Abstimmung der UN Vollversammlung zu den völkerrechtwidrigen Annexionen Russlands

Vorbemerkung

Die UN-Vollversammlung hat die völkerrechtswidrigen Annexionen Russlands mit großer Mehrheit verurteilt und erklärt sie für ungültig. Zudem wird der Kreml aufgefordert, die Einverleibung der teils besetzten Regionen Lugansk, Donezk, Saporischschja und Cherson rückgängig zu machen. Zuvor war eine Resolution des Weltsicherheitsrates mit gleichem Inhalt am Veto Russlands gescheitert.

Im nachfolgenden Beitrag soll bewertet werden, ob die einhellige Reaktion von Politik und „Leitmedien“ umfassend und differenziert genug ist und alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt

Das Abstimmungsergebnis der UN Vollversammlung

Nachdem Russlands Antrag auf eine geheime Abstimmung gescheitert war, stimmten bei einer offenen Stimmabgabe143 der 193 Mitgliedsstaatenmit damit eine Mehrheit von ziemlich genau 74 % mit „Ja“

35 Staaten enthielten sich der Stimme und damit ca. 18 %.

5 Staaten stimmten gegen die Resolution, also ca. 2, 6 % und 10 Staaten nahmen an der Abstimmung nicht teil, was knapp 5,2% entspricht.

Von den reinen Zahlen her, ist das Ergebnis von einer beeindruckenden Eindeutigkeit und lässt auf eine klare Isolation Russlands in der internationalen Staatengemeinschaft schließen. Wie immer bei solchen Abstimmungen ist es aber interessant zu prüfen, welche Staaten mit Nein gestimmt und welche Staaten sich ihrer Stimme enthalten haben. Wichtig kann darüber hinaus sein, welche Staaten an einer Abstimmung nicht teilgenommen haben.

Die Befürworter dieser Resolution haben sich eindeutig zum internationalen Recht bekannt und damit unmissverständlich gegen Russland Position bezogen. Hier ist sicherlich herauszustreichen, dass auch Brasilien mit seinem Ja auf Distanz zu Russland gegangen ist und Saudi-Arabien als quasi arabische Führungsmacht auf der Arabischen Halbinsel Moskau verurteilt hat, obwohl eigentlich eine Intensivierung der bilateralen Beziehungen zu beobachten ist

Genau so klar wie die „Ja-Stimmen“ ist die Position der Länder, die sich mit ihrem nein solidarisch mit Russland gezeigt haben. Das waren im konkreten Fall natürlich Russland selbst und außerdem Nikaragua, Nordkorea, Syrien und Weißrussland. Diese Länder dürften in Moskau wohl nicht als wichtige Unterstützer des völkerrechtswidrigen Vorgehens eingestuft werden. Wesentlich interessanter ist eine genauere Betrachtung der Staaten, die sich durch ihre Enthaltung praktisch mehrere Optionen offengelassen haben. Diese Länder sind: Äthiopien, Algerien, Armenien, Bolivien, Burundi, China, Eritrea, Eswatini, (Früher Swasiland) Guinea, Honduras, Indien, Kasachstan, Kirgistan, Kongo, Kuba, Laos, Lesotho, Mali, Mongolei, Mozambique, Namibia, Pakistan, Süd Afrika, Süd Sudan, Sri Lanka, Sudan, Tadschikistan, Thailand, Togo, Uganda, Tansania, Usbekistan, Vietnam, die Zentral Afrikanische Republik und Zimbabwe. Chinas und Indiens Enthaltung sollte man nicht als überbewerten, weil beide Länder bereits seit geraumer Zeit eine Verhandlungslösung fordern und China sich auch in der Resolution des Weltsicherheitsrates, die am Veto Russlands gescheitert war, der Stimme enthalten hat. Man könnte also sagen, dass die Politik beider Staaten von einem „distanzierten Schulterschluss mit Russland“ gezeichnet. Auf der anderen Seite muss man allerdings auch feststellen, dass mit China, Indien und Süd Afrika und Russland selbst, sich vier der 5 BRICS Staaten nicht klar gegen Russland positioniert haben. Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass sich mit Kasachstan, Kirgistan Tadschikistan und Usbekistan 4 ehemalige Mitgliedsstaaten der ehemaligen Sowjetunion nicht gegen Russland gestellt haben. Auch die Mongolei muss man auf Grund ihrer geographischen Lage in das asiatische Lager der Länder einordnen, die sich an einer Isolation Russlands nicht beteiligt haben. Auffällig ist auch die große Zahl der afrikanischen Staaten, die sich neben Süd Afrika nicht zu einer Verurteilung Russlands entschlossen haben. Ein ganz spezieller Aspekt ist sicherlich die Enthaltung von Mali und die Nichtteilahme Burkina Faso, beides Länder, denen nachgesagt wird, dass sie sozusagen ins russische Lager gewechselt sind. Auch viele große und rohstoffreiche afrikanische Ländern haben nicht gemeinsam mit „dem Westen“ abgestimmt.  Last but not least lohnt sich auch ein Blick auf die Staaten, die- aus welchen Gründen auch immer, an der Abstimmung nicht teilgenommen haben. Das waren:

Aserbaidschan, Burkina Faso, Kamerun, Dschibuti, El Salvador, Äquatorial Guinea, Iran, Turkmenistan, Venezuela, Sao Thome und Príncipe. Mit Aserbaidschan und Turkmenistan waren es weitere 2 Mitgliedssaaten der ehemaligen Sowjetunion, und mit Iran hat sich ein Land gegen eine öffentliche Positionierung entschieden, das in der Vergangenheit seine Beziehungen zu Russland kontinuierlich intensiviert hat und Moskau im Ukraine Krieg direkt mit Drohnen unterstützt. Venezuela ist zu erwähnen, weil aktuell eigentlich eine Erneuerung der Beziehungen zu den USA zu beobachten ist.

Zusammenfassende Bewertung

Obwohl die Abstimmung der UN-Vollversammlung völkerrechtlich nicht verbindlich ist, senden die Staaten dieser Erde mit 74% Zustimmung zu einer Verurteilung der russischen Annexionen ein deutliches Signal, dass die internationale Gemeinschaft nicht bereit ist, solche Völkerrechtbrüche hinzunehmen. Das ist sicherlich eine beeindruckende und richtungsweisende Entscheidung, der man sich grundsätzlich uneingeschränkt anschließen kann und muss, auch wenn man darüber natürlich nicht vergessen darf, dass es ein vergleichbares Votum gegen die israelische Annexion von Jerusalem und den Golan Höhen leider nicht gibt. Ein etwas schaler Geschmack entsteht für mich auch dadurch, dass die ebenfalls völkerrechtswidrige Annexion der Krim in dieser Resolution gar keine Erwähnung gefunden hat. Natürlich könnte man argumentieren, dass es in dieser Abstimmung darum nicht ging. Für mich ist das allerdings eine eher akademische Unterscheidung, weil es sich unbedingt angeboten hätte, bei dieser Gelegenheit auch noch einmal die Annexion der Krim eindeutig zu verurteilen. So könnte der Eindruck entstehen, dass sich die Staatengemeinschaft damit bereits irgendwie arrangiert hat. Schließlich ist das ja bereits 8 Jahre her.

Und noch etwas: Die 74% Ja-Stimmen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass 26% der 193 Mitgliedsstaaten sich nicht zu einer klaren Verurteilung entschließen konnten. Mit China und Indien allein sind das 2,8 Milliarden Menschen, und mit den ehemaligen Mitgliedstaaten der Sowjetunion und der Mongolei ist das ein wesentlicher Teil des europäisch-asiatischen Raumes. Auch in Bezug auf Afrika muss man sich genau ansehen, welche Länder sich durch ihr Abstimmungsverhalten sozusagen die Tür zu Russland offengehalten haben. Was die Staaten angeht, die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, könnte es ja durchaus sein, dass sie sich gegenüber den USA und/oder Russland nicht stark genug gefühlt haben, Farbe zu bekennen oder sich vor möglichen Konsequenzen gefürchtet haben. Deshalb sind sie lieber „in der Deckung“ geblieben. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage erlaubt sein, ob die Ergebnisse genauso ausgefallen wären, wenn es die von Russland geforderte geheime Abstimmung gegeben hätte. Vielleicht haben sich einige Staaten daran erinnert, wie es dem Jemen ergangen ist, als das Land sich 1990 nach dem Überfall des Iraks auf das Emirat Kuweit in einer UN-Resolution, in der das Vorgehen Saddam Hussein verurteilt wurde, auf die Seite des Iraks gestellt hatte. Unmittelbar nach der Stimmabgabe wurden die finanziellen Hilfsgelder der USA an den Jemen um 50 % gekürzt.

Viele Beobachter und „Experten“ sind der Meinung, dass das aktuelle Votum der UN-Vollversammlung ein weiterer Schritt auf dem Weg der weltweiten Isolierung Russlands ist.  Diese Bewertung ist typisch für den verengten und auf sich selbst bezogenen Blick „des Westens“.

Zeitgleich zur Sitzung der UN Vollversammlung hat nämlich das 6. Gipfeltreffen derConference on Interaction and Confidence Building Measures in Asia“ (CICA) in Kasachstans Hauptstadt Astana stattgefunden. Die 28 Mitgliedssaaten der CICA decken fast 90 % der Fläche und Bevölkerung Asiens ab. Mitgliedsstaaten der CICA sind neben Russland: Ägypten, Afghanistan, Aserbeidschan, Bahrain, Bangladesch, China, Indien, Iran, Irak, Israel, Jordanien, Kambodscha, Kasachstan, Katar, Kuwait. Mongolei, Pakistan, Palästina, Südkorea, Sri Lanka, Tadschikistan, Thailand, Türkei, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam. Beobachterstatus haben Indonesien, Japan, Laos, Malaysia Philippinen, Turkmenistan, Ukraine, USA und Weißrussland 

Am Gipfeltreffen haben neben Präsident Putin u.a. die Präsidenten von Aserbeidschan, Iran, Irak, Kirgistan, Tadschikistan, der Türkei, Palästinas und Usbekistans, der Emir von Katar, der Vizepräsident der Volksrepublik China und der Vizepräsident von Vietnam teilgenommen. Die Ukraine und die USA hatten auf eine Teilnahme verzichtet.

In einer Video-Schalte hatte sich UN-Generalsekretär Guterres an die Teilnehmer gewandt und u.a. gesagt. „Ich bin dankbar für unsere Partnerschaft in der Erreichung unserer Ziele- der Förderung der nachhaltigen Entwicklung, der Menschenrechte, des Friedens und der Stabilität und der Festigung der vielseitigen Zusammenarbeit.“

An das Gipfeltreffen von Astana wird sich am 14. Oktober 2022 ein Treffen der Staatschefs der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ (GUS) ebenfalls in Astana anschließen. Zur GUS gehören neben Russland: Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland.

Die Verurteilung der russischen Annexion der Regionen Lugansk, Donezk, Saporischschja und Cherson ist das Eine, darf aber nicht gleichgesetzt werden mit einer weltweiten Isolation Russlands und vor allen Dingen auch nicht mit einer Zustimmung zur westlichen Russlandpolitik. Das sind zwei Paar verschiedene Schuhe. Bei der ersten Abstimmung der UN Vollversammlung zum Krieg in der Ukraine wurde der russische Angriff von 141 UN- Mitgliedsstaaten zwar verurteilt, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass dieses Votum mit einer Zustimmung zu den Sanktionen gegen Russland nichts zu tun hat.

Fazit: Die Verurteilung der Völkerrechtsbrüche Russlands darf nicht gleichgesetzt werden mit einer Zustimmung zur westlichen Sanktionspolitik gegenüber Russland.

Das Ergebnis der Abstimmung der UN-Vollversammlung ist sicherlich ein „Pfund für das Völkerrecht“ aber kein Beweis für die weltweite Isolierung Russlands und vor allem auch kein Ersatz für die dringend erforderliche diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges.

Greven, den 14. Oktober 2022

Jürgen Hübschen

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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