensivfähigkeiten verfügt. Mit diesem Flugzeugtyp könnten auch Ziele bis weit ins russische Hinterland angegriffen werden.

Sollte man sich sogar entscheiden, an die Ukraine gelieferte westliche Kampfflugzeuge von NATO Flugplätzen starten zu lassen, weil ukrainische Flugplätze nicht zur Verfügung ständen oder die Gefahr bestände, dass diese von den russischen Streitkräften angegriffen würden, bekäme der Krieg eine völlig andere Dimension. Damit wären auch die letzten Zweifel beseitigt, ob sich die NATO im Krieg mit Russland befände, was die deutsche Außenministerin ja bereits erklärt hat.

Rein militärisch gesehen wäre eine Lieferung von Kampfflugzeugen auf der Basis eines Ringtausches machbar. Auch eine Schulung ukrainischer Piloten auf ein westliches Flugzeugmuster wäre grundsätzlich möglich, würde aber vermutlich eher 12 als 6 Monate dauern, weil es ja nicht genügt, die F-16 fliegen zu können, sondern man muss auch in der Lage sein, sie unter Kriegsbedingungen mit der richtigen Bewaffnung taktisch einzusetzen.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten militärischen Probleme und Maßnahmen, die mit einer Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine verbunden wären, muss politisch allerdings dringend davon abgeraten werden, weil davon ausgegangen werden muss, dass es in einem solchen Fall zu einer direkten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland käme, die sich nicht auf die Ukraine begrenzen ließe.

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„Der Westen“ wird Kampfpanzer liefern- schaut Russland zu?

Verschiedene Länder „des Westens“ haben sich entschieden, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Diese Entscheidung hat in erster Linie eine politische Dimension, ist aber auch militärisch, vor allem langfristig- von Bedeutung. Wie wird Moskau auf diese Entwicklung reagieren?

Mögliche Reaktionen Russlands

Präsident Putin und die Entwicklungen im Westen

Niemand weiß verbindlich, welche Pläne der russische Präsident für den weiteren Verlauf des Krieges hat. Man kann allerdings mit Sicherheit sagen, dass er die Entwicklungen im „Westen“ genauestens verfolgt. Dies wird ihm durch die kontroversen und geradezu ausufernden Diskussionen in den „westlichen“ Medien ausgesprochen leichtgemacht. Außerdem kann man davon ausgehen, dass die russischen Geheimdienste eine umfassende Aufklärung betreiben. Auf diese Weise erfährt der russische Präsident nicht nur die Möglichkeiten, die aus „westlicher“ Sicht aktuell diskutiert werden, auf welchem Wege man die Kampfpanzer am besten an die Ukraine liefern sollte, sondern man weiß in Moskau auch , wie viele Panzer von welchem Land zur Unterstützung der Ukraine abgegeben werden sollen, wo die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an diesen Panzern stattfinden wird und wann damit zu rechnen ist, dass die ersten Kampfpanzer in Richtung Ukraine „in Marsch gesetzt werden.“.

Diese Erkenntnisse machen es Moskau relativ einfach, verschiedene Optionen zu prüfen, wie und vor allem auch wann auf diese Eskalation reagiert werden sollte.

Die Optionen des russischen Präsidenten

Option 1

Präsident Putin sieht sich mit einer immer stärkeren militärischen Unterstützung der Ukraine durch „den Westen“ konfrontiert und erkennt, dass er den Krieg militärisch nicht gewinnen wird. Er macht „dem Westen“ ein konkretes Verhandlungsangebot, in dem er auch die Möglichkeit eines Abzugs der russischen Truppen auf die Linien vor dem 24. Februar 2022 anbietet.

Option 2

Der russische Präsident befiehlt seinen Militärs, umgehend mit einer ohnehin geplanten Offensive zu beginnen, um das Gesetz des Handelns in der Hand zu behalten oder- wie man es im “Westen“ jetzt immer öfter hört- „vor die Lage zu kommen“. Eine solche Offensive dürfte so aussehen, wie es kürzlich auch von dem pensionierten amerikanischen Oberst Douglas Macgregor beschrieben wurde: Zunächst wird ein Angriff in Richtung ukrainisch-polnischer Grenze geführt, um auf diese Weise eine weitere Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte auszuschließen und vor allem die geplanten Lieferungen von Schützenpanzern und Kampfpanzern auf diesem Wege zu verhindern.  Danach erfolgt ein massiver Angriff auf die ukrainischen Streitkräfte mit dem Ziel diese endgültig zu besiegen und einen politischen Regimewechsel in Kiew durchzusetzen.

Option 3

Moskau nutzt die noch zur Verfügung stehende Zeit bis die ersten Schützenpanzer und vor allem die ersten Kampfpanzer in der Ukraine ankommen zur Intensivierung seiner Vorbereitungen für die geplante Offensive. Sobald die ersten Schützenpanzer- und/oder Kampfpanzertransporte die ukrainische Grenze passieren- was mit hoher Wahrscheinlichkeit von Polen aus der Fall sein wird- und ukrainisches Territorium erreicht haben, werden diese auf ihrem weiteren Weg in die Einsatzräume von der russischen Luftwaffe angegriffen und vernichtet. Um den benachbarten NATO-Ländern keine Gelegenheit zu bieten, den Bündnisfall nach Art. 5 des NATO Vertrags festzustellen, erfolgen diese Angriff nicht grenznah, sondern ausschließlich und eindeutig auf ukrainischem Territorium. Dafür stände genügend Zeit zur Verfügung, weil die Front mehrere Hundert Kilometer entfernt ist.

Option 4

Russland nutzt auch im Rahmen dieser Möglichkeit die bis zur Lieferung der ersten Panzer noch zur Verfügung bleibende Zeit für die Vorbereitung einer Offensive und startet diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, sobald sich ein Panzertransport der ukrainischen Grenze nähert. Bei diesen Angriffen wird billigend in Kauf genommen, dass es auch zu Schäden auf dem Territorium eines Nachbarlandes kommt und dadurch seitens der NATO der Bündnisfall ausgelöst wird. Man könnte auch sagen: Bei dieser Option ließe es Moskau einfach darauf ankommen, ob die NATO auch offiziell in den Krieg eintreten würde oder provoziert es sogar.

Option 5

Der russische Präsident telefoniert mit Präsident Biden und erklärt diesem, dass die Lieferung von Kampfpanzern, vor allem die der amerikanischen „M1Abrams“ aus russischer Sicht der offizielle Eintritt der NATO in den Ukrainekrieg sei. Präsident Putin stellt darüber hinaus fest, dass die Lieferung von Kampfpanzern eine so massive Eskalation darstellt, dass er sich vorbehalte, im Gegenzug einen Militärschlag gegen ein NATO Land zu führen. Das könne z.B. die trainierende ukrainische Truppe auf dem deutschen Truppenübungsplatz Grafenwöhr sein, aber auch ein Luftangriff auf die Verstärkungstruppen der NATO in den Ländern an der Ostflanke des Bündnisses, z.B. in Litauen oder der Slowakei.

Option 6

Moskau reagiert lediglich verbal auf die neue Eskalation und wartet einfach ab, wie sich die politische Lage weiterentwickelt und wann und wo die Schützen- oder Kampfpanzer konkret zum Einsatz kommen, vertraut auf die eigenen Geländeverstärkungen und führt den Krieg in der bislang bekannten Weise weiter. Dabei unterstellt Russland, dass die Ukraine niemals die von ihr erbetene Menge an Panzern und Schützenpanzern bekommen wird, die für einen militärischen Sieg über Russland erforderlich werden. Sollte es trotzdem dazu kommen, bliebe dem russischen Präsidenten noch die atomare Option.

Zusammenfassende Bewertung

Niemand weiß verbindlich, wie Präsident Putin auf diese erneute Eskalation reagieren wird, und deswegen möchte ich mich an Spekulationen nicht beteiligen.

Dieser Beitrag soll lediglich verdeutlichen, welche wesentlich Optionen Moskau zur Verfügung stehen. Auf diese Weise soll außerdem klarwerden, welche Risiken mit der Lieferung von Kampfpanzern und Schützenpanzern verbunden sind.

Es erschließt sich mir einmal mehr nicht, warum „der Westen“ die Ankündigung von Kampfpanzerlieferungen nicht mit einer Verhandlungsinitiative verbunden hat, zumal als sicher angenommen werden kann, dass der Krieg durch diese Panzer nicht beendet wird.

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Uranhaltige Munition – was ihr möglicher Einsatz in der Ukraine bedeutet

Vorbemerkung

Im Zusammenhang mit dem neuen militärischen Unterstützungspaket der USA für die Ukraine gab es einen Hinweis, dass möglicherweise darin auch uranhaltige Munition geliefert werden soll. Der nachfolgende Artikel beschreibt diese Munition, ihren speziellen Verwendungszweck und die mit einem solchen Einsatz verbundenen Risiken für den russischen Gegner, aber auch für die ukrainische Zivilbevölkerung und manchmal sogar für die eigenen Soldaten.

Uranhaltige oder s.g. DU –Munition ( Depleted Uranium)  

Projektile aus „Uran“ haben ein besonders hohes Geschoßgewicht und durchdringen Panzerungen besser als andere Munition. Dabei handelt es sich genaugenommen um abgereichertes Uran, s.g. Depleted Uranium (DU) bekannt auch als Uran-238. Dies ist ein Abfallprodukt, das bei der Erzeugung von Brennstäben oder Kernwaffen entsteht.

Urangeschosse werden als Panzermunition in Form von s.g. Treibkäfiggeschossen eingesetzt. Ein Beispiel ist die „Munition M 829“, die mit ca. 4,5 Kg Uran pro Geschoss im amerikanischen Kampfpanzer  „M1Abrams“ Verwendung findet. Als Hartkernmunition kann sie von Maschinenkanonen vom Kaliber 20mm oder 25 mm eingesetzt werden.

DU-Geschosse sind s.g. Wuchtgeschosse, die sich beim Aufprall auf ein hartes Ziel „selbst schärfen“. Das bedeutet, die Form verändert sich so, dass die Spitze erhalten bleibt und gleichzeitig schärfer wird. Dadurch und in Kombination mit dem hohen Impuls kann eine Panzerung gut durchschlagen werden. Moderne DU-Geschosse können eine bis zu einem Meter dicke Panzerung durchschlagen. Dabei kommt neben dem hohen Gewicht eine weitere besondere Eigenschaft des metallischen Urans ins Spiel: Es fängt beim Kontakt mit Luftsauerstoff schnell an zu brennen. Das Geschoss schmilzt, und durch das Loch in der Panzerung ergießt sich eine brennende Wolke kleinster Uran- und Uranoxid-Partikel ins Innere des Fahrzeugs.

Beim Einschlag in ein hartes Ziel zerstäubt besonders viel Uran in feine Partikel: Zwischen zehn und 30 Prozent, in Extremfällen bis zu 70 Prozent des Urankerns werden im Inneren eines getroffenen Panzers pulverisiert. Die Partikel entzünden sich, und das Feuer lässt dann meistens die Munition an Bord explodieren.

Solange die Geschosse in den Magazinen ruhen, schirmt die Hülse den DU-Kern zum Schutz der Besatzung ab. 

Rechtlich gesehen ist Uranmunition weder eine chemische noch eine nukleare und schon gar keine Massenvernichtungswaffe, sondern eine konventionelle Waffe.

Bislang bekannte Einsätze von „DU-Geschossen“

Munition aus abgereichertem Uran wird von Nato-Streitkräften seit den siebziger Jahren im Kampf gegen Panzer verwendet. Deutschland verfügt – im Gegensatz zu den USA und Gro0britannien- über keine derartige Munition. Der Versuch, den Einsatz solcher Munition weltweit durch eine UN-Resolution zu unterbinden, scheiterte.

Aktuell gibt es kaum von den jeweiligen Staaten bestätigte Einsätze von DU-Geschossen, aber klare Informationen über Waffensysteme, die für derartige Munition ausgelegt sind. Geläufige Waffensysteme sind, am Beispiel der US-Armee, das Geschoss M829 das im Kampfpanzer „M1Abrams“ Verwendung findet. Abgereichertes Uran wird zur Panzerbekämpfung mittels einer 30mm Bordkanone auch vom amerikanischen Erdkampfflugzeug „A-10 Thunderbold“ – bekannt auch unter dem Namen „Warzenschwein“- eingesetzt. Daneben ist DU-Munition auch im Kaliber 20 und 25 mm für Maschinenkanonen in Verwendung. Über diese Kaliber verfügt z.B. der amerikanische Schützenpanzer „Bradley“ und „Stryker“, je nach Version.  Auf britischer Seite ist DU z. B. in der panzerbrechenden Munition für den Kampfpanzer „Challenger“ enthalten und kam so z.B. im Ersten und Zweiten Golfkrieg zum Einsatz.

Einen guten, wenn auch von den USA und GB nicht abschließend bestätigten, Überblick über den Einsatz von DU Munition findet man in der österreichischen Zeitschrift „Truppendienst“ vom 26. April 2022.

Zusätzlich liegen Informationen vor, dass auch die USA in Syrien DU-Munition eingesetzt haben. Am 05. Februar 2018 berichtete die „Welt“ von einem Einsatz amerikanischer Kampfflugzeige am 16. Und 22. November 2015 in der Nähe der syrisch-irakischen Grenze gegen Öltanker der Terrororganisation IS. Mehr als 350 Fahrzeuge wurden bei den beiden Einsätzen zerstört. Erst vor Kurzem gaben die US-Streitkräfte zu, dass dabei zum größten Teil panzerbrechende Uranmunition verschossen wurde. Es war der erste von US-Seite bestätigte Einsatz dieser sogenannten DU-Munition seit dem dritten Irak-Krieg, der 2003 zum Sturz Saddam Husseins führte. Die britische Regierung hat mittlerweile bekannt gegeben, dass ihre Truppen im Golfkrieg 2003 1,9 Tonnen Du-Munition eingesetzt haben.

Folgen für die Zivilbevölkerung und für die Umwelt

Nach dem Ende von Kampfhandlungen belieben zerstörte Militärfahrzeuge in der Regel für unbestimmte Zeit auf dem Gefechtsfeld liegen, und auch das Gelände wird nicht von Munitionsresten geräumt, vor allen Dingen nicht von Geschossen, die in den Boden eingedrungen sind.

Insbesondere die feinen Uranoxidpartikel machen aus den Rückständen der DU-Munition ein Gesundheits- und Umweltproblem, denn auch abgereichertes Uran ist radioaktiv.

Neben dem militärisch erwünschten zerstörenden Effekt entfaltet Uran sowohl wegen seiner Radioaktivität als auch wegen seiner chemischen Giftigkeit eine schädliche Wirkung auf den menschlichen Organismus. Dabei die toxische Wirkung auf die Nieren als entscheidend angesehen. Die Uranmunition ist eine Gefahr für alle, die sich militärischen Wracks später nähern. Mediziner befürchten, dass die Uranpartikel eingeatmet werden können, sich in der Lunge auflösen und so in die Blutbahn und ins Gewebe gelangen. Auch über Wunden könne die Substanz in den Körper eindringen und Vergiftungen oder Krebs auslösen. In den Boden geschossene Uranmunition kann Schätzungen zufolge in fünf bis zehn Jahren vollständig korrodieren und das Uran ins Grundwasser abgeben.

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Untersuchungen und Berichte über den Einsatz von DU-Munition, die z.T. aber immer noch strittig diskutiert werden. Ich beschränke mich deshalb u.a. auf einen Bericht des in Kanada ansässigen „Uranium Medical Research Center“ (UMRC) dessen Experten im Dezember 2003 zwei Wochen lang die Hauptschauplätze des letzten Irak-Kriegs untersucht haben. Die Experten, die bereits mit ähnlichen Aktionen in Ex-Jugoslawien und Afghanistan für Aufsehen gesorgt hatten, meldeten auch aus dem Irak beunruhigende Erkenntnisse.

In der Umgebung der Stadt Abu Khasib im Südirak etwa, dem Ort einer der wenigen großen Panzerschlachten des Kriegs, habe das Niveau der radioaktiven Strahlung das Zwanzigfache des Normalwerts betragen. An einzelnen abgeschossenen irakischen Panzern stellten die Wissenschaftler nach eigenen Angaben gar das 2500-fache der natürlichen Radioaktivität fest.

„An einer Stelle waren die Messwerte so hoch, dass unsere Instrumente Alarm schlugen und von einer weiteren Annäherung warnten“, sagte UMRC-Vizedirektor Tedd Weymann der britischen Zeitung „The Observer“. „Auf den Panzern spielten zur gleichen Zeit Kinder.“ Zeugen hätten berichtet, dass britische Soldaten nach den Kampfhandlungen das Schlachtfeld von Abu Khasib inspiziert hätten – eingehüllt in Strahlenschutzkleidung. Übersetzer hätten die Bevölkerung davor gewarnt, den Panzerwracks zu nahe zu kommen.

Nach offiziellen Zahlen, so der UMRC-Bericht, verschossen Briten und Amerikaner im Jahr 2003 zwischen 1000 und 2000 Tonnen Uranmunition im Irak (also deutlich mehr als in der Übersicht der Zeitschrift „Truppendienst“). Schätzungen anonymer Quellen bei den Vereinten Nationen und im Pentagon gingen dagegen von der zehnfachen Menge aus. Ziele seien nicht nur Schlachtfelder in der Wüste gewesen, sondern auch besiedelte Gebiete bis hin zu Stadtteilen im Zentrum Bagdads.

Die zweite Quelle, auf die ich mich beziehen möchte ist ein Bericht von Thomas Aders, ARD Kairo, im „Weltspiegel“ vom 03. Februar 2013.

Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an zu überprüfen, wie glaubwürdige befragte Zeugen waren, sondern möchte ausschließlich aufzeigen, welche Folgen der Einsatz von DU Munition in der Zivilbevölkerung hat.  Deshalb gebe ich den Bericht auszugsweise im Wortlaut wider:   

„Im letzten Irak-Krieg verschossen die Alliierten hunderte von Tonnen uranhaltiger Munition. Die panzerbrechende Waffe wirkt noch nach Jahren. Um Basra, im Süden des Landes, beträgt die Strahlenbelastung nach Messungen unabhängiger Experten das 20fache des Normalwertes. Vor allem Kinder, die auf den irakischen Panzerwracks spielen, erkranken….

Zehn Jahre nach dem Irakkrieg werden immer mehr missgebildete Kinder beerdigt. Das macht selbst Totengräber sprachlos. `Manchmal beerdigen wir Kinder mit vier Händen, oder mit dreien. Manchmal haben die Körper zwei Köpfe. Es gibt jede Art von Missbildung, die man sich vorstellen kann. Manchmal ist der Kopf völlig deformiert, und die Augen liegen nicht vorn, sondern oben.´

Visite in den Kinderkrankenhäusern von Basra – die Betten auf allen Stationen sind belegt, die Zahl der Krebsfälle ist in den vergangenen zehn Jahren drastisch angestiegen. Gehirntumore, Knochenkrebs, körperliche Missbildungen und immer wieder: Blutkrebs. 1200 junge Patienten in der staatlichen Kinderklinik leiden unter Leukämie, die Überlebenschance beträgt 50 Prozent. .…´Vor 1990 hatten wir etwa 15 neue Leukämiefälle pro Jahr, diese Zahlen sind nach dem ersten Golfkrieg deutlich angestiegen, und nach dem Irakkrieg 2003 bis heute haben wir Rekordwerte von bis zu 200 neuen Fällen pro Jahr´, erklärt die Onkologin Dr. Jenan Ghalib Hassan.

Kinder in Falluja, Bagdad und wie hier in Basra: Opfer des Irakkrieges, noch heute. Amerikaner und Briten, die damals Uranmunition eingesetzt hatten, leugnen jeden Zusammenhang zwischen erhöhter Strahlung und der Zunahme von Krebs. Doch die Ärzte lassen die Fakten für sich sprechen: Erstens die hohe Anzahl von jungen Krebspatienten, zweitens die häufigen Todesfälle, und drittens die extreme Zunahme von Missbildungen. Manchmal schießen selbst die Ärzte ein Foto zu Dokumentationszwecken, wie bei diesem Kind mit Wasserkopf. ´ Solche Fälle sind eindeutig auf den Einsatz von Uranmunition zurückzuführen sagt der Neurochirurg Mahmood Swady. ´Die Krankheiten dieser Kinder sind eine Folge der Kriege im Irak. Solche Patienten kommen täglich zu uns, speziell nach dem letzten Irakkrieg.´

Im Kampf um Falluja, eine Stadt westlich von Bagdad, haben die Alliierten in den Irak-Kriegen 1991 und 2003 1.000-2.000 Tonnen Du-Munition eingesetzt. Die Stadt hat mittlerweile die meisten missgebildeten Kinder weltweit. Etwa 15 % der Säuglinge kommen mit Missbildungen zur Welt. Diese Entwicklung scheint anzuhalten, weil die Eltern dieser Kinder in ihrer Jugend mit uranhaltiger Munition in Berührung gekommen sind.

Der ehemalige deutsche Umweltminister und spätere Direktor des „UN Environment Programme“ (UNEP), Klaus Töpfer, kritisierte bereits in der Rheinischen Post vom 11. Januar 2001 den nachlässigen Umgang der NATO mit Munitionsresten im Kosovo. Der Leiter der UNEP- Balkan-Task-Force, Pekka Haavisto erklärte nach dem gemeinsamen Besuch vor Ort:

„Wir waren sehr überrascht, als wir panzerbrechende Munition entdeckten, die im Kosovo einfach so herumlag – an Orten, wo Kinder spielten und Kühe grasten“, Die Zivilbevölkerung sei von der NATO zwar vor Minen gewarnt worden, aber nicht vor Uran- Munition. „Nicht einmal die elf Stellen, die von UNEP untersucht wurden, waren markiert“, kritisierte Töpfer.

Die schon damals von Klaus Töpfer geforderte detaillierte Untersuchung der Spätfolgen vom Einsatz uranhaltiger Munition hat bis heute nicht stattgefunden, so dass letztlich immer noch darüber diskutiert und auch gestritten wird.

Zusammenfassende Bewertung

Sollte sich der Hinweis bestätigen, dass die USA uranhaltige Munition an die Ukraine liefern oder eigene Schützenpanzer damit ausrüsten und ggf. auch die Briten mit ihren Challenger“ Kampfpanzer die durchaus übliche uranhaltige Munition verwenden wollen, muss das vor dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisse zum Schutz der Soldaten und vor allem auch der Zivilbevölkerung verhindert werden.

Soldaten in getroffenen Panzern verbrennen bei lebendigem Leibe, und der Einsatzraum dieser Munition bleibt für einen noch nicht genau zu definierenden Zeitraum vergiftet, nicht zuletzt, weil ja auch immer wieder Geschosse, die ihr Ziel verfehlt haben, bis zu einer Tiefe von 7m in den Boden eindringen. Hinzu kommt, dass es auch in der Ukraine nicht ausgeschlossen werden kann, dass Kinder auf abgeschossenen russischen Panzern herumturnen, die ja nach einem Gefecht für lange Zeit einfach liegen bleiben.

Die Bundesregierung sollte sich umgehend darüber informieren, ob es den Einsatz uranhaltiger Munition geben könnte und ggf. alles dafür tun, dass dieser ausgeschlossen wird.

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Das Panzer-Junktim des Bundeskanzlers

Nach aktuellem Meldungen soll der Bundeskanzler in seinem letzten Telefongespräch mit US Präsident Biden gesagt haben, er sei grundsätzlich bereit, Kampfpanzer vom Typ „Leopard 2“ an die Ukraine zu liefern, falls die USA das Land mit Kampfpanzern vom Typ „M1 Abrams“ unterstützten.

Die Kampfpanzer „Leopard“ und „M1 Abrams“

Deutschland

Der deutsche „Leopard 2“ Panzer hat eine Glattrohrkanone vom Kaliber 120mm und verfügt zusätzlich über 2 Maschinengewehre vom Kaliber 7,62 mm.

Besatzung: Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze, Fahrer

Der Panzer wird von einem 12-Zylinder-FM Diesel-Vielstoffmotor MTU MB 873 angetrieben.

USA

Der amerikanische „M1-Abrams“ hat eine Glattrohrkanone vom Kaliber 120mm-L30A1 und 2 Maschinengewehre Kaliber 7,62mm und ein schweres Maschinengewehr Kaliber 12,7mm

Besatzung: Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze, Fahrer

Der Panzer wird von einer Gasturbine AGT-1500 angetrieben.

Erste Reaktionen aus den USA

Eine offizielle Stellungnahme des Weißen Haus zur möglichen Lieferung des Kampfpanzers M1 Abrams liegt noch nicht vor. 

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price äußerte sich ablehnend zu einer Lieferung von „M1 Abrams“ und sagte im US-Fernsehen: „Wir wollen unseren ukrainischen Partnern keine Systeme aufbürden, die sie nicht nutzen können; Systeme, die sie nicht reparieren können; Systeme, die sie nicht überholen können.“ Man wolle den Streitkräften das zur Verfügung stellen, was sie effektiv auf dem Schlachtfeld einsetzen könnten.

Diese Einschätzung wurde vonMax Bergmann vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien CSIS in Washington geteilt, indem er sage:“  „M1Abrams“-Panzer sind ganz anders als die deutschen Panzer. Sie brauchen andere Wartung, andere logistische Unterstützung, brauchen anderen Treibstoff. Sie sind logistisch ein Albtraum, sind auch viel zu schwer. Die deutschen Panzer sind viel besser geeignet für das, was der ukrainischen Armee bevorsteht. „

Bezüglich einer Absicherung Deutschlands, eigene Kampfpanzer zu liefern, müsse die mögliche Lieferung des „Stryker“-Radschützenpanzers durch die USA zusammen mit der britischen Lieferankündigung für „Challenger“-Panzer ausreichen, sagte Bergmann.

Der „Stryker“ ist ein Radschützenpanzer:

Besatzung: Kommandant, Schütze Fahrer und bis zu 11 Soldaten

Bewaffnung: Unterschiedlich, je nach Modell

Antrieb:  Dieselmotor Caterpillar C7

Der „Stryker“ ist luftverlastbar und am ehesten mit dem „AMX-10RC“ vergleichbar, den Frankreich vermutlich an die Ukraine liefern wird.  Auch der „Stryker“ ist, je nach Version, mit einer 105 mm Kanone bewaffnet.

Bewertung

Der Vorschlag des Bundeskanzlers ist zweifellos ein ausgesprochen geschickter Schachzug, der den „Schwarzen Peter“ im Zusammenhang mit den Lieferungen von Kampfpanzern über den Atlantik nach Washington schiebt.

Die ersten Reaktionen aus Washington lassen erkennen, dass dies offensichtlich gelungen ist, weil die bislang bekannten Argumente lediglich vorgeschoben sind. Die ukrainischen Soldaten müssen für den „Leopard 2“ ebenso ausgebildet werden, wie für den „M1Abrams“, und auch die Versorgungsketten müssen für beide Panzermodell eingerichtet werden. Dasselbe gilt übrigens auch für den britischen Kampfpanzer „Challenger“ , von denen London 14 Exemplare in die Ukraine verlegen will.

Militärisch gesehen, wäre es für die ukrainischen Streitkräfte natürlich einfacher, wenn „der Westen“ ausschließlich dasselbe „Panzermodell“ liefern würde, im konkreten Fall also den „Leopard 2“, der in mehreren europäischen NATO-Staaten im Einsatz ist. Aber die Gründe Washingtons, den „M1 Abrams“ nicht zuliefern, sind nicht militärischer, sondern sicherheitspolitischer Natur. Die USA wollen verhindern, dass der „M1 Abrams“ bei einem Einsatz in der Ukraine in russische Hände fallen könnte. Noch entscheidender aber ist wohl, dass man in Washington eine Lieferung dieser Panzer als eine direkte Konfrontation mit Moskau einstuft, die man unbedingt vermeiden will, obwohl mittlerweile alle Experten davon ausgehen, dass es sich in der Ukraine um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland handelt. Trotzdem scheint man in Washington die Lieferung von Kampfpanzern wie auch von Kampfflugzeugen als einen qualitativen Sprung in Richtung Kriegspartei zu bewerten, der nicht im Sinne der US Regierung ist.

Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang, dass bislang niemand von Frankreich gefordert hat, den Kampfpanzer „Leclerc“ an die Ukraine zu liefern.

In Paris scheint man ähnliche Bedenken zu haben, wie in Washington, und das hat der Bundeskanzler offensichtlich – im Gegensatz zu seinen in- und ausländischen Kritikern erkannt.

Bleibt abzuwarten, was am 20. Januar 2023 von der Ukraine-Kontaktgruppe beschlossen wird.Ich gehe davon aus, dass Washington nicht den „M1 Abrams“ sondern den „Stryker“ liefern wird und Deutschland Polen und anderen NATO-Staaten die Genehmigung erteilen wird, „Leopard 2“ Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, ohne sich selbst an einer solchen Unterstützung zu beteiligen. Als Argument könnte Berlin dienen, dass Deutschland zugesagt hat, 40 Schützenpanzer vom Typ „Marder“ an die Ukraine zu liefern, sicherlich ein Äquivalent zum amerikanischen „Stryker“, mit dem die USA vermutlich die Ukraine unterstützen werden.

Falls es das konkrete Junktim gibt, dass Deutschland nur dann „Leopard2“ Kampfpanzer an die Ukraine liefert, wenn die USA gleichzeitig das Land mit „M1Abrams“ unterstützen, kann es für den Bundeskanzler grundsätzlich kein Zurück geben, ohne dass er seine politische Glaubwürdigkeit verliert. Einzige mögliche politische Hintertür wäre, eine spätere Panzerlieferung durch die Industrie nicht auszuschließen, also die Bestände der Bundeswehr nicht unverändert zu lassen.

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Politischer Aktivismus und militärischer Realismus – ein offensichtlich unlösbarer Widerspruch

Einleitende Bemerkung

Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine wird die aktuelle Diskussion von der Lieferung westlicher Schützenpanzer und Kampfpanzer bestimmt.

Frankreich, die USA und Deutschland haben entschieden, die ukrainischen Streitkräfte durch Schützenpanzer zu unterstützen. Bevor jedoch die ersten Exemplare überhaupt ausgeliefert wurden, werden die Forderungen der ukrainischen Regierung immer lauter, auch Kampfpanzer zu liefern, um gegen die russischen Streitkräfte bestehen zu können. Die Regierung Großbritannien hat bereits entschieden, Kampfpanzer vom Typ „Challenger 2“ zu liefern, und auch Polen ist zur Unterstützung mit Kampfpanzern bereit, braucht aber für den Export ihrer „Leopard 2“ Kampfpanzer eine Genehmigung der Bundesregierung.

Die westlichen Schützenpanzer, die für die Lieferung an die Ukraine vorgesehen sind

Um die Komplexität der Thematik und die damit verbundenen Probleme zu verstehen, ist die Kenntnis der wesentlichen technischen Merkmale der Schützenpanzer/ des Spähpanzers unbedingt erforderlich.

Frankreich

Frankreich wird das Modell „AMX-10 P“ liefern, hat aber die Anzahl noch nicht bekannt gegeben. Der Schützenpanzer verfügt über eine Kanone vom Kaliber 20 mm- M693-F1 und 1 Maschinengewehr vom Kaliber 7,62 mm

Besatzung: Kommandant, Fahrer, Richtschütze + 8 Soldaten

Er wird von einem  Hispano-Suiza HS-115 V-8-Diesel angetrieben

Könnte auch sein, dass Frankreich das Modell „AMX-10 RC“ liefert. Dabei handelt es sich nicht um einen Schützenpanzer, sondern um einen radgetriebenen Spähpanzer, der hauptsächlich zur Aufklärung eingesetzt wird.

Bewaffnung: 1 Kanone mit Kaliber 105mm, 1 Maschinengewehr zur Fliegerabwehr mit Kaliber 12,7mm und 1 Maschinengewehr mit  Kaliber 7,62mm

Besatzung: Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze, Fahrer/Funker

Der „AMX-10 RC“ wird von einem Hispano-Suiza HS-115 oder Baudouin Diesel 6F 11 SRX angetrieben.

USA

Die USA werden 50 Schützenpanzer vom Typ „Bradley CFV“ liefern. Die Kanone hat ein Kaliber von 25mm, das Maschinengewehr von 7,62 mm. Zusätzlich verfügt der Schützenpanzer über eine Startvorrichtung mit 2 Rohren für das Panzerabwehrsystem „TOW“.

Besatzung: Kommandant, Fahrer, Richtschütze + 6 Soldaten

Der „Bradley“ wird von einem 8-Zylinder-Dieselmotor Cummins VTA-903T angetrieben.

Deutschland

Deutschland wird 40 Schützenpanzer vom Typ „Marder“ liefern. Der Panzer verfügt über eine Kanone von Kaliber 20mm und 1 MG von Kaliber 7,62mm, dazu 1 System „MILAN“ zur Panzerabwehr.

Besatzung: Kommandant, Fahrer, Richtschütze +6 oder 7 Soldaten, je nach Modell

Der „Marder“ wird von einem V6-90°-Viertakt-Dieselmotor MTU MB 833 Ea-500 angetrieben.

Bewertung

Den genannten Schützenpanzern/dem Spähpanzer ist lediglich jeweils 1 Maschinengewehr mit identischem Kaliber gemeinsam. Der amerikanische „Bradley“ hat eine 25mm Kanone. Der „AMX-10P“ und der „Marder“ haben zwar beide Kanonen Kaliber 20mm, was aber nicht automatisch heißt, dass damit auch identische Munition verschossen werden kann.

Die Panzerabwehrwaffen „TOW“ und „MILAN“ sind völlig verschieden.

Der französische Spähpanzer hat eine völlig andere Aufgabe.

In den jeweiligen Herkunftsländern dauert eine solide Ausbildung der Besatzungen mehrere Monate, je nach Funktion der Soldaten. Für den Kommandanten ist neben der fachlichen auch eine zusätzliche militärische Führungsausbildung erforderlich.

Für die verschiedenen Schützenpanzer  und/oder den Spähpanzer benötigen die zukünftigen ukrainischen Besatzungen jeweils eine auf den Typ abgestimmte spezielle Ausbildung. Das bedeutet, dass die Soldaten danach nur auf dem jeweiligen Typ eingesetzt werden können. Bedienungsanleitungen sind weder in russischer noch in ukrainischer Sprache verfügbar.

Für die verschiedenen Schützenpanzer und/oder den Spähpanzer müssen separate Logistikketten aufgebaut werden, nicht nur für die Munition, sondern vor allem auch für die Wartung und Instandsetzung.

Zusätzliche deutsche Probleme

Noch ist völlig unklar, woher die zugesagten 40 Schützenpanzer eigentlich kommen sollen, aus der Industrie, aus der aktiven Truppe oder sowohl als auch. Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Bundesregierung Griechenland die Lieferung von 40 „Marder“ verbindlich zugesagt hat und die für die die NATO-Speerspitze im Rahmen der „Very High Readiness Joint Task Force 2023“ (VJTF) erforderlich Schützenpanzer „Puma“ nicht einsatzbereit waren und durch „Marder“ ersetzt werden mussten.

Für den „Bradley“ und vermutlich auch für den „AMX-10P“/ AMX-10RC“ liegen Erkenntnisse aus Kampfeinsätzen vor, an denen sich vor allem die Ersatzteilbevorratung orientiert. Das ist für den „Marder“ nicht der Fall, weil dieser bislang lediglich in Übungen erprobt wurde; denn der Einsatz in Afghanistan ist mit einem Kampfeinsatz nicht zu vergleichen. Man weiß also nicht, welche Schwachstellen das System im Dauereinsatz unter Kriegsbedingungen hat und wie man sich darauf vorbereiten kann.

Die westlichen Kampfpanzer die für eine Lieferung in die Ukraine in Frage kommen

Auch im Zusammenhang mit der Lieferung von Kampfpanzern, ist die Kenntnis der wesentlichen technischen Merkmale unbedingt erforderlich, um die Komplexität der Thematik und die damit verbundenen Probleme zu verstehen.

Großbritannien

Der britische „Challenger 2“ verfügt über eine Kanone vom Kaliber 120mm und Maschinengewehre Kaliber 7,62mm.

Besatzung: Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze, Fahrer

Der Panzer wird von einem Perkins CV-12-Diesel Motor angetrieben.

USA

Der amerikanische „M1-Abrams“ hat eine Glattrohrkanone vom Kaliber 120mm-L30A1 und 2 Maschinengewehre Kaliber 7,62mm und ein schweres Maschinengewehr Kaliber 12,7mm

Besatzung: Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze, Fahrer

Der Panzer wird von einer Gasturbine AGT-1500 angetrieben.

Deutschland

Der deutsche „Leopard 2“ Panzer hat eine Glattrohrkanone vom Kaliber 120mm und verfügt zusätzlich über 2 Maschinengewehre vom Kaliber 7,62 mm.

Besatzung: Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze, Fahrer

Der Panzer wird von einem 12-Zylinder-FM Diesel-Vielstoffmotor MTU MB 873 angetrieben.

Bewertung

Die Kanonen des „M1 Abrams“ und des „Leopard 2“ sind baugleich und können deshalb dieselben Granaten verschießen. Der Kanone des britischen „Challenger 2“ hat zwar mit 120mm dasselbe Kaliber, braucht aber eine andere Munition, weil es keine Glattrohrkanone ist. Bis auf das schwere Maschinengewehr des „M1-Abrams“ sind die Kaliber der Maschinengewehre bei den drei Panzertypen identisch. Der Antrieb des „M1-Abrams“ ist wegen seiner Gasturbine völlig anders als die Dieselmotoren des „Challenger 2“ und des „Leopard 2“.

Auch für die Kampfpanzer dauert eine solide Ausbildung der Besatzungen in den jeweiligen Herkunftsländern mehrere Monate, je nach Funktion der Soldaten. Für den Kommandanten ist neben der fachlichen auch eine zusätzliche militärische Führungsausbildung erforderlich.

Für die drei verschiedenen Kampfpanzer benötigen die zukünftigen ukrainischen Besatzungen jeweils eine auf den Panzer Typ abgestimmte spezielle Ausbildung. Das bedeutet, dass die ukrainischen Soldaten danach nur auf dem jeweiligen Typ eingesetzt werden können. Bedienungsanleitungen sind weder in russischer noch in ukrainischer Sprache verfügbar.

Für die drei verschiedenen Panzer müssen separate Logistikketten aufgebaut werden, nicht nur für die Munition und den unterschiedlichen Antrieb, sondern vor allem auch für die Wartung und Instandsetzung.

Zusätzliche deutsche Probleme

Die Entscheidung über die Lieferung von deutschen „Leopard 2“ Kampfpanzern ist noch nicht gefallen, wird aber immer intensiver von den Koalitionsparteien und auch von der CDU/CSU Opposition gefordert. Unklar ist auch, ob die Panzer aus der Industriereserve oder von der aktiven Truppe gestellt würden. Die Industrie hat aktuell signalisiert, dass sie frühestens 2024 in der Lage sein wird, einsatzbereite Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen. Sollten die Kampfpanzer aus dem Bestand der Truppe gestellt werden, würde das die Fähigkeit der Bundeswehr zur Landesverteidigung weiter schwächen.

Für den „M1 Abrams“ und auch für den „Challenger 2“ liegen langjährige Erkenntnisse aus Kampfeinsätzen vor, an denen sich vor allem die Ersatzteilbevorratung orientiert. Das ist für den „Leopard 2“ nicht der Fall, weil dieser bislang lediglich in Übungen erprobt wurde. Niemand kann deshalb einschätzen, was z.B. die besonderen Verschleißteile beim Dauereinsatz unter Kriegsbedingungen sind.

Zusätzlich zu der eventuellen Lieferung von deutschen „Leopard 2“ Kampfpanzern muss die Bundesregierung darüber entscheiden, ob sie anderen Staaten, in die der „Leopard 2“ geliefert wurde, eine Genehmigung zum Export dieser Panzer in die Ukraine erteilt. Solange die vertraglich vereinbarte „Endverbleibsklausel“ gilt, ist das nicht möglich.

Zusammenfassende Bewertung

Aktuell sehen sich die westlichen Regierungen mit immer umfassenderen Forderungen nach immer schwereren Waffen zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte konfrontiert. Darauf wird- in Deutschland in der Regel mit zeitlicher Verzögerung- geradezu reflexartig positiv reagiert. Von Systemen zur Luftverteidigung über Schützenpanzer steht jetzt die Lieferung von Kampfpanzern zur politischen Entscheidung an. Ich habe den Eindruck, dass es nicht mehr lange dauern wird bis auch konkret über die Lieferung von Kampfhubschraubern oder Kampfflugzeugen und vielleicht auch Kriegsschiffen diskutiert wird. Erste diesbezügliche Stimmen aus der Ukraine sind schon seit geraumer Zeit zu hören. Auffällig ist bei der Diskussion und letztlich auch den politischen Entscheidungen, dass diese getroffen werden, ohne über ihre militärische Umsetzung nachzudenken. Ob dieses Problem für alle NATO-Staaten gilt, kann ich nicht beurteilen, aber in Deutschland ist das sozusagen „ein Dauerbrenner“,  vor allem bei Politikern der Regierungsparteien, aber auch in der CDU/CSU Opposition. Man scheint sich darüber profilieren zu wollen, indem man am lautstärksten immer mehr und immer schwerere Waffen fordert. Dabei ist mittlerweile jedem über gesunden Menschenverstand verfügenden Bürger klar, dass die militärische Unterstützung der Ukraine, besonders natürlich mit schweren Waffen nur zu Lasten der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu leisten ist. Ob das auch den Politikern bewusst ist oder ob sie diese Tatsache einfach ignorieren, sollte jeder Bürger, auch als Wähler! für sich entscheiden.

Unklar ist mir auch, ob die Politikern begriffen haben, wie lange eigentlich eine solide Ausbildung des Personals dauert, das diese Waffensysteme bedienen soll.

Für Fahrer, Richtschützen, Ladeschützen und die Infanteristen in den Schützenpanzern mag eine Schulung von einigen Wochen nach der Methode „Learning by Doing“ ausreichen, aber für die Kommandanten ist eine solide Ausbildung von weniger als 6 Monaten nicht machbar und vor allem auch unverantwortlich. Für die Offiziere, die die Schützenpanzer und Kampfpanzer im Rahmen des „Kampf der verbundenen Waffen“ einsetzen sollen, dauert eine verantwortungsvolle Ausbildung deutlich länger als ein Jahr, nicht zuletzt, weil unterschiedliche Waffensysteme eingesetzt werden, die zudem eine aufwendige Logistik erforderlich machen.

In dem Zusammenhang sei übrigens angemerkt, dass ein deutscher pensionierter Generalleutnant des Heeres vor ein paar Tagen in einem Interview Klartext gesprochen hat, indem er festgestellt hat, dass der Einsatz von Schützenpanzern nur im Verbund mit Kampfpanzern Sinn mache, ansonsten mehr oder weniger wirkungslos sei.

Neben den Problemen im Zusammenhang mit Ausbildung und Einsatz stellt sich für mich die Frage, auf welchem Wege eigentlich die „Marder“ und später vielleicht sogar die „Leopard 2“ Kampfpanzer eigentlich in die Ukraine gelangen sollen. Luft- und Seetransport fallen ebenso aus, wie vermutlich auch der Straßentransport. Bleibt die Option Bahn. Das wird vermutlich über Polen geschehen, aber was ist mit dem notwendigen Stopp in der Spurwechselzone und vor allem mit dem Grenzübertritt in die Ukraine? Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, dass Moskau weiterhin tatenlos zusieht, wie die ukrainische Armee mit schweren westlichen Waffen aufgerüstet wird. Bleibt die Frage, wie ein solcher Transport innerhalb der Ukraine bis zu der mehrere Hundert Kilometer entfernten Front ablaufen soll.

Zusätzlich zu diesen Problemen gibt es aber auch das Risiko, dass Deutschland durch seine immer intensivere militärische Unterstützung der Ukraine, vor allem durch die Art der Waffen, aber auch besonders durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten zur Kriegspartei wird.

Auch der Bündisfall ist im Zusammenhang mit dieser Gesamtentwicklung nicht auszuschließen, weil es dafür ausreichen würde, wenn es z.B. bei einem russischen Angriff auf einen westlichen Panzertransport beim Passieren der polnisch-ukrainischen Grenze zu Schäden auf der polnischen Seite käme.

Last but not least müsste den militärischen Amateuren in der Politik doch klar sein, dass die Ukraine diesen Krieg auch mit Hilfe schwerer westlicher Waffen nicht gewinnen kann und wird. Um das zu erkennen, empfehle ich das Interview mit dem amerikanischen pensionierten Oberst Douglas Macgregor und auch den aktuellen Artikel des ehemaligen UN-Waffeninspekteurs Scott Ritter. Nicht nur diese Beiden, sondern alle militärischen Fachleute in den USA und grundsätzlich auch in Deutschland sind sich darüber einige, dass die Ukraine über einen sehr begrenzten verbleibenden Zeitraum im besten Fall ein Patt auf dem Gefechtsfeld halten kann. Der Preis dafür sind weitere gefallene und schwer verwundete Soldaten auf beiden Seiten, noch mehr Tote in der Zivilbevölkerung, noch mehr Flüchtlinge und eine weitere Zerstörung der Ukraine.

Professor Reinhard Merkel hat am 28. Dezember 2022 in der FAZ einen Artikel geschrieben unter der Überschrift: „Verhandeln heißt nicht kapitulieren.“

Ich frage mich seit Langem: Warum will das, auch in Deutschland, niemand begreifen?

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Quo vadis Deutschland – unsere Demokratie und der Krieg in der Ukraine

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gibt es aus der Ukraine eigentlich nur noch eine politische Stimme, nämlich die des Präsidenten, diese allerdings mindestens einmal pro Tag. Gelegentlich äußert sich noch Außenminister Kuleba und leider auch Herr Melnik als einer seiner Stellvertreter. Durch diese „One man Show“ von Präsident Selenski ist der Eindruck entstanden, dass es in diesem Land überhaupt kein Parlament mehr gibt bzw. dass dieses im politischen Alltag keine Rolle (mehr) spielt. Obwohl dieser Krieg nun bereits mehr als 10 Monate dauert und auch die deutschen Medien in einem ganz erheblichen Maße beherrscht, dürfte der deutschen Bevölkerung vermutlich nur ein ukrainischer Politiker bekannt sein, nämlich der Präsident.

Aus meiner Sicht ist das für einen Staat, der sich als Demokratie bezeichnet, kein gutes Omen. Aber bevor man die Demokratie in der Ukraine anzweifelt, sollte man sich einmal genau ansehen, wie es im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und den politischen Entscheidungen dazu eigentlich mit der Demokratie in Deutschland aussieht.

Die wesentlichen Merkmale einer Demokratie

Vielleicht ist es ja durchaus sinnvoll, sich einmal die Wesensmerkmale einer parlamentarischen Demokratie in Erinnerung zu rufen.

Da ist natürlich in erster Linie der Souverän zu nennen, also das Volk. Schließich leitet sich ja daraus der Begriff „Demokratie“ ab, nämlich aus den griechischen Worten „demos“, das Volk und „kratein“ herrschen. Weil die Völker mittlerweile zu groß geworden sind, wählen die Menschen politische Vertreter, die das Volk dann in einem Parlament vertreten. Damit sind wir bei der Gewaltenteilung, einem weiteren Kennzeichen einer Demokratie.

Die drei Gewalten sind die Exekutive, die Legislative und die unabhängige Judikative.

Die Regierung ist die Exekutive, das Parlament die Legislative, und die Judikative wird in der Rechtsordnung abgebildet. Im Zusammenhang mit der Judikative ist natürlich das Grundgesetz zu nennen, in dem politische Grundsätze und auch die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger abgebildet sind.

Die geneigten Leserinnen und Leser mögen diesen Exkurs für überflüssig halten, weil der Inhalt ja zum demokratischen Grundverständnis gehört.

Das mag ja so sein, aber vor dem Hintergrund der politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ist es mehr als angebracht, sich an diese Wesensmerkmale der Demokratie zu erinnern.

Die politischen Entscheidungen der Bundesregierung seit dem Beginn des Ukraine Krieges

Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern

In der schriftliche Kabinettserklärung von 1971 Die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“  steht:

 „dass Waffen grundsätzlich nur an Bündnispartner (damals NATO-Staaten, heute auch EU-Mitgliedstaaten sowie sog. gleichgestellte Drittstaaten, derzeit Australien, Japan, Neuseeland, Schweiz) geliefert sollen. Ansonsten sollen Rüstungsgüter nur in begründeten Ausnahmefällen und unter Beachtung des Grundsatzes exportiert werden, dass Lieferungen nicht in Länder genehmigt werden „(…), die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden“ (Politische Grundsätze III. Nr. 7).

An diesen Grundsätzen hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert.

Die Bundesregierung hat diesen Grundsatz in Bezug auf die Ukraine aufgehoben und liefert in zunehmendem Maße mittlerweile auch schwere Waffen in die Ukraine. Eine kontroverse Grundsatzdiskussion bezüglich dieser Aufhebung hat es weder im Deutschen Bundestag noch in den s.g. Leitmedien und vor allem auch in der Bevölkerung nicht gegeben. Aktuelle Meinungsumfragen zeigen allerdings, dass dieser Waffenexport mittlerweile nicht mehr von der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird.

Deutschland ist nicht Kriegspartei

Die Bundesregierung hat sich von Beginn an der Position der westlichen Staatengemeinschaft, vor allem also der EU und der NATO angeschlossen, nicht Kriegspartei zu werden. Da man diesen Begriff durchaus unterschiedlich definieren kann, ist es angebracht, sich an der Definition des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zu orientieren. Im Gutachten WD-2-019- 22 des wissenschaftliches Dienstes (WD)vom 16. März 2022 heißt es zum Thema „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“ u.a. : „Im aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine befinden sich die NATO-Staaten auf
einer Gratwanderung, indem sie einerseits die Ukraine militärisch unterstützen, ohne dabei andererseits als Partei in den bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu
intervenieren (sog. „Drittintervention“)

 Im weiteren Verlauf wird diese Gratwanderung erläutert. Im grundsätzlichen Ergebnis heißt es, dass man durch die Lieferung von militärischen Gütern und vor allem auch Waffen – juristisch gesehen – noch nicht zur Kriegspartei wird.  Der WD sieht allerdings die Gefahr einer Grenzüberschreitung zur Kriegspartei grundsätzlich dann, wenn Deutschland für ukrainische Soldaten in Deutschland eine Ausbildung an den Waffen durchführt, die an die Ukraine geliefert werden.

Offiziell bildet Deutschland spätestens seit der Lieferung der Panzerhaubitze 2.000 in Deutschland ukrainische Soldaten an Waffensystemen aus, die Deutschland an die Ukraine liefert, bevor diese in die Ukraine exportiert werden. Dieses Verfahren ist mittlerweile gängige Praxis, und Deutschland ist damit – wenn man der Definition des WD folgt- seit geraumer Zeit Kriegspartei. Es mag juristische Feinheiten geben, mit denen das formal abgestritten werden könnte, aber de facto kann es keine Zweifel geben, vor allem aus russischer Sicht auf gar keinen Fall.

Die Beteiligung des Bundestages an den Poltischen Entscheidungen

Eine Beteiligung des deutschen Bundestages an den wesentlichen politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Ukraine Krieg findet nicht statt. Die Bundesregierung trifft damit als Exekutive Entscheidungen, deren Folgen letztlich das gesamte Volk zu tragen hat, ohne dieses vorher zu beteiligen. Die Ampelregierung verfügt im Parlament über eine so große Mehrheit, dass aus ihrer Sicht die Zustimmung des Parlaments offensichtlich vorausgesetzt wird. Hinzu kommt, dass die CDU/CSU als größte Oppositionsfraktion nicht nur auf die Regierungslinie vollkommen eingeschwenkt ist, sondern die Koalition noch dazu antreibt, sich vor allem durch immer umfangreichere Waffenlieferungen und immer mehr gepanzerte Waffen am Krieg in der Ukraine zu beteiligen. Die einzigen kritischen Stimmen kommen von der Linken und der AFD, den beiden Parteien, denen dadurch sofort eine Nähe zum russischen Präsidenten unterstellt wird.

Die Beteiligung der Judikative an den politischen Entscheidungen

Die Bundesregierung hat bislang auf eine Beteiligung der obersten deutschen Gerichte an ihren politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Ukraine Krieg verzichtet, obwohl sie sich speziell durch die Ausbildung der ukrainischen Soldaten in Deutschland zumindest in einer juristischen Grauzone befindet. Offensichtlich hat sie für diese juristische Absicherung auch deswegen keine Notwendigkeit gesehen, weil auch die Oppositionsparteien diese nicht fordern.

Es hat allerdings auf der anderen Seite auch keine Initiative der Gerichte gegeben, politische Entscheidungen, die von bisherigen Grundsätzen abweichen oder Maßnahmen, die die Gefahr beinhalten, zur Kriegspartei zu werden, auf eine sichere juristische Basis zu stellen oder sie sogar zu untersagen.

Einfach gesprochen: Von der Justiz hört man zum Ukraine Krieg gar nichts.

Zusammenfassende Bewertung

In der Ukraine scheint ausschließlich Präsident Selensky zu entscheiden, was auf ukrainischer Seite in diesem Krieg geschieht, und es gelingt ihm in beeindruckender, man könnte auch sagen in fataler Weise, seine westlichen Verbündeten davon zu überzeugen, seinem Alleingang zu folgen. In Deutschland entscheidet zwar noch die Regierung, allerdings ohne Beteiligung des Parlaments. Dabei ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass in einer offen geführten Debatte auch aus den Regierungsparteien kritische Stimmen zur aktuellen Ukraine und Russland Politik zu hören wären und zwar im guten demokratischen Sinne. In der CDU/CSU Fraktion würde deutlich werden, dass nicht alle Mitglieder mit der Oppositionspolitik ihrer Partei einverstanden sind. So wie in der Bevölkerung unterschiedliche Meinungen zu hören sind, würde, besser gesagt müsste, es doch auch bei ihren Volksvertretern sein. Warum dieses unterschiedliche Meinungsspektrum sich in den „Leitmedien“ nicht widerspiegelt, ist in diesem Zusammenhang noch eine ganz andere Frage…

Abgesehen davon, dass das Parlament nicht angemessen beteiligt wird, hat man darüber hinaus den Eindruck, dass die Regierung nicht nur von der Ukraine, den USA und auch anderen NATO Partnern in eine bestimmte Richtung getrieben wird, sondern einige Politiker, vor allem der Grünen durch ihre Dauerpräsenz in den Medien mittlerweile das Gesetz des politischen Handelns für sich beanspruchen. Dazu gehören im Wesentlichen Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Harbeck und außerhalb der Regierung, Frau Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter, Frau Göring-Eckhard und last but not least der „Oppositionsführer“ Merz.

In der Ukraine liegt alle Macht in der Hand von Präsident Selensky, und das ist brandgefährlich, aber in Deutschland bestimmt der Kanzler leider nicht die Richtlinien der Politik, so wie es das Gesetz vorsieht, und auch das ist ausgesprochen kritisch zu bewerten.

Fazit: Es besteht die Gefahr, dass unsere Demokratie im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine Schaden nimmt oder bereits beschädigt wurde. Es ist Aufgabe des Parlaments und der Gerichte, diese Entwicklung aufzuhalten, und dabei sollten sie durch eine kritische und differenzierte Berichterstattung in den Medien unterstützt werden

Greven, 09. Januar 2023

Jürgen Hübschen

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Der Krieg in der Ukraine- eine Katastrophe ohne Ende?

Die Luftangriffe auf militärische Einrichtungen in Russland und der aktuelle ukrainische Angriff auf eine Einrichtung der russischen Streitkräfte in der Ukraine – nach einer Meldung der New York Times durch das von den USA gelieferte Raketensystem „HIMAR“ – könnte als ein Hinweis oder sogar als ein Beweis dafür verstanden werden, dass sich die russische Armee im Ukraine-Krieg auf der „Verliererstraße“ befindet. Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit der Frage, ob diese Einschätzung stimmt oder vielmehr das Gegenteil der Fall ist.

Die Einschätzung von glaubwürdigen Experten

Für die meisten Beobachter ist die Einschätzung der russischen und ukrainischen Operationen auf dem Gefechtsfeld eigentlich gar nicht möglich, weil eigene Erkenntnisse nicht vorhanden sind und –wie in allen Kriegen- auch in der Ukraine die Wahrheit vom ersten Tag an durch Propaganda ersetzt wurde. Deshalb gibt es nur die Möglichkeit, auf die Beurteilung von glaubwürdigen Experten zu vertrauen, die – quasi auf der Zeitachse- durch ihre Aussagen bewiesen haben, dass sie zusätzlich zu ihrer ausgeprägten Analysefähigkeit und einem fundierten sicherheitspolitischen Sachverstand auch über ein belastbares Netzwerk von Quellen verfügen.

Aus meiner Sicht gehören zu diesem Personenkreis u. a. vor allem der pensionierte amerikanische Oberst Douglas Mc Gregory, der ehemalige indische Diplomat M.K. Bhadrakumar und der frühere amerikanische Außenminister Henry Kissinger. Diese drei Experten haben sich in Artikeln und Interviews ganz aktuell zum Krieg in der Ukraine geäußert.

Einschätzung der aktuellen Lage durch Col. ret. Gregory McDouglas

Der pensionierte amerikanische Oberst Douglas McGregory ist einer der bekanntesten Militär-Analytiker der USA. Er war 2020 als Nachfolger des damaligen US-Botschafters in Deutschland, Richard Grenell, vorgesehen, wurde aber vom Senat nicht bestätigt.

 McGregory ist der Überzeugung, dass Russland zu einem vom russischen Generalstab festgelegten Zeitpunkt mit aktuell ca. 540.000 Soldaten und allen dafür erforderlichen Waffensystemen in der Ukraine eine Offensive mit drei Zielen starten wird:

  • Unterbinden aller westlichen Waffenlieferungen über die polnisch-ukrainische Grenze
  • Zerschlagen der ukrainischen Streitkräfte, die, nach seiner Einschätzung, noch über ca. 195.000 eigene Soldaten + ausländische Söldner verfügen ( Es soll nach seiner Aussage, analog zur s.g. „Wagner Gruppe“ auf der ukrainischen Seite eine „Gruppe Mozart“ geben, die von ehemaligen Soldaten westlicher Staaten gebildet wurde)
  • Sturz der Regierung von Präsident Selensky, den er als „puppet der USA“ bezeichnet

Ein zahlenmäßiges Aufwachsen der aktuellen Antrittsstärke der ukrainischen Armee hält er für nicht machbar.  

Die in den Medien als eine Art „Game Changer“ dargestellte Lieferung einer amerikanischen Flugabwehrraketenbatterie ( FlaRakBttr) vom Typ „Patriot“ bewertet er als ein eher politisches Signal, das die Lage auf dem Gefechtsfeld nur unwesentlich verändert. Falls es sich um das Waffensystem „Patriot PAC 3 “ handelt, das auch in der Bundeswehr zum Einsatz kommt, verfügt eine Kampfbatterie über 8 Startgeräte mit jeweils 16 Raketen, also insgesamt über 128 Flugkörper, von denen jeder deutlich mehr als 1 Million US Dollar kostet. Mit einer Batterie kann man besonders wichtige militärische Objekte schützen, wie z.B. ein Hauptquartier, ein Depot oder einen Flugplatz, aber auf gar keinen Fall z.B. eine Großstadt wie Kiew. Die Raketen haben eine Reichweite von bis zu 40 km und eine Höhe von bis zu 20 km. Die Flugkörper sind gut geeignet gegen feindliche Raketen und Kampfflugzeuge, aber nicht gegen tieffliegende Drohnen, – einmal abgesehen von den Kosten, eine Drohne kostet ca. 30.000 $ -vor allen Dingen dann nicht, wenn diese in großer Zahl anfliegen. Die Ausbildung von Bedienern dieses Waffensystem dauert mindestens 6 Monate, die der zusätzlich notwendigen Techniker eher 10-12 Monate. Das erforderliche Führungspersonal kann eigentlich durch die Ukraine gar nicht gestellt werden. Solche Offiziere müssen verschiedene aufbauende Lehrgänge durchlaufen, bevor sie über die notwendigen taktischen Fähigkeiten verfügen, ein solches System effektiv einzusetzen. Als ausgebildeter Offizier der Flugabwehrraketentruppe kann ich die Aussagen zur „Patriot“ bestätigen.  

Douglas McGregory ist davon überzeugt, dass es nicht zu einem Stellungskrieg kommen wird, der noch Monate andauert, sondern Russland in naher Zukunft eine Entscheidung herbeiführen wird.

Einschätzung der aktuellen Lage durch M.K. Bhadrakumar

Herr Bhadrakumar ist ein pensionierter indischer Diplomat, der u.a. an der indischen Botschaft in der früheren Sowjetunion, in Afghanistan, Iran, Pakistan, Türkei und auch in Deutschland eingesetzt war. Herr Bhadrakumar ist davon überzeugt, dass die westlichen Kommentatoren vergessen haben, dass das zentrale Thema auf der russischen Agenda nicht eine territoriale Eroberung ist, sondern die NATO-Erweiterung.   (The whole point is that the western commentariat largely forgets that Russia’s core agenda is not about territorial conquest — much as Ukraine is vital to Russian interests — but about NATO expansion. And that has not changed.“) Aus Bhadrakumars Sicht glaubt Präsident Putin, dass es das vorrangige Ziel der USA ist, Russland zu schwächen und zu zerstückeln. Deshalb ist die russische Führung davon überzeugt, dass die Konfrontation mit den USA auch nach einem Ende des Ukraine Krieges weitergehen wird. Bhadrakumar zitiert Präsident Putin aus dem Treffen des „Board of the Defence Ministry“ vom 28. Dezember 2022: “We will continue maintaining and improving the combat readiness of the nuclear triad. It is the main guarantee that our sovereignty and territorial integrity, strategic parity and the general balance of forces in the world are preserved. (Wir werden die nukleare Triade beibehalten und ihre Einsatzbereitschaft steigern. Das ist die entscheidende Garantie, unsere Souveränität und territoriale Integrität zu bewahren und das strategische Gleichgewicht und die grundsätzliche Balance von Streitkräften in der Welt sicherzustellen.)  Bhadrakumar verweist in diesem Zusammenhang auf die Ankündigung des russischen Verteidigungsministers Sergei Shoigu, die russischen Streitkräften durch mehrere Divisionen der verschiedenen Waffengattungen zu verstärken und die Antrittsstärke der russischen Armee auf 1,5 Millionen Soldaten zu erhöhen.

Wegen des de facto Kriegs zwischen den USA und Russland und der damit verbundenen immensen Unterstützungsleistungen für die Ukraine läuft Washington Gefahr, die viel entscheidendere globale Auseinandersetzung mit China zu verlieren. Die neokonservativen Kriegstreiber haben den US Präsidenten in eine Situation gebracht, in der eine Entscheidung unumgänglich ist. Präsident Biden hat verstanden, dass Russland in der Ukraine nicht besiegt werden kann, und dass es in der russischen Bevölkerung keinen Aufstand geben wird. (“Biden has understood that Russia cannot be defeated in Ukraine; nor are Russian people in any mood for an insurrection.”)  

Wenn die USA also die globale Auseinandersetzung mit China für sich entscheiden wollen, können sie ihr intensives und zeitlich unbegrenztes Engagement in der Ukraine nicht aufrechterhalten, geschweige denn noch intensivieren, wie es der ukrainische Präsident Selensky fordert.

Falls Washington aber tatsächlich „aussteigen“ würde, wäre das nicht nur für die USA, sondern letztlich auch für die NATO das Eingestehen einer Niederlage, vielleicht sogar verbunden mit dem Versuch von Deutschland, Frankreich und Italien,  einen „modus vivendi“ mit Russland zu erreichen. (“Major West European powers — Germany, France and Italy — may start looking for a modus vivendi with Russia.”) Für Bhadrakumar würde sich dann die Frage stellen, ob die NATO eine solche Entwicklung überleben würde, wenn Washingtons transatlantische Führung verloren ginge.

Einschätzung der aktuellen Lage durch Henry Kissinger

Der ehemalige amerikanische Außenminister und sicherheitspolitische Analytiker Henry Kissinger erinnert in seinem Artikel vom 17. Dezember 2022 an den 1. Weltkrieg und daran, dass die Kriegsparteien im August 1916 die ersten Fühler ausgestreckt hätten, um den Krieg zu beenden. Leider kam es zu keiner Lösung, und so dauerte der Krieg noch einmal 2 Jahre mit weiteren Millionen von Toten. Kissinger fragt sich vor diesem Hintergrund, ob man im Krieg in der Ukraine heute an einem vergleichbaren Punkt steht, wie 1916 und sieht die konkrete Gefahr, die Chance für einen Waffenstillstand zu verpassen, bevor es möglicherweise zu einer größeren russischen Offensive kommt. Dadurch, dass die Ukraine erstmalig in der jüngeren Geschichte ein größerer souveräner Staat in Zentraleuropa geworden ist, der mit Unterstützung „des Westens“ der russischen Aggression bislang entschlossen und erfolgreich entgegengetreten ist, hätten sich die strategischen Parameter bereits verschoben, und darauf könne man aufbauen. Das heißt aus seiner Sicht aber nicht, dass Russland durch diesen Krieg ohnmächtig geworden ist. Russland hat über Jahrzehnte einen entscheidenden Beitrag zum globalen Gleichgewicht der Kräfte geleistet, und diese historische Leistung sollte nicht geringschätzt werden. Die militärischen Rückschläge in der Ukraine haben Russlands globale nuklearen Möglichkeiten nicht beeinträchtigt und damit auch die Fähigkeit, in der Ukraine zu eskalieren, erhalten. Unabhängig davon würde eine Zerschlagung Russlands oder die Vernichtung seiner strategischen Optionen ein Vakuum zur Folge haben. (“Russia has made decisive contributions to the global equilibrium and to the balance of power for over half a millennium. Its historical role should not be degraded. Russia’s military setbacks have not eliminated its global nuclear reach, enabling it to threaten escalation in Ukraine. Even if this capability is diminished, the dissolution of Russia or destroying its ability for strategic policy could turn its territory encompassing 11 time zones into a contested vacuum.”)

Kissingers klare Forderung ist: Der Krieg muss beendet werden.

Falls die Vorkriegsgrenzen durch Verhandlungen nicht wiederhergestellt werden können, muss es ggf. Referenden geben, um die Bevölkerung zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt darüber entscheiden zu lassen, ob sie zur Ukraine oder zu Russland gehören will. Das Ziel eines Friedensprozesses muss zweierlei sein: Sicherstellen des Friedens für die Ukraine und die Definition einer neuen internationalen Struktur, besonders für Zentral- und Osteuropa.

Zusammenfassende Bewertung

Aktuell kann die Ukraine den Krieg nicht gewinnen, sondern mit Hilfe weiterer massiver Unterstützung durch die USA und andere NATO-Staaten maximal ein Patt auf dem Gefechtsfeld erhalten, aber auch das nur zu einem hohen Preis. Ein hoher ehemaliger amerikanischer Offizier sagte vor kurzem in einem Interview, die USA hätten im Vietnamkrieg innerhalb jeder Woche durchschnittlich 500 Gefallene zu beklagen gehabt, die Ukraine verliere annähernd dieselbe Zahl an Gefallenen oder Schwerverwundeten pro Tag. Die Lebensbedingungen der ukrainischen Zivilbevölkerung werden sich weiter verschlechtern, die Zahl der Flüchtlinge wird steigen und die Zerstörung der Ukraine wird immer umfassender werden.

Außerdem ist es fraglich, ob die USA ihre Unterstützung im bisherigen Umfang – und der ist ja bei weitem noch nicht ausreichend – weiterhin gewährleisten können/wollen und werden, wenn die Gefahr besteht, dadurch den globalen Wettbewerb mit China zu verlieren. Die Arsenale der europäischen NATO-Staaten sind weitgehend erschöpft, und es muss seitens der Regierungen bereits jetzt entschieden werden, ob es verantwortlich ist, die eigene Verteidigungsfähigkeit zu Gunsten der weiteren Unterstützung der Ukraine zu schwächen.

Russland wird den Krieg nicht verlieren, vielmehr besteht offensichtlich die konkrete Möglichkeit, dass es zu einer großen russischen Offensive kommt, wohl spätestens dann, wenn die Bodenverhältnisse es zulassen und die Ausbildung der eingezogenen Reservisten abgeschlossen ist. Sollte im Rahmen dieser Offensive, wie Col. MacGregory es vermutet, die militärische Nachschublinie von Polen in die Ukraine unterbrochen werden, ist der völlige Zusammenbruch der ukrainischen Streitkräfte vorprogrammiert. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass die NATO endgültig in diesen Krieg hineingezogen wird. Das würde vermutlich von den Neokonservativen in den USA, aber auch in Polen und vielleicht sogar in den baltischen Staaten billigend in Kauf genommen werden, weil man sich dort der Illusion hingibt, Russland könne in der Ukraine militärisch besiegt werden, ohne dass es zu einer atomaren Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland käme.

Es gibt zu Verhandlungen keine akzeptable und vor allem auch keine realistische Alternative, und deswegenhatHenry Kissinger Recht mit seiner Aussage: Das Streben nach Frieden und Ordnung hat zwei Komponenten, die manchmal als gegensätzlich betrachtet werden, nämlich die Forderung nach Sicherheit und die Ansprüche auf Maßnahmen der Versöhnung. Wenn wir nicht Beides erreichen können, werden wir weder das Eine noch das Andere bekommen. Der Weg der Diplomatie mag kompliziert und auch frustrierend erscheinen, aber Fortschritt verlangt beides, die Vision und den Mut, die Reise anzutreten.

(“The quest for peace and order has two components that are sometimes treated as contradictory: the pursuit of elements of security and the requirement for acts of reconciliation. If we cannot achieve both, we will not be able to reach either. The road of diplomacy may appear complicated and frustrating. But progress to it requires both the vision and the courage to undertake the journey.”)

Greven, 04. Januar 2023

Jürgen Hübschen

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Die vergessene Landesverteidigung, ein über Parteigrenzen gesamtpolitisches Versagen

Als ich 1965 als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr eingezogen wurde, hatten unsere Streitkräfte einen Gesamtumfang von ca. 500.000 Soldaten, davon ca. 350.000 im Heer, ca.110.000 in der Luftwaffe, ca. 30.000 in der Marine und ca. 10.000 im Sanitätsdienst. Dazu kamen ca. 1,2 Millionen Reservisten, die unsere Streitkräfte bei Bedarf jederzeit hätten verstärken können. Die Bundeswehr war mit ihren Soldaten in der gesamten Fläche Deutschlands präsent, vom obersten Zipfel Schleswig-Holsteins bis zum entferntesten Winkel des Bayrischen Waldes. Unser Land befand sich mitten im kalten Krieg, und das war für mich der Grund, mich im Rahmen der Verteidigung Deutschlands zunächst auf 2 Jahre zu verpflichten, mich zum Reserveoffizier ausbilden zu lassen und mich kurz vor meiner Entlassung zu entscheiden, Berufsoffizier in der Luftverteidigung zu werden. Zu dieser Zeit gab es, nur um ein Beispiel zu nennen, allein für die Verteidigung des Ruhrgebietes ein vollständiges Flugabwehrraketenbataillon mit Kampfbatterien in Westkirchen im Münsterland, in Möhnesee Echtrop, in Unna und in Datteln. Jede Batterie verfügte über 9 Abschussrampen und natürlich auch eine entsprechende Anzahl von Raketen des Typ „Nike Herkules“, die den deutschen Luftraum bis zu einer Höhe von c. 30.000 m schützten. Dieses Bataillon und 5 weitere desselben Typs, also insgesamt 24 Batterien, gibt es nicht mehr. Auch das ergänzende Waffensystem „Hawk“ zur Abwehr von Flugzielen in geringer bis mittlerer Höhe mit ebenfalls 24 Batterien, wurde abgeschafft. Die Raketensysteme „Nike“ und „Hawk“ wurden durch insgesamt 12 Staffeln „Patriot“ (Staffel entspricht Batterie) ersetzt. Statt 48 „Nike“ und „Hawk“ Batterien gibt es also in der Luftverteidigung jetzt nur noch 12 Staffeln „Patriot“

Man könnte in der Luftwaffe andere und auch im Heer, und in der Marine zahllose vergleichbare Beispiele anführen.

Als ich im Frühjahr 2004 in den Ruhestand ging, gab es von den Standorten, in denen ich gedient hatte nur noch zwei, weil die Streitkräfte zunehmend aus der Fläche unseres Vaterlandes verschwunden sind. Obwohl Deutschland durch die Wiedervereinigung erheblich größer geworden war, betrug die Antrittsstärke der Bundeswehr nur noch ca. 182.000 Soldaten, davon ca. 63.000 im Heer, ca. 27.000 in der Luftwaffe, knapp 16.000 in der Marine, ca. 19.000 im Sanitätsdienst und in den neu geschaffenen Organisationsbereichen „Streitkräftebasis“ ca. 23.000 und „Cyber und Informationswesen“ ca. 14.000 Soldaten, dazu im Bundesministerium der Verteidigung ca. 1.100 und in den unmittelbar nachgeordneten Dienststellen ca. 9.000 Soldaten. Der Bestand an Reservisten betrug, wegen der Aussetzung der Wehrpflicht, die ja de facto eine Abschaffung ist, noch 29.000 Männer und Frauen. Das Territorialheer, das ja das Hauptinstrument der Landesverteidigung und des Heimatschutzes war und auf Kreisebene, bei den Regierungspräsidenten und den Ministerpräsidenten militärische Ansprechpartner zur Verfügung stellte, war ersatzlos abgeschafft worden. Die Landesverteidigung, als der im Grundgesetz verankerte Kernauftrag der Bundeswehr war zu einer „Aufgabe unter ferner liefen“ degradiert worden, um es einmal militärisch zu formulieren.

Der heutige Stellwert und Stand der Landesverteidigung

Heute, mehr als 18 Jahre nach meinem Ausscheiden aus der Bundeswehr, hat sich ist die Gesamtlage der Streitkräfte weiter verschlechtert. Positiv ist lediglich festzustellen, dass die Politiker über Parteigrenzen hinweg eingesehen haben, dass man die Bundeswehr kontinuierlich vor die Wand gefahren hat, und dass es eine fatale Fehlentscheidung war, den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu Lasten der Landesverteidigung absolute Priorität einzuräumen. Der Krieg in der Ukraine ist offensichtlich ein wichtiges Wecksignal gewesen, aber gleichzeitig auch ein zusätzlicher Grund für die Verschlechterung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte, weil ein großer Teil der militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine zu einer weiteren Einschränkung der Fähigkeit zur Landesverteidigung geführt hat und weiterhin führen wird. Bereits zum Beginn des Ukraine-Krieges hatte der Chef des Heers, Generalleutnant Alfons Mais, militärisch trocken festgestellt, die Truppe stehe „mehr oder weniger blank“ da. Zu der Frage, ob die Politik erkannt habe, vor welchen großen Aufgaben die Bundeswehr stehe, sagte Generalleutnant Mais in einem Interview der SZ: „Ich bin mir an manchen Tagen nicht mal sicher, ob überall im Heer und in der Bundeswehr angekommen ist, was „Zeitenwende“ tatsächlich bedeutet…. Landes- und Bündnisverteidigung heißt aber: Die gesamte Bundeswehr ist im Spiel. Jeder ist gefordert. Alles in der Bundeswehr muss für diesen Auftrag mobilisiert werden.“  Weil Alfons Mais Soldat ist, bezieht er diese Aussagen nur auf die Streitkräfte, aber sie treffen natürlich exakt auch auf die Politiker zu.

Als ein besonders eklatantes Beispiel für den Kahlschlag im Heer führt der General an: „Das Heer, sowie es heute dasteht, verfügt noch über vier Artillerie-Bataillone, etwa 100 Panzerhaubitzen und knapp 40 Raketenwerfer `Mars`. Von denen ist tagesaktuell immer nur ein Teil einsatzbereit. Das macht mir mit Blick auf die Zukunft große Sorgen. Ersatzteile gehen derzeit in die Ukraine, um die dorthin gelieferten Geschütze in Gang zu halten. Zur Zeit des Kalten Krieges war die Artillerie-Truppe größer, als die gesamte Marine war…“ .

Zusammengefasst antwortet General Mais in Bezug auf die drei noch verbliebenden Heeresdivisionen auf die rhetorische Frage: „Sind diese Verbände aus dem Stand fähig, Landes-und Bündnisverteidigung sicherzustellen? Die Antwort ist: nein.“

Für die Marine ist folgende Feststellung des Kommandanten eines Minenjagbootes beispielhaft: „In den 80er Jahren hatte die Marine noch bis zu 80 Boote allein für die Minenabwehr. Von acht Geschwadern ist nur noch eins übriggeblieben, das 3. Minensuchgeschwader in Kiel und seine 10 Boote. Die Marine verfügt mit etwa 50 Booten und Schiffen gerade über die kleinste Flotte ihrer Geschichte.“

Fazit der derzeitigen Lage: Die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte kann die Landesverteidigung nicht gewährleisten

Der Auftrag an die militärische und politische Führung unseres Landes

Dieses Fazit als Folge eines sicherheitspolitischen Totalversagens ist ein nicht steigerungsfähiges Alarmsignal. Die militärische Führung muss ihre Forderungen für eine funktionsfähige Landesverteidigung glasklar, unüberhörbar und ohne Abstriche auf den Tisch legen. Da die Bundeswehr richtigerweise einem Primat der Politik unterliegt, ist es Aufgabe der politischen Führung, die berechtigten Forderungen der Militärs schnellstmöglich und umfassend zu erfüllen. Da helfen Statements wie „Zeitenwende“, „Wumms“ und „Doppelwumms“ nicht weiter, sondern es muss“ Cash“ auf den Tisch. Dafür reichen die 100 Milliarden Euro des Sondervermögens bei weitem nicht aus, und ein Verteidigungshaushalt von 2% des Bruttosozialproduktes ist auf absehbare Zeit ebenfalls zu wenig. Im Bereich der Beschaffung muss so viel Ausrüstung und Material wie eben möglich auf dem freien Markt gekauft werden. Die Forderungen der Militärs nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ oder, – wie die Soldaten ironisch sagen, nach einem Gewehr, das in Notlagen sogar essbar sein muss, sind endgültig aufzugeben. Bereits ausgesonderte Waffensysteme, die aber vielleicht in der Industrie noch vorhanden sind, müssen reaktiviert werden. „Gepard Flakpanzer“, die – nicht nachvollziehbar-  ohne Ersatz ausgesondert wurden, dürfen nicht weiter an die Ukraine geliefert, sondern müssen zurückgeführt werden in die aktive Truppe. Der Industrie müssen klare Zusagen gegeben werden, um ihre Produktionsanlagen nicht nur für Munition, sondern auch für die in der Bundeswehr betriebenen Waffensysteme hochzufahren, um die Bestände in den Streitkräften aufzustocken. Die politische Führung hat, vermutlich gemeinsam mit der Spitze der Bundeswehr, den Fehler gemacht, die Landesverteidigung zu Gunsten von Auslandseinsätzen zu vernachlässigen. Jetzt besteht die Gefahr einer Wiederholung dieses Fehlers, allerdings nicht wegen der Auslandseinsätze, sondern wegen der politischen Vorrangigkeit der militärischen Unterstützung der Ukraine.

Weil man die Wehrpflicht de facto abgeschafft hat wird man -last, but not least- nicht umhinkönnen, die Personalstärke der Bundeswehr auf 250.000 –  300.000 Soldaten zu erhöhen, vor allem für die Aufstellung aktiver Verbände zum Heimatschutz und um den Mangel an Reservisten auszugleichen.

Selbst, wenn alle diese grundsätzlichen Maßnahmen in Angriff genommen werden, muss mit 10-12 Jahren gerechnet werden, bevor die Armee wieder in der Lage ist, die Landesverteidigung sicherzustellen. Das ist nämlich nicht nur eine Frage von Ausrüstung, inklusive Ersatzteilen und Munitionsbeständen, und notwendiger Waffensysteme, sondern auch von Personal. Dabei geht es nicht nur um den Umfang, der im Wettbewerb mit der Industrie aufgebaut werden muss, sondern auch um qualifiziertes Führungspersonal. Als Daumenregel kann man sagen, dass die Ausbildung von qualifizierten Mannschaften und Unteroffizieren 3-5 Jahre dauert, von Offizieren, bis zu ihrer Fähigkeit eine Kompanie zu führen, etwa 8-10 Jahre und 12-15 Jahre, um einen einsatzbereiten Bataillonskommandeur zu erhalten.

 Fazit: Das „Kaputtsparen“ der Bundeswehr hat sich über 10-12 Jahre- je nach Betrachtungsweise sogar noch mehr- erstreckt. Wenn alle Politiker und Militärs intensiv und dauerhaft am selben Ende desselben Stricks ziehen, (was ja nicht Gott gegeben ist) wird eine funktionsfähige und angemessene Landesverteidigung frühestens 2032 zu erreichen sein.

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Die ukrainischen Luftangriffe gegen Flugplätze im russischen Hinterland

Am 05. Und 06. Dezember 2022 wurden zum ersten Mal russische Militärflugplätze im russischen Hinterland angegriffen.

Getroffen wurden die Flugplätze „Djagiljewo“ im Gebiet Rjasan, „Engels“ im Gebiet Saratow und ein Militärflugplatz in der Nähe von Kursk. Die Flugplätze liegen bis zu ca. 700 km von der ukrainischen Grenze entfernt. Während die Ukraine bislang nur ausgesprochen vage zu den Operationen Stellung nimmt, hat die russische Führung die Angriffe grundsätzlich bestätigt, behauptet aber, die ukrainischen Drohnen abgeschossen zu haben. Die Schäden seien durch die herabfallenden Trümmer der Flugkörper entstanden.

Mit diesen Angriffen wurde im Ukrainekrieg eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Wer hat die Angriffe durchgeführt und mit welchen Mitteln?

Mittlerweile gehen alle Beobachter und Experten davon aus, dass die Ukraine diese Luftangriffe durchgeführt hat, obwohl es dafür aus Kiew noch immer keine offizielle Bestätigung gibt. Lediglich Mykhailo Podolyak, ein Berater des ukrainischen Präsidenten, hat die Angriffe auf Twitter mit den Worten kommentiert: “The Earth is round — discovery made by Galileo.” “If something is launched into other countries’ airspace, sooner or later unknown flying objects will return to departure point.” („Die Erde ist rund, wie Galileo entdeckt hat, und falls etwas in den Luftraum eines anderen Landes abgeschossen wurde, werden früher oder später unbekannte Flugobjekte zurückkehren zum Abschusspunkt.“)

Der Ukraine ständen für solche Angriffe theoretisch zwei Möglichkeiten zur Verfügung, nämlich entweder vom Westen gelieferte Waffensysteme oder – aus sowjetischer Zeit – die Aufklärungsdrohne Tupolew M-141, die durch eine Modifizierung bewaffnet worden ist. Die USA bestreiten seit Beginn des Krieges, der Ukraine Waffen zu liefern, mit denen das russische Kernland erreicht werden kann und alle westlichen Verbündeten der USA behaupten das ebenfalls. Außerdem haben US-Präsident Biden und auch der amerikanische Außenminister erklärt, dass sie die Ukraine auch nicht ermuntert hätten, solche Angriffe durchzuführen, geben aber gleichzeitig zu, dass sie Kiew auch nicht davon abgeraten hätten.

( O-Ton Blinken:“We have neither encouraged nor enabled the Ukrainians to strike inside of Russia) Ergänzt wurde diese eher grundsätzliche Aussage durch den Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, Ned Price, der am 07. Dezember erklärte, man habe die Ukraine nicht ermuntert, Russland außerhalb ihrer Grenze anzugreifenAlles, was die USA machten, sei das, was die Welt mache, nämlich die Ukraine zu unterstützen, ihre Unabhängigkeit, ihre Souveränität und ihre territoriale Integrität. Wir versorgen die Ukraine mit allem, was sie benötigt, um Russland auf ihrem eigenen Territorium zu bekämpfen. (We are not encouraging Ukraine to strike beyond its borders.. Everything we are doing, everything the world is doing to support Ukraine, is in support of Ukraine’s independence, its sovereignty, its territorial integrity. We are providing Ukraine with what it needs to use on its sovereign territory, on Ukrainian soil, to take on Russian aggressors.”)

Der amerikanische Verteidigungsminister Austin III war in seinem Statement sehr viel direkter, indem er sagte, die USA würden die Ukraine nicht aktiv davon abhalten, Drohnen zu entwickeln, oder Langstreckenraketen oder andere Fähigkeiten, mit denen sie russische Ziele bekämpfen könnten.(“The U.S. is not actively trying to halt Ukrainians’ development of drones, long-range missiles or other capabilities that can hit Russian targets.”) 

Wenn man den USA und ihren westlichen Verbündeten Glauben schenkt – auch die russische Führung spricht ja nicht von Raketenangriffen-  bleibt nur noch die Option, dass die Ukraine die alte sowjetische Aufklärungsdrohne umgebaut und bewaffnet hat.  Diese Drohne hat eine Reichweite von 1.000 km und kann theoretisch bis zu 24 Stunden in der Luft bleiben. Ihre maximale Geschwindigkeit beträgt ca. 1000 Km/h bei einer Flughöhe von 50-1.000m. Unklar ist allerdings, wie und ob die Ukraine in der Lage ist, eine solche Drohne über eine Distanz von bis zu 1.000km zu führen. Sollte das aus der Ukraine heraus nicht möglich sein, müsste sie unentdeckt eigene Truppen auf russischem Territorium eingesetzt haben.

Der Einsatz der ukrainischen Drohne und die russische Luftverteidigung

Mit dieser Drohne hätte die Ukraine theoretisch die russische Luftverteidigung in extrem geringer Höhe unterfliegen können, aber das ist über eine solche Entfernung und über einem z.T. bebauten Gelände unwahrscheinlich bis unmöglich. Bleibt die Möglichkeit der Nutzung einer größeren Höhe mit dem Risiko durch die Radar gestützte Luftverteidigung Russlands entdeckt und schließlich abgeschossen zu werden. Dafür, dass eine Drohne über Hunderte von Kilometern unbemerkt durch russischen Luftraum fliegt, gibt es für mich nur drei Erklärungen: Entweder hat die russische Luftverteidigung völlig versagt oder der ukrainische Drohneneinsatz wurde seitens der USA und/oder ihrer Verbündeten durch Störung der russischen Luftraumüberwachung unterstützt. Dafür verfügen die USA über sehr unterschiedliche Systeme, um z.B.  bodengestützte Radargeräte „blind zu machen.“

Eine dritte Möglichkeit, die man, auch wenn sie ziemlich unwahrscheinlich erscheint, nicht völlig ausschließen kann, ist, dass Russland diese Drohnen hat absichtlich bis in ihre Zielgebiete fliegen lassen, um sie, bei relativ geringen Schäden, exakt dort abzuschießen. Auf diese Weise hätte Moskau eine Begründung, noch härter gegen die Ukraine zurückzuschlagen. Ich halte das zwar für ziemlich abwegig, aber in diesem Krieg wird so viel gelogen, dass man gar nichts ausschließen kann.

Zusammenfassende Bewertung

Wie bereits ausgeführt, hat der Krieg mit dem Drohnenangriff auf Militärflugplätze im russischen Hinterland eine neue Dimension erreicht und das Risiko einer Eskalation bis hin zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO erheblich erhöht.

In einem aktuellen Bericht der Washington Times, wird noch einmal darauf hingewiesen, dass die NATO immer erklärt habe, nicht Kriegspartei zu werden um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Nuklearmächten zu vermeiden.(„The U.S. and NATO, which have insisted from the beginning that they are not seeking a direct war with a nuclear-armed Russia”) Aber der russische Außenminister Lawrow bewertet die Situation völlig anders und erklärte in der vergangenen Woche gegenüber Journalisten, die USA und die NATO sollten nicht behaupten, sie nähmen an diesem Krieg nicht teil, sondern sie seien direkt Kriegspartei und zwar nicht nur durch Waffenlieferungen, sondern auch durch die Ausbildung von Personal. Sie würden ukrainisches Personal in ihren eigenen Ländern ausbilden, und zwar auf den Territorien von Groß Britannien, Deutschland, Italien und anderen Ländern. (You shouldn’t say that the U.S. and NATO aren’t taking part in this war. You are directly participating in it,” Russian Foreign Minister Sergey Lavrov told reporters in a video call last week, “and not just by providing weapons but also by training personnel. You are training their military on your territory, on the territories of Britain, Germany, Italy and other countries.”) Mit dieser Aussage erklärt Lawarow übrigens exakt den Begriff “Kriegspartei”, so wie ihn der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestage bereits zu Kriegsbeginn definiert hat. Der Dienst hatte seinerzeit gesagt, durch Waffenlieferungen würde man nicht zur Kriegspartei, aber dadurch, dass man ukrainisches Personal an den von Deutschland gelieferten Waffen in Deutschland ausbilde.

Fazit: Die ukrainischen Luftangriffe gegen Ziele im russischen Hinterland wird Russland mit schweren Schlägen, welcher Art auch immer, vergelten. Damit dreht sich die Eskalationsspirale deutlich und auch mit größerer Geschwindigkeit weiter. Sollte sich herausstellen, dass die Ukraine bei ihren Angriffen seitens der USA oder ihrer Verbündeten durch Unterdrückung der russischen Luftverteidigung (Suppression of Russian Air Defence) unterstützt worden sein, ständen wir unmittelbar an der Grenze zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland. Wer jetzt noch glaubt, man könne Verhandlungen immer noch weiter hinausschieben, hat den Ernst der Lage nicht erkannt.   

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Das 29. Treffen des Ministerrates der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) – ein weiterer Schritt in die Bedeutungslosigkeit

Am 01./02. Dezember 2022 fand im polnischen Lotz das 29. Treffen des Ministerrates der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) statt. Polen, das 2022 turnusgemäß die Präsidentschaft innehat, verweigerte der russischen Delegation die erforderlichen Visa, so dass Außenmnister Lawrow und sein Team an der Zusammenkunft nicht teilnehmen konnte. Weil sich die teilnehmenden Staaten nicht einigen konnten, wurde auf eine gemeinsame Abschlusserklärung verzichtet.

Die OSZE

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist die weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation.

Die OSZE hat vier beschlussfassende Gremien, die auf verschiedenen politischen Ebenen zusammenkommen: Der Ministerrat tagt jährlich in dem Land, das aktuell den Vorsitz innehat. Der Ständige Rat besteht aus den Ständigen Vertretern (Botschafterinnen und Botschaftern) bei der OSZE und tagt wöchentlich. Eine Sonderrolle nimmt das wöchentliche Forum für Sicherheitskooperation mit eigener Beschlusskompetenz in politisch-militärischen Fragen ein. Das letzte Treffen der Staats- und Regierungschefs fand 2010 in Astana statt.

In den Gremien sind alle 57 Teilnehmerstaaten gleichberechtigt. Der Amtierende Vorsitz (2022: Polen) trägt die Verantwortung für exekutive Maßnahmen. Unterstützung leisten der vorherige (2021: Schweden) und der folgende Vorsitz (2023: Nord Mazedonien), die zusammen mit dem amtierenden Vorsitz die sogenannte Troika bilden. Die Vorsitzreihenfolge ist nicht festgelegt.

Die Generalsekretärin der OSZE (seit Dezember 2020 Helga Maria Schmid, Deutschland) unterstützt den Vorsitz und leitet das OSZE-Sekretariat.

Mitgliedsstaaten

AlbanienGeorgienLitauenPortugalTürkei
AndorraGriechenlandLuxemburgRumänienTurkmenistan
ArmenienGroßbritannienMaltaRusslandUkraine
AserbaidschanIrlandMazedonienSan MarinoUngarn
BelgienIslandMoldawienSchwedenUSA
Bosnien-Herz.ItalienMonacoSchweizUsbekistan
BulgarienKanadaMongoleiSerbienVatikanstadt
DänemarkKasachstanMontenegroSlowakeiWeißrussland
DeutschlandKirgistanNiederlandeSlowenienZypern
EstlandKroatienNorwegenSpanien 
FinnlandLettlandÖsterreichTadschikistan 
FrankreichLiechtensteinPolenTschechien

Ablauf des Treffens und wesentliche Statements

Über das Treffen wurde in den „Leitmedien“ nicht im Detail berichtet, so dass nur wenige Statements der teilnehmenden Staaten veröffentlicht wurden.

Das Treffen wurde von Polens Außenminister Zbigniew Rau eröffnet, da sein Land aktuell den Vorsitz innehat. Der Krieg in der Ukraine war das beherrschende Thema des Treffens.  Die Generalsekretärin der OSZE, Helga Schmid, stellte dazu fest, dass er „verheerende Auswirkungen“ für die Organisation habe und warf Russland „Verrat“ an den Prinzipien der OSZE vor.

Die Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung, die Schwedin Margareta Cederfeld

Die Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung, die Schwedin Margareta Cederfeld schloss sich dieser Einschätzung an, indem sie u.a. sagte, „es sei noch nicht klar, wieviel Schaden die OSZE noch aushalten könne, bevor sie zerbröselt.“ Gleichzeitig stellte sie fest: „As much as we can disagree around this table, I am convinced that no one wishes for the end of the OSCE. (Wie sehr wir auch unterschiedliche Meinungen an diesem Tisch haben mögen, ich bin überzeugt, dass niemand sich ein Ende der OSZE wünscht) Dann ging sie sofort auf den Krieg in der Ukraine ein und erklärte: „Now is the time to support the OSCE and stand with Ukraine“ Russland warf sie eine massive Verletzung der Schlussakte von Helsinki vor und sagte: „Russia started the war, and it must pay for it.“

Der Spanier Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik,

Der Spanier Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, erinnerte an die Schlussakte von Helsinki und erklärte: „In 1975, our predecessors signed the Helsinki Final Act. A core set of principles was agreed: renouncing the use of force, respect for sovereignty, territorial integrity, and protecting human rights and freedoms. “ (1975 haben unsere Vorgänger die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet und waren sich über folgende Prinzipien einig: Verzicht auf militärische Gewalt, Anerkennung von Souveränität und staatliche Integrität, und Schutz von Menschenrechten und Freizügigkeit) .Er fügte hinzu, dass Russland mit seinem Krieg in der Ukraine nicht nur gegen die Prinzipien der OSZE verstoßen habe, sondern auch gegen die Charta von Paris und die der Vereinten Nationen. (“Russia has also violated the core principles on which European security is built as enshrined in the Helsinki Final Act, the Paris Charter and underpinned in the UN Charter.”)

Weiter sagte er, dass Russland durch seinen Angriffskrieg die Sicherheit Europas zerstört habe. (“Russia’s war of aggression has effectively destroyed the security in Europe.”)

In diesem Zusammenhang warf Borrell Russland vor, Ossetien, Abchasien und Transistrien zu destabilisieren. Er unterstrich die Verpflichtung der Europäischen Union für die territoriale Integrität, die Sicherheit und den Frieden der Ukraine und machte deutlich, welche Unterstützung die EU der Ukraine bislang geleistet habe und in 2023 noch leisten werde. Mit Blick auf Weißrussland forderte er Präsident Lukaschenko auf, alle politischen Gefangenen freizulassen und freie Wahlen zu ermöglichen.

Kirgisien und Kasachstan

Bei den bekannt gewordenen Statements der teilnehmenden osteuropäischen/asiatischen Staaten, fiel auf, dass der Krieg in der Ukraine vielfach gar nicht erwähnt wurde, z.B. in der Erklärung des stellvertretenden Außenministers von Kirgisien, Aibek Moldogaziew oder des stellvertretenden Premierministers und Außenminister von Kasachstan, Mukhtar Tileuberdi. Dieser wies allgemein auf die komplexen geopolitischen Verhältnisse hin und erklärte bildlich, dass die Länder Straßen und Brücken bauen sollten, statt Wällen und Gräben.

Aserbeidschan

Der Außenminister von Aserbaidschan, Jeyhun Bayramov, verzichtete auf eine Erklärung zum Ukraine Krieg, sondern nutzte stattdessen die Gelegenheit, Armeniens aggressive Haltung gegenüber Aserbeidschan zu verurteilen.

Serbien

Der serbische Außenmnister, Ivica Dacic, stellte Sinn und Zweck der OSZE in Frage, indem er sagte: “I think that we are slowly crossing the limit of the purpose of the existence of such an organization, where no one listens to anyone and where no decision is binding, where decisions cannot even be made, because consensus is needed.” (Ich denke, dass wir langsam an den Punkt kommen, ob eine Organisation noch Sinn macht, in der keine Entscheidung verbindlich ist, beziehungsweise wegen der erforderlichen Einstimmigkeit überhaupt keine Entscheidungen getroffen werden.) Dann macht er einen Schwenk zum Thema Serbien und Kosovo und bezeichnet es als „double standard“, wenn man dem Kosovo, den er als integralen Teil Serbiens bezeichnet, die Eigenständigkeit zugestehe, Donezk und Krim aber nicht, weil das gegen die territoriale Integrität der Ukraine verstoße.

Weißrussland

Für den am 26. November plötzlich verstorbenen weißrussischen Außenmnister Makei, las der Ständige Vertreter Weißrusslands bei der OSZE dessen Statement vor.

Er verglich die aktuelle Situation in Europa mit einem brennenden Haus und sagte, dieses Haus brenne nicht seit Februar dieses Jahrs, sondern kokele seit Jahrzehnten und alle seien dafür verantwortlich, dieses Feuer zu löschen. Dass das nicht passiere, sei der Grund, warum die OSZE als politisches Forum für Dialog und gegenseitigen Respekt kaum noch atme.  (Because of this, as a political forum for dialogue and respectful discussion, the OSCE is hardly breathing.) Viele Mitglieder der Organisation seien der Meinung, man könne das Feuer ganz einfach löschen, indem man die Schuldigen identifiziere, dann dämonisiere, isoliere und bestrafe. Das sei eine kurze Beschreibung der Haltung des Westens gegenüber Russland und Weißrussland. („ Many in this organization believe that one just needs to identify the culprit and then demonize, isolate and punish it. This is a brief description of the Western approach towards Russia and Belarus. “) Als Beispiel für diese Haltung führte er aus, dass der russische Außenminister von diesem Treffen ausgeschlossen wurde, ebenso wie der Sekretär der Collective Security Treaty Organization (CSTO) als Beobachter des Meetings. Diese Praxis sei ein Zeichen von Angst und Schwäche vor alternativen Standpunkten. Auf diese Weise sei der Ministerrat zu einem Forum für Propaganda geworden, aber die traurige Wahrheit sei, dass Propaganda kein Vertrauen wiederherstellen oder neue Brücken der Verständigung bauen könne, um Zwietracht und Animositäten in Europa zu beseitigen. Das könne nur Diplomatie. (“But the sad truth is that propaganda cannot restore trust or build new bridges of understanding to eliminate discord and animosity in Europe. Only diplomacy can.”)  Weißrussland glaubt, Europa könne noch zurück vor dem Abgrund einer drohenden globalen militärischen Katastrophe. Man könne das Feuer eines Krieges in Europa stoppen.(„Belarus believes that we may get away from the brink of the looming global military disaster.  We can stop the fire of war in Europe.”) Dazu müsse man die Vorstellung und Praxis von politischer, sozialer und kultureller Überlegenheit aufgeben und außerdem die Welt um uns herum in all ihrer Komplexität und Unterschiedlichkeit mit Ernsthaftigkeit akzeptieren. (“To do this we have to, first, renounce the ideas and practice of political, social and cultural superiority and, second, accept in earnest the world around us in all its complexity and diversity”). Und er schloss sein Statement mit einem Appel, Diplomaten für eine friedliche Zukunft unseres Kontinents arbeiten zu lassen. (“Let us finally put diplomats to work for the peaceful future of our continent.”)

Russland

Unabhängig von der Pressekonferenz, die der russische Außenmnister Lawrow praktisch parallel zum Treffen des Ministerrates in Moskau gegeben hat, gab der Ständige Vertreter Russlands bei der OSZE, Alexander Lukashevich, eine konziliantere Erklärung auf dem Treffen ab, indem er sagte, dass Russland bereit sei, die Zusammenarbeit mit der OSZE wiederaufzunehmen, falls die „Russen Phobie und Hysterie“ („Russophobic hysteria”) beendet würde. (Russland blockiert aktuell durch sein Veto den Haushalt der OSZE) Trotz der aktuellen Probleme glaube Russland an eine Zukunft der OSZE. Die Organisation habe immer noch eine Verpflichtung als Plattform für ebenbürtigen und gegenseitigen Dialog und Zusammenarbeit. Dafür müsse eine neue Basis geschaffen werden, nachdem frühere Ansätze sich selbst diskreditiert hätten.

USA

In Vertretung des amerikanischen Außenministers Blinken, der wegen des Besuchs von Präsident Macron in Washington geblieben war, nahm Under Secretary of State for Political Affairs Victoria Nuland an dem Treffen teil.

Sie nahm Bezug auf das Statement des weißrussischen Vertreters und erklärte, dass es einen klaren Weg gebe, das angesprochene Feuer zu löschen, und zwar dadurch, dass Russland seinen bösartigen Krieg gegen die Ukraine beende, seine militärischen Angriffe und auch die bösartigen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und Weißrussland aufhöre, als Plattform für derartige Angriffe zu agieren. ( “With due respect to our Belarusian colleague, there is a very clear way to stop this fire, to stop it today, and that is for Russia to stop its vicious war against Ukraine, its military attacks, but also now its vicious attacks on civilians, and for Belarus to cease to be an enabling platform for those vicious attacks.”) Trotz all des Horrors in diesem Jahr, seien Amerikaner Optimisten, und sie werde Lodz optimistischer verlassen als bei ihrer Ankunft, weil Putin damit gescheitert sei, die Ukraine und auch die OSZE zu zerbrechen. Im Gegenteil, diese Organisation habe, wie auch die UN Nein gesagt zu Moskaus Bestrebungen, sie zu spalten, zu paralysieren und zu zerstören. (“On the contrary, this Organization, like the UN, has said “no” to Moscow’s efforts to divide it, to paralyze it, to destroy it”.) Nach ihrer Erstarrung in den vergangenen Jahren sei die Organisation unter der Führung von Außenminister Rau und Generalsekretärin Schmid stärker, flexibler und auch widerstandsfähiger geworden. Es wären neue Methoden geschaffen worden, die gemeinsamen Werte zu verteidigen, wie Sicherheit, demokratische Institutionen und auch die Menschenrechte, besonders auch durch neue Aktivitäten in der Ukraine und das Unterstützungsprogramm für das Land. Bezug nehmend auf die gehaltenen Statements der verschiedenen Staaten sagte Nuland, “This Organization is more united than ever because we understand, based on what Russia has done, how fragile the values and institutions are that we have worked for, for so long, and how much we must ensure that we protect and defend them and have an Organization that delivers and will continue to deliver for its citizens.” (Diese Organisation ist sich einiger als je zuvor, weil wir verstanden haben, wie zerbrechlich Werte und Institutionen sind, für die wir so lange gearbeitet haben und wie sehr wir sicherstellen müssen dass wir diese schützen und verteidigen müssen und eine Organisation benötigen, die das für ihre Bürger sicherstellt.)

Deutschland

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock begann ihr Statement mit sehr persönlichen Worten gegenüber dem polnischen Außenminister Rau und der Generalsekretärin Helga Schmid, indem sie sagte: „Dieses Vorsitzjahr war mehr als schwer – aber es war auch noch nie so notwendig. Die Ukraine, Euer Nachbarland, lieber Zbigniew Rau, wurde am 24. Februar überfallen. Seitdem erleben wir in der Ukraine einen brutalen Angriffskrieg, nicht nur auf die Infrastruktur, sondern gezielt auf die Zivilbevölkerung.

Mehr als 15 Millionen Menschen sind bis heute aus der Ukraine geflohen, die Mehrheit nach oder durch Polen. Und das Drehbuch ist klar: Es geht um die Zerstörung der Ukraine als unabhängiger Staat. Aber es geht auch um die Zerstörung der europäischen Friedensordnung, des internationalen Rechts und dieser unserer gemeinsamen Organisation, der OSZE. In dieser Lage hast Du, lieber Zbigniew Rau, hast Du, liebe Helga Schmid, die OSZE geführt – als Inbegriff von kooperativer, wertebasierter Sicherheit. Ihr habt die Verpflichtungen aus Helsinki und Paris verteidigt, unsere Werte hoch- und das Leid der Menschen in der Ukraine im Fokus gehalten. Dafür bin ich als deutsche Außenministerin, dafür ist mein Land, dafür sind alle hier im Raum Euch sehr dankbar.“

Im weiteren Verlauf ihres Statements sagte Frau Baerbock: „Wir haben uns entschieden – bei all unserer Unterschiedlichkeit – uns auf das zurückzubesinnen, was für diese Organisation und die Menschen in unserem gemeinsamen Europa am wichtigsten ist. Und das sind der Frieden, die Freiheit und die Menschenrechte. …Ein Staatspräsident mit seiner Regierung hat sich entschieden, Europa in Feuer und Flammen zu legen. Und es ist an diesem einen Mann, es ist an dieser einen Regierung, dieses brutale Feuer, den Angriff auf unsere gemeinsame Ordnung, endlich einzustellen…Wir haben uns gemeinsam dafür entschieden – obwohl wir gerade unsere Freiheit und unseren Frieden verteidigen müssen – andere Länder, andere Regionen nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn es ist jetzt wichtig, dass unsere Arbeit gerade in Zentralasien verstärkt weitergeführt wird, dass die regionale Kooperation mit der OSZE dort ausgebaut wird – mit Blick auf Grenzsicherheit, die Bekämpfung von Drogen- und Waffenhandel und die Eindämmung der Klimakrise…. Daher gilt es umso mehr, diese Arbeit gemeinsam auszubauen, weil wir erleben, dass Destabilisierung auch auf andere Regionen übergreift. …Ich möchte abschließend eine Frau zitieren, die eine der stärksten Freiheitskämpferinnen in unserem gemeinsamen Europa ist.

Maria Kalesnikova hat gesagt: “Freedom is worth fighting for” – und deshalb kämpfen wir in der OSZE gemeinsam für Frieden.

Mongolei

Die Mongolei ist das jüngste Mitglied der OSZE. Ihr Außenminister Nachbar Nandor gab der Zufriedenheit seines Landes Ausdruck, die Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedsstaaten weiterzuentwickeln. Er sprach besonders die wirtschaftlichen Aspekte an, nannte als gemeinsame Aufgabenbereiche aber auch Umwelt, Klimawandel, Kampf gegen die Korruption und Cyber Sicherheit. Zum Krieg in der Ukraine nahm er keine Stellung. 

Schweiz

Das einzige Land, das konkret Bezug nahm, wie man die aktuellen Probleme lösen könnte, war die Schweiz im Rahmen des von ihr entwickelten Aktionsplans. Sie wurde repräsentiert durch ihre Außenministerin Livia Leu. Sie wies auf eine in den vergangenen Jahren ständig zunehmende Vertrauenskrise zwischen den Mitgliedsstaaten hin und machte besonders den russischen Angriffskrieg in der Ukraine für die Verhinderung gemeinsamer Lösungen verantwortlich. Trotzdem bliebe die OSZE relevant, und deshalb werde die Schweiz die Organisation als ein wichtiges Instrument für die Verhütung und Lösung von Konflikten in Europa weiterhin unterstützen. Wörtlich sagte Frau Leu:  „Switzerland is confident that the OSCE will continue to play a pivotal role as a regional security actor and to provide a valuable platform for dialogue.“ (Die Schweiz ist zuversichtlich, dass die OSZE auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen wird als ein regionaler Sicherheitsakteur und wertvolle Dialog-Plattform) Sie betrachte die OSZE als einzige regionale Sicherheitsorganisation, die Ost und West zusammenbringe und auch in Zukunft eine führende Rolle im Krisenmanagement in Europa übernehmen werde.
Die Schweiz habe im Januar 2022 einen Aktionsplan ins Leben gerufen, der relevant bliebe und unter dem Aspekt des Ukrainekriegs angepasst wurde. Als Beispiele nannte Frau Leu Experten Teams für s.g. “fact-finding missions”, um Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zu untersuchen. Frau Leu begrüßte das Unterstützungsprogramm  für die Ukraine, das eine weitere Präsenz der OSZE in dem Land ermögliche.
Ukraine
Besonders umfassend wurde über das Statement des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba berichtet, das sich erwartungsgemäß ausschließlich mit Russland beschäftigte. Kuleba bezeichnete den Krieg als „Russia’s genocidal war of aggression against Ukraine“ und appellierte an die Teilnehmer des Treffens, das Verbrechen Russlands als „Genozide“ zu bezeichnen. Kuleba wörtlich: “Therefore, I call upon the participating States to recognize this crime as an act of genocide”, und er ergänzte, dass die OSZE für einen dauerhaften Frieden einen Sieg der Ukraine und die Wiederherstellung ihrer international anerkannten Grenzen benötige. (“For a lasting peace, the OSCE needs Ukraine’s victory and the restoration of its internationally recognized borders.”) Dann führte er den 10-Punkte Plan von Präsident Selensky aus: 

– Radiation and nuclear safety; (radioaktive und nukleare Sicherheit)

– Food security; (Ernährungssicherheit)

– Energy security;( Energiesicherheit)

– Release of all prisoners and deported persons; (Freilassung aller Gefangenen und Deportierten)

– Implementation of the UN Charter and restoration of Ukraine’s territorial integrity and the world order;( Umsetzung der Charta der Vereinten Nationen und Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine; was mit „world order“ in diesem Zusammenhang gemeint ist, bleibt unklar)

– Withdrawal of Russian troops and cessation of hostilities;(Abzug aller russischen Truppen und Einstellung aller Feindseligkeiten)

– Restoration of justice; (Wiederherstellung der Rechtsordnung)

– Countering ecocide; (Beseitigung der Umweltzerstörung)

– Preventing escalation; (Verhütung von Eskalation)

– Confirmation of the end of the war.(Versicherung des Kriegsendes)

Weil der russische Krieg weitreichende Konsequenzen und negative Auswirkungen auf die Sicherheit der ganzen Welt über die Ukraine und Europa hinaus habe, habe dieser Friedensplan das Potential für ein globales Format. (As Russia’s war has far-reaching consequences and negative impact on the world security far beyond Ukraine and the European continent, the Peace Formula has the potential to become a global format.Abschließend forderte Kuleba ein Sondertribunal für die Abarbeitung von Kriegsverbrechen.

(And last but not least. Without ensuring accountability for the crime of aggression against Ukraine there would be no lasting peace and security within the OSCE.)

Abschlusserklärung

Die EU verfasste eine besonders umfangreiche Abschlusserklärung, die sich ausschließlich auf den Krieg in der Ukraine bezog. Man bedankte sich bei den Ausrichtern des Treffens und machte deutlich, dass die überwiegende Mehrzahl der Teilnehmerstaaten den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt habe. Man werde die Ukraine auch in Zukunft in allen Belangen unterstützen. Russland werde für all seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Die EU wies daraufhin, dass es neben der Aggression in der Ukraine sowohl in Russland als auch in Weißrussland Repressionen gegen die Zivilbevölkerung gebe. Allen Einrichtungen der OSZE und ihren Partnern sicherte die EU ihre weitere Unterstützung zu und erklärte, auch Mazedonien als nächsten Vorsitzenden des Ministerrates uneingeschränkt zu unterstützen. Abschließend wies die EU in ihrer Abschlusserklärung darauf hin, dass die aktuelle Krise, nicht auf das Versagen der OSZE zurückzuführen sei, sondern ausschließlich auf das verbrecherische Verhalten Russlands. Es liege an Russland, sein Verhalten zu ändern, beginnend damit, den Krieg zu beenden, bedingungslos seine Truppen und das gesamte militärische Gerät innerhalb der international anerkannten Grenzen aus der Ukraine abzuziehen, und seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen. ( “Russia can choose a different course and take different actions—beginning by immediately bringing its war against Ukraine to an end, completely and unconditionally withdrawing all of its troops and military equipment from the entire territory of Ukraine within its internationally recognized borders, and by implementing its international obligations.”)

Nur wenn alle 57 Mitgliedsstaaten sich an die gemeinsamen Regeln hielten und sich den gemeinsamen Werten und Prinzipien verpflichtet fühlten, könne eine gemeinsame unteilbare Sicherheit erreicht werden, basierend auf Vertrauen, Zusammenarbeit und Frieden.

 Begründung der fehlenden Abschlusserklärung der OSZE

Die Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht auf eine gemeinsame Resolution einigen können. Es habe dafür keinen Konsens gegeben, sagte der OSZE-Vorsitzende, Polens Außenminister Zbigniew Rau, zum Abschluss des Ministerrats in Lodz. „Es ist das schwierigste Jahr in der Geschichte der Organisation, der Grund dafür ist bekannt“, sagte Rau in Anspielung auf den Krieg. Auch sei die Haltung der überwältigenden Mehrheit der Mitgliedsländer zur russischen Aggression gegen die Ukraine bekannt. Es wäre laut Rau aber sinnlos gewesen, nach einem generellen Abschlussdokument zu suchen, das keinen Bezug zur politischen Realität gehabt hätte. „Das hätte der Glaubwürdigkeit der Organisation nicht genützt.“

Trotzdem werde die OSZE weiterhin als Forum zum Dialog benötigt, sagte Nord Mazedoniens Außenminister Bujar Osmani, der im kommenden Jahr den OSZE-Vorsitz von Rau übernimmt. Die Organisation sei „weder gelähmt, im Koma oder tot„, sie habe vielmehr ihre Widerstandskraft in einer beispiellos schwierigen Zeit bewiesen.

Die Pressekonferenz des russischen Außenministers Sergey Lawrow in Moskau

Die Darstellung des 29. Treffens des Ministerrates wäre, ohne auf die Pressekonferenz des russischen Außenministers einzugehen, nicht vollständig, weil er dort die Position Russlands verdeutlicht hat, die er sonst in Lodz vorgetragen hätte, wenn die polnische Regierung ihm und seiner Delegation ein Visum erteilt hätte.

Lawrow zur Sicherheit Europas

Parallel zum 29. Treffen des Ministerrates, an dem die russische Delegation unter Führung des russischen Außenministers nicht teilnehmen konnte, weil Polen die erforderlichen Visa verweigert hatte, gab Außenminister Lawrow in Moskau eine Pressekonferenz. Zunächst verurteilte er die polnische Entscheidung, der russischen Delegation die notwendigen Visa zu verweigern und nannte das eine „bewusste Provokation“. Nach einem Exkurs zur aus seiner Sicht inakzeptablen NATO-Osterweiterung -„NATO’s expansion posed a threat to Russia, as the Alliance got too close to Russia’s borders,“(Die NATO-Erweiterung bedrohe Russland dadurch, dass die Allianz zu nah an Russlands Grenze herangerückt sei.)-äußerte er sich umfassend zur OSZE. Er erklärte, dass die OSZE geschaffen worden sei, um das Verhältnis zwischen Ost und West zu beruhigen, dass aber die Dominanz des Westens dies verhindert habe. Die OSZE sei mittlerweile eine nebensächliche Organisation. („marginal organization“) Im letzten Jahr habe der schwedische Vorsitz das Begräbnis vorbereitet, und in diesem Jahr habe Polen das Grab geschaufelt. (“Last year, the Swedes, as the chairman, prepared his funeral, and this year the Poles are digging the grave.”) Die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas sei darauf reduziert, von den USA vollständig kontrolliert zu werden. Der Westen versuche eine Sicherheit ohne Russland und Weißrussland zu schaffen. Natürlich sei eine solche Sicherheitsarchitektur unmöglich, aber weil der Westen dies so wolle, müssten sich Russland und Weißrussland selbst um ihre Sicherheit kümmern.

„ (The entire security architecture in Europe now boils down to being completely controlled by the US. The West is trying to build security without Russia and Belarus. Of course, such a security architecture is impossible. But since they want it, Russia and Belarus must take care of their own security.”) Er glaube nicht, dass die früheren Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in naher Zukunft wiederhergestellt werden könnten. Die OSZE sei gegründet worden, damit jedermanns Stimme gehört werden könne und dass sich kein Land von diesem Prozess ausgeschlossen fühle. Jetzt sei alles auf den Kopf gestellt worden. Der Westen arbeite exakt gegen das, wofür die OSZE gegründet worden sei. Mit Blick auf die EU meinte der russische Außenminister, dass diese sich unter der Kontrolle der USA und der NATO befände. Auf die Frage von Journalisten, ob es die Chance gäbe, dass sich Russlands und Amerikas Präsidenten und auch die beiden Außenminister im nächsten Jahr treffen würden, zeigte sich Lawrow nicht optimistisch. Er habe zwar kürzlich mit seinem amerikanischen Kollegen telefoniert, aber es gäbe keine ernsthaften Verhandlungen. Abschließend erklärte Lawrow: Falls unsre westlichen Nachbarn und ehemaligen Partner irgendwann an einer gemeinsamen Arbeit für die europäische Sicherheit interessiert sein sollten, werde das nicht einfach, sondern sehr viel schwerer sein, und die Frage würde sein, was mit der OSZE generell geschehen würde. Er unterstrich, dass eine neue Form von Zusammenarbeit vollständig auf eine neue Basis gestellt werden müsse.

(“If at some point our western neighbors and former partners are interested in joint work on European security, it will not be easy, it will be much more difficult and that the question is what will happen to the OSCE in general.” He emphasized that any new cooperation should be based on completely new foundations.”)

Zusammenfassende Bewertung

Es ist zweifellos ein Skandal, dass Polen der russischen Delegation keine Visa erteilt und damit ihre Teilnahme am Treffen des Ministerrates verhindert hat. Unklar ist, ob diese Maßnahme ein polnischer Alleingang oder innerhalb der OSZE, zumindest mit der Troika abgestimmt war. Es gibt in einer Organisation immer wieder Ereignisse und Handlungsweisen von Mitgliedsstaaten, die mit den Grundsätzen nicht vereinbar sind. Es muss allerdings bezweifelt werden, ob solche Probleme durch einen Ausschluss gelöst werden können. Zweifellos hat Russland mit seinem Krieg gegen die Ukraine fundamental nicht nur gegen das Völkerrecht, sondern damit auch gegen die Prinzipien der OSZE verstoßen, aber hätte man dann nicht auch die Türkei wegen ihrer Luftangriffe in Syrien und im Irak oder auch Armenien und Aserbeidschan wegen ihres Krieges von dem Treffen ausschließen müssen?

Die Pflicht der OSZE ist es, internationale Differenzen vor allem auch zwischen West und Ost auszugleichen. Polen hat das anscheinend nicht verstanden, und damit hat die OSZE als Ganzes eine große Chance für Gespräche mit Russland vertan.

Das Treffen in Lodz hat bezüglich des Ukrainekrieges die Differenzen zwischen den westlichen und östlichen Mitgliedsstaaten aufgezeigt und gleichzeitig deutlich gemacht, dass die OSZE überhaupt keinen Lösungsansatz hat, um dies zu ändern. Der Krieg in der Ukraine hat zwar das Treffen dominiert, aber keinerlei Initiativen erkennen lassen, wie man ihn beenden kann. Die ultimativen Forderungen des ukrainischen Außenministers Kuleba, die er quasi als Friedensplan bezeichnet hat, gehen an der Realität vollständig vorbei. Der Hinweis von Kuleba, dass dieser Plan aus seiner Sicht geeignet sei, weltweit vergleichbare Probleme zu lösen, zeigt einmal mehr die vollständige Selbstüberschätzung der ukrainischen Führung.

Die OSZE hat schon bei der Umsetzung des Minsk Abkommen versagt und ist seit Kriegsbeginn praktisch in der Versenkung verschwunden.
Dabei wäre und ist eine Aufgabe der Organisation, als Mediator zu fungieren und die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen.

Die Aussage von Viktoria Nuland “This Organization is more united than ever”, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Vielmehr muss man sich wohl der Einschätzung der Vorsitzenden der Parlamentarischen Versammlung, der Schwedin Margareta Cederfeld, anschließen, als sie sagte, „es sei noch nicht klar, wieviel Schaden die OSZE noch aushalten könne, bevor sie zerbröselt.“ Die Tatsache, dass es der OSZE nicht einmal gelungen ist, nach dem Treffen eine gemeinsame Abschlusserklärung zu verfassen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Organisation zur Bedeutungslosigkeit tendiert.

Greven, 06. Dezember 2022

Jürgen Hübschen

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Die Fußballweltmeisterschaft und die Moral der Pharisäer

Am 24. Februar 2022 sind russische Truppen in die Ukraine einmarschiert und haben damit einen völkerrechtswidrigen Krieg begonnen. Wer diese Bewertung zwar grundsätzlich teilt, sich aber trotzdem differenzierter mit den Ursachen beschäftigt und vor allem mehr diplomatische Initiativen fordert, um diesen Krieg zu beenden, wird nicht nur in den Medien als s.g. Putin-Versteher“ gebrandmarkt. Stellt sich die berechtigte Frage, was das mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun hat:  In Katar gibt es im Zusammenhang mit der Behandlung der ausländischen Arbeiter offensichtlich Verletzungen der Menschenrechte. Daran ist grundsätzlich nicht zu zweifeln. Wer dieses Problem allerdings differenzierter betrachtet, gerät sofort in den Verdacht, dass ihm die Menschenrechte offenmsichtlich nicht wichtig sind. Und genau das bezeichne ich als „Moral der Pharisäer“ und werde im Folgenden versuchen zu erklären, warum.

Kurzer historischer Rückblick

Die Fußballweltmeisterschaft 2022 wurde im Jahr 2010 an Katar vergeben. Gleichzeitig erhielt Moskau den Zuschlag für die Fußballweltmeisterschaft 2018. Warum zeitgleich über die Austragungsländer von zwei Weltmeisterschaften entschieden wurde, hat die FIFA meines Erachtens nie nachvollziehbar und überzeugend erklärt.

Diese Weltmeisterschaft ist allerdings nicht das erste globale Sportereignis, das in Katar ausgetragen wird. Dafür nur ein paar Beispiele: 2015 fand die Handballweltmeisterschaft in Katar satt, 2019 war es die Weltmeisterschaft der Leichtathleten, und 2021 wurde erstmalig ein Formel 1 Rennen in Katar ausgetragen, und das soll ab 2023 jährlich stattfinden. Man könnte viele weitere internationale Sportereignisse nennen, ohne dass es zu nennenswerten Protesten im Ausland gekommen wäre. Die Menschenrechtslage war währen all dieser Sportereignisse sicherlich nicht besser als heute. Warum also jetzt diese Proteste in vielen europäischen Ländern, z. T. sogar mit Boykottaufrufen gegenüber den Fußballfans.

Hauptargumente der Gegner der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft

  • Katar hat den Zuschlag nur mit Hilfe von Bestechung erhalten. Dieser Vorwurf ist sicherlich nur schwer bis gar nicht zu entkräften, trifft allerdings wohl auch auf frühere Weltmeisterschaften zu.
  • Eine Fußballweltmeisterschaft bei Tagestemperaturen von 50° Celsius und mehr kann weder den Spielern noch den Zuschauern zugemutet werden. Die FIFA ist diesem Argument gefolgt und hat die Spiele in den Dezember verlegt.
  • Eine Fußballweltmeisterschaft im Winter ist völliger Blödsinn und gibt den Spielern in den Liegen zwischen Hin- und Rückrunde zu wenig Zeit zur Erholung. Dazu ist festzustellen, dass man im Dezember nur in den Ländern der Nordhalbkugel Winter hat und die Belastungen für alle Spieler mehr oder weniger dieselben sind.
  • In Katar werden homosexuelle diskriminiert. Das kann man so sehen, obwohl man fremde Kulturen grundsätzlich respektieren sollte. Nicht jedes Land findet die deutsche Regelung, beim Geschlecht nicht mehr nur nach männlich und weiblich, sondern auch nach divers zu unterscheiden, nachvollziehbar. Außerdem sei daran erinnert, dass Homosexualität in Deutschland nach §175 StGB bis 1994 noch unter Strafe gestellt war.
  • Insgesamt ist die sexuelle Orientierung in Katar eingeschränkt. Auch wenn vielleicht kein unmittelbarer Zusammenhang besteht, sei daran erinnert, dass Eltern noch bis 1969 Gefahr liefen, nach § 180 STGB wegen Kuppelei bestraft zu werden, wenn sie es z.B. erlaubten, dass der Freund ihrer Tochter in derselben Wohnung übernachtete. Es musste nicht einmal dasselbe Zimmer sein!
  • Frauen sind in Katar nicht gleichberechtigt, und auch das ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Auch die Stellung der Frau in der Gesellschaft ist in erster Linie eine Frage der jeweiligen Kultur und deshalb zunächst einmal von Besuchern zu respektieren. Davon einmal abgesehen, sei daran erinnert, dass in Deutschland noch bis 1977 die Zustimmung des Ehemanns erforderlich war, wenn die Ehefrau einen Beruf ausüben wollte. Für Lehrerinnen galt in Deutschland im vergangenen Jahrhundert noch jahrzehntelang das s.g. „Lehrerinnenzölibat“. Im Klartext hießt das, dass Lehrerinnen nicht heiraten durften, und wenn sie das trotzdem wollten, wurden sie aus dem Schuldienst entlassen. Erst 1957 erklärte das Bundesarbeitsgericht, dass eine „Zölibatsklausel“ im Arbeitsvertrag verfassungswidrig ist.
  • Katar ist keine Demokratie. Das ist zweifellos richtig. Aber auch bei uns hat die Demokratie bis zur heutigen Ausprägung einen langen Entwicklungsprozess hinter sich. Es gibt sie erst seit 1918, und zwischen 1933 und 1945 wurde sie von den Nationalsozialisten abgeschafft. Noch bis zum Beginn der 1980er Jahre gab es vor den Wahlen in der katholischen Kirche Aufrufe von der Kanzel, nur Kandidaten mit „christlicher Grundhaltung“ zu wählen.

Internationale Militäreinrichtungen in Katar internationale politische, militärische und wirtschaftliche Aktivitäten

Die „Al Udeid Air Base” ist der größte US- Stützpunkt im Nahen Osten. Hier sind ca. 10.000 amerikanische Soldaten stationiert. Neben dem „US-Central Command“ für die Region und verschiedensten US-Air Force und US-Army Verbänden ist „Al Udeid“ auch ein Standort der britischen Royal Air Force und seit einiger Zeit auch von türkischen Truppen. Von Katar aus koordinieren die USA seit 2014 die Einsätze gegen die Terror-Organisation „Islamischer Staat“ in Syrien und im Irak, und auch die US-Operationen in Afghanistan wurden vom „US-Central Command“ geführt. Die ersten Gespräche zwischen den USA und den afghanischen Taliban wurden ebenso wie die späteren Verhandlungen in Doha, der Hauptstadt von Katar geführt. Auch die Europäer knüpften ihre Kontakte zu den Taliban in Doha.

Katar verfügt über die drittgrößten Erdgasreserven der Welt. Das hat u.a. dazu geführt, dass auch Deutschland versucht, die nicht mehr zur Verfügung stehenden russischen Gaslieferungen durch Verträge mit Katar zu kompensieren. Dem aufmerksamen Beobachter ist der tiefe Diener unseres Wirtschaftsministers vor dem Emir von Katar bei seinem Besuch in Doha noch gut in Erinnerung. Es ist nur schwer vorstellbar, dass neben einer möglichen Gaslieferung an Deutschland auch die Menschenrechtslage bei diesem Besuch thematisiert wurde.

Die Moral der Pharisäer

Offensichtlich waren die Menschenrechte in Katar für alle bisherigen internationalen Aktivitäten, Vorhaben und Ereignisse bislang kein entscheidendes Kriterium. Auch die hochmoderne Infrastruktur des Landes, all diese beeindruckenden in den Himmel ragenden Gebäude, sind sicherlich nicht von den Kataris selbst errichtet worden; denn davon gibt es weniger als 300.000. Nach UN-Angaben hat Katar die höchste Quote an Arbeitsmigranten der Welt. Auf die gesamte Bevölkerung bezogen, sind etwa 88 % der Einwohner (2,2 Millionen Menschen) ausländischer Herkunft. Es kann sicherlich nicht ausgeschlossen werden- um es einmal vorsichtig zu formulieren – dass die Arbeits-und Lebensbedingungen für die ausländischen Bauarbeiter auch in der Vergangenheit nicht entscheidend besser waren als während der Phase, in der die Infrastruktur für die Fußballweltmeisterschaft geschaffen wurde.

Was aktuell geschieht ist, um es einmal banal zu sagen, das Zuschieben des Schwarzen Peters an all diejenigen, die für die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft und die Menschenrechtslage in Katar überhaupt nicht zuständig, geschweige denn verantwortlich sind. Deutschland hatte – andere Länder natürlich auch –Deutschland hatte 12 Jahre Zeit, gegen die Entscheidung, die Fußballweltmeisterschaft in Katar auszutragen, vorzugehen, im Extremfall die Veranstaltung zu boykottieren. Das ist nicht geschehen, und jetzt überschlagen sich Politiker und Medien in ihren negativen Aussagen und Kommentaren zu dieser Weltmeisterschaft. Das könnte man noch als eine nicht unübliche Verhaltensweise beschreiben, nämlich „Verrat zu schreien“, obwohl man selbst daran beteiligt war. Das Schäbige an der aktuellen Vorgehensweise ist, dass man versucht, all denjenigen ein schlechtes Gewissen einzureden, die sich einfach nur auf eine Fußballweltmeisterschaft freuen. Man versucht den Gastwirten, den Veranstaltern von Public Viewings, dem Bundestrainer, den Nationalspielern und vor allem den Fans einzureden, dass das Schauen von Fußballspielen im Rahmen dieser Weltmeisterschaft letztlich das Ignorieren der Menschenrechtslage in Katar ist, quasi ein ganz persönlicher Verstoß gegen die Menschenrechte. Mittlerweile sind wir in Deutschland fast so weit, dass sich niemand mehr traut zuzugeben, dass er sich diese Fußballspiele ansehen wird, weil er Angst haben muss, als jemand, dem die Menschenrechte egal sind, nicht nur ins fußballerische, sondern auch ins gesellschaftliche Abseits gestellt zu werden.

Viel mehr Pharisäertum seitens der Verantwortlichen ist für mich kaum vorstellbar.   

Greven, den 18. November 2022

Jürgen Hübschen

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Wird die Freiheit Deutschlands in der Ukraine verteidigt, wie von Außenministerin Baerbock behauptet?

Am 03. und o4. November findet in Münster das G-7 Treffen statt. Es ist davon auszugehen, dass der Krieg in der Ukraine und die zukünftige Position der G-7 Staaten ein zentrales Thema des Treffens sein wird. Dabei wird es auch darum gehen, ob unter dem aktuellen deutschen G7-Vorsitz weiterhin die militärische Unterstützung der Ukraine im Vordergrund stehen wird oder auch eine – wie auch immer aussehende – diplomatische Lösung auf der Agenda stehen wird.

In der Ukraine wird auch die Freiheit Deutschlands verteidigt

In der Ukraine wird auch die Freiheit Deutschlands verteidigt, so sieht es jedenfalls die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die am 28. August in der Bild am Sonntag mit der Aussage zitiert wird: „Für mich ist klar: Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung, und wir unterstützen sie finanziell und militärisch und zwar so lange es nötig ist. Punkt.“

Auffällig ist bei dieser Aussage, dass von humanitärer Unterstützung keine Rede ist und leider auch nicht ausgeführt wird, was Frau Baerbock eigentlich unter „so lange wie nötig“ versteht.

Abgesehen davon ist die für Verteidigung Deutschlands nicht die Ukraine, sondern die Bundeswehr zuständig. Ihre Soldaten schwören gemäß §9 Soldatengesetz folgenden Eid: „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe. Der Eid kann auch ohne die Worte ´so wahr mir Gott helfe´ geleistet werden.“

Folgerichtig genügt es also nicht, nur Waffen und militärisches Gerät an die Ukraine zu liefern, sondern die Konsequenz lautet: Deutschland muss die Ukraine bei der Verteidigung unserer Freiheit mit unseren Soldaten, die dafür zuständig sind, unterstützen. Sonst ist das, was die Bundesregierung macht, letztlich unredlich, um nicht zu sagen schäbig, weil die Außenministerin in der Realität sagt: Wir lassen unsere Freiheit durch die ukrainischen Soldaten verteidigen. Wenn man der Aussage von Frau Baerbock zustimmt, müsste man eigentlich noch weiter gehen und sagen, dass das ganze ukrainische Volk die Folgen eines Krieges, in dem auch die Freiheit Deutschlands verteidigt wird, erträgt, während Deutschland sich mit militärischer und finanzieller Unterstützung und der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge de facto freikauft und die deutsche Bevölkerung letztlich nur höhere Strom- und Energiekosten und eine generelle Verteuerung der Lebenshaltungskosten aushalten muss.

In der Ukraine wird nicht die Freiheit Deutschlands verteidigt

Das bislang Gesagte gilt nur, falls die Aussage von Frau Baerbock zuträfe, und das ist aus meiner Sicht nicht der Fall. Die ukrainischen Soldaten verteidigen in diesem russischen Angriffskrieg zusammen mit der gesamten Bevölkerung nicht die Freiheit Deutschlands, sondern ihre eigene. Dass Deutschland die Ukraine dabei unterstützt, ist nicht zu beanstanden, allerdings sollte das nicht mit Hilfe immer schwererer Waffen geschehen. Und dafür gibt es einen weiteren Grund, weil die Ukraine nämlich nicht nur ihre eigene Freiheit verteidigt, sondern mit ihrem Kampf leider auch das amerikanische Ziel, Russland als globalen Konkurrenten auszuschalten. Für diese Behauptung sollen die folgenden Statements von US-Außenmnister Blinken, US Präsident Biden und US Verteidigungsminister Austin III als Beweise dienen. Am 23. Februar 2022, also einen Tag vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, sagte US Außenminister Blinken ein für den 24. Februar geplantes Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow ab mit den Worten: „It did not make sense to hold talks while Russian forces are on the move“. (Gespräche machen keinen Sinn, wenn russische Truppen schon marschieren.)

Etwa einen Monat später, genauer am 26. März 2022, beendete Präsident Biden in Polen seine Rede im Hinblick auf den russischen Präsidenten Putin mit den Worten: “For God’s sake, this man can not remain in power.” (Herr Gott noch mal, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“) Zwei Tage später versuchte Biden seine Aussage zu relativieren, indem er sagte: “Nobody believes I was talking about taking down Putin. Nobody believes that.” (Niemand glaubt, ich hätte davon gesprochen, Putin abzusetzen, niemand glaubt das.)

Genau 4 Wochen später, am 26. April 2022 erklärte US Verteidigungsminister Austin III nach seinem Besuch in Kiew:  “We want to see Russia weakened to the degree it can not do the kind things that it has done in invading Ukraine.” (Wir wollen Russland in einem Maße geschwächt sehen, dass es nicht mehr in der Lage ist, Dinge zu tun, die es mit der Invasion in die Ukraine getan hat.)

In Kenntnis der Tatsache, dass es sich in der Ukraine um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland handelt, wäre es mir deshalb lieber gewesen, Deutschland hätte sich im Vorfeld des russischen Einmarsches intensiver diplomatisch engagiert und vor allem mehr Druck auf Moskau und Kiew ausgeübt, das im Wesentlichen von Deutschland und Frankreich zwischen Russland und der Ukraine ausgehandelte Abkommen Minsk II durchzusetzen. Das ist leider nicht geschehen.

Deshalb wäre es wichtig gewesen, die deutsche Außenministerin hätte unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges der Ukraine und der internationalen Staatengemeinschaft die deutsche Position dem Sinne nach wie folgt erklärt: Deutschland verurteilt den russischen Einmarsch in die Ukraine und den damit verbundenen Völkerrechtsbruch ohne Wenn und Aber. Deshalb wird Deutschland alles daran setzen, diesen Krieg schnellstmöglich zu beenden und bietet sich für die dazu erforderlichen Gespräche – nicht zuletzt auf Grund der langjährigen guten Kontakte zur russischen Führung – als Vermittler an.  Bis es zu diesen Verhandlungen kommt, wird Deutschland die Ukraine finanziell, durch umfangreiche humanitäre Maßnahmen und durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge unterstützen. Eine eventuell seitens der Ukraine erwünschte Lieferung von Waffen verbietet sich auf Grund der deutschen Gesetzeslage nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und würde auch eine durch Deutschland initiierte diplomatische Lösung erschweren. Eine solche Position, verbunden mit dem Angebot, als Vermittler zu fungieren, hätte ganz konkret bei den Gesprächen zwischen der Ukraine und  Russland, denen die Ukraine am 27. Februar zugestimmt hatte und die bereits am 28.02.22 in einem kleinen Ort an der weißrussisch-ukrainischen Grenze, begonnen hatten, unterstützen können.

Am 07. März 2022 hatte sich der ukrainische Präsident Selensky im US-Fernsehenzu Gesprächen über den Status der Separatistengebiete im Osten des Landes und der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim bereit erklärt.Selensky hatte zugleich deutlich gemacht, dass er nicht auf Forderungen aus Moskau eingehen werde, die Unabhängigkeit der selbst ernannten Volksrepubliken sowie die russische Herrschaft über die Krim anzuerkennen. Wörtlich sagte er:  »Ich bin bereit für einen Dialog. Aber wir sind nicht bereit für eine Kapitulation.«

Am 22. März 2022 forderte Präsident Selensky den russischen Präsidenten zu direkten Verhandlungen auf. Dabei bot er den Verzicht auf eine NATO Mitgliedschaft der Ukraine an, wenn Russland einem Waffenstillstand und dem Abzug aller russischen Truppen und Referenden auf der Krim und in Lugansk und Donezk zustimmen würde.

Leider wurden diese Möglichkeiten für eine deutsche Vermittlerrolle nicht genutzt, weil man sich stattdessen für eine militärische Unterstützung mit immer mehr und immer schwereren Waffen entschieden hatte.

Über die ukrainisch-russischen Verhandlungen wurde in den Medien bis in den April hinein berichtet und dann nicht mehr. Eine deutsche Vermittlerrolle wurde nicht bekannt..

Von Beobachtern wird angenommen, dass der damalige britische Premierminister Johnson, in Abstimmung mit den USA, bei seinem Besuch in Kiew am 10. April 2022 auf das Ende der Gespräche mit Russland gedrängt habe, weil mit Hilfe weiterer umfangreicher westlicher Waffenlieferungen ein militärischer Sieg der Ukraine möglich sei.

Zusammenfassung

Deutschland und die westliche Staatengemeinschaft unter Führung der USA haben die Möglichkeiten einer diplomatischen Initiative nicht genutzt, und es ist leider zu befürchten, dass es auch auf dem G 7 Gipfel keine überzeugende Strategie für die Beendigung des Krieges und eine zukünftige Friedensordnung in Europa, unter Einschluss Russlands, geben wird. Damit wird eine verfehlte Russland Politik fortgesetzt, die 2014 nach der russischen Annexion der Krim mit dem Ausschluss Russlands aus der G-8 Gemeinschaft begann, der Russland seit 1998 angehört hatte.

In den letzten Tagen wurde nach Medienberichten aus Moskau immer wieder Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft signalisiert  und zwar von Außenminister Lawrow, Kremlsprecher Petkow und auch von Präsident Putin selbst. Wie seriös diese Angebote sind, kann letztlich nur beurteilt werden, wenn man auf diese eingeht. Ob man die Inhalte annimmt, ist dann eine zweite Frage.

Es hat jedenfalls aus meiner Sicht in keinem Lebensbereich und auch in der Politik noch nie etwas gebracht, mit jemandem nicht mehr zu sprechen.

Greven, 01. November 2022

Jürgen Hübschen

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Die Anschläge auf die Nordstream Pipelines- wer ist dafür verantwortlich zu machen?

Kurzer Rückblick auf die Vorgeschichte der Anschläge

Am 7. Februar 2022 sagte der amerikanische Präsident Joe Biden auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz: „If Russia invades the Ukraine, then there will be no longer a Nord Stream 2. We will bring an end to it.“ (Falls Russland in die Ukraine einmarschiert, wird es keine Nordstream 2 mehr geben.) Und auf die Zusatzfrage eines Reporters: “But how will you do that exactly, since. The project is in Germany´s control”  (Aber wie wollen Sie das genau machen, das Projekt unterliegt der Kontrolle Deutschlands?)entgegnete der US Präsident: “I promise you, we will be able to do it.” (Ich verspreche Ihnen, wir werden imstande sein es zu tun.)

Im Juni 2022 warnte die CIA Deutschland und andere europäische Nationen ohne Details zu nennen, dass die beiden Nordstream Pipelines möglicherweise Ziel eines Anschlags sein könnten. Der Spiegel berichtete daraufhin von einer „strategischen Warnung“, die CIA lehnte eine Stellungnahme ab.

Die Anschläge auf die Pipelines und die anschließende Entwicklung

Am 26. September 2022 berichteten schwedische Seismologen  erstmalig von einer Unterwasserexplosion in der Ostsee und kurze Zeit später von erheblichem Austritt von Gas, das offensichtlich aus einer oder mehrerer Nordstream Pipelines stammte.

Die New York Times berichtete am 28. September von einem „big mystery“. Danach hörte man einige Tage immer nur, dass weiterhin Gas austrete und deswegen die genaue Ursache noch nicht ermittelt werden könne.

Am 30. September äußerte sich US Außenminister Antony J. Blinken auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner kanadischen Amtskollegin in Washington u.a. zu den Anschlägen auf die Nordstream Pipelines und erkläre gegenüber einem Reporter:

„First, on the pipelines, we’ve been in very close contact with our partners in Europe – notably with Denmark and Sweden.  We are supporting the investigation into these attacks on the pipelines and working to be able to determine who is responsible.  But I don’t want to get ahead of those investigations; that work is ongoing. ….So I really have nothing to say to the absurd allegation from President Putin that we or other partners or allies are somehow responsible for this, but we will get to the bottom of what happened, and we’ll share that information as soon as we’re – as soon as we have it.  But I don’t want to get ahead of the investigation that’s ongoing.” (Wir arbeiten eng mit unseren europäischen Partnern, besonders Dänemark und Schweden zusammen. Wir unterstützen die Untersuchungen zu den Anschlägen auf die Pipelines und arbeiten daran, herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist. Wir wollen den Untersuchungen aber nicht vorgreifen…Ich habe nichts zu den Behauptungen von Präsident Putin zu sagen, dass wir oder andere Partner oder Verbündete sind in irgendeiner Weise für diese Anschläge verantwortlich. Wir werden der Sache auf den Grund gehen und werden Ihnen mitteilen, wenn Ergebnisse vorliegen, denen wir nicht vorgreifen wollen) Und weiter erkläre Außenminister Blinken zu den Pipeline Anschlägen und den möglichen Problemen für die Energieversorgung in Europa: 

„And we’re now the leading supplier of LNG to Europe to help compensate for any gas or oil that it’s losing as a result of Russia’s aggression against Ukraine….And ultimately this is also a tremendous opportunity.  It’s a tremendous opportunity to once and for all remove the dependence on Russian energy and thus to take away from Vladimir Putin the weaponization of energy as a means of advancing his imperial designs.  That is very significant and that offers tremendous strategic opportunity for the years to come. (Wir sind jetzt der führende Flüssiggas-Versorger für Europa, um Gas- und Öl-Defizite, wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine auszugleichen.  Dies ist eine einzigartige Gelegenheit, für jetzt und alle Zukunft die Abhängigkeit von russischer Energie zu beenden und uns von Vladimir Putins Methode die Energy als Waffe zu missbrauchen, um daraus Vorteile für seine imperialen Pläne zu ziehen, zu befreien. Das ist sehr bedeutsam und eröffnet eine enorme strategische Gelegenheit für die kommenden Jahre.)

Am 01. Oktober 2022 wurde der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, in einem Internet Video der „Welt“ interviewt und sagte u.a. folgendes: Er wolle nicht spekulieren, aber für ihn handle es sich um einen Sabotageanschlag und wegen der Dimension müsse ein Staat dahinterstecken. So ein Anschlag müsse lange geplant werden und zwar auf Erkenntnissen des eigenen Geheimdienstes oder Partner Diensten. Außerdem müsse man über entsprechende Mittel verfügen., und er füge hinzu, dass der BND in der Vergangenheit immer gut mit den USA, aber auch mit Russland zusammengearbeitet habe. Auf die Frage, welches Land hinter dem Anschlag stecken könne , sagte Hanning, für ihn kämen vier Länder in Frage, die ein Motiv für so einen Anschlag haben könnten, nämlich:

Die Ukraine, um Russland zu schaden und höhere Transitgebühren für mehr Gas durch Leitungen in der Ukraine zu erhalten.

Polen, weil es bereits offen erklärte hätte, man solle die Leitungen zerstören.

Russland, um zu zeigen, wozu man bezüglich „westlicher Infrastruktur“ in der Lage sei.

USA, deren Präsident hinsichtlich der Zerstörung der Pipelines gesagt habe „Wir kriegen das hin“.

Er selbst wolle nicht spekulieren, aber, es werde herauskommen, wer es war. Am 3. Oktober 2022 meldete die „Danish Energy Agency“, dass kein Gas mehr aus den Leitungen entweiche und man 3 Leckstellen entdeckt habe. Am 04. Oktober 2022 behauptete der der ehemalige Chef des ukrainischen Energieversorgers „Naftogaz“, Andrij Koboljew, die Sprengsätze wären schon bei der Verlegung der Röhren angebracht und jetzt per Fernzündung zur Explosion gebracht worden. Das Ganze wäre passiert, nachdem die Schweizer Firma auf Druck der USA ihre Teilnahme am Verlegen der Pipelines beendet und die Russen diese fertiggestellt hätten. In der Sowjetunion sei es üblich gewesen, an kritischer Infrastruktur Sprengsätze anzubringen, um diese im Notfall unbrauchbar machen zu können. Präsident Putin müsse nicht unbedingt von der Aktion gewusst haben, das könne auch vom FSB, dem russischen Inlandsgeheimdienst, erledigt worden sein. Die Pipelines ließen sich relativ leicht reparieren. Am 06. Oktober 2022 wurde in den Medien berichtet, Dänemark und Schweden hätten mit der Untersuchung begonnen und Teile der gesprengten Pipeline sichergestellt, aber die Ergebnisse nicht bekannt gemacht.  Deutschland sagte Hilfe zu, falls diese gefordert würde, Russland forderte eine Beteiligung an der Untersuchung, die jedoch abgelehnt wurde.  Etwa am 10. Oktober 2022 begann die Bundesmarine zusammen mit der Bundespolizei mit ihrer Untersuchung der Anschläge und ließen u.a. die Leckstellen durch eine Unterwasserdrohne vom Typ „Sea Cat“, die mit Kameras und anderen Sensoren ausgestattet war, untersuchen. Am 14.Oktober 2022wurden die Untersuchungen abgeschlossen und die Erkenntnisse an den Generalbundesanwalt weitergeleitet.  Aus Sicht der obersten Ermittlungsbehörde habe es sich um einen „schweren gewalttätigen Angriff auf die Energieversorgung gehandelt, der die äußere und innere Sicherheit Deutschlands beeinträchtigen könne.“ Konkret ermittle man „wegen des Verdachts der vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sowie der verfassungsfeindlichen Sabotage.“ Die Ergebnisse, die am 14.10. noch durch eine Unterwasseruntersuchung mit Hilfe des Minenjagdboots „Dillingen“ ergänzt wurden, wurden im Detail nicht veröffentlicht. Es wurde lediglich bekannt, dass es sich bei dem Sprengsatz um ca. 500 Kg TNT gehandelt habe und angeblich beide Röhren von Nordstream 2 und eine der beiden Röhren von Nordstream 1 beschädigt wurden. Die Angabe der Risse war unterschiedlich von 7 bis angeblich 50m.

Hinsichtlich einer Zusammenarbeit zwischen Dänemark, Schweden, USA und Deutschland gab es widersprüchliche Berichte. Zunächst hieß es, man ermittle gemeinsam und dann wurde verlautbart, dass alle Nationen aus Gründen der Geheimhaltung separate Untersuchungen durchführen würden. Später erklärte Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, man würde gemeinsam ermitteln und sagte wörtlich: „Wir waren schnell im Wasser für Untersuchungen und haben Material nach oben gebracht. Die Untersuchung läuft noch.“

Am 16. Oktober 2022 berichtete die Bildzeitung über eine Anfrage der Abgeordneten Sarah Wagenknecht. Diese hatte – laut Bildzeitung – vergeblich bei den zuständigen Stellen

nach Erkenntnissen vor und nach den Explosionen gefragt. Konkret hatte Frau Wagenknecht wissen wollen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung zu diesen Vorfällen inzwischen habe und welche Maßnahmen sie „allein, mit EU, anderen Regierungen und der Nato“ eingeleitet habe, um festzustellen, wer die Beschädigungen verantwortet. Die Antwort lautete, – so die Bildzeitung- „Keine“. Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen schrieb u.a., dass kritische Infrastrukturen wie die Nord-Stream-Pipelines grundsätzlich einer abstrakten Gefährdung unterlägen. Man könne mehrere Tausend Kilometer Leitungsstränge „nicht vollumfänglich“ gegen jedes Risiko absichern. Die Bundesregierung sei „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können.“ Grund dafür sei die „Third-Party-Rule“ für die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste. Danach unterliegt der internationale Erkenntnisaustausch besonders strengen Geheimhaltungsauflagen. „Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.“. Aus diesem Grund antwortete die Bundesregierung auch nicht auf die Frage Wagenknechts, „welche Nato-Schiffe und Truppenteile“ sich seit dem Aussetzen der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 in den Gegenden aufhielten, in denen die Beschädigungen auftraten, und welche russischen Schiffe und Truppenteile in jenem Zeitraum gesichtet wurden. Auch diese Antwort „würde die Preisgabe von Informationen beinhalten, due das Staatswohl in besonderem Maße berühren“, schrieb das Auswärtige Amt. Daher komme auch eine Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen nicht infrage, „da auch nur die geringe Gefahr des Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann“.

Sarah Wagenknecht übte scharfe Kritik an dieser Geheimhaltungspolitik und sagte dazu der Berliner Zeitung am Sonntag: „De facto sagt uns die Bundesregierung, dass sie zwar etwas weiß, es aber ‚aus Gründen des Staatswohls‘ den Abgeordneten noch nicht einmal in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags zur Kenntnis geben kann“. Man könne nun nur spekulieren, welche Erkenntnisse über die Urheberschaft der Anschläge das deutsche Staatswohl so existenziell betreffen könnten, dass man sie unbedingt geheim halten müsse. „Auf jeden Fall bedeutet dieser Umgang, dass jegliche Kontrolle und Kritik an der Bundesregierung durch die Opposition unmöglich gemacht wird.“

Seit diesem Bericht aus der Bildzeitung gab es meines Erachtens überhaupt keine Veröffentlichungen zu den Pipeline Anschlägen mehr in den deutschen Leitmedien.

Feststellungen zu den Anschlägen durch amerikanische Experten

Ganz anders stellt sich das in den USA dar und dafür zwei Beispiele:

Beispiel1:

In dem folgenden Video vom 06. Oktober 2022 äußert sich der pensionierte amerikanische Oberst, Richard Black, konkret zu den Anschlägen.

Um Oberst Black richtig einordnen zu können, zunächst ein paar Informationen zu seiner Person; weitere Details sind bei Wikipedia nachlesbar.

Im Jahr 1963 trat Black den Marines bei und kam in Vietnam zum Einsatz. Für im Kampf erlittene Verletzungen erhielt er das Purple Heart. Nach seinem Ausscheiden aus dem United States Marine Corps studierte er an der University of Florida und erhielt seinen Bachelor of Science in Business Administration (B.S.B.A.). 1976 erhielt er seinen Juris Doctor. Nach einer Anwaltstätigkeit wurde er im Rang eines Majors in dem Judge Advocate General’s Corps (JAG) tätig und fungierte später als Leiter der Army’s Criminal Law Division im Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten. Im Jahr 1994 zog sich Black, nun im Rang eines Colonels, aus dem aktiven Dienst zurück und wurde Partner in der Rechtsanwaltskanzlei Taylor, Horbaly, and Black.

Im Februar 1998 wurde er in das Abgeordnetenhaus von Virginia gewählt und gehörte diesem von 1998 bis 2006 an. Am 8. November 2011 erfolgte seine Wahl in den Senat von Virginia. Diesem gehört er seit Februar 2012 als Senator an.

Black ist verheiratet und hat drei Kinder.

Für diejenigen Leserinnen und Leser, die das Video mit Colonel Black wegen des amerikanischen Englisch nur schwer verstehen können, nachstehend die wesentlichsten Aussagen des Colonels in der Zusammenfassung:

Nach einer kurzen Darstellung seines bisherigen Lebenslaufs und seiner unterschiedlichen Tätigkeiten legt Black Wert auf die Feststellung, dass er in der Vergangenheit 100x sein Leben für die USA riskiert habe und ein wirklicher Patriot sei. Aber jetzt mache er sich ernsthafte Sorgen wegen der amerikanischen Außenpolitik. Dann kommt er zu den Anschlägen auf die Pipelines und sagt, dass er den gesamten Vorgang aus der Sicht eines Staatsanwaltes betrachten werde, weil er diese Tätigkeit über viele Jahre ausgeübt habe. Er werde die Anschläge unter drei Aspekten betrachten und beurteilen, nämlich, wer ein Motiv gehabt habe, über die erforderlichen Mittel verfüge und die Gelegenheit gehabt hätte. Die Ukraine schließt der Colonel aus, weil sie nicht über die Mittel verfüge, Polen hätte zwar vielleicht ein Motiv, aber wäre zu einer solchen Operation alleine nicht in der Lage. Kein Staat habe ein besseres Motiv gehabt als die USA, und kein Land verfüge über bessere Mittel und Gelegenheiten, einen solchen Anschlag durchzuführen als Amerika. Im Anschluss daran zitiert Colonel Black die Aussagen des amerikanischen Präsidenten auf der bereits dargestellten gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz, der schweigend neben ihm gestanden habe. Black macht deutlich, dass dies ein ungeheurer Affront gegenüber dem treusten Verbündeten der USA gewesen sei und bewertet dann die Aussage des US Präsidenten aus Sicht eines Staatsanwaltes als ein „party admission“, also quasi als Geständnis, für diesen Anschlag verantwortlich zu sein. Danach nimmt er noch einmal kurz Bezug auf Polen, das auch ein Motiv gehabt hätte und stellt dazu fest, dass kein NATO Mitglied ohne vorherige Zustimmung der USA einen solchen Anschlag durchführen könne. NATO sei ein Geschöpf der USA und selbst heute sei der Kommandeur des höchsten europäischen NATO Kommandos immer noch ein amerikanischer General. Dann bezieht der Colonel sich noch einmal auf die Aussage von Präsident Biden, die für ihn ein Geständnis ist und sagt, dass er in vergleichbaren Fällen als Militär-Staatsanwalt mit seinem Verdacht immer richtiggelegen habe und sagt wörtlich: „My hunsch is, the United States did it:“ (Mein Verdacht ist, die USA haben diesen Anschlag verübt.“) Sie hatten das deutlichste Motiv, verfügten über die Mittel und die Gelegenheit. Dann erklärt er, dass Europa eigentlich kein Motiv gehabt hätte, Sanktionen gegen Russland zu verhängen und vor allen Dingen auch keine Veranlassung, sich von der russischen Energieversorgung selbst abzuschneiden, vor allem jetzt, wo der Winter vor der Tür stehe. Ein Ziel der USA sei gewesen, vorzubeugen, bzw. zu verhindern, dass die Regierungen einiger europäischer Länder, z.B. die tschechische Republik, Ungarn oder auch Deutschland wegen der zu erwartenden zunehmenden Unruhen, die Sanktionen gegen Russland vielleicht nicht mehr mitgetragen hätten und dem Druck der Bevölkerung, Nordstream 2 zu öffnen, eventuell nachgegeben hätten. Das sei mit der Zerstörung der Pipelines jetzt nicht mehr möglich. Und falls jemand glaube, die CIA würde so etwas in einem NATO Land nicht machen, der kenne die CIA nicht. Er sei sicher, dass die CIA, vielleicht zusammen mit anderen Geheimdiensten, die gesamte Operation koordiniert habe. Zum Schluss sagt er, Russland haben diesen Krieg begonnen, der aber schon seit vielen Jahren geplant war. Er hoffe, dass die Europäer aufwachten und auch die amerikanischen Bürger zu der Erkenntnis kämen, dass dieser Krieg beendet werden müsse,

Beispiel 2:

Ich habe einen US-Amerikaner gebeten, sich dieses Video anzusehen und zu bewerten. Bei diesem Amerikaner handelt es sich um einen Mann, den ich selbst seit 17 Jahren persönlich kenne. Er ist promovierter Historiker, war lange Jahre im US-Senat tätig, hat später an der Military Academy von Virginia gearbeitet, ist parteipolitisch völlig unabhängig und in den USA seit Jahrzehnten bestens vernetzt. Er hat mir ausdrücklich erlaubt, seine Aussage ohne Namensnennung zu veröffentlichen. Hier ist sie:

“I know Col. Black.  We have discussed issues a few years ago and had lunches together here in Virginia.  He is a very patriotic retired military officer.  He served 18 years in the Virginia state senate.

I think his remarks on the video present an accurate assessment of the situation.  

Clearly, the Nordstream sabotage was by NATO members led by US. Also, the UK no doubt played an important role and has trained Ukrainian naval divers.

The waters in that area have many sensors underneath to monitor ships.  So nothing can happen with any ship movements, surface or undersea, without the various sensors identifying the activity.

My own view is that Sweden knew about the operation in advance and helped coordinate it.  It is possible that Ukraine and Poland were involved.

Whatever the details, the fact is that the sabotage constitutes an act of war against Germany not to mention Russia.  It is not “terrorism” but rather an act of war.  The lawyers can figure that out and the technical legal definitions.”

(Meine Übersetzung:„Ich kenne Colonel Black, wir haben vor ein paar Jahren über verschiedene Dinge gesprochen und hier in Virginia zusammen gegessen. Er ist ein sehr patriotischer pensionierter Offizier und war 18 Jahre im Senat von Virginia. Seine Feststellungen in dem Video stellen eine sehr zutreffende Beurteilung der Lage dar. Es ist unstrittig, dass die Nordstream Sabotage von einem NATO Mitglied unter Führung der USA durchgeführt wurde. Auch Großbritannien, da gibt es keinen Zweifel, hat eine bedeutende Rolle dabei gespielt und hat ukrainische Marinetaucher ausgebildet. In dem betreffenden Seegebiet gibt es viele Unterwassersensoren, um Schiffe zu überwachen. Deshalb kann es keine Schiffsbewegungen, über oder unter Wasser geben, ohne dass die verschiedenen Sensoren diese Aktivitäten identifizieren. Ich selbst bin der Meinung, dass Schweden im Vorfeld von der Operation gewusst und geholfen hat, diese zu koordinieren. Es ist möglich, dass auch die Ukraine und Polen beteiligt waren.

Unabhängig von den Details ist es eine Tatsache, dass diese Sabotage eine kriegerische Aktion gegen Deutschland war und auch gegen Russland. Es handelt sich nicht um einen Terrorakt, sondern vielmehr um eine kriegerische Handlung. Die Juristen können das einordnen und die technisch- juristischen Definitionen.)

Zusammenfassende Bewertung

In den ersten Stellungnahmen von s.g. Experten und vor allem von Politikern, wurde Russland für den Anschlag verantwortlich gemacht. Davon ist man offensichtlich mittlerweile abgekommen, weil man keine überzeugende Begründung dafür gefunden hat. Außerdem ist man wohl zu der Erkenntnis gelangt, dass es eine unglaubliche Blamage für die NATO gewesen wäre, weil Russland ja diese Operation in einem von ihr kontrollierten Seegebiet, also praktisch unter ihren Augen durchgeführt hätte. Schließlich liegt der nächste russische Stützpunkt im Kaliningrader Oblast, also ca. 350 km vom Ort der Sabotage entfernt.

Ich habe mich sehr lange mit Aussagen zu dem Anschlag zurückgehalten und mich vor allem auch nicht an Spekulationen beteiligt. Aber vor dem Hintergrund der Aussagen von Colonel Black und der Bestätigung seiner Ausführungen durch den mir lange bekannten und als abolut integer geschätzten Amerikaner halte ich es auch für bewiesen, dass entweder die US-Regierung in Zusammenarbeit mit der CIA für den Anschlag verantwortlich ist oder – nach vorheriger Zustimmung – einen NATO-Partner bei der Durchführung der Operation unterstützt hat. Dass Schweden in den Anschlag involviert war, kann m.E. nicht ausgeschlossen werden. Dieser Verdacht wird dadurch erhärtet, dass bis heute keine Untersuchungsergebnisse bekannt gemacht wurden. Aus meiner Sicht verfügen der Bundesnachrichtendienst und die Bundesregierung über gesicherte Erkenntnisse, welcher Staat für diesen Anschlag verantwortlich ist. Für diese Annahme spricht auch die wenig überzeugende ablehnende Antwort auf die Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sarah Wagenknecht.

Dass unsere Regierung nicht bereit ist, die mit großer Sicherheit mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der Untersuchung durch die Marine und die Bundespolizei nichts zu veröffentlichen, kann ich mir nur damit erklären, dass man Angst vor der amerikanischen Reaktion hat und/oder ggf. andere beteiligte NATO-Staaten nicht bloßstellen möchte.

Präsident Biden hat sich am 7. Februar 2022 klar geäußert, was passieren wird, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, und Außenminister Blinken hat am 30. September 2022 den Anschlag als eine quasi einmalige Chance für Europa bezeichnet, sich in der Energieversorgung von der Anhängigkeit von Russland zu befreien. Gleichzeitig hat er darauf hingewiesen, dass die USA bereit und in der Lage sind, die russischen Gaslieferung durch amerikanisches LNG zu kompensieren.

Bezugnehmend auf die Kriterien von Colonel Black, welcher Staat am ehesten ein Motiv hatte und über die Mittel und Gelegenheiten verfügte, einen solchen Anschlag durchzuführen, komme ich abschließend zu dem persönlichen Fazit: Die USA sind für die Anschläge verantwortlich.

Bleibt nur zu hoffen, dass doch noch irgendein politisch Verantwortlicher mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit geht oder von unseren investigativen Journalisten eine „Leckstelle“ entdeckt wird. Ich glaube nicht, dass es gelingen wird, diesen Anschlag in Vergessenheit geraten zu lassen, wenn man nicht mehr darüber spricht. Schließlich hat der Generalbundesanwalt festgestellt, bei diesem Anschlag habe es sich  „um einen schweren gewalttätigen Angriff auf die Energieversorgung gehandelt, der die äußere und innere Sicherheit Deutschlands beeinträchtigen könne.“

Greven, den 27. Oktober 2022

Gez.

Jürgen Hübschen

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Auslandseinsätze der Bundeswehr- Verpflichtung im Rahmen der Bündnisfähigkeit Deutschlands oder Schwächung der Landesverteidigung?

Vorbemerkung

Am 21.Oktober 2022, einem Freitagnachmittag, stimmte der Bundestag der von der Bundesregierung beschlossenen Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Irak zu. Damit können bis Ende Oktober 2023 maximal 500 deutsche Soldaten im Rahmen der Bekämpfung der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und zur Ausbildung der irakischen Streitkräfte im Zweistromland eingesetzt werden. In der 20:00 Uhr Tagesschau der ARD vom 21. Oktober 2022 wurde der Beschluss des Bundestages nicht erwähnt.

Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die rechtlichen Grundlagen für die Auslandseinsätze der Bundeswehr dargestellt, die aktuellen Einsätze kurz beschrieben und der Versuch unternommen zu erklären, warum dieses Engagement der Bundeswehr in der Bevölkerung weitgehend unbekannt ist.

Rechtliche Grundlagen

  • Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und damit eine Armee des Deutschen Volkes.
  • Es gilt der Primat der Politik: Im Frieden liegt die Befehls-und Kommandogewalt über die Streitkräfte beim Verteidigungsminister/in, im Spannung-und Verteidigungsfall beim Bundeskanzler/in
  • Die Soldaten schwören in ihrem Eid nicht auf eine Person, sondern auf unser Land, also letztlich auf das deutsche Volk: „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, (so wahr mir Gott helfe.)“

Artikel 87a GG

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt……

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie die Bundespolizei nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und der Bundespolizei beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

Grundsätzlich ist der Auftrag der Bundeswehr die Landes-und auch die Bündnisverteidigung.

Im Weißbuch zur Bundeswehr aus dem Jahr 2016 heißt es dazu:

„Der Auftrag der Bundeswehr leitet sich aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie aus Deutschlands Werten, Interessen und strategischen Prioritäten ab. Die Bundeswehr verteidigt Deutschlands Souveränität sowie das Staatsgebiet und schützt seine Bürger. Sie trägt außerdem dazu bei, Staat und Gesellschaft widerstandsfähig gegen äußere Bedrohungen zu halten und handlungsfähig zu bleiben. Die Bundeswehr hat aber auch den Auftrag, Deutschlands Verbündete zu schützen. Sie stärkt die europäische Integration, die transatlantische Partnerschaft und die Zusammenarbeit zwischen Staaten weltweit.“

Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen der Vereinten Nationen

So, wie die deutschen Streitkräfte im Rahmen von EU oder NATO Operationen eingesetzt werden können, ist das auch möglich bei UN-Missionen. Kapitel VII der UN Charta „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“ ist dafür die Legitimationsgrundlage.

Für Auslandseinsätze der Bundeswehr ist ein Mandat des Deutschen Bundestages, also der Auftrag des Deutschen Volkes, erforderlich.

Grundlage dafür ist das Parlamentsbeteiligungsgesetz

Parlamentsbeteiligungsgesetz

§ 1 Grundsatz

(1) Dieses Gesetz regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland. Artikel 115a des Grundgesetzes bleibt davon unberührt.

(2) Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages.

§ 3 Antrag

(1) Die Bundesregierung übersendet dem Bundestag den Antrag auf Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte rechtzeitig vor Beginn des Einsatzes.

(2) Der Antrag der Bundesregierung enthält Angaben insbesondere über

den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes,

die Höchstzahl der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten, die Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte, die geplante Dauer des Einsatzes und die voraussichtlichen Kosten und die Finanzierung.

(3) Der Bundestag kann dem Antrag zustimmen oder ihn ablehnen. Änderungen des Antrags sind nicht zulässig.

Die aktuellen Auslandseinsätze der Bundeswehr

Aktuell sind ca. 3.500 deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt. Dabei sind die Soldaten nicht berücksichtigt, die auf deutschen Schiffen routinemäßig an permanenten Operationen der NATO Seestreitkräfte beteiligt sind.

NATO Mission im Irak

Wie eingangs bereits dargestellt, wurde diese Mission um ein weiteres Jahr bis Ende Oktober 2023 verlängert. Seit 2017 beteiligen sich maximal 500 deutsche Soldaten daran, ein Wiedererstarken des „IS“ zu verhindern und unterstützen bei Bedarf verbündete Streitkräfte mit Lufttransport und Luftbetankung, Außerdem beteiligt sich die Bundeswehr an der Ausbildung irakischer Soldaten. Aktuell befinden sich 223 deutsche Soldaten im Irak.

Kosovo Force

Die Bundeswehr hat den Auftrag, ein sicheres Umfeld im Kosovo für den Aufbau einer zivilen Friedensordnung zu schaffen und zu erhalten sowie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu garantieren. Seit Juni 1999 können bis zu 400 deutsche Soldaten im Kosovo eingesetzt werden. Aktuell befinden sich 68 deutsche Soldaten im Kosovo.

Die EU Operation „Althea“ in Bosnien-Herzegowina

Die Bundeswehr hat den Auftrag, in Bosnien und Herzegowina bei der Aufrechterhaltung eines sicheren Umfeldes und der Einhaltung des Dayton-Abkommens zu unterstützen, sowie die Ausbildung der bosnischen Streitkräfte zu koordinieren.

Bis zu 50 deutsche Soldaten können für diese Sicherheitsoperation eingesetzt werden. Der Bundestag hat diesen erneuten Einsatz der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina am 08. Juli 2022 beschlossen. Die Mandatsdauer beträgt zwölf Monate und endet am 30. Juni 2023. Von 1995- 2012 war die Bundeswehr bereits in Bosnien- Herzegowina eingesetzt.

Friedensmission der UNO im Süd Sudan

Der Einsatz der Vereinten Nationen dient der Friedenssicherung in diesem jungen Staat.

Die Bundeswehr beteiligt sich seit 2011 an der VN-Mission und unterstützt damit den Friedensprozess im Süd Sudan. Aktuell sind 13 deutsche Soldaten vor Ort.

UN Mission in Mali

Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen dient der Sicherung des Friedens. Die Kernaufgaben sind, die Waffenruhevereinbarungen und die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien sowie die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung aus dem Jahr 2015 zu unterstützen. Die Stabilisierung Malis ist von zentraler Bedeutung für die territoriale Einheit des Staates. Die Bundeswehr ist seit 2013 mit maximal 1.400 Soldaten an dieser Operation beteiligt. Aktuell sind knapp 1.200 deutsche Soldaten in Mali stationiert. Damit handelt es sich um den zahlenmäßig größten Auslandseinsatz der Bundeswehr.

Mission der Vereinten Nationen im Jemen

Als eine unbewaffnete zivile politische Mission („Special Political Mission“) dient sie der Unterstützung des s.g. „Hodeïda Agreement“ zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten im Jemen.Seit April 2019 unterstützt Deutschland die Mission mit bis zu 5 Soldaten und maximal 5 Polizisten in Zivil. Aktuell wurde der Waffenstillstand im Jemen nicht verlängert.

Mission der Vereinten Nationen in der Westsahara

Die Mission der Vereinten Nationen (VN) dient der Vorbereitung eines Referendums über den Status der Westsahara und überwacht den Waffenstillstand zwischen Marokko und der Frente Polisario – einer militärischen und politischen Organisation in der Westsahara. Die Bundeswehr beteiligt sich an der Mission seit 2013 mit bis zu vier Militärbeobachtern. Aktuell sind 3 Bundeswehrsoldaten hier im Einsatz

Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon

Diese Operation ist die älteste noch aktive Friedensmission der Vereinten Nationen. Das Aufgabengebiet sah beim Beginn 1978 ursprünglich vor, den israelischen Abzug aus dem Libanon zu begleiten und die libanesische Regierung bei der Wiederherstellung der staatlichen Souveränität unterstützen. Die Bundesmarine unterstützt die UN Mission seit 2006 im Rahmen der „Maritime Task Force“ und hat seit dem 15. Januar 2021 das Kommando über diesen Einsatzverband. Die deutsche Marine nimmt wichtige Aufgaben beim Schutz der libanesischen Hoheitsgewässer, bei der Verhinderung von Waffenschmuggel und beim Fähigkeitsaufbau sowie der Ausbildung der libanesischen Marine wahr.

Aktuell ist die Bundeswehr mit 122 Soldaten an dieser Mission beteiligt.

NATO Operation „Sea Guardian“

Die Operation „Sea Guardian“ der NATO soll zur Sicherheit im Mittelmeer und zur Stärkung der Südflanke der Allianz beitragen. Gleichzeitig steht bei dieser Mission die frühzeitige Erkennung krisenhafter Entwicklungen im Mittelmeerraum und maritimer Terrorismus im Vordergrund. Die Bundeswehr beteiligt sich seit 2016 temporär mit Schiffen und Booten an dieser Operation. Aktuell sind 177 deutsche Soldaten an dieser Mission beteiligt.

EU Mission “IRINI”

“IRINI“ ist  eine militärische Operation der Europäischen Unionim zentralen Mittelmeer, um das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegen das im Bürgerkrieg befindliche Libyen durchzusetzen. Seit Mai 2020 können sich bis zu 300 deutsche Soldaten an der Operation beteiligen. Die Bundeswehr beteiligt sich im Wechsel mit einem Seefernaufklärungsflugzeug vom Typ P-3C Orion oder einem Schiff an dem EU-Einsatz. Aktuell beteiligt sich Deutschland mit einem U-Boot an „IRINI“.

NATO – Unterstützungsmission Ägäisches Meer

Die NATO-Unterstützungsmission wurde unter anderem von Deutschland zur Eingrenzung der Flüchtlingsrouten über diesen Seeweg initiiert. Ziel ist die Überwachung von Migrationsströmen und Schleuseraktivitäten im engen Seeraum zwischen dem türkischen Festland und den griechischen Inseln Lesbos und Chios und die Erstellung eines Lagebildes in der Ägäis. Kernauftrag der Einsatzgruppe ist Beobachten und Melden. Die Bundeswehr beteiligt sich seit Februar 2016 mit einem Kriegsschiff, aktuell mit dem Einsatzgruppenversorger „Bonn“.

Auslandseinsätze der Bundeswehr auf dem Territorium anderer NATO-Staaten

Die Bundeswehr hat im Rahmen der Verstärkung der NATO-Ostflanke, zum Teil nach Beginn des Ukraine Krieges, deutsche Soldaten zur Verstärkung in anderen NATO Staaten stationiert.

 

SHAPE Enhanced Forward Presence

957 deutsche Soldaten sind seit 2016 zur Stärkung der NATO-Ostflanke in Litauen stationiert.

Enhanced Vigilance Activities Slowakei

Nach Beginn des Ukraine Krieges wurden 536 deutsche Soldaten in der Slowakei stationiert.

Verstärkung der Luftraumkontrolle im Baltikum (Air Policing Baltikum)

Bei der NATO-Mission unterstützt die Bundeswehr seit 2014 die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Deutschland beteiligt sich jährlich für mindestens vier Monate an einem streitkräftegemeinsamen Einsatzkontingent.

NATO-Mission enhanced Air Policing South in Rumänien.

Die Mission gibt es seit 2014. Die Bundeswehr hat sich im Februar/März 2022 zum zweiten Mal beteiligt und die italienischen Luftstreitkräfte Aeronautica Militare“ unterstützt. In dem von der deutschen Luftwaffe und der britischen Royal Air Force entwickelten Konzept „Plug and Fight“, ergänzen Kleinstkontingente die Kräfte der jeweiligen Führungsnation und stützen sich zur Reduzierung des logistischen Aufwandes auf die vorhandenen Fähigkeiten der Führungsnation ab.
  Ständige Einsätze der deutschen Marine im Rahmen von NATO-Operationen   Über die dargestellten Einsätze hinaus ist die deutsche Marine z. T. seit Jahrzehnten an dauerhaften Missionen der NATO-Seestreitkräfte beteiligt.

Standing NATO Maritime Group 1

Dieser ständige Marineverband ist vor allem für Kontrolle und Schutz strategisch wichtiger Seewege im Nordatlantik und in der Nord- und Ostsee zuständig. Falls erforderlich kann er jederzeit in andere Seegebiete verlegt werden. Er besteht in der Regel aus mehreren Zerstörern und Fregatten sowie einem Versorgungsschiff der Flotten nahezu aller NATO-Mitgliedsstaaten – darunter immer ein Schiff aus Deutschland. Gegründet wurde dieser älteste Marineverband bereits 1967 als „Standing Naval Force Atlantic“; 2005 erhielt er seine jetzige Bezeichnung.

Standing NATO Maritime Group 2

Im Mittelmeer, besonders vor den Küsten der Krisengebiete in Nordafrika und Nahost, sorgt dieser Marineverband für Sicherheit. Der Verband besteht in der Regel ebenfalls aus mehreren Zerstörern und Fregatten, sowie einem Versorgungsschiff der Flotten verschiedener NATO-Mitgliedsstaaten– darunter immer ein Schiff aus Deutschland. Mit diesen Marineschiffen sind die Hauptfähigkeiten des Verbands vor allem Kontrolle und Schutz strategisch wichtiger Seewege. Der Verband entstand unter dem Namen „Standing Naval Force Mediterranean“; 2005 wurde er in Standing NATO Maritime Group 2 umbenannt. Auch dieser Verband kann bei Bedarf in andere Seegebiete verlegt werden.

Standing NATO Mine Countermeasures Group 1

Hauptoperationsgebiet des Ständigen Minenabwehrverbandes sind der Nordatlantik sowie die Nord- und Ostsee. Der 1973 gebildete Verband setzt sich normalerweise aus mehreren Minenabwehrbooten sowie einem Führungs- und Versorgungsschiff verschiedener NATO-Partner zusammen – darunter immer eines aus Deutschland. Der Verband auf das Suchen und Bekämpfen von Seeminen ausgerichtet. Das beinhaltet auch, Munitionsaltlasten aus vergangenen Kriegen und Konflikten zu beseitigen. Der Verband ist im Raum Nordeuropa unterwegs, vor allem im Englischen Kanal, in Nordsee und Ostsee. Wenn gefordert, kann dieser aber auch in anderen Regionen operieren.

Standing NATO Mine Countermeasures Group 2

Dieser 1999 aktivierte Verband ist ganzjährig vor allem im Mittelmeer, aber auch in den angrenzenden Seegebieten unterwegs und trainiert alle Aspekte der Minenkampfführung. Er ist mit Minenlegern und Minenabwehrschiffen, sowie Führungs- und Versorgungsschiffen in ständiger Einsatzbereitschaft. Er besteht aus einem Führungs- und Versorgungsschiff und mehreren Minenabwehrbooten verschiedener NATO-Nationen – darunter immer eines aus Deutschland. Wie die NATO Mine Countermeasures Group 1 ist der Verband auf das Suchen und Bekämpfen von Seeminen ausgerichtet und beinhaltet auch, Munitionsaltlasten aus vergangenen Kriegen und Konflikten zu beseitigen. Regionaler Schwerpunkt der Gruppe ist das Mittelmeer. Wenn gefordert, kann sie aber auch in anderen Seegebieten operieren.

Die heutige Bezeichnung „Standing NATO Mine Countermeasures Group 2“ erhielt sie 2005.

Bewertung

Alle dargestellten Auslandseinsätze der Bundeswehr finden entweder im Rahmen der NATO oder der EU oder der Vereinten Nationen statt. Das jeweilige vom Bundestag beschlossene Mandat hat in der Regel ein Jahr Gültigkeit und kann nach Kabinettsbeschluss vom Parlament bei Bedarf immer wieder um 1 Jahr verlängert werden. Die Frage, die sich stellt ist, ob Deutschland sich grundsätzlich an Auslandseinsätzen beteiligen sollte, ob alle aufgeführten Missionen auch im Interesse Deutschlands sind und ob durch diese Einsätze möglicherweise die Landesverteidigung beeinträchtigt wird.

 Rechtlich gesehen, ist Deutschland befugt, die Bundeswehr auch für Einsätze im Rahmen von NATO, EU oder UN zur Verfügung zu stellen. Um als souveräner Staat anerkannt und wahrgenommen zu werden und vor allem auch, um die eigene Bündnisfähigkeit und – Bereitschaft zu beweisen, sollten entsprechende Einsätze auch ermöglicht werden. Sie sollten jedoch auch der Bevölkerung vermittelt werden, was bislang nur unzureichend der Fall ist. Ich glaube, dass von den hier aufgeführten Beteiligungen deutscher Soldaten an NATO, EU oder UN Missionen nur ausgesprochen interessierte Bürgerinnen und Bürger eine Vorstellung haben.

Neben der Pflicht zur Information und „Mitnahme“ der Bevölkerung müssen die Politiker immer im Auge haben, ob solche Einsätze auch im nationalen Interesse unseres Landes sind und die Fähigkeit zur Landesverteidigung dadurch weder personell noch materiell gefährdet ist. Und genau in diesem Punkt gibt es durchaus Zweifel, ob die genannten Aspekte in den aktuellen Auslandseinsätzen genügend berücksichtigt werden. Von dieser Betrachtung ausgenommen, sind ständige Operationen der NATO, im Regelfall der Seestreitkräfte an denen sich die deutsche Marine routinemäßig beteiligt. Diese Einsätze erfordern keine Mandatierung durch den Bundestag. Völlig anders ist das aber z.B. beim Einsatz der Bundeswehr in Mali. Hierfür gibt es zwar ein Mandat der Vereinten Nationen, aber keine hinreichende Begründung, ob diese Operation auch im nationalen Interesse Deutschlands ist und ob die Sinnhaftigkeit dieser Mission von den eigenen Bürgern überhaupt verstanden wird. Letztlich unterstützen unsere Soldaten im Rahmen der UNO, eine Militärdiktatur, die jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt. Leider ist dieses Mandat ohne glaubhafte und im Sinne einer funktionierenden Demokratie kontroversen Diskussion verlängert worden, obwohl aktuell auch im benachbarten Burkina Faso zwei Militärputsche stattgefunden haben.

  In Frage stellen müsste man auch Operationen, die seit Jahren ohne konkretes Ergebnis geblieben sind, wie die Beteiligung der Bundesmarine an der Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanonoder die EU Mission „IRINI“ zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen. Am 7.Oktober 2022 hat Bundespräsident Steinmeier auf Malta das U-Boot „U-35“ besucht, das für einen Versorgungsstopp im Hafen der Hauptstadt Valletta vor Anker lag. U-35 ist aktuell an der EU Mission „IRINI“ im Mittelmeer zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen beteiligt. Das U-Boot war am 05. September 2022 von seinem Heimathafen Eckernförde in See gestochen und soll am 13. Januar 2023 dort wieder vor Anker gehen. Auch mir hat diese Meldung in Erinnerung gerufen, dass die „IRINI“ Operation immer noch läuft. Libyen ist seit dem von den USA und der NATO völkerrechtswidrig herbeigeführten Sturz von Mohammed Gaddafi ein Fail State. Unabhängig davon, ob ein deutsches U-Boot geeignet ist, ein Waffenembargo zu überwachen, wäre es sicherlich zielführender eine Friedenslösung herbeizuführen.

Grundsätzlich wäre es erforderlich, dass vor der Verlängerung von Auslandseinsätzen seitens der Bundesregierung und auch durch den Bundestag eine Erfolgskontrolle durchgeführt, die Zielsetzung noch gegeben und eine überzeugende Sicherheitsstrategie vorhanden ist. Das ist bislang für die Bevölkerung jedenfalls nicht erkennbar. Vielmehr hat man den Eindruck, dass solche Mandatsverlängerungen „einfach durchgewunken werden“, zumal diese Entscheidungen auch in den Medien meistens wenig Beachtung finden.  Aktuell hat die CDU-Fraktion im Rahmen der Mandatsverlängerung für den Einsatz deutscher Soldaten im Irak bemängelt, es fehle an einer Sicherheitsstrategie für diese Region. Warum die CDU/CSU der Verlängerung des Mandats trotzdem zugestimmt hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Vielleicht lag es daran, dass dieser Tagesordnungspunkt – wie auch in der Vergangenheit sehr häufig- am Freitagnachmittag behandelt wurde…

Der im Grundgesetz definierte Auftrag der Bundeswehr ist die Landesverteidigung, die aber nur im Rahmen von Bündnissen wie NATO und/oder EU sichergestellt werden kann. Deshalb ist die Beteiligung der Bundeswehr an NATO, EU und UN-Missionen grundsätzlich eine selbstverständliche Verpflichtung. Die organisatorischen, personellen und materiellen Voraussetzungen für die eigene Fähigkeit zur Landesverteidigung müssen allerdings von Deutschland selbst geschaffen werden, Aktuell ist diese Fähigkeit nur bedingt gegeben und würde durch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Bestand der Bundeswehr und zusätzliche Verlegungen von noch mehr Truppenteilen in andere NATO-Staaten unverantwortlich weiter gefährdet.   

Greven, den 24. Oktober 2022

Jürgen Hübschen

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Abstimmung der UN Vollversammlung zu den völkerrechtwidrigen Annexionen Russlands

Vorbemerkung

Die UN-Vollversammlung hat die völkerrechtswidrigen Annexionen Russlands mit großer Mehrheit verurteilt und erklärt sie für ungültig. Zudem wird der Kreml aufgefordert, die Einverleibung der teils besetzten Regionen Lugansk, Donezk, Saporischschja und Cherson rückgängig zu machen. Zuvor war eine Resolution des Weltsicherheitsrates mit gleichem Inhalt am Veto Russlands gescheitert.

Im nachfolgenden Beitrag soll bewertet werden, ob die einhellige Reaktion von Politik und „Leitmedien“ umfassend und differenziert genug ist und alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt

Das Abstimmungsergebnis der UN Vollversammlung

Nachdem Russlands Antrag auf eine geheime Abstimmung gescheitert war, stimmten bei einer offenen Stimmabgabe143 der 193 Mitgliedsstaatenmit damit eine Mehrheit von ziemlich genau 74 % mit „Ja“

35 Staaten enthielten sich der Stimme und damit ca. 18 %.

5 Staaten stimmten gegen die Resolution, also ca. 2, 6 % und 10 Staaten nahmen an der Abstimmung nicht teil, was knapp 5,2% entspricht.

Von den reinen Zahlen her, ist das Ergebnis von einer beeindruckenden Eindeutigkeit und lässt auf eine klare Isolation Russlands in der internationalen Staatengemeinschaft schließen. Wie immer bei solchen Abstimmungen ist es aber interessant zu prüfen, welche Staaten mit Nein gestimmt und welche Staaten sich ihrer Stimme enthalten haben. Wichtig kann darüber hinaus sein, welche Staaten an einer Abstimmung nicht teilgenommen haben.

Die Befürworter dieser Resolution haben sich eindeutig zum internationalen Recht bekannt und damit unmissverständlich gegen Russland Position bezogen. Hier ist sicherlich herauszustreichen, dass auch Brasilien mit seinem Ja auf Distanz zu Russland gegangen ist und Saudi-Arabien als quasi arabische Führungsmacht auf der Arabischen Halbinsel Moskau verurteilt hat, obwohl eigentlich eine Intensivierung der bilateralen Beziehungen zu beobachten ist

Genau so klar wie die „Ja-Stimmen“ ist die Position der Länder, die sich mit ihrem nein solidarisch mit Russland gezeigt haben. Das waren im konkreten Fall natürlich Russland selbst und außerdem Nikaragua, Nordkorea, Syrien und Weißrussland. Diese Länder dürften in Moskau wohl nicht als wichtige Unterstützer des völkerrechtswidrigen Vorgehens eingestuft werden. Wesentlich interessanter ist eine genauere Betrachtung der Staaten, die sich durch ihre Enthaltung praktisch mehrere Optionen offengelassen haben. Diese Länder sind: Äthiopien, Algerien, Armenien, Bolivien, Burundi, China, Eritrea, Eswatini, (Früher Swasiland) Guinea, Honduras, Indien, Kasachstan, Kirgistan, Kongo, Kuba, Laos, Lesotho, Mali, Mongolei, Mozambique, Namibia, Pakistan, Süd Afrika, Süd Sudan, Sri Lanka, Sudan, Tadschikistan, Thailand, Togo, Uganda, Tansania, Usbekistan, Vietnam, die Zentral Afrikanische Republik und Zimbabwe. Chinas und Indiens Enthaltung sollte man nicht als überbewerten, weil beide Länder bereits seit geraumer Zeit eine Verhandlungslösung fordern und China sich auch in der Resolution des Weltsicherheitsrates, die am Veto Russlands gescheitert war, der Stimme enthalten hat. Man könnte also sagen, dass die Politik beider Staaten von einem „distanzierten Schulterschluss mit Russland“ gezeichnet. Auf der anderen Seite muss man allerdings auch feststellen, dass mit China, Indien und Süd Afrika und Russland selbst, sich vier der 5 BRICS Staaten nicht klar gegen Russland positioniert haben. Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass sich mit Kasachstan, Kirgistan Tadschikistan und Usbekistan 4 ehemalige Mitgliedsstaaten der ehemaligen Sowjetunion nicht gegen Russland gestellt haben. Auch die Mongolei muss man auf Grund ihrer geographischen Lage in das asiatische Lager der Länder einordnen, die sich an einer Isolation Russlands nicht beteiligt haben. Auffällig ist auch die große Zahl der afrikanischen Staaten, die sich neben Süd Afrika nicht zu einer Verurteilung Russlands entschlossen haben. Ein ganz spezieller Aspekt ist sicherlich die Enthaltung von Mali und die Nichtteilahme Burkina Faso, beides Länder, denen nachgesagt wird, dass sie sozusagen ins russische Lager gewechselt sind. Auch viele große und rohstoffreiche afrikanische Ländern haben nicht gemeinsam mit „dem Westen“ abgestimmt.  Last but not least lohnt sich auch ein Blick auf die Staaten, die- aus welchen Gründen auch immer, an der Abstimmung nicht teilgenommen haben. Das waren:

Aserbaidschan, Burkina Faso, Kamerun, Dschibuti, El Salvador, Äquatorial Guinea, Iran, Turkmenistan, Venezuela, Sao Thome und Príncipe. Mit Aserbaidschan und Turkmenistan waren es weitere 2 Mitgliedssaaten der ehemaligen Sowjetunion, und mit Iran hat sich ein Land gegen eine öffentliche Positionierung entschieden, das in der Vergangenheit seine Beziehungen zu Russland kontinuierlich intensiviert hat und Moskau im Ukraine Krieg direkt mit Drohnen unterstützt. Venezuela ist zu erwähnen, weil aktuell eigentlich eine Erneuerung der Beziehungen zu den USA zu beobachten ist.

Zusammenfassende Bewertung

Obwohl die Abstimmung der UN-Vollversammlung völkerrechtlich nicht verbindlich ist, senden die Staaten dieser Erde mit 74% Zustimmung zu einer Verurteilung der russischen Annexionen ein deutliches Signal, dass die internationale Gemeinschaft nicht bereit ist, solche Völkerrechtbrüche hinzunehmen. Das ist sicherlich eine beeindruckende und richtungsweisende Entscheidung, der man sich grundsätzlich uneingeschränkt anschließen kann und muss, auch wenn man darüber natürlich nicht vergessen darf, dass es ein vergleichbares Votum gegen die israelische Annexion von Jerusalem und den Golan Höhen leider nicht gibt. Ein etwas schaler Geschmack entsteht für mich auch dadurch, dass die ebenfalls völkerrechtswidrige Annexion der Krim in dieser Resolution gar keine Erwähnung gefunden hat. Natürlich könnte man argumentieren, dass es in dieser Abstimmung darum nicht ging. Für mich ist das allerdings eine eher akademische Unterscheidung, weil es sich unbedingt angeboten hätte, bei dieser Gelegenheit auch noch einmal die Annexion der Krim eindeutig zu verurteilen. So könnte der Eindruck entstehen, dass sich die Staatengemeinschaft damit bereits irgendwie arrangiert hat. Schließlich ist das ja bereits 8 Jahre her.

Und noch etwas: Die 74% Ja-Stimmen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass 26% der 193 Mitgliedsstaaten sich nicht zu einer klaren Verurteilung entschließen konnten. Mit China und Indien allein sind das 2,8 Milliarden Menschen, und mit den ehemaligen Mitgliedstaaten der Sowjetunion und der Mongolei ist das ein wesentlicher Teil des europäisch-asiatischen Raumes. Auch in Bezug auf Afrika muss man sich genau ansehen, welche Länder sich durch ihr Abstimmungsverhalten sozusagen die Tür zu Russland offengehalten haben. Was die Staaten angeht, die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, könnte es ja durchaus sein, dass sie sich gegenüber den USA und/oder Russland nicht stark genug gefühlt haben, Farbe zu bekennen oder sich vor möglichen Konsequenzen gefürchtet haben. Deshalb sind sie lieber „in der Deckung“ geblieben. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage erlaubt sein, ob die Ergebnisse genauso ausgefallen wären, wenn es die von Russland geforderte geheime Abstimmung gegeben hätte. Vielleicht haben sich einige Staaten daran erinnert, wie es dem Jemen ergangen ist, als das Land sich 1990 nach dem Überfall des Iraks auf das Emirat Kuweit in einer UN-Resolution, in der das Vorgehen Saddam Hussein verurteilt wurde, auf die Seite des Iraks gestellt hatte. Unmittelbar nach der Stimmabgabe wurden die finanziellen Hilfsgelder der USA an den Jemen um 50 % gekürzt.

Viele Beobachter und „Experten“ sind der Meinung, dass das aktuelle Votum der UN-Vollversammlung ein weiterer Schritt auf dem Weg der weltweiten Isolierung Russlands ist.  Diese Bewertung ist typisch für den verengten und auf sich selbst bezogenen Blick „des Westens“.

Zeitgleich zur Sitzung der UN Vollversammlung hat nämlich das 6. Gipfeltreffen derConference on Interaction and Confidence Building Measures in Asia“ (CICA) in Kasachstans Hauptstadt Astana stattgefunden. Die 28 Mitgliedssaaten der CICA decken fast 90 % der Fläche und Bevölkerung Asiens ab. Mitgliedsstaaten der CICA sind neben Russland: Ägypten, Afghanistan, Aserbeidschan, Bahrain, Bangladesch, China, Indien, Iran, Irak, Israel, Jordanien, Kambodscha, Kasachstan, Katar, Kuwait. Mongolei, Pakistan, Palästina, Südkorea, Sri Lanka, Tadschikistan, Thailand, Türkei, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam. Beobachterstatus haben Indonesien, Japan, Laos, Malaysia Philippinen, Turkmenistan, Ukraine, USA und Weißrussland 

Am Gipfeltreffen haben neben Präsident Putin u.a. die Präsidenten von Aserbeidschan, Iran, Irak, Kirgistan, Tadschikistan, der Türkei, Palästinas und Usbekistans, der Emir von Katar, der Vizepräsident der Volksrepublik China und der Vizepräsident von Vietnam teilgenommen. Die Ukraine und die USA hatten auf eine Teilnahme verzichtet.

In einer Video-Schalte hatte sich UN-Generalsekretär Guterres an die Teilnehmer gewandt und u.a. gesagt. „Ich bin dankbar für unsere Partnerschaft in der Erreichung unserer Ziele- der Förderung der nachhaltigen Entwicklung, der Menschenrechte, des Friedens und der Stabilität und der Festigung der vielseitigen Zusammenarbeit.“

An das Gipfeltreffen von Astana wird sich am 14. Oktober 2022 ein Treffen der Staatschefs der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ (GUS) ebenfalls in Astana anschließen. Zur GUS gehören neben Russland: Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland.

Die Verurteilung der russischen Annexion der Regionen Lugansk, Donezk, Saporischschja und Cherson ist das Eine, darf aber nicht gleichgesetzt werden mit einer weltweiten Isolation Russlands und vor allen Dingen auch nicht mit einer Zustimmung zur westlichen Russlandpolitik. Das sind zwei Paar verschiedene Schuhe. Bei der ersten Abstimmung der UN Vollversammlung zum Krieg in der Ukraine wurde der russische Angriff von 141 UN- Mitgliedsstaaten zwar verurteilt, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass dieses Votum mit einer Zustimmung zu den Sanktionen gegen Russland nichts zu tun hat.

Fazit: Die Verurteilung der Völkerrechtsbrüche Russlands darf nicht gleichgesetzt werden mit einer Zustimmung zur westlichen Sanktionspolitik gegenüber Russland.

Das Ergebnis der Abstimmung der UN-Vollversammlung ist sicherlich ein „Pfund für das Völkerrecht“ aber kein Beweis für die weltweite Isolierung Russlands und vor allem auch kein Ersatz für die dringend erforderliche diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges.

Greven, den 14. Oktober 2022

Jürgen Hübschen

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Die Europäische Politische Gemeinschaft- eine sinnvolle neue „Organisation“ oder Grundlage einer neuen Teilung Europas?

Vorbemerkung

Am 06. Oktober 2022 hat die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede auf dem Festakt anlässlich des 77-jährigen Bestehens der Süddeutschen Zeitung gehalten. Darin hat sie betont, dass ein dauerhafter Friede in Europa „nur unter Einbeziehung Russlands“ erfolgen könne und sagte wörtlich: „So lange wir das nicht wirklich geschafft haben, ist auch der Kalte Krieg nicht wirklich zu Ende.“

Vor dem Hintergrund dieser Aussage stellt sich die Frage, ob die neu gegründete Europäische Politische Gemeinschaft eine sinnvolle neue „Organisation“ ist oder die Grundlage einer neuen Teilung Europas.

Die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG)

European Political Community (EPC)

Laut Wikipedia soll die EPG eine Plattform für politische Koordinierung der europäischen Länder auf dem gesamten Kontinent sein und einen politischen Dialog und die Zusammenarbeit fördern. Dabei sollen Fragen von gemeinsamem Interesse behandelt werden, wodurch Sicherheit, Stabilität und Wohlstand auf dem europäischen Kontinent gestärkt werden. Die Idee geht auf eine Initiative des französischen Staatspräsidenten Macron vom 09. Mai 2022 im Europaparlament zurück. Ob diese Plattform eine Organisation oder ein Club oder auch weiterhin ein eher zwangloses Treffen sein soll, ist offensichtlich noch nicht abschließend geklärt

Mitgliedsländer der EPG sind die EU Staaten:

Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Slowakei, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern

Und zusätzlich: Armenien, Aserbaidschan, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, das Vereinigte Königreich, Island, Kosovo, Liechtenstein, Moldau, Montenegro, Nord Mazedonien, Norwegen, die Schweiz, Serbien, die Türkei und die Ukraine

Das Gründungstreffen der Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsländer fand am 6./7. Oktober 2022 im Rahmen der Tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in Prag statt. Bis auf die dänische Ministerpräsidentin Katrin Jacobsdottir, die wegen innenpolitischer Schwierigkeiten nicht angereist war, nahmen alle Mitgliedsländer teil. Zusätzlich zu dem anwesenden ukrainischen Premierminister Denys Schmyhal war der ukrainische Präsident Selensky per Video zugeschaltet.

Es gab keine fest geschriebene Tagesordnung, aber zentrale Themen waren der Krieg in der Ukraine und eine gemeinsame Strategie gegen Russland, außerdem natürlich die damit zusammenhängende Energiekrise Eine Satzung für die EPG wurde nicht beschlossen, braucht man vielleicht auch nicht, weil es wohl eher ein Club zum Meinungsaustausch als eine Organisation ist. Leider war aber auch eine gemeinsame Initiative zur Beendigung des Krieges in der Ukraine kein Thema dieses Treffens.

Bundeskanzler Scholz bezeichnete die neue Gemeinschaft als „große Innovation“, weil so ein Treffen entstanden sei, bei dem sich die Staats-und Regierungschefs einen ganzen Tag lang in verschiedenen Formaten unterhalten könnten, um einfach mal ohne Tagesordnung und Zwang von Beschlüssen über gemeinsame Anliegen in Europa zu sprechen. Das sei „gut für den Frieden und die Sicherheitsordnung“, aber auch gut für die ökonomische Entwicklung und dafür, die Beziehungen zu den Nachbarn der EU zu vertiefen.

EU-Ratspräsident Charles Michel stellte abschließend zu diesem ersten Zusammentreffen der „27+17“ fest, Europa komme mit der EPG zu „mehr Stabilität, mehr Sicherheit und mehr Frieden.“ Man wolle sich in Zukunft „regelmäßig“ treffen.

Die Europäische Politische Gemeinschaft- eine sinnvolle neue Organisation oder Grundlage einer neuen Teilung Europas?

Mit der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE)gibt es seit 1995 eine Organisation, der alle europäischen Staaten mit Ausnahme des Kosovo und zusätzlich USA und Kanada angehören. In der EPG sind dagegen folgende europäischen Staaten nicht vertreten: Andorra, der Heilige Stuhl, Island, Kasachstan, Kirgistan, Monaco, die Mongolei, Russland, San Marino, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Weißrussland. Dass Andorra, Island, Monaco und San Marino der EPG nicht angehören, könnte man wegen der geringen Größe dieser Länder nachvollziehen, aber bereits beim Heiligen Stuhl ist das schon schwieriger, weil dieser in der Vergangenheit vor allem im Bereich der Diplomatie häufig eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Ausgrenzung der ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion und vor allem den gezielten Ausschluss von Russland und Weißrussland muss man als falsches Signal für ein geeintes Europa und als eine neue Teilung dieses Kontinents bezeichnen. Mit der Mongolei verzichtet man auf ein mögliches „Clubmitglied“, das über gute Drähte ins Nachbarland China verfügt.  Eine Zusammenarbeit mit Kanada und den USA ist dagegen sicherlich auch auf anderem Wege möglich, aber dann unbedingt als Partner auf Augenhöhe.

Mit der Gründung der EPG entsteht ein Zusammenschluss, den man aus meiner Sicht als politisch völlig unnötig und für ein geeintes Europa als kontraproduktiv bezeichnen muss. Es entsteht der Eindruck, dass diese Organisation oder, wie immer man dieses Treffen bezeichnen will, in erster Linie als „politisches Bollwerk“ Europas gegen Russland geschaffen wurde, wobei vergessen wird, dass dieses Russland bis zum Ural genau ein Teil eben dieses Europas ist. Die Ausgrenzung Weißrusslands und der anderen ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion erscheint wie ein Warnsignal an alle Staaten, denen eine gewisse Nähe zu Russland unterstellt wird. Es klingt wie: Wir, die Mitgliedsstaaten der EPG, entscheiden selbst, wer zu Europa gehören darf und wer eben nicht. Das ist schon an Selbstgefälligkeit und Borniertheit nicht zu überbieten, aber viel schlimmer ist die politische Dummheit, die sich in einer solchen Position widerspiegelt.

Sich regelmäßig mit Freuden zu treffen, um in zwangloser Atmosphäre über politische Themen zu plaudern, ist grundsätzlich keine schlechte Idee, zumal solche Treffen ja vom Steuerzahler finanziert werden. Aber dann sollte so ein Treffen, so ein Meinungsaustausch sich nicht gegen bestimmte Länder Europas richten, sondern vielmehr ein Zusammenwachsen dieses Europa zum Inhalt haben.

Bleibt die grundsätzliche Frage: Warum setzt man – statt einer neuen Organisation oder Clubs- das ist ja noch nicht ganz klar –nicht endlich auf die OSZE, die genau dieses „mehr Stabilität, mehr Sicherheit und mehr Frieden“ für Europa zum Ziel hat, wie es der EU-Ratspräsident Michel formuliert hat?

Vor allem aber müssen die europäischen Staats-und Regierungschefs endlich begreifen, was Angela Merkel in München gesagt hat: „Ein dauerhafter Friede in Europa kann nur unter Einbeziehung Russlands erfolgen. So lange wir das nicht wirklich geschafft haben, ist auch der Kalte Krieg nicht wirklich zu Ende.“

Greven, 07.Oktober 2022

Jürgen Hübschen

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Das Aussetzen der Wehrpflicht- ein politischer Fehler, der durch Geld nicht kompensiert werden kann

Vorbemerkung

Vor dem Hintergrund des Ukraine Krieges entdecken die Politiker über alle Parteigrenzen hinweg ihre Sympathien, um nicht zu sagen, ihre Liebe zur Bundeswehr und die Notwendigkeit einer funktionierenden Landesverteidigung. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema, ob das Aussetzen der Wehrpflicht durch finanzielle Investitionen in die Streitkräfte kompensiert werden kann.

Die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland

Die Basis für die Einführung der Wehrpflicht war/ist der Artikel 12 a des Grundgesetzes. Weil dieser Artikel in den Absätzen 3-6 besondere Regeln für den Verteidigungsfall enthält, ist es wichtig den gesamten Artikel zu kennen, um die Konsequenzen der vor mehr als 11 Jahren erfolgten Aussetzung der Wehrpflicht beurteilen zu können.

Art 12a Grundgesetz

(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.

(2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. …..

Diese beiden Absätze sind sicherlich noch vielen Bürgerinnen und Bürgern geläufig. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg sollte sich jeder darüber im Klaren sein, welche gesetzlichen Regeln eigentlich im Spannungs- und Verteidigungsfall zur Anwendung kommen können.

Art 12 a Grundgesetz; Grundlagen für den Spannungs-und Verteidigungsfall

(3) Wehrpflichtige, die nicht zu einem Dienst nach Absatz 1 oder 2 herangezogen sind, können im Verteidigungsfalle durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden; Verpflichtungen in öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind nur zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder solcher hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nur in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis erfüllt werden können, zulässig. Arbeitsverhältnisse nach Satz 1 können bei den Streitkräften, im Bereich ihrer Versorgung sowie bei der öffentlichen Verwaltung begründet werden; Verpflichtungen in Arbeitsverhältnisse im Bereiche der Versorgung der Zivilbevölkerung sind nur zulässig, um ihren lebensnotwendigen Bedarf zu decken oder ihren Schutz sicherzustellen.

(4) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.

(5) Für die Zeit vor dem Verteidigungsfalle können Verpflichtungen nach Absatz 3 nur nach Maßgabe des Artikels 80a Abs. 1 (Spannungs-und Verteidigungsfall) begründet werden…. (6) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an Arbeitskräften für die in Absatz 3 Satz 2 genannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, so kann zur Sicherung dieses Bedarfs die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Vor Eintritt des Verteidigungsfalles gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend.

So viel zu den gesetzlichen Grundlagen der Wehrpflicht.

Am 1. April 1957 wurden die ersten Wehrpflichtigen auf der Basis dieses Gesetzes zur Bundewehr eingezogen.

Auf Grund einer Initiative des damaligen Bundesverteidigungsministers unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, aus dem Jahr 2010 wurde am 24. März 2011, die allgemeine Wehrpflicht auf der Basis des „Wehrrechtsänderungsgesetzes“ zum 1. Juli dieses Jahres ausgesetzt. Mit diesem Gesetz wurde zugleich ein freiwilliger Wehrdienst von sechs bis 23 Monaten geschaffen, der Männer und Frauen gleichermaßen offensteht. Bis zu 15.000 Freiwillige sollen in Zukunft neben den Zeit-und Berufssoldaten in der Bundeswehr dienen.

Die Aussetzung der Wehrpflicht gilt jedoch ausschließlich in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden. Deshalb bleibt Artikel 12a des Grundgesetzes, nach dem jeder männliche deutsche Staatsbürger „vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz (in der Bundespolizei) oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“ kann, unangetastet.

Konsequenzen aus dem Aussetzen der Wehrpflicht

Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht entfielen auch alle Regeln und Maßnahmen der Wehrüberwachung. Zur Zeit der Wehrpflicht unterlagen alle Wehrdienstleistenden noch für eine bestimmte Anzahl von Jahren der Wehrüberwachung, mussten Wehrübungen leisten, damit sie im Spannungs- oder Verteidigungsfall die aktive Truppe sofort verstärken konnten. Es gibt seit Aussetzung der Wehrpflicht auch keine Wehrerfassung und keine zivile Wehrersatzorganisation mehr. Da niemand mehr gemustert wird, wurden auch die Kreiswehrersatzämter ersatzlos abgeschafft.

Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht endete automatisch auch der ständige Austausch zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften. In der Bundeswehr gibt es kaum noch aktuelle Erkenntnisse über soziale Entwicklungen der jungen Leute in unserem Land und auch keine Informationen über Veränderungen in der Ausbildung und Durchführung ziviler Berufe. Transport- und Busunternehmen haben auch deshalb Nachwuchssorgen, weil keine ausscheidenden Wehrpflichtigen mehr zur Verfügung stehen, die während ihrer Bundeswehrzeit Lkw- und/oder Busführerscheine gemacht haben. Das größte Problem aber ist, dass die Streitkräfte den erforderlichen Nachwuchs nicht mehr aus der eigenen Organisation rekrutieren können, sondern auf zivile Bewerber zurückgreifen müssen, die von der Bundeswehr keine Ahnung haben. Deshalb scheiden auch viele Freiwillige nach oder während der Probezeit wieder aus. In der Luftwaffe wurden früher fast 50 % der länger dienenden Zeit- und Berufssoldaten aus dem Bestand der Wehrpflichtigen gewonnen. Diese jungen Männer hatten das „Soldat-Sein“ erfahren, sich bewusst für diesen Beruf entschieden und ihre Vorgesetzten konnten beurteilen, wen man als Freiwilligen oder sogar späteren Berufssoldaten gebrauchen konnte.

Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht entfiel auch der zivile Ersatzdienst, der von vielen jungen Männern z. B. auf den Intensivstationen der Krankenhäuser, in Alten-und Pflegeheimen, beim Technischen Hilfswerk, dem Deutschen Roten Kreuz, bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Katastrophenschutz und vielen gemeinnützigen Organisationen geleistet wurde. Dieses Defizit konnte bis heute nicht vollständig kompensiert werden.

Investitionen in die Streitkräfte

Wie bereits gesagt, ist der Krieg in der Ukraine offensichtlich für viele Politiker, angefangen beim Bundeskanzler, ein Eye-Opener. Man scheint verstanden zu haben, was Willy Brand einmal gesagt hat: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“

Auf Initiative des Bundeskanzlers verabschiedete der Bundestages das s.g. „Sondervermögen“ für die Bundewehr in Höhe von 100 Milliarden€, und der Kanzler versicherte, dass für die Verteidigung in Zukunft 2% des BIP in jeden Haushalt eingestellt würden. Wörtlich sagte Bundeskanzler Scholz am 16. September 2022 auf einer Bundeswehrtagung: „Das Sondervermögen ist Realität. Auch meine Aussage, dass wir den Verteidigungshaushalt

kontinuierlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts heben, gilt! Damit können

Sie planen.“

Bei den 2 % handelt sich um ein Ziel, das sich die NATO-Staaten gemeinsam bereits auf dem NATO-Gipfel 2002, also vor 20 Jahren, in Prag gesetzt hatten. Damals wurden die baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien und die Slowakei eingeladen, Mitglieder der Allianz zu werden. Eine Bedingung war, „genügend Ressourcen“ in die Verteidigung zu investieren. Der Richtwert für jeden Aspiranten lautete zwei Prozent seines BIP. Der Gerechtigkeit halber sollten aber auch jene Staaten, die der NATO bereits angehörten, dieses Ziel anstreben.

Festgeschrieben wurde das Zwei-Prozent-Ziel noch einmal 2014 beim NATO-Gipfel in Wales. Das war nach der Annexion der Krim.

Im Jahr 2021 betrug der Anteil der Militärausgaben am BIP in Deutschland rund 1,34 Prozent. Die Militärausgaben der Bundesrepublik beliefen sich auf ca. 56 Milliarden US-Dollar.

Der Kanzler formulierte auf der Tagung abschließend sein Ziel mit den Worten: „Als bevölkerungsreichste Nation mit der größten Wirtschaftskraft und Land in der Mitte des Kontinents muss unsere Armee zum Grundpfeiler konventioneller Verteidigung in Europa werden, zur am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa!“

Zusammenfassende Bewertung

Am 24. März 2011wurde die Wehrpflicht formaljuristisch zwar nur ausgesetzt, aber de facto abgeschafft; denn ohne eine ständige Wehrfassung und eine bestehende zivile Wehrersatzorganisation kann das Aussetzen der Wehrpflicht nicht rückgängig gemacht werden. Die jungen Menschen, in der heutigen Zeit wohl nicht nur Männer, sondern auch Frauen, müssen registriert und gemustert werden, was auch eine medizinische Untersuchung beinhaltet und einen Tauglichkeitsgrad für bestimmte Aufgaben und Waffengattungen erhalten. Das funktioniert nur mit Behörden, die mit den früheren Kreiswehrersatzämtern vergleichbar sind. Die gibt es aber nicht mehr und zwar weder strukturell noch materiell oder personell. Ein Neuaufbau würde Jahre dauern.

Das Argument, dass wehrpflichtige Soldaten heute viele Aufgaben in den Streitkräften gar nicht mehr wahrnehmen könnten, weil immer mehr technische Kenntnisse dafür erforderlich sind, sticht aus meiner Sicht nicht. Ich bin während meiner Militärzeit mehrmals mit einer Crew zum Jahresschießen nach Kreta geflogen, die zu 50 % aus wehrpflichtigen Soldaten bestand. Diese technisch interessierten jungen Männer wurden dabei u.a. als Bediener von Radargeräten und Computern eingesetzt. Das dürfte für die heutige Jugend sicherlich noch viel selbstverständlicher möglich sein.

Mit der de facto Abschaffung der Wehrpflicht endete auch die Einbindung der Streitkräfte in die Gesellschaft. Diese steht der Bundeswehr heute bestenfalls mit einem wohlwollenden Desinteresse gegenüber. Kaum ein Politiker ist von Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr persönlich betroffen und muss sich deshalb auch keine Sorgen machen über Leben und Gesundheit eines Angehörigen in Einsätzen wie Afghanistan oder aktuell in Mali oder vielleicht sogar in einem Krieg in Europa. Ohne eine Wehrpflicht werden Soldaten nicht anders betrachtet als andere, durchaus ehrenwerte Handwerker. Wenn die Heizung defekt ist, ruft man den Installateur, wenn das Auto streikt, bringt man es in die Werkstatt, und wenn das Land verteidigt werden muss zu Hause oder im Rahmen eines Bündnisses, dann ruft man eben die Zeit- und Berufssoldaten der Bundeswehr. Bei Naturkatastrophen oder auch im Zusammenhang mit der Unterstützung bei den Corona-Maßnahmen wurde in der Vergangenheit bereits klar, wie sehr die Wehrpflichtigen fehlen. Man hat mittlerweile in den Streitkräften „immer mehr Häuptlinge, aber keine Indianer mehr“. Das nächste Problem sind die fehlenden Reservisten. In Zeiten der Wehrpflicht verfügte Deutschland über Millionen von Reservisten, weil ja jeder Wehrpflichtige nach seinem Ausscheiden aus der Armee für einige Jahre Angehöriger der Reserve war. Firmen, Behörden und Organisationen mussten einen solchen Reservisten freistellen, wenn er zu einer Wehrübung einberufen wurde. Es gibt zwar auch heute noch Reservisten, aber in einer vergleichbar deutlich geringeren Anzahl, weil es sich dabei nur um ausscheidende Zeit-und Berufssoldaten handelt.

All die aufgezeigten durch die Abschaffung der Wehrpflicht entstandenen Probleme können durch finanzielle Maßnahmen nicht kompensiert werden. Zunächst braucht man junge Menschen, die aus Überzeugung Soldat werden und bereit sind, sich für einige Jahre zu verpflichten und vielleicht sogar in einem Krieg ihr Leben einzusetzen. Eine Armee ist nicht wie ein Wasserhahn, aus dem – je nach Bedarf-  mal mehr oder weniger Wasser fließt. Um einen einsatzbereiten Kompaniechef zu bekommen, dauert es 8-10 Jahre, und Bataillonskommandeur wird ein Offizier erst nach etwa 15 Jahren.

Im Rahmen der Wehrpflicht war es möglich, die Bundeswehr durch die Einberufung von Reservisten auch kurzfristig zahlenmäßig mit ausgebildeten Soldaten zu verstärken. Das wäre heute nur noch nach Feststellung des Spannungs-oder Verteidigungsfalles mit qualifizierter Mehrheit durch den Deutschen Bundestag möglich. Selbst wenn das geschähe, hätte man ja nur wenig ausgebildete Soldaten zusätzlich zur Verfügung. Das Ziel des Bundeskanzlers, die Bundeswehr zur am besten ausgestatteten Streitkraft Europas zu machen, verlangt nicht nur eine gute Organisation und eine erstklassige, voll funktionsfähige materielle Ausstattung, sondern vor allem auch eine hohe personelle Durchhaltefähigkeit mit motivierten und top-ausgebildeten Soldaten, Das ist mit Geld allein nicht zu erreichen, sondern nur mit einer ausreichenden und vor allem auch  aufwuchs fähigen Personaldecke, die ohne Wehrpflicht nicht zu erreichen sein wird.

 Greven, 28. September 2022

Gez.

Jürgen Hübschen

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Wenn zwei dasselbe tun, ist es noch lange nicht dasselbe oder

Vorbemerkung

Das Unrecht einer Regierung/ eines Staates wird nicht dadurch ungeschehen oder gerechtfertigt, indem man darauf verweist, dass auch andere Regierungen/Staaten Unrecht begehen und zu verantworten haben.

Die wesentlichsten bekannt gewordenen Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen „des Westens“ in der jüngsten Vergangenheit

Mit ausdrücklichem Hinweis auf die o.a. Vorbemerkung möchte ich die wesentlichsten Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen „des Westen“ in der jüngsten Vergangenheit in Erinnerung rufen, ohne im Einzelnen darauf einzugehen:

  • Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel seit 1967
  • Siedlungsbau in den Besetzten Gebieten durch Israel seit Ende der 60er Jahre
  • Annexion Jerusalems durch Israel 1980
  • Annexion der Golan Höhen durch Israel 1981
  • Krieg der USA und ihrer Verbündeten im Kosovo 1997/1998
  • Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak und Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein 2003
  • Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen Libyen und Sturz des Präsidenten Mohammed Gaddafi 2011
  • Militäroperationen der USA und Einsätze der CIA in Syrien seit 2015
  • Krieg Saudi-Arabiens im Jemen seit 2015
  • Folterungen durch amerikanische Soldaten in der irakischen Stadt Abu Ghraib 2003
  • Betreiben des Gefängnisses in Guantanamo und zweitweise Folterung von Gefangenen seit 2002
  • Folterungen auf dem US-Stützpunkt im afghanischen Baghram während des US Einsatzes in der Zeit zwischen 2001 und 2021
  • CIA Foltergefängnisse der USA in verschiedenen europäischen Ländern, u.a. in Polen und Rumänien
  • Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi mit Wissen – nach CIA Berichten sogar im Auftrag- des saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman 2018

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit, weil nie alle Operationen der USA und vor allem der CIA bekannt werden, besonders nicht in Südamerika.

Die wesentlichsten bekannt gewordenen Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen Russlands in der jüngsten Vergangenheit

  • 1. Tschetschenien Krieg 1994-1996
  • 2. Tschetschenien Krieg 1999-2009
  • Georgien/Kaukasus Krieg 2008 (völkerrechtliche Verantwortung nicht eindeutig)
  • Annexion der Krim 2014
  • Ukraine Krieg, offiziell seit 2014

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit, weil nie alle Operationen Russlands bekannt werden.

Der Krieg in der Ukraine

Am 24. Februar 2022 begann der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der bis heute andauert. Seit Beginn der Kampfhandlungen reagiert „der Westen“ mit Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung der Ukraine, einschließlich der Ausbildung ukrainischer Soldaten an den vom “Westen“ gelieferten Waffen. Auf der russischen Seite werden die Militäraktionen intensiviert und die Infrastruktur der Ukraine zunehmend zerstört. Was genau auf dem Schlachtfeld passiert, weiß niemand, weil auf beiden Seiten die Wahrheit durch Propaganda ersetzt wurde.

Während die militärische Unterstützung der Ukraine durch „den Westen“ ständig intensiviert wird, gehen die westlichen Maßnahmen parallel dazu weiter, Russland international zu isolieren und zu ächten. Die Spirale der Gewalt dreht sich unaufhörlich weiter, ohne, dass auf westlicher Seite eine sicherheitspolitische Strategie zu erkennen wäre.

Bis heute hat es keinen internationalen Versuch gegeben, einen Waffenstillstand zu erreichen und mit Hilfe einer diplomatischen Initiative diesen Krieg zu beenden.

Die Doppelmoral und die dadurch verloren gegangene Glaubwürdigkeit „des Westens“

Die Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen „des Westens“ wurden in der Vergangenheit weitgehend ohne irgendwelche militärischen oder politischen Maßnahmen hingenommen. Es ist ganz offensichtlich nach westlichem Moral- und Rechtsverständnis so, dass es noch lange nicht dasselbe ist, wenn zwei dasselbe tun. Die US Regierung wurde für ihre völkerrechtswidrigen Kriege und die von ihr zu verantwortenden nachweislichen Kriegsverbrechen bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Wie im Irak, aber auch in Libyen wurden ganze Länder zerstört, ohne dass es eine Verurteilung durch westliche Politiker oder Proteste und Demonstrationen der Bevölkerung in den USA oder Europa gegeben hat. Die schrecklichen Bilder, die man immer wieder in der Ukraine, vor allem von einer leidenden Zivilbevölkerung und zerstörter Infrastruktur in den Medien sieht, könnte man heute jederzeit vor allem aus dem Jemen, aber auch aus Afghanistan, dem Irak, Libyen oder Syrien zeigen.

Die andauernden Völkerrechtsbrüche Israels werden vom „Westen“  zwar regelmäßig und stereotyp verurteilt, vor allem die Siedlungspolitik, aber ohne jegliche Konsequenzen.

Der russische Präsident wird zu Recht persönlich für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht und deswegen auch als Person sanktioniert und in der Öffentlichkeit verurteilt. Aber, was ist- nur um ein aktuelles Beispiel zu nennen- eigentlich mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman (MBS), der mit Jamal Kashoggi einen Oppositionellen im wahrsten Sinne des Wortes hat abschlachten lassen? MBS wurde trotzdem im Juli 2022 vom US-Präsidenten besucht, nahm auf Einladung an der Beerdigung der englischen Königin teil und wird am nächsten Wochenende vom deutschen Bundeskanzler besucht.

Diese alles vereinfachende Doppelmoral „des Westens“ schadet weltweit der Glaubwürdigkeit einer Staatengemeinschaft, die weitgehend die globalen Interessen der USA unterstützt. Folge davon ist, dass sich die Gewichte zunehmend in Richtung einer Weltordnung verschieben, die von China und Russland bestimmt wird.

Wege zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit und der Versuch, den Krieg in der Ukraine zu beenden

Was ist zu tun, um wenigstens den Versuch zu unternehmen, diese Glaubwürdigkeit wiederherzustellen?

Ständiges Drohen mit dem moralischen Zeigefinger und mit Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt, ist sicherlich keine Option. Immer neue Beschuldigungen und persönliche Diffamierungen des russischen Präsidenten, führen definitiv zu nichts. Immer größere Lieferungen von immer schwereren Waffen an die Ukraine, führt lediglich zu immer mehr militärischer Gewalt auf russischer Seite. Dem russischen Präsidenten keine Chance zur Gesichtswahrung zu geben und stattdessen zu versuchen, ihn immer mehr vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu demütigen, wird nicht zielführend sein und diesen Krieg nicht beenden. Europa wird die Folgen einer sich verändernden Weltordnung maßgeblich zu tragen haben, wenn jetzt nicht „der Hebe umgelegt wird“.

Der italienische Friedensplan liegt auf dem Tisch:

  • Waffenstillstand in der Ukraine mit einer Demilitarisierung der Front unter UNO-Aufsicht,
  • Verhandlungen über den Status der Ukraine,
  •  bilaterales Abkommen zwischen Kiew und Moskau über die Krim und den Donbass sowie
  • ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa.

Aktuell wird dieser Plan ergänzt durch den Vorschlag des mexikanischen Präsidenten:

  • unverzügliche Bildung eines Komitees für Dialog und Frieden, anstelle der Fortsetzung dieses schmerzhaften und absurden Krieges als Vermittler sollen die Staatsoberhäupter Indiens und des Vatikans sowie der Generalsekretär der Vereinten Nationen agieren. Also der indische Premierminister Modi, Papst Franziskus und Generalsekretär António Guterres.
  • Die Friedensmission unter Leitung der genannten Vertreter soll dann unverzüglich eine Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine und die Aufnahme direkter Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Zelensky und dem russischen Präsidenten Putin anstreben.
  • Darüber hinaus sollte dieses Verhandlungs-Komitee auch ein multinationales Abkommen erzielen, um einen Waffenstillstand von mindestens fünf Jahren zu vereinbaren, einstimmig angenommen im UN-Sicherheitsrat, welches auch
  • die sofortige Aussetzung militärischer Aktionen und Provokationen sowie von Atom- und Raketentests beinhaltet.

Jeder Tag, an dem diese Initiativen nicht aufgegriffen werden, verlängert nicht nur den Krieg, sondern lässt die Glaubwürdigkeit „des Westens“ immer weiter schwinden.

Greven, den 21. September 2022

Jürgen Hübschen

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Die 22. Konferenz der Shanghai Cooperation Organization ( SCO)  2022  in Usbekistan und ihre Bedeutung für „den Westen“

Vorbemerkung

Am 15./16. September 2022 fand in Samarkand die Konferenz der SCO  statt.

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping erklärte in seiner Rede vor dem Plenum der Konferenzteilnehmer: “ China ist bereit, zusammen mit Russland die Rolle der Großmächte zu übernehmen und eine führende Rolle zu spielen, um einer von sozialen Unruhen erschütterten Welt Stabilität und positive Energie zu geben.“

Der nachfolgende Artikel befasst sich mit der Tagung und ihrer Bedeutung für „den Westen“ und darüber hinaus für eine mögliche neue Orientierung der gesamten Welt.

Die Shanghai Cooperation Organization

Vorläufer der SCO war die „Shanghai 5 Gruppe“, die bereits 1996 gegründet wurde. Mit Aufnahme Usbekistans wurde die Gruppe 2001 in SCO umbenannt.

Zu Beginn lag der Aufgabenfokus der SCO vor allem auf zentralasiatischen Problemen, wie   Grenzstreitigkeiten und regionalen militärischen Konflikten. Nach 2001 rückte die Terrorismusbekämpfung zunehmend ins Zentrum der gemeinsamen Aufgaben.

So wurde 2003 ein gemeinsames Zentrum zur Bekämpfung von Terrorismus in Shanghai eingerichtet. Auf dem SCO-Gipfel in Usbekistan der vom 16. bis zum 17. Juli 2004 stattfand, beschloss die SCO, ein regionales Antiterrornetzwerk einzurichten als „Regional Antiterrorism Structure“, (RATS).

Seit Beginn der militärischen Operationen in Afghanistan und im Irak hat es sich die SCO zum Ziel gesetzt, ein Gegengewicht zum amerikanischen Einfluss in der Region zu bilden. Dazu gehört u.a. die Forderung nach Abzug der US Truppen aus der Region.

Ein Antrag der USA, einen SCO-Beobachterstatus zu erhalten, wurde in 2005 abgelehnt.

Die SCO versteht sich als eine blockfreie Organisation, geprägt von Offenheit, ohne jede negative Einstellung gegenüber anderen Ländern oder Organisationen, Gleichheit und Respekt der Mitgliedsstaaten untereinander, Ablehnung jeder Art von Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und Verhütung von politischer Konfrontation oder Rivalitäten.

Zur SCO gehören heute: China, Indien, Iran, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Russland Tadschikistan und Usbekistan.

„Beobachterstatus“ haben Afghanistan, Mongolei und Weißrussland.

Als „Dialogpartner“ werden bezeichnet: Armenien, Aserbeidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und die Türkei. S.g. „Gastteilnehmer sind Turkmenistan, Vertreter der „Association of Southeast Asian Nations“ (ASEAN). Zu dieser Organisation gehören: Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam.

Nach Medienberichten hat der türkische Präsident Erdogan Interesse seines Landes am Beitritt zur SCO bekundet. Ägypten, Katar und Saudi-Arabien wollen auf dem Gipfel in Samarkand offiziell „Dialog-Partner“ werden. Die Vereinigten Arabischen Emirate streben angeblich eine Vollmitgliedschaft in der SCO an. Auch Aserbeidschan soll sich darum bemühen, obwohl das Land der EU angeboten hatte, bei der Energieversorgung zu unterstützen. Aktuell kommt es immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen mit Armenien, das ja ebenfalls ein „Dialogpartner“ der SCO ist.

Die Mitgliedsstaaten der SCO vereinen knapp 40% der Weltbevölkerung und repräsentieren ca. 30% der globalen Wirtschaftsleistung.

Das 22. Gipfeltreffen der SCO

Welche Länder außer den 9 Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten an der Konferenz teilgenommen haben, ist auf Grund der wenig umfassenden Berichterstattung in den westlichen Medien nicht genau bekannt. Angeblich sollen es insgesamt 14 gewesen sein. Es steht lediglich fest, dass der türkische Präsident Tayyip Erdogan und der Regierungschef Weißrusslands Alexander Lukaschenko dabei gewesen sind.

Der Gastgeber des Treffens, der Präsident Usbekistans, Shavkat Mirziyoyev, hatte vor Konferenzbeginn die Schwerpunkte der Tagung bekannt gegeben. nämlich: Stärkung der Bedeutung der SCO, Sicherstellung von Frieden und Stabilität in der Region, Bekämpfung der Armut, Stärkung der interregionalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Abbau aller Handelsbarrieren mit Hilfe von technischen Verfahren und Digitalisierung.

Wie bei allen Konferenzen gab es neben Reden im Plenum viele bilaterale Gespräche, die aber nur teilweise bekannt gemacht wurden.

Die dominante Persönlichkeit des Treffens war der chinesische Staatschef Xi Jinping. Nach seiner Reise nach Myanmar im Jahr 2020 war seine Teilnahme an der Konferenz in Samarkand – Corona-bedingt – sein erster Auslandsaufenthalt nach mehr als 2 Jahren. Man könnte sagen, es war „die sichtbare Rückkehr Chinas auf die Weltbühne.“, sicherlich auch, um seine Position vor den Wahlen für eine mögliche 3. Amtszeit im Oktober zu stärken. Vor seiner Teilnahme an der SCO Tagung war Präsident Xi nach Kasachstan gereist, in ein Land, das in deutlicher Distanz zu Russland agiert. Der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte im Juni 2022 auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg klargemacht, dass er Russlands Anerkennung der ostukrainischen Gebiete Lugansk und Donezk ablehnt. Außerdem will sich das Land an die von der EU verhängten Sanktionen halten und der EU sogar angeboten, bei der Energieversorgung zu helfen. Das russische Kriegssymbol „Z“ hatte Tokajew verboten.

In Kasachstan hatte Präsident Xi 2013 seine „Neue Seidenstraße Initiative“ verkündet. Das Land ist wegen seiner Rohstoffe und Sicherheitsfragen um die angrenzende Region Xinjiang, wo China gegen die Uguren und andere muslimische Volksgruppen vorgeht, für Peking ein bedeutender  Nachbarstaat.

Auf der Konferenz in Samarkand führte Xi wichtige bilaterale Gespräche, hielt aber auch eine Rede vor dem Plenum.

Darin forderte er die Mitglieder der SCO auf, ihre Zusammenarbeit zu verstärken und rief die Länder dazu auf, ihre gegenseitigen Kerninteressen und gewählten Entwicklungspfade zu respektieren. Xi Jinping sprach sich für das Prinzip der Gleichbehandlung aus: „Die Großen dürfen nicht die Kleinen schikanieren, die Starken nicht die Schwachen“. Gegenwärtig sei die Welt alles andere als friedlich. Das Ringen zwischen Einheit und Spaltung, Zusammenarbeit und Konfrontation werde stärker. Er rief die Mitgliedsstaaten auf, ihre Sicherheitskooperation auszubauen. Terroristischen und extremistischen Kräften sollte die Möglichkeit genommen werden, die regionale Sicherheit zu stören. Xi forderte die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs auf, sich dafür einzusetzen, dass sich „die internationale Ordnung in eine gerechtere und vernünftigere Richtung entwickelt“. Er warnte zudem vor Volksaufständen und Einmischung aus dem Ausland. „Wir müssen ausländische Kräfte daran hindern, ‚Farbenrevolutionen‘ anzuzetteln“.

Es sei an der Zeit, die internationale Ordnung neu zu gestalten und das „Nullsummenspiel und die Blockpolitik aufzugeben“.

Der Handel müsse unterstützt und erleichtert werden. Zugleich warb Xi Jinping für die Infrastruktur-Initiative zum Bau einer „neuen Seidenstraße“. Er rief die Mitglieder der Organisation auf zum Kampf gegen den Drogenschmuggel, andere grenzüberschreitende Verbrechen und die „drei bösen Kräfte“ auf: Terrorismus, Separatismus und religiösen Extremismus. China sei bereit, 2.000 Strafverfolgungsbeamte aus den SCO Mitgliedsstaaten auszubilden und ein Trainingszentrum für den Anti-Terror-Kampf einzurichten

Um der Not in der Welt zu begegnen, werde China bedürftigen Entwicklungsländern Nahrung und humanitäre Hilfsgüter im Wert von 1,5 Milliarden Yuan, umgerechnet 214 Millionen Euro, zur Verfügung stellen, kündigte Xi Jinping ferner an.

In seiner Rede sagte Xi Jinping weiter, dass die SCO-Organisation ausgebaut und verbessert werden sollte. Weitere Länder sollten ihr beitreten.

Das chinesisch-russische Verhältnis

Das sicherlich wesentlichste bilaterale Gespräch auf dieser Konferenz fand zwischen Präsident Xi und seinem russischen Amtskollegen Putin statt, bei dem Xi den russischen Präsidenten „einen alten Freund“ nannte. Parallel zur SCO Konferenz fand im Pazifik ein gemeinsames Manöver Chinas und Russlands statt.

Im Vorfeld des Gipfels hatte Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping die »umfassende strategische Partnerschaft« mit Russland gelobt, die sich nach seiner Sichtweise auf dem richtigen Weg befände und nicht nur den Menschen beider Länder, sondern auch Frieden, Stabilität und Wohlstand in der Region diene, wie die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zitierte. China hatte sich in den vergangenen Monaten bezüglich der Haltung zum Ukraine-Krieg und – im Gegensatz zum Westen- diplomatischer Mittel bedient. Zum einen vermied die Volksrepublik Kritik an Russland und bezeichnete den Krieg in der Ukraine nicht als solchen, zum anderen hielt sie sich aber betont zurück, was als eine direkte Unterstützung Russlands hätte interpretiert werden können. Peking rief alle Beteiligten zu einer Einstellung der Feindseligkeiten auf, statt durch Waffengewalt solle durch Dialog ein Weg gefunden werden, der die »legitimen Sicherheitsinteressen« aller Konfliktparteien aufeinander abstimme, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning: »Die internationale Gemeinschaft sollte auch daran arbeiten, die Bedingungen und den Raum dafür zu ermöglichen.«

Xi und Putin hatten sich zum letzten Mal persönlich am Rand der olympischen Winterspiele in Peking getroffen. Damals hatte Xi dem russischen Präsidenten „grenzenlose Partnerschaft“ versprochen. Bei einem kürzlichen Besuch in Moskau sagte der chinesische Parlamentschef Li Zhanshu, Pekings protokollarische Nr. 3, China unterstütze Russlands Interessen, „insbesondere in der Lage in der Ukraine.“. Russland habe in der Ukraine „zum Schutz seiner nationalen Interessen zurückgeschlagen.“ Peking gibt Moskau im Ukraine-Krieg Rückendeckung, hat ihn nie offiziell verurteilt. und stellt die USA und die NATO als die Hauptschuldigen dar. Im Gegenzug positioniert sich Russland in der Taiwan-Frage hinter China.

Zu Beginn des bilateralen Treffens erwähnte der chinesische Präsident den Krieg in der Ukraine überhaupt nicht. Im späteren Verlauf des Gespräches wurde das Thema natürlich behandelt, wobei Xi mit Rücksicht auf Putin, wie bereits erwähnt, den Begriff „Krieg“ nicht gebrauchte. Über eine mögliche militärische Unterstützung wurde nicht gesprochen. Präsident Putin hob die ausgewogene Position Chinas zur Situation in der Ukraine ausdrücklich hervor und sagte wörtlich: „We highly appreciate the balanced position of our Chinese friends in connection with the Ukrainian crisis. We understand your questions and concerns in this regard.” (“Wir schätzen die ausgewogene Haltung unserer chinesischen Freunde in der Ukraine-Krise. Er verstehe jedoch auch Xis „diesbezügliche Fragen und Bedenken.“)

Russland und China pflegen offensichtlich eine „Win-Win-Partnerschaft“. China kompensiert für Russland einige westliche Sanktionen durch Lieferung dringend benötigter Komponenten, wie z.B. Mikrochips. Im Gegenzug exportiert Russland Gas und Öl zu günstigen Konditionen nach China. Am Rande der Tagung erklärte der russische Energieminister Alexander Nowak in diesem Zusammenhang die aktuellsten Entwicklungen im Gas-Export nach China.

Durch „Kraft Sibirien 1“ fließt bereits seit 2019 Gas von Jakutien nach China. Die Pipeline soll bis 2024 ihre volle Kapazität erreichen. Dann sollen 61 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr durch diese Leitung fließen, 38 Milliarden Kubikmeter davon nach China.

Jetzt will Russland zusätzlich das Erdgas, das es bislang nach Europa verkauft hat, künftig nach China leiten. Es handelt sich dabei jährlich um 50 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Verträge würden in Kürze unterzeichnet. Die geplante Pipeline „Kraft Sibiriens 2“ werde dabei die Ostseepipeline „Nord Stream 2“ ersetzen. 

Der russische Energieminister kündigte zudem den Bau einer weiteren Leitung in den Norden Chinas an. Sie solle in Wladiwostok starten und etwa zehn Milliarden Kubikmeter Gas nach China bringen.

In den erst 8 Monaten 2022 ist der Warenhandel zwischen China und Russland auf knapp 120 Milliarden Dollar gestiegen; im gesamten Jahr 2021 waren es 150 Milliarden. China bezahlt Russland teilweise in chinesischer Währung, dem Yuan

Nach dem Treffen der beiden Staatschefs veröffentlichte China ein Statement, in dem es u.a. hieß:“ China is ready to work with Russia in extending strong support to eachother on issues conerning their respective core interests.” (China ist im gegenseitigen Interesse zur Unterstützung in besonders wichtigen Gebieten bereit“)

Das Statement wurde vermutlich auch deshalb eher allgemein gehalten, weil Russland nur 2,4% des chinesischen Außenhandels ausmacht, aber der Export in die USA bei 12,5% liegt….

Das chinesisch-indische Verhältnis

Der chinesische Präsident führte auch ein bilaterales Gespräch mit dem indischen Regierungschef Narenda Modi. Es war das erste Zusammentreffen der beiden seit der Kämpfe zwischen Soldaten der beiden Länder an der strittigen Grenze um das Gebiet Ladakh im Himalaja im Jahr 2020.Aktuell herrscht offensichtlich Ruhe in diesem Gebiet. Am 12. September diesen Jahres hatte das indische Außenministerium erklärt, dass sich die indischen und chinesischen Soldaten aus dem Grenzbereich zurückziehen würden, was auch am 13. September 2022 geschehen ist und von China bestätigt wurde.

Erstmalig hatten sich Xi und Modi auf der Konferenz der BRICS-Staaten 2019 in Brasilia getroffen.

Indien und China haben zusammen 2,8 Milliarden Einwohner. Nach einem Bericht des Internationalen Währungsfond hat die indische Wirtschaft Groß Britannien mittlerweile überholt und liegt derzeit auf Platz 5 der Weltwirtschaftsmächte. Die USA stehen immer noch auf Platz 1, gefolgt von China auf Platz 2, Japan auf Platz 3 und Deutschland auf Platz 4.

Es gibt mittlerweile zunehmende wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern. So ist z.B. der indische Smartphon Markt fest in chinesischer Hand.

Das chinesisch-pakistanische Verhältnis

Bei seinem bilateralen Treffen mit dem pakistanischen Regierungschef Shehbaz Sharif erklärte Präsident Xi, trotz der Veränderungen in der internationalen Situation seien „China und Pakistan strategische Partner mit gegenseitigem Vertrauen“.

Beide Seiten sollten ihre gegenseitige Unterstützung kontinuierlich festigen und die Verbindung ihrer Entwicklungsstrategien vertiefen. In diesem Zusammenhang solle die Rolle des gemeinsamen Komitees des bilateralen Wirtschaftskorridors völlig zur Geltung gebracht werden, um einen zügigen Aufbau und Betrieb der Großprojekte zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit bei Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technologie sowie Gesellschaft solle ausgebaut werden, um dem Wirtschaftskorridor neue Impulse zu verleihen Pakistan solle die Sicherheit der chinesischen Bürger und Institutionen gewährleisten sowie die legitime Rechte und Interessen der Unternehmen garantieren. Zudem sollten beide Seiten die Konsultationen und die Koordinierung bei multilateralen Plattformen wie den Vereinten Nationen und der SCO verstärken sowie die gerechte Stimme der Entwicklungsländer zur Ablehnung von Blockkonfrontation und der Wahrung des Multilateralismus verkörpern, so der chinesische Staatspräsident.

Russland

Nach dem chinesischen Präsidenten Xi war der russische Präsident Putin sicherlich der wichtigste Teilnehmer der Konferenz.

In seiner Rede im Plenum trat Präsident Putin, wie zuvor schon der chinesische Präsident, für eine neue multipolare Weltordnung ein. Putin sagte u.a. wörtlich: „Die wachsende Rolle neuer Machtzentren, die miteinander kooperieren, wird immer deutlicher.“ Zugleich verurteilte er „Instrumente des Protektionismus, illegale Sanktionen und wirtschaftlichen Egoismus“. Putin rühmte den wachsenden Einfluss nicht westlicher Länder. Die SCO sei heute die größte regionale Organisation und offen für neue Mitglieder. Er warf dem Westen einmal mehr Fehler vor und sagte, dass die Welt eine Transformation durchmache, die „unumkehrbar“ sei.

Putin kritisierte die gegen Russland verhängten Sanktionen: Er unterstrich auch, dass diese verhindern würden, dass sich Russland aktiv an der Lösung weltweiter Probleme beteiligen könnte. Er rief vor allem die UN dazu auf, mit der Europäischen Union in den Dialog zu treten: „Ich habe Herrn Guterres vorgestern mitgeteilt, dass sich in den Seehäfen der Europäischen Union 300.000 Tonnen russischer Düngemittel angesammelt haben. Wir sind bereit, sie kostenlos in Entwicklungsländer zu schicken. Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass Russland die Getreideexporte auf die Weltmärkte erhöht.“

Bei seiner Pressekonferenz zum Abschluss des Gipfels kündigte der russische Präsident weitere Angriffe in der Ostukraine mit den Worten an. „Unsere Offensivoperationen im Donbass werden nicht ausgesetzt, sie gehen in geringem Tempo voran“.

Das russisch- indische Verhältnis

Wie der chinesische Präsident, so führte auch Präsident Putin bilaterale Gespräche, über die allerdings nur eingeschränkt berichtet wurde. Neben dem indischen Premier und dem türkischen Präsidenten gab es auch Treffen zwischen Putin und seinen Kollegen aus dem Iran und aus Pakistan.

Präsident Putin traf den indischen Premier Modi zu einem bilateralen Gespräch. Indiens ist mittlerweile der größte Ölkunde Russlands, und es ist bekannt, dass Indien das zu einem „Freundschaftspreis“ gekaufte russische Öl mit erheblichem Gewinn auf dem Weltmarkt weiterverkauft und so auch z.T. das gegen Russland verhängte Embargo unterläuft. Viele Düngemittel Indiens stammen ebenfalls aus Russland, und die indische Armee ist zu 60% mit russischen Waffensystemen ausgerüstet. Trotzdem erlaubte sich der indische Premier Kritik am russischen Präsidenten. Zur Situation in der Ukraine sagte der indische Premier nach einem Bericht des indischen Senders „Doordashan“. jetztsei „nicht die Zeit für einen Krieg“, Modi forderte zwar ein Ende der Kampfhandlungen, aber seine Regierung scheute bislang davor zurück, den russischen Einmarsch in die Ukraine zu verurteilen.

Putin erwiderte, Russland werde sein „Bestes tun, um die Spezialoperation so schnell wie möglich zu beenden„.

Das russisch-iranische Verhältnis

Durch die Aufnahme des Iran als Vollmitglied der SCO wurde nicht nur die Position des Irans, sondern auch die Bedeutung der Organisation deutlich gestärkt.

Irans Präsident Ebrahim Raisi sagte, Iran wolle mit der Mitgliedschaft Teil einer fairen und ausgewogenen Weltordnung sein. Den USA machte Raisi gleichzeitig schwere Vorwürfe, indem er sagte: „Unsere Region hat in den vergangenen Jahrzehnten den bitteren Geschmack ausländischer Interventionen gekostet – und das Resultat war nichts als die Erschaffung von Terrorismus und Verbreitung von Unsicherheit.“ Der Iran sei bereit, eine wirksame Rolle bei der Sicherstellung der Energieversorgung einzunehmen.

Es ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ausgebaut werden und die militärische Zusammenarbeit verstärkt wird.So wuchs z.B. nach Moskauer Angaben der Handel zwischen Russland und dem Iran im ersten Halbjahr um 40%. Politisch und auch militärisch steht der Iran an der Seite Russlands, auch im Krieg gegen die Ukraine. Immer wieder wird berichtet, der Iran liefere Drohnen an Russland.

Die Türkei

Die Türkei will nach Angaben von Präsident Recep Tayyip Erdogan der SCO beitreten. Der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge sagte Erdogan nach dem Gipfeltreffen der Organisation im usbekischen Samarkand, die Türkei wolle bei dem Treffen im kommenden Jahr eine Mitgliedschaft erörtern. Sein Land habe „historische und kulturelle“ Verbindungen zum asiatischen Kontinent und wolle eine Rolle in der Organisation spielen, deren Mitglieder zusammen “ 30 Prozent der Weltwirtschaftsleistung“ ausmachten.

Im Fall eines Beitritts wäre die Türkei das erste Mitglied der Gruppe, das gleichzeitig auch der NATO angehört.

Erdogan wirft der NATO und der EU mangelnde Unterstützung seines Landes vor, vor allem die Beziehungen zum EU-Nachbarn Griechenland sind angespannt.

Das russisch-türkische Verhältnis

Das Gespräch zwischen den beiden Präsidenten fand erst nach Abschluss der Konferenz statt.

Der türkische Präsident Erdogan verurteilt zwar den russischen Angriff auf die Ukraine, lehnt aber die Sanktionen gegen Russland ab, weil er Europa und den USA eine Mitschuld an der Eskalation gibt. Erdogan machte bei seinem Gespräch in Samarkand keinen Hehl daraus, die Zusammenarbeit mit Russland zu vertiefen. Die türkischen Ausfuhren nach Russland legten im August 2022 trotz der Sanktionen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 90% zu, wie aus den Zahlen des türkischen Exporteur Verbandes „TIM“ hervorgeht; Tendenz weiter steigend. Ein Thema des Gesprächs zwischen Putin und Erdogan war das Getreideabkommen. Putin bedankte sich für die Vermittlung der Türkei beim Abschluss der Vereinbarung und lobte Ankara als einen seiner zuverlässigsten Handelspartner. Das Abkommen müsse aber nachgebessert werden, weil zu wenig Schiffsladungen in die Länder gehen, in denen die Bevölkerung Hunger leidet. Erdogan hatte dem zugestimmt. Der türkische Präsident bekundete einmal mehr seinen Willen, bei der Ausfuhr ukrainischen Getreides zu vermitteln – denn das bereits bestehende Abkommen läuft nur noch bis Ende Oktober. „Wir führen eine sehr produktive Zusammenarbeit mit interessierten Parteien und den UN, um den Export von ukrainischem Getreide durch das Schwarze Meer sicherzustellen. Wir bemühen uns, darauf zu achten, dass das ukrainische Getreide unsere Brüder und Schwestern erreicht – vor allem in Afrika und besonders diejenigen, die es dringend brauchen“, sagte Erdogan.

Auch der russische Gasexport wurde besprochen.

Erdogan forderte- in gewisser Weise analog zum Getreideabkommen – eine Zusammenarbeit mit der UNO, um den Krieg zu beenden.

The „Samarkand Declaration of the Council of Heads of States of the SCO”

In der Schlußerklärung der 22. Konferenz der SCO auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs wurde u.a.  festgehalten, dass die Welt vor großen Herausforderungen und auch Änderungen steht, denen nur mit einer multipolaren und demokratischen neuen Ordnung begegnet werden kann. Auf diesem Weg muss jedem Land seine nationale Souveränität, seine Unabhängigkeit und territoriale Integrität zugesichert werden. Jedes Land hat das Recht auf seinen eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Weg, um dieses Ziel zu erreichen.

Eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes wird abgelehnt, und Konflikte sollen politisch und auf diplomatischem Wege gelöst werden. Terrorismus. Separatismus und Extremismus werden verurteilt, und eine weltweite Abschaffung aller Nuklearwaffen wird gefordert 

Bewertung

Nach der 10. Internationalen Moskauer Sicherheitskonferenz vom 16. – 18. August 2022, der Übung „Wostock22“ vom 01. -05. September 2022 im Osten Russlands und dem „Eastern Economic Forum“ vom 05. – 08. September 2022 in Wladiwostok, ist das Treffen der Staats- und Regierungschefs der SCO am 15./16. September 2022 in Samarkand bereits das 4. Treffen, an dem neben Russland und einigen asiatischen Ländern auch die beiden globalen Schwergewichte China und Indien teilgenommen haben Zählt man das 14. Treffen der BRICS Staaten,  Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika dazu, das am 23.06.2022 in Brasilia – allerdings nur virtuell- ausgetragen wurde, sind es in diesem Jahr bereits fünf Zusammenkünfte, an denen sich mit China, Indien und Russland die drei Schwergewichte im indisch-pazifischen Raum getroffen haben. Nimmt man noch das Treffen der Außenminister der SCO vom 29./30. Juli 2022 in Taschkent dazu, sind es bereits fünf Meetings gewesen, an denen die Staaten teilgenommen haben, die zukünftig den Kern einer neuen multilateralen Weltordnung bilden könnten.

Der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Staatschef Xi Jinping haben auf dem Gipfeltreffen der SCO erneut eine grundsätzliche  Einigkeit demonstriert, der sich Indien und Iran unter Berücksichtigung ihrer nationalen Interessen offensichtlich anschließen. Damit ist ein Machtblock entstanden, den „der Westen“ nicht länger ignorieren sollte und nicht darf, weil sich dadurch die Weltordnung insgesamt ändert und zwar zu Ungunsten der USA und Europas. Natürlich gibt es innerhalb der SCO und den ihr nahestehenden Staaten auch Differenzen, die aber offensichtlich nicht unüberbrückbar sind, weil die SCO letztlich, wie auch die EU, eine Zweckgemeinschaft ist.  So gibt es immer wieder auch militärische Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan oder auch Kämpfe zwischen Armenien und Aserbeidschan. Vor allem muss klar festgestellt werden, dass einige Aussagen Chinas und Russlands und auch Passagen in der Schlusserklärung von Samarkand offensichtlich nur Lippenbekenntnisse sind. Das gilt besonders für die Statements, dass man die Souveränität und territoriale Integrität anderer Länder respektiert und sich nicht in deren innere Angelegenheiten einmischt. Das genaue Gegenteil ist aktuell zwischen Russland und der Ukraine der Fall, und auch die chinesische Position gegenüber Taiwan ist mit diesen Grundsätzen unvereinbar.

Unabhängig davon sollten die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Gipfeltreffen der SCO für die Politiker „des Westens“ sein:

  • Es gibt keinen grundsätzlichen Keil zwischen China und Russland
  • Russland ist in der Welt nicht isoliert
  • Der Iran orientiert sich offensichtlich endgültig weg vom „Westen“
  • Die Türkei hält sich hinsichtlich ihrer zukünftigen Positionierung weiterhin alle Optionen offen
  • Indien wird immer mehr zu einem globalen Player mit einer Präferenz für China und Russland, aber hält sich „die westliche Option“ weiterhin offen.
  • Mehrere arabische Staaten signalisieren eine mögliche Neuorientierung und zwar weg vom „Westen“
  • Eine ähnliche Entwicklung ist für einige afrikanischen Länder zu beobachten
  • Afghanistan ist fest im Blick der SCO
  • Die Welt entwickelt sich wieder in zwei Blöcke, aber nicht wie im Kalten Krieg, sondern in Länder, die dem unilateralen Kurs der USA folgen und solchen, die auf eine neue multipolare Weltordnung setzen. Das gilt für den sicherheitspolitischen Bereich ebenso wie für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung

Aus meiner Sicht ist leider nicht zu erkennen, ob die westlichen Politiker diese für die USA und vor allem für Europa negativen Entwicklungen erkannt haben und wie man ihnen politisch und wirtschaftlich entgegentreten will.

Greven, 18. September 2022

Jürgen Hübschen

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Rot-Grün- Gelb:  Eine Regierungskoalition ohne sicherheitspolitisches Konzept für den Krieg in der Ukraine 

Vorbemerkung

In der Bild am Sonntag vom 27. August 2022 erklärte Außenministerin Baerbock zum Krieg in der Ukraine: „Natürlich würde ich mir wünschen, dass der Krieg schnellstmöglich vorbei ist, aber wir müssen leider davon ausgehen, dass die Ukraine auch im nächsten Sommer noch neue schwere Waffen von ihren Freunden braucht. Für mich ist klar: Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung, und wir unterstützen sie finanziell und militärisch-und zwar so lange es nötig ist. Punkt.“ Die Welt müsse sich „darauf einstellen, dass dieser Krieg noch Jahre dauern könnte.“ Schließlich habe die russische Regierung leider „von ihrer fixen Idee, die Ukraine und ihre Menschen zu unterwerfen, nicht abgelassen.“

Der nachfolgende Artikel beschäftigt sich mit der Frage, welches oder ob überhaupt ein sicherheitspolitisches Konzept hinter der Formulierung „Unterstützung solange es nötig ist.“ steckt und ob in der Ukraine wirklich auch unsere Freiheit verteidigt wird.

Das sicherheitspolitische „Konzept“ der Bundesregierung

Frau Baerbock bleibt mit ihrer Aussage der Linie der G 7 Staaten treu, die in der Abschlusserklärung ihres Gipfels am 28. Juni 2022 formuliert hatten, die G-7 würden der Ukraine zur Seite stehen und die erforderliche finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung für die mutige Verteidigung ihrer Souveränität und territorialen Integrität bereitstellen, so lange wie nötig.

Was diese Formulierung „so lange wie nötig“ konkret  bedeutet,  hatten die Staats- und Regierungschefs der G-7 Staaten nicht gesagt und Frau Baerbock hat diese „Worthülse“ in bewährter populistischer Manier übernommen.

Steckt dahinter ein sicherheitspolitisches Konzept der Bundesregierung, das den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes vielleicht bislang verborgen geblieben ist?

Auch ich kann es nur vermuten und einige Interpretationsmöglichkeiten dieses „So lange wie nötig“ anbieten:

Option 1: So lange bis die russischen Streitkräfte sich vollständig aus der Ukraine zurückgezogen haben. Wer das für realistisch hält, dem ist die militärische Entwicklung in der Ukraine verborgen geblieben. Russland hat bis jetzt bereits etwa 20% der Ukraine besetzt und lässt nicht erkennen, diese Gebiete wieder zu räumen. Wer sollte mit welchen Mitteln Moskau zu diesem Rückzug zwingen oder warum sollte Moskau von sich aus die eroberten Gebiete wieder räumen?  Mit Sanktionen allein wird man das nicht erreichen.

Option 2: So lange, bis Präsident Selensky erklärt, die Ukraine brauche keine militärische Unterstützung des Westens mehr? Ohne die Lieferung westlicher Waffen und vor allem auch ohne westliche Aufklärung über russische Positionen hätte die Ukraine schon längst ihre vollständige Niederlage eingestehen müssen. Die ukrainischen Verluste an Soldaten und militärischem Material erhöhen die russische Überlegenheit von Tag zu Tag, aber Präsident Selensky wird weiterhin die massive finanzielle und materielle Unterstützung fordern und seinen völlig unrealistischen Plan, alle besetzten Gebiete, einschließlich der Krim zurückzuerobern, niemals aufgeben, weil das letztlich das Eingeständnis der ukrainischen Niederlage wäre.

Option 3: So lange, bis die Ukraine den Krieg gewonnen hat?  Diese Überlegung entbehrt jeder Grundlage, weil die Ukraine überhaupt keine Chance hat, diesen Krieg zu gewinnen. Sie kann ihre Niederlange mit westlicher Unterstützung hinauszögern unter Inkaufnahme weiterer toter Soldaten und Zivilisten und einer ständig zunehmenden Zerstörung des eigenen Landes.

Option 4: So lange, bis die Ukraine wiederaufgebaut ist? Das ist ein Fass ohne Boden. Da sollten wir erst einmal in Deutschland u.a. alle maroden Autobahnbrücken instandsetzen und Präsident Selensky seine Oligarchen in die Pflicht nehmen. Russland dürfte sich – falls überhaupt – wohl nur im Rahmen eines Friedensvertrages daran beteiligen.

Option 5: So lange, bis die USA ihre Unterstützung aus innenpolitischen Erwägungen eingestellt haben? Das könnte durchaus passieren, falls der Krieg in der Ukraine und die Sanktionspolitik gegenüber Russland innenpolitisch ein Grund dafür würden, dass die Demokraten die Midterm-Elections im November 2022 verlieren könnten. Allerdings würden Washingtons Verbündete im Vorfeld darüber nicht informiert. Aktuelles Beispiel dafür ist das plötzliche Endes des amerikanischen Engagements in Afghanistan Ende August 2021. Im Falle eines amerikanischen Aussteigens aus der Unterstützung der Ukraine, könnte das von den Europäern militärisch nicht kompensiert werden, die aber auf den Kosten für den Wiederaufbau sitzen bleiben würden. Das könnte allerdings auch ohne den „Rückzug“ der USA passieren!!

Option 6: So lange bis die westlichen Verbündeten keine Waffen mehr liefern können/wollen, ohne die eigene Verteidigungsfähigkeit zu schwächen? Dieses Problem könnte in Deutschland zwar bald relevant werden, aber leider ist nicht auszuschließen, dass die Regierungskoalition das billigend in Kauf nimmt. Deshalb, so fürchte ich, ist das kein relevantes Thema. Deutschland würde in einem solchen Fall von der Ukraine und auch unseren Verbündeten moralisch so unter Druck gesetzt werden, dass man eher die eigene Verteidigungsfähigkeit schwächt als die militärische Unterstützung der Ukraine einzustellen. Der letzte Vorschlag von Friedrich Merz, der Ukraine Leopard 2 Panzer zu liefern, geht genau in diese Richtung.

Option 7: So lange bis es in Deutschland zu so starken sozialen Verwerfungen und innenpolitischen Spannungen kommt, dass der Regierungskoalition der Machtverlust droht? Das kann für den Herbst nicht ausgeschlossen werden, sollte die zunehmende soziale Schieflage von der Regierung nicht abgefedert werden. Die aktuelle Teuerungsrate, Tendenz steigend, verbunden mit den Einschränkungen in der persönlichen „Wohlfühlblase“ werden von großen Teilen der Bevölkerung nicht „so lange wie nötig“ akzeptiert werden. Es wird dazu kommen, dass die Finanzierung des Eigenheims nicht mehr gestemmt werden kann oder Betriebe wegen der immensen Energiekosten Konkurs anmelden müssen. Diese Entwicklung könnte ein Ende des „so lange wie nötig“ bedeuten, weil den Bürgerinnen und Bürgern letztlich das eigene Hemd näher ist als die unbegrenzte finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine, für die unsere Regierung noch immer kein politisches Konzept erkennen lässt.

Option 8: so lange bis es einen Friedensvertrag gibt? Das offensichtlich auch keine konkrete Möglichkeit, weil die deutsche Außenministerin sagt: „Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Ukraine auch im nächsten Sommer noch neue schwere Waffen von ihren Freunden braucht.“ Zu Verhandlungen, diplomatischem Engagement, Ausloten eines Waffenstillstands oder gar Überlegungen zu einem Friedenvertrag äußert sie sich nicht, und es gibt ja auch bislang überhaupt keine nennenswerten diesbezüglichen Initiativen.

Man könnte sicherlich noch weitere theoretische Optionen aufzeigen, ohne zu erfahren, was „so lange wie nötig“ wirklich bedeutet.

Wird in der Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt?

Niemand weiß, was in der Ukraine tatsächlich passiert, weil, wie in jedem Krieg von allen Beteiligten die Wahrheit durch Propaganda ersetzt wird.

Deshalb stellt sich die grundsätzliche Frage, ob in der Ukraine wirklich auch die Freiheit der Bundesrepublik Deutschlands und unsere Friedensordnung verteidigt wird, wie es Frau Baerbock in Prag erneut gesagt hat.

Von dem damaligen Verteidigungsminister Peter Struck, wurde im Vorfeld der im Mai 2003 in Kraft gesetzten neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR)“ der Satz geprägt:

 „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.

Deshalb hatte Deutschland für fast 20 Jahre eigene Soldaten nach Afghanistan geschickt, von denen fast 60 ihr Leben verloren haben, viele andere verwundet wurden und Tausende traumatisiert nach Hause zurückgekehrt sind. Im August 2021 wurde der von den USA geführte Einsatz abrupt beendet und muss heute insgesamt als gescheitert angesehen werden. Im Umkehrschluss zur Aussage von Peter Struck müssten wir also heute konstatieren, dass wir mit der Niederlage der Alliierten unsere Freiheit am Hindukusch verloren haben. Gott sei Dank ist das nicht der Fall, und damit steht fest, dass die Aussage des damaligen Verteidigungsministers unzutreffend war. Deutschland hat am Hindukusch seine Freiheit nicht verteidigt, sondern ist mit dem Versuch gescheitert, den Afghanen eine aus unserer Sicht bessere Zukunft zu ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich heute die Frage, ob Außenministerin Baerbock mit ihrer Aussage „Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung,“ Recht hat. Meine Antwort ist ein klares „NEIN“. Frau Baerbocks Argument ist nichts anderes als eine nicht überzeugende und letztlich auch unehrliche Begründung für eine grundlegend falsche Politik. In Afghanistan hat man diese unzutreffende Aussage immerhin mit dem Einsatz eigener Soldaten zu begründen versucht. In der Ukraine ist nicht einmal das der Fall. Sollte in der Ukraine wirklich auch unsere Freiheit verteidigt werden, wäre es geradezu verwerflich, ausschließlich ukrainische Soldaten damit zu beauftragen. Wir unterstützen die Ukraine finanziell  und mit militärischen Gerät und bilden zusätzlich ukrainische Soldaten an den Waffen aus, die wir liefern. Im Gegenzug bezahlt die Ukraine mit dem Leben und der Gesundheit ihrer Soldaten und der Zivilbevölkerung, mit Flucht und Vertreibung ihrer Bürgerinnen und Bürger, der Zukunft ihrer Kinder und der Zerstörung ihres Landes. Ist das „die Geschäftsgrundlage“, also das sicherheitspolitische Konzept der Bundesregierung in diesem Krieg? Wenn das nicht zynisch ist, in diesem Zusammenhang auch von der Verteidigung unserer Freiheit zu sprechen, was dann?

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador, hat diese von ihm abgelehnte Vorgehensweise in einem einfachen Satz zusammengefasst: “We provide the weapons, you provide the corpses!” (Wir liefern die Waffen und ihr die Truppen)

Wenn wir wirklich durch den Krieg in der Ukraine unsere Freiheit bedroht sähen, dann könnte die politische Entscheidung nur lauten, Bundeswehrsoldaten mit den Waffen, an denen sie ausgebildet wurden, Seite an Seite mit ihren ukrainischen Kameraden in den Kampf gegen die Russen zu schicken. Dann wäre Deutschland und damit auch die NATO im Krieg gegen Russland, was –streng juristisch gesehen- nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages allerdings bereits der Fall ist, seitdem ukrainische Soldaten in Deutschland an den Waffen ausgebildet werden, die in die Ukraine geliefert werden.

Nein, Deutschlands Freiheit wird nicht in der Ukraine verteidigt, sondern hier handelt es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland, der – völkerrechtlich gesehen – von Präsident Putin begonnen wurde, aber eine Vorgeschichte mit einer westlichen Mitverantwortung hat.

Oleksei Arestovich, ein Berater und Sprecher des ukrainischen Präsidenten Selensky, hat gesagt, dass ein ukrainischer Sieg über Russland, Kiews Eintrittskarte in die NATO wäre. Deshalb habe man die Ukraine zu einer Offensive im Donbass gedrängt, um Russland zu den Reaktionen zu zwingen, die Sanktionen des Westens zur Folge hätten. Dieses Vorgehen nannte der ehemalige Schweizer Oberst im Generalstab, Jacques Baud, in einem aktuellen Interview: „Das ist zynisch und zeigt, wie sehr der Westen unter Führung der USA die Ukraine missbraucht hat für seine eigenen Zwecke/Ziele“. („ This is cynical and shows how much the West- led by the Americans- has misused Ukraine for its own objectives. “)Das Ergebnis ist, dass die Ukraine nicht nach einem eigenen Sieg strebt, sondern nach der Niederlage Russlands.“ (“The result is that the Ukrainians did not seek Ukraine´s victory, but Russia´s defeat.”) Darin sieht Baud auch die Begründung, warum dem Angebot von Präsident Selensky an Russland vom März 2022, über die Krim zu verhandeln, von der EU und vom britischen Premierminister Johnson nicht zugestimmt wurde.

Zusammenfassende Bewertung

Frau Baerbock hat ihre Position in einer Podiumsdiskussion nach dem Treffen der EU-Außenminister in Prag noch einmal bekräftigt. Im Rahmen der „26th Forum 2.000 Conference“ in Prag am 31. August 2022 sagte sie u.a.:

„Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: Wir stehen mit Euch zusammen, so lange, wie ihr uns braucht., dann will ich das auch einhalten, egal, was meine deutschen Wähler denken, ich will gegenüber den Ukrainern Wort halten“.

(„ If I give the promise to people in Ukraine: ‘We stand with you as long as you need us.’ Then I want to deliver to the people of Ukraine- no matter what my German voters think, but I want to deliver to the people of Ukraine.”)

Dieses Versprechen würde ihrer Meinung nach auch in 2 Jahren noch gelten, falls der Krieg noch andauern sollte. Wenn man diese Aussage positiv bewerten will, dann hat Frau Baerbock gesagt, dass sie zu diesem Versprechen stehen würde, auch wenn sie das selbst Wählerstimmen kosten sollte. Das wäre ja grundsätzlich aller Ehren wert, wobei das natürlich auch immer Stimmverluste für ihre Partei wären…

Man kann es aber auch sehen als ein Ignorieren der Menschen, die es durch ihre Stimmabgabe erst ermöglicht haben, dass sie Außenministerin geworden ist. Und eine weitere Frage ist, von wem sie das Mandat für so ein Versprechen eigentlich hat. In jedem Fall sind Zweifel berechtigt, ob Frau Baerbock sich mit ihrer Position dem deutschen Volk so verpflichtet sieht, wie sie es in ihrem Amtseid geschworen hat.

Unabhängig davon, bleibt festzustellen, dass sie –ebenso wie der Bundeskanzler- der deutschen Bevölkerung noch immer die Erklärung schuldig ist, was dieses „so lange wie nötig“ wirklich bedeutet und wann es endlich – und zwar auf der Basis einer Entscheidung des Deutschen Bundestages- ein politisches Konzept im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine gibt. Dazu gehört auch eine klare Aussage, was Deutschland eigentlich mit seinem Engagement in der Ukraine erreichen will und warum es neben dem militärischen Engagement noch immer keine vergleichbaren diplomatischen Initiativen gibt. Was ist eigentlich das politische Ziel? Die Verteidigung der deutschen Freiheit ist es sicherlich nicht; denn damit beauftragen wir nicht die ukrainischen Soldaten, sondern unsere Freiheit die schützen und verteidigen wir durch unsere eigenen Streitkräfte im Rahmen der NATO und der EU.

Greven, 03. September 2022

Jürgen Hübschen

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Die 10. Internationale Moskauer Sicherheitskonferenz

Vorbemerkung

Vom 16. – 18. August 2022 fanden in Moskauer „Patriot Park“ die „10.Internationale Moskauer Sicherheitskonferenz“ („10th annual Moscow Conference on International Security“; MCIS) und zeitgleich das „Army International Military-Technical Forum“ und die  „International Army Games“ statt. In den internationalen Medien wurde über diese Veranstaltungen wenig bis gar nicht berichtet. In Deutschland gab es einen Artikel in der Frankfurter Rundschau und jeweils kurze Beiträge im NDR und im DLF.

Der nachfolgende Artikel beschäftigt sich mit der MCIS und den möglichen Ursachen für die eingeschränkte Berichterstattung und das kaum wahrzunehmende politische Interesse, besonders im s.g. „Westen“.

10th annual Moscow Conference on International Security (MCIS) 

Vor Beginn der Konferenz hatte der stellvertretende russische Verteidigungsminister; Generaloberst Alexander Fomin die in Moskau akkreditierten Militärattachés auf die Konferenz hingewiesen und kurz über Inhalt und Ablauf der Konferenz gebrieft. Fomin wörtlich:  “The conference intends to discuss in detail the issues of strategic security stability in Asia-Pacific, Africa, the Middle East, Latin America and the European continent”.

Teilnehmer der Konferenz

Nach offiziellen russischen Angaben nahmen 700 Delegierte aus 70 Ländern teil. Darunter waren 35 Verteidigungsminister, 12 stellvertretende Verteidigungsminister und Repräsentanten von 6 internationalen Organisationen. Die Richtigkeit dieser Aussage konnte nicht überprüft werden. Es wurde keine Teilnehmerliste veröffentlicht, aber aus verschiedenen Quellen konnte man entnehmen, dass mit Sicherheit folgende Länder vertreten waren: Algerien, Äthiopien, Burundi, China, Demokratische Republik Kongo, Guinea, Indien, Irak, Iran, Kambodscha, Kamerun, Mali, Nicaragua, Pakistan, Palästina, Sudan, Südafrika, Syrien, Uganda, Venezuela, Vietnam und Weißrussland.

Es kann angenommen werden, dass auch Vertreter zentralasiatischer Staaten teilgenommen haben, es sei denn, sie fühlten sich durch den Generalsekretär der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) Zhang Ming, der auf der Konferenz auch eine Rede hielt, repräsentiert.

Zur SCO gehören neben Russland: China, Indien, Iran, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan Tadschikistan, und Usbekistan.

Beobachterstatus haben:  Afghanistan, Mongolei und Weißrussland.

S.G. Dialogpartner der SCO sind: Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und die Türkei.

Vertreter westlicher europäischer Staaten nahmen wohl ebenso wenig teil, wie die USA, EU, NATO oder UNO, sonst hätte Moskau das sicherlich herausgestellt.  Es ist auch nicht bekannt, ob weitere Staaten aus Süd- oder Mittelamerika Vertreter geschickt hatten oder noch andere afrikanische Staaten oder Länder der Arabischen Halbinsel an der Konferenz teilgenommen haben.

Warum Moskau von der Veröffentlichung einer Teilnehmerliste Abstand genommen hat, ist nicht bekannt. Ich vermute, dass man darauf verzichtet hat, weil man nicht veröffentlichen wollte, welche Staaten und internationalen Organisationen – im Gegensatz zu den vorherigen Konferenzen- nicht teilgenommen haben.

Ablauf der Konferenz und wesentliche Inhalte einiger Reden und bilateraler Gespräche

Ansprache des russischen Verteidigungsministers

Traditionell wurde die Konferenz vom russischen Verteidigungsminister Armee General Sergei Shoigu eröffnet.

Gleich zu Anfang erklärte der Minister, dass der Beginn der „militärischen Spezialoperation“ („special military operation“) in der Ukraine das Ende der unipolaren Welt markiere. Realität sei nun eine Multipolarität. Diese Aussage Shoigus kennzeichnete die gesamte Konferenz, auch die nachfolgende Rede des russischen Präsidenten., der per Video zugeschaltet wurde und ebenfalls der verschiedenen Teilnehmer, entweder in Grußbotschaften oder umfangreicheren Redebeiträge, auf die im weiteren Verlauf dieses Artikels noch gesondert eingegangen wird.

Shoigu bezeichnete die Sicherheitslage in Europa als schlechter als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Besonders verantwortlich machte er dafür die zusätzlichen Truppenstationierungen der USA und ihrer Verbündeten, die lange vor Beginn der militärischen Spezialoperation in der Ukraine stattgefunden hätten.

Bezogen auf die Ukraine stellte Shoigu grundsätzlich fest, dass es sich letztlich um einen Kreuzzug des Westens gegen Russland handle. Der Minister wörtlich:  “In Ukraine, the Russian military is being confronted by combined Western forces that run the leadership of that country in a hybrid war against Russia.” Russland werde in der Ukraine mit Streitkräften konfrontiert, die vom Westen ausgerüstet, ausgebildet wurden/werden und letztlich auch von der NATO geführt würden. Auch die für die ukrainischen Streitkräfte erforderlich Ausklärung werde von der NATO zur Verfügung gestellt. Shoigu wörtlich: „ Ukrainian armed forces operations are planned in Washington and London.” Die Befürchtungen, dass Russland atomare oder chemische Waffen einsetzen könnte, entbehrten nach seiner Aussage jeder Grundlage. In diesem Zusammenhang erinnerte der Minister daran, dass verschiedene zwischen den USA und Russland geschlossene Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle nicht von Russland, sondern von den USA gekündigt worden seien. Wörtlich nannte er “the US destruction of the Anti-Ballistic Missile Treaty, the Intermediate-Range and Shorter-Range Limitation Treaty and the Open Skies Treaty”.  Die Begründung der „militärischen Spezialoperation“ für einen NATO Beitritt Schwedens und Finnlands hielt Schoigu für vorgeschoben.

Im weiteren Verlauf seiner Rede wies er darauf hin, dass die westliche Ablehnung einer multipolaren Ordnung in und für Europa durch die USA jetzt auch in der „Asia-Pacific Region“ vorangetrieben würde. Für die zunehmende Instabilität in diesem Raum machte Shoigu den plötzlichen Rückzug der USA aus Afghanistan mitverantwortlich. In Bezug auf Afrika warf der Minister dem Westen „Neo-Kolonialismus“ und den Boykott einer multipolaren Welt vor. Die afrikanischen Länder und ihre Führer wollten „ their own agenda of independence, sovereignty, economic development and defence capabilities.”  Auch im Hinblick auf Südamerika unterstellte Shoigu den USA, ihren Einfluss auszuweiten.

Am Ende seiner Rede bedankte sich Shoigu bei den Gästen dafür, dass sie trotz des Versuchs Washingtons und der NATO, Russland zu isolieren, an der Konferenz teilnahmen. Der Minister wörtlich: “Despite attempts of the US and NATO to isolate Russia once again, your participation in the forum is a visible confirmation that these plans have collapsed. We appreciate your support.”

Ansprache des russischen Präsidenten Vladimir Putin

Im Anschluss an die Rede seines Verteidigungsministers wandte sich der russische Präsident per Video Schalte an die Konferenzteilnehmer.

Auch Präsident Putin begann seine Rede damit, dass die Zeiten einer unipolaren Welt endgültig vorbei seien und meinte damit eine Welt unter der Hegemonie der USA.„The era of the unipolar world is becoming a thing of the past. “ Um diese Änderung der Weltordnung zu erreichen, habe Russland seine „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine gestartet. Nach seiner Aussage stünde diese Operation nicht im Gegensatz zur Charta der Vereinten Nationen, weil sie der Sicherheit Russlands und seiner Bürger diene und dem Schutz der Einwohner des Donbass vor einem Völkermord. Präsident Putin wörtlich: “We have taken the decision to conduct a special military operation in Ukraine, a decision which is in full conformity with the Charter of the United Nations. It has been clearly spelled out that the aims of this operation are to ensure the security of Russia and its citizens and protect the residents of Donbass from genocide.”

Den USA warf der Präsident vor, überall in Asien, Afrika und Latein-Amerika Unruhe zu stiften und die Länder zu destabilisieren. Als jüngstes Beispiel dafür nannte er die Besuche amerikanischer Politiker in Taiwan. Putin wörtlich: „ The US escapade towards Taiwan is not just a voyage by an irresponsible politician, but part of the purpose-oriented and deliberate US strategy designed to destabilize the situation and sow chaos in the region and the world.”

Die westlichen “Globalisten” versuchten durch ihre außenpolitischen Aktivitäten von ihren innenpolitischen Problemen, wie sinkendem Lebensstandard, Arbeitslosigkeit, Armut und Deindustrialisierung abzulenken und die Schuld dafür auf China und Russland abzuwälzen.

Außerdem versuche der Westen, wie in Europa mit Hilfe der NATO, seine politischen „Block-Vorstellungen“ auf die asiatisch-pazifische Region zu übertragen und „I reiterate that the era of the unipolar world is becoming a thing of the past.“.

Zum Abschluss seiner Rede folgte eine Feststellung, die vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine geradezu zynisch klang, als der russische Präsident nämlich betonte, dass der Respekt vor dem Völkerrecht und seinen grundsätzlichen Normen und Prinzipien wiederhergestellt werden müsse. „We need to restore respect for international law, for its fundamental norms and principles.”

Begrüßungsstatements und Ansprachen der des Generalsekretärs der SCO und von Vertretern verschiedener Teilnehmerstaaten

In allen Beiträgen und Wortmeldungen der Konferenzteilnehmer wurde, quasi im Gleichklang mit Präsident Putin und Generaloberst Shoigu, hervorgehoben, dass die Phase einer unipolaren Welt beendet sei und zu Gunsten einer multipolaren Staatengemeinschaft mit einer gemeinsamen Sicherheitsstruktur abgelöst werden müsse. Die Redner nannten, im Gegensatz zu Präsident Putin und Verteidigungsminister Shoigu, die USA in diesem Zusammenhang allerdings in der Regel nicht beim Namen. Die bilateralen Gespräche fanden entweder mit dem russischen Verteidigungsminister Generaloberst Shoigu oder seinem Stellvertreter, Generalleutnant Fomin statt.

Auf Grund der sehr eingeschränkten Berichterstattung in den westlichen Medien wurden leider nur wenige Redebeiträge und diese auch nur auszugsweise publiziert.

Die nachfolgende Darstellung der Statements verschiedener Länder soll verdeutlichen, wie global man sich mit der Problematik des Wandels von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt beschäftigt und wie die Rolle und Bedeutung Russlands in diesem Prozess von den Rednern gesehen wird.

Der Generalsekretär der SCO, der chinesische Diplomat Zhang Ming, unterstrich in seinen Grußworten, wie bereits am 18. Mai 2022 bei seinem Treffen mit dem russischen Außenminister Lawrow in Moskau, den Wandel von einer unipolaren in eine multipolare Welt.

Die stellvertretende Verteidigungsministerin Äthiopiens, Martha Lewig unterstrich die gute militärische Zusammenarbeit Äthiopiens mit Russland auf der Basis des im Juli 2021 geschlossenen Abkommens.

Der algerische Generalstabschef, Generalleutnant Saïd Chengriha, betonte, dass Algerien davon Abstand nehme, den russischen Krieg in der Ukraine zu verurteilen.

Der Verteidigungsminister von Burundi, Alain Tribert Mutabazi erklärte, dass die Beziehungen zu Russland geprägt seien von gegenseitigem Respekt und dem Anerkennen der jeweiligen Interessen. Der Minister bedankte sich ausdrücklich bei General Fomin für die russische Unterstützung im Jahr 2015 als die USA und die EU Sanktionen gegen Burundi verhängt hatten. Beide Länder wollen ihre gegenseitigen Beziehungen weiter ausbauen.

Chinas Verteidigungsminister General Wei Fenghe wurde für seine Rede per Video zugeschaltet und betonte, dass sich die Welt in einer neuen Periode von Turbulenzen und Veränderungen befinde. Jetzt käme es darauf an, eine Gemeinschaft aufzubauen für eine gemeinsame Zukunft der ganzen Menschheit. Alle Länder in der Welt müssten gegenseitige Solidarität stärken, sich untereinander abstimmen, und untereinander Fairness und Gerechtigkeit für Frieden und Stabilität zeigen. Er lehnte – aus meiner Sicht im Widerspruch zu Pekings Taiwan Politik- jede Form von Hegemoniestreben ab und forderte dazu auf „ to reject act of hegemony, highhandedness and bullying, and work together to safeguard regional and global peace and tranquility. „

Der Verteidigungsminister der Demokratischen Republik Kongo, Gilbert Kabanda Kurhenga plädierte in seiner Rede vor dem Plenum für eine multipolare Partnerschaft aller Staaten, auch im Kampf gegen die Klimaerwärmung und für eine weltumfassende Sicherheitsstruktur.

Der stellvertretende Stabschef der iranischen Streitkräfte, Brigadegeneral Ali Mohamed Abdullahi, wies in seinem Gespräch mit General Fomin auf die dynamische Entwicklung der Zusammenarbeit im militärischen Bereich hin, und General Fomin bedankte sich dafür, vor allem vor dem Hintergrund der langjährigen gegen den Iran verhängten Sanktionen. Fomin unterstrich die Bedeutung der russisch-iranischen Partnerschaft für die Stabilität und Sicherheit in der Region und General Abdullahi versicherte, dass die politischen Führer des Irans sich der weiteren Kooperation mit Russland verpflichtet fühlten.

Der Verteidigungsminister Malis, Colonel Sadio Kamara, betonte, wie wichtig die militärische Zusammenarbeit mit Russland für die Sicherheit und Stabilität Malis sei und dankte für die bisherige Unterstützung. Generalleutnant Alexander Fomin erklärte, sein Land sei bereit, Mali auch weiterhin zu unterstützen und die bilateralen Beziehungen zu vertiefen. Moskau fühle sich der Sicherheit Malis und der Region verpflichtet. Den Beweis für diese Aussage liefert Russland aktuell täglich in Mali. Nach Aussage von Beobachtern gibt es eine Luftbrücke von Syrien über den von General Haftar kontrollierten Osten Libyens nach Bamako. Immer wieder wurden und werden russische Waffensysteme und militärisches Gerät auf dem mittlerweile von russischen Soldaten kontrollierten Flughafen von Gao ausgeladen.

Beide Länder beschuldigten die “Neoliberalisten”, Terrorgruppen zu unterstützen, die Mali nun mit Hilfe der russischen Wagner Miliz und mittlerweile wohl auch regulärer russischer Streitkräfte bekämpfen will.

Der erste stellvertretende Verteidigungsminister Pakistans, Generalleutnant Mian Muhammad Hilal Hussain unterstrich im Gespräch mit Generalleutnant Fomin, die militärische Zusammenarbeit mit Russland zu intensivieren. Er verwies auf das für Oktober 2022 geplante 4. Treffen des “ Russian-Pakistani Consultative Committee” in Moskau, auf dem u.a. gemeinsame Manöver von Heer und Marine und die Stärkung einer Stabszusammenarbeit der Streitkräfte beider Länder besprochen werden sollen. General Hussein betonte, dass die Beziehungen zu Russland einen sehr hohen Stellwert nicht nur für die nationalen Interessen Pakistans, sondern für die Sicherheit der ganzen Region habe.“Our relationship with Russia contributes not only to our national interests, but also to regional security.“

Auch der Kommandeur der Palestinian National Security Forces, Generalmajor Nidal Abu Dukhan führte bilaterale Gespräche mit General Fomin. Dieser betonte, dass Russland bereit sei, umfassende Beziehungen mit militärischen Organisationen und Spezialeinheiten Palästinas aufzubauen. Die Lage in der Nahmittelost Region wurde ebenso besprochen wie der Friedensprozess.

Der Verteidigungsminister des Sudan, Generalleutnant Yassin Ibrahim, erhielt von Generalleutnant Fomin die Zusage, dass Russland sich auch weiterhin der militärischen Zusammenarbeit mit dem Sudan und der Sicherheit Afrikas verpflichtet fühle. Generalleutnant Ibrahim betonte, dass der Sudan die Rolle Russlands anerkenne, Frieden und Sicherheit in der Welt zu gewährleisten. „We appreciate the role of the Russian Federation in preserving peace and security in the world.“

Die Verteidigungsministerin von Süd Afrika, Tandi Modise, unterstrich in ihrer Ansprache vor dem Plenum und in einem bilateralen Gespräch mit dem russischenVerteidigungsminister Shoigudie Bedeutung Russlands für die Sicherheit und militärische, wirtschaftliche und politische Stabilität Afrikas. Russland sei keine Kolonialmacht gewesen, beteilige die afrikanischen Länder an der Entwicklung des Kontinents und akzeptiere die afrikanischen Länder als Partner auf Augenhöhe. Die Ukraine bezeichnete die Ministerin als souveränes Land, unterstrich aber gleichzeitig das Recht Russlands, sich zu verteidigen. Die „BRICS-Staaten“, Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika nannte sie eine „Oase“, quasi als ein Rezept für eine positive weltweite Entwicklung. Südafrika sei nicht nur bereit, sich für Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent zu engagieren, sondern darüber hinaus sich im Rahmen von multinationalen Einrichtungen den Herausforderungen einer globalen Sicherheitsstruktur zu stellen.South Africa stands ready to work with all peace-loving nations of the world, through relevant multilateral bodies, to contribute meaningfully towards lasting peace in the world.” Der russische Verteidigungsminister erinnerte an die bereits abgeschlossenen bilateralen Vereinbarungen im militärischen Bereich und versprach auch für die Zukunft ein enge Zusammenarbeit.

Der syrische Verteidigungsminister. Mahmoud Abbas traf mit dem russischen Verteidigungsminister Shoigu zusammen. Abbas betonte, dass es den syrischen Streitkräften mit der Unterstützung von Russland gelungen sei, die Initiative zurückzugewinnen und das Land zu stabilisieren. Es gäbe allerdings immer noch Bedrohungen, die Syrien mit Hilfe von Russland ausräumen werde. Russland habe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus Seite an Seite mit Syrien gestanden, und dafür würde sich Damaskus jetzt revanchieren. „Russian friends are true friends who have stood shoulder to shoulder with us in the fight against international terrorists. Now we want to stand shoulder to shoulder with you in turn.”

Der vietnamesische Verteidigungsminister, Phan Van Giang, stellte die Bedeutung des „Association of Southeast Asian Nations“ (ASEAN) für die Sicherheit und Stabilität der Asia-Pacific Region besonders heraus.

ASEAN-Mitgliedsstaaten sind: Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam.

Zusammenfassende Beurteilung

Die russische Führung hat, wie zu erwarten war, vor allem durch die Reden von Präsident Putin und Verteidigungsminister Shoigu die Konferenz, als Gelegenheit genutzt, die grundsätzliche Position Russlands gegenüber den USA und „dem Westen“ und die Begründung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine, der konsequent als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet wurde, darzustellen und die Konferenzteilnehmer von Moskaus Sicht zu überzeugen.

Unabhängig davon ist festzustellen, dass diese Konferenz trotz des Krieges in der Ukraine stattgefunden hat und die teilnehmenden Staaten offensichtlich eine Isolierung Russlands abgelehnt hatten. Damit wurde einmal mehr deutlich, dass es keine Einteilung der Welt in Ost und West mehr gibt, sondern nur noch eine Trennung zwischen den Staaten, die immer noch eine Führungsrolle der USA akzeptieren und solchen, die diesen Hegemon mit seinem unilateralen Führungsanspruch ablehnen, einem Führungsanspruch, der auch beinhaltet, selbst zu bestimmen, was rechtens ist und was nicht. Als aktuelles Beispiel dafür dienen die von US-Präsident Biden angeordneten amerikanischen Luftangriffe auf mit dem Iran verbündete Milizen im Osten Syriens, In dieser Region liegen die syrischen Ölfelder und dort befinden sich, ohne Zustimmung der syrischen Regierung und damit widerrechtlich, amerikanische Militäreinrichtungen.

Die Angriffe in Dair as- Saur im Osten des Landes waren nach US-Angaben nötig, um das Risiko einer Eskalation zu begrenzen. Es ist nicht bekannt, von welchem US-Stützpunkt in der Region die US-Kampfflugzeuge gestartet waren, vermutlich aber von einem der Stützpunkte am Golf.

Der amerikanische Hegemonieanspruch war ein Kernthema der Konferenz, auch wenn die USA nur von Russland im Zusammenhang mit einer unipolaren Welt expressis verbis genannt wurden. Aber alle Teilnehmer waren sich darin einig, dass die Welt eine neue und zwar eine multipolare Struktur mit einer entsprechenden Sicherheitsordnung braucht, in der die nationalen Interessen aller Staaten berücksichtigt werden und man sich auf Augenhöhe begegnet. Die Glaubwürdigkeit dieser, auch von Russland unterstützten Forderung wird von Moskau allerdings durch den Krieg in der Ukraine konterkariert, den übrigens viele Teilnehmer der Konferenz ablehnen, während sie allerdings auf der anderen Seite auch die von den USA bestimmte westliche Sanktionspolitik gegenüber Russland für falsch halten.  Die Glaubwürdigkeit Chinas muss durch das Vorgehen gegenüber Taiwan angezweifelt werden.   

Wie bereits ausgeführt, ist es nicht vollständig klar, welche Länder an der Sicherheitskonferenz teilgenommen haben. Aus meiner Sicht kann man jedoch davon ausgehen, dass neben den genannten Staaten wohl auch Ägypten und Libyen, vermutlich auch Indonesien wegen ihrer politischen Nähe zu Russland auf der Konferenz präsent waren oder Video Botschaften geschickt hatten.

Ob die Europäer gar nicht eingeladen waren oder die Konferenz im Rahmen der gegen Russland verhängten Sanktionen boykottiert haben, vielleicht zusätzlich auch als „Revanche“ dafür, dass Russland an der Sicherheitskonferenz in München nicht teilgenommen hat, kann nur vermutet werden.

Wie auch immer, „der Westen“, -den es im klassischen Sinn nicht mehr gibt – musste zur Kenntnis nehmen, dass die Welt nicht nur aus den Staaten besteht, die mit den USA eine Allianz bilden oder Washington aus anderen Gründen nahestehen. Sozusagen zur anderen Seite gehören politische Schwergewichte wie die Weltmacht China, die Atommächte Indien und Pakistan und auch Südafrika. Auch die Öl produzierenden Länder Irak und Iran spielen in ihrer Region und für die Energieversorgung der Welt eine wichtige Rolle. Die Bedeutung der afrikanischen Staaten ist, besonders auf Grund ihrer Rohstoffvorkommen, nicht zu unterschätzen. Mit der SCO war eine Organisation präsent, die im asiatisch-pazifischen Raum zunehmend an Bedeutung gewinnt. Alle Länder haben durch ihre Teilnahme wichtige Signale an „den Westen“ gesendet, die hoffentlich von diesem verstanden werden.

In jedem Fall haben die westlichen Staaten auf Grund ihrer festgefahrenen Position gegenüber Russland und einer nicht erkennbaren stringenten politischen Strategie eine Gelegenheit verpasst, mit den Staaten, die eine Zusammenarbeit mit Moskau einer Kooperation mit den USA und ihren Verbündeten vorziehen, in Kontakt zu treten und vor allem auch in bilateralen Gesprächen, eine eventuelle Distanzierung dieser Staaten von Moskau zu erreichen.

Fakt ist nämlich z.B., dass es den Russen – nicht zuletzt durch die Spots des Senders „Russia Today“ (RT) – vor allem in Afrika weitgehend gelungen ist, die politischen Führer von der russischen Position zu überzeugen, dass es sich in der Ukraine nicht um einen Krieg, sondern um eine „militärische Spezialoperation“ handele, um eine Bedrohung für die Sicherheit Russlands abzuwenden. Der Terrorismusexperte und Direktor der amerikanischen Firma „Global Strat“, Oliver Guitta, beobachtet das verstärkte Engagement Moskaus in Afrika seit Jahren und stellte dazu fest. „Nun erntet Moskau die Früchte. Kein Land in dieser Region hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt“

Abschließend stelle ich zum Thema „Pressefreiheit“ fest: Diese ist nicht nur gekennzeichnet von einer Vielfalt unabhängiger Medien, sondern auch durch Art und Inhalt ihrer Berichterstattung. Über die Münchener Sicherheitskonferenz wurde bereits im Vorfeld in den „Mainstream Medien“ (MSM) umfangreich berichtet und während sie stattfand, dominierte sie die Schlagzeilen in den Printmedien und die Nachrichten in den öffentlichen Fernsehsendern. Im Gegensatz dazu hat die 10. Moskauer Sicherheitskonferenz in den „MSM“ praktisch gar nicht stattgefunden. Da stellt sich mir die Frage: Warum?

War man der Meinung, dass die Veranstaltung im öffentlichen Interesse keine Bedeutung hatte? Hat man über die Konferenz nicht berichtet, weil „der Westen“ keine Vertreter nach Moskau geschickt hatte? Gab es eine Absprache zwischen den USA und ihren Verbündeten, für die Veranstaltung keine „Reklame“ zu machen? Wollte man vermeiden, dass die Öffentlichkeit erfuhr, dass Russland in der Lage war, ein solches „Event“ trotz des Krieges gegen die Ukraine durchzuführen?  Wollte man der Öffentlichkeit vorenthalten, welche und wie viele Staaten und Organisationen der Einladung Moskaus gefolgt waren.? Ist man der Ansicht, dass man den Bürgern nur eine bestimmte Sicht vermitteln sollte, wie das aktuell im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zunehmend der Fall ist, weil man ihnen nicht zutraut, sich eine eigene Meinung zu bilden?

Diese Fragen muss jeder Beobachter für sich selbst beantworten. Ich bin jedenfalls der Ansicht, dass man die Pressefreiheit auch dadurch unterlaufen und die Bürger manipulieren kann, indem über bestimmte Ereignisse nur kurz und ganz am Rande oder – wie im Fall der 10. Internationalen Moskauer Sicherheitskonferenz -de facto gar nicht berichtet wird.

Für mich gibt es zwischen dem Unterdrücken der Pressefreiheit und dem gezielten „Nicht- Berichten“ über bestimmte Ereignisse letztlich keinen entscheidenden Unterschied.

Greven, den 27. August 2022

Jürgen Hübschen

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Die Dämonisierung und Bestrafung der russischen Bevölkerung für einen Krieg, den ihr Präsident begonnen hat

Vorbemerkung

Aktuell wird unter westlichen Politikern und in unseren Mainstream Medien immer intensiver diskutiert, ob man russischen Bürgerinnen und Bürgern weiterhin Visa für die Länder des Schengen-Raums ausstellen sollte.

Auslöser für diese Diskussion ist einmal mehr eine Aussage des ukrainischen Präsidenten Selensky: „Keine Schengen-Visa für russische Mörder.“

In der Ukraine selbst soll er russische Musik und Literatur verboten haben.

Im nachfolgenden Beitrag soll die Frage diskutiert werden, ob man ein Volk für das Handeln seiner politischen Führer mitverantwortlich machen kann.

Der Schengen Raum

Wie immer, wenn man über etwas diskutiert, ist es sinnvoll, sich zunächst mit dem Sachverhalt vertraut zu machen.

Im Juni 1985 vereinbarten im luxemburgischen Schengen Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Deutschland ein Übereinkommen, dessen Kernsatz lautet: „Die Binnengrenzen dürfen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden“.

Vom Ort der Unterzeichnung leitet sich der Name „Schengener Abkommen ab.

Mitgliedsstaaten des Schengen Raums:

Nach dem „Gabler Wirtschaftslexikon“ gehören zum Schengen Raum:

  • EU-Mitglieder des Schengen Raums: Deutschland, Dänemark, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich, Ungarn, Slowenien, Tschechien, Slowakei, Polen, Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Schweden und Malta.
  • Nicht-EU-Mitglieder des Schengen Raums : Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein.
  • Keine Mitglieder des Schengen Raums sind die EU-Staaten: Vereinigtes Königreich, Irland, Bulgarien, Rumänien, Kroatien und Zypern.

Einschränkungen der Visa-Freiheit

Visa Beschränkungen/Verbote für russische Staatsbürger haben bislang die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen und die tschechische Republik verhängt und zwar jeweils wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass die baltischen Staaten große russische Bevölkerungsanteile mit unterschiedlich intensiven familiären Bindungen und Verbindungen nach Russland haben. Wird es diesen Menschen in Zukunft ähnlich gehen, wie den Deutschen nach dem Mauerbau in Berlin vom 13. August 1961?

Nach den Daten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages beträgt der russische Bevölkerungsanteil in Estland fast 31%. Während meiner 5- jährigen Tätigkeit als Repräsentant der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) in Lettland bin ich einmal über Estland nach Russland und weiter nach Finnland gefahren. Beim Überqueren des Grenzflusses Narva habe ich erlebt, wie viele Arbeitnehmer aus Russland und Estland täglich die Grenze passierten.

In Lettland beträgt der russischstämmige Bevölkerungsanteil 26 %. Zählt man die Ukrainer und Weißrussen dazu, kommt man auf 38%. In der Hauptstadt Riga sind 40% der Bewohner Russen.

Litauen hat mit lediglich 5,8% den geringsten Anteil russischer Staatsbürger.

Abgesehen von Litauen spielen die russischstämmigen Bürgerinnen und Bürger im Baltikum auch eine wesentliche wirtschaftliche Rolle.

Leben in einer Diktatur

Um im nachfolgenden Abschnitt die Maßnahmen der westlichen Staatengemeinschaft gegen russische Bürger einordnen zu können, ist es wichtig, sich einmal das Leben in einer Diktatur vor Augen zu halten. In den westlichen, Konsum orientierten Demokratien mit ihren grenzenlosen Freiheiten haben wohl die wenigstens Menschen eine Vorstellung davon. In Deutschland müssten das allerdings die älteren Menschen im Osten unseres Landes am eigenen Leibe erfahren haben, und eigentlich müsste auch die Bevölkerung in den Staaten und Republiken, die bis zu deren Zusammenbruch zur ehemaligen Sowjetunion gehörten, ebenfalls eine Vorstellung davon haben.

Meine Familie und ich haben eigene Erfahrungen dadurch sammeln können, dass wir von Ende 1986 – Ende September 1989 unter dem Herrscher Saddam Hussein im Irak gelebt haben, wo ich als Verteidigungsattaché bei der Deutschen Botschaft in Bagdad eingesetzt war. Es gab keine Presse- oder Meinungsfreiheit, und wer trotzdem, den Mund aufmachte, verschwand in dem berüchtigten Foltergefängnis in Abu Ghraib. Alle Medien waren gleichgeschaltet. Im Fernsehen gab es lediglich zwei Programme; im ersten war der irakische Präsident ständig präsent und im zweiten Kanal meistens. Wenn ich nicht einen Radio-Weltempfänger gehabt hätte, um darauf BBC und Deutsche Welle zu hören und durch unsere Botschaft Verbindungen nach Deutschland und zusätzliche Informationen durch die anderen im Irak akkreditierten Militärattachés, hätte ich keine Ahnung davon gehabt, was sich im Irak wirklich ereignete und welche wesentlichen Entwicklungen es in der Welt gab. Die verschiedenen Geheimdienste waren überall präsent, und als Ausländer konnte man nicht ausschließen, dass das eigene Domizil verwanzt war.

Die irakische Bevölkerung hatte, wie aktuell auch die Menschen in Russland, nur die Möglichkeit, den offiziellen Verlautbarungen zu glauben und sich mit dem herrschenden System irgendwie zu arrangieren, vor allem, wenn man den eigenen Kindern die Zukunft nicht völlig verbauen wollte.

Maßnahmen der westlichen Staatengemeinschaft gegen russische Bürger

Vor diesem Hintergrund muss man die mit moralischer Arroganz verhängten westlichen Maßnahmen gegenüber russischen Bürgern einordnen.

Die Diskussion über die Einschränkungen der Visa-Freiheit für russische Staatsbürger ist lediglich die aktuelle Ungeheuerlichkeit verhängter Maßnahmen und vermutlich auch noch nicht das Ende.

Seit Kriegsbeginn gegen die Ukraine übertreffen sich westliche Politiker und auch staatliche und nicht staatliche Organisationen in ihren Sanktionen/Strafmaßnahmen gegenüber russischen Staatsbürgern, die im westlichen Ausland leben oder an internationalen Veranstaltungen außerhalb von Russland teilnehmen wollen. Die russischen Menschen scheinen alle mit Putin gleichgesetzt zu werden, obwohl sie diesen weder gewählt haben noch für sein Verhalten in irgendeiner Weise mitverantwortlich sind.

Russische Sportler durften nicht an der „Behinderten-Olympiade“ teilnehmen, auf die sie sich jahrelang vorbereitet hatten, nicht um den russischen Staat zu repräsentieren, sondern weil sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten begeisterte Sportler sind. Vom Tennis-Turnier in Wimbledon wurden weißrussische und russische Sportler ebenfalls wegen des Krieges gegen die Ukraine ausgeschlossen. International tätige Organisationen und Vereine haben ihre Verbindungen zu ihren russischen Partnern abgebrochen; vorhandene Partnerschaften wurden/werden ausgesetzt. Russische Dirigenten und andere Künstler dürfen in Deutschland nicht mehr auftreten, weil ihnen vorgeworfen wird, eine enge Beziehung zum russischen Präsidenten zu unterhalten. Deshalb sollten sie sich offiziell von Putin distanzieren. Wie weltfremd muss man denn sein, um ein solches Statement von Künstlern im Ausland zu verlangen, die sicherlich Familienangehörige in Russland haben, die dafür die Konsequenzen tragen müssten. Menschen werden für politische Entscheidungen in Geiselhaft genommen, die sie überhaupt nicht zu verantworten haben und auch nicht hätten ändern können. Man gewinnt langsam den Eindruck, dass Staatsbürger westlicher Länder versuchen, ihr eigenes Gewissen zu beruhigen, indem sie sich von allem distanzieren, was auch nur irgendwie mit Putin in Verbindung gebracht werden könnte.

Es ist schon schlimm genug, mit lebenden Russen so zu verfahren, aber mittlerweile wurden sogar tote Russen in diese Hetze einbezogen werden. Nach einer Entscheidung des „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ in Brandenburg durften russische Soldaten nicht mehr – wie seit Jahrzehnten -gemeinsam mit deutschen Kameraden daran arbeiten, Gefallene einer deutsch-russischen Kesselschlacht des 2. Weltkrieges zu identifizieren und ihnen eine würdige letzte Ruhstätte zu schaffen.

Diskriminieren und Ächtung im Umgang mit Gefallenen, da ist der Weg zum geistigen Genozid nicht mehr weit.

Zusammenfassende Bewertung

Dass wir Völkerrechtsbrüche westlicher Regierungen anders bewerten als den russischen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine, ist das Eine, aber die Einbeziehung eines Volkes in Sanktionen und persönliche Ächtung von Bürgern ist das Andere. Das russische Volk darf für die Taten seines Präsidenten nicht mitverantwortlich gemacht oder gar in Geiselhaft genommen werden. Durch die aktuelle Hetzkampagne gegen Russland besteht die Gefahr, dass eine Situation entsteht, wie die Nazis sie gegen die Bolschewisten initiiert hatten. Bei uns in Deutschland kann ein ehemaliger ukrainischer Botschafter unseren Kanzler eine „beleidigte Leberwurst“ nennen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In einem diktatorischen System, wie aktuell in Russland, werden sie in ein Arbeitslager gesteckt, wenn sie eine „Spezialoperation“ als Krieg bezeichnen. Das scheinen unsere Politiker, die westlichen Medien und mittlerweile auch viele Bundesbürger nicht zu kapieren. Sonst könnte man die zunehmende Gleichsetzung der russischen Bevölkerung mit einem Präsidenten, der sein Amt nicht auf der Basis demokratisch durchgeführter Wahlen erhalten hat, nicht nachvollziehen.

In der aktuellen Situation kann man nur hoffen, dass sich der Bundeskanzler nicht, wie leider zu oft in der Vergangenheit, durch Druck von außen und auch innerhalb seiner eigenen Partei, von seinem richtigen Standpunkt abbringen lässt, nämlich auch weiterhin einen Unterschied zwischen Präsident Putin und dem russischen Volk zu machen.

Greven, 20. August 2022

Jürgen Hübschen

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Der Mali Einsatz der Bundeswehr

Vorbemerkung

Die aktuelle Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine hatte den Einsatz der Bundeswehr in Mali fast in Vergessenheit geraten lassen. Erst die Änderung des Mandates für den Einsatz im Rahmen der EU und das Aussetzen des Engagements im Rahmen der UN Mission haben das Interesse der Politik, der Medien und vielleicht auch der deutschen Bevölkerung für den aktuell gefährlichsten Einsatz unserer Streitkräfte wieder geweckt. Die Vereinten Nationen hatten ihre Friedensmission in Mali am 29. Juni 2022 um ein Jahr, bis Ende Juni 2023, verlängert. 13 der 15 Mitgliedsländer des UN-Rates haben für das neue Mandat in der afrikanischen Sahel-Region gestimmt. China und Russland enthielten sich.

Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob sich die Bundesrepublik weiter militärisch in Mali engagieren oder das Mandat für die Bundeswehr beenden und unsere Soldaten nach Hause holen sollte.

Das Land Mali und ein kurzer Rückblick in die Vorgeschichte der internationalen Einsätze

Die westafrikanische Präsidialrepublik Mali ist mit ca. 1,3 Millionen km² etwa 3,5 x so groß wie Deutschland, hat aber nur knapp 15 Millionen Einwohner, die hauptsächlich im südlichen Teil des Landes leben. Fast 90 % der Menschen sind Muslime, 5% Christen, und der Rest sind Anhänger von Naturreligionen. Mali war von 1893 bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1960 eine französische Kolonie. Mali gehört zu den ärmsten Ländern der Erde, verfügt aber über große Bodenschätze. Es liegt im s.g. Goldgürtel Afrikas, der sich von Senegal über Guinea, Ghana (ehemals britische Kolonie „Goldküste“), Burkina Faso, Niger, Nigeria und Kamerun durch ganz Westafrika zieht. Die Goldminen im Süden des Landes machen Mali nach Ghana und Südafrika zum drittgrößten Förderer des Edelmetalls in Afrika. Außer Gold gibt es Erdöl, Erdgas, Phosphat, Kupfer, Bauxit, Diamanten und andere Edelsteine. Im Westen des Landes wurde Uran gefunden, und tief im Boden wurde sogar reiner Wasserstoff entdeckt.

Die Masse der Rohstoffvorkommen Malis sind noch nicht erschlossen.

Im März 2012 wurde der gewählte Präsident Malis, Amadon Toumani Touré von meuternden Militärs unter Führung von Hauptmann Amadou Sanogo, der zwischen 2004 und 2010 in den USA ausgebildet wurde, gestürzt. Sanogo übergab kurze Zeit später die Macht an den Übergangspräsidenten Dioncunda Traoré. In der Folge kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Rebellen im Norden des Landes und den regulären Streitkräften Malis. Ein wesentlicher Grund dafür war der völkerrechtswidrige Krieg in Libyen in 2011, nach dessen Ende tausende Tuaregs unter Mitnahme schwerer Waffen nach Mali geflohen waren. Übergangspräsident Traoré bat Frankreich und die Vereinten Nationen um Unterstützung. Am 12. Januar 2013 startete Frankreich mit Luftangriffen die Operation „Serval“. Mit dem französischen Eingreifen begann das europäische Engagement in Mali. Am 1. Juli 2013 startete dann auch die „United Nations Multidimensional Integrated Stabilisation Mission in Mali“ (MINUSMA), eine Friedensmission der Vereinten Nationen, in der die „African-led International Support Mission to Mali“ (AFISMA) aufgegangen ist.

Das Mandat der Bundeswehr für die Beteiligung an den Missionen EUTM und MINUSMA bis zum 31. Mai 2022

European Union Training Mission Mali (EUTM)

Auf der Basis einer UN-Resolution aus dem Dezember 2012 wurde am 17. Januar 2013 von den EU Außenministern der offizielle Beginn der EU-Ausbildungsmissionbeschlossen. Zielder EUTM ist es, die malischen Streitkräfte mit der geleisteten militärischen Grundlagenausbildung und Beratung dazu zu befähigen, gegen islamistische Milizen in der Region vorzugehen. Selbst soll die EUTM Mali nicht in Kampfhandlungen im Norden des Staates einbezogen werden.

Deutschland beteiligt sich mit bis zu 600 Soldaten an der Mission. Konkreter Auftrag der deutschen Streitkräfte ist „die Mitwirkung an der Führung von EUTM Mali Unterstützung zur Verbesserung der operativen Fähigkeiten der malischen Streitkräfte durch militärische Beratung und Ausbildung, einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung…. Darüber hinaus unterstützt die Bundeswehr auch die anderen G5-Sahel-Staaten Burkina Faso, Mauretanien, Niger und  Tschad durch „die Herstellung der operativen Einsatzfähigkeit der ´Gemeinsamen Einsatztruppe der G5-Sahel-Staaten´(G5Sahel Force Conjointe) und der nationalen Streitkräfte der G5-Sahel-Staaten durch militärische Beratung und Ausbildung, einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung.“…..Zur Auftragserfüllung dienen dabei auch die Kräfte der Military Assistance (MA) Mission „GAZELLE“ in Niger, die in die Strukturen von EUTM Mali integriert werden. „Weitere Aufgaben der deutschen Streitkräfte „sind die Koordination, Zusammenarbeit und Informationsaustausch mit anderen an der Unterstützung der Streitkräfte Malis und der weiteren G5-Sahel-Staaten beteiligten Akteuren, soweit zum Schutz und zur Erfüllung des Auftrages erforderlich“; außerdem  „die Wahrnehmung von Schutz und Unterstützungsaufgaben, auch zur Unterstützung von Personal der Multidimensionalen Stabilisierungsmission der VN in Mali (MINUSMA).
Eine Beteiligung an Kampfeinsätzen ist weiterhin ausgeschlossen.
Das mandatierte Einsatzgebiet umfasst ganz Mali sowie nach Schaffung der rechtlichen Grundlagen die Staatsgebiete der weiteren G5-Sahel-Staaten Burkina Faso, Niger, Mauretanien und Tschad.“

Bis Ende 2021 wurde EUTM für 6 Monate turnusgemäß vom deutschen Brigadegeneral Jochen Deuer geführt.

„Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUTM Mali werden für den Zeitraum 1. Juni 2021
bis 31. Mai 2022 insgesamt rund 117,5 Millionen Euro betragen.“

Am 12. April 2022 erklärte der Hohe Vertreter der EU, Joseph Borrell, die Ausbildung der malischen Streitkräfte im Rahmen der „European Union Training Mission Mali“ wegen der aktuellen Entwicklung im Lande auszusetzen. Von deutscher Seite wurde diese Entscheidung durch Verteidigungsministerin Lambrecht begrüßt. Die Ministerin erklärte nach ihrer mehrtägigen Mali-Reise: „Der Schritt der EU, die Ausbildung malischer Soldaten im Rahmen der European Union Training Mission vorerst zu beenden, ist konsequent und richtig. Angesichts möglicher massiver Menschenrechtsverletzungen, die malische Truppen gemeinsam mit russischen Kräften – womöglich sogar Söldnern – begangen haben, müssen wir uns fragen, wen wir da eigentlich ausbilden.“ Zuletzt hatten bei der European Union Training Mission Mali rund 100 deutsche Soldatinnen und Soldaten malische Armeeangehörige für den Kampf gegen Milizen und Terrorgruppen ausgebildet.

United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA)

Auftrag von MINUSMA: „Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen „United Nations Multidimensional Integrated Stabilisation Mission in Mali (MINUSMA) dient der Sicherung des Friedens. Die Kernaufgaben sind, die Waffenruhevereinbarungen und die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien sowie die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung aus dem Jahr 2015 zu unterstützen. Die Stabilisierung Malis ist von zentraler Bedeutung für die territoriale Einheit des Staates. Mit rund 13.000 Blauhelmsoldatinnen und Blauhelmsoldaten und knapp 2.000 Polizisten und Polizistinnen trägt der Einsatz der Vereinten Nationen in Mali zur Stabilisierung des Landes bei.“

Deutschland beteiligt sich seit 2013 mit einem Kontingent der Bundeswehr in Stärke bis zu 1.100 Soldaten und Soldatinnen sowie mit Polizistinnen und Polizisten an MINUSMA.

Die Bundeswehr übernimmt nach Maßgabe des Völkerrechts und der Einsatzregeln der VN Aufgaben in den Bereichen Führung, zivil-militärische Zusammenarbeit, Beobachtung und Beratung. Zudem unterstützt sie das Personal der EU-Mission in Mali und leistet mit Aufklärungsmitteln am Boden und in der Luft (u.a. durch Drohnen) einen wichtigen Beitrag zum Gesamtlagebild der VN-Mission. Ein weiterer möglicher Auftrag ist die Luftbetankung für französische Streitkräfte auf Anforderung der VN.  „Unterstützung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität und bei der Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung vom April 2015“ sind ebenfalls Aufgaben der Bundeswehr. Darüber hinaus stellt Deutschland mit dem Lufttransportstützpunkt in Niamey, Republik Niger, den taktischen und strategischen Patientenlufttransport sowie die logistische Unterstützung der deutschen Soldatinnen und Soldaten und ihrer Partner bei MINUSMA sicher. Soldaten aus Belgien, Estland, Irland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz sind in das deutsche Kontingent integriert. Zudem wurden sowohl das schwedische als auch das britische Einsatzkontingent in Gao in das von Deutschland geführte „Camp Castor“ eingebunden,

Das militärische Engagement bei MINUSMA wird durch den Einsatz von bis zu 20 deutschen Polizistinnen und Polizisten bei MINUSMA ergänzt.

“ Die Teilnahme an Operationen zur Terrorbekämpfung ist nicht vom Auftrag erfasst.“
Das aktuelle Mandat des Deutschen Bundestages definiert das Einsatzgebiet mit ganz Mali sowie der Republik Niger zum Betreiben eines Lufttransportstützpunkts in Niamey. Das aktuelle Mandat gilt bis zum 31. Mai 2022.
„Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an MINUMSA werden für den Zeitraum 1. Juni 2021
bis 31. Mai 2022 voraussichtlich insgesamt rund 362,1 Millionen Euro veranschlagt.“

Verlängerung der Mandate der Bundeswehr

Trotz einer sich einer ständig verschlechternden Sicherheitslage und zunehmender Schwierigkeiten durch die regierende Militär-Junta verlängerte der Deutsche Bundestag die Mandate am 20. Mai 2022 der Bundeswehr um ein weiteres Jahr bis zum 31. Mai 2023, allerdings mit einigen Änderungen.

European Union Training Mission Mali (EUTM)

Das Mandat für die EUTM) firmiert nun unter „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am Fähigkeitsaufbau der Europäischen Union im Sahel mit Schwerpunkt Niger“. Die personelle Obergrenze wurde von 600 deutschen Soldatinnen und Soldaten auf bis zu 300 abgesenkt.Das Parlament hatte entschieden, das Engagement der Bundeswehr auf den Gebieten Ausbildung, Aufklärung und Schutz im Rahmen der EUTM einzustellen. Die Bundeswehr wird daher in Mali bei der European Union Training Mission zunächst nur noch einige Soldaten zur fachlichen Beratung in Bamako vorhalten. Die Präsenz im malischen Koulikoro wird beendet. Priorität soll jetzt bis zum Jahresende die unveränderte Fortsetzung der Mission „Gazelle“ in Niger haben Dort bildet die Bundeswehr mit Hilfe von deutschen Kampfschwimmern die nigrischen Spezialkräfte aus und unterstützt sie. Sollte sich die Lage in Mali verändern,wird sich der Bundestag erneut mit dem Mandat beschäftigen

Mission Multidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali  (MINUSMA)

Für MINUSMA wurde die personelle Obergrenze von derzeit 1.100 deutschen Soldatinnen und Soldaten auf bis zu 1.400 angehoben worden. Davon gehören unverändert bis zu 230 Männer und Frauen dem Spezialkräfteeinsatzverband (Joint Special Operation Task Force, JSOTF) Gazelle in Niger an.

Der Bundestag begründet die Fortsetzung des Engagements und die Erhöhung des Personalansatzes der Soldaten mit der geopolitischen Bedeutung der Sahel-Zone auch für Deutschland. Es geht um Stabilität und Sicherheit in Zentralafrika – davon ausgehend um die Sicherheit in Deutschland und in Europa. Der Auftrag der Bundeswehr im Rahmen von MINUSMA ist weiterhin, die malische Regierung beim Umsetzen des Friedensabkommens im Norden des Landes sowie beim Wiederherstellen der staatlichen Autorität im Zentrum Malis zu unterstützen. Es gibt allerdings einige Veränderungen/Ergänzungen des Mandats.

So wird Deutschland nach dem Abzug französischer Sanitätskräfte in Gao die medizinische Versorgung ausbauen. Der Schutz der deutschen Soldatinnen und Soldaten wird verstärkt. Die Hubschrauber vom Typ NH-90 werden gegen CH-53 ausgetauscht. Die Bundeswehr verstärkt zudem ihre Unterstützung beim Flugbetrieb. Diese zusätzlichen Aufgaben hatten die Erhöhung des deutschen Personalansatzes auf bis zu 1.400 Soldaten erforderlich gemacht.

Die Entwicklung der Sicherheitslage und der Zusammenarbeit mit der regierenden Militär-Junta

Es gilt ein landesweiter Aus­nahme­zu­stand. Überall in Mali sind terroristische Anschläge möglich. Besonders im Norden und im Zentrum des Landes kommt es immer wieder zu gewaltsamen Aus­einander­setzungen. In den nordöstlichen und zentralen Landesteilen sowie in Gebieten entlang der Grenzen zu Mauretanien, Burkina Faso und Côte d’Ivoire sind zudem Terror­gruppen aktiv.

Unterschiedliche Clans streiten um Macht und Einfluss, und es gibt offensichtlich immer mehr Dschihadisten. Im Norden des Landes fühlen sich die zum großen Teil aus Libyen geflohenen Tuaregs von der Entwicklung Malis ausgeschlossen.

Seit 2012 gab es im Land bereits drei Militärputsche. Aktuell herrscht eine Militärjunta unter Assimi Goita, die 2020 den gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita gestürzt hatte. Der von der Junta eingesetzte Übergangspräsident Bah N’Daw wurde in einem erneuten Militärputsch von derselben Junta ebenfalls gestürzt. Ende Mai 2021 rief sich Assimi Goita zum Übergangspräsidenten aus. Putschistenführer Goita wurde international militärisch ausgebildet, u.a. auch in Deutschland. Mit Billigung der Putschisten befinden sich seit einiger Zeit Angehörige der russischen Söldnertruppe „Wagner “ in Mali. Nach Erkenntnissen des amerikanischen Afrika Kommandos, so der Sprecher Stephen Townsend, sind mehrere Hundert dieser Söldner mittlerweile im Land. Sie wurden nach US-Angaben von der russischen Luftwaffe transportiert.  UN Generalsekretär Antonio Guterres mahnte, die Verwicklung der Söldner in den Konflikt in Mali dürfe nicht „die Ziele“ der VN beeinträchtigen.

Nachdem die „Organisation Afrikanische Union“ (OAU) bereits im Juni 2021 die Mitgliedschaft Malis ausgesetzt hatte, folgte jetzt die „Economic Community of West African States“ (ECOWAS). Zusätzlich zur Suspendierung der ECOWAS-Mitgliedschaft Malis schlossen die übrigen 14 Mitgliedstaaten ihre Grenzen zu Mali und zogen ihre Botschafter aus Bamako ab. Die Auslandsvermögen der Militärjunta wurden eingefroren, so dass nur noch lebenswichtiger Handel möglich ist. Mali verfügt nur noch nach Norden, also nach Libyen und Mauretanien über offene Grenzen.

Der französische Botschafter Joël Meyer wurde bereits Ende Januar 2022 zur „persona non grata“ erklärt und musste das Land verlassen.

Der französische Präsident Macron entschied, seine Soldaten Mitte August 2022 aus Mali abzuziehen und machte deutlich, dass er keine Regierung unterstützen werde, die keine demokratische Legitimität mehr habe. Der Sprecher der Militärjunta in Bamako, Oberst Abdoulaye Maiga, erklärte in einer Botschaft an den französischen Präsidenten: „Die Übergangsregierung fordert Präsident Macron dazu auf, endlich seine neokoloniale, paternalistische und verächtliche Haltung abzulegen und zu verstehen, dass die Malier selbst am besten für sich sorgen können“

Zusätzlich zur Destabilisierung der Sicherheitslage erschweren die Militärmachthaber die Arbeit der internationalen Truppen durch willkürliche Behinderungen des Dienstbetriebes. So werden z. B. deutschen Transportflugzeugen immer wieder keine Überfluggenehmigung nach Niger erteilt, die deutschen Soldaten mussten vom Flugplatz in Bamako abgezogen werden, und  seit mehreren Wochen kann der routinemäßige Wechsel des deutschen Militärs nicht durchgeführt werden. 140 Soldaten, die ihre Mission beendet haben, warten seit Wochen auf ihren Heimflug. Einem zivilen Flugzeug mit Deutschen Fallschirmjägern an Bord, die den Flugplatz in Gao sichern sollen, wurde keine Landegenehmigung erteilt. Sie sollten die französischen Truppen, die einmal mit 4.500 Soldaten in Mali präsent waren, ersetzen, weil diese seit dem 15.August 2022 vollständig abgezogen sind. Die Militärjunta hatte das Verteidigungsabkommen mit Frankreich im Mai 2022 gekündigt.

Das Bundesministerium der Verteidigung erklärte am 12. August 2022, die Teilnahme der Bundeswehr am operativen Auftrag von MINUSMA wegen der zunehmenden Schwierigkeiten seitens der Militärjunta bis auf weiteres auszusetzen. 

Auch anderen Nationen werden immer wieder Schwierigkeiten bei der Durchführung des MINUSMA Auftrages gemacht. Deshalb hat z.B. Ägypten seine Beteiligung an der UN-Mission ausgesetzt.

Auf der anderen Seite signalisieren die Machthaber immer deutlicher, dass sie statt der westlichen Staaten und der Uno eine engere Zusammenarbeit mit Russland bevorzugen.

So wurden auf dem Flughafen von Bamako am 09. August 2022 in einer großen Zeremonie in Anwesenheit des Übergangspräsidenten Assimi Goïta zahlreiche Waffensysteme an die malischen Streitkräfte übergeben. Fast alles davon stammt aus Russland, und der russische Botschafter in dem westafrikanischen Land war ebenfalls anwesend.

Für Ulf Laessing, den Büroleiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako, ist die Linie der Junta deutlich: “Derzeit sieht es so aus, als ob Mali voll auf Russland setzt.“ Laessing hält die Lage der deutschen Kräfte in Gao für problematisch: „Bislang sind die Russen in alle Kasernen eingezogen, die die Franzosen freigemacht haben, und wenn sie jetzt nach Gao kommen, die Russen, dann gibt es logistische Probleme: Wie soll man den Flughafen Gao bedienen? Wenn da Russen mittendrin sitzen, man wird ja nicht mit denen gemeinsam patrouillieren können. Das gibt dem Drama eine weitere Dynamik.“

Niemand weiß aktuell, wie nach dem Abzug der Franzosen der technische Betrieb des Flughafens in Gao erfolgen werden soll und die gesamte Anlage abgesichert werden kann. Die 4 deutschen Kampfhubschrauber vom Typ „Tiger“ wurden abgezogen und sich bislang nicht ersetzt worden. Angeblich wollen Bangladesch und El Salvador Ersatz stellen. Das wären dann russische Hubschrauber-Typen. Sarkastisch könnte man dazu feststellen, dass Wartung und Ersatzteilversorgung dann vielleicht von den Russen vor Ort sichergestellt werden könnten…

Zusammenfassende Bewertung

im Rahmen von MINUSMA gilt der Auftrag der deutschen Soldaten nach dem Militärputsch unverändert, nämlich u.a.: „Unterstützung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität und bei der Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung vom April 2015…..“

Dieser Auftrag ist aus meiner Sicht nach mittlerweile 3 Militärputschen völlig irrelevant geworden, weil er letztlich dazu beiträgt, den Machterhalt eines Unrechtsystems zu sichern.

Unabhängig davon muss konstatiert werden, dass, wie zuvor auch schon EUTM, die UN Mission MINUSMA bislang keine konkreten Erfolge vorzuweisen hat. Die Sicherheitslage hat sich trotz des internationalen Engagements permanent verschlechtert. Fast täglich werden Zivilisten durch Überfälle islamistischer Milizen getötet, mit denen sich malische Soldaten immer wieder Gefechte liefern. Es gibt Hinweise, dass diese Milizen Verbindungen zu Al Quaida haben.

Der Aussage von Außenministerin Baerbock, die Situation sei alles andere als gut. „Man braucht nicht um den heißen Brei herumzureden: Sie ist schlecht.“, ist nichts hinzuzufügen.

Die Begründung, dass die Bundeswehr im Rahmen von MINUSMA einen wesentlichen Beitrag dazu leisten könne, den Terrorismus in der Sahelzone einzudämmen, wird durch die aktuelle gegenläufige Entwicklung ad absurdum geführt. Außerdem heißt es, wie bereits dargestellt, im Auftrag der Bundeswehr im Rahmen von MINUSMA: “ Die Teilnahme an Operationen zur Terrorbekämpfung ist nicht vom Auftrag erfasst.“

Auch das immer wieder genannte Argument, man dürfe Mali nicht den Russen überlassen, vermag nicht zu überzeugen, weil das in keiner Weise Auftrag von MINUSMA ist. Vielmehr muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Anwesenheit der Bundeswehr seitens der Militärjunta nicht erwünscht ist. Anders kann man nämlich die ständigen Schikanen, die für die Soldaten in ihrem ohnehin schwierigen und gefährlichen Auftrag eine zusätzliche Belastung darstellen, nicht erklären.

Warum die Bundeswehr überhaupt in Mali ist, begründen Diplomaten rückblickend mit übergeordneter Politik: Frankreich wollte militärische Unterstützung für seine Afrika-Missionen, zur Wahl stand noch die Zentralafrikanische Republik – da entschied man sich in Deutschland lieber für Mali. Mittlerweile hat Frankreich die letzten Soldaten aus Mali abgezogen, seine Operationen und auch die Teilnahme an MINUSMA beendet. Eigentlich liegt es auf der Hand, welche Konsequenzen das für die Bundeswehr haben sollte.

Dem Bundestag und der Öffentlichkeit gegenüber wurde damals mit der Gefahr des Sahara-Dschihadismus für Europa argumentiert. Mittlerweile hat der Einsatz allerdings eine schleichende Umwidmung erfahren, nämlich hin zur Migrationsbekämpfung. „Wenn wir hier abzögen, dann würden sich Millionen auf die Reise nach Europa machen“, sagt ein führender Bundeswehr-Offizier in Gao.

Ich denke, dass man dieser Einschätzung zustimmen kann, und es der Bundesregierung gar nicht (mehr) um die „Unterstützung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität und bei der Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung vom April 2015“  geht, wie es im Auftrag der Bundeswehr heißt.

Wenn man ergänzend zur Situation in Mali jetzt auch die Entwicklung der Lage nach dem Militärputsch vom Januar 2022 im Nachbarland Burkina Faso betrachtet, sollte die Bundeswehr umgehend mit dem Abzug aus Mali beginnen und sich in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch um die Evakuierung der Ortskräfte kümmern.

Es hat nie eine überzeugende deutsche Strategie für unsere Soldaten in Mali gegeben und vor allen Dingen ist niemals definiert worden, wann und unter welchen Bedingungen der Einsatz beendet werden sollte.

Fazit: Wenn man ein ähnliches Desaster wie in Afghanistan vermeiden will, kann die Devise nur lauten: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Europa und auch die Vereinten Nationen werden den Kontinent nicht verändern. Dass müssen die Afrikaner schon selbst in die Hand nehmen.

Greven, am 16. August 2022

Jürgen Hübschen

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Das Getreideabkommen zwischen der Ukraine, Russland und der Türkei

Vorbemerkung

Am 22. Juli 2022 wurde in Istanbul ein Getreideabkommen zwischen der Ukraine, Russland und der Türkei unter Vermittlung der Vereinten Nationen vereinbart. Es wurde im Beisein des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vom ukrainischen Minister für Infrastruktur, Oleksandr Kubrakov, dem russischen Verteidigungsminister Sergei Shoigu, dem türkischen Verteidigungsminister Halusi Akar und dem UN Generalsekretär Antonio Guterres unterzeichnet. Der Vertrag basiert auf der internationalen Vereinbarung über die Sicherheit der Meere aus dem Jahr 1974.

International wurde das Abkommen begrüßt, weil man davon ausging, dass auf diese Weise eine drohende Hungerkatastrophe in vielen Entwicklungsländern gemildert oder abgewendet würde.

Im Folgenden soll dargestellt und bewertet werden, ob mir diesem Abkommen tatsächlich humanitäre oder eher wirtschaftliche Ziele verfolgt werden.

Der Inhalt des Getreideabkommens

Die Vertragsparteien einigten sich grundsätzlich darauf, für 120 Tage den Export von Getreide, Nahrungsmitteln und auch Dünger aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen Chordonomorsk, Odessa und Pivdenny zu ermöglichen. Im Gegenzug sollte garantiert werden, den Export landwirtschaftlicher Güter aus Russland nicht zu sanktionieren.

Wesentliche Inhalte:

  • Die Vertragsparteien garantieren ein sicheres Umfeld für alle im Rahmen dieses Abkommens eingesetzten Schiffe. Das bezieht sich auf die für den Export erforderlichen Einrichtungen in den Hafenanlagen und auf den Seeweg durch das Schwarze Meer.
  • Die Vertragsparteien verpflichten sich, Handelsschiffe andere zivile Schiffe und für den Export benötigte Hafeneinrichtungen nicht anzugreifen.
  • In Istanbul wird ein gemeinsames Koordinierungsbüro (Joint Coordination Center; JCC) etabliert, in dem Vertreter der Ukraine, Russlands, der Türkei und der UNO vertreten sind.
  • Es werden gemeinsame Inspektionsteams gebildet, die in Istanbul die Ladung und Besatzung aller Schiffe, die aus der Ukraine kommen oder Häfen in der Ukraine zum Ziel haben, kontrollieren, ob die Vertragsbestimmungen eingehalten werden.
  • Ukrainische Gewässer liegen ausschließlich in der nationalen Zuständigkeit
  • Sollte es erforderlich sein, werden Minensucher eingesetzt, um einen sicheren Aufenthalt in den Häfen und eine ungefährdete Passage der Schiffe, die vorzugsweise im Konvoi eingesetzt werden, zu garantieren.
  • Diesen Transitkorridoren dürfen sich Kriegsschiffe, Militärflugzeuge und/oder Drohnen nur auf eine vom JCC festgesetzte Distanz nähern
  • Die Vereinbarung wird automatisch jeweils um 120 Tage verlängert, falls keine der Vertragsparteien Einspruch erhebt.

Die bislang bekannte Umsetzung der Vereinbarung

Die erste Phase des Abkommens diente dazu, die 28 wegen des Krieges in ukrainischen Häfen blockierte Schiffe freizubekommen. 14 von ihnen haben bislang wohl mittlerweile mit Getreide beladen und sind in See gestochen. Konkret wurde berichtet,dass das erste Schiff am 1. August mit einer Mais Ladung  in Richtung Libanon abgefahren, aber dort noch nicht angekommen ist. Der Käufer hat angeblich den Liefervertrag gekündigt, weil er zu lange auf die Ladung warten musste. Von der libanesischen Regierung ist nicht bekannt, dass es eine Order für eine Maislieferung gab.  Aktuell liegt das Schiff vor der türkischen Küste, weil es noch keinen neuen Käufer für die Ladung gibt.

Am 5. August haben weitere 3 Schiffe die Ukraine verlassen und zwar mit den Zielen Gro0ßbritannien, Irland und Türkei. Andere Ziele wurden nicht genannt. Bekannt wurde allerdings, dass bislang – mit nur einer Ausnahme- alle Schiffe auf Grund privater Verträge, als s.g. „Commercial Ships,“ in See gestochen sind. Im Klartext heißt das, dass die Ladung der Schiffe gekauft wurde und der Käufer den jeweiligen Zielhafen bestimmt.

Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu wissen, dass lediglich vier Konzerne den In-und Export von Agrarstoffen weltweit  kontrollieren und abwickeln:  Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und die Louis Dreyfus Company. Gemeinsam sind sie als „ABCD-Gruppe“ oder einfach „ABCD“ bekannt. Archer Daniels Midland (wiederum ADM abgekürzt), Bunge und Cargill sind US-Unternehmen, Louis Dreyfus hat seinen Sitz in der niederländischen Hauptstadt Amsterdam. Alle vier wurden zwischen 1818 und 1902 gegründet, und von ADM abgesehen, stehen sie bis heute unter dem Einfluss ihrer Gründerfamilien. Sie handeln und transportieren, und sie verarbeiten auch viele Rohstoffe. Die Konzerne besitzen Hochseeschiffe, Häfen, Eisenbahnen, Raffinerien, Silos, Ölmühlen und Fabriken. Ihr Weltmarktanteil liegt bei 70 Prozent. Cargill ist die Nummer eins, gefolgt von ADM, Dreyfus und Bunge.

Nur ein einziges Schiff wurde bislang vom „World Food Program“ der UNO for „food aid“ (Hungerhilfe) gechartert mit dem direkten Kurs in ein Land, dessen Bevölkerung vom Hunger bedroht ist. Das Land wurde expressis verbis nicht genannt. Bekannt ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass es bislang z.B. kein Schiff in den Jemen, nach Äthiopien oder Somalia gab. Nach Aussage der UNO war das vorrangige Ziel nicht, die hungernde Bevölkerung in bestimmten Ländern zu versorgen, sondern durch die Exportmöglichkeiten der Ukraine die Preise auf dem Weltmarkt zu senken, was offensichtlich schon zu wirken beginnt.

Stéphan Dujarric, ein Sprecher des UN-Generalsekretärs, stellte dazu fest:“ In vielen Entwicklungsländern ist der Nahrungsimport nicht Teil einer humanitären Maßnahme, sondern eine wirtschaftliche Operation“

Zusammenfassende Bewertung

Das Abkommen zwischen Russland und der Ukraine ist grundsätzlich positiv, vor allem, weil damit bewiesen wurde, dass Gespräche zwischen Russland und der Ukraine möglich sind, wenn man sich darum bemüht!

Auf Grund Berichterstattung konnte/musste man davon ausgehen, dass die UNO, unter deren Ägide der Vertrag verhandelt wurde, auch die Federführung bei dessen Umsetzung hat. Ich war, wie sicherlich viele, vielleicht sogar die meisten, Menschen, die den Hergang des Abkommens verfolgt hatten, bisher der Meinung, der Vertrag würde in erster Linie dazu dienen, die von Hungersnot bedrohten Länder bei der Versorgung ihrer Bevölkerung zu unterstützen. Deshalb hatte ich erwartet, die UNO würde eine Reihenfolge für die Länder festlegen, in denen die Bevölkerung am dringendsten auf diese Lieferungen angewiesen ist, die dafür erforderlichen Schiffe chartern und die Ladungen zu einem zuvor festgelegten Kurs bezahlen. Auf diese Weise wären Preisspekulationen vermieden worden und keine neuen „Kriegsgewinnler“ entstanden.

 Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. Vorrangig sollten wohl die blockierten Schiffe mit in der Ukraine gelagertem Getreide in See stechen, um die Silos für die neue Ernte zu leeren und durch die erhöhte Menge an Getreide auf dem Weltmarkt die Preise zu senken. Wie es die Vertreterin der UNO erklärt hat, stehen bei dem Abkommen nicht humanitäre, sondern wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund.

Deshalb muss jetzt darauf geachtet werden, wer eigentlich an diesem Getreideexport verdient und ob und wann die Schiffsladungen wirklich in die Länder gehen, die am meisten darauf angewiesen sind.

Zum jetzigen Zeitpunkt entsteht der Eindruck, dass in erster Linie die Ukraine und die großen Konzerne und privaten Inverstoren von diesem Abkommen profitieren. Wer später beim „Zwischenhandel“ in den Entwicklungsländern zusätzlich noch die Hand aufhält, bevor das Getreide in den Töpfen der hungernden Menschen ankommt, kann man nur vermuten.

Greven, 12. August 2022

Jürgen Hübschen

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„Nicht wer zuerst die Waffen ergreift, ist der Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt“, Niccolo Machiavelli (1469-1527)

Vorbemerkung

Auf der Basis dieser Erkenntnis des italienischen Philosophen soll im Folgenden aufgezeigt werden, dass die Osterweiterung der NATO ein wesentlicher, vielleicht sogar der entscheidende Grund für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist. In diesem Zusammenhang ist mir wichtig, dass der völkerrechtswidrige Angriff Russlands damit nicht gerechtfertigt, sondern erklärt werden soll, weil es für die Lösung eines Konfliktes unabdingbar ist, sich mit seinen Ursachen auseinanderzusetzen.

Kurzer historischer Rückblick

Manchmal macht es einfach Sinn, sich mal ein paar Fakten in Erinnerung zu rufen.

Staaten/Republiken der ehemaligen Sowjetunion (UDSSR)

Armenien, Aserbeidschan, Estland (Sowjetrepublik), Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland (Sowjetrepublik), Litauen (Sowjetrepublik), Moldawien, Russische Föderation, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland.

Zwischen dem 11. März 1990 und dem 25. Dezember 1991 wurde die UDSSR aufgelöst

Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes (WP):

Neben der UDSSR gehörten Albanien, Bulgarien, DDR, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei und Ungarn zum Warschauer Pakt. Der WP wurde am 1. Juli 1991 aufgelöst

NATO Mitglieder, die früher zur UDSSR und/oder zum Warschauer Pakt gehörten mit dem Jahr ihres Beitritts

Albanien (2009), Bulgarien (2004), ehemalige DDR (mit der deutschen Wiedervereinigung) , Estland (2004 ), Lettland ( 2004) , Litauen (2004), Polen (1999) , Rumänien ( 2004 ) Slowakei ( 2004) , Tschechische Republik (1999)  und Ungarn (1999)  

Im Klartext heißt, dass, 10, bzw. 11 Staaten – weil die Tschechoslowakei sich geteilt hat in die Tschechische Republik und die Slowakei – von 14 Staaten/Republiken, die unter der Vorherrschaft der UDSSR standen, zwischen 1999 und 2004 de facto die Seiten gewechselt haben. Man sollte sich diese Entwicklung einmal auf der Karte ansehen. Für mich ist genau das ein, wenn nicht das Problem überhaupt für Präsident Putin, der Russland als Nachfolgestaat der UDSSR sieht. Hinzu kommt seine Befürchtung, dass weitere Staaten ebenfalls, sozusagen von Ost nach West wechseln, und dazu gehören für ihn offensichtlich besonders Georgien und die Ukraine.

Die Erweiterung der NATO zwischen 1949 und 2022

Die NATO wurde 1949 von 12 Mitgliedsstaaten gegründet- der Warschauer Pakt übriges erst 1955. Mittlerweile gehören 30 Staaten dem Bündnis an. Zuletzt beigetreten sind Montenegro ( 2017) und Nord Mazedonien ( 2020 ) Der von den USA angestrebte Beitritt Georgiens und der Ukraine scheiterte 2008, weil Deutschland und Frankreich unter Berufung auf Artikel 10 des NATO Vertrages ihre Zustimmung versagten und damit die erforderliche Einstimmigkeit nicht gegeben war.

Artikel 10 des NATO Vertrages

The Parties may, by unanimous agreement, invite any other European State in a position to further the principles of this Treaty and to contribute to the security of the North Atlantic area to accede to this Treaty. Any State so invited may become a Party to the Treaty by depositing its instrument of accession with the Government of the United States of America. The Government of the United States of America will inform each of the Parties of the deposit of each such instrument of accession.

Mit der Entscheidung von 2008, die Ukraine nicht in die NATO aufzunehmen, wurde das Thema in der NATO aber nicht zu den Akten gelegt, sondern blieb auf der Agenda, wie man dem Protokoll der Sitzung des NATO Rates in Brüssel vom 14. Juni 2021 entnehmen kann.

Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Staats- und Regierungschefs in Brüssel am 14. Juni 2021

„Wir bekräftigen unseren auf dem Gipfeltreffen 2008 in Bukarest gefassten
Beschluss, dass die Ukraine ein Mitglied des Bündnisses wird, wobei der
Mitgliedschaftsaktionsplan fester Bestandteil dieses Prozesses ist, und wir bestätigen
alle Elemente dieses Beschlusses sowie der nachfolgenden Beschlüsse einschließlich
der Tatsache, dass jeder Partner nach seinen Leistungen beurteilt wird. Wir
unterstützen standhaft das Recht der Ukraine, über ihre eigene Zukunft und ihren
außenpolitischen Kurs frei und ohne Einflussnahme von außen zu bestimmen. Die
nationalen Jahresprogramme im Rahmen der NATO-Ukraine-Kommission (NUK)
bleiben der Mechanismus, mit dem die Ukraine die Reformen im Zusammenhang mit
ihrem Wunsch nach einer NATO-Mitgliedschaft voranbringt. Die Ukraine sollte alle im Rahmen der NUK zur Verfügung stehenden Instrumente vollständig nutzen, um ihr Ziel, die Umsetzung der Grundsätze und Standards der NATO – zu erreichen.

Kritische und ablehnende Stimmen zur NATO Osterweiterung

Die ständige Erweiterung der NATO wurde nicht nur in Moskau ausgesprochen kritisch gesehen und als Bedrohung empfunden, sondern auch von vielen westlichen Politikern und Experten abgelehnt. Die entscheidenden Gründe für Ihre Ablehnung waren dabei sicherlich auch, die definitiven Zusagen u.a. von den ehemaligen Außenministern Genscher und Baker, dass es keine Erweiterung der NATO nach Osten geben würde. Genscher am 13. Januar 1990 in einer Rede an der Evangelischen Akademie in Tutzing wörtlich: „Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenze der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.“ Vom amerikanischen Außenminister Baker gibt es eine Notiz zu NATO Extension: “not one inch eastward“.

Kritische Stimmen aus den USA

William Burns, früherer US Botschafter in Moskau ( 2005-2008)  und jetziger CIA Chef bestätigt die Aussage Bakers und schreibt in seinem Buch „Back Channel“ auf Seite 55 u.a. : “With President Bush´s support, Baker sold the concept to German chancellor Helmut Kohl and foreign minister Hans-Dietrich Genscher in early February ( 1990) , agreeing to use Two Plus Four negotiations to press for rapid unification and full NATO membership, while reassuring the Soviets that NATO would not be extended any farther to the east, and would be transformed to reflect the end of the Cold War and potential partnership with the Soviet Union. In meetings a few days later with Shevardnadze and Gorbachev in Moscow, Baker won their support, and began the effort to ease their resistance to membership of a unified Germany in NATO. Baker maintained that Soviet interests would be more secure with a united Germany wrapped up in NATO, than a Germany united to NATO and perhaps eventually with its own nuclear weapons. He also said that there would be no extension of NATO`s jurisdiction or forces “ one inch to the east“ of the borders of a reunified Germany.The Russians took him at his word and would feel betrayed by NATO enlargement in the years that followed even though the pledge was never formalized and was made before the breakup of the Soviet Union. It was an episode that would be relitigated for many years to come….”

Jack Matlock, ebenfalls ehemaliger US Botschafter in Moskau ( 1987-91) äußerte sich in seinen Memoiren, zeitlich unmittelbar vor Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine wie folgt:“Since Putin’s major demand is an assurance that NATO will take no further members, and specifically not Ukraine or Georgia, obviously there would have been no basis for the present crisis if there had been no expansion of the alliance following the end of the Cold War, or if the expansion had occurred in harmony with building a security structure in Europe that included Russia… The crisis can be easily resolved by the application of common sense…. By any common-sense standard it is in the interest of the United States to promote peace, not conflict. To try to detach Ukraine from Russian influence — the avowed aim of those who agitated for the ‘color revolutions’ — was a fool’s errand, and a dangerous one. Have we so soon forgotten the lesson of the Cuban Missile Crisis?”

Und er erinnert an seinen Auftritt 1997 vor dem Auswärtigen Aussschuss des US Senats: «In 1997, when the question of adding more NATO members arose, I was asked to testify before the Senate Foreign Relations Committee. In my introductory remarks, I made the following statement: “I consider the administration’s recommendation to take new members into NATO at this time misguided. If it should be approved by the United States Senate, it may well go down in history as the most profound strategic blunder made since the end of the Cold War. Far from improving the security of the United States, its Allies, and the nations that wish to enter the Alliance, it could well encourage a chain of events that could produce the most serious security threat to this nation since the Soviet Union collapsed.“»

George F. Kennan, ein hochgebildeter, Historiker und Diplomat, der selber von 1933 bis 1937 in der US-Botschaft in Moskau im Einsatz war, warnte in der «New York Times» vom 5. Februar 1997 mit drastischen Worten:

« … But something of the highest importance is at stake here. And perhaps it is not too late to advance a view that, I believe, is not only mine alone but is shared by a number of others with extensive and in most instances more recent experience in Russian matters. The view, bluntly stated, is that expanding NATO would be the most fateful error of American policy in the entire post-cold-war era. Such a decision may be expected to inflame the nationalistic, anti-Western and militaristic tendencies in Russian opinion; to have an adverse effect on the development of Russian democracy; to restore the atmosphere of the cold war to East-West relations, and to impel Russian foreign policy in directions decidedly not to our liking. And, last but not least, it might make it much more difficult, if not impossible, to secure the Russian Duma’s ratification of the Start II agreement and to achieve further reductions of nuclear weaponry.» 

In seinen Memoiren erklärte Robert M. Gates, der sowohl unter George W Bush als auch unter Barack Obama als Verteidigungsminister fungierte, dass „die Beziehungen zu Russland nach dem Ausscheiden von Bush (senior) aus dem Amt im Jahr 1993 schlecht gemanagt wurden“. Neben anderen Fehltritten „waren die US-Vereinbarungen mit der rumänischen und der bulgarischen Regierung über die Rotation von Truppen durch Stützpunkte in diesen Ländern eine unnötige Provokation“. In einer impliziten Rüge an den jüngeren Bush behauptete Gates, dass „der Versuch, Georgien und die Ukraine in die Nato zu holen, wirklich zu weit ging“. Dieser Schritt sei ein Fall von „rücksichtsloser Missachtung dessen, was die Russen als ihre eigenen vitalen nationalen Interessen betrachten“.

Henry Kissinger kritisiert in diesem Zusammenhang, dass der Präsident keine strategisch auch nur ansatzweise sinnvolle Begründung dafür gegeben hat. Er hätte es vorgezogen, die NATO unverändert mit ihrer historischen Aufgabe der Verteidigung Europas zu belassen und für Sicherheitsfragen ganz Europas die OSZE zu benutzen.

Auch William Perry, US-Verteidigungsminister unter Bill Clinton 1994 bis 1997, plädierte für andere Wege der Sicherheit für Europa als mit einer NATO-Erweiterung. «The nascent European Union might have been the channel to consolidate democratic development in post-Soviet countries. OrEurope could have been engaged through the multinational Organization for Economic Cooperation and Development, or even through a focus on closer relationships with individual countries. But Washington chose NATO. »

Ted Galen Carpenter, ehemaliger Direktor des «Cato Institute» in den USA schrieb im Jahr 1997 den Artikel «The Folly of NATO Enlargement» .Darin finden sich folgende Aussagen:“Expanding the alliance to Russia’s borders threatens to poison Moscow’s relations with the West and lead to dangerous confrontations. Extending security commitments to nations in Russia’s geopolitical “back yard” virtually invites a challenge…. 

Clinton administration officials and other supporters of NATO expansion profess to be baffled at Moscow’s hostile reaction. But even the most peaceably inclined Russian leader would find it difficult to tolerate a U.S.-dominated military alliance perched on his country’s western frontier…The post‐​Cold War changes that have taken place in NATO’s military orientation heighten Russian apprehension. Throughout the Cold War, Western leaders could credibly argue that the alliance existed solely to defend the territory of member‐​states from attack. But as NATO has ventured into “out of area” missions, most notably in Bosnia, and such prominent supporters of the alliance as former secretary of state James Baker advocate NATO intervention “anywhere and under any circumstances” peace and stability in Europe are threatened, the alliance now clearly has offensive as well as defensive objectives….

And Russians will likely remember that the West exploited their country’s temporary weakness to establish hegemony throughout Central and Eastern Europe. NATO enlargement, therefore, could become the 1990s’ equivalent of the Treaty of Versailles, which sowed the seeds of revenge and an enormously destructive war….An enlarged NATO is a dreadful, potentially catastrophic idea. Instead of healing the wounds of the Cold War, it threatens to create a new division of Europe and a set of dangerous security obligations for the United States.”

Präsident Clintons Außenministerin Madeleine Albright, räumt in ihren Memoiren ein: „Der russische Präsident Boris Jelzin und seine Landsleute lehnten die Erweiterung strikt ab, da sie darin eine Strategie sahen, die ihre Verwundbarkeit ausnutzen und die europäische Trennlinie nach Osten verschieben würde, wodurch sie isoliert blieben.“

Kritische Stimmen aus Deutschland

Nicht nur in den USA, sondern auch auf deutscher Seite gab es neben dem damaligen Außenminister Genscher weitere warnende Stimmen prominenter Politiker zur Osterweiterung der NATO.

Der damalige Generalsekretär der Nato, Manfred Wörner, hatte schon 1991,noch vor der formellen Unabhängigkeit der 15 sowjetischen Unionsrepubliken, Boris Jelzin versichert, dass sich die ganz überwiegende Mehrheit der Staaten des Nato-Rates (13 von 16) gegen eine Ausweitung der Nato ausgesprochen habe und die Isolation der UdSSR von der Europäischen Gemeinschaft nicht zugelassen werden dürfe. Ein Jahr zuvor hatte er bereits in einer Rede in Brüssel versucht, in der Sowjetunion geäußerte Sorgen zu beruhigen, indem er erklärte:

„Gerade die Tatsache, dass wir bereit sind Nato-Truppen nicht jenseits des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren, gibt der Sowjetunion verbindliche Sicherheitsgarantien.“

Vom ehemaligen Bundeskanzler Schmidt gibt es aus dem Jahr 1993 die Aussage:

 „Wenn ich ein sowjetischer Marschall wäre oder ein Oberst, würde ich die Ausdehnung der NATO-Grenzen, erst von der Elbe bis an die Oder und dann über die Weichsel hinaus bis an die polnische Ostgrenze, für eine Provokation und eine Bedrohung des Heiligen Russlands halten, Und dagegen würde ich mich wehren. Und wenn ich mich heute nicht wehren kann, werde ich mir vornehmen, diese morgen zu Fall zu bringen.“

Egon Bahr äußerte sich zu dem Thema der NATO Osterweiterung wie folgt: „Europa kann seine Stabilität nur gewinnen, wenn es sicherheitspolitisch zwischen Lissabon und Wladiwostok für seine Staaten eine Struktur mit gemeinsamen Regeln formt…. „ Keine Regierung des Bündnisses hat erklärt, wie weit eigentlich die NATO ausgedehnt werden soll. Bis zur russischen Grenze? Eine Vorstellung für eine europäische Sicherheitsstruktur ist nicht erkennbar.“ … „Das amerikanische Interesse verlangt das Ziel einer sich selbst tragenden Sicherheitsstruktur für ganz Europa nicht, das europäische Interesse aber sehr wohl“

Zusammenfassung

Im Mai 1995,  anlässlich der  Feierlichkeiten «50 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges» in Moskau, warnte Boris Jelzin seinen US-amerikanischen Amtskollegen Bill Clinton , indem er sagte „For me to agree to the borders of NATO expanding towards those of Russia – that would constitute a betrayal on my part of the Russian people.“Die Details zu dieser Aussage können im mittlerweile öffentlich zugänglichen US-National-Security-Archiv nachgelesen werden.

Diese Einschätzung und Bewertung aus russischer Sicht hat sich auch durch die „Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags- Organisation und der Russischen Föderation“ aus dem Jahr 1997“ nicht wirklich geändert, obwohl es darin u.a. heißt: „Die Nordatlantikvertrags-Organisation und ihre Mitgliedstaaten einerseits und die Russische Föderation andererseits, im Folgenden als NATO und Russland bezeichnet, gestützt auf eine auf höchster politischer Ebene eingegangene    dauerhafte politische Verpflichtung, werden gemeinsam im euro-atlantischen Raum einen dauerhaften und umfassenden Frieden auf der Grundlage der
Prinzipien der Demokratie und der kooperativen Sicherheit schaffen.
Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner. Sie verfolgen
gemeinsam das Ziel, die Spuren der früheren Konfrontation und Konkurrenz zu
beseitigen und das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zu stärken….“

Die Grundakte legte den Mechanismus für die Konsultation, die Zusammenarbeit, die gemeinsame Entscheidungsfindung und das gemeinsame Handeln fest.Um die Ziele zu verwirklichen, wurde ein „Gemeinsamer Ständiger NATO-Russland-Rat“ eingerichtet, der zum „NATO-Russland-Rat“ (NRR) weiterentwickelt wurde.

Ein Grund dafür, dass Moskau von den Zielen dieser Grundakte offensichtlich nicht (mehr? ) überzeugt ist, liegt aus meiner Sicht darin, dass die gesamte Osterweiterung der NATO erst danach stattgefunden hat, nämlich zwischen 1999 und 2020, ohne dass die NATO dafür eine aus russischere Sicht einleuchtende Erklärung abgegeben hat. Das in diesem Zusammenhang immer wieder zu hörende Argument, die ehemaligen Staaten/Republiken der UDSSR hätten sich als nunmehr souveräne Staaten um eine Mitgliedschaft in der NATO beworben, ist für mich nicht schlüssig. Zum einen kann zweifelsfrei belegen, ob diese Staaten wirklich von sich aus aktiv geworden sind oder von den USA mit entsprechenden Zusagen eingeladen wurden, und zum anderen hätte die NATO ja entsprechende Beitrittswünsche/Gesuche ablehnen können, weil sie der Sicherheit Ganzeuropas nicht wirklich dienlich waren.

Russland hatte 1990/91versucht, eine neue europäische Sicherheitsstruktur zu initiieren, der  es auch selbst angehören wollte. Dafür hatte Moskau den Warschauer Pakt aufgelöst und z.B. 400.000 russische Soldaten aus der ehemaligen DDR abgezogen. Die NATO wurde dagegen nicht aufgelöst, sondern ständig erweitert und rückte auf diese Weise immer näher an die russischen Grenzen heran. Die USA haben ihre Truppenpräsenz in Europa nicht nur weitgehend beibehalten, sondern in manchen ehemaligen WP-Staaten/Republiken zusätzliche US-Truppen stationiert, z.T. nicht ständig, sondern rotierend. An einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur war und ist der Westen unter Führung der USA nicht interessiert. Die als Nachfolgerin der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) gegründete „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) , in der alle europäischen Staaten und auch die USA und Kanada Mitglied sind, spielt in der US-Außenpolitik überhaupt keine Rolle, weil die USA in dem Gremium nur1 von 57 Stimmen haben und auch nicht als „Primus Inter Pares“ agieren können.

Für Russland ist das für eine Zusammenarbeit erforderliche Vertrauen dadurch fundamental beschädigt worden, dass die USA und ihre Verbündeten sich bezüglich eines Verzichts auf eine Erweiterung der NATO nach Osten auf den Standpunkt gestellt haben, dass es darüber keine rechtsverbindlichen Vereinbarungen auf Regierungsebene gäbe, sondern lediglich persönliche Aussagen von Politikern auf Arbeitsebene und ohne pro cura. Diese Position ist vermutlich formaljuristisch zwar korrekt, aber letztlich eine, wenn nicht die wesentliche Ursache für den heutigen russischen Angriffskrieg. Moskau vertraut den USA nicht mehr, einem Staat, von dem der amerikanische, weltweit bekannte und prominenteste Kritiker der US Außenpolitik, Professor Noam Chomsky in einem Interview mit der „Irish Times“ vom 16. Oktober 2021 u.a. sagt: … “In fact, the United States is one of those rare countries-maybe the only country-that´s been at war, almost always aggressive war, from the first moment of its founding…. It´s always in defense, of course. Everything is in defense…

Which US president has not resorted to threat or use of force? I can´t think of one. So they are all undermining the US-constitution….“

Aus meiner Sicht ist die wesentliche Voraussetzung für einen Dialog mit Russland, um diesen Krieg zu stoppen, eine rechtlich verbindliche Zusage der USA auf Präsidentenebene, dass die Ukraine kein NATO Mitglied wird und durch Verhandlungen über einen neutralen Status des Landes, auf welcher Basis auch immer, Einvernehmen erzielt wird.

Greven, 10. August 2022

Jürgen Hübschen

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Deutschland muss handeln und verhandeln

Vorbemerkung

Die russische Gasleitung Nordstream1 wurde aktuell für die jährlichen Wartungsarbeiten abgeschaltet und soll in ca. 12 Tagen wieder einsatzbereit sein. Kanada wird die Siemens-Turbine, die vertragsgemäß gewartet wurde, – trotz der bestehenden Sanktionen gegen Russland- ausliefern, so dass diese wieder installiert werden kann. Ob Russland Ende Juli durch Nordstream 1 wieder Gas nach Deutschland liefert wird und falls ja, in welchem Umfang, ist aktuell nicht klar.

Klar wird allerdings langsam, dass es fatale Folgen für die deutsche Wirtschaft und vermutlich auch die die Bevölkerung haben wird, falls die russische Gaslieferung durch diese Pipeline – entgegen bestehender vertraglicher Vereinbarungen-  nicht wiederaufgenommen werden sollte.

Deshalb und nicht nur deshalb ist es dringend geboten, dass Deutschland handelt, sich nicht hinter den USA und/oder seinen europäischen Partnern versteckt und nicht weiter seine moralische Überheblichkeit pflegt, sondern sich an den Fakten orientiert.

Realpolitik ist gefragt

USA

Wie durch meinen früheren Beitrag deutlich wird, ist die von den Neokonservativen dominierte amerikanische Außenpolitik, auch in Bezug auf die Ukraine ausschließlich an den eigenen nationalen Interessen und an einer Schwächung Russlands als globalem Konkurrenten orientiert. In den USA verschlechtern sich die Umfragewerte für die demokratische Partei und den US-Präsidenten persönlich kontinuierlich. Eine Wiederwahl Bidens wird inzwischen von der Mehrheit seiner Partei abgelehnt. Am 8. November 2022 stehen in den USA die Midterm Elections an, bei denen alle Mitglieder des Repräsentantenhauses neu gewählt werden. Zurzeit haben die Demokraten dort eine Mehrheit von 221 Stimmen gegenüber 214 der Republikaner. Im Senat verfügen die Demokraten und Republikaner über jeweils 50 Sitze. Die Demokraten haben durch die Vizepräsidentin eine zusätzliche Stimme und damit eine Mehrheit von 51:50 gegenüber den Republikanern.

Sollten sich in den kommenden Wochen und Monaten die Chancen der Demokraten, ihre Mehrheit in beiden Häusern zu verteidigen, verschlechtern und ein Grund dafür das Engagement in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland sein, werden wir erneut ein Beispiel für amerikanische Realpolitik erleben.

Man wird den Wählern, die mit Mehrheit überhaupt keine Ahnung davon haben, was sich außerhalb von den USA abspielt, die amerikanische Russland-Ukraine-Politik als Erfolg verkaufen und zwar mit folgenden Argumenten:

  • Russland wurde als globaler Konkurrent geschwächt und vor allem in Europa völlig isoliert
  • Die NATO steht wieder treu zur Führungsmacht USA und wird durch den vorgesehenen Beitritt Schwedens und Finnlands zusätzlich gestärkt. (dass eine ca. 1.200 km lange Grenze wischen Finnland und Russland nicht unbedingt als Stärkung der NATO gesehen werden muss, wird in dieser Argumentation ausgeblendet)
  • Die NATO-Mitgliedsstaaten wollen ihre Verteidigungsausgaben erhöhen, und das wird mit umfangreichen Käufen amerikanischer Waffensysteme verbunden sein.
  • Entgegen den 2+4 Verträgen ist geplant, auch in den ehemaligen Mitgliedsstaaten der Warschauer Paktes auf Dauer NATO/US-Truppen zu stationieren.
  • Die EU ist bereit, ihre Politik als treuer Vasall an Washington zu orientieren.
  • Die Tür zum Energie-Markt Europa wurde durch die vorgesehene Lieferung von durch Fracking gefördertes Flüssiggas aufgestoßen  

Deutschland

In Deutschland dürfte es schwerfallen, vergleichbare Erfolge aus der Unterstützung der Ukraine und den Sanktionen gegenüber Russland vorzuweisen, ganz im Gegenteil.

Die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung werden zunehmend düsterer, und die sozialen Verwerfungen nehmen deutlich zu. Sollte es zu einem dauerhaften vollständigen Stopp der russischen Gaslieferungen kommen, wird sich die Situation dramatisch verstärken und zwar wirtschaftlich und auch sozial.

Wenn es zu einem Ende des amerikanischen Engagements kommen sollte und nicht nur dann, wird Deutschland einen wesentlichen Teil der Zeche bezahlen, nicht nur, aber auch, was den Wiederaufbau der Ukraine angeht. Russland wird ja weiterhin ein Teil Europas bleiben – zumindest bis zum Ural -, und ohne Russland kann es keine stabile Sicherheitsstruktur in und für Europa geben.

Was ist also zu tun`?

Damit es keine Missverständnisse gibt: Der russische Angriffskrieg ist völkerrechtswidrig und deshalb zu verurteilen. Das heißt aber nicht, einfach weiterzumachen wie bisher, also die Ukraine auf allen Ebenen zu unterstützen, vor allem durch die Lieferung schwerer Waffen und Russland ohne ein sicherheitspolitisches Konzept weiter zu sanktionieren und die sich daraus ergebenden Konsequenzen hinzunehmen.

Handeln und verhandeln

Nein, es muss gehandelt und verhandelt werden. Zunächst muss Deutschland in Washington vorstellig werden und den USA klarmachen, dass die deutschen Sicherheitsinteressen nicht identisch sind mit denen der USA. Das ergibt sich übrigens nicht nur aus einer völlig unterschiedlichen Lage, was die Energieversorgung angeht, sondern auch aus der geographischen Nähe zum Krieg in der Ukraine und auch zu Russland.

Deutschland muss darauf drängen, dass die USA das direkte Gespräch mit Russland suchen, um zunächst einen Waffenstillstand zu erreichen und dann eine gemeinsame Friedensordnung zu entwerfen. Präsident Putin wartet vermutlich auf ein Gespräch auf Präsidenten-Ebene. Sollte Washington dazu nicht bereit sein, muss eine entsprechende Initiative im UN Sicherheitsrat gestartet werden, Frankreich oder auch Großbritannien könnten das für Deutschland machen.

Natürlich könnte man auch versuchen, eine Verhandlungsinitiative über die EU in die Wege zu leiten, aber wegen der zwingenden Einstimmigkeit für ein solches Vorhaben, sehe ich die Chancen dafür als eher gering an.

Wer immer in die Verhandlungen mit Russland eintritt, sollte sich darauf einstellen, dass es ein Ergebnis ohne irgendein territoriales Zugeständnis an Russland zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht mehr geben wird.

Trotzdem gibt es zu Verhandlungen keine Alternative.

Mit der aktuellen Politik eines „so lange wie nötig“ sind die Folgen unkalkulierbar und zwar nicht nur im militärischen und wirtschaftlichen, sondern auch im sozialen Bereich.

Wie lautet der Amtseid des Bundeskanzlers?

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. “ (Diesen Zusatz hatte sich Bundeskanzler Scholz erspart, warum auch …?)

Greven, im 12. Juli 2022

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Welche Optionen hat der Westen im Ukraine Krieg, und gibt es eine Chance, diesen zu beenden?

Vorbemerkung

Aktuelle Aussagen von Bundeskanzler Scholz am 27. Juni 2022 auf dem G 7 Gipfel in Elmau:

„Wir werden den Druck auf Putin weiter erhöhen. Dieser Krieg muss enden“, schrieb Scholz auf Twitter.

„Wir alle werden die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen Russland weiterhin unterstützen“

. „Im Verhältnis zu Russland kann es kein Zurück geben in die Zeit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine“,

Scholz: „ Wir sind uns einig, , Präsident Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen…Wir brauchen einen Marshall-Plan für die Ukraine..

In der Abschlusserklärung heißt es u.a. :So lange wie nötig würden die G 7 der Ukraine zur Seite stehen und die erforderliche finanzielle, humanit#re, militärische und diplomatische Unterstützung „ für die mutige Verteidigung ihrer Souveränität und territorialen Integrität bereitstellen

Mir stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage:

Was bedeuten diese strammen These, „so lange wie nötig“?

Beim Militär würde man das einen  „Bronze-Satz“ nennen- konkret für den weiteren Verlauf des Krieges und vor allem für seine Beendigung?

  • So lange bis die russischen Truppen sich vollständig zurückgezogen haben?
  • So lange bis die Ukraine den Krieg gewonnen hat?
  • So lange bis die USA ihr Engagement aus innenpolitischen Erwägungen einstellen?
  • So lange bis Präsident Selensky erklärt, er brauch keine Unterstützung mehr?
  • So lange bis es einen Friedensvertrag gibt?
  • So lange bis die Ukraine wiederaufgebaut ist?
  • So lange bis im jeweiligen Staat die öffentliche Meinung hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine oder der Russland-Politik kippt?
  • So lange bis man keine Waffen mehr hat, die man liefern könnte?
  • So lange den Unterstützer-Staaten der Ukraine, aus welchen Gründen die Luft ausgeht?

Man könnte diese Fragen durchaus noch weiter fortsetzen.

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Niemand weiß, was in der Ukraine wirklich passiert, weil, wie in jedem Krieg von allen Beteiligten die Wahrheit durch Propaganda ersetzt wird. Deshalb bringt es nichts, sich mit konkreten einzelnen Meldungen zu beschäftigen, bestimmte Dinge anzunehmen oder Absichten zu vermuten. Deshalb habe ich versucht, Fakten zu finden, die die Lage in eher genereller Form kennzeichnen.

Die aktuelle Lage ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch folgende Fakten:

  • Russland ist in diesem Krieg der Aggressor
  • Die Ukraine hat den Krieg militärisch verloren, gibt es aber, ebenso wie ihre westlichen Verbündeten, nicht zu, sondern fordert stattdessen neben finanzieller Unterstützung immer nachdrücklicher schwere westliche Waffensysteme, die die ukrainischen Soldaten nicht bedienen und vor allem auch nicht taktisch orientiert einsetzen können.
  • Russland hat de facto die militärische Kontrolle über die Regionen ostwärts des Dnjepr vom Donbass über eine Landverbindung bis zur annektierten Krim.
  • Russland bombardiert, und der Westen sanktioniert, wird aber in seiner Russlandpolitik lediglich von ca. 60 Staaten weltweit unterstützt
  • Russlands Kriegsziele hat seine Ziele im Laufe des Krieges immer wieder geändert und sind deswegen aktuell letztlich nicht bekannt. Sie  werden lediglich von verschiedenen, z.T. selbst ernannten Experten unterschiedlich vermutet.
  • Die sicherheitspolitischen Ziele des Westens/NATO/ USA sind ebenfalls nicht klar definiert und variieren auf der amerikanischen Seite. Dafür zwei Aussagen von Präsident Biden und die Position des US Verteidigungsministers Austin III als Beispiele: 
    • Am 27. März 2022 in Polen: „For God sake this man can not remain in Power“. Am 1. Juni in einem Essay in der New York Times: “ I´m not encouraging or enabling Ukraine to strike beyond its borders and do not want to prolong the war just to inflict pain on Russia. Und Joe Biden ergänzte, that he was not seeking Mr. Putin’s ouster.  
    • Im Gegensatz zu seinem Präsidenten erklärte US Verteidigungsminister Austin III, dass man Russland so lange bekämpfen werde, dass es nie mehr in der Lage sein werde, einen solchen Krieg zu führen. Auf der anderen Seite wurde bekannt, dass Austin III im Mai 2022 seinen russischen Kollegen in einem von ihm initiierten Telefongespräch um einen Waffenstillstand gebeten hatte
  • Es gibt keine konzertierten Initiativen für einen Waffenstillstand und letztlich eine diplomatische Lösung, wie von den deutschen Intellektuellen in ihrem aktuellen Appell gefordert.  
  • Die UNO und auch die OSZE sind komplett abgetaucht und lassen keinerlei Aktivitäten erkennen, den Krieg zu beenden.

Was ist also zu tun?

Aus meiner Sicht entsteht die aktuelle Verunsicherung über die richtige Vorgehensweise im Umgang mit dem russischen Präsidenten nicht nur, aber zu einem starken Maße aus der Emotionalisierung in unseren Medien und in der Vereinfachung des Problems seitens der Politik durch eine Überbeanspruchung/Überbetonung der Moral zu Lasten der Fakten. Das beginnt schon mit der Diktion, indem man nur noch von Putin und nicht mehr vom russischen Präsidenten spricht. Auch eine Beschimpfung als „Schlächter“ oder „Kriegsverbrecher“ ist einer Lösung nicht dienlich. Natürlich ist er der Aggressor, aber seine Kriegsführung ist, nach allem, was man konkret weiß, nicht gekennzeichnet von einer besonderen Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung ( Stichwort: Ablösung der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten durch das ukrainische Parlament wegen der Verbreitung von Falschmeldungen über Verbrechen russischer Soldaten )und auch nicht durch eine gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur.

Die Zerstörung des großen Kaufhauses in Krementschuk wird von den Kriegsparteien völlig unterschiedlich dargestellt. Nach Aussagen des britischen Geheimdienstes gibt es ernst zu nehmende Hinweise, dass es sich bei der Bombardierung um einen Kollateralschaden handelt. Der Eindruck, Russland greife gezielt die Zivilbevölkerung an entsteht u.a. auch dadurch, dass- wie z.B. kürzlich- , von einem Raketenangriff auf die Region von Odessa berichtet wird, bei dem 6!!! Zivilisten verletzt wurden. Natürlich sind alle Opfer bedauerlich und mit persönlichen Schicksalen verbunden, aber im Vergleich mit der Häufigkeit, mit der die USA in Afghanistan immer wieder „zivile Kollateralschäden“ in Kauf genommen haben, ist das marginal, so brutal das klingt. Die USA haben aus der Luft ganze Städte im Irak und auch in Libyen platt gemacht, ohne dass es in den westlichen Ländern eine anti-amerikanische Medien-Kampagne gegeben hat. Damit ich nicht missverstanden werde: Man kann ein Unrecht nicht gegen ein anderes aufrechnen, aber man muss in der Bewertung einen klaren Blick behalten, und eine Einteilung der Welt in Gut und Böse ist nicht zielführend.

Die Haltung des Westens ist gekennzeichnet durch eine moralische Überheblichkeit.

Aus meiner Sicht gibt es – in aller Kürze; denn wir wollen ja vor allem diskutieren- aktuell nur 4 konkrete Handlungsoptionen

Option 1:

Der Westen stellt jegliche Unterstützung der Ukraine ein und lässt die Russen so lange weiter Krieg führen bis sie diesen beenden, weil sie ihre- dem Westen nicht bekannten- Kriegsziele erreicht haben. Alle Sanktionen gegen Russland werden rückgängig gemacht. Das Risiko, dass sich Moskau vielleicht mit der Ukraine nicht zufriedengibt, wird billigend in Kauf genommen. und Russland sieht sich in seiner aggressiven Politik bestätigt.

Option 2: Die NATO/der Westen steigt direkt in den Krieg gegen Russland , womit Neokonservativen in den USA kein Problem hätten. Das führt zur Feststellung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO-Vertrags, und es ist eine Entwicklung nicht auszuschließen die sogar zu einem Weltkrieg führen könnte, auch, weil ja nur etwa 60 Staaten dieser Erde die westliche Russlandpolitik für richtig halten. Die Staaten Südamerikas und Afrikas und die meisten Staaten Asiens verurteilen zwar den Krieg in der Ukraine, halten aber die westliche Russlandpolitik für falsch.

Option 3: Die NATO/der Westen unterstützt die Ukraine weiterhin finanziell und vor allen Dingen auch durch die Lieferung schwerer Waffen und verlängert damit einen Krieg, der de facto militärisch unwiderruflich verloren ist bis zu einem nicht genannten Zeitpunkt. Die Folgen für die Soldaten auf beiden Seiten, die ukrainische Bevölkerung und das Land selbst liegen auf der Hand.

Option 4: Man bemüht sich um einen Dialog mit Russland, initiiert von den USA unter Führung der UNO als Mediator. Klaus von Dohnanyi, der mittlerweile 94-jährige ehemalige 1. Bürgermeister von Hamburg, hat in einem Interview festgestellt, dass derjenige, der den Krieg beenden will, zunächst nach Washington und dann nach Moskau fliegen muss.

Der italienische Vorschlag, den Krieg in der Ukraine zu beenden

Ziel sei es, Schritt für Schritt vorzugehen und am Ende einen dauerhaften Frieden mit einem echten Abkommen zu erreichen, sagte der italienische Außenminister Di Maio am 20. Mai 2022 bei einem Treffen des Europarats in Turin. Der Vorschlag sieht unter anderem die Bildung einer internationalen Vermittlergruppe mit Vertretern von UNO, EU und OSZE vor. Di Maio hat über diesen Vorschlag bereits mit UN Generalsekretär Guterres gesprochen.

Das Dokument sieht vier Schritte vor:

  • einen Waffenstillstand in der Ukraine mit einer Demilitarisierung der Front unter UNO-Aufsicht,
  • Verhandlungen über den Status der Ukraine,
  • ein bilaterales Abkommen zwischen Kiew und Moskau über die Krim und den Donbass sowie
  • ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa.

Es ist zu vermuten, dass die Verhandlungsparteien mit Maximalforderungen in solche Gespräche gehen würden.

Russlands mögliche Position

  • Sofortiger Stopp jeglicher militärischen Unterstützung der Ukraine durch den Westen
  • Die Ukraine wird geteilt und Russland wird das ehemalige Novorussia zugesprochen, vom Dombass mit Landbrücke bis einschließlich Krim und der Region Odessa, möglicherweise auch die Transnistrische Moldawische Republik. (Liegt direkt an der Grenze zu Rumänien)
  • Beendigung der NATO-Osterweiterung
  • Keine dauerhafte Stationierung westlicher Truppen in den ehemaligen Mitgliedsstatten/Republiken der Sowjetunion
  • Ukraine wird ein neutraler Staat

Mögliche Position des Westens und der Ukraine

  • Sofortiger Waffenstillstand
  • Abzug aller russischen Truppen vom Territorium der Ukraine
  • Zustimmung Russlands zum NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens
  • Stationierung westlicher Truppen in der Ukraine
  • Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine

Es liegt auf der Hand, dass keine Vertragspartei ihre Positionen vollständig durchsetzen kann und wird, aber es ist ja zunächst erst einmal wichtig, die Positionen und Ziele der jeweils anderen Partei überhaupt zu kennen. Das ist neben einer grundsätzlichen Kompromissbereitschaft eine wesentliche Voraussetzung von Gesprächen. Der italienische Vorschlag könnte dann in einem zweiten Schritt eine Ausgangsposition für die Verhandlungen sein, die auf neutralem Boden stattfinden müssten, z.B. in Genf.

Die westliche Seite sollte von Anfang an so realistisch sein und davon ausgehen, dass auf Grund der aktuellen Lage territoriale Zugeständnisse an Moskau unvermeidbar sein würden, obwohl Russland diesen Krieg begonnen hat.

Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang die Einsicht, dass dieser Krieg mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch im Januar 2022 hätte verhindert werden können, zumindest wäre es einen Versuch wert gewesen.

Der Grund für einen Krieg ist nämlich in der Regel nicht nur bei dem Aggressor zu suchen, sondern auch in der Entwicklung, die dazu geführt hat.

Diese Erkenntnis hat übrigens 1967 der damalige israelische Botschafter in Deutschland Asher Ben Nathan mit Bezug auf den „Sechstage Krieg“ geäußert, indem er sagte:

„In einem Krieg ist es nicht entscheidend, wer den 1. Schuss abgibt, sondern, was davor passiert ist.“

Abschließend bin ich der Meinung, dass es diesen Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben hätte, wenn der Westen auf die von den USA forcierte NATO-Osterweiterung zu Gunsten einer europäischen Sicherheitsordnung verzichtet hätte, in die auch Russland eingebunden worden wäre und nicht noch im Juni 2021 die Aufnahme der Ukraine in die NATO weiterhin geplant hätte.

Greven, 6. Juli 2022

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Potent Weapons Reach Ukraine Faster Than the Know-How to Use Them

Potent Weapons Reach Ukraine Faster Than the Know-How to Use Them

Der nachfolgende Artikel aus der New York Times* zeigt das ganze Dilemma, das mit dem Mix der Lieferungen von westlichen Waffensystemen aus unterschiedlichen Ländern und der fehlenden Ausbildung der ukrainischen Soldaten verbunden ist.

Westliche Politiker beruhigen ihr Gewissen damit, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen und machen sich keinerlei Gedanken, ob die Soldaten an der Front diese überhaupt bedienen können; denn es fehlt ihnen nicht nur am Training, sondern auch an Manuals/Betriebsanleitungen in ukrainischer/russischer Sprache und an der erforderlichen Logistik. Die Soldaten an der Front googeln nach eigenen Aussagen Übersetzungsprogramme in dem Versuch, die Betriebsanleitungen der westlichen Waffensysteme zu verstehen.

Bei der Logistik fangen die Probleme mit den einfachen Werkzeugen an, die vor allem in England und den USA nicht auf dem metrischen System basieren, bis hin zu der Versorgung mit Ersatzteilen und auch der Munition. Die Ersatzteilversorgung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die westlichen Staaten unterschiedliche Systeme liefern, was ja im Dienstbetrieb innerhalb der NATO schon zu Versorgungsproblemen führt.

Einige ukrainische Soldaten wurden zwar vor dem Krieg in Liew von westlichen Experten ausgebildet, aber nicht an den Waffensystemen, die heute geliefert werden. Die ukrainischen Politiker und auch die hohen Militärs fordern vollmundig und immer dringlicher vom Westen die modernsten Waffen, und die armen Schw… an der Front können diese nicht bedienen.

Wenn es in den westlichen Ländern Monate dauert bis Soldaten ein Waffensystem beherrschen, geht das bei ihren ukrainischen Kameraden nicht mittels „Hand-Auflegen“ und auch nicht durch „Alibi-Kurzlehrgänge“. Hinzu kommt, dass schwere Waffen, vor allem Panzer ja nicht als einzelne Waffe eingesetzt werden, sondern von erfahrenen Führern im Verbund, vielfach sogar mit Hilfe von Luftunterstützung. Wer bildet denn diese Führer aus?
Politiker brauchen nach eigener Einschätzung keine Ausbildung, Soldaten schon!!!
Das alles kümmert im Westen niemanden, sondern man ist froh, die Arsenale alter Waffen in Richtung Ukraine zu räumen.
Der einzige Waffenexport, mit dem man die Ukraine wirklich unterstützen kann, sind russische Waffensysteme, die man „im Ringtausch“ liefern muss.

Insgesamt ist der Sinn des Waffenexports für mich mehr als fraglich, weil damit ein Krieg verlängert wird, den die Ukraine nicht gewinnen kann und in dem täglich auf beiden Seiten Soldaten fallen und verwundet werden, es immer mehr Opfer in der Zivilbevölkerung gibt und die Zerstörung des Landes immer größere Dimensionen annimmt.

Es darf nicht länger ums Gewinnen oder Verlieren gehen, sondern es muss verhandelt werden und zwar zwischen Washington und Moskau, weil nur diese beiden Supermächte ihren Stellvertreterkrieg beenden können.

Gez. Jürgen Hübschen

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New York Times*

June 6, 2022, 5:54 p.m. ETJune 6, 2022

June 6, 2022

Thomas Gibbons-Neff and Natalia Yerma

Potent Weapons Reach Ukraine Faster Than the Know-How to Use Them

KHERSON REGION, Ukraine — Since Russia invaded, NATO nations have upgraded Ukraine’s arsenal with increasingly sophisticated tools, with more promised, like the advanced multiple-launch rocket systems pledged by the United States and Britain.

But training soldiers how to use the equipment has become a significant and growing obstacle — one encountered daily by Junior Sgt. Dmytro Pysanka and his crew, operating an aged antitank gun camouflaged in netting and green underbrush in southern Ukraine.

Peering through the sight attached to the gun, Sergeant Pysanka is greeted with a kaleidoscope of numbers and lines that, if read correctly, should give him the calculations needed to fire at Russian forces. However, errors are common in the chaos of battle.

More than a month ago, the commanders of his frontline artillery unit secured a far more advanced tool: a high-tech, Western-supplied laser range finder to help with targeting. But there’s a hitch: Nobody knows how to use it.

“It’s like being given an iPhone 13 and only being able to make phone calls,” said Sergeant Pysanka, clearly exasperated.

The range finder, called a JIM LR, is like a pair of high-tech binoculars and likely part of the tranche of equipment supplied by the United States, said Sergeant Pysanka.

It may seem like a perfect choice to help make better use of the antitank gun, built in 1985. It can see targets at night and transmit their distance, compass heading and GPS coordinates. Some soldiers learned enough to operate the tool, but then rotated elsewhere in recent days, leaving the unit with an expensive paperweight.

“I have been trying to learn how to use it by reading the manual in English and using Google Translate to understand it,” Sergeant Pysanka said…..Ukraine’s leaders frequently call for high-end Western weapons and equipment, pinning their hopes for victory to requests for new antitank guided missiles, howitzers and satellite-guided rockets.

But atop the need for the tools of war, Ukrainian troops need to know how to use them. Without proper training, the same dilemma facing Sergeant Pysanka’s unit and their lone range finder will be pervasive on a much larger scale. Analysts say that could echo the United States’ failed approach of supplying the Afghan military with equipment that couldn’t be maintained absent massive logistical support.

“Ukrainians are eager to employ Western equipment, but it requires training to maintain,” said Michael Kofman, the director of Russian studies at C.N.A., a research institute in Arlington, Va. “Some things it’s not easy to rush.”

The United States and other NATO countries gave extensive training to the Ukrainian military in the years before the war, though not on some of the advanced weapons they are now sending. From 2015 to early this year, U.S. military officials say, American instructors trained more than 27,000 Ukrainian soldiers at the Yavoriv Combat Training Center near Lviv. There were more than 150 American military advisers in Ukraine when Russia invaded in February, but they were withdrawn.

Since the beginning of the war, the United States has pledged roughly $54 billion in aid for Ukraine and supplied a bevy of weapons and equipment, most recently several advanced HIMARS mobile rocket launchers, a move greeted with swift condemnation from the Kremlin.

But to avoid a more direct confrontation with Russia, the Biden administration has so far declined to send military advisers back into Ukraine to help train Ukrainian forces to use new weapons systems, and has instead relied on training programs outside the country.

This has put enormous pressure on Ukrainian soldiers like Sgt. Andriy Mykyta, a member of the country’s border guard who, before the war, received brief training from NATO advisers on the advanced British antitank weapons, known as NLAWs. Now he races around frontline positions trying to educate his comrades on how to use them. In many cases, he said, Ukrainian soldiers learned how to use some weapons, including NLAWs, on their own, using online videos and practice.

“But there are types of weapons that you can’t learn from intuition: surface-to-air missiles, artillery and some gear,” Sergeant Mykyta said in a telephone interview. “So we need formal courses,” he added……For Sergeant Pysanka’s gun team, the only instructor available for the laser range finder is a soldier who remained behind from the last unit and had taken time to translate most of the 104-page instruction manual. But it’s still trial and error as they figure out what combination of buttons do what, while searching for ad hoc solutions to solve the lack of a mounting tripod and video monitor (both of which are advertised in the instruction manual)….. “If you’re working long distances while holding it by hand, sometimes it can transmit inaccurate figures,” Sergeant Pysanka said. “It is safer,” he added, “to work when the gear is stationed on the tripod facing the enemy and the operator is working with the monitor under cover.”

The JIM LR, made by the French company Safran, looks like a cross between a virtual reality headset and traditional binoculars, and can be used alongside a mapping application on a computer tablet that Ukrainian troops use to help call in artillery strikes.

At around six pounds, it is far smaller than the four-and-a-half-ton, U.S.-supplied M777 155 mm howitzer that has recently made its way to the frontline in Ukraine’s east. But both pieces of equipment have intricacies that are reminders of the complications that come from supplying a military with foreign matériel.

The M777 is highly mobile and capable of firing long distances, but training has been a bottleneck in deploying the howitzers, Ukrainian officers say. At courses in Germany that lasted a week, the United States trained soldiers to fire the weapon and others to maintain it.

But an oversight nearly delayed all maintenance on the guns at the hard-to-reach front lines, Ukrainian officers said. The entire M777 machine is put together on the imperial system used in the United States, meaning that using a Ukrainian metric wrench on it would be difficult, and would risk damaging the equipment.

Only after sending the guns did the United States arrange for a rushed shipment of toolboxes of imperial-gauge wrenches, said Maj. Vadim Baranik, the deputy commander of a maintenance unit.

But tools can be misplaced, lost or destroyed, potentially leaving guns inoperable unless someone scrounges up a U.S.-supplied wrench.

And the JIM LR, capable of displaying extremely accurate targeting data, supplies the information, known as grid coordinates, in a widely used NATO format that Sergeant Pysanka has to convert to the Soviet-era coordinate system used on the Ukrainians’ maps. Such minor speed bumps and chances for error add up, especially when under the stress of a Russian artillery barrage. For now, Sergeant Pysanka is focused on learning the range finder. In his small slice of the war, Western-supplied weapons and equipment are limited to a small number of antitank rockets and first-aid kits.

“We can’t boast the same kind of resources that there are in the east,” said Maj. Roman Kovalyov, a deputy commander of the unit that oversees Sergeant Pysanka’s gun position. “What Ukraine gets, we can only see on the TV. But we believe that sooner or later it will turn up here.”

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Intelligence Blind Spots

Intelligence Blind Spots

Der Beobachter stellt sich immer wieder die Frage, was im Ukraine Krieg
wirklich passiert. Das liegt zum Einen daran, dass die Propaganda – wie
in jedem Krieg – von Anfang an die Wahrheit ersetzt hat und zum Anderen
natürlich auch, dass es für die Weltöffentlichkeit -wie man so sagt –
kein „Need to Know“ dafür gibt.

Das ist sicherlich nachvollziehbar. Neu ist für mich allerdings ein
Aspekt, der im angehängten Artikel der New York Times beschrieben wird,
dass nämlich die offiziellen Stellen der Ukraine den USA überhaupt nicht
die Fakten zur Verfügung stellen, die z.B. die CIA benötigt, um eine
realistische Lagebeurteilung zu erstellen.

Eine solche ist allerdings für die politisch Verantwortlichen in EU und
NATO von fundamentaler Bedeutung, wenn es z.B. darum geht, ob und wann
man welche Waffen an die Ukraine liefern sollte.

Für mich ist dieser Bericht in der New York Times* ein weiterer Hinweis
dafür, wie sorgfältig man bei der militärischen Unterstützung der
Ukraine sein sollte, die – unabhängig davon – diesen Krieg militärisch
nicht gewinnen kann und wird.

Wie schon so oft von mir festgestellt, darf es in diesem
Stellvertreter-Krieg nicht länger um Gewinnen oder Verlieren gehn,
sondern es muss endlich verhandelt werden und zwar zuerst zwischen
Moskau und Washington.

Gez. Jürgen Hübschen

*

New York Times vom 08. Juni 2020

Intelligence Blind spots
The U.S. has provided Ukraine with $54 billion in aid and is giving the country some of its most advanced weaponry. Yet U.S. intelligence agencies know less about Ukraine’s successes and failures on the battlefield than they do about Russia’s, my colleague Julian Barnes writes.
American officials say that the Ukrainians give them few classified briefings or details about their operational plans, and the Ukrainians admit that they do not tell the U.S. everything. Even in high-level conversations with Gen. Mark Milley, the chairman of the Joint Chiefs of Staff, or Lloyd Austin, the secretary of defense, Ukrainian officials do not share detailed operational plans.
The result has been some blind spots.
“How much do we really know about how Ukraine is doing?” said Beth Sanner, a former senior intelligence official. “Can you find a person who will tell you with confidence how many troops has Ukraine lost, how many pieces of equipment has Ukraine lost?”
Ukraine’s secrecy has forced U.S. military and intelligence officials to try to learn what they can from other countries operating in Ukraine, training sessions with Ukrainians and President Volodymyr Zelensky’s public comments, U.S. officials said.
One reason for the secrecy is that Ukraine wants to project an image of strength and not present information that could encourage the U.S. and other Western partners to slow the flow of arms. Another reason for the incomplete intelligence is cloud cover, which has limited the utility of overhead satellites.
Not knowing the state of the Ukrainian military means that the intelligence community cannot present a full picture to the public or Congress.
“Everything is about Russia’s goals and Russia’s prospects for meeting their goals,” Sanner said. “We do not talk about whether Ukraine might be able to defeat them. And to me, I feel that we are setting ourselves up for another intel failure by not talking about that publicly.”
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Die amerikanische Realpolitik im Ukraine-Krieg und die Konsequenzen für Europa.

Die amerikanische Realpolitik im Ukraine-Krieg und die Konsequenzen für Europa.

Vorbemerkung

Die amerikanische Realpolitik basiert ausschließlich auf den nationalen Interessen der nuklearen Großmacht USA. Das ist durchaus legitim, muss aber von eventuellen Verbündeten immer und vor allem auch zeitgerecht zur Kenntnis genommen werden.

Afghanistan ist das jüngste Beispiel dafür, dass die USA ihre Entscheidungen ausschließlich aus der nationalen Sicht Washingtons treffen. Die amerikanische Afghanistan Operation „Enduring Freedom“ zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus begann am 07. Oktober 2001. Die NATO schloss sich diesem Kampf am 20.12.2001 mit der Operation „International Security Assistance Force“ (ISAF) an. Am 28. Dezember 2014 entschieden sich die USA ohne erkennbaren konkreten Grund und vor allem auch ohne Abstimmung mit ihren Verbündeten dazu, den Kampfeinsatz zu beenden. Die NATO schloss sich dieser Entscheidung notgedrungen am 31. Dezember 2014 an und beendete ihre Operation “ISAF”. Am 01. Januar 2015 starteten die USA mit der Operation “Freedom´s Sentinel”, ihrer Unterstützungsoperation in Afghanistan. Die NATO folgte auch diesem, erneut nicht abgestimmten Vorgehen Washingtons mit ihrer Operation „Resolute Support“ . 2021 war die US-Regierung nach nicht zielführenden Gesprächen mit den afghanischen Taliban offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, ihren verlustreichen und letztlich auch erfolglosen Militäreinsatz in Afghanistan zu beenden. Erneut ohne jegliche Rücksprache mit ihren Alliierten beendeten die USA ihre Afghanistan Operation „ Freedom´s Sentinel“ und zogen zum 31. August 2021 die letzten amerikanischen Soldaten aus dem Land am Hindukusch ab. Da ihre Verbündeten ohne die USA nicht in der Lage waren, ihren Einsatz fortzusetzen, beendete die NATO ihre Unterstützungsoperation „Resolute Support“ offiziell am 21. September 2021. Die derzeitige katastrophale Lage in Afghanistan unter einer Regierung der Taliban ist eine Konsequenz der amerikanischen Realpolitik,

Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob im Zusammenhang mit dem westlichen Engagement im Ukraine Krieg ein vergleichbares Vorgehen der US-Regierung – vielleicht mit einem ähnlich desaströsen Ergebnis -ausgeschlossen werden kann.

Die amerikanische Realpolitik im Ukraine-Krieg

Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich das Verhalten und wesentliche grundsätzliche Aussagen des US-Präsidenten und seiner Administration in Erinnerung rufen.

Am 26. März 2022 beendete Präsident Biden in Warschau seine Rede über den von Präsident Putin begonnen Krieg in der Ukraine mit den Worten: “For God’s sake, this man cannot remain in power.” Nachdem dieser Satz auch zu erheblichen Irritationen in seiner eigenen Administration geführt hatte, versicherte der US Präsident 2 Tage später: „I was expressing the moral outrage that I feel, and I make no apologies for it,….“Nobody believes I was talking about taking down Putin. Nobody believes that.”

Am 31. Mai 2022 erklärte der US Präsident, dass er die Ausfuhr des Raketenabwehrsystems „HIMAR“ an die Ukraine genehmigt habe, nachdem die ukrainische Führung zugesichert habe, mit diesen Raketen keine Ziele auf russischem Territorium anzugreifen. Den Export dieses modernen Waffensystems begründete der US Präsident mit den Worten: “The delivery of the advanced weapons will enable Ukraine to fight on the battlefield and be in the strongest possible position at the negotiating table.”  Einen Tag später, am 01. Juni 2022, schrieb Biden in einem “Opinion Essay“ in der New York Times  u.a. : “ I was not encouraging or enabling Ukraine to strike beyond its borders and I don´t want to prolong the war just to inflict pain on Russia.” Und er ergänzte, that he was not seeking Mr. Putin’s ouster.

Eine derartig widersprüchliche Position gegenüber Russland findet sich auch im Verhalten und den Aussagen der militärischen Führung der USA.

Nach einem unangekündigten Besuch in Kiew sagte US Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III. : “We want to see Russia weakened to the degree it cannot do the kind things that it has done in invading Ukraine,” Vor diesem Hintergrund war es überraschend, dass der US-Verteidigungsminister- zum ersten Mal seit dem 18. Februar 2022-  am 13. Mai 2022 seinen russischen Amtskollegen Sergej Schojgu anrief, um diesen- nach amerikanischen Angaben- zu einem sofortigen Waffenstillstand zu drängen. Außerdem habe Austin III. auf die Bedeutung der Aufrechterhaltung der Kommunikationswege hingewiesen. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, es seien Fragen der internationalen Sicherheit besprochen worden. Dabei sei es auch um die Lage in der Ukraine gegangen. Weitere Einzelheiten wurden nicht bekannt.

Der russische Machtapparat hatte zuvor beklagt, dass es keine Kontakte zwischen Moskau und Washington mehr gebe.

Knapp 1 Woche später, am 19. Mai 2022, telefonierte der amerikanische Generalstabschef General Mark Milley erstmalig seit Kriegsbeginn mit dem russischen Generalstabschef, General Valery Gerassimow. Auch in diesem Fall ging die Initiative von den USA aus. Ein Sprecher des US-Generalstabs sagte zum Inhalt des Telefonats: Es sei um „wichtige sicherheitsbezogene Themen“ gegangen. Der Sprecher des Pentagon, John Kirby, ergänzte: „Wir glauben, dass es wichtig ist, dass die Kommunikationslinien offen sind.“

Der US Präsident und seine Administration behalten sich aber nicht nur vor, sich hinsichtlich des Engagements im Ukraine Krieg und ihrer Haltung gegenüber Russland an den Realitäten und damit an den nationalen Interessen zu orientieren, sondern passen ihre Politik auf Grund des Ukraine Krieges auch auf internationaler Ebene an. Dazu zwei Beispiele:

Venezuela

Im Jahr 2019 hatten die USA ihre diplomatischen Beziehungen zu Venezuela abgebrochen und ihre westlichen Verbündeten aufgefordert, ihrem Beispiel zu folgen und statt des gewählten Präsidenten Maduro den Oppositionsführer Guaidó als Nachfolger anzuerkennen. U.a. Deutschland folgte dieser Aufforderung. Im Zusammenhang mit den wegen des Angriffskrieges verhängten Sanktionen gegen Moskau stellten die USA ihre Ölimporte aus Russland ein und forderten ihre Verbündeten auf, ihrem Beispiel zu folgen. Da sich auch in den USA die Energiepreise, vor allen Dingen an den Tankstellen, wegen des Ukraine Krieges ständig weiter erhöhten, entschloss sich Washington zu einer Kehrtwende in seiner Venezuela-Politik. Am 6./7. März flog eine US-Delegation nach Venezuela, um mit Präsident Maduro vermutlich auch über die Wiederaufnahme der 2019 gestoppten Öllieferungen in die USA zu verhandeln. Offensichtlich sieht die US-Regierung dies als eine Option, den Verzicht auf russisches Öl auszugleichen. Während der 2-tägigen Gespräche wehten die Fahnen der USA und Venezuelas vor dem Verhandlungsgebäude, und als Zeichen des good will wurden 2 Amerikaner aus dem Gefängnis entlassen. Maduro bezeichnete das Treffen als fruchtbar.

Saudi-Arabien

Die USA waren nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi am 02. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul auf Distanz zum Königreich am Golf gegangen, vor allem auch deshalb, weil die CIA ermittelt hatte, dass die Ermordung Kashoggis mit Wissen oder möglicherweise sogar auf Anweisung von Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS)  erfolgt war. Der damalige demokratische Präsidentschaftskandidat und heutige US Präsident Joe Biden, hatte seinerzeit  gesagt, he would make the Saudi „ pay the price, and make them in fact the pariah that they are” und er ergänzte, there was „ very little social redeeming value in the present government in Saudi Arabia.”. Auch der saudische Krieg im Jemen, der –trotz eines gerade verlängerten Waffenstillstands- grundsätzlich noch andauert hat, zu einer Distanzierung der US-Regierung zum saudischen Königreich geführt. Obwohl die Verantwortlichen für die Liquidierung Kashoggis noch immer nicht zu Rechenschaft gezogen wurden und- wie gesagt- Saudi-Arabien den Krieg im Jemen trotz der Forderung Washington noch immer nicht beendet hat, plant die US-Regierung für Ende Juni dieses Jahrs eine Reise des US-Präsidenten nach Riad. Dabei spielt es offensichtlich auch keine Rolle, dass 15 von 19 identifizierten Terroristen, die an dem Anschlag vom 11. September 2001 beteiligt waren, aus Saudi-Arabien stammten.

Zur Vorbereitung der Reise des US Präsidenten war in der letzten Mai Woche eine US Delegation unter Führung des Koordinators für den Nahen Osten, Brett McGurk, nach Saudi-Arabien gereist. Die OPEC kündigte annähernd zeitgleich an, ihre Ölfördermenge im Juli und August von aktuell 439.000 Barrel/Tag auf 648.000 Barrel/Tag zu steigern.

US Außenmnister Blinken kommentierte diese politische Kehrtwende Washingtons mit den Worten, human rights are still important, but „ we are addressing the totality of our interests in that relationship”.

Die Konsequenzen für Europa

Im Dezember 2013 hatte der deutsche Politiker Egon Bahr im Gespräch mit Schülern eines Gymnasiums u.a. gesagt: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.

Diese Aussage bewahrheitet sich in der amerikanischen Außenpolitik nachdrücklich, und deswegen müssen Europa und besonders Deutschland aufpassen, dass sie mit ihrem „Pro-Ukraine-Programm nicht plötzlich allein Russland gegenüberstehen. Nach einem Bericht der US-Zeitschrift „The Hill“ *vom 02. Juni 2022 schwindet die Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung für die Russlandpolitik der Regierung und auch des US Präsidenten persönlich dramatisch. Wörtlich heißt es im Bericht der Zeitung: “Public support for a major U.S. role in Ukraine polled in the mid-60s in March, but in the latest AP-NORC survey on May 16 this only commands a 45 percent plurality. Similarly, President Biden’s “handling of U.S. relations with Russia” commanded a strong majority in March but is now “underwater,” with 45 percent approving and 51 percent disapproving.

Diese Entwicklung ist für den US Präsidenten besonders kritisch, weil im November 2022 die „Midterm Elections“ anstehen und die Gefahr besteht, dass die regierenden Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren. Auch die Mehrheit im Senat steht auf der Kippe, weil sie wegen der Patt Situation zwischen Demokraten und Republikanern nur auf der Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris basiert.

Da die Vergangenheit gezeigt hat, dass sich die Stimmung der Bevölkerung vieler westeuropäischer Staaten – wenn auch mit einem gewissen Zeitverzug – an der öffentlichen Meinung der USA orientiert, muss befürchtet werden, dass auch in diesen Staaten die Unterstützung für die Russland- und Ukraine-Politik schwinden wird. Zum Beispiel ist bereits heute festzustellen, dass die Inflationsrate in Deutschland von derzeit knapp 8% und die ständig steigenden Preise, vor allem auch im Energiesektor, zu einer deutlich spürbaren Unruhe und Verunsicherung in der Bevölkerung geführt haben. Zusätzlich entsteht bei einem Teil der finanziell schlechter gestellten Bürger der Eindruck, dass für die ukrainischen Flüchtlinge und auch für die Ukraine selbst unbeschränkt finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, während im eigenen Land immer mehr Menschen wegen der Preisentwicklung kein gesichertes finanzielles Auskommen mehr haben. Auch die Tatsache, dass sich aktuell alle möglichen Organisationen und Initiativen für die Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge engagieren und dabei ebenso vom Schicksal schwer getroffene Asyl suchende Menschen anderer Länder aus dem Auge verloren werden, es mittlerweile sozusagen „Flüchtlinge 1. und 2. Klasse“ gibt, birgt sozialen Zündstoff.

Ob die derzeitige öffentliche und mediale Unterstützung für umfangreiche Waffenlieferungen an die Ukraine, bis hin zu schweren Waffen, Bestand haben wird, muss bezweifelt werden und wird stark davon abhängen, wie sich die USA verhalten.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Entwicklung der Stimmungslage in Europa ist, dass die politisch interessierten Bürger zu begreifen beginnen, dass die von den USA forcierte Isolierung Russland und die damit verbundenen Sanktionen lediglich von etwa 65 der 195 Länder dieser Welt unterstützt werden. Vor allem die Länder Afrikas und Lateinamerikas und auch asiatische Staaten wie China, Indien oder auch Indonesien und damit der größte Teil der Weltbevölkerung sind klar auf Distanz gegenüber Washington, nicht zuletzt, weil die ärmeren Länder unter den Folgen des Krieges und der westlichen Sanktionspolitik besonders leiden. Stichwort: Abhängigkeit von russischen und ukrainischen Weizenlieferungen für die hungernde Bevölkerung.

Jetzt werden sogar die ersten Stimmen laut,, wie „The Hill“ schreibt, ..”that it is not Russia that is the world’s most isolated superpower but perhaps the United States itself.”

Man verurteilt zwar weltweit mit Mehrheit den russischen Angriffskrieg in der Ukraine nach wie vor, hat aber zunehmend Zweifel ob die Politik der USA und ihrer Verbündeten gegenüber Moskau wirklich zielführend ist oder vielleicht den eigenen Ländern mehr schadet als Russland selbst. Es werden klare Friedensinitiativen vermisst und vor allem auch Konzepte für die Zeit danach, weil ja jeder Krieg irgendwann endet und Russland bis zum Ural dann immer noch ein Teil Europas sein wird.

Fazit: Europa muss mit der Diskussion/Spekulation darüber, wer diesen Krieg gewinnen oder verlieren wird, umgehend aufhören und endlich die Initiative ergreifen, diese militärische Auseinandersetzung zu beenden. Dazu ist es vermutlich wichtiger, zunächst bei Präsident Biden auf Augenhöhe vorstellig zu werden, um dann gemeinsam den russischen, aber auch den ukrainischen Präsidenten unmissverständlich aufzufordern, einem sofortigen Waffenstillstand zuzustimmen. Erst danach kann über eine dringend erforderliche neue europäische Friedensordnung verhandelt werden.

Sollte Europa diese Option nicht nutzen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die beiden nuklearen Supermächte USA und Russland, zu irgendeinem Zeitpunkt und ohne Rücksprache mit ihren Verbündeten, auf einer anderen Ebene verständigen und Europa mit dem Problem allein gelassen wird, die Ukraine wiederaufzubauen.

„The Hill“ is an American newspaper and digital media company based in Washington, D.C. that was founded in 1994.[2][4] In 2020, it was the largest independent political news site in the United States.

Focusing on politics, policy, business and international relations, The Hill’s coverage includes the U.S. Congress, the presidency and executive branch, and election campaigns.[5] The Hill describes its output as „nonpartisan reporting on the inner workings of Government and the nexus of politics and business“.[6]

The company’s primary outlet is TheHill.com. The Hill is additionally distributed in print for free around Washington, D.C. and distributed to all congressional offices. It is owned by Nexstar Media Group.

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Der italienische Friedensplan, der Besuch des polnischen Staatspräsidenten in Kiew und der Weltwirtschaftsgipfel in Davos

Der italienische Friedensplan, der Besuch des polnischen Staatspräsidenten in Kiew und der Weltwirtschaftsgipfel in Davos

Vorbemerkung

Was haben der italienische Friedensplan, der Besuch des polnischen Staatspräsidenten Duda in der Ukraine und der Weltwirtschaftsgipfel in Davos miteinander zu tun? Sind es drei Faktoren einer gemeinsamen Strategie in Bezug auf den Krieg in der Ukraine oder konterkarieren sie sich gegenseitig?

Auf diese Frage soll im Folgenden versucht werden, eine Antwort zu geben.

Der italienische Friedensplan

Am 20. Mai 2022 fand unter dem aktuellen Vorsitz Italiens in Turin das Treffen der 46 Mitgliedsstaaten des Europarates statt. Russland nahm an dem Treffen nicht teil, weil der Europarat am 15.März 2022 beschlossen hatte, Russland wegen seines Angriffskrieges in der Ukraine aus dem Rat auszuschließen, woraufhin Moskau das Gremium am selben Tag von sich aus verlassen hatte.

Der italienische Außenminister Luigi Di Maio legte auf der Sitzung einen Friedensplan vor, der von Diplomaten und der italienischen Regierung entwickelt und den Unterhändlern der sieben wichtigsten Industrienationen (G7) vorgelegt worden sei. Er habe außerdem mit UN-Generalsekretär António Guterres gesprochen. Die UN, EU und OSZE sollten als Hauptarbeitsgruppe andere Länder wie die Türkei und Indien miteinbeziehen.

Nach Informationen der italienischen Zeitung „La Republica“ sieht das Dokument vier Schritte vor:

  • einen Waffenstillstand in der Ukraine mit einer Demilitarisierung der Front unter UNO-Aufsicht,
  • Verhandlungen über den Status der Ukraine,
  • ein bilaterales Abkommen zwischen Kiew und Moskau über die Krim und den Donbass sowie
  • ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa.

Ziel sei es, so der italienische Außenminister, Schritt für Schritt vorzugehen und am Ende einen dauerhaften Frieden mit einem echten Abkommen zu erreichen,

Der Besuch des polnischen Staatspräsidenten Duda in der Ukraine

Am 22.05.22 hat der polnische Staatspräsident Duda der Ukraine überraschend einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Als erster ausländischer Staatschef seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022 hat Duda in Kiew eine Rede vor dem ukrainischen Parlament gehalten. In seiner Ansprache sagte Duda u.a., niemand könne die polnisch-ukrainische Einheit stören. Er bekräftigte das Recht der Ukraine auf Selbstbestimmung. Duda wörtlich: „Nur die Ukraine hat das Recht, über ihre Zukunft zu bestimmen.“ Außerdem erklärte Duda, die Ukraine müsse möglichst schnell einen EU-Kandidatenstatus erhalten.

Ob der nunmehr schon 2. Besuch des polnischen Präsidenten in der Ukraine nach Kriegsausbruch mit den EU-Gremien abgesprochen war, ist nicht bekannt.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos (World Economic Forum; WEF)

Am 22. Mai 2022 trafen rund 2.200 Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, in Davos zum 52. WEF ein. Das Treffen wird bis zum 26. Mai 2022 dauern.  Es nehmen keine Vertreter aus Russland, weder aus Wirtschaft noch aus Politik teil. „Ich bin sicher, dass das die richtige Entscheidung war“, sagte WEF-Präsident Borge Brende. „Wir hoffen jedoch, dass Russland in den nächsten Jahren einen anderen Weg einschlagen und sich an die UN-Charta der Vereinten Nationen und ihre internationalen Verpflichtungen halten wird.“ Aus der Ukraine wird eine große Delegation teilnehmen. Das Treffen steht in diesem Jahr unter dem Motto ‚Geschichte am Wendepunkt‘. Zum Auftakt wird der ukrainische Präsident Selensky per Video zugeschaltet und die Eröffnungsrede halten.

Der Krieg in der Ukraine wird beim WEF das dominierende Thema sein: „Einerseits die schwere Situation in der Aktualität versuchen, vielleicht etwas zu verbessern, aber sicherlich auch auf den Wiederaufbau dann in der Ukraine hinzuarbeiten“, sagt Alois Zwinggi, geschäftsführender Direktor der WEF-Stiftung in Cologny bei Genf. U.a. anderem ist bereits von einem Marschall-Plan für die Ukraine die Rede.

Bewertung

Der ehemalige chilenische Boschafter in China und jetzige Professor an der Universität Boston, Jorge Heine, äußert sich in einem aktuellen Interview der SZ vom 21./22. Mai 2022 unter dem Titel „Der andere Blick auf den Krieg“ u.a. wie folgt: „Über den Ukraine Krieg heißt es, er sei einzigartig. Und deshalb brauche es extreme Maßnahmen. Tja, ich würde sagen: Schaut auf das, was im Jemen in den vergangenen 8 Jahren passiert ist. 250.000 Menschen sind dort infolge des Krieges gestorben. Die meisten durch saudi-arabische Waffen, geliefert aus NATO Staaten. Es gibt keinen Versuch, Sanktionen gegen Saudi-Arabien zu verhängen oder es aus dem Swift-System auszuschließen. Im Gegenteil, das Land wird von NATO-Staaten unterstützt. Auch darum werden die Sanktionen gegen Russland anderswo als scheinheilig empfunden. Sie werden nur umgesetzt, weil der Krieg in Europa stattfindet. Was woanders passiert, spielt keine Rolle.“

Man könnte diese Aussagen ergänzen um das Verhalten des Westens im Zusammenhang mit den ebenfalls völkerrechtswidrigen Kriegen im Irak und in Libyen, für die die USA und ihre Verbündeten die Verantwortung tragen.

Trotzdem ist es nachvollziehbar, in der aktuellen Situation den Krieg in der Ukraine auf dem WEF zu einem zentralen Thema zu machen, allerdings nicht in der jetzt geplanten einseitigen. Form. Die Eröffnungsrede durch den ukrainischen Präsidenten halten zu lassen, war ebenso falsch, wie der Ausschluss russischer Experten von der Veranstaltung. Probleme werden nicht dadurch gelöst, dass man nicht mehr miteinander redet, sondern durch das genaue Gegenteil.

Das Ziel der USA, durch diesen Stellvertreter-Krieg in Russland einen „Regime Change“ anzustreben und Russland so zu schwächen, dass Moskau nie mehr in der Lage sein wird, einen solchen Krieg zu beginnen, wird von den meisten Staaten weltweit gar nicht geteilt.  Dazu stellt Jorge Heine im genannten Interview fest: „Der Westen scheint vereint, das ist korrekt. Das heißt die USA, Europa, Australien, Neuseeland, Japan und ein paar andere Länder. Aber, wenn wir nach Afrika, Asien und Lateinamerika schauen, dann sind die Staaten dort mit einem Großteil von dem, was in diesem Krieg gesagt und getan wird, nicht einverstanden. Die Invasion der Ukraine sollte eindeutig verurteilt werden. Im globalen Süden hat man aber das Gefühl, dass die wirtschaftliche Lage schon schlimm genug ist. Und wenn die Sanktionen so umgesetzt werden, wie es sich der Westen vorstellt, werden in Asien, Afrika und Lateinamerika mehr Menschen an Hunger sterben als im Krieg in der Ukraine.“ Das WEF ist, wie der Name schon sagt, ein Forum, in dem sich verantwortliche Führer und Experten der ganzen Welt und nicht nur der westlichen Hemisphäre treffen.

Heute bereits über einen Marschallplan für die Ukraine zu diskutieren, ist irritierend und realitätsfern, weil ja zunächst einmal der Krieg beendet werden muss, bevor man über einen möglichen Wiederaufbau der Ukraine spricht.

Deshalb hätte es sich aus meiner Sicht angeboten, den von Italien vorgelegten Friedensplan zum zentralen Thema des diesjährigen Forums zu machen, weil es darin nämlich nicht darum geht, wer diesen Krieg gewinnen oder nicht verlieren soll, sondern darum, diesen zu beenden.

Unter diesem Gesichtspunkt ist der Besuch und vor allem die Rede des polnischen Staatspräsidenten vor dem ukrainischen Parlament in keiner Weise zielführend. Polen hat aktuell den Vorsitz in der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) inne. Deshalb wäre es überzeugender gewesen, wenn Warschau diesen Umstand nutzen würde, um den Friedensplan Italiens wirkungsvoll zu unterstützen, in dem ja der OSZE eine Schlüsselrolle zugewiesen wird. Dann entstände nämlich nicht der Eindruck, dass es Warschau in erster Linie um Populismus und auch um die Ressentiments geht, die Warschau von der Sowjetunion 1:1 auf Russland übertragen hat.

Während sich in Davos mehr als 2000 Führungskräfte aus aller Welt intensiv mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigen, arbeitet der amerikanische Präsident bei seinen Besuchen in Asien daran, Russland im Rahmen der amerikanischen Containment-Politik weltweit vor allem wirtschaftlich zu isolieren.

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Sicherheitspolitik und die westliche Dämonisierung Russlands und seiner Bürger

Vorbemerkung

Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine angegriffen und damit offiziell diesen Krieg begonnen. Zu der Tatsache, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig ist, wurde seitens der Politik und der Medien umfassend gesagt und geschrieben. Wie dieser Krieg beendet werden soll, und wie der Frieden und eine stabile Sicherheitsstruktur danach gestaltet werden sollen, steht allerdings leider noch immer nicht oben auf der Agenda der Kriegsparteien und vor allem auch nicht auf der aktuellen Tagesordnung der westlichen Staaten, die die Ukraine unterstützen. Stattdessen geben sich westliche Politiker dem Irrglauben hin, ihre Staaten würden selbst dann nicht zur Kriegspartei, wenn ukrainische Soldaten an NATO-Waffensystemen ausgebildet werden, bevor diese an die ukrainische Armee geliefert werden.

Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich quasi nur indirekt mit dem Krieg, sondern damit, wie die westlichen Politiker, Organisationen und auch die Medien mittlerweile mit den russischen Menschen umgehen und wie denn unsere Sicherheit in der Zukunft gewährleisten werden soll.

Gottes eigenes Land, die auserwählte Nation und die amerikanische Selbstgerechtigkeit

Der Biograph des US Präsidenten Abraham Lincoln und republikanische Senator von Indiana, Albert J. Beveridge, hat in einer Rede vom 9. Januar 1900 u.a. gesagt: „Gott hat uns zu den Meisterorganisatoren der Welt gemacht, um System an die Stelle von Chaos zu setzen…..Und aus unserer ganzen Rasse hat Er das amerikanische Volk als seine auserwählte Nation herausgehoben, um endlich den Weg zu bahnen zur Erlösung der Welt.“  Mit diesem Grundverständnis hat US Präsident George W. Bush 2003 den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak geführt, um den damaligen Präsidenten Saddam Hussein zu stürzen. Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus sagte George W. Bush am 7. März 2003 u.a. folgendes: „Wenn es um unsere Sicherheit geht, brauchen wir keine Erlaubnis von irgendjemandem, auch eine Zustimmung des UN-Sicherheitsrates nicht. Mein Glaube trägt mich, weil ich täglich bete…“ Als Goerge W. Bush von dem amerikanischen Journalisten Bob Woodward in einem Interview gefragt wurde, was er gedacht und empfunden habe, bevor er am 19. März 2003 seinen Truppen den Angriffsbefehl gegeben habe, antwortete Präsident Bush wie folgt: „ It was very emotional for me; I prayed as I walked around the circle. I prayed that our troops be safe, be protected by the Almighty…. I was praying for the strength to do the Lord´s will… I prayed that I be as good a messenger of His will as possible. And of course I prayed for personal strength and for forgiveness…”

Um jedes Missverständnis auszuräumen, füge ich hinzu, dass es hier in keiner Weise um eine Scheinheiligkeit des US-Präsidenten geht, sondern, dass er davon überzeugt ist, eine Mission zu erfüllen. An anderer Stelle nannte er sich in diesem Zusammenhang „the chosen one“ der Auserwählte.

Am Ende dieses Krieges haben die letzten US Kampftruppen bei Nacht den Irak über die kuwaitische Grenze verlassen. Zurück geblieben ist ein weitgehend zerstörtes Land, das sich aktuell einmal mehr darum bemüht, den iranischen Einfluss nicht noch stärker werden zu lassen. Niemand kümmert sich darum, dass es in Falludscha, westlich von Bagdad, die meisten missgebildeten Kinder weltweit gibt, weil die US-Truppen massiv Uran haltige Munition eingesetzt hatten; vergessen und ungesühnt sind die Folterungen von irakischen Gefangenen durch US Soldaten in Abu Ghraib.

Bis heute hat kein westlicher Politiker gefordert, George W. Bush und seine Administration für diesen Angriffskrieg vor dem internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft zu ziehen oder den Präsidenten einen Kriegsverbrecher oder gar Schlächter genannt .Der einzige US-Politiker, der sich im Nachhinein zu diesem Krieg öffentlich geäußert hat, war der mittlerweile verstorbene US- Außenminister Colin Powell, der sein Belügen des UN Sicherheitsrates und der Weltgemeinschaft als Begründung für den Krieg gegen den Irak als einen „Schandfleck“ in seiner Karriere bezeichnet hat. Ähnlich lapidar hat der ehemalige US-Präsident Obama den völkerrechtswidrigen Krieg in Libyen bewertet, indem er ihn als die „größte politische Fehlentscheidung seiner Präsidentschaft“ bezeichnete.

Die westliche Staatengemeinschaft hat sich mit diesen Fehlentscheidungen, um das Wort „Verbrechen“ zu vermeiden, abgefunden, keine Sanktionen verhängt, keine Bestrafungen gefordert und vor allem auch keine amerikanischen Bürger als Strafe für das Verhalten ihrer politischen Führer von irgendwelchen internationalen Veranstaltungen und Begegnungen ausgeschlossen.

Präsident Putin und das russische Volk

Ich habe dieses amerikanische Verhalten und die von den USA zu verantwortenden Kriege nicht in Erinnerungen gerufen, um den aktuellen Krieg des russischen Präsidenten gegen die Ukraine in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, weil man ein Unrecht nicht gegen ein anderes aufrechnen darf. Nein, ich will damit nur aufzeigen, wie unterschiedlich der Westen auf durchaus vergleichbare Ereignisse reagiert. Ich maße mir kein Urteil darüber an, ob diese unterschiedliche Reaktion unserer Politiker und auch der Medien darin begründet ist, dass es sich bei den amerikanischen Kriegen um das Vorgehen einer demokratisch legitimierten Regierung gegen diktatorische Systeme gehandelt hat, während im Fall der Ukraine ein nicht demokratisch legitimierter Präsident ein Land angegriffen hat, von dem der Westen überzeugt ist, dass es sich um eine Demokratie, auf jeden Fall aber um einen verbündeten Staat handelt. Ich maße mir deshalb kein Urteil an, weil für mich als Laien die aufgezeigten Beispiele völkerrechtlich identisch erscheinen.

Diese unterschiedliche Bewertung vergleichbarer Sachverhalte ist das Eine, aber die Einbeziehung eines Volkes in Sanktionen und persönliche Ächtung von Bürgern ist das Andere. Das russische Volk darf für die Taten seines Präsidenten nicht mitverantwortlich gemacht oder gar in Geiselhaft genommen werden. Durch die aktuelle Hetzkampagne gegen Russland besteht die Gefahr, dass eine Situation entsteht, wie die Nazis sie gegen die Bolschewisten initiiert hatten. Meine Familie und ich haben von 1986 -1989 im Irak gelebt und eine Vorstellung davon bekommen, welche Möglichkeiten ein Bürger hat, sich gegen ein Unrechtssystem zur Wehr zu setzen, nämlich keine! Bei uns in Deutschland kann ein ukrainischer Botschafter unseren Kanzler eine „beleidigte Leberwurst“ nennen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In einem diktatorischen System, wie aktuell in Russland, werden sie in ein Arbeitslager gesteckt, wenn sie eine „Spezialoperation“ als Krieg bezeichnen. Das scheinen unsere Politiker, die westlichen Medien und mittlerweile auch viele Bundesbürger nicht zu kapieren. Sonst könnte man viele der folgenden Maßnahmen nämlich nicht erklären:

Maßnahmen der westlichen Staatengemeinschaft gegen russische Bürger

Seit Kriegsbeginn übertreffen sich Politiker, staatliche und auch nicht staatliche Organisationen in ihren Sanktionen/Strafmaßnahmen gegenüber russischen Staatsbürgern, die im westlichen Ausland leben oder an Veranstaltungen außerhalb von Russland teilnehmen wollen. Irgendwie scheinen die russischen Menschen alle mit Putin gleichgesetzt zu werden, obwohl sie diesen weder gewählt haben noch für sein Verhalten in irgendeiner Weise mitverantwortlich sind. Dafür nur einige besonders eklatante Beispiele: Russische Sportler durften nicht an der „Behinderten-Olympiade“ teilnehmen, auf die sie sich jahrelang vorbereitet hatten, nicht um den russischen Staat zu repräsentieren, sondern weil sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten begeisterte Sportler sind. Vom Tennis-Turnier in Wimbledon wurden weißrussische und russische Sportler ebenfalls wegen des Krieges gegen die Ukraine ausgeschlossen. Russische Dirigenten dürfen in Deutschland nicht mehr auftreten, weil ihnen vorgeworfen wird, eine enge Beziehung zum russischen Präsidenten zu unterhalten. Deshalb sollten sie sich offiziell von Putin distanzieren, Wie weltfremd muss man denn sein, um ein solches Statement von Künstlern im Ausland zu verlangen, die sicherlich Familienangehörige in Russland haben, die dafür die Konsequenzen tragen müssten. Hier werden praktisch Menschen für politische Entscheidungen in Geiselhaft genommen, die sie überhaupt nicht zu verantworten haben und auch nicht hätten ändern können. Man gewinnt langsam den Eindruck, dass Staatsbürger westlicher Länder versuchen ihr eigenes Gewissen zu beruhigen, indem sie sich von allem distanzieren, dass auch nur irgendwie mit Putin in Verbindung gebracht werden könnte.

Es ist schon schlimm genug, mit lebenden Russen so zu verfahren, aber mittlerweile werden auch die Toten instrumentalisiert, um Russland aus der menschlichen Gemeinschaft auszuschließen. Am 8. Mai 2022 wird im ehemaligen Konzentrationslager Bergen –Belsen aller Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Erstmals wird die Gedenkfeier ohne Vertreter aus Russland und Weißrussland stattfinden, und die politischen Vertretungen von Moskau und Minsk wurden außerdem gebeten, in diesem Jahr keine Kränze oder Besucher zu schicken. Sogar der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ließ sich in die Anti-Russische Kampagne einspannen. So durften russische Soldaten zum ersten Mal nicht mehr gemeinsam mit deutschen Kameraden daran arbeiten, Gefallene einer deutsch-russischen Kesselschlacht des 2. Weltkrieges zu identifizieren und ihnen im brandenburgischen Halbe auf einem gemeinsamen Soldatenfriedhof eine letzte Ruhstätte zu schaffen. Diskriminieren und Ächtung im Umgang mit Opfern des Nationalsozialismus und Gefallenen des 2. Weltkriegs; da ist der Weg zum geistigen Genozid nicht mehr weit.

Das Wesen westlicher Sicherheitspolitik

Sicherheit hat nicht nur politische und militärische Aspekte, sondern umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bereiche. Sie basiert auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit und der Gegenwart, um auf diesen Grundlagen eine sichere Zukunft zu gestalten.  Im konkreten Fall hat der Westen es Ende der 80er , Anfang der 90ger Jahre versäumt, in Zusammenarbeit mit Russland eine neue europäische Sicherheitsstruktur zu schaffen. Ein Hauptgrund dafür war das amerikanische Desinteresse an einem starken Europa ohne eine Trennung zwischen Ost und West. Das Ergebnis erleben wir heute, scheinen aber nichts dazu gelernt zu haben. Sonst würde man sich nämlich nicht vorrangig damit beschäftigen, dass Russland diesen Krieg verliert und die Ukraine ihn gewinnt, sondern wie man ihn beenden kann und sich damit beschäftigen, wie eine sich anschließende europäische Sicherheitsstruktur geschaffen werden kann. Leider passiert das nicht, und die westlichen Politiker scheinen sich auch nicht darüber im Klaren zu sein, dass jeder Krieg irgendwann endet und die Staaten und Völker danach wieder irgendwie zusammenleben müssen. Je mehr Emotionen statt Fakten, persönliche Diffamierungen des Gegners und Ächtung seiner Bürger die Lageentwicklung bestimmen, desto schwieriger wird es werden, eine für alle Betroffenen akzeptable Lösung zu finden.

In den USA und auch in Deutschland scheinen das nur elder Statesmen zu kapieren, die eine realistische Vorstellung vom Krieg haben und vor allen Dingen auch wissen, dass es immer ein Danach geben wird. Für Deutschland heißt das konkret, dass Russland auch nach diesem Krieg, wenigstens bis zum Ural, ein Teil Europas bleiben wird, während sich das „missionarische Washington“ im Zweifelsfall hinter 6.000 km Ozean zurückziehen kann. Der amerikanische Abgang aus dem Irak und auch aus Afghanistan sollten Europa eine Warnung sein. 

Greven, 07. Mai 2022

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Krieg

Krieg

Vorbemerkung

Von Ende 1986 – Ende September 1989 war ich als Militärattaché bei der Deutschen Botschaft in Bagdad eingesetzt. Dort herrschte ein Krieg zwischen dem Irak und Iran, der im August 1988 mit einem Waffenstillstand endete. Den eigentlich erforderlichen und von der UNO vorgesehene Friedensvertrag gibt es bis heute nicht. In unregelmäßigen Abständen schlugen in Bagdad iranische Raketen ein  und richteten mehr oder weniger große Zerstörungen an. Die Geräusche und den Überschallknall der anfliegenden Raketen habe ich heute noch im Ohr. Insgesamt war die Lage in der Stadt angespannt, obwohl es keine konkrete Gefährdung für unsere Familie gab. Im November 1987 schlug eine iranische Scud-Rakete mit einer Sprengkraft von etwa 500 kg auf dem Schulhof einer irakischen Grundschule ein und zwar um kurz vor 08:00 Uhr, als die Kinder sich vor dem Unterrichtsbeginn auf dem Schulhof aufgestellt hatten. Ich erreichte den Einschlagsort der Rakete etwa gegen 08:15 Uhr. Kinderleichen und verletzte kleine Kinder, blutverschmierte Schulranzen und Kleidungsstücke lagen auf dem Schulhof, schreiende Mütter suchten ihre Kinder vor dem teilweise zerstörten Schulgebäude, und im Umkreis von mehreren Hundert Metern, gab es wegen der Druckwelle der Explosion keine Scheiben mehr in den Fenstern.

Im Frühjahr 1988 gab es in Bagdad das Gerücht, dass es zu einer genau genannten Uhrzeit angeblich einen weiteren iranischen Angriff geben würde und zwar mit einer Rakete mit chemischem Sprengkopf. Die durch dieses Gerücht entstandenen Panik auch in der „diplomatic community“ führte u.a. dazu, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der indonesischen Botschaft bereits ihre ABC- Schutzmasken (früher sagte man Gasmasken) um den Hals trugen. Wir alle wussten, dass man sich vor einem solchen Angriff mit chemischem Kampfstoff hätte gar nicht schützen können. Gott sei Dank war es bei dem Gerücht geblieben.

Ich habe jedenfalls nach dieser Zeit in Bagdad eine Vorstellung davon, was Krieg bedeutet.

Krieg

Warum schreibe ich Ihnen/Euch das heute, wenige Tage nach der Meldung über die Verbrechen in Butscha?

Ich schreibe es, um Ihnen/Euch vor Augen zu führen, was Krieg eigentlich bedeutet. Die schrecklichen Bilder von Butscha gibt es in jedem Krieg, nur werden sie uns nicht in dieser Klarheit, Brutalität und Menge in „unsere Wohnzimmer transportiert“ und stammen nicht aus Europa, sozusagen aus unserer Nachbarschaft.

Diejenigen von Ihnen/uns, die, so wie ich, schon ziemlich lange auf der Welt sind, hätten solche oder ähnliche Bilder wie in Butscha schon im Irak, in Syrien, in Gaza, in Libyen, im Jemen und in Afghanistan sehen können, um mal die bekanntesten Beispiele zu nennen. Und in jedem Krieg wird von allen Beteiligten die Wahrheit mehr oder weniger durch Propaganda ersetzt.

In jedem Krieg zahlen die Zivilbevölkerung und die beteiligten Soldaten dafür den Preis. In jedem Krieg werden nicht nur Leben und Infrastruktur zerstört, sondern verlieren Menschen ihre Heimat und vielfach auch ihre Zukunft, besonders die Kinder.

Es gibt keine gerechten und ungerechten Kriege, sondern allenfalls gerechtfertigte Kriege und die auch nur dann, wenn vorher alle politischen Möglichkeiten der Konfliktlösung genutzt wurden und eine politische Strategie vorhanden ist, wie der Frieden nach einem solchen Krieg aussehen soll. Es gibt auch keine defensiven oder offensiven Waffen. Eine Waffe ist ein Neutrum, das seine moralische Einordnung durch den jeweiligen Anwender bekommt.

In jedem Krieg trägt der Angreifer die entscheidende Verantwortung für alles, was in diesem Krieg angerichtet wird. Das heißt aber nicht, dass sich nicht auch andere die Frage stellen lassen müssen, ob der Krieg vermeidbar gewesen wäre. Besonders daraus entsteht die Verantwortung, alles zu tun, um die militärische Auseinandersetzung zu beenden.

Kriege werden nicht militärisch entschieden, sondern in diplomatischen Verhandlungen beendet. Bei diesen Verhandlungen müssen alle Kriegsparteien grundsätzlich zu Kompromissen bereit sein, und es kommt nicht nur darauf an, wer sozusagen den 1. Schuss abgegeben hat, sondern auch darauf, was vor dem Krieg gewesen ist.

Letztlich ist nicht zu vermeiden, dass auch der Angreifer einen Vorteil von diesem Verhandlungsergebnis hat. Das ist zwar nicht gerecht, aber Fakt.

Der Krieg in der Ukraine

Das gerade Geschriebene gilt auch für den Krieg in der Ukraine, den der russische Präsident Putin begonnen hat.

Und weil das so ist, führt die aktuelle Aussage des NATO Generalsekretärs Stoltenberg, dass dieser Krieg noch lange dauern könne, auch zu keiner Lösung. Ganz im Gegenteil impliziert eine solche Position die Gefahr, dass die russische Seite immer weiter attackiert und die Ukraine immer weiter mit Waffen aus den NATO Staaten – begleitet von immer massiveren Sanktionen gegen Russland – unterstützt wird, um sich dagegen zu wehren. Dass dadurch immer mehr Menschen sterben, verletzt werden und ihre Heimat verlieren, die Infrastruktur der Ukraine zunehmend zerstört und Russland- das ist ja nicht Putin, sondern ein ganzes Volk-  in der Welt völlig isoliert wird, ist die zwangsläufige Folge.

Deshalb müsste die Aussage von Stoltenberg lauten:  Wir müssen schnellstmöglich eine diplomatische Lösung finden, weil sonst dieser Krieg noch lange dauern kann und „weitere Butschas“ nicht ausgeschlossen werden können.

Russland und die Ukraine werden diese diplomatische Lösung alleine nicht erreichen. Das steht nach den Vorschlägen des ukrainischen Präsidenten und der bisherigen Weigerung des russischen Präsidenten, mit ihm zu sprechen, außer Frage. Es muss ein Mediator gefunden werden, der nicht nur einen starken Einfluss auf die Kriegsparteien hat, sondern notfalls auch den erforderlichen Druck ausüben kann, um einen Kompromiss durchzusetzen. Aus meiner Sicht können das nur die USA sein.

Die aktuelle Tagung der NATO-Außenminister, auf der über zukünftige Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert und entschieden werden soll, ist nicht zielführend, sondern geradezu kontraproduktiv.

Stattdessen muss umgehend an einem neutralen Ort ein Treffen zwischen US Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin stattfinden, um diesen Krieg zu beenden und eine für die Ukraine und Russland akzeptable Lösung für einen stabilen Frieden zu finden.

Greven

07.April 2022

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Umgang amerikanischer Politiker mit ihren Fehlentscheidungen/Falschaussagen und den Folgen für die Welt

Vorbemerkung

Vor dem Hintergrund des russischen Aggressionskrieges in der Ukraine und den maßgeblich von den USA gesteuerten Reaktionen der NATO und der EU ist es angeraten, sich über mögliche Konsequenzen für Europa Gedanken zu machen, vor allen Dingen für den Fall, dass sich Washingtons Position aus nationalem Interesse ändert. Im Folgenden möchte ich an Hand von einigen Beispielen aufzeigen und erinnern, mit welcher Selbstverständlichkeit die US-Administration und auch führende Politiker nach dem Eingeständnis schwerwiegender eigener Fehlentscheidungen de facto quasi zur Tagesordnung übergehen, ohne politische Konsequenzen zu ziehen und/oder über die Folgen für ihre Verbündeten nachzudenken.

Beispiele für politische Fehlentscheidungen

Der Krieg in Afghanistan 2001-2021

Als Vergeltung für die Terroranschläge des 11. September 2001 führten die USA mit Unterstützung der NATO und anderer Verbündeter eine Militäroperation gegen die in Afghanistan herrschenden Taliban mit der Begründung durch, sie würden den für den Anschlag verantwortlichen Terroristen Unterschlupf gewähren. Den eigentlichen Kampfauftrag beendeten die USA im Dezember 2014 und wechselten in eine Unterstützungsoperation. Eine vorherige Absprache mit der NATO fand nicht statt. Als sich immer klarer abzeichnete, dass sich die Taliban erneut auf dem Wege zur Machtübernahme befanden  und Friedensgesprächewenig erfolgreich erschienen, beendeten die USA im August 2021 die gesamte Afghanistan Operation und zogen – ohne vorherige Rücksprache mit ihren Verbündeten und der afghanischen Regierung- alle US-Truppen ab und ließen das destabilisierte Land völlig auf sich gestellt zurück.

Die amerikanischen Sanktionen gegen den Irak nach der Operation „Desert Storm“ 1991 und die Bewertung durch die ehemalige US Außenministerin Madeleine Albright

Im August 1990 marschierten irakische Truppen völkerrechtswidrig in das benachbarte Kuwait ein und besetzten das Emirat. Nachdem die USA im Weltsicherheitsrat auf der Basis von zwei gefälschten Videos das Mandat erhalten hatten, auch militärische Maßnahmen gegen den Irak zu ergreifen, um Kuwait zu befreien, begann im Januar 1991 die von den USA angeführte „Operation Desert Storm“. Nach dem Rückzug der irakischen Truppen aus dem Emirat und dem erfolgreichen Ende des Militäreinsatzes verhängten die USA mit Unterstützung der „Koalition der Willigen“ massive Sanktionen gegen den Irak. Die Folgen waren für die Bevölkerung verheerend. Die Vereinten Nationen versuchten das Leid der Bevölkerung durch das Programm „Oil for Food“ zu lindern, indem humanitäre Maßnahmen durch Ölverkäufe des Irak finanziert werden sollten. Das Programm funktionierte aber nicht, weil zu viele Produkte auf der Sanktionsliste der USA standen und deswegen nicht importiert werden durften. Krebspatienten bekamen keine Medikamente mehr, für Nierenkranke stand keine Dialyse mehr zur Verfügung und Tausende von Kindern starben an den Folgen von Hunger und Krankheiten. Der Sonderbeauftragte der UNO für das „Oil for Food“ Programm, der deutsche Diplomat Hans-Christof Graf von Sponeck, trat wegen der von den USA verhängten Sanktionen aus Protest von seinem Amt zurück, um sich nicht mitschuldig zu machen.

Mitverantwortlich für die amerikanischen Sanktionen war die US-Politikerin Madeleine Albright, 1993- 1997 UN Botschafterin der Vereinigten Staaten und von 1997 – 2001 Außenministerin der USA.

Am 23. März dieses Jahrs ist Madeleine Albright verstorben. Nach dem Prinzip „ de mortuis nihil, nisi bene“ äußerten sich westliche Politiker überschwänglich zur Lebensleistung von Madeleine Albright und priesen sie geradezu als eine Lichtgestalt für zukünftige Generationen von Politikern. Normalerweise handele ich auch nach dem angesprochenen Grundsatz, sehe mich aber im konkreten Fall dazu nicht in der Lage.

Am 12. Mai 1996 führte die amerikanische Journalistin Leslie Stahl im US-Sender CBS nämlich ein langes Interview mit Madeleine Albright und befragte sie u.a. zu den Folgen der von den USA verhängten Sanktionen gegen den Irak:

Leslie Stahl: „We have heard that a half million children have died (as a

result of sanctions against Iraq). I mean, that is more children than died

in Hiroshima. And, you know, is the price worth it?“

Madeleine Albright: „I think this is a very hard choice, but the price, we

think the price is worth it.“

In einem Focus Interview vom 13. November 2013 korrigierte Albright diese Aussage, als sie u.a. nach ihren größten Fehlern gefragt wurde:

FOCUS:Sie sagten einmal, Sie könnten damit leben, dass wegen der Sanktionen gegen den Irak Kinder sterben. Das sei es wert gewesen. Wie beurteilen Sie Ihre Aussage heute?“
Albright:Das war die dümmste Bemerkung, die ich je gemacht habe. Ich hätte es nie sagen sollen. Aber ich bin überzeugt, dass Menschen verstehen müssen, dass das Leid der irakischen Bevölkerung nicht die Schuld der USA oder der internationalen Gemeinschaft war, sondern die von Saddam Hussein. Aber es war trotzdem eine dämliche Aussage.“

Damit war das Thema für Madeleine Albright offensichtlich erledigt.

Der Irak Krieg 2003

Obwohl die irakische Bevölkerung unvorstellbar unter den seit 1991 bestehenden Sanktionen litt, gab es keine Anzeichen für eine politische Schwächung des irakischen Herrschers. Ganz im Gegenteil schien sich seine politische Position ständig zu verbessern, und die internationale Staatengemeinschaft war wegen des Leids der Menschen im Irak, nicht mehr bereit, die Sanktionen weiterhin mitzutragen. Es war aus der Sicht Washingtons zu befürchten, dass Saddam Hussein für eine unbestimmte Zeit weiterhin den Irak beherrschen würde. Um das zu verhindern, planten die USA eine erneute Militäroperation gegen den Irak, um Saddam Hussein zu stürzen.

Deshalb hielt der damalige US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 eine Rede vor dem Weltsicherheitsrat, mit der er den Krieg der USA gegen den Irak, der im März 2003 beginnen sollte, begründete und rechtfertigte. Er behauptete, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, darunter fahrbare biologische Labore, habe ein umfangreiches verbotenes Raketenprogramm und unterstütze den internationalen Terrorismus. Diese „Vorstellung“, unterlegt mit Videos, angeblich abgehörten Telefongesprächen und vielen Luftaufnahmen, überzeugte den Weltsicherheitsrat, ein Mandat für die Militäroperation gegen den Irak zu verabschieden, die zum Sturz des irakischen Herrschers führte. Da sich später herausstellte, dass die Aussagen Powells nicht der Wahrheit entsprachen, ist dieser Krieg als völkerrechtswidrig einzuordnen.

Bereits im September 2005 bedauerte Powell in einem Fernsehinterview seinen damaligen Auftritt im UN-Sicherheitsrat. Im US- Fernsehsender ABC sagte Powell u.a., er fühle sich „furchtbar“ wegen seinen Aussagen, die sich später als unhaltbar herausgestellt hätten. Dies sei ein „Schandfleck“ in seiner Karriere. Schließlich sei er es gewesen, der für die Vereinigten Staaten der Welt diese Argumentation präsentiert habe. Das werde immer Teil seines Lebenslaufes sein. „Es war schmerzlich. Es ist jetzt schmerzlich.“ Er habe keinerlei Beweise gesehen, die einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Irak unter dem damaligen Machthaber Saddam Hussein und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten nahelegten, sagte der ehemalige Außenminister. Zu den Entwicklungen nach dem Sturz Saddam Husseins äußerte Powell sich skeptisch.

Die Vereinigten Staaten hätten es versäumt, unmittelbar nach dem Sturz genug Soldaten zu schicken und die irakischen Streitkräfte rasch wiederaufzubauen. „Es wäre vielleicht nicht so ein Durcheinander geworden, wenn wir einige Dinge anders gemacht hätten“….

Dieses von ihm angesprochene „Durcheinander“ ist de facto ein noch heute politisch instabiler Irak, der durch die Sanktionen und die Militäroperationen auf die Stufe eines Entwicklungslandes zurückgefallen ist. Die Infrastruktur ist weitgehend zerstört, es gibt immer noch nur stundenweise Strom und in vielen Städten kein sauberes Wasser. Die medizinische Versorgung ist unzureichend und neben Tausenden von Toten und traumatisierten Menschen, darunter vor allem viele Kinder, haben Millionen Iraker ihre Heimat verloren, sind entweder ins Ausland geflohen oder leben als „Displaced People“ im eigenen Land. Die Entstehung der Terror-Organisation „Islamischer Staat“ wäre durch den völkerrechtswidrigen Krieg der USA nicht möglich gewesen.

Persönliche Konsequenzen des mittlerweile verstorbenen Collin Powell sind nicht bekannt.

Der völkerrechtswidrige Krieg in Libyen und der Sturz von Präsident Mohammed Gaddafi

Am 17. März 2011verabschiedete der Weltsicherheitsrat die Resolution 1973.Sie ermächtigte die internationale Gemeinschaft zu militärischen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in dem im Februar 2011 begonnenen Bürgerkrieg. Konkret billigte der Weltsicherheitsrat ein Waffenembargo gegen Libyen und die Einrichtung einer Flugverbotszone. 10 Sicherheitsratsmitglieder stimmten für die Resolution; Brasilien, China, Deutschland, Indien und Russland enthielten sich der Stimme. Am 19. März begannen Frankreich, Großbritannien und die USA mit ihrem Militäreinsatz. Sie operierten weit über die vom Weltsicherheitsrat gebilligten militärischen Maßnahmen, die letztlich zum völkerrechtswidrigen Sturz des libyschen Herrschers führten. Die sich anschließende Gesetzlosigkeit führte dazu, dass es sich bei Libyen mittlerweile um einen „Failed State“ handelt, der von bewaffneten Milizen beherrscht wird und in dem sich noch heute zwei Regierungen um die Macht streiten. Der Krieg in Libyen ist eine wesentliche Ursache für die aktuelle Situation in Mali, wohin sich schwer bewaffnete Tuaregs nach dem Sturz des libyschen Herrschers abgesetzt hatten.

Der damalige verantwortliche US Präsident, Barak Obama, hat diesen Krieg in einem Interview mit „Fox News Sunday “ auf die konkrete Frage als seinen schlimmsten politischen Fehler bezeichnet. Obama wörtlich: „Wahrscheinlich das Scheitern beim Konzipieren eines Plans am Tag nach der Intervention in Libyen, welche mir damals als richtige Entscheidung erschien.“

Ein größeres Engagement der USA beim Wiederaufbau Libyens und dem Wiederherstellen der politischen Ordnung und Stabilität ist nicht erkennbar.

Der Atomvertrag mit dem Iran und die Sanktionen gegen das Land

2015 wurde der Atomvertrag mit dem Iran geschlossen, der 2018 einseitig und ohne Rücksprache mit den Verbündeten vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump gekündigt wurde. Der Iran leidet weiterhin unter den von den USA initiierten und zusätzlich bilateral verhängten Wirtschaftssanktionen. Diese haben neben der Verschlechterung der Versorgungslage der Bevölkerung zu einem Wahlsieg s.g. Hardliner geführt. Seit dem Präsidentenwechsel in den USA wird über eine „Reaktivierung“ des Atomvertrags verhandelt. Der Iran macht seine Unterschrift von der Aufhebung aller Sanktionen abhängig. Russland will nur dann zustimmen, wenn die bilateralen Absprachen im Rahmen der nuklearen Zusammenarbeit beider Staaten weiterhin Bestand haben.

Die westliche Staatengemeinschaft und ihr Verhältnis zu Venezuela

2019 brachen die USA die diplomatischen Beziehungen und jegliche Zusammenarbeit mit Venezuela ab. Sie forderten den Sturz von Präsident Nicolas Maduro und erkannten den Oppositionsführer Juan Guaidó als neuen Präsidenten an. Auf Druck der USA schlossen sich die meisten westlichen Verbündeten dem Vorgehen der USA an. Venezuela wurde de facto aus westlicher Sicht zu einem „Paria Staat“. Jetzt haben die USA, erneut ohne jegliche Rücksprache mit ihren Verbündeten, eine 180° Wende ihrer Venezuela Politik vollzogen. Nachdem Washington wegen des Ukraine Kriegs den Öl-Import aus Russland eingestellt hatte, wurden die Beziehungen mit Venezuela sozusagen „wiederbelebt“, um die Ölversorgung der USA mit Hilfe des südamerikanischen Landes sicherzustellen. Damit soll vor allem der weitere Anstieg der Kraftstoffpreise gestoppt werden. Eine erste amerikanische Delegation hat sich in Caracas mit Vertretern der venezolanischen Regierung getroffen. Beide Seiten haben die ersten Gespräche positiv beurteilt.

Von den westlichen Verbündeten fordert Washington weiterhin, ihre Öl- und Gasimporte aus Russland zu stoppen, um dadurch den Russlands Krieg in der Ukraine nicht weiter zu finanzieren. Als Kompensation haben die USA eigene Gaslieferungen angeboten. Die EU scheint jetzt diese Import-Option anzunehmen, obwohl das amerikanische Gas zu einem großen Teil durch das umweltschädliche Fracking gewonnen wird und deutlich teurer ist als das bislang von Russland gelieferte Gas.

Bewertung

De USA verfolgen mit ihrer Politik, unabhängig davon, welche Partei gerade den Präsidenten stellt, immer vorrangig bis ausschließlich eigene nationale Interessen. Das ist legal und vor allem für eine Großmacht auch durchaus üblich. Da unterscheiden sich China und Russland und auch andere Staaten überhaupt nicht von Washington.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang für Europa und nicht zuletzt für unser eigenes Land, diese Politik als solche zu erkennen und ihr nicht undifferenziert zu folgen.

Die angeführten Beispiele sollen verdeutlichen, wie absolutistisch die amerikanische Politik ist. Stellen sich politische Entscheidungen als nicht zweckmäßig oder gar falsch heraus, werden diese rückgängig gemacht und in der Regel, ohne die Verbündeten, die diese Entscheidungen mitgetragen hatten. Stellungnahmen der verantwortlichen US-Politiker sind geradezu banal und enthalten trotz der häufig katastrophalen Folgen keinerlei persönliche Konsequenzen. Diese müssen nicht nur von den Verbündeten ertragen, sondern vor allem von der jeweils betroffenen Bevölkerung ausgehalten werden.

Deshalb muss Europa auch in der aktuellen Situation endlich eine eigene Position beziehen. Jede verhängte Sanktion gegen Russland muss hinsichtlich ihres Zieles auf den Prüfstand gestellt werden, und zwar auch vor der Frage, ob dabei die Ziele der USA und Europas identisch sind.

Europa muss einen diplomatischen Lösungsvorschlag zur Beendigung des Krieges machen und dieser muss, auch wenn das nicht nur ungerecht erscheint, sondern letztlich auch ist, Präsident Putin die Möglichkeit geben, sein Gesicht zu wahren. Kriege und ihre Folgen sind leider niemals gerecht. Das hat die Geschichte gezeigt.

Ohne eine diplomatische Lösung wird- einfach gesprochen – Präsident Putin weiter bomben, der Westen immer neue Sanktionen verhängen und die Zivilbevölkerung und die Soldaten auf beiden Seiten den Preis dafür bezahlen.

Last but not least muss auch die grundsätzliche Frage beantwortet werden, wie denn das zukünftige Verhältnis zu Russland aussehen soll, wenn dieser völkerrechtswidrige Krieg beendet ist. Soll Russland ein Paria Staat werden oder ein Verbündeter oder Vasall Chinas oder sollte man sich nicht vielmehr Gedanken über eine europäische Sicherheitsstruktur machen, in die auch Russland eingebunden ist?

Es ist vorstellbar (vielleicht auch sicher?), dass die US Administration die aktuelle Situation anders bewertet als Europa, nämlich:

  • Die Führungsrolle der USA ist gestärkt,
  • Die Verbündeten in der NATO sind auf Linie gebracht und wieder im Gleichschritt mit dem großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantik.
  • Die Regierungen der NATO Länder sind bereit, für ihre Verteidigung deutlich mehr Geld auszugeben.
  • Washington redet in der EU mit, obwohl die USA kein Mitglied sind.
  • Russland ist – zumindest in der westlichen Welt- völlig isoliert und für die USA als Rivale auf der Weltbühne ausgeschaltet.
  • Europa verzichtet zukünftig auf russische Öl- und Gaslieferungen.
    • „Nord-Stream 2“ wurde „beerdigt“
    • Europa setzt in Zukunft maßgeblich auf Gaslieferungen aus den USA

Mit Blick auf die angeführten Beispiele und auch auf die aktuelle Situation muss jedem verantwortlichen Politiker in Europa klar sein, dass Russland (bis zum Ural ) ein europäisches Land und für viele Staaten ein direkter  Nachbar ist und nichtausgeschlossen werden kann, dass die US-Administration ihre eigene politische Position ändert– und zwar ohne jede Rücksprache mit Verbündeten- , wenn es aus nationalem Interesse sinnvoll erscheint.

Greven im März 2022

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Die NATO Ost-Erweiterung-ein abgeschlossenes Kapitel?

Kurzer Blick in die Historie

Im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine wird immer wieder darüber diskutiert, ob die NATO Osterweiterung für Präsident Putin (auch?) ein Grund für seinen Angriff gewesen sein könnte.

Einige Experten, ausgewiesen oder selbst ernannt, tun diese Begründung als ein russisches Narrativ ab, andere – dazu gehöre auch ich – halten diesen Grund für ganz entscheidend.

Bis 1999 hatte die NATO 16 Mitglieder, (bis?) heute sind es 30. Viele – dazu gehörte übrigens nach eigener Aussage auch Herr Ischinger- sind der Ansicht, dass diese NATO-Expansion bereits 2004, also vor 18 Jahren, beendet wurde. Diese Position ist definitiv falsch. Albanien und Kroatien sind 2009 beigetreten, Montenegro 2017 und- als bisher letztes neues Mitglied- Nord Mazedonien 2020.

In der aktuellen Diskussion geht es darum, ob die Ukraine ebenfalls in die NATO aufgenommen werden soll. Einige Experten- ausgewiesen oder selbst ernannt – bestreiten, dass es entsprechende Pläne gibt oder gegeben hat. Auf dem Gipfeltreffen 2008 in Bukarest sollte eigentlich der Beschluss gefasst werden, Georgien und die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Dieser Plan der USA scheiterte am Veto der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs, was Deutschland übrigens heute von verschiedenen Seiten vorgeworfen wird. Mit dieser damaligen Entscheidung wurde das Kapitel eines NATO Beitritts der Ukraine aber nicht ad acta gelegt, sondern lediglich vertagt.

Gipfelerklärung von Brüssel über das Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Staats- und Regierungschefs am 14. Juni 2021 in Brüssel

Offiziell aufgegriffen wurde das Thema – bis jetzt – letztmalig im NATO Rat von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer auf ihrer Tagung 2021 in Brüssel.
In der Gipfelerklärung vom14. Juni 202 heißt es in der Ziffer Nr. 69:

„Wir bekräftigen unseren auf dem Gipfeltreffen 2008 in Bukarest gefassten
Beschluss, dass die Ukraine ein Mitglied des Bündnisses wird, wobei der
Mitgliedschaftsaktionsplan fester Bestandteil dieses Prozesses ist, und wir bestätigen
alle Elemente dieses Beschlusses sowie der nachfolgenden Beschlüsse einschließlich
der Tatsache, dass jeder Partner nach seinen Leistungen beurteilt wird. Wir
unterstützen standhaft das Recht der Ukraine, über ihre eigene Zukunft und ihren
außenpolitischen Kurs frei und ohne Einflussnahme von außen zu bestimmen. Die
nationalen Jahresprogramme im Rahmen der NATO-Ukraine-Kommission (NUK)
bleiben der Mechanismus, mit dem die Ukraine die Reformen im Zusammenhang mit
ihrem Wunsch nach einer NATO-Mitgliedschaft voranbringt. Die Ukraine sollte alle im
Rahmen der NUK zur Verfügung stehenden Instrumente vollständig nutzen, um ihr Ziel
– die Umsetzung der Grundsätze und Standards der NATO – zu erreichen. Der Erfolg
weitreichender, nachhaltiger und unumkehrbarer Reformen, unter anderem bei der
Bekämpfung der Korruption, der Förderung eines alle Bevölkerungsgruppen
einbeziehenden politischen Prozesses und hinsichtlich einer
Dezentralisierungsreform, die auf demokratischen Werten, der Achtung von
Menschenrechten und Minderheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit beruhen, wird von
entscheidender Bedeutung dafür sein, die Grundlage für eine wohlhabende und
friedliche Ukraine zu schaffen. Weitere Reformen im Sicherheitsbereich, unter
anderem die Reform der ukrainischen Sicherheitsdienste, sind von besonderer
Bedeutung. Wir begrüßen die erheblichen Reformen, die die Ukraine bereits erzielthat, und ermutigen zu weiteren Fortschritten in Übereinstimmung mit den internationalen Verpflichtungen und Zusagen der Ukraine. Wir werden Reformen im Sicherheits- und Verteidigungssektor weiterhin praktisch unterstützen, unter anderem über das umfassende Hilfspaket. Wir werden darüber hinaus die Anstrengungen der Ukraine weiterhin unterstützen, ihre Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen zu stärken, auch durch eine Intensivierung der Aktivitäten im Rahmen der NATO-Ukraine-Plattform zur Bekämpfung der hybriden Kriegsführung. Wir begrüßen die Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Ukraine hinsichtlich der Sicherheit im Schwarzmeerraum. Der im vergangenen Jahr verliehene Status als Partner mit vertieften Mitwirkungsmöglichkeiten gibt unserer ohnehin ehrgeizigen Zusammenarbeit weitere Impulse und wird zu größerer Interoperabilität beitragen mit der Option vermehrter gemeinsamer Übungen und Ausbildungsmaßnahmen sowie eines verbesserten Lagebilds. Militärische Zusammenarbeit und Initiativen zum Aufbau von Kapazitäten zwischen Verbündeten und der Ukraine, wie die litauisch-polnisch-ukrainische Brigade, verstärken diese Bemühungen zusätzlich. Wir schätzen außerordentlich die erheblichen Beiträge der Ukraine zu den Operationen des Bündnisses, zu den NATO-Reaktionskräften und zu NATO-Übungen“.

(Eine annähernd gleichlautende Erklärung gibt es in der Nr. 68 für Georgien)

Bewertung

Wenn kontrovers diskutiert wird, vor allen Dingen in den Medien von ausgewiesenen oder selbst ernannten Experten, hat es sich bewährt, sich an den Fakten zu orientieren, statt weiterhin von einem Narrativ Russlands zu sprechen.

Durch diese Gipfelerklärung wir deutlich, wie intensiv die Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Ukraine bereits ist. Manche Beobachter sind der Meinung, dass die Ukraine – wenn auch noch nicht formell- de facto bereits ein Mitglied der NATO ist, allerdings ohne den Schutz der Beistandsverpflichtung gemäß Artikel 5 des NATO Vertrags. Mit dieser Gipfelerklärung steht fest, dass der NATO Rat weiterhin plant, die Ukraine offiziell in das Bündnis aufzunehmen. Wann das der Fall sein wird, wurde nicht festgelegt. Für Präsident Putin scheint dieser Beschluss- nicht zuletzt vor dem Hintergrund bereits vorhandener Absprachen und gemeinsamer Vorhaben/Übungen zwischen der NATO und der Ukraine- ausreichend gewesen zu sein, den von ihm befürchteten formalen Beitritt der Ukraine mit militärischer Gewalt zu verhindern. Diese Vorgehensweise des russischen Präsidenten wird dadurch nicht gerechtfertigt oder gar gebilligt, aber – aus meiner Sicht – zumindest teilweise erklärt. Sollte diese Einschätzung richtig sein, könnte der Krieg nur dadurch beendet werden, dass „der Westen“ offiziell von einem Beitritt der Ukraine (gilt sinngemäß auch für Georgien) in die NATO Abstand nimmt und zusammen mit den USA und Russland auf diplomatischem Wege eine andere Lösung gefunden wird, um die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten. Ein neutraler Status des Landes- vergleichbar mit Finnland- könnte ein Lösungsansatz sein. Zusätzlich muss natürlich zwischen Russland und der Ukraine einvernehmlich über den Status der Krim und die Region Donbas entschieden werden

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­Die Ukraine Krise oder wer einmal lügt…

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Vorbemerkung

Im Zusammenhang mit der aktuellen Ukraine-Krise fällt mir das alte Sprichwort ein: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.

Aktuell werden wir in den Medien von Berichten und Bildern zur Ukraine-Krise zugeschüttet, deren Wahrheitsgehalt man nicht einschätzen, geschweige denn fundiert beurteilen kann.

Egon Bahr hat einmal im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise von 2014 vor einer Schulklasse gesagt: “ In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt“. Diese Aussage, die in einer ähnlichen Formulierung auch dem früheren französischen Staatspräsidenten de Gaulle zugeschrieben wird, trifft den Kern der heutigen Ukraine-Krise. Es geht in der Hauptsache um die Interessen Russlands und der USA. Für die Umsetzung dieser Interessen sind im konkreten Fall Russland und auch den USA alle Mittel recht. Das gilt im besonderen Masse für Behauptungen und Schuldzuweisungen der jeweils anderen Seite.

Belegte Lügen der US-Administration in der jüngsten Vergangenheit

Wann und wie Putin die Fakten manipuliert, kann man nur schwer beurteilen, aber in Bezug auf die USA gibt es leider viele konkrete Beispiele dafür, dass Washington in den vergangenen 70 Jahren Kriege mit unzähligen Opfern geführt hat, die nachweislich mit Lügen begründet wurden.  Es begann mit dem Vietnamkrieg, den man begründet hat mit einem Angriff auf ein amerikanisches Kriegsschiff im Mekong-Delta, der niemals stattgefunden hat. Für die „Operation Desert Storm“ hat man sich das Mandat des Weltsicherheitsrates erlogen. Die Operation begann am 17. Januar 1991. Am 30. November 1990 fand unter dem routinemäßigen Vorsitz der USA die entscheidende Sitzung des Weltsicherheitsrates statt. Um die Zustimmung des Rates (auch !!) für ein militärisches Vorgehen gegen Saddam Hussein zu erhalten, wurden erstmalig im Sicherheitsrat Videos gezeigt, im konkreten Fall zwei. Auf dem 1. Video waren Soldaten in irakischer Uniform zu sehen, die in einem Krankenhaus des besetzten Emirats Kuwait Babys aus Brutkästen nahmen und auf den Boden warfen. Das 2. Video zeigte eine junge Frau, die von einer besonders brutalen Vergewaltigung durch irakische Soldaten berichtete. Beide Videos entsprachen nicht der Wirklichkeit, sondern waren im Auftrag der US-Regierung von der amerikanischen PR-Agentur Hill&Knowlton hergestellt worden. Bei den „irakischen Soldaten“ handelte es sich um bezahlte Darsteller, und die angeblich vergewaltigte Frau war die Tochter des saudischen Botschafters in Washington. Nach der Vorführung der gefälschten Videos erhielten die USA das „Go“ des Weltsicherheitsrates, auch – nicht zwangsläufig! –  militärisch gegen den irakischen Diktator vorzugehen.

Im Vorfeld des nächsten Irak-Krieges im Frühjahr 2003 arbeiteten die USA erneut mit falschen Aussagen. Washington ließ am 5. Februar 2003 durch den damaligen amerikanischen Außenminister Colin Powell vor dem Weltsicherheitsrat behaupteten, Irak arbeite an einem Raketenprogramm, verfüge über fahrbare Labore zu Herstellung von biologischen Waffen und unterstütze den internationalen Terrorismus. Alle drei Aussagen entsprachen nicht der Wahrheit, wurden aber vom Weltsicherheitsrat als Begründung für ein UN-Mandat zum Einmarsch in den Irak akzeptiert. Powell bezeichnete später seine Rede vor dem Weltsicherheitsrat als einen „Schandfleck“ in seiner politischen Karriere.

Am 11. September 2001 wurden u. a. die beiden Türme des World Trade Centers durch einen Terroranschlag zerstört. Die USA erklärten nach Artikel 5 des NATO Vertrags- erstmals in der Geschichte der NATO-  den Bündnisfall und starteten als Vergeltung eine Militäroperation in Afghanistan mit der Begründung, dieses Land sei ein Rückzugsort für internationale Terroristen.  Den Beweis dafür haben die USA bis heute nicht angetreten, zumal 15 der 19 identifizierten Terroristen, die am Anschlag gegen das World Trade Center beteiligt waren, aus Saudi-Arabien stammten. Für die Organisation des Terroranschlags wurde Osama Bin Laden, ein saudischer Wahabit, verantwortlich gemacht, der am 02. Mai 2011 von einem amerikanischen Spezialkommando in Abbottabad in Pakistan liquidiert wurde.

Am 17. März 2011 verabschiedete der UN Sicherheitsrat mit 10 Stimmen, bei 5 Enthaltungen, im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Libyen die Resolution 1973. Im Rahmen dieser Entscheidung wurde gegen Libyen ein Waffenembargo verhängt und über dem Land eine Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung eingerichtet. Die im Rahmen dieses Mandats erfolgte Militäroperation der USA und anderer westlicher Staaten wurde völkerrechtswidrig zu einem „Regime Change“ ausgeweitet, der mit der Ermordung des libyschen Herrschers Mohammed Gaddafi endete. Der damalige amerikanische Präsident Barak Obama bezeichnete diesen Krieg später als die „gravierendste politische Fehlentscheidung seiner Amtszeit“.

Zusammenfassende Beurteilung

Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse, habe ich erhebliche Zweifel, ob die amerikanische Darstellung der Lage in der Ukraine und an den Grenzen dieses Landes der Wahrheit entspricht. Die als Beweis der Behauptungen Washingtons angeführten Luftbilder werden von seriösen amerikanischen Experten als „doctored pictures“ bezeichnet, zumal ja niemand weiß, wann diese Aufnahmen, von wem und wo genau erstellt wurden und vor allem auch nicht, welche Absichten möglicherweise damit verfolgt wurden. Dazu müssten Ergebnisse auf der Basis von „human intelligence“ vorliegen, und darauf hat sich bislang niemand berufen.

Der ukrainische Präsident Zelensky stellte Ende Januar 2022 zu den ständigen Warnungen der US Administration vor einem russischen Einmarsch fest: “They keep supporting this theme, this topic. And they make it as acute and burning as possible….The American policy of publicizing intelligence and risk assessments around the Russian threat is a mistake, is unnerving Ukrainians and harming the economy at a time when I would like to see quiet military preparation and quiet diplomacy.”

Es ist zweifellos richtig festzustellen, dass niemand weiß, was der russische Präsident mit seiner Vorgehensweise beabsichtigt, aber ich persönlich glaube nicht, dass er eine Militäroperation gegen die Ukraine plant. Ich stimme vielmehr der Aussage des zurückgetretenen Inspekteurs der deutschen Marine, Vizeadmiral Schönbach, zu, der das Verhalten des russischen Präsidenten als dessen Forderung nach Respekt einordnet. Dass Schönbach diese Aussage in seiner Funktion als Inspekteur der Marine in der Öffentlichkeit nicht hätte machen sollen, ändert für mich nichts an der Richtigkeit seiner Einschätzung. Putin sieht sich selbst auf Augenhöhe mit dem amerikanischen Präsidenten und nicht als Führer einer Regionalmacht, wie der frühere amerikanische Präsident Obama Russland bezeichnet hat.

Die USA verfolgen immer noch ihre Vision von einer Pax Americana mit dem Ziel, die Welt in ihrem Sinne zu gestalten. Nach Aussagen des Pentagon gibt es weltweit 514 US-Stützpunkte; nach Recherchen des amerikanischen Schriftstellers David Vine sollen es sogar ca. 800 sein. Der amerikanische Verteidigungshaushalt lag 2021 bei knapp 800 Milliarden US Dollar, der Russlands bei knapp 62 Milliarden. Auch, wenn man wohl davon ausgehen muss, dass die Zusammensetzung der Haushalte Amerikas und Russlands nicht vollständig identisch ist, kann es keinen Zweifel geben, dass die Militärausgaben der USA um ein Vielfaches höher sind als die Russlands. Dabei spielt in den USA der „military-industrial-complex“ eine ganz entscheidende Rolle. Die aktuelle Russlandpolitik wird ebenso wie das amerikanische Agieren in der Ukrainepolitik bestimmt von der US Under Secretary of State for Political Affairs, Victoria Nuland. Sie war schon 2014 ein Key Player in der damaligen Ukraine-Krise. Sie war es auch, die in einem Telefongespräch mit dem damaligen ukrainischen Premierminister Jazenjuk die Formulierung gebrauchte „Fuck the EU.“ Nuland ist verheiratet mit Robert Kagan. Dieser hatte 1997 zusammen mit William Kristol das „Project for the American Century“ ( PNAC ) entwickelt, eine Policy für Amerikas Außenpolitik mit dem Ziel, die Welt zu beherrschen. Diese Idee haben die Neokonservativen, die s.g. Neocons, die nach wie vor maßgeblich die amerikanische Außenpolitik bestimmen, bis heute nicht aufgegeben.

Egon Bahr hat recht, wenn er sagt, Staaten ginge es immer nur um Interessen und nicht um Demokratie und Menschenrechte. Aus meiner Sicht geht es in der aktuellen Krise überhaupt nicht um die Ukraine, sondern um ein Prestige-Duell zwischen den USA und Russland. Washington will nicht akzeptieren, dass Moskau spätestens seit 2015, dem Engagement Russlands in Syrien, wieder zurück ist auf der Weltbühne und Russland will es nicht hinnehmen, dass Washington immer noch versucht, die Idee einer Pax Americana zu realisieren.

Deshalb hat eigentlich nur Europa die Chance, den gordischen Knoten in der Ukraine-Krise zu durchschlagen und zwar mit Hilfe des Normandie-Formats, des „Weimarer Dreiecks“ und last but not least vor allem durch die OSZE, deren Vorsitz aktuell Polen innehat.

Greven, 09.Febraur 2022

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Wird Mali für die Bundeswehr zu einem 2. Afghanistan?

Vorbemerkung

Am 19. Januar 2022 hat die Militärjunta in Mali erstmalig einer Transportmaschine der Bundeswehr vom Typ „A 400 M“ den Überflug nach Niamey in  Niger verweigert, so dass die Maschine mit ca. 75 Soldaten an Bord  umkehren und wegen des nur noch begrenzt verfügbaren Treibstoffs auf den Kanarischen Inseln landen musste. Vor dem Hintergrund dieses aktuellen Zwischenfalls stellt sich die Frage nach dem Sinn des Bundeswehreinsatzes in Mali. Konkret ist zu prüfen, ob die Mandate für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von EUTM und MINUSMA im Mai 2022 noch einmal verlängert werden sollten  oder nicht, weil die Gefahr droht, dass es in Mali  zu einem 2. Afghanistan kommt.

Das Land Mali und ein kurzer Rückblick in die Vorgeschichte der internationalen Einsätze

Die westafrikanische Präsidialrepublik Mali ist mit ca. 1,3 Millionen km² etwa 3,5 x so groß wie Deutschland, hat aber nur knapp 15 Millionen Einwohner, die hauptsächlich im südlichen Teil des Landes leben. Fast 90 % der Menschen sind Muslime, 5% Christen, und der Rest sind Anhänger von Naturreligionen. Mali war von 1893 bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1960 eine französische Kolonie. Mali gehört zu den ärmsten Länder der Erde, verfügt aber über große Bodenschätze. Es liegt im s.g. Goldgürtel Afrikas, der sich von Senegal über Guinea,Ghana (ehemalsbritische Kolonie „Goldküste“), Burkina Faso, Niger, Nigeria und Kamerun durch ganz Westafrika zieht.Die Goldminen im Süden des Landesmachen Mali nach Ghana und Südafrika zum drittgrößten Förderer des Edelmetalls in Afrika. Außer Gold gibt es Erdöl, Erdgas, Phosphat, Kupfer, Bauxit, Diamanten und andere Edelsteine. Im Westen des Landes wurde Uran gefunden, und tief im Boden wurde sogar reiner Wasserstoff entdeckt.

Die Masse der Rohstoffvorkommen Malis sind noch nicht erschlossen.

Im März 2012 wurde der gewählte Präsident Malis, Amadon Toumani Touré  von meuternden Militärs unter Führung von Hauptmann Amadou Sanogo, der zwischen 2004 und 2010 in den USA ausgebildet wurde, gestürzt. Sanogo übergab kurze Zeit später  die Macht an den Übergangspräsidenten Dioncunda Traoré . In der Folge kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Rebellen im Norden des Landes und den regulären Streitkräften Malis. Daraufhin bat Traoré Frankreich und die Vereinten Nationen um Unterstützung. Am 12. Januar 2013 startete  Frankreich mit Luftangriffen die Operation „Serval“.

Mit dem französischen Eingreifen begann das europäische Engagement in Mali. Am 1. Juli 2013 startete dann auch die „United Nations Multidimensional Integrated Stabilisation Mission in Mali“ ( MINUSMA), eine Friedensmission der Vereinten Nationen, in der die African-led International Support Mission to Mali(AFISMA ) aufgegangen ist.

Die Beteiligung der Bundeswehr an den Missionen EUTM und MINUSMA

European Union Training Mission Mali ( EUTM)

Auf der Basis einer UN-Resolution aus dem Dezember 2012 wurde am 17. Januar 2013 von den EU Außenministern der offizielle Beginn der EU-Ausbildungsmission beschlossen. Ziel der EUTM ist es, die malischen Streitkräfte mit der geleisteten militärischen Grundlagenausbildung und Beratung dazu zu befähigen, gegen islamistische Milizen in der Region vorzugehen. Selbst soll die EUTM Mali nicht in Kampfhandlungen im Norden des Staates einbezogen werden.

Deutschland beteiligt sich mit bis zu 600 Soldaten an der Mission. Konkreter Auftrag der deutschen Streitkräfte ist „die Mitwirkung an der Führung von EUTM Mali Unterstützung zur Verbesserung der operativen Fähigkeiten der malischen Streitkräfte durch militärische Beratung und Ausbildung, einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung…. Darüber hinaus unterstützt die Bundeswehr auch die anderen G5-Sahel-Staaten Burkina Faso, Mauretanien, Niger und  Tschad durch „die Herstellung der operativen Einsatzfähigkeit der ´Gemeinsamen Einsatztruppe der G5-Sahel-Staaten´(G5Sahel Force Conjointe) und der nationalen Streitkräfte der G5-Sahel-Staaten durch militärische Beratung und Ausbildung, einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung.“…..Zur Auftragserfüllung dienen dabei auch die Kräfte der Military Assistance (MA) Mission „GAZELLE“ in Niger, die in die Strukturen von EUTM Mali integriert werden. „Weitere Aufgaben der deutschen Streitkräfte „sind die Koordination, Zusammenarbeit und Informationsaustausch mit anderen an der Unterstützung der Streitkräfte Malis und der weiteren G5-Sahel-Staaten beteiligten Akteuren, soweit zum Schutz und zur Erfüllung des Auftrages erforderlich“; außerdem  „die Wahrnehmung von Schutz und Unterstützungsaufgaben, auch zur Unterstützung von Personal der Multidimensionalen Stabilisierungsmission der VN in Mali (MINUSMA).
Eine Beteiligung an Kampfeinsätzen ist weiterhin ausgeschlossen.
Das mandatierte Einsatzgebiet umfasst ganz Mali sowie nach Schaffung der rechtlichen Grundlagen die Staatsgebiete der weiteren G5-Sahel-Staaten Burkina Faso, Niger, Mauretanien und Tschad.“

Bis Ende 2021 wurde EUTM für 6 Monate turnusgemäß vom deutschen Brigadegeneral  Jochen Deuer geführt.

„Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUTM Mali werden für den Zeitraum 1. Juni 2021
bis 31. Mai 2022 insgesamt rund 117,5 Millionen Euro betragen.“

United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali ( MINUSMA)

„Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen „United Nations Multidimensional Integrated Stabilisation Mission in Mali ( MINUSMA )dient der Sicherung des Friedens. Die Kernaufgaben sind, die Waffenruhevereinbarungen und die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien sowie die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung aus dem Jahr 2015 zu unterstützen. Die Stabilisierung Malis ist von zentraler Bedeutung für die territoriale Einheit des Staates. Mit rund 13.000 Blauhelmsoldatinnen und Blauhelmsoldaten und knapp 2.000 Polizisten und Polizistinnen trägt der Einsatz der Vereinten Nationen in Mali zur Stabilisierung des Landes bei.“

Deutschland beteiligt sich seit 2013 mit einem Kontingent der Bundeswehr in Stärke bis zu 1.100 Soldaten und Soldatinnen sowie mit Polizistinnen und Polizisten an MINUSMA.

Die  Bundeswehr übernimmt nach Maßgabe des Völkerrechts und der Einsatzregeln der VN Aufgaben in den Bereichen Führung, zivil-militärische Zusammenarbeit, Beobachtung und Beratung. Zudem unterstützt sie das Personal der EU-Mission in Mali und leistet mit Aufklärungsmitteln am Boden und in der Luft ( u.a. durch Drohnen ) einen wichtigen Beitrag zum Gesamtlagebild der VN-Mission. Ein weiterer möglicher Auftrag ist die Luftbetankung für französische Streitkräfte auf Anforderung der VN.  „Unterstützung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität und bei der Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung vom April 2015“ sind ebenfalls Aufgaben der Bundeswehr. Darüber hinaus stellt Deutschland mit dem Lufttransportstützpunkt in Niamey, Republik Niger, den taktischen und strategischen Patientenlufttransport sowie die logistische Unterstützung der deutschen Soldatinnen und Soldaten und ihrer Partner bei MINUSMA sicher. Soldaten aus Belgien, Estland, Irland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz sind in das deutsche Kontingent integriert. Zudem wurden sowohl das schwedische als auch das britische Einsatzkontingent in Gao in das von Deutschland geführte Camp Castor eingebunden,

Das militärische Engagement bei MINUSMA wird durch den Einsatz von bis zu 20 deutschen Polizistinnen und Polizisten bei MINUSMA ergänzt.

“ Die Teilnahme an Operationen zur Terrorbekämpfung ist nicht vom Auftrag erfasst.“Das aktuelle Mandat des Deutschen Bundestages definiert das Einsatzgebiet mit ganz Mali sowie der Republik Niger zum Betreiben eines Lufttransportstützpunkts in Niamey. Das aktuelle Mandat gilt bis zum 31. Mai 2022.
„Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an MINUMSA werden für den Zeitraum 1. Juni 2021
bis 31. Mai 2022 voraussichtlich insgesamt rund 362,1 Millionen Euro veranschlagt.“

Die aktuelle Lage

Die Sicherheitslage in Mali  ist völlig unübersichtlich und verschlechtert sich von Tag zu Tag. Unterschiedliche Clans streiten um Macht und Einfluss, und es gibt offensichtlich immer mehr Dschihadisten. Im Norden des Landes fühlen sich die zum großen Teil aus Libyen geflohenen Tuaregs von der Entwicklung Malis ausgeschlossen.

Seit 2012 gab es im Land bereits drei Militärputsche. Aktuell herrscht eine Militärjunta unter Assimi Goita, die 2020 den gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita gestürzt hatte. Der von der Junta eingesetzte Übergangspräsident  Bah N’Daw wurde in einem erneuten Militärputsch von derselben Junta ebenfalls gestürzt. Ende Mai 2021 rief sich Assimi Goita zum Übergangspräsidenten aus. Putschistenführer Goita wurde international militärisch ausgebildet, u.a. auch in Deutschland. Mit Billigung der Putschisten befinden sich seit einiger Zeit Angehörige der russischen Söldnertruppe „Wagner “ in Mali.Nach Erkenntnissen des amerikanischen Afrika Kommandos, so der Sprecher Stephen Townsend, sind mehrere Hundert dieser Söldner mittlerweile im Land. Sie wurden nach US-Angaben von der russischen Luftwaffe transportiert.  Washington stuft  die Lage als „besorgniserregend“ ein.

Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian warf der „Wagner Gruppe“ vor, die Militärjunta in Mali – unter dem Deckmantel des Kampfes gegen die Dschihadisten – zu unterstützen

UN Generalsekretär Antonio Guterres mahnte, die Verwicklung der Söldner in den Konflikt in Mali dürfe nicht „die Ziele“ der VN beeinträchtigen.

Nachdem die „Organisation Afrikanische Union“ ( OAU ) bereits im Juni 2021 die Mitgliedschaft Malis ausgesetzt hatte, folgte jetzt die „Economic Community of West African States“ (ECOWAS). Zusätzlich zur Suspendierung der  ECOWAS-Mitgliedschaft Malis schlossen die übrigen 14 Mitgliedstaaten ihre Grenzen zu Mali und zogen ihre Botschafter aus Bamako ab. Die Auslandsvermögen der Militärjunta wurden eingefroren, so dass nur noch lebenswichtiger Handel möglich ist. Mali verfügt nur noch nach Norden, also nach Libyen und Mauretanien über offene Grenzen.

Der französische Präsident Macron hat mit dem Abzug seiner Soldaten aus Mali gedroht, sollte sich der westafrikanische Staat nach dem jüngsten Putsch in Richtung eines radikalen Islamismus entwickeln. Macron machte deutlich, dass er keine Regierung unterstützen werde, die keine demokratische Legitimität mehr habe.

Dagegen erklärte die EU, ihren Militäreinsatz in Mali ungeachtet der chaotischen Situation fortzusetzen. Die deutsche Verteidigungsministerin  Christine Lambrecht  lehnte einen Abzug der Bw ab. “ Wir werden nicht weichen, so einfach machen wir es den Russen nicht…Moskau wird es nicht gelingen, über die Entsendung von Söldnern den Westen quasi automatisch überall zum Rückzug zu bewegen, wo Russland uns nicht sehen will.“

Die FDP Abgeordnete und Vorsitzende des Verteidigungsausschuss,  Marie-Agnes Strack-Zimmermann, warnte vor schnellem Rückzug aus Mali. Geprüft werden müsse auch eine schwere Bewaffnung zum Schutz der Soldaten. Unter Umständen müsse man auch den Radpanzer Boxer nach Mali verlegen

Zusammenfassende Bewertung

Im Januar 2022 ist die Bundeswehr mit ca. 1.350 Soldaten als Teil der europäischen Ausbildungsmission EUTM sowie der UN-Friedensmission MINUSMA im Einsatz. Obwohl das Land mittlerweile von einer Militärjunta regiert oder besser gesagt, beherrscht wird, gilt für den EUTM Einsatz der Bundeswehr weiterhin:“Konkreter Auftrag der deutschen Streitkräfte ist die Unterstützung zur Verbesserung der operativen Fähigkeiten der malischen Streitkräfte durch militärische Beratung und Ausbildung, einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung“, obwohl die malischen Streitkräfte dem Machterhalt der Putschisten dienen und mittlerweile  wohl auch mit den russischen Wagner-Söldnern kooperieren. Auch im Rahmen von MINUSMA gilt der Auftrag der deutschen Soldaten nach dem Militärputsch unverändert, nämlich u.a. : „Unterstützung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität und bei der Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung vom April 2015…..“

Diese Aufträge sind aus meiner Sicht nach dem Militärputsch völlig irrelevant geworden, weil sie letztlich dazu beitragen, den Machterhalt eines Unrechtsystems zu sichern.

Unabhängig davon muss konstatiert werden, dass sowohl EUTM wie auch MINUSMA bislang keine konkreten Erfolge vorzuweisen haben. Bereits 2018 hatte ein deutscher Oberstleutnant und Kommandeur der Fallschirmjäger in seinem Bericht nach dem Mali-Einsatz u.a. festgestellt, dass die deutsche Ausbildung in Mali eigentlich keinen Sinn mehr mache. Er bemängelte die fehlende Nachhaltigkeit der malischen Armee und stellte fest, dass das Verteidigungsministerium Malis  nicht einmal die Übersicht habe, wohin die Soldaten nach ihrer Ausbildung bei den deutschen Streitkräften versetzt würden und ob sie ihre Kenntnisse in den neuen Verwendungen überhaupt einsetzen könnten. Der damalige Wehrbeauftragte der Bundeswehr, Hans-Peter Bartels, äußerte  nach einem Besuch in Mali die Befürchtung, dass sich die Ausbildungsmission  ähnlich ungewiss entwickeln könne, wie der Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Besonders bemängelte Bartels die unzureichende zivil-militärische Zusammenarbeit. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst  (damals noch Oberstleutnant) André Wüstner, äußerte sich  nach seiner Rückkehr aus Mali in einem Interview mit der Bild-Zeitung in ähnlicher Weise. Wörtlich sagte er zum deutschen Einsatz im Rahmen der EUTM: “ Operativ ist in Mali wenig von einem vernetzten Ansatz zu sehen. Ich habe die Sorge, dass dauerhaft die gleichen Fehler wie in Afghanistan gemacht werden: zielloser Einsatz von Entwicklungsgeldern, wenig Koordination zwischen den Ressorts gepaart mit Machbarkeitsillusionen und überzogene Erwartungen“,

Wenn man ergänzend zur Situation in Mali jetzt auch die Entwicklung der Lage nach dem Militärputsch  im Nachbarland Burkina Faso betrachtet, sollte das Mandat für die Bundeswehr weder für MINUSMA noch für die Ausbildungsmission EUTM noch einmal verlängert werden. Es hat nie eine überzeugende deutsche Strategie für unsere Soldaten in Mali gegeben und vor allen Dingen ist niemals definiert worden, wann und unter welchen Bedingungen der Einsatz beendet werden sollte.  Das Argument der deutschen Verteidigungsministerin, . “ Wir werden nicht weichen, so einfach machen wir es den Russen nicht…Moskau wird es nicht gelingen, über die Entsendung von Söldnern den Westen quasi automatisch überall zum Rückzug zu bewegen, wo Russland uns nicht sehen will.“ kann keine ernsthafte Begründung für die Fortsetzung des Einsatzes sein. Übrigens: Was würde eigentlich mit den deutschen Soldaten passieren, wenn Frankreich sich entschlösse, seine Truppen abzuziehen?

Fazit: Wenn man ein ähnliches Desaster wie in Afghanistan vermeiden will, kann die Devise nur lauten: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Europa und auch die Vereinten Nationen werden den Kontinent nicht verändern. Dass müssen die Afrikaner schon selbst in die Hand nehmen.

Jürgen Hübschen

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Der Fall von Kunduz und die deutschen Gespräche mit den Taliban-ein Bilanz der Illusionen, Verlogenheit und politischen Konzeptionslosigkeit

Der Fall von Kunduz und die deutschen Gespräche mit den Taliban-

ein Bilanz der Illusionen, Verlogenheit und politischen Konzeptionslosigkeit

Vorbemerkung

Am 30. Juni 2021 sind die letzten deutschen Soldaten aus Afghanistan zurückgekehrt und auf dem Flughafen in Wunstorf gelandet. Mit der Begründung der Verteidigungsministerin, die Soldaten hätten eine stille Ankunft  gewünscht, waren weder die Ministerin, noch andere Politiker und auch der Generalinspekteur in Wunstorf nicht anwesend. Die Verteidigungsministerin kündigte eine umfassende Aufarbeitung des deutschen Afghanistan-Einsatzes an.

Nachfolgend wird von mir an zwei symbolischen Beispielen bereits eine persönliche Bilanz des deutschen Engagements in Afghanistan gezogen, ein Einsatz, in dem 59 deutsche Soldaten gefallen sind , eine nicht genannte Anzahl zum Teil schwer verwundet wurde und aus dem sehr viele Soldaten- die genaue Zahl ist völlig unbekannt- traumatisiert zurückgekehrt sind.

Die Eroberung der nordafghanischen Stadt Kunduz durch die Taliban

 Am 8. August 2021 berichteten die Medien übereinstimmend, dass Kundus nach schweren Gefechten mit den afghanischen Sicherheitskräften von den Taliban erobert worden sei.

Kundus war ein Symbol für den deutschen Afghanistan Einsatz. Von Oktober 2003 – Oktober  2013 war das „Feldlager Kunduz“ der größte Bundeswehrstandort in Afghanistan. Insgesamt wurden ca. 250 Millionen € in die Infrastruktur der Anlage investiert. Im Rahmen seiner internationalen Verantwortung führte Deutschland das „Provincial Reconstruction Team“ des „ISAF Regional Command North“  ( ISAF = International Security Assistance Force ) Im Großraum Kunduz sind 25 deutsche Soldaten gefallen.

Ziemlich genau 10 Jahre nach Ankunft der ersten deutschen Soldaten in Kunduz wurde das Feldlager vom damaligen deutschen Verteidigungsminister Thomas de Maizière im Beisein des damaligen deutschen Außenministers Guido Westerwelle  und des ehemaligen  ISAF-Kommandeur US-General Joseph F. Dunford an den afghanischen Verteidigungsminister Mohammad Omar übergeben. Aktuell sind/waren in der Anlage  die afghanische Nationalarmee und die afghanische  Bereitschaftspolizei stationiert.

Die letzten deutschen Soldaten wurden von Kunduz nach Masar-e- Sharif ins „Camp Marmal“ verlegt.

Im Frühjahr 2018 kehrten etwa 100 deutsche Soldaten noch einmal nach Kunduz zurück. Dort hatte man – angelegt an das ehemalige deutsche Feldlager- das „Camp Pamir“ eingerichtet. Von dort aus sollten die deutschen Soldaten ihre afghanischen Kameraden beratend unterstützen, ohne sich jedoch an Kampfhandlungen zu beteiligen. Ende November 2020 wurden die deutschen Soldaten wieder abgezogen und nach Mazar-e-Sharif rückverlegt. „Camp Pamir“ wurde aber formal nicht aufgegeben mit der Begründung, dass deutsche Soldaten bei Bedarf  mit Hubschraubern eingeflogen würden, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen, so die Erklärung des deutschen Einsatzführungskommandos in Potsdam. Das Motto hieß damals im Bundeswehr -Jargon: „Fly to Advise“…

Vertrauliche Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung und den Taliban in Doha, der Hauptstadt von Katar.

Am 31. Juli 2021 trafen sich Vertreter des Auswärtigen Amtes und der Taliban in einem Hotel in Doha. Die deutsche Delegation wurde von Jasper Wieck, dem neuen Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan geführt. Auf der afghanischen Seite leitete Abdul Haq Wasiq, ein ehemaliger Guantanamo Häftling, die Gespräche. Vertreter der afghanischen Regierung nahmen an dem Treffen nicht teil. Hauptthema des Meetings waren das Schicksal und die Zukunft der afghanischen Ortskräfte, die die deutschen Soldaten in den verschiedensten Funktionen im Einsatz unterstützt hatten. Angeblich versicherten die Taliban in den Gesprächen, sich für den Schutz der afghanischen Ortskräfte einzusetzen.

Persönliche Bewertung

Der Fall von Kunduz und die deutschen Gespräche mit den Taliban sind gleichermaßen Symbole einer militärischen Niederlage, eines politischen Versagens und einer sicherheitspolitischen Konzeptionslosigkeit. Deutsche Soldaten sind umsonst gefallen, wurden sinnlos verwundet und zahlen zudem mit Hunderten von traumatisierten Männern und Frauen einen lebenslangen Preis, so wie alle Angehörigen der betroffenen Soldaten. Die aktive Truppe schaut auf den Afghanistan-Einsatz nicht nur mit Trauer und Frustration sondern auch mit Kopfschütteln wegen der nicht erkennbaren sicherheitspolitischen Konzeption zurück und wird Einsätze wie in Mali und auch alle zukünftigen Militäroperationen mit größter Skepsis betrachten, was deren Sinnhaftigkeit angeht. In Afghanistan ist die Bundesregierung den USA mehr oder weniger unkritisch gefolgt und hatte auch später nicht das Format, den Einsatz insgesamt in Frage zu stellen. Die Begründung für die internationale Afghanistan Mission war von  Anfang an unehrlich, weil es nie um die Zukunft der afghanischen Bevölkerung ging, sondern immer in erster Linie um handfeste nationale Interessen der USA. Wenn heute, wie in den Medien berichtet wird, die afghanische Luftwaffe- die es, abgesehen von ein paar mehr oder weniger einsatzbereiten Hubschraubern und Propellerflugzeugen gar nicht gibt- habe mit Unterstützung von US-Kampfflugzeugen Angriffe gegen die Taliban geflogen, so ist dies lediglich der Rest eines hinhaltenden Kampfes bis die USA endgültig „abgehauen“ sind und die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben werden.

Auch bei den Gesprächen Deutschlands mit den Taliban ging es nicht um die betroffenen afghanischen Menschen, sondern um das handfeste Interesse der Bundesregierung die Anzahl der Ortskräfte, die eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland erhalten sollen, zu begrenzen. Darüber Gespräche mit den Taliban und nicht mit der afghanischen Regierung zu führen, ist ein klarer Beweis dafür, dass Berlin mit dem baldigen Fall von Kabul und der Machtübernahme durch die Taliban rechnet. Verlogenheit ist für diese Vorgehensweise eigentlich eine nicht mehr ausreichende Bewertung.

Deutschland hatte von Anfang an keine sicherheitspolitische Konzeption für das Engagement in Afghanistan , wehrt sich aber bis heute zuzugeben, dass man auf der ganzen Linie gescheitert ist.

Ich bin gespannt, welche Reden Ende August gehalten werden, wenn es um den offiziellen Dank der Politiker und der hohen Militärs an die deutschen Soldaten und deren Angehörigen geht, die den Preis für das Versagen der Verantwortlichen bezahlt haben und noch viele weitere Jahre bezahlen werden. Die Bundeswehr wird nach dieser militärischen Niederlage, der politischen Verlogenheit und der sicherheitspolitischen Konzeptionslosigkeit nicht mehr dieselbe sein.

Greven, den 06. August 2021

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Die endgültige Rückkehr unserer Soldaten und die Ausreise afghanischer Ortskräfte nach Deutschland

Der deutsche Afghanistan Einsatz ist mit einem politischen Signal zu Ende gegangen. Beim Eintreffen der letzten Soldaten in Wunstorf wurden diese lediglich vom Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, GenLt Pfeffer empfangen. Der Generalinspekteur hatte wohl ebenso wichtigere Termine, wie die Verteidigungsministerin, die ausgerechnet an diesem Tag ihren Amtskollegen in den USA treffen musste. Die Bundeskanzlerin fehlte, und auch von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages war niemand anwesend, als die letzten Angehörigen der Parlamentsarmee in Wunstorf landeten. Die Ministerin erklärt die für viele Bürgerinnen und Bürger befremdliche Szene mit dem Wunsch der Soldaten, die eine „stille Ankunft“ hätten haben wollen. Für wäre ist das Gegenteil einer „stillen Ankunft“ nicht automatisch ein politischer „Tam-Tam mit einem Riesen-Auftrieb“ gewesen, sondern es hätte ja auch genügt, einfach da zu sein und dadurch ein Zeichen der Verbundenheit zu setzen, ohne große Reden zu halten. Das hätte die Zusammenführung der Soldaten mit ihren Familien nicht verzögert!!

 Für mich hatte man für die Ankunft der Soldaten- wie übrigens auch für die vor ein paar Wochen aus Afghanistan zurückkehrenden Polizisten- kein Konzept, so wie es für die gesamte Afghanistan-Operation keine überzeugende politische Strategie gegeben hat. Das ist für mich der Hauptgrund, warum dieser Einsatz, trotz des Engagements und der Opfer unserer Soldaten, ihren Gefallenen, Verwundeten und Traumatisierten, gescheitert ist.

Und so, wie es für den Einsatz unserer Männer und Frauen keine Strategie gegeben hat, so fehlt diese auch für die afghanischen Ortskräfte.

Es ist in 20 Jahren nicht gelungen, für diese – in der Regel- Männer ein Konzept zu entwickeln, das dem berechtigten Wunsch nach Sicherheit entsprochen hätte. Der erste Fehler ist gemacht worden, als man diese Männer am Ende mit fast 1.000 € pro Monat bezahlt hat. Das ist für afghanische Verhältnisse eine unvorstellbare Summe und führt nicht nur zu Neid und Missgunst, sondern motiviert auch die Taliban, „diese Verräter“ zu bestrafen. Statt einer den örtlichen Gegebenheiten  angemessenen Bezahlung  hätte man den Ortskräften den Anreiz bieten müssen,nach einer entsprechend langen Zeit im Einsatz für die Bundeswehr – diese Dauer hätte man grundsätzlich definieren müssen- eine Ausreisezusage zu machen und zwar nicht nur für den Betreffenden, sondern auch für seine Familie. Da man in Afghanistan unter „Familie“ etwas anderes versteht als in Deutschland, hätte man die Angehörigen nicht definieren müssen, sondern einfach grundsätzlich eine zahlenmäßige Obergrenze festlegen sollen. Für diesen Personenkreis hätte man neben der Ausreise-Garantie natürlich auch die Flugkosten übernehmen müssen. Auch bei der Eingliederung dieser Menschen in Deutschland hätte man sich natürlich bei der Wohnungssuche, mit  Deutsch-Kursen – viele Dolmetscher haben ja nicht Deutsch-Afghanisch, sondern Englisch-Afghanisch übersetzt – engagieren müssen.

Die Entscheidung, wer von den Ortskräften eine Ausreisezusage bekommen sollte, hätte auf  der Basis konkreter Vorschläge aus  der Truppe erfolgen müssen, in der die Ortskräfte tätig waren. Eine Antragstellung durch die Ortskräfte selbst war/ist der völlig falsche Weg.

Und ein letzter Gedanke: Warum ist es eigentlich in 20 Jahren nicht gelungen, deutschen Soldaten die afghanische Sprache beizubringen, damit diese dann als Dolmetscher hätten fungieren können? Sprachkurse in Vollzeit dauern in der Regel nur wenige Wochen.

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Die Reaktion von EU und NATO auf die erzwungene Landung der Ryanair-Maschine in Minsk

23. Mai 2021

Beschreibung des Vorfalls auf der Basis öffentlich vorliegender Informationen

Am 23. Mai 2021 wurde eine Linienmaschine der Ryanair auf ihrem Flug von Griechenland nach Litauen durch ein weißrussisches Kampfflugzeug vom Typ MIG-29 zur Landung in Minsk gezwungen. An Bord befanden sich nach vorliegenden Informationen 170 Passagiere, unter ihnen der weißrussische  Journalist Roman Protassewitsch in Begleitung seiner russischen Freundin Sofia Sapega.  Der Regimekritiker Protassewitsch war auf dem Weg in sein Exil in Litauen.

Die weißrussische Regierung begründete die erzwungene Landung mit einer Bombendrohung. Protassewitsch wurde festgenommen und von weißrussischen Sicherheitskräften zu einem unbekannten Ziel verbracht. Nachdem die Regierung in Minsk erklärt hatte, dass man bei einer Durchsuchung des Flugzeugs keine Bombe gefunden habe, durfte die Maschine nach ca. 7 Stunden den Flug in die litauische Hauptstadt Vilnius fortsetzen. Angeblich wurde auch Sofia Sapega verhaftet und blieb in Minsk, ebenso wie einige unbekannte Passagiere; man vermutet Mitarbeiter des weißrussischen Geheimdienstes. Protassewitsch wurde auf Weisung des weißrussischen Präsidenten Lukaschenko international gesucht, weil  ihm vorgeworfen wurde, die Massenproteste in Minsk mit organisiert zu haben.

Mittlerweile hat die Regierung Weißrusslands seine Verhaftung bestätigt und gibt vor, Protassewitsch habe ein Geständnis abgelegt.

Die westliche Staatengemeinschaft verurteilte den Vorgang scharf, fordert die sofortige Freilassung des Regimekritikers und verhängte zusätzliche Sanktionen gegen Weißrussland, Besonders scharf waren die Reaktionen der EU und Großbritanniens, die u.a. ein Lande- und Überflugverbot für die weißrussische staatliche Fluggesellschaft Belavian Airlines BELAVIA verhängten.

Weitere Sanktionen behält sich die EU ausdrücklich vor.

2. Juli 2013

Am 2. Juli 2013 befand sich der bolivianische Staatpräsident Evo Morales in seiner Regierungsmaschine auf dem Rückflug von Moskau, wo er politische Gespräche geführt hatte. Nachdem Frankreich, Italien Portugal und Spanien die Überflugrechte verweigert hatten, landete die Maschine notgedrungen in Wien. Nach einem Zwangsaufenthalt von 13 Stunden und einer Durchsuchung der Maschine durch die österreichischen Behörden konnte Präsident Morales seinen Flug in die Heimat fortsetzen, weil die erforderlichen Überflugrechte nunmehr gewährt worden waren.

Der bolivianische Verteidigungsminister Rubén Saavedra behauptete, die Überflugrechte seien verweigert und die Landung in Wien de facto erzwungen worden, weil die betreffenden Regierungen geglaubt hätten, dass sich der von den USA wegen Geheimnisverrat gesuchte NSA-Whistleblower Edward Snowden an Bord befunden habe. Zum Zeitpunkt des gesamten Vorfalls befand sich Snowden seit über einer Woche auf dem Moskauer Scheremetjewo-Flughafen, nachdem er am 23. Juni von Honkong nach Moskau geflogen war, weil er befürchtet hatte, in die USA ausgeliefert zu werden. Snowden hatte in verschiedenen Staaten, darunter auch in Bolivien um Asyl gebeten, was letztlich von Russland gewährt wurde. Die Darstellung des bolivischen Verteidigungsministers wurde wenig später von vielen Beobachtern, direkt oder auch indirekt bestätigt. 

Persönliche Bewertung der beiden Vorfälle

 Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko hat angeordnet, die Ryanair-Maschine zur Landung in Minsk zwingen, um den Systemkritiker Protassewitsch verhaften zu lassen. Mit der vorgeschobenen Behauptung, es habe eine Bombe an Bord der Maschine gegeben, so dass sie aus Sicherheitsgründen in Minsk landen musste, hat er sich wenig Mühe gegeben, den wahren Grund der mit militärischen Mitteln erzwungenen Landung und seinen damit verbundenen Machtmissbrauch zu verschleiern. Das Vorhaben war offensichtlich langfristig geplant, was auch dadurch unterstrichen wird, dass  sich in Athen Mitarbeiter des weißrussischen Geheimdienstes( KGB) mit dem Auftrag aufgehalten hatten zu bestätigen, dass/ob der Systemkritiker  wirklich an Bord gegangen war. Diese KGB Agenten sind nach der erzwungenen Zwischenlandung in Minsk geblieben.

Lukaschenko hat bei diesem erneuten Willkürakt die zu erwartenden Reaktionen des Westens billigend in Kauf genommen.

Planung und Durchführung der Festnahme von Protassewitsch sind so offensichtlich, dass man den  misslungenen Versuch, dieses zu verschleiern als naiv  bezeichnen müsste/könnte, wenn nicht klar wäre, das Lukaschenko ein Diktator ist, der sich gar keine Mühe macht zu verbergen, dass ihm alle Mittel recht sind um, – allerdings  mit Billigung Moskaus- an der Macht zu bleiben.

Ganz anders verhält es sich mit dem Fall von Edward Snowden. Die USA wollten -und wollen es sicherlich immer noch- den Whistleblower vor ein amerikanischen Gericht stellen, um ihn für den aus ihrer Sicht begangenen Geheimnisverrat zu bestrafen. Dafür müssten sie seiner aber erst einmal habhaft werden, und genau dieser Versuch ist am 02. Juli 2013 gescheitert, wahrscheinlich auf Grund einer CIA-Panne, wovon es ja in der Vergangenheit eine Menge gegeben hat. Washington war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Bolivien dem Asylantrag Snowdens stattgegeben hatte und Präsident Morales den Dissidenten in der Präsidentenmaschine mit nach La Paz nehmen wollte. Da man den bolivianischen Präsidenten daran nicht hindern konnte, musste ein Möglichkeit gefunden werden, wie man die Präsidentenmaschine bei einer Zwischenlandung in Europa durchsuchen konnte, um Snowden zu verhaften. Ein mit militärischen Mitteln erzwungener Zwischenstopp kam aus naheliegenden Gründen nicht in Frage, weil ja alle europäischen Länder per Definition Rechtstaaten sind. Dass die CIA z.B. in osteuropäischen EU/NATO-Staaten Foltergefängnisse betrieben hat, sei in diesem Zusammenhang nur zur Erinnerung erwähnt… Um den Eindruck der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, verlegte man sich auf die Idee, die Lufträume zu sperren, die die bolivianische Präsidentenmaschine auf ihrem Weg von Moskau nach La Paz durchqueren musste, weil sonst der Treibstoff nicht gereicht hätte. Konsequenz war die Landung von Morales in Wien, de facto die Geiselnahme eines südamerikanischen Präsidenten, um einen nordamerikanischen Whistleblower zu verhaften.

Bekanntermaßen ist dieser Versuch gescheitert, wahrscheinlich, weil die CIA in Moskau – im Gegensatz zum weißrussischen KGB in Athen- nicht gewusst hat, ob Snowden wirklich in der Regierungsmaschine des bolivianischen Präsidenten saß oder nicht.

Die Staats- und Regierungschefs  der  EU und NATO haben von dem gesamten Vorgang vor nunmehr fast 8 Jahren kein großes Aufhebens gemacht, und auch die westlichen Medien waren in ihrer Darstellung und vor allem in der Bewertung des Vorfalls ausgesprochen zurückhaltend.

Wasserdicht bewiesen sind meine Annahmen nicht, aber die einzige nachvollziehbare Erklärung für den unglaublichen Vorgang, die Maschine eines rechtmäßigen Präsidenten für 13 Stunden widerrechtlich festzusetzen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch ich verurteile das Vorgehen Lukaschenkos ohne wenn und aber und halte die Sanktionen gegen Weißrussland für berechtigt und  angemessen.

Aber ich halte den unterschiedlichen Umgang mit den beiden dargestellten Vorfällen für inakzeptabel und werte ihn als ein weiteres Beispiel für einen Double Standard oder auch eine Doppelmoral der westlichen Politik. Die beiden Vorfälle sind nämlich im Grunde durchaus vergleichbar, weil es um die Verhaftung von Menschen ging, die man in Diktaturen als Regimekritiker und in Demokratien als Whistle Blower bezeichnet. Die Unterschiede zwischen den beiden Vorfällen liegen in der Methode der Vorgehensweise und – sarkastisch formuliert – im Ergebnis.

Erneut steht die Glaubwürdigkeit westlicher Politik auf dem Spiel, einer Politik, die die Annexion der Krim zu Recht verurteilt, sich aber zu. B. mit der Annexion der Golanhöhen seit langem arrangiert hat.

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Soldaten im „Corona-Einsatz“- richtig oder ein Risiko für die Sicherheits unseres Landes?

Vorbemerkung

Wenn in den Medien über die Bundeswehr berichtet wird, handelt es sich meistens um die Darstellung vorhandener Mängel in den Streitkräften. In den überwiegenden Fällen geht es dabei um Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit der Ausrüstung. Diese Defizite beziehen sich in der Regel auf die Beschaffung und die grundsätzliche zahlenmäßige Verfügbarkeit  und den Grad der  Einsatzbereitschaft vorhandener Waffensysteme. Beim Personal spielen vor allem Qualifikation und Umfang eine Rolle.

Über Einsätze der Bundeswehr wird dagegen kaum berichtet, und Mandatsverlängerung von Auslandsmissionen werden in der Öffentlichkeit nicht diskutiert und im Bundestag mehr oder weniger als Routine durchgewunken.

Das aktuelle Engagement der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wird zwar in den Medien auch nicht umfassend dargestellt, stößt aber , wenn darüber berichtet wird, auf Interesse und vor allem Anerkennung in der Bevölkerung.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob dieser zu Recht anerkannte Einsatz unserer Soldaten in der Corona Pandemie eigentlich durch das Grundgesetz gedeckt ist und mit der Verantwortung unserer Streitkräfte für die Sicherheit Deutschlands vereinbart werden kann.

Gesetzliche Grundlagen für die Bundeswehr

Der Einsatz der Bundeswehr ist im Grundgesetz klar geregelt.

Artikel 87a GG Aufstellung und Einsatz der Streitkräfte

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.


(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt…

Solche expliziten Ermächtigungen eines Einsatzes der Bundeswehr enthält das Grundgesetz nur für:

  • den Verteidigungsfall und den Spannungsfall (Art. 87a Abs. 3 GG), also einen akuten oder drohenden bewaffneten Angriff auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland,
  • für den inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG), z.B. bei den Bestand der Bundesrepublik gefährdenden bewaffneten Aufständen,
  • und für den Katastrophenfall (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), z.B. bei Naturkatastrophen

Einzige Ausnahme ist die Unterstützung durch die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe nach Art 35 Absatz 1 Grundgesetz. Da heißt es wörtlich: (1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hat die Grundlagen für das Gewähren dieser Amtshilfe klar geregelt. Es handelt sich bei der Amtshilfe nicht um einen Einsatz im rechtlichen Sinne, sondern diese wird ausschließlich subsidiär, also unterstützend gewährt.

 In der entsprechenden Vorschrift des BMVg heißt es wörtlich:

1. Prinzipien der Amtshilfe

Nach Artikel 35  ( 1 ) GG unterstützen Truppenteile und Dienststellen des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung durch Hilfeleistungen andere staatliche Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.

 Eine Behörde kann um Amtshilfe u.a. dann ersuchen, wenn ihr die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen.

Stehen Rechtsgründe der Hilfeleistung entgegen oder entstünden durch die Unterstützung erhebliche Nachteile für den Bund oder ein Land, leistet die Bundeswehr keine Amtshilfe.

Zweck der Amtshilfe ist es nicht, einer anderen Behörde die für ihre Aufgaben benötigten Ressourcen und Ausgabemittel zu ersparen.

Amtshilfe beschränkt sich auf ergänzende Hilfe in Einzelfällen und schließt eine regelmäßige, auf Dauer angelegte, institutionalisierte Zusammenarbeit aus.

 Die Bundeswehr hält kein Personal und Material eigens für Hilfseinsätze vor und bildet dafür auch nicht gesondert aus. Ein Einsatz erfolgt mit den verfügbaren Kräften und Mitteln, sofern der eigene Auftrag es zulässt.

Die ersuchende Behörde trägt bei Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe stets die Gesamtverantwortung…..

Die Unterstützung bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie durch die Bundeswehr

Das Engagement der Bundeswehr in der Corona-Pandemie- im weiteren Text vereinfacht als „Corona-Einsatz“ bezeichnet – findet seit einem Jahr statt. Ende Februar waren es etwa 25.000 Soldaten , die für das Unterstützungskontingent bereitgestellt werden. Die Gesamtstärke der Streitkräfte betrug Ende 2020 knapp 185.000 Soldatinnen und Soldaten.

Damit sind also ca. 13,5% aller Soldatinnen und Soldaten aktuell in Pflegeheimen, Senioreneinrichtungen, Krankenhäusern und Impfzentren tätig, führen Schnelltest durch, unterstützen die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung von Coronafällen und helfen aktuell auch bei der Einrichtung von Testzentren. Impfstoff wird dem Vernehmen nach z.T. in Bundeswehreinrichtungen gelagert, und auch die deutsche sanitätsdienstliche Unterstützung Portugals bei der Bekämpfung der Pandemie wird durch Soldaten geleistet.

Diese umfangreiche Palette von Aufgaben wird von Soldatinnen und Soldaten nachweislich gern, engagiert und kompetent wahrgenommen, also von Militärangehörigen, die eigentlich völlig andere Aufgaben haben.

In einem Artikel des Magazins „Die Bundeswehr“ wird von einem Hauptgefreiten im „Corona-Einsatz“ berichtet. Der Hauptgefreite Peter Holhaus ist eigentlich Angehöriger des Objektschutzregimentes der Luftwaffe „Friesland“, das auf dem Flugplatz in Jever stationiert ist.

Auftrag des Objektschutzregiments der Luftwaffe „Friesland“ ist es, weltweit den Aufbau, Schutz und den Betrieb eines Flugplatzes in einem Einsatzland sicherzustellen.

Holhaus ist aktuell einer von 90 Soldaten des Regiments, die sich in Berlin im „Corona-Einsatz“ befinden und beschreibt seinen jetzigen Arbeitstag wie folgt: „Wenn ich morgens im Pflegeheim hoch auf Station komme, haben die Bewohner bereits gefrühstückt. Ich räume das Geschirr ab, schaue, ob jemand Kaffee, Wasser oder Kekse möchte, helfe bei organisatorischen Dingen, bringe mittags das Essen auf Bude, räume danach das Geschirr ein. Zwischendurch suche ich das Gespräch mit den Bewohnern…Viele wollen einfach mal reden, da sitzt man daneben und hört sich die Geschichten an….“

Verantwortlich für die Soldaten im „Corona-Einsatz“ ist der Inspekteur der Streitkräftebasis (SKB), Generalleutnant Martin Schelleis. Dieser warnte Ende  Februar, die Amtshilfe könne kein Dauerzustand sein. In einem Interview mit der FAZ sagte er, die Bundeswehr stehe natürlich schnell und flexibel für die aktive Nothilfe zur Verfügung, aber machte auch klar: “ Unser Hauptauftrag ist die äußere Sicherheit.“ Es gebe „wirklich Handlungsbedarf in der Aufstellung für zukünftige Krisen.“ Auswirkungen auf den Grundbetrieb der Streitkräfte habe die Pandemie schon jetzt. Der General weiter wörtlich: “ Nun müssen wir im Grund-, Ausbildungs- und Übungsbetrieb spürbar eingreifen“. Laut FAZ forderte Schelleis, „möglichst rasch den Einsatz Tausender Soldatinnen und Soldaten in Alten-und Pflegeheimen zu beenden und sie durch zivile Helfer zu ersetzen“, unter anderem mit Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit.

Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann twitterte: “ Die Bundeswehr ist nicht das THW, ihre Aufgabe ist die Landes- und Bündnisverteidigung…“

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes ( DBwV), Oberstleutnant André Wüstner, warnte vor einem schleichenden Verlust der Einsatzbefähigung. Die Bundeswehr könne nicht dauerhaft als Lückenbüßer für Versäumnisse auf der zivilen Ebene agieren. In der aktuellen Lage sei erkennbar, „dass wir völlig unzureichende Strukturen und Verfahren haben, um Krisen und flächendeckende Katastrophen bewältigen zu können.“  Und Wüstner wurde noch deutlicher, indem er von einem „größeren Staats- sowie Verwaltungsversagen“ sprach.

Soldaten im Corona Einsatz- richtig oder ein Risiko für die Sicherheit unseres Landes?

Die Tätigkeit von Soldatinnen und Soldaten im „Corona-Einsatz“ ist nach dem Grundgesetz möglich und grundsätzlich sicherlich sinnvoll. Alle Aufgaben werden von den Bundeswehrangehörigen gern und mit vollem Engagement übernommen, obwohl sie z.T. durch heimatfernen Einsatz erhebliche persönliche Belastungen auf sich nehmen und auch laufbahnmäßige Nachteile in Kauf nehmen müssen, weil bestimmte Ausbildungen und  Übungen nicht stattfinden und vor  allem auch  Lehrgänge als Voraussetzungen für anstehende Beförderungen häufig nicht zeitgerecht besucht werden können. Das alles wird von den Soldatinnen in Kauf genommen, weil sie die Sinnhaftigkeit ihrer Aufgaben in der „Corona-Hilfe“ erkennen. Das ändert aber nichts daran, dass all diese Tätigkeiten nicht der Grund waren, warum sie in die Bundeswehr eingetreten sind und vor allem nach den gesetzlichen Grundlagen nicht zur Regel werden dürfen, sondern im Rahmen der Amtshilfe ausschließlich subsidiär wahrgenommen werden sollten.

Die politische Führung unseres Landes versucht mit den Soldaten die Mängel zu kompensieren, die auf politische Fehlentscheidungen der Vergangenheit zurückzuführen sind. Da ist als erstes die Auflösung des Territorialheeres im Jahr 2001 zu nennen, das für die Wahrnehmung der Nationalen Territorialen Aufgaben zuständig war. Dazu gehörte unter anderem die zivil-militärische Zusammenarbeit. Verteidigungskreiskommandos ( VKK´s ) , Verteidigungsbezirkskommandos ( VBK´s)  und Wehrbezirkskommandos ( WBK´s) waren mit aktivem militärischen Personal besetzte Dienststellen als Ansprechpartner für Landräte, Bezirks- und Landesregierungen.  Diese militärischen Dienststellen standen zur Verfügung,  wenn es um die Amtshilfe ging. Von der Fehlentscheidung, das Territorialheer aufzulösen, haben sich die Streitkräfte bis heute nicht erholt, und die zivil-militärische Zusammenarbeit ist seither wesentlich schwieriger geworden.

Diese Problematik wurde durch die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 um ein Vielfaches brisanter, denn durch das Aussetzen der Wehrpflicht, gibt es keine nennenswerte Zahl von Reservisten mehr und vor allem steht ja auch kein Personal mehr aus dem zivilen Ersatzdienst zur Verfügung, das bis 2011 u.a. in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen und beim THW oder der Freiwilligen Feuerwehr eingesetzt war.

Last but not least, darf im Zusammenhang mit der Gewährung von Amtshilfe natürlich auch nicht vergessen werden, dass die Bundeswehr zahlenmäßig entscheidend verkleinert wurde und zwar von 495 000 in 1985 auf heute ca. 185.000. Durch die mit der Truppenreduzierung verbundene Schließung von vielen Standorten in der Fläche nicht mehr präsent ist. 1985 hatte die Bundeswehr eine Antrittsstärke von 495.000 Soldaten, also 310.000 mehr als heute.

Parallel zu diesen Veränderungen in den Streitkräften wurde auch der zivile Katastrophenschutz entscheidend heruntergefahren.

Fazit: Unser Land ist für die Bekämpfung einer Pandemie nicht mehr gerüstet. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die zivilen Dienststellen im großen Umfang Amtshilfe durch die Bundeswehr beantragt haben. Aber der „Corona-Einsatz“  der Streitkräfte hat jetzt ein Ausmaß erreicht, das mit Artikel 35 (1) GG nicht mehr begründet werden kann, weil es die Erfüllung des eigentlichen Auftrags der Bundeswehr und damit letztlich auch die Sicherheit unseres Landes gefährdet.

Greven, 11. März 2021

Jürgen Hübschen

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Soldaten im „Corona-Einsatz“- richtig oder ein Risiko für die Sicherheit unseres Landes?

Vorbemerkung

Wenn in den Medien über die Bundeswehr berichtet wird, handelt es sich meistens um die Darstellung vorhandener Mängel in den Streitkräften. In den überwiegenden Fällen geht es dabei um Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit der Ausrüstung. Diese Defizite beziehen sich in der Regel auf die Beschaffung und die grundsätzliche zahlenmäßige Verfügbarkeit  und den Grad der  Einsatzbereitschaft vorhandener Waffensysteme. Beim Personal spielen vor allem Qualifikation und Umfang eine Rolle.

Über Einsätze der Bundeswehr wird dagegen kaum berichtet, und Mandatsverlängerung von Auslandsmissionen werden in der Öffentlichkeit nicht diskutiert und im Bundestag mehr oder weniger als Routine durchgewunken.

Das aktuelle Engagement der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wird zwar in den Medien auch nicht umfassend dargestellt, stößt aber , wenn darüber berichtet wird, auf Interesse und vor allem Anerkennung in der Bevölkerung.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob dieser zu Recht anerkannte Einsatz unserer Soldaten in der Corona Pandemie eigentlich durch das Grundgesetz gedeckt ist und mit der Verantwortung unserer Streitkräfte für die Sicherheit Deutschlands vereinbart werden kann.

Gesetzliche Grundlagen für die Bundeswehr

Der Einsatz der Bundeswehr ist im Grundgesetz klar geregelt.

Artikel 87a GG Aufstellung und Einsatz der Streitkräfte

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.


(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt…

Solche expliziten Ermächtigungen eines Einsatzes der Bundeswehr enthält das Grundgesetz nur für:

  • den Verteidigungsfall und den Spannungsfall (Art. 87a Abs. 3 GG), also einen akuten oder drohenden bewaffneten Angriff auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland,
  • für den inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG), z.B. bei den Bestand der Bundesrepublik gefährdenden bewaffneten Aufständen,
  • und für den Katastrophenfall (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), z.B. bei Naturkatastrophen

Einzige Ausnahme ist die Unterstützung durch die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe nach Art 35 Absatz 1 Grundgesetz. Da heißt es wörtlich: (1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hat die Grundlagen für das Gewähren dieser Amtshilfe klar geregelt. Es handelt sich bei der Amtshilfe nicht um einen Einsatz im rechtlichen Sinne, sondern diese wird ausschließlich subsidiär, also unterstützend gewährt.

 In der entsprechenden Vorschrift des BMVg heißt es wörtlich:

1. Prinzipien der Amtshilfe

Nach Artikel 35  ( 1 ) GG unterstützen Truppenteile und Dienststellen des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung durch Hilfeleistungen andere staatliche Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.

 Eine Behörde kann um Amtshilfe u.a. dann ersuchen, wenn ihr die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen.

Stehen Rechtsgründe der Hilfeleistung entgegen oder entstünden durch die Unterstützung erhebliche Nachteile für den Bund oder ein Land, leistet die Bundeswehr keine Amtshilfe.

Zweck der Amtshilfe ist es nicht, einer anderen Behörde die für ihre Aufgaben benötigten Ressourcen und Ausgabemittel zu ersparen.

Amtshilfe beschränkt sich auf ergänzende Hilfe in Einzelfällen und schließt eine regelmäßige, auf Dauer angelegte, institutionalisierte Zusammenarbeit aus.

 Die Bundeswehr hält kein Personal und Material eigens für Hilfseinsätze vor und bildet dafür auch nicht gesondert aus. Ein Einsatz erfolgt mit den verfügbaren Kräften und Mitteln, sofern der eigene Auftrag es zulässt.

Die ersuchende Behörde trägt bei Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe stets die Gesamtverantwortung…..

Die Unterstützung bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie durch die Bundeswehr

Das Engagement der Bundeswehr in der Corona-Pandemie- im weiteren Text vereinfacht als „Corona-Einsatz“ bezeichnet – findet seit einem Jahr statt. Ende Februar waren es etwa 25.000 Soldaten , die für das Unterstützungskontingent bereitgestellt werden. Die Gesamtstärke der Streitkräfte betrug Ende 2020 knapp 185.000 Soldatinnen und Soldaten.

Damit sind also ca. 13,5% aller Soldatinnen und Soldaten aktuell in Pflegeheimen, Senioreneinrichtungen, Krankenhäusern und Impfzentren tätig, führen Schnelltest durch, unterstützen die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung von Coronafällen und helfen aktuell auch bei der Einrichtung von Testzentren. Impfstoff wird dem Vernehmen nach z.T. in Bundeswehreinrichtungen gelagert, und auch die deutsche sanitätsdienstliche Unterstützung Portugals bei der Bekämpfung der Pandemie wird durch Soldaten geleistet.

Diese umfangreiche Palette von Aufgaben wird von Soldatinnen und Soldaten nachweislich gern, engagiert und kompetent wahrgenommen, also von Militärangehörigen, die eigentlich völlig andere Aufgaben haben.

In einem Artikel des Magazins „Die Bundeswehr“ wird von einem Hauptgefreiten im „Corona-Einsatz“ berichtet. Der Hauptgefreite Peter Holhaus ist eigentlich Angehöriger des Objektschutzregimentes der Luftwaffe „Friesland“, das auf dem Flugplatz in Jever stationiert ist.

Auftrag des Objektschutzregiments der Luftwaffe „Friesland“ ist es, weltweit den Aufbau, Schutz und den Betrieb eines Flugplatzes in einem Einsatzland sicherzustellen.

Holhaus ist aktuell einer von 90 Soldaten des Regiments, die sich in Berlin im „Corona-Einsatz“ befinden und beschreibt seinen jetzigen Arbeitstag wie folgt: „Wenn ich morgens im Pflegeheim hoch auf Station komme, haben die Bewohner bereits gefrühstückt. Ich räume das Geschirr ab, schaue, ob jemand Kaffee, Wasser oder Kekse möchte, helfe bei organisatorischen Dingen, bringe mittags das Essen auf Bude, räume danach das Geschirr ein. Zwischendurch suche ich das Gespräch mit den Bewohnern…Viele wollen einfach mal reden, da sitzt man daneben und hört sich die Geschichten an….“

Verantwortlich für die Soldaten im „Corona-Einsatz“ ist der Inspekteur der Streitkräftebasis (SKB), Generalleutnant Martin Schelleis. Dieser warnte Ende  Februar, die Amtshilfe könne kein Dauerzustand sein. In einem Interview mit der FAZ sagte er, die Bundeswehr stehe natürlich schnell und flexibel für die aktive Nothilfe zur Verfügung, aber machte auch klar: “ Unser Hauptauftrag ist die äußere Sicherheit.“ Es gebe „wirklich Handlungsbedarf in der Aufstellung für zukünftige Krisen.“ Auswirkungen auf den Grundbetrieb der Streitkräfte habe die Pandemie schon jetzt. Der General weiter wörtlich: “ Nun müssen wir im Grund-, Ausbildungs- und Übungsbetrieb spürbar eingreifen“. Laut FAZ forderte Schelleis, „möglichst rasch den Einsatz Tausender Soldatinnen und Soldaten in Alten-und Pflegeheimen zu beenden und sie durch zivile Helfer zu ersetzen“, unter anderem mit Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit.

Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann twitterte: “ Die Bundeswehr ist nicht das THW, ihre Aufgabe ist die Landes- und Bündnisverteidigung…“

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes ( DBwV), Oberstleutnant André Wüstner, warnte vor einem schleichenden Verlust der Einsatzbefähigung. Die Bundeswehr könne nicht dauerhaft als Lückenbüßer für Versäumnisse auf der zivilen Ebene agieren. In der aktuellen Lage sei erkennbar, „dass wir völlig unzureichende Strukturen und Verfahren haben, um Krisen und flächendeckende Katastrophen bewältigen zu können.“  Und Wüstner wurde noch deutlicher, indem er von einem „größeren Staats- sowie Verwaltungsversagen“ sprach.

Soldaten im Corona Einsatz- richtig oder ein Risiko für die Sicherheit unseres Landes?

Die Tätigkeit von Soldatinnen und Soldaten im „Corona-Einsatz“ ist nach dem Grundgesetz möglich und grundsätzlich sicherlich sinnvoll. Alle Aufgaben werden von den Bundeswehrangehörigen gern und mit vollem Engagement übernommen, obwohl sie z.T. durch heimatfernen Einsatz erhebliche persönliche Belastungen auf sich nehmen und auch laufbahnmäßige Nachteile in Kauf nehmen müssen, weil bestimmte Ausbildungen und  Übungen nicht stattfinden und vor  allem auch  Lehrgänge als Voraussetzungen für anstehende Beförderungen häufig nicht zeitgerecht besucht werden können. Das alles wird von den Soldatinnen in Kauf genommen, weil sie die Sinnhaftigkeit ihrer Aufgaben in der „Corona-Hilfe“ erkennen. Das ändert aber nichts daran, dass all diese Tätigkeiten nicht der Grund waren, warum sie in die Bundeswehr eingetreten sind und vor allem nach den gesetzlichen Grundlagen nicht zur Regel werden dürfen, sondern im Rahmen der Amtshilfe ausschließlich subsidiär wahrgenommen werden sollten.

Die politische Führung unseres Landes versucht mit den Soldaten die Mängel zu kompensieren, die auf politische Fehlentscheidungen der Vergangenheit zurückzuführen sind. Da ist als erstes die Auflösung des Territorialheeres im Jahr 2001 zu nennen, das für die Wahrnehmung der Nationalen Territorialen Aufgaben zuständig war. Dazu gehörte unter anderem die zivil-militärische Zusammenarbeit. Verteidigungskreiskommandos ( VKK´s ) , Verteidigungsbezirkskommandos ( VBK´s)  und Wehrbezirkskommandos ( WBK´s) waren mit aktivem militärischen Personal besetzte Dienststellen als Ansprechpartner für Landräte, Bezirks- und Landesregierungen.  Diese militärischen Dienststellen standen zur Verfügung,  wenn es um die Amtshilfe ging. Von der Fehlentscheidung, das Territorialheer aufzulösen, haben sich die Streitkräfte bis heute nicht erholt, und die zivil-militärische Zusammenarbeit ist seither wesentlich schwieriger geworden.

Diese Problematik wurde durch die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 um ein Vielfaches brisanter, denn durch das Aussetzen der Wehrpflicht, gibt es keine nennenswerte Zahl von Reservisten mehr und vor allem steht ja auch kein Personal mehr aus dem zivilen Ersatzdienst zur Verfügung, das bis 2011 u.a. in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen und beim THW oder der Freiwilligen Feuerwehr eingesetzt war.

Last but not least, darf im Zusammenhang mit der Gewährung von Amtshilfe natürlich auch nicht vergessen werden, dass die Bundeswehr zahlenmäßig entscheidend verkleinert wurde und zwar von 495 000 in 1985 auf heute ca. 185.000. Durch die mit der Truppenreduzierung verbundene Schließung von vielen Standorten in der Fläche nicht mehr präsent ist. 1985 hatte die Bundeswehr eine Antrittsstärke von 495.000 Soldaten, also 310.000 mehr als heute.

Parallel zu diesen Veränderungen in den Streitkräften wurde auch der zivile Katastrophenschutz entscheidend heruntergefahren.

Fazit: Unser Land ist für die Bekämpfung einer Pandemie nicht mehr gerüstet. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die zivilen Dienststellen im großen Umfang Amtshilfe durch die Bundeswehr beantragt haben. Aber der „Corona-Einsatz“  der Streitkräfte hat jetzt ein Ausmaß erreicht, das mit Artikel 35 (1) GG nicht mehr begründet werden kann, weil es die Erfüllung des eigentlichen Auftrags der Bundeswehr und damit letztlich auch die Sicherheit unseres Landes gefährdet.

Greven, 11. März 2021

Jürgen Hübschen

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USA und Afghanistan- Washington und der Westen zwischen Pest und Cholera

Vorbemerkung

Die US-Regierung unter Präsident Biden steht vor der Entscheidung, den mit den Taliban im Februar 2020 geschlossenen Vertrag umzusetzen und auch die letzten noch verbliebenen 2.500 US Soldaten bis Ende April 2021 aus Afghanistan abzuziehen oder ihren Einsatz nicht nur zu verlängern, sondern die Truppen ggf. zu verstärken. Von der  Entscheidung Washingtons und den daraus resultierenden Konsequenzen wären auch die NATO und alle anderen ausländischen  noch am Hindukusch stationierten Truppen betroffen. Der nachfolgende Beitrag versucht darzustellen, wie fatal die Gesamtsituation ist und dass es eigentlich nur noch einen und auch nur vielleicht Erfolg versprechenden Ausweg gibt.

Die amerikanischen Militäroperationen in Afghanistan

Auf die bis heute nicht vollständig aufgeklärten Anschläge gegen das World Trade Center am 11. September 2001 reagierten die USA mit einer Militäroperation gegen Afghanistan mit dem Ziel, das herrschende System der Taliban zu zerstören. Washington machte die Organisation Al Quaida für die Terroraktion verantwortlich und begründete die „Operation Enduring Freedom“ damit, dass sich der Al Quaida Führer Osama Bin Laden mit Billigung Kabuls in den afghanischen Bergen versteckt habe. Dass die Mehrzahl der identifizierten Attentäter auf das World Trade Center aus Saudi Arabien kamen und auch Osama Bin Laden saudischer Staatsbürger war, spielte bei dieser Entscheidung keine Rolle.

 Nach anfänglich sehr schnellen Erfolgen und dem Sturz des Taliban-Regimes wurde es bereits  2005/2006 immer klarer, dass sich in Afghanistan ein Guerilla-Krieg entwickelt hatte, der mit den herkömmlichen militärischen Mitteln nicht zu gewinnen war. Ohne einen wirklich konkreten Grund wurden die Operation „Enduring Freedom“ Ende 2014 beendet ,und die größten Kontingente der 100.00 Mann starken US-Truppen wurden mit ihren schweren Waffen abgezogen. Im Januar 2015 begann die amerikanische  Nachfolgeoperation „Freedom´s Sentinel“ mit dem Auftrag, terroristische Gruppen in Afghanistan zu bekämpfen. Dazu gehörten im Wesentlichen nach wie vor die Taliban, aber auch Al-Quaida, der „Islamische Staat“ ( IS )und das „Haquani Netzwerk“, mit dem die USA jahrelang kooperiert hatten.

Gleichzeitig beteiligte sich Washington weiter an den Operationen der NATO, und stellte auch immer den jeweiligen Kommandeur, der damit einen „US- und einen NATO- Hut“ trug.

Als sich abzeichnete, dass auch die Operation „Freedom´s Sentinel“ keine nachhaltigen Erfolge zeigte, begann Washington, ohne Beteiligung ihrer Alliierten und  der afghanischen Regierung Gespräche mit den Taliban, die Ende Februar 2020 mit einem Vertrag abgeschlossen wurden. Darin verpflichteten sich die USA zum Abzug ihrer eigenen Soldaten und aller Truppen ihrer Verbündeten bis Ende April 2021.

Aktuell sind noch 2.500 US Soldaten in Afghanistan stationiert.  

Die NATO  Operationen in Afghanistan

Nach dem Anschlag auf das World Trade Center erklärte die NATO erstmalig in ihrer Geschichte den Bündnisfall nach Artikel V des NATO Vertrages und startete  die Mission „International Security Assistance Force“ (ISAF). Ursprünglich sollte diese Operation getrennt von der US-Operation „Enduring Freedom“  durchgeführt werden, was sich aber sehr schnell als Theorie herausstellte, weil – wie bereits ausgeführt -der Kommandeur der ISAF immer der  US-General war, der auch das Kommando über die jeweilige US-Operation innehatte. An der ISAF-Operation beteiligten sich nicht  nur Mitgliedsländer der NATO, sondern auch andere Staaten. Insgesamt betrug die Truppenstärke ca. 45.000 Mann aus 40 Ländern.

 ISAF endete ebenfalls mit Ablauf Dezember 2014, und auch die NATO zog den größten Teil ihrer Truppen mit dem schweren Gerät aus Afghanistan ab. Im Januar 2015 begann die NATO Operation „Resolute Support“ mit dem Auftrag, die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden, zu beraten und zu unterstützen. Trotzdem ist ihr Kommandeur in Personalunion der  Befehlshaber der US-Operation „Freedom´s Sentinel“, die- wie bereits ausgeführt – ein völlig anderes Ziel hat.

Aktuell sind im Rahmen der Operation „Resolute Support“  vermutlich  noch etwa 10.000 ausländische Soldaten in Afghanistan stationiert, einschließlich der verbliebenen 2.500 US-Truppen. Genaue Zahlen alliierter Truppensteller wurden ebenso wenig öffentlich genannt, wie die Namen der Länder, die noch eigene Soldaten am Hindukusch stationiert haben.

Die Bundeswehr in Afghanistan

Die Bundeswehr war 13 Jahre lang mit bis zu 5.000 Soldaten Teil der „International Security Assistance Force“ (ISAF). Während dieser Zeit hatten die deutschen Soldaten auch einen Kampfauftrag. Mehr als 50 deutsche Soldaten sind gefallen, viele wurden verwundet, Tausende sind traumatisiert. Seit Ende der ISAF Operation beteiligt sich die Bundeswehr an der Nachfolge-Mission „Resolute Support“ und zwar als zweitgrößter Truppensteller nach den USA. Die deutschen Truppen verfügen über keine schweren Waffen mehr, sind ohne Kampfauftrag und deshalb auch nur noch eingeschränkt in der Lage, sich selbst zu schützen und notfalls zu verteidigen.
Nach dem aktuellen Beschluss  des Deutschen Bundestages vom 19. Februar 2020 können im Rahmen von „Resolute Support“ weiterhin bis zu 1.300 deutsche Soldaten in Afghanistan eingesetzt werden. Aktuell ist die Bundeswehr mit 1.100 Soldaten am Hindukusch präsent. Als s.g. Rahmennation hat Deutschland  seine Soldaten in Masar-i Scharif stationiert. Das „Camp Marmal“ ist die Basis des deutschen Kontingents und auch des „Train Advise and Assist Command (TAAC) North“, das von einem deutschen General geführt wird. Darüber hinaus leisten weitere deutsche Soldaten in Kabul, und Bagram ihren Dienst. Der Standort Kunduz wurde vor einigen Wochen aufgegeben.

Unsere Soldaten haben als s.g. „Operationeller Partner“  den Auftrag, die afghanischen Sicherheitskräfte zu beraten, auszubilden und zu unterstützen. Darüber hinaus werden Kräfte zur Verwendung in den mit der Führung der Mission „Resolute Support“ beauftragten Stäben und Hauptquartieren  zur Unterstützung der Führungsfähigkeit eingesetzt

Das aktuelle Mandat der Bundeswehr endet am 31. März 2021, doch es gibt Hinweise aus der Regierung, dass das Mandat bei gleichbleibender Truppenobergrenze um 1/2 Jahr verlängert werden soll.

Die afghanische Regierung und ihre Sicherheitskräfte

Die politische Lage des Landes ist am deutlichsten dadurch gekennzeichnet, dass Afghanistan im Februar 2020 zwei Präsidenten hatte. Der heutige Präsident Ashraf Ghani wurde  im Februar 2020 mit 5 -monatiger Verspätung zum Sieger der Parlamentswahlen erklärt. Unmittelbar danach ließ sich der andere Kandidat, Abdullah Abdullah, ebenfalls zum Wahlsieger erklären und offiziell auch zum Präsidenten wählen. Erst im Mai 2020 wurde der Streit zwischen Ghani und Abdullah offiziell beigelegt Ghani zum Präsidenten und Abdullah erneut zum „Vorsitzenden des Hohen Rates für Aussöhnung“ ernannt. Als Bedingung für Abdullahs  Zustimmung zu diesem Kompromiss wurde Rashid Dostum, Warlord und härtester Gegner der Taliban zum ersten Marshall Afghanistans ernannt..

Das Land am Hindukusch ist völlig zerrissen, und die korrupte Zentralregierung in Kabul hat über das von  Stammesstrukturen geprägte Land keinerlei Kontrolle. Am Vertrag zwischen den USA und den Taliban vom 29. Februar 2020 war die  afghanische Regierung – mit Billigung der USA-  nicht beteiligt. Trotzdem wurde darin u.a. festgelegt, dass es Verhandlungen zwischen der Regierung und den Taliban geben soll, deren Beginn auf den 10. März 2020 festgelegt wurde..Wörtlich heißt es in dem Vertrag: „A permanent and comprehensive ceasefire will be an item on the agenda of the intra-Afghan dialogue and negotiations. The participants of intra-Afghan negotiations will discuss the date and modalities of a permanent and comprehensive ceasefire, including joint implementation mechanisms, which will be announced along with the completion and agreement over the future political roadmap of Afghanistan“.

In einem weiteren Punkt wurde der Austausch von Gefangenen zwischen der Regierung und den Taliban innerhalb von 3 Monaten vereinbart. Die Regierung sollte 5.000 Taliban Kämpfer und Sympathisanten auf freien Fuß setzen und die Taliban im Gegenzug 1.000 Regierungssoldaten freilassen.

Aktuell gibt es noch immer keine konkreten Ergebnisse der innerafghanischen Verhandlungen, und auch der Gefangenenaustausch ist noch nicht abgeschlossen.  

Nach einer Studie des amerikanischen „Watson Institute of War“ lagen die US-Kosten für den Einsatz in Afghanistan für die Zeit zwischen 2001 und 2019 bei ca. 2 Billionen US Dollar.  ( gemeint sind wirklich Billionen und nicht der amerikanische Begriff für Milliarden!!!) Von dieser Summe sind zig Milliarden Dollar direkt an die verschiedensten afghanischen Regierungsstellen geflossen, die über den Verbleib nie Rechenschaft hat ablegen müssen. Zusätzlich hat das Land im Rahmen von internationalen Geber-Konferenzen finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe für den Wiederaufbau erhalten, bisher letztmalig im November 2020 insgesamt 3,3 Milliarden Dollar mit der Zusage weiterer 9-10 Milliarden bis 2024.

In seinem aktuellen Bericht vom 30. Januar 2021 hat der amerikanische Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction“ ( SIGAR) ,Inspector General J.F. Sopko, zum Umfang der finanziellen Unterstützung Afghanistans festgestellt“As the footprint of U.S. agencies continues to shrink, it will become more important that the U.S. and other donors perform aggressive and effective oversight of its dollars and programs through the inclusion in funding agreements of measurable and verifiable benchmarks with tangible outcomes, periodic reassessment of both the goals of funding and the needs of the Afghan people, and high-level political buy-in from all sides.”

Nicht nur der Wiederaufbau des Landes kommt nicht voran, sondern auch die afghanischen Sicherheitskräfte, Streitkräfte und auch die Polizei sind trotz massiver finanzieller und personeller Unterstützung in den Bereichen Ausrüstung, Ausbildung und Bewaffnung noch immer nicht in der Lage, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Ein wesentliches Problem scheint darin zu liegen, dass auch Teile der Führung der Sicherheitskräfte korrupt sind, Löhne an  Soldaten nicht ausgezahlt werden  und diese deshalb zu den Taliban überlaufen.

Die Taliban und die Sicherheitslage in Afghanistan

Die Sicherheitslage verschlechtert sich kontinuierlich, weil die afghanischen Sicherheitskräfte es nicht schaffen, das Land zu stabilisieren und die Taliban sich nicht an den mit den USA geschlossenen Vertrag halten. Sie haben lediglich ihre Angriffe gegen die internationalen Streitkräfte eingestellt. Die Kämpfe mit den afghanischen Sicherheitskräften halten unvermindert  an, und den Taliban gelingt es, immer größere Landesteile zu kontrollieren. Die Erfolge der Taliban basieren zum einen auf den schweren Waffen, die sie in Kämpfen mit den afghanischen Streitkräften erbeutet haben und auf  ihren annähernd unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten, weil Afghanistan immer noch der weltgrößte Opium Exporteuer der Welt ist und der Erlös daraus hauptsächlich in die „Kriegskasse“ der Taliban fließt.  Vor allem im Süden des Landes befinden sich die Taliban Kämpfer sozusagen im Stand By , um sofort reagieren zu können, falls sich die USA nicht an den mit den Taliban geschlossenen Vertrag halten. Große Teile der Zivilbevölkerung sind auf der Flucht. Die Lage ist mittlerweile so kritisch, dass die USA z.B.  die vorgesehene Übergabe ihres Flugplatzes in Kandahar an die afghanischen Streitkräfte ausgesetzt haben. Als Reaktion auf einen Bericht der „Afghanistan Study Group“ des US Kongress vom 03. Februar 2021, den Abzug der amerikanischen Truppen von der Entwicklung der Sicherheitslage abhängig zu machen, drohte Taliban-Sprecher Suhail Shaheen am 06. Februar 2021 auf einer Pressekonferenz in Teheran mit einem „gro0en Krieg“ für den Fall, dass die internationalen Truppen nicht wie vereinbart bis Ende April 2021 aus Afghanistan abzögen..

Beurteilung der Gesamtlage und Entscheidungsvorschlag

Objektiv betrachtet muss man konstatieren, dass die gesamte Operation Afghanistan gescheitert ist. Da dieses Resümee aber einer politischen und militärischen Bankrott Erklärung gleichkäme, will niemand dafür die Verantwortung übernehmen. So kommt die „Afghan Study Group“ des US Kongress in ihrem  jüngsten Bericht zu dem Schluss: „The withdrawing troops based on a strict timeline, rather than how well the Taliban adheres to the agreement to reduce violence and improve security, risked the stability of the country and a potential civil war once international forces withdraw.“  Dabei kann weder politisch, militärisch und auch wirtschaftlich von einer „stability of the country“ die Rede sein, und ein „civil war“ findet längst statt. Wer daran noch Zweifel hat, sollte den jüngsten SIGAR Bericht sorgfältig lesen, der insgesamt ein desolates Bild des Landes zeichnet.

NATO Generalsekretär Stoltenberg spricht davon, dass “ The price for leaving too soon or in an uncoordinated way could be very high.“, sagt aber nichts darüber, was passieren wird, falls die internationalen Truppen nicht, wie mit den Taliban vereinbart, bis Ende April 2021 abziehen.

 Ein Sprecher der Bundeswehr erklärte gegenüber der SZ, die Sicherheitslage habe sich 2020 verschlechtert. Wörtlich sagte er: “ Hauptgrund dafür ist, dass die Taliban unverändert ihre Gewalt gegen die afghanische Regierung, die afghanischen Sicherheitskräfte und auch gegen die Zivilbevölkerung vor Ort fortsetzen.“ Die afghanischen Sicherheitskräfte seien „trotz aller Anstrengungen weiterhin noch nicht selbsttragend in der Lage, flächendeckend für die Sicherheit zu sorgen“ und bräuchten weiter Unterstützung durch internationale Partner. Wie und warum es möglich ist, dass die Taliban immer stärker werden, sagte der Sprecher nicht. Das Mandat für die Bundeswehr läuft Ende März 2021 aus, und es gibt deutliche Hinweise, dass es um 6 Monate verlängert werden soll, ohne dass irgendjemand eine Aussage dazu macht, was sich eigentlich in den nächsten 6 Monaten ändern bzw. verbessern soll, Ganz im Gegenteil besteht, wie die aktuelle Entwicklung bereits deutlich macht, die konkrete Gefahr ,  dass die Sicherheitslage sich dramatisch weiter verschlechtern wird, vor allem, falls die Absprachen mit den Taliban nicht eingehalten werden sollten.. Für die Soldaten der Bundeswehr wäre das besonders fatal, weil ihnen nur noch Handfeuerwaffen zu ihrer Verteidigung zur Verfügung stehen und sie nicht nur auf die Luftunterstützung der USA angewiesen sind, sondern auch  für mögliche medizinische Evakuierungen vollständig von den amerikanischen Truppen abhängen

Fazit:

Die USA und ihre Verbündeten scheinen nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben, und Grund dafür ist die eigene fehlende sicherheitspolitische Gesamtstrategie für den Einsatz in Afghanistan. Sollten die USA und ihre Verbündeten ihre Truppen, wie vereinbart bis Ende April 2021 abziehen, werden die Taliban, nach einem mehr oder weniger langen Bürgerkrieg, die Regierung stürzen und das System wiederherstellen, das die USA und die westliche Staatengemeinschaft vergeblich zu zerstören versucht haben. Entschließt man sich gegen den Willen der Taliban zu bleiben, wird es zu einer massiven militärischen Auseinandersetzung mit den Taliban von unbestimmter Dauer und mit völlig offenem Ausgang kommen. Die Folgen für die Zivilbevölkerung wären dabei nicht abzusehen.

Aus meiner Sicht gibt es deshalb nur noch einen, vielleicht Erfolg versprechenden Ausweg  und der ist diplomatischer Art. Die „Afghan Study Group“ des US-Congress empfiehlt in ihrem Bericht “ a renewed diplomatic push by the United States and Afghanistan´s neighbours with the Taliban, prodding them to actually adhere to the peace deal.“ Dieser Vorschlag ist grundsätzlich gut, wenn dieser diplomatische Ansatz unter Führung der UNO erfolgt und neben den Taliban vor allem auch die afghanische Regierung an diesem Vorhaben aktiv beteiligt wird. Wichtig ist außerdem, dass man sich einig ist, welche Nachbarn gemeint sind. Aus meiner Sicht sind es nicht nur Iran und Pakistan, sondern auch Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan. Weil diese ehemaligen Sowjetrepubliken enge Partner Russlands sind, sollte auch Moskau an den Gesprächen teilnehmen, nicht zuletzt auch deshalb,, weil die Sowjetunion durch ihren Einmarsch und ihre Niederlage ein Teil der jüngeren Geschichte Afghanistan ist.

Sollte dieser diplomatische Ansatz nicht spätestens bis zum Ende diesen Jahres zu konkreten und  von allen Teilnehmern akzeptierten Ergebnissen führen, gibt es aus meiner Sicht zum Abzug der ausländischen Truppen keine echte Alternative.Greven, 17. Februar 2021

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Die Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Referaten ( VAE ) und der Nah-Ost-Friedensprozess

Vorbemerkung

Am 15. September 2020 unterzeichneten der israelische  Premierminister Benjamin Netanjahu und die Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrains, Abdullah bin Zayed Al Nahyan und Abdullatif bin Rashid Al-Zayani im Beisein von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus ein Agreement, bezeichnet als „Abraham Accords“ mit dem Ziel der Aufnahme diplomatischer Beziehungen.  Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten die Normalisierung ihres Verhältnisses zu Israel bereits am 13. August 2020 öffentlich gemacht.

Am Beispiel der VAE sollen im Folgenden die aktuellen Entwicklungen der Beziehungen zu Israel dargestellt und eine mögliche Antwort auf die Frage gegeben werden, ob die Normalisierung der Beziehungen zu Israel  in erster Linie eigenen nationalen Interessen der beiden Staaten dient oder letztlich auch dem Nahost-Friedensprozess und welche Rolle die USA bei dieser Entwicklung gespielt haben. Es wird unterstellt, dass die Motive der VAE und Bahrains gegenüber Israel und die Absichten Tel Avivs gegenüber den beiden Golfstaaten  in diesem Prozess grundsätzlich identisch sind und auch die USA mit der Unterstützung dieser Entwicklung dieselben Absichten haben.

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und ihre politischen Ambitionen

Die VAE  bestehen aus 7 Emiraten, deren Staatsoberhaupt traditionell der Emir von Abu Dhabi, Scheich Khalifa bin Zayad Al Nahayan ist, der auch als Oberbefehlshaber der Streitkräfte fungiert. Wegen des schlechten Gesundheitszustands des Emirs ist sein Halbbruder, Kronprinz Mohammed bin Zayad, allgemein bekannt als M.B.Z. de facto der Herrscher der Emirate und  auch Oberkommandierender der Streitkräfte. M.B.Z. wurde an der britischen Militärakademie im Sandhurst ausgebildet. Die VAE haben etwa 9 Millionen Einwohner, von denen  aber nur ca. 1 Million Staatsbürger der VAE sind. Die Emirate gehören auf Grund der Ölvorkommen zu den reichsten Ländern der Erde. Gesellschaftlich ist das Land wesentlich liberaler als z.B. Saudi-Arabien und auch wirtschaftlich deutlich breiter aufgestellt. Die Fluglinie „Emirates“ gehört zu den erfolgreichsten Carriern weltweit. Ein Drittel der Minister sind Frauen, und es gibt christliche Kirchen und auch Hindu-Tempel, auch wenn 3/4 der Einwohner sunnitische Muslime sind. Die Politik der Emirate wird vom Kronprinzen bestimmt, dessen Entscheidungen- nach Meinung von Experten – maßgeblich beeinflusst sind von seinem Hass auf den Iran und die islamistischen Muslimbrüder. Aber auch eine gewisse Rivalität zu Saudi-Arabien, dessen offizieller Herrscher zwar der greise König Salman bin Abdelaziz ist, aber de facto dessen Sohn Mohammed Bin Salman, genannt M.B.S. , spielt im politischen Handeln von M.B.Z. eine nicht unwichtige Rolle. Mohammed Bin Zayad kann durchaus als Ziehvater des saudischen Kronprinzen bezeichnet werden. Die VAE verfügen über eine schlagkräftige Armee aus eigenen Truppen und ausländischen Söldnern. Die Emirate sind der weltgrößte Waffenimporteuer, und ihr Verteidigungshaushalt soll bis 2025 auf jährlich 45 Milliarden US Dollar steigen. Das Verhältnis zu den USA ist nicht nur wegen der riesigen Waffenimporte sehr eng, sondern die VAE geben auch jährlich erhebliche Summen aus, um sich Lobby-Firmen und den US-Kongress gewogen zu halten. Der VAE Botschafter in den USA, Yousef al-Otaiba gehört zu den einflussreichsten Diplomaten in Washington und ist ein persönlicher Freund von Jared Kushner, dem Schwiegersohn von US-Präsident Trump. US General Mattis war Militärberater der VAE, bevor er Verteidigungsminister wurde.

Seit 1991 sind amerikanische Truppen in den VAE stationiert, und die VAE beteiligten sich an der Seite der Amerikaner am Kampf zur Befreiung Kuwaits, am Sturz des libyschen Herrschers Gaddafi und an Lufteinsätzen gegen den IS im Irak und Syrien. Soldaten der VAE kämpften in Afghanistan, im Kosovo und in Somalia an der Seite der US-Truppen. Seit 1994 gibt es einen Verteidigungspakt mit den USA. Die VAE sind aber nicht nur an der Seite der USA militärisch aktiv, sondern bauen ihre militärische Präsens und damit ihren Einfluss in der Region  eigenständig aus. Sie nutzen Einrichtungen in Eritrea und bauen dort aktuell an einer eigenen Militärbasis. In Berbera, in Somaliland, entsteht eine Marinebasis der VAE und auf der Insel Mayyun in der Bab Al Manda Straße zwischen Jemen und Dschibuti, wird gerade eine Run Way für die Stationierung von Luftstreitkräften der VAE gebaut. Die VAE haben saudische Truppen dabei unterstützt, den Aufstand der Schiiten in Bahrain niederzuschlagen und sich auch bei der Isolierung Katars an die Seite von Riad gestellt. Sie haben jahrelang an der Seite Saudi-Arabiens einen Krieg im Jemen geführt, sich jetzt aber zurückgezogen und sind auf Distanz zum Königreich gegangen. Die Emirate unterstützen das ägyptische Militär-Regime jährlich mit ca. 1 Milliarde US-Dollar, leisten auch erhebliche finanzielle Unterstützung an den syrischen Herrscher Assad und haben als erstes arabisches Land im Dezember 2018 ihre Botschaft in Damaskus wieder eröffnet. In Libyen stehen die VAE auf der Seite von General Haftar und unterstützen diesen auch militärisch.

Die VAE sind zwar ein wichtiger Verbündeter der USA, verfolgen aber in der Nahmittelost-Region auch  handfeste eigene Interessen. Ben Rhodes, einer der Nationalen Sicherheitsberater des ehemaligen US-Präsidenten Obama hat einmal über den Kronprinzen gesagt: “ M.B.Z. has an extraordinary way of telling Americans his own interests but making it come across as good advice about the region. When it comes to influence in Washington, M.B.Z. is in a class by himself.“

Zu dieser Einschätzung passt es perfekt, dass die VAE, quasi zur Belohnung für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, eine noch nicht genannte Anzahl des modernen US-Kampfflugzeugs vom Typ F-35 erhalten sollen.

Die VAE und Israel vor Aufnahme diplomatischer Beziehungen

Bereits vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen gab es zwischen den VAE und Israel eine intensive Zusammenarbeit in vielen Bereichen. Israel unterhält seit 2015 in Abu Dhabi ein Büro in der „International Renewable Energy Agency“. Die israelischen Mitarbeiter sind offiziell als Diplomaten in den VAE akkreditiert. Es gibt in Abu Dhabi sogar eine Synagoge. Der Rabbi, Levi Duchman, kam ursprünglich aus New York. Geschäftsleute beider Staaten arbeiten seit Jahren zusammen. 2018  trafen sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und der Botschafter der Emirate, Yousef al-Otaiba in einem Restaurant in Washington. Schon damals ging es darum, wie man es am besten einrichten könne, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten auf eine offizielle Basis zu stellen.

2019 nahmen die VAE in Bahrain an einer von den USA ausgerichteten Konferenz über den „Friedensplan“ des US-Präsidenten teil, den dieser im Januar 2020 im Weißen Haus der Weltöffentlichkeit vorstellte.

Am 12. Juni 2020 veröffentlichte der VAE Botschafter in den USA, Yousef al-Otaiba, in der israelischen Zeitung „Yediot Aharonot“  einen Artikel, in dem er besonders vor den Folgen der im „Nahost-Plan“ von US-Präsident Trump angekündigten Annexion des Westjordan-Tales durch Israel warnte. Er schrieb u.a., dass eine solche Annexion im Widerspruch zu der von Israel angestrebten Normalisierung der Beziehungen zu den VAE und anderen arabischen Staaten stände. Wörtlich schrieb er u.a. :“ A unilateral and illegal seizure of Palestinian land defies the international consensus on the Palestinian right to self-determination, will ignite violence and send shock waves around the region…In the UAE and across much of the Arab world, we would like to believe Israel is an opportunity, not an enemy. ……Israel´s decision on annexation will be an unmistakable signal of whether it sees it the same way.“

Im Juli 2020 wurde zwischen dem israelischen «Rafael Advanced Defense System» und der «Israel Aerospace Industries» mit dem in Abu Dhabi ansässigen Technologieunternehmen «Group 42» ein Vertrag geschlossen, um im Kampf gegen das Corona-Virus zu kooperieren.

„Joint Statement of the United States, the State of Israel and the United Arab Emirates“

Inhalt

Am 13. August 2020 kam es schließlich zur s.g. „Abraham Vereinbarung“ , offiziell bezeichnet als „Joint Statement of the United States, the State of Israel and the United Arab Emirates“ .In diesem überraschenden Durchbruch in einem Telefongespräch der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu und der Kronprinz von Abu Dhabi Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan, „agreed to the full normalization of relations between Israel and the United Arab Emirates“.Präsident Donald Trump twitterte:  «Ein historisches Friedensabkommen zwischen unseren guten Freunden, Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten!» Laut einer vom Weißen Haus verbreiteten gemeinsamen Erklärung werden Israel und die VAE Botschaften im anderen Land eröffnen, Direktflüge aufnehmen und eine Serie von Abkommen über gemeinsame Investitionen unterzeichnen, unter anderem in den Bereichen Tourismus, Technologie und Sicherheit. Im Gegenzug verpflichtete sich Israel, auf die geplante Annexion von Teilen des Westjordanlands und des Jordantals zu verzichten.

Wörtlich heißt es dazu in der gemeinsamen Erklärung : „As a result of this diplomatic brake through and the request of President Trump with the support of the United Arab Emirates, Israel will suspend declaring sovereignty over areas outlined in the President´s Vision of Peace and focus its efforts now on expanding ties with other countries in the Arab and Muslim world….“

Der Begriff „suspend“ wird allerdings von der israelischen Seite und den VAE völlig unterschiedlich interpretiert. Aus israelischer Sicht wird die Annexion des Westjordanlandes lediglich aufgeschoben, während die VAE davon ausgehen, dass Israel auf Annexion gänzlich und endgültig aufgibt.  So erklärt der US-Botschafter in Jerusalem, David Friedmann zum Begriff „suspend“, dass heiße nicht, dass die in Trumps Nahostplan vorgesehene Annexion abgesagt, sondern nur aufgeschoben werde. Netanjahu versichert dazu unmissverständlich: „Ich werde niemals unser Recht auf unser Land aufgeben.“.Dagegen meint der Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten der VAE Anwar Gargash, die Vereinbarung mit Israel sei „ein Todesstoß“ für alle Annexionsträume und damit eine Rettungstat auf dem Weg zur Gründung eines Palästinenserstaats. Es sei gelungen, “ eine Zeitbombe zu entschärfen, die eine Zwei-Staaten-Lösung bedroht hat.“

Rein sprachlich gesehen, sind beide Übersetzungen des Begriffs „suspend“ korrekt.

Begründungen für diese scheinbar spontane gemeinsame Erklärung

Der Artikel des einflussreichen VAE Botschafters hat die drei Verfasser der gemeinsamen Erklärung, die USA, Israel und die VAE, offensichtlich aufgerüttelt, die Folgen einer Annexion sehr deutlich gemacht und stattdessen zur Intensivierung der Zusammenarbeit aufgefordert Dabei verfolgen alle drei Parteien mit dieser Erklärung in erster Linie handfeste eigene Interessen, wobei die weitere Isolierung des Irans ein wichtiges gemeinsames Ziel ist.

USA

Präsident Trump braucht für seine angestrebte zweite Amtszeit dringend einen diplomatischen Erfolg vor den für den 3. November angesetzten Präsidentschaftswahlen. Seiner Administration ist mittlerweile klar geworden, dass Trumps „Nahost-Friedensplan“, den er am 28. Januar 2020 im Weißen Haus der Weltöffentlichkeit im Beisein des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vorgestellt hatte, keine Vision, sondern eine Illusion ist. Vor allem die darin vorgesehene Annexion des Westjordantales durch Israel stieß weltweit auf Kritik. Mit der gemeinsamen Erklärung haben die USA den Versuch unternommen, zumindest von diesem Teil des Plans Abstand zu nehmen. Präsident Trump hofft deshalb, dass Israel und die VAE noch vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen volle diplomatische Beziehungen aufnehmen.

Israel

Premierminister Netanjahu steht vor großen innenpolitischen Problemen, von denen er versucht mit einem diplomatischen Erfolg abzulenken. Das gegen ihn wegen Korruption anstehende Verfahren macht ihm ebenso zu schaffen wie sein bisheriges Versagen in der Corona-Krise. Außerdem hatte er wohl nicht mit der massiven internationalen Kritik an seinen  Annexionsplänen und der Ablehnung durch die jüdischen Siedler gerechnet, so dass ihm die Vereinbarung die Möglichkeit gibt, diesbezüglich in bewährter Manier auf Zeit zu spielen. Hinzu kommt, dass er dem US-Präsidenten mit seiner Haltung einen Gefallen tut, den er sich bestimmt bezahlen lässt. Last, but not least würde mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den VAE nach Jordanien und Ägypten das dritte arabische Land aus der Phalanx gegen Israel herausgebrochen und die von Palästina angestrebte Zwei-Staaten-Lösung damit noch unwahrscheinlicher. Außerdem sind die Emirate ein ausgesprochen attraktiver Partner im sicherheitspolitischen und vor allem auch im wirtschaftlichen Bereich.

VAE

Kronprinz Mohammed bin Zayad ist ein kühl kalkulierender Macht- und Realpolitiker, der seinen Einfluss in der Nahmittelost-Region kontinuierlich ausbaut. Er gibt zwar vor, mit der Verbesserung der Beziehungen zu Israel die Chancen der Palästinenser auf einen eigenen Staat zu verbessern, weiß aber genau, dass das Gegenteil der Fall ist. Er kalkuliert mit attraktiven Wirtschaftsbeziehungen mit dem High-Tech-Land Israel und einer noch intensiveren Rüstungszusammenarbeit mit den USA. Die mögliche Lieferung der amerikanischen F-35 wurde ja bereits erwähnt. Last but not least verspricht sich M.B.Z. von diesem Deal eine weitere Stärkung seiner Position gegenüber Saudi-Arabien.

Ende August 2020 hebt Staatspräsident Scheich Chalifa bin Said Al Nahjan, mit einem Dekret formell den seit 1972 bestehenden  Boykott Israels auf.

Zusammenfassende Bewertung

Wie schon mit der gemeinsamen Erklärung so verfolgen die USA, Israel und auch die VAE mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen in erster Linie die bereits dargestellten nationalen Interessen. Aaron David Miller, langjähriger Teilnehmer an den Nahost-Friedensgesprächen und jetzt Mitarbeiter der „Carnegie  Endowment for International Peace“ hatte bereits zur gemeinsamen Erklärung festgestellt : The agreement was a win-win-win-losein  that it provided diplomatic victories for the Emirates, Mr. Netanyahu and Mr. Trump. The big losers are the Palestinians who have watched the Arab world move closer to Israel seemingly rewarding Netanyahu for ignoring the Palestinians and undermining Palestinians interests”

Diese Einschätzung gilt natürlich auch für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

Im Abdullah Friedensplan von 2002, dem alle arabischen Staaten zugestimmt hatten, war im Wesentlichen festgelegt worden, dass Israels Staatsgebiet durch die Grenzen von 1967 definiert ist und diplomatische Beziehungen eines arabischen Landes zu Tel Aviv erst dann aufgenommen werden dürfen, wenn Israel Palästina als souveränen Staat anerkannt hat.

Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den VAE und Israel, die aktuell am 15. Oktober 2020 von der Knesset gebilligt wurden, ist der Abdullah Friedensplan de facto obsolet geworden, zumal Bahrain dem Beispiel der VAE bereits gefolgt ist und es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis  weitere arabische Staaten ihr Verhältnis zu Israel auf dieselbe Basis stellen. Washington bietet aktuell dem Sudan an, das Land von der Liste der Staaten, die den internationalen Terrorismus unterstützen, zu streichen, falls Khartum Israel diplomatisch anerkennt.

Wer vor diesem Hintergrund noch an die Zwei-Staaten Lösung glaubt, muss mittlerweile wohl als realitätsfremd bezeichnet werden. Eine Friedenslösung für den Nahen Osten ist vor diesem Hintergrund noch unwahrscheinlicher geworden, nicht zuletzt auch deshalb, weil mit den getroffenen Vereinbarungen die von Washington angestrebte Isolierung des Irans weiter vorangetrieben wird.

.Greven, im Oktober 2020

J.Hübschen

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Die von US-Präsident angeordnete Truppenreduzierung im Irak und in Afghanistan- Prinzip „verbrannte Erde“ oder Umsetzung einer geplanten Maßnahme?

Teil 2

Die von US-Präsident angeordnete Truppenreduzierung im Irak und in Afghanistan- Prinzip „verbrannte Erde“ oder Umsetzung einer geplanten Maßnahme?

Teil 2

Vorbemerkung

Am 17. November 2020 erklärte das Pentagon, dass Präsident Trump die US-Truppen im Irak und in Afghanistan bis zum 15. Januar 2021 auf jeweils 2.500 Soldaten reduzieren werde. Nach Aussagen des amtierenden US-Verteidigungsministers Christopher C. Miller sind aktuell im Irak noch ca. 3.000 amerikanische Soldaten stationiert und in Afghanistan etwa 4.500. Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit der Frage, ob es sich bei dieser zeitlich sehr ambitionierten Maßnahme um Teil eines Prinzips der „verbrannten Erde“ gegenüber dem zukünftigen US-Präsidenten Biden oder um die Realisierung eines bereits als Wahlversprechen geäußerten Plans von Präsident Trump handelt. Da sich die Lage im Irak wesentlich von der Situation  im Afghanistan unterscheidet, wird der Beitrag in zwei Teilen verfasst.

Teil 2: Afghanistan

Das militärische Engagement der USA und die derzeitige Lage in Afghanistan

Auf die bis heute nicht vollständig aufgeklärten Anschläge gegen das World Trade Center am 11. September 2001 reagierten die USA mit einer Militäroperation gegen Afghanistan mit dem Ziel, das herrschende System der Taliban zu zerstören. Washington machte die Organisation Al Quaida für die Terroraktion verantwortlich und begründete die „Operation Enduring Freedom“ damit, dass sich der Al Quaida Führer Osama Bin Laden mit Billigung Kabuls in den afghanischen Bergen versteckt habe. Die NATO erklärte erstmalig in ihrer Geschichte den Bündnisfall nach Artikel V des NATO Vertrages und startete  die Mission „International Security Assistance Force“ (ISAF). Ursprünglich sollten die beiden Operationen getrennt voneinander durchgeführt werden, was sich aber sehr schnell als Theorie herausstellte, weil der Kommandeur der ISAF immer ein US-General war, der gleichzeitig auch das Kommando  der „Operation Enduring Freedom“ innehatte . Nach anfänglich sehr schnellen Erfolgen und dem Sturz des Taliban-Regimes wurde es nach 2005/2006 immer klarer, dass sich in Afghanistan ein Guerilla-Krieg entwickelt hatte, der mit den herkömmlichen militärischen Mitteln nicht zu gewinnen war. Ohne einen wirklich konkreten Grund wurden die Operationen „Enduring Freedom“ und „ISAF“ Ende 2014 beendet und die größten Kontingente der 100.000 Mann starken US-Truppen und der Soldaten der internationalen Allianz mit ihren schweren Waffen aus Afghanistan abgezogen. Auf Seite der Alliierten schloss sich die NATO- Operation „Resolute Support“ an, die den Auftrag hatte, die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden, zu beraten und zu unterstützen. Auf US-Seite begann die Operation „Freedom´s Sentinel“ mit dem Auftrag, terroristische Gruppen in Afghanistan zu bekämpfen. Dazu gehörten im Wesentlichen nach wie vor die Taliban, aber auch Al-Quaida, der „Islamische Staat“ ( IS )und das „Haquani Netzwerk“. Der damalige US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hatte am 28. Dezember 2014 dazu erklärt:“At the end of this year, as our Afghan partners assume responsibility for the security of their country, the United States officially concludes Operation Enduring Freedom. Our combat mission in Afghanistan, which began in the aftermath of the September 11, 2001 attacks, will come to an end. 

In 2015, we begin our follow-on mission, Operation Freedom’s Sentinel, to help secure and build upon the hard-fought gains of the last 13 years…. In Operation Freedom’s Sentinel, the United States will pursue two missions with the support of the Afghan government and the Afghan people. We will work with our allies and partners as part of NATO’s Resolute Support Mission to continue training, advising, and assisting Afghan security forces. And we will continue our counterterrorism mission against the remnants of Al-Qaeda to ensure that Afghanistan is never again used to stage attacks against our homeland.“

Anfang 2015 hatten die USA noch etwa 10- 12.000 Soldaten in Afghanistan stationiert, von denen  etwa 8.500 Mann im Rahmen der NATO-Operation „Resolute Support“ eingesetzt waren. Zu diesem Zeitpunkt wurde immer klarer, dass der Truppenansatz im Rahmen der Operation „Freedom´s Sentinel“ viel zu gering war und die Taliban de facto Provinz für Provinz zurückeroberten. Der damalige US-Präsident Obama hatte deswegen schon im November 2014 Überlegungen angestellt, die US-Strategie in Afghanistan zu überarbeiten und die Truppenstärke für die Operation “ „Freedom´s Sentinel“ zu erhöhen. Umgesetzt wurden diese Pläne aber erst von seinem Nachfolger, der im Wahlkampf ursprünglich  angekündigt hatte, alle US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Am 21. August 2017 verkündete Präsident Trump – eigentlich gegen seine eigene Überzeugung, aber auf Drängen der der U.S. Militärs – seine neuen Pläne für Afghanistan, wohl auch vor dem Hintergrund, dass schon fast 4.000 US-Soldaten am Hindukusch gefallen waren und deren Tod nicht umsonst gewesen sein sollte. Unter dem Motto “ America´s core interests in Afghanistan“ erklärte er:

  • “ First, our nation must seek an honorable and enduring outcome worthy of the tremendous sacrifices that have been made, especially the sacrifices of lives. …
  • Second, the consequences of a rapid exit are both predictable and unacceptable. 9/11, the worst terrorist attack in our history, was planned and directed from Afghanistan because that country was ruled by a government that gave comfort and shelter to terrorists. A hasty withdrawal would create a vacuum for terrorists, including ISIS and Al Qaeda, would instantly fill just as happened before Sept. 11. And as we know, in 2011, America hastily and mistakenly withdrew from Iraq. As a result, our hard-won gains slipped back into the hands of terrorist enemies. ….
  • Third, and finally, I concluded that the security threats we face in Afghanistan and the broader region are immense. Today, 20 U.S.-designated foreign terrorist organizations are active in Afghanistan and Pakistan, the highest concentration in any region anywhere in the world…“

Als Konsequenz daraus nannte Trump keinen Zeitpunkt mehr für einen Truppenabzug der USA aus Afghanistan und entschied stattdessen, die 11.- 12.000 dort stationierten U.S.- Soldaten  um bis zu 4.000 Mann zu verstärken.

Zum Auftrag dieser zusätzlichen Soldaten erklärte US Präsident Trump: “We are not nation-building again. We are killing terrorists.“ 

Es gelang den US-Truppen jedoch nicht, diesen Auftrag erfolgreich umzusetzen. Stattdessen verschlechterte sich die Sicherheitslage ständig weiter, der Einfluss der Taliban und deren Anschläge  nahm unaufhörlich zu, und die Verluste der afghanischen Streitkräfte und vor allem auch in der Zivilbevölkerung waren völlig inakzeptabel geworden. Nach einem Bericht der  „UN-Mission Afghanistan“ ( UNAM ) vom Juli 2019 hatten die afghanischen Sicherheitskräfte und die NATO in den ersten 6 Monaten dieses Jahres mehr Zivilisten getötet oder verletzt als die Taliban. Die Verluste in der Zivilbevölkerung waren  um 31% auf 1397 Tote gestiegen,, die meisten durch Luftangriffe der Amerikaner. Die USA hatten laut Statistiken der US Luftwaffe seit 2017 die Zahl der abgeworfenen Bomben  und anderer Munition in Afghanistan fast verdoppelt.  Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen entschied sich die US-Regierung, die schon länger existierenden Kontakte zu den Taliban zu intensivieren und offiziell mit ihnen zu verhandeln, allerdings ohne die Afghanische Regierung oder die eigenen Verbündeten an diesen Gesprächen zu beteiligen.

Am 29. Februar 2020 wurde in Doha zwischen den USA und den Taliban ein Vertrag geschlossen:  Das „Agreement for Bringing Peace to Afghanistan between the Islamic Emirate of Afghanistan which is not recognized by the United States as a state and is known as the Taliban and the United States of America“

Nachdem es den USA nicht gelungen war, einen umfassenden Waffenstillstand mit den Taliban zu schließen, garantieren die Taliban in diesem Agreement, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wie Al-Qaida mehr wird  und dass sie die  lange verweigerten Friedensverhandlungen mit der Regierung in Kabul eingehen. Sie verpflichten sich darüber hinaus, dass aus Afghanistan keine Gefahr mehr für die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten ausgeht und versprechen, andere Gruppen davon abzuhalten, neue Kämpfer zu rekrutieren, auszubilden oder Gelder für sie zu sammeln.

Im Gegenzug erklären die USA: „The United States is committed to withdraw from Afghanistan all military forces of the United States, its allies, and Coalition partners, including all non-diplomatic civilian personnel, private security contractors, trainers, advisors, and supporting services personnel within fourteen (14) months following announcement of this agreement“, Konkret heißt das: In einer ersten Tranche soll die Zahl der aktuell rund 13- 14..000 US-Soldaten binnen 135 Tagen auf 8.600 verringert werden, proportional dazu soll auch die Zahl der NATO-Truppen reduziert werden. Außerdem sollen in diesen rund 4,5 Monaten fünf Militärbasen komplett geräumt werden. In neuneinhalb weiteren Monaten sollen dann   alle Truppen abgezogen und alle Militärbasen geräumt sein unter der Voraussetzung dass die Taliban ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen einhalten. 

Zusätzlich wird ein Gefangenenaustausch zwischen den Taliban und der Afghanischen Regierung vereinbart, obwohl die Regierung in Kabul an den Verhandlungen gar nicht teilgenommen hat.

Im Juli 2020 hatten die USA vereinbarungsgemäß weitere Soldaten aus Afghanistan abgezogen, so dass die Truppenstärke noch ca. 8.600 Mann betrug. Aus Sicht der Militärs ließ die Entwicklung der Lage keine weiteren Reduzierungen zu, weil sich die Situation in Afghanistan nach den Vereinbarungen von Doha nicht stabilisiert , der Einfluss der Taliban weiter zugenommen  hatte und es trotz gegenteiliger Zusicherungen  immer noch schwere Anschläge durch die Taliban selbst, aber auch durch Al Quaida und den IS gab. Die afghanischen Streitkräfte waren offensichtlich  nach wie vor nicht in der Lage, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.

Deshalb lehnten auch Abgeordnete von Republikanern und Demokraten weitere Truppenkürzungen ab. “There’s been bipartisan criticism of what a weak deal [Trump] got with the Taliban, a deal that is already falling apart. Now we learned that he was making this deal at the same time as there were bounties on the heads of American troops, American sons and daughters. We clearly need more oversight over what the president is doing in Afghanistan.”

Am 11. August 2020 teilten das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium den zuständigen Obleuten des Bundestages mit, die Vereinigten Staaten hätten ihre Nato-Verbündeten über Pläne zum Abzug weiterer Soldaten aus Afghanistan informiert. Ein Vertreter der amerikanischen Regierung habe darüber unterrichtet, „dass die USA bis Ende November 2020 eine Truppenreduzierung in Afghanistan auf knapp unter 5000 Soldatinnen und Soldaten durchführen werden“, Präsident Trump bestätigte diese Information in einem Interview mit dem Online-Portal Axios und erklärte, am Tag der amerikanischen Wahl werde die Zahl der amerikanischen Soldaten in Afghanistan bei zwischen 4.000 und 5.000 liegen. Diese Aussage präzisierte der US-Präsident am 7. Oktober 2020, indem er sagte: “ Die tapferen Männer und Frauen, die noch in Afghanistan dienen, sollten bis Weihnachten zu Hause sein.“ Taliban Sprecher Sabihullah Mudschahed sagte am 8.10.20, Trumps Erklärung sei willkommen. Er betrachte sie als positiven Schritt für die Umsetzung des Friedensabkommen zwischen den USA und den Taliban .Die Taliban fühlten sich dem Abkommen verpflichtet und hofften auf gute Beziehungen zu allen Staaten, einschließlich den USA .Der Vorsitzende des „Hohen Rates für Versöhnung“  Abdullah Abdullah erklärte hingegen: “ Es wird ein bisschen dauern bis wir das verdaut haben.“ Am 17. November 2020 kündigte das Pentagon drastische Kürzungen der amerikanischen Truppenstärken im Iran und in Afghanistan an, die später, wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt, vom amtierenden Verteidigungsminister Christopher C. Miller präzisiert wurden. Der Republikanische Senator und Mehrheitsfüher im Senat Mitch McConnel, eigentlich ein bedingungloser Unterstützer von Präsident Trump,warnte eindringlich vor weiteren  überhasteten Truppenreduzierungen und sagte: “ A rapid withdrawal of U.S. forces from Afghanistan now would hurt our allies and delight the people who wish us harm. The consequences of a premature American Exit would likely be even worse than President Obama´s withdrawal from Iraq back in 2011, which fueled the rise of ISIS and a new round of global terrorism. It would be reminiscent of a humiliating American departure from Saigon in 1975.“  NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg  warnte in einem Statement: “ The price of leaving too soon or in an uncoordinated way would be very high.. Even with further U.S. reductions, NATO will continue its mission to train, advise and assist the Afghan security forces.“  Der deutsche Außenminister Maas sagte, der überhastete Abzug verringere die Chancen, ein Friedensabkommen mit den Taliban zu erzielen. Zu  Konsequenzen für die 1.200 in Afghanistan stationierten  Bundeswehrsoldaten äußerte sich Maas nicht.

Bewertung der Entscheidung des US Präsidenten, die amerikanische Truppenstärke weiter zu reduzieren

Ohne Abstimmung mit dem US Kongress, den eigenen  militärischen Beratern,  der NATO und der afghanischen Regierung hat Präsident Trump der von ihm erst vor 1 Woche ausgewechselten  politischen Führung des Pentagon die Anweisung erteilt, den Truppenabzug nicht nur aus dem Irak und Somalia, sondern auch aus Afghanistan zu beschleunigen, obwohl die Sicherheitslage am Hindukusch immer instabiler wird, die Taliban ihre Zusagen aus dem Agreement vom 29. Februar 2020 nicht einhalten und die afghanischen Streitkräfte nach wie vor nicht in der Lage sind, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Formal hat Präsident Trump als Oberbefehlshaber das Recht zu dieser Entscheidung. Außerdem könnte man sagen, er beschleunige dadurch nur einen Prozess, der nach den mit den Taliban getroffenen Vereinbarungen spätestens Ende April 2021 mit dem Abzug der amerikanischen und aller ausländischen Truppen sowieso abgeschlossen sein soll. Diese Wertung greift allerdings zu kurz und beantwortet vor allem nicht die Frage, warum Präsident Trump diese Anweisung jetzt gegeben und ihre Umsetzung auf den 15. Januar 2021, also 5 Tage vor der Amtsübernahme durch seinen Nachfolger, terminiert hat, und sie erklärt auch nicht, wie es zu diesem Befehl kommen konnte. Zunächst einmal muss man in diesem Zusammenhang festhalten, dass Trump bereits im Wahlkampf  2016 versprochen hatte, die amerikanischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Diese Ankündigung hatte er im Lauf seiner Amtszeit einige Male wiederholt, letztmalig  am 7. Oktober 2020, ohne dass es zu erkennbaren Einsprüchen seitens der Verbündeten gekommen wäre, weil man die Aussagen des US Präsidenten offensichtlich nicht ernst genommen hatte.  Auch das Abkommen der USA mit den Taliban vom 29. Februar 2020, an dessen Verhandlung die Allliierten nicht beteiligt waren, hatten diese ja bereits, vielleicht sogar resignierend, lediglich zur Kenntnis genommen. Man könnte sagen, es ist eigentlich wie immer: Die USA verfolgen in erster Linie, um nicht zu sagen ausschließlich, eigene nationale Interessen.  Im konkreten Fall geht es aber um mehr und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen. Erstens gestehen die USA mit der weiteren Truppenreduzierung, wie schon mit dem Taliban- Agreement, indirekt ein, dass sie mit ihrer Afghanistan Mission gescheitert sind und mit ihnen auch alle ihre Verbündeten. Die Reduzierung ist im Klartext nur ein weiter Schritt im Rahmen eines geplanten Abzugs, der eigentlich ein Rückzug ist. So, wie zuvor den Engländern und den Sowjets, ist es den USA nicht gelungen, Afghanistan nach eigenen Vorstellungen zu verändern und das Land als verlässlichen Bündnispartner zu gewinnen. Insofern muss man Präsident Trump einräumen, dass er mit seinen Entscheidungen  einer Situation Rechnung trägt, die nicht nur die USA, sondern auch ihre Verbündeten seit mehr als 10 Jahren nicht wahrhaben wollten und immer noch nicht eingestehen. Als zweites findet  in einem gespaltenen Amerika ein Machtkampf statt, den Trump zwar mit seiner gescheiterten Wiederwahl verloren hat, in dem er aber bis zum 20. Januar 2021 seinem Nachfolger maximalen Schaden zufügen will. „Verbrannte Erde“ heißt seine Devise, begründet in verletzter Eitelkeit und einer Egomanie, wie man sie in der westlichen Staatengemeinschaft noch nicht erlebt hat. Trump gesteht seine Wahlniederlage nicht ein und boykottiert eine planmäßige Übergabe der Amtsgeschäfte, weil ihm nicht nur sein Nachfolger, sondern letztlich auch die amerikanische Bevölkerung völlig egal ist. Was Afghanistan angeht, so könnte Joe Biden als zukünftiger Präsident die aktuell vorgesehene Truppenreduzierung sicherlich rückgängig machen, weil ja z.B. die benötigte  Infrastruktur  für die US-Soldaten Ende Januar 2021 noch vorhanden sein wird. Die Frage ist allerdings, ob er das will; denn dann müsste sicherlich auch das Agreement mit den Taliban neu verhandelt werden. Was immer auch nach dem Wechsel der Präsidentschaft  in Washington entschieden wird, es kann nur der Gesichtswahrung dienen, wird aber nichts an den Fakten  in Afghanistan ändern: Der Krieg ist verloren, der internationale Einsatz gescheitert, und die Taliban werden nach 19 Jahren wieder die Macht übernehmen.

Greven, 21. November 2020

Gez.

Jürgen Hübschen

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