Evakuierungsoperationen der Bundesregierung- Diplomaten zuerst?

Im Zusammenhang mit der sich ständig verschlechternden Sicherheitslage und zunehmenden Kampfhandlungen in Sudans Hauptstadt Khartum hatten die USA als erste Nation Evakuierungsmaßnahmen getroffen und ihr Botschaftspersonal mit Hubschraubern aus Khartum in Sicherheit gebracht. Andere Nationen folgten, und auch die Bundesregierung hatte entschieden, deutsche Staatsbürger außer Landes zu bringen.  Dazu wurde vom 23. – 27. April 2023 unter Einsatz der Bundeswehr die Evakuierungsoperation „Sudan“ durchgeführt, die nachträglich vom Bundestag genehmigt wurde. Nach Presseberichten wurden 700 Menschen durch die Luftwaffe evakuiert, deutsche, aber auch ausländische Staatsbürger und vor allem auch das Personal der deutschen Botschaft. Diese wurde nach Abschluss der Evakuierungsoperation geschlossen.

Nach Presseberichten wurde das Botschaftspersonal bei der Evakuierung priorisiert und danach erst die deutschen Staatsbürgerinnen und-bürger, die sich in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes „ELEFAND“ hatten eintragen lassen.

Im Zusammenhang mit der Evakuierung stellt sich nicht nur die Frage, ob es richtig ist, Botschaftsangehörige zuerst zu evakuieren, sondern auch, ob nicht die Botschaft in einer solchen Situation – wenigstens mit einer Notbesetzung für Konsularangelegenheiten- geöffnet bleiben sollte.

Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD)

Diplomaten stehen nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen unter einem besonderen Schutz. Seit 1961 regelt es den rechtlichen Status von Diplomaten, wie deren Immunität und Unverletzlichkeit. Das am 18. April 1961 ausgehandelte Dokument wurde am 6. August 1964 in Deutschland verkündet und trat am 11. Dezember 1964 in Kraft. Mittlerweile haben 193 Länder, darunter fast alle UN-Mitgliedsstaaten, das WÜD unterzeichnet und halten sich in der Regel auch konsequent an diese Vereinbarung.

Nach dem WÜ ist die Unverletzlichkeit ein zentraler Grundsatz im Diplomatenrecht. Während Immunität den rechtlichen Schutz vor Strafverfolgung regelt, schützt die Unverletzlichkeit Diplomat/-innen vor polizeirechtlichen Zwangsmaßnahmen. Der Staat, in den diese entsandt werden, hat jegliche hoheitlichen Handlungen gegen Vertreter/-innen des anderen Staats zu unterlassen. Der Empfangsstaat darf Diplomat/-innen nicht von der Polizei festnehmen lassen, oder Strafverfahren gegen sie einleiten. Dabei ist es irrelevant, ob die Ermittlungen dienstliche oder private Handlungen der Diplomat/-innen betreffen. …Der Grundsatz der Unverletzlichkeit gilt auch für die Räumlichkeiten der Mission, also das Botschaftsgelände, sowie die Privatwohnung der Diplomat/-in und deren Gepäck. In Artikel 22, Absatz 2 des WÜD heißt es, dass der Empfangsstaat die besondere Pflicht hat, „alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen […].“ Der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Gastlandes unterliegen Diplomat/-innen nur äußerst eingeschränkt, etwa für Klagen in Nachlasssachen, Nebentätigkeiten oder in Bezug auf privates unbewegliches Vermögen. Auch Vollstreckungsmaßnahmen dürfen nur in diesen Ausnahmefällen durchgeführt werden.

Das Gastland ist verpflichtet, stets geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Unverletzlichkeit auch gegenüber Dritten zu garantieren. So müssen etwa bei Protesten vor einer Botschaft genügend Sicherheitskräfte für deren Schutz abgestellt werden. Der Sturm von iranischen Studierenden auf die US Botschaft und die anschließende Geiselnahme des Personals im Jahr 1979 beispielsweise war ein Verstoß gegen die Unverletzlichkeit.

Status eines Botschafters

Ein Botschafter ist ein Diplomat und der beamtete oberste Beauftragte eines Staates in einem anderen Land oder bei einer internationalen Organisation. Er wird vom Außenministerium entsandt und ist der persönliche Repräsentant des Staatsoberhauptes seines Landes.

Das Botschaftsgelände

Dazu schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung:

Auch Botschaften gehören zum Hoheitsgebiet des Gastgeberlandes. Sie bilden keine Exklaven, in denen das Recht des Botschafterlandes gilt. Aber: Im Wiener Übereinkommen von 1964 ­einigten sich die Staaten darauf, auf die Ausübung ihrer Hoheitsrechte auf dem Gelände von Botschaften zu verzichten. Das bedeutet: Der Botschafter kontrolliert den Zutritt zum Gelände – nicht einmal Verhaftungen darf die einheimische Polizei durchführen. Dennoch gilt bei Straftaten auf dem Gelände das Recht des Gastgeberlandes. Einzige Ausnahme: Ist der Täter Diplomat, schützt ihn seine Immunität vor der Strafverfolgung im Land seiner diplomatischen Mission.

Aufgaben von Diplomaten und Botschaften (diplomatischen Vertretungen)

Die Aufgaben der Diplomat/-innen sind im WÜD klar umrissen: Sie sollen den Entsendestaat im Empfangsstaat vertreten und dessen Interessen innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Grenzen schützen. Diplomat/-innen sammeln Informationen und Reaktionen aus dem Ausland und berichten darüber ihrer Regierung. Sie verhandeln mit der Regierung des Empfangsstaats und sollen freundschaftliche Beziehungen zwischen Entsende- und Empfangsstaat fördern. In der Praxis wirken Diplomat/-innen oft in allen Bereichen der auswärtigen Beziehungen mit, so etwa bei der Wirtschaftszusammenarbeit oder der Entwicklungspolitik.

Das Auswärtige Amt schreibt dazu explizit:

Wesentliche Aufgaben der diplomatischen Vertretungen sind es,

  • Informationen zu beschaffen,
  • über Angelegenheiten zu berichten, die für die verschiedenen Regierungsstellen des Bundes und der Länder von Bedeutung sind,
  • deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu helfen, die in Not geraten sind, Krisenvorsorge zu leisten sowie behördliche und notarielle Funktionen für im Ausland lebende Deutsche zu übernehmen,
  • Visa für Reisen nach Deutschland auszustellen
  • deutschen Unternehmen bei ihren Aktivitäten im Gaststaat zur Seite zu stehen und allgemein den beidseitigen Handel zu heben,
  • den Kulturaustausch zu fördern,
  • die Öffentlichkeit des Gastlandes über unsere Außenpolitik, über Deutschland im allgemeinen, seine Gesellschaft und Kultur, zu informieren,
  • hochrangige Besuche aus Deutschland vorzubereiten und zu begleiten.

Vergütung deutscher Diplomatinnen und Diplomaten

Deutsche Diplomatinnen und Diplomaten werden nach den Bestimmungen des Beamtenrechts besoldet. Dazu erhalten sie nach dem Bundesbesoldungsgesetz Auslandszuschläge entsprechend der „Verordnung über die Gewährung von Auslandszuschlägen“Die Bemessungsgrundlage richtet sich nach der Zuordnung der jeweiligen Dienstorte zu den Zonenstufen 1-20.

In der „Verordnung über die Gewährung von Auslandszuschlägen (Auslandszuschlagsverordnung – AuslZuschlV) heißt es dazu im § 2:

 (1) Als monatlicher Zuschlag zur Abgeltung außergewöhnlicher materieller Mehraufwendungen oder immaterieller Belastungen können zusätzlich zum Auslandszuschlag gezahlt werden:

1.

bis zu 300 Euro, wenn es sich um einen Dienstort mit einer außerordentlich hohen Rate an Gewaltdelikten handelt,

2.

bis zu 400 Euro, wenn der Dienstort von den Auswirkungen eines örtlichen bewaffneten Konflikts oder unmittelbar von einer Naturkatastrophe, einer von Menschen verursachten Katastrophe oder einer Epidemie betroffen ist,

3.

bis zu 600 Euro, wenn der Dienstort von den Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts betroffen ist und die staatliche Ordnung stark beeinträchtigt ist oder wenn die Empfängerinnen oder Empfänger von Auslandsdienstbezügen am Dienstort auf Grund von organisiertem gewaltsamem Widerstand oder Terror besonders gefährdet sind,

4.

bis zu 700 Euro, wenn der Dienstort unmittelbar und gegenwärtig von einem bewaffneten Konflikt betroffen ist und die Empfängerinnen oder Empfänger von Auslandsdienstbezügen beispielsweise durch Kampfhandlungen, Luftangriffe oder Raketenbeschuss konkret gefährdet sind.

Khartum ist der Zonenstufe 20 zugeordnet und erfüllt damit sicherlich die Voraussetzungen nach Ziffer (1) 4.

Zusammenfassende Bewertung

Diplomatinnen und Diplomaten sind in ihrer Auslandstätigkeit besonderen Belastungen ausgesetzt. Dazu gehören zweifellos die zahlreichen Umzüge, vor allem aber Einsätze in Ländern mit einer schlechten Infrastruktur, einer fragilen Sicherheitslage und der damit verbundenen Belastungen und nicht zuletzt auch einer persönlichen Gefährdung.

Diesem Sachverhalt trägt der Dienstherr mit einer angemessenen Besoldung und der dargestellten Zulage in geeigneter Form Rechnung. Ergänzend gibt es viele Sonderregelungen im Zusammenhang mit einem s.g. Diplomatenrabatt, z.B. beim Kauf von vielen deutschen Autofabrikaten, die weitgehende Befreiung von der Mehrwertsteuer, die gesicherte Verfügbarkeit von Devisen etc. Außerdem gibt es eine großzügige Regelung für den Heimaturlaub und vor allen Dingen eine attraktive Anschluss Verwendung nach einer Tätigkeit auf einem besonders belastenden Posten im Ausland.

Jeder, der sich entscheidet, in den Auswärtigen Dienst einzutreten, akzeptiert damit auch persönliche Risiken, mit denen er an verschiedenen Dienstorten konfrontiert werden kann.

Das WÜD schützt die Diplomatinnen und Diplomaten- im Gegensatz zu den anderen ausländischen und damit auch deutschen Staatsbürgern- umfassend. Eine Geiselnahme wie 1979 in der US-Botschaft in Teheran war eine absolute Ausnahme und hat sich in dieser oder ähnlicher Form nicht wiederholt.

Auf der Basis der Regelungen des Auswärtigen Amtes und durch die Vereinbarungen des WÜD gibt es aus meiner Sicht keine Veranlassung das Botschaftspersonal in einer Krisensituation mit Vorrang zu evakuieren, ganz im Gegenteil.

Vor allem die Konsulatsabteilung muss so lange geöffnet bleiben, wie der Bedarf an diese Ansprechstelle besteht.

Wie sollen die Aufgaben:

  •  deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu helfen, die in Not geraten sind, Krisenvorsorge zu leisten sowie behördliche und notarielle Funktionen für im Ausland lebende Deutsche zu übernehmen,
  • Visa für Reisen nach Deutschland auszustellen

wahrgenommen werden, wenn die Botschaftsangehörigen als erste evakuiert werden und die Botschaft geschlossen wird?

Für den Botschafter sollte es eine Regelung vergleichbar mit der Seefahrt geben, in der der Kapitän das Schiff als Letzter verlässt.

Jürgen Hübschen

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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