„Der Ukraine bis zum Sieg beistehen“- Tagung der Parlamentarischen Versammlung (PV) der NATO in Sofia

Vom 24. -27. Mai 2024 fand die Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Sofia statt. Dort wurde unter dem Motto „Der Ukraine bis zum Sieg beistehen“, eine Erklärung verabschiedet, der Ukraine den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet zu erlauben. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit möglichen Konsequenzen, falls dieser Vorschlag in eine neue Ukraine-Policy der NATO umgesetzt würde.

Die Parlamentarische Versammlung der NATO (PV)

Die NATO PV ist ein Diskussionsforum, in dem insgesamt 281 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus den 32 NATO-Mitgliedsländern über sicherheits- und verteidigungspolitische Themen beraten. Weiter können Delegierte aus zehn assoziierten Staaten an den Beratungen teilnehmen.

Die PV kann lediglich Vorschläge machen, darf aber keine für das Bündnis relevante Entscheidungen treffen.

Die Frühjahrstagung der NATO PV in Sofia

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat auf der PV- Tagung der NATO in Sofia die Mitgliedsstaaten aufgerufen, einige Beschränkungen für den Einsatz der bereitgestellten Waffen für die Ukraine aufzuheben und der Ukraine den Einsatz westlicher Waffen auch gegen Ziele auf oder über russischem Territorium zu erlauben. Wörtlich sagte er u.a.: „Nach internationalem Recht schließt das Recht auf Selbstverteidigung das Recht ein, legitime militärische Ziele außerhalb der Ukraine anzugreifen. Das ist ein Teil der Selbstverteidigung“. Konkret begründete Stoltenberg seinen Appell mit der militärischen Lage im Ukrainekrieg, insbesondere mit den aktuellen Kämpfen in der Region Charkiw an der russischen Grenze. Wörtlich sagte der Generalsekretär:  „Die Frontlinie und der Grenzverlauf sind mehr oder weniger identisch, und den Ukrainern sind die Hände gebunden, wenn sie keine militärischen Ziele auf russischem Territorium angreifen können“. Der Präsident der PV, der Pole Michal Szczerba, erklärte ergänzend, die Ukraine würde schwächer sein, sollten wir sie weiterhin nur halbherzig unterstützen.

Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow appellierte in einer Videobotschaft, dass die Verbündeten mit ihren Luftabwehrsystemen den Luftraum über der Westukraine schließen sollten. Außerdem bekräftige Umjerow, sein Land strebe eine volle Mitgliedschaft in der Nato an.

Deutschland lehnt den Vorschlag des NATO Generalsekretärs ab, weil dessen Umsetzung aus Sicht der Bundesregierung eine direkte Beteiligung am Krieg gegen Russland wäre.

Bislang vertritt die US-Regierung eine vergleichbare Position. Es gibt allerdings nach einem Bericht der New York Times Überlegungen, den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Gebiet zu erlauben.

Nach verschiedenen Pressemitteilungen hat der Kreml dem Nato-Generalsekretär vorgeworfen, bei der Diskussion um eine Aufhebung von einigen Beschränkungen für einen Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland in eine „kriegerische Ekstase“ zu verfallen. „Die Nato erhöht den Grad der Eskalation, die NATO spielt mit Kriegsrhetorik und verfällt in kriegerische Ekstase“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Medien bei einem Staatsbesuch von Präsident Wladimir Putin in der usbekischen Hauptstadt Taschkent.

Zusammenfassende Bewertung

Als Generalsekretär ist Jens Stoltenberg nicht befugt, eine Änderung der derzeitigen NATO Policy im Ukrainekrieg anzuordnen. Es gibt allerdings zunehmend Hinweise, dass mehrere NATO Mitgliedstaaten, bereit sind, den Einsatz der vom „Westen“ gelieferten Waffen gegen Ziele in Russland zu erlauben. Auch einige deutsche Politiker unterstützen diese Vorgehensweise, weil sie vom Völkerrecht gedeckt sei. Da die NATO immer mehr zu einem Machtinstrument der USA wird, die in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen, wird es wohl letztlich darauf ankommen, ob Washington seine bisherige Policy offiziell aufgibt und einem Einsatz der vom „Westen“ gelieferten Waffen gegen militärische Ziele in Russland zustimmt. Ob die deutsche Regierung sich daran orientiert und für solche Einsätze die Erlaubnis erteilt, bleibt abzuwarten, ist aber leider nicht auszuschließen, weil sich die Regierung in ihren Entscheidungen bislang immer an den USA orientiert hat. Dabei müsste eigentlich jedem verantwortlichen Politiker klar sein, wie realitätsfremd das Motto ist, „der Ukraine bis zum Sieg beizustehen.“ Dieser Slogan ist noch unüberlegter, um nicht zu sagen noch dümmer und vor allem auch gefährlicher als die bisherige Formulierung, die Ukraine so lang wie nötig zu unterstützen, ohne jemals zu sagen, was damit eigentlich gemeint ist.

Jeder Fachmann weiß, dass die Ukraine Russland nicht besiegen wird, sondern den Krieg militärisch bereits verloren hat. Vermutlich ist das auch vielen Politikern klar, es sei denn, sie gehören zu denjenigen, die nach der Devise agieren, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Ich stimme der aktuellen Position der Bundesregierung zu, dass Deutschland endgültig Kriegspartei wird, wenn von Deutschland gelieferte Waffen gegen Ziele in Russland eingesetzt werden. Im Unterschied zu anderen NATO Ländern und vor allen Dingen auch im Gegensatz zu den USA, wird Deutschland, auch wegen der militärischen Einrichtungen der USA auf deutschem Boden, zu einem vorrangigen Ziel Russlands werden, falls es zum Krieg mit der NATO kommt.

Das, auch von deutschen Politikern, immer wieder angesprochene Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung ist völlig unstrittig, weil Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen hat. Das impliziert aber in keiner Weise, dass Kiew einen Anspruch darauf hätte, mit vom „Westen“ gelieferten Waffen Ziele auf russischen Territorium anzugreifen, vor allem deshalb nicht, weil das zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO führen könnte.

Der gesamten Entwicklung wäre mehr gedient, wenn die Parlamentarische Versammlung eine diplomatische Initiative vorgeschlagen hätte, wie dieser Krieg beendet werden könnte.

Greven, den 28. Mai 2024

Jürgen Hübschen

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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