Die Eskalationsschraube dreht sich weiter: USA planen Lieferung von Streumunition an die Ukraine

Schlagzeile in der SZ von Samstag/Sonntag 08./09. Juli 2023: „USA liefern Ukraine Streumunition- Die NATO-Partner zeigen Verständnis, obwohl sie selbst den Einsatz verboten haben.“ In den Westfälischen Nachrichten vom Samstag 08.Juli 2023 heißt es auf der Seite 2: „USA liefern Streumunition an dem Ukraine- Berlin signalisiert Verständnis.“ Regierungssprecher Steffen Hebestreit am 07. Juli 2023 wörtlich: „Wir sind uns sicher, dass sich unsere US-Freunde die Entscheidung über eine Lieferung entsprechender Munition nicht leichtgemacht haben.“ Die Streumuniton würde von der Ukraine in „einer besonderen Konstellation“ verwendet. „Die Ukraine setzt die Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung ein. …“

In der NEW York Times vom 07.Juli 2023 lautet die Schlagzeile: “Biden Defends ‘Difficult’ Decision to Send Cluster Munitions to Ukraine.-

With Ukraine burning through stockpiles of conventional artillery, President Biden concluded that he had little choice but to provide the weapons.”

Der Präsident wörtlich: “It was a difficult decision but the Ukrainians are running out of ammunition in the fight against Russian forces.”

Das Übereinkommen über Streumunition

Auf Wikipedia heißt es:

Das Übereinkommen über Streumunition, umgangssprachlich auch als Streubomben-Konvention bezeichnet, ist ein am 1. August 2010 in Kraft getretener völkerrechtlicher Vertrag über ein Verbot des Einsatzes, der Herstellung und der Weitergabe von bestimmten Typen von konventioneller Streumunition. Der Begriff Streu- oder Clustermunition bezeichnet Bomben, Granaten oder Gefechtsköpfe, die nicht als Ganzes explodieren, sondern eine Vielzahl an kleineren Sprengkörpern freisetzen. …..Neben den Verbotsbestimmungen enthält das Abkommen, das Teil des humanitären Völkerrechts und des internationalen Rüstungskontrollrechts ist, das Gebot zur Zerstörung von vorhandenen Beständen, zur Beseitigung von Rückständen aus eingesetzter Clustermunition sowie zur Unterstützung der Opfer von Streubomben. Die Konvention, die im Mai 2008 während einer diplomatischen Konferenz in Dublin ausgehandelt wurde, kann seit Dezember 2008 unterzeichnet werden. Am 28. Februar 2023 hat Nigeria als 111. Staat das Abkommen ratifiziert.[1]

Deutschland hatte das Ratifizierungsverfahren als elftes Land vollständig abgeschlossen und am 8. Juli 2009 seine Ratifikationsurkunde hinterlegt. Bei Unterzeichnung des Übereinkommens war Deutschland eines derjenigen Länder mit den größten Lagerbeständen an Streumunition, obwohl die Bundeswehr diese nie eingesetzt hatte. Bereits 2001 hatte Deutschland begonnen, die erheblichen Streumunitionsbestände der Bundeswehr zu vernichten. Die Vernichtung der deutschen Lagerbestände wurde am 25.11.2015, und somit zweieinhalb Jahre vor Ablauf der im Übereinkommen festgelegten Frist, abgeschlossen.

Die USA haben das Abkommen, ebenso wenig unterzeichnet, wie die Vereinbarung über die Ächtung von chemischen Waffen und das Verbot von Anti-Personen Minen. Auch der Atomwaffensperrvertrag wird von den USA nicht eingehalten. Die russische Position zu den genannten Abkommen ist identisch.

Streumunition (Englische Bezeichnung: Cluster Bombs)

Bei Streumunition handelt es sich um kleine Sprengkörper unterschiedlicher Art und Anzahl in Granaten oder Bomben, die entweder mit der Artillerie verschossen oder von Kampfflugzeugen abgeworfen werden. Bei den Artilleriegranaten handelt es sich in der Regel um das Kaliber 155mm, das in allen NATO Staaten hauptsächlich verwendet wird. Auch die von Deutschland an die Ukraine gelieferte „Panzerhaubitze 2.000“ hat das Kaliber 155mm. Bei der Streumunition handelt es sich entweder um Sprengkörper, die nach ihrem Aufschlag am Boden oder aber auch schon in einer bestimmten Lufthöhe explodieren. Eine besondere Art ist die in Cluster Bombs verwandte s.g. Lauermunition Dabei handelt es sich um Sprengkörper mit einem Verzögerungszünder. Sie explodieren entweder erst, wenn Menschen – nicht nur Soldaten! – drauftreten oder Fahrzeuge drauffahren oder aber erst zu einem späteren Zeitpunkt, je nachdem wie der Zünder eingestellt ist.

Streumunition wird schwerpunktmäßig gegen s.g. Flächenziele eingesetzt, also vor allem gegen Truppenansammlungen, die sarkastisch auch als „Weichziele“ bezeichnet werden. Mit Streumunition können Flächen in der Größe von mehreren Fußballfeldern gleichzeitig bekämpft werden.

Die USA haben diese Art von Waffen in allen Kriegen der letzten Jahrzehnte eingesetzt und damit in den betreffenden Ländern ganze Regionen für die Zivilbevölkerung unbrauchbar gemacht. Für die Menschen in diesen Ländern stellen vor allem die zahlreichen Blindgänger und die beschriebene Lauermunition eine besondere Gefährdung dar.

Der Einsatz von Streumunition in der Ukraine

Es ist davon auszugehen, dass die ukrainischen Streitkräfte die amerikanischen Cluster Bombs vor allem gegen die russischen Verteidigungsstellungen einsetzen werden. Dazu wird vornehmlich die Artillerie mit Kaliber 155mm zum Einsatz kommen, weil die USA wohl keine entsprechenden Bomben liefern werden, zumal die ukrainische Luftwaffe in und ans ihren Kampfflugzeugen auch keine Trägervorrichtungen hat, um diese abzuwerfen.

Wie das mit Hilfe dieser Waffen zurückeroberte Gelände im Anschluss an den Beschuss wieder genutzt werden könnte, bleibt unklar.

Zusammenfassende Bewertung

Die Begründung der USA für die Lieferung dieser Waffen kann nur als zynisch bezeichnet werden. Weil man der Ukraine nicht genügend „herkömmliche“ Artilleriegranaten zur Verfügung stellen kann, greift man auf eine Form der Munition zurück, die völkerrechtlich geächtet ist und für die Zivilbevölkerung unabsehbare Folgen hat. Die ukrainische Offensive muss endlich funktionieren, und deswegen spielt das Völkerrecht keine Rolle!

Die Inkonsequenz in der Reaktion der NATO Verbündeten zu dieser Vorgehensweise bis hin zur Scheinheiligkeit ist geradezu unerträglich. Deutschland ist in puncto Doppelmoral einmal mehr der Spitzenreiter, auch, weil man noch nicht einmal darauf hingewiesen hat, dass die Bundesregierung nicht damit einverstanden ist, sollte die Ukraine diese Munition auch mit deutschen Waffensystemen einsetzen- unabhängig davon, dass es ja niemand kontrollieren könnte. . „Die Ukraine setzt die Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung ein. …“ sagte der Regierungssprecher. Das Gegenteil wird der Fall sein!

Mit der Lieferung von Uran haltigen Granaten vom Kaliber 120mm durch Großbritannien, Granaten, die nicht nur vom britischen Kampfpanzer „Challenger“, sondern auch vom Kampfpanzer „Leopard“ verschossen werden können, hatte der Krieg bereits eine weitere Eskalation erfahren, die durch die Streumunition jetzt noch einmal deutlich verschärft wird.  Russland wird dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass Moskau bei einem Einsatz von Streumunition gegen die russischen Verteidigungsstellungen mit einem massiven Beschuss einer ukrainischen Großstadt – das muss nicht das durch eine Raketenabwehr teilweise geschützte Kiew sein –  vielleicht sogar durch Mittelstreckenraketen reagiert.

Nach dem Ausbringen von Streumunition kann auch der Einsatz von chemischen Granaten nicht mehr ausgeschlossen werden. Wie hoch die Schwelle zum Einsatz von A-Waffen noch ist, sei dahingestellt.

In diesem Krieg geht es schon lange nicht mehr um die Ukraine und vor allem nicht um die dort lebenden Menschen, sondern darum, dass die USA diese Auseinandersetzung nicht verlieren dürfen, also um knallharte nationale Interessen Washingtons. Wann endlich begreifen das die Regierungen der westlichen Verbündeten und haben den Mut, Washington zu signalisieren, dass man die amerikanische Politik nicht mehr unterstützt und den eigenen Wählern einzugestehen, dass man sich in der Positionierung zum Ukrainekrieg fundamental geirrt hat.

Russland wird seine Truppen aus der Ukraine nicht abziehen, und die Ukraine wird diesen Krieg militärisch nicht gewinnen. Hier geht es nicht um Moral, sondern um Fakten, und deshalb muss verhandelt werden und zwar sofort!

Greven, 08. Juli 2023

Jürgen Hübschen

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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