­Die Ukraine Krise oder wer einmal lügt…

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Vorbemerkung

Im Zusammenhang mit der aktuellen Ukraine-Krise fällt mir das alte Sprichwort ein: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.

Aktuell werden wir in den Medien von Berichten und Bildern zur Ukraine-Krise zugeschüttet, deren Wahrheitsgehalt man nicht einschätzen, geschweige denn fundiert beurteilen kann.

Egon Bahr hat einmal im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise von 2014 vor einer Schulklasse gesagt: “ In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt“. Diese Aussage, die in einer ähnlichen Formulierung auch dem früheren französischen Staatspräsidenten de Gaulle zugeschrieben wird, trifft den Kern der heutigen Ukraine-Krise. Es geht in der Hauptsache um die Interessen Russlands und der USA. Für die Umsetzung dieser Interessen sind im konkreten Fall Russland und auch den USA alle Mittel recht. Das gilt im besonderen Masse für Behauptungen und Schuldzuweisungen der jeweils anderen Seite.

Belegte Lügen der US-Administration in der jüngsten Vergangenheit

Wann und wie Putin die Fakten manipuliert, kann man nur schwer beurteilen, aber in Bezug auf die USA gibt es leider viele konkrete Beispiele dafür, dass Washington in den vergangenen 70 Jahren Kriege mit unzähligen Opfern geführt hat, die nachweislich mit Lügen begründet wurden.  Es begann mit dem Vietnamkrieg, den man begründet hat mit einem Angriff auf ein amerikanisches Kriegsschiff im Mekong-Delta, der niemals stattgefunden hat. Für die „Operation Desert Storm“ hat man sich das Mandat des Weltsicherheitsrates erlogen. Die Operation begann am 17. Januar 1991. Am 30. November 1990 fand unter dem routinemäßigen Vorsitz der USA die entscheidende Sitzung des Weltsicherheitsrates statt. Um die Zustimmung des Rates (auch !!) für ein militärisches Vorgehen gegen Saddam Hussein zu erhalten, wurden erstmalig im Sicherheitsrat Videos gezeigt, im konkreten Fall zwei. Auf dem 1. Video waren Soldaten in irakischer Uniform zu sehen, die in einem Krankenhaus des besetzten Emirats Kuwait Babys aus Brutkästen nahmen und auf den Boden warfen. Das 2. Video zeigte eine junge Frau, die von einer besonders brutalen Vergewaltigung durch irakische Soldaten berichtete. Beide Videos entsprachen nicht der Wirklichkeit, sondern waren im Auftrag der US-Regierung von der amerikanischen PR-Agentur Hill&Knowlton hergestellt worden. Bei den „irakischen Soldaten“ handelte es sich um bezahlte Darsteller, und die angeblich vergewaltigte Frau war die Tochter des saudischen Botschafters in Washington. Nach der Vorführung der gefälschten Videos erhielten die USA das „Go“ des Weltsicherheitsrates, auch – nicht zwangsläufig! –  militärisch gegen den irakischen Diktator vorzugehen.

Im Vorfeld des nächsten Irak-Krieges im Frühjahr 2003 arbeiteten die USA erneut mit falschen Aussagen. Washington ließ am 5. Februar 2003 durch den damaligen amerikanischen Außenminister Colin Powell vor dem Weltsicherheitsrat behaupteten, Irak arbeite an einem Raketenprogramm, verfüge über fahrbare Labore zu Herstellung von biologischen Waffen und unterstütze den internationalen Terrorismus. Alle drei Aussagen entsprachen nicht der Wahrheit, wurden aber vom Weltsicherheitsrat als Begründung für ein UN-Mandat zum Einmarsch in den Irak akzeptiert. Powell bezeichnete später seine Rede vor dem Weltsicherheitsrat als einen „Schandfleck“ in seiner politischen Karriere.

Am 11. September 2001 wurden u. a. die beiden Türme des World Trade Centers durch einen Terroranschlag zerstört. Die USA erklärten nach Artikel 5 des NATO Vertrags- erstmals in der Geschichte der NATO-  den Bündnisfall und starteten als Vergeltung eine Militäroperation in Afghanistan mit der Begründung, dieses Land sei ein Rückzugsort für internationale Terroristen.  Den Beweis dafür haben die USA bis heute nicht angetreten, zumal 15 der 19 identifizierten Terroristen, die am Anschlag gegen das World Trade Center beteiligt waren, aus Saudi-Arabien stammten. Für die Organisation des Terroranschlags wurde Osama Bin Laden, ein saudischer Wahabit, verantwortlich gemacht, der am 02. Mai 2011 von einem amerikanischen Spezialkommando in Abbottabad in Pakistan liquidiert wurde.

Am 17. März 2011 verabschiedete der UN Sicherheitsrat mit 10 Stimmen, bei 5 Enthaltungen, im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Libyen die Resolution 1973. Im Rahmen dieser Entscheidung wurde gegen Libyen ein Waffenembargo verhängt und über dem Land eine Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung eingerichtet. Die im Rahmen dieses Mandats erfolgte Militäroperation der USA und anderer westlicher Staaten wurde völkerrechtswidrig zu einem „Regime Change“ ausgeweitet, der mit der Ermordung des libyschen Herrschers Mohammed Gaddafi endete. Der damalige amerikanische Präsident Barak Obama bezeichnete diesen Krieg später als die „gravierendste politische Fehlentscheidung seiner Amtszeit“.

Zusammenfassende Beurteilung

Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse, habe ich erhebliche Zweifel, ob die amerikanische Darstellung der Lage in der Ukraine und an den Grenzen dieses Landes der Wahrheit entspricht. Die als Beweis der Behauptungen Washingtons angeführten Luftbilder werden von seriösen amerikanischen Experten als „doctored pictures“ bezeichnet, zumal ja niemand weiß, wann diese Aufnahmen, von wem und wo genau erstellt wurden und vor allem auch nicht, welche Absichten möglicherweise damit verfolgt wurden. Dazu müssten Ergebnisse auf der Basis von „human intelligence“ vorliegen, und darauf hat sich bislang niemand berufen.

Der ukrainische Präsident Zelensky stellte Ende Januar 2022 zu den ständigen Warnungen der US Administration vor einem russischen Einmarsch fest: “They keep supporting this theme, this topic. And they make it as acute and burning as possible….The American policy of publicizing intelligence and risk assessments around the Russian threat is a mistake, is unnerving Ukrainians and harming the economy at a time when I would like to see quiet military preparation and quiet diplomacy.”

Es ist zweifellos richtig festzustellen, dass niemand weiß, was der russische Präsident mit seiner Vorgehensweise beabsichtigt, aber ich persönlich glaube nicht, dass er eine Militäroperation gegen die Ukraine plant. Ich stimme vielmehr der Aussage des zurückgetretenen Inspekteurs der deutschen Marine, Vizeadmiral Schönbach, zu, der das Verhalten des russischen Präsidenten als dessen Forderung nach Respekt einordnet. Dass Schönbach diese Aussage in seiner Funktion als Inspekteur der Marine in der Öffentlichkeit nicht hätte machen sollen, ändert für mich nichts an der Richtigkeit seiner Einschätzung. Putin sieht sich selbst auf Augenhöhe mit dem amerikanischen Präsidenten und nicht als Führer einer Regionalmacht, wie der frühere amerikanische Präsident Obama Russland bezeichnet hat.

Die USA verfolgen immer noch ihre Vision von einer Pax Americana mit dem Ziel, die Welt in ihrem Sinne zu gestalten. Nach Aussagen des Pentagon gibt es weltweit 514 US-Stützpunkte; nach Recherchen des amerikanischen Schriftstellers David Vine sollen es sogar ca. 800 sein. Der amerikanische Verteidigungshaushalt lag 2021 bei knapp 800 Milliarden US Dollar, der Russlands bei knapp 62 Milliarden. Auch, wenn man wohl davon ausgehen muss, dass die Zusammensetzung der Haushalte Amerikas und Russlands nicht vollständig identisch ist, kann es keinen Zweifel geben, dass die Militärausgaben der USA um ein Vielfaches höher sind als die Russlands. Dabei spielt in den USA der „military-industrial-complex“ eine ganz entscheidende Rolle. Die aktuelle Russlandpolitik wird ebenso wie das amerikanische Agieren in der Ukrainepolitik bestimmt von der US Under Secretary of State for Political Affairs, Victoria Nuland. Sie war schon 2014 ein Key Player in der damaligen Ukraine-Krise. Sie war es auch, die in einem Telefongespräch mit dem damaligen ukrainischen Premierminister Jazenjuk die Formulierung gebrauchte „Fuck the EU.“ Nuland ist verheiratet mit Robert Kagan. Dieser hatte 1997 zusammen mit William Kristol das „Project for the American Century“ ( PNAC ) entwickelt, eine Policy für Amerikas Außenpolitik mit dem Ziel, die Welt zu beherrschen. Diese Idee haben die Neokonservativen, die s.g. Neocons, die nach wie vor maßgeblich die amerikanische Außenpolitik bestimmen, bis heute nicht aufgegeben.

Egon Bahr hat recht, wenn er sagt, Staaten ginge es immer nur um Interessen und nicht um Demokratie und Menschenrechte. Aus meiner Sicht geht es in der aktuellen Krise überhaupt nicht um die Ukraine, sondern um ein Prestige-Duell zwischen den USA und Russland. Washington will nicht akzeptieren, dass Moskau spätestens seit 2015, dem Engagement Russlands in Syrien, wieder zurück ist auf der Weltbühne und Russland will es nicht hinnehmen, dass Washington immer noch versucht, die Idee einer Pax Americana zu realisieren.

Deshalb hat eigentlich nur Europa die Chance, den gordischen Knoten in der Ukraine-Krise zu durchschlagen und zwar mit Hilfe des Normandie-Formats, des „Weimarer Dreiecks“ und last but not least vor allem durch die OSZE, deren Vorsitz aktuell Polen innehat.

Greven, 09.Febraur 2022

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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