Die dauerhafte Stationierung einer schweren deutsche Kampfbrigade in Litauen- soll Deutschland Europa schützen?









































































Deutschland ist nach den USA in jeder Hinsicht der mit
Abstand größte und wichtigste Unterstützer der Ukraine, vor allem aber im
militärischen Bereich. Aber das ist für die Sicherheit Europas aus Sicht von
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nicht genug

Deshalb hatte er im Sommer 2023 bei einem Besuch anlässlich
der Übung GRIFFIN STORM in Litauen angekündigt, eine schwere deutsche Kampfbrigade
dauerhaft in Litauen zu stationieren. In einem gemeinsamen Tagesbefehl vom 28.
Juni 2023 hatten der Verteidigungsminister und Generalinspekteur Carsten Breuer
dazu u.a. erklärt: … „Seit Jahrzehnten
stehen unsere NATO-Partner verlässlich an unserer Seite. Gemeinsam verteidigen
und schützen wir unsere Freiheit in Deutschland und Europa.

Heute sind die
baltischen Staaten und Polen entlang der NATO-Ostflanke besonders bedroht

– und wir sind
gefordert, für den Schutz des Bündnisgebietes mehr Verantwortung zu über-

nehmen. Diese
Verantwortung drückt sich auch in verstärkter Präsenz aus.

Wir haben daher
unseren litauischen Amtskollegen gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass

wir bereit sind, unser
Engagement im Rahmen der NATO mit der dauerhaften Stationierung

einer Brigade in
Litauen langfristig auszubauen….“

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es sich bei
dieser Ankündigung um einen politischen Schnellschuss oder um einen strategisch
sinnvollen Schachzug handelt und ob dieser mit den Erfordernissen, die Defizite
in der Landesverteidigung schnellstmöglich abzubauen, vereinbar ist.

 

Die dauerhafte
Stationierung der schweren deutschen Kampfbrigade in Litauen

 

Am 18. Dezember 2023 wurde in Vilnius die s.g. Road map für
die dauerhafte Stationierung einer schweren deutschen Kampfbrigade in Litauen
vom deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius und seinem litauischen
Amtskollegen, Arvydas Anusauskas unterzeichnet.

Damit wurde der Grundstein für die Stationierung von 4.800 Soldatinnen
und Soldaten sowie 200 zivilen Mitarbeitenden der Bundeswehr in Litauen gelegt.
Die offizielle Indienststellung soll mit Beginn der Truppenverlegung 2025
erfolgen, und die volle Einsatzbereitschaft soll bis Ende 2027 erreicht werden.
Nach einer Meldung des Bundesministeriums der Verteidigung ist ein Vorkommando mit etwa 20 Soldaten am
8. April in Litauen eingetroffen
. Es besteht aus Spezialisten aus
verschiedenen Bereichen und soll zum vierten Quartal 2024 auf einen
Aufstellungsstab von rund 150 Männern und Frauen anwachsen. Soweit die
offiziellen Verlautbarungen in den deutschen Medien. Ob es zu dem gesamten
Vorhaben einen Kabinettsbeschluss gibt, ist nicht bekannt, und auch über eine
Bundestagsdebatte zur Stationierung der Brigade wurde ebenfalls nichts berichtet.

Deshalb wird im Folgenden kurz dargestellt, was man unter
dieser schweren Kampfbrigade konkret versteht und welche personellen,
materiellen und auch finanziellen Maßnahmen mit diesem Vorhaben verbunden sind.

Neben den bereits angesprochenen 5. 000 Soldaten und
Zivilbediensteten wird die Brigade über 2.000 Militärfahrzeuge verfügen. Dazu
gehören neben „Leopard“ Kampfpanzern und Schützenpanzern vom Typ „Puma“ auch
Artilleriegeschütze, Pioniergerät und natürlich auch Versorgungs – und Sanitätskomponenten,
ohne weiter ins Detail zu gehen. Zusätzlich zu den bereits jetzt in Litauen im
Rahmen der NATO rotierend eingesetzten deutschen Soldaten werden das
Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach in Bayern und das
Panzerbataillon 203 aus Augustdorf in Nordrhein-Westfalen auf Dauer nach
Litauen verlegt.

Hinzu kommen umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen und zwar
nicht nur für die Stationierung der Brigade, sondern auch für die Unterbringung
der Familienangehörigen der deutschen Soldaten und die damit verbundenen
Einrichtungen wie Kitas, Schulen etc.

Nach bisherigen Schätzungen wird die Stationierung der
Brigade insgesamt mit einem mehrstelligen Milliardenbetrag veranschlagt und für
ihren Betrieb mit jährlichen Folgekosten von ca. 1 Milliarde. Ob diese Kosten
aus dem Verteidigungshaushalt gedeckt werden müssen, ist bislang nicht geklärt.  

 

Die geostrategische
Lage der schweren deutschen Kampfbrigade

 

Mit der Stationierung der Brigade in Litauen befinden sich deutsche
Soldaten und ihre Familien zwischen Weißrussland und dem Kaliningrader Oblast. Die
sogenannte „Suwalki-Lücke“ (benannt nach der polnischen Stadt Suwalki) stellt die
einzige Landverbindung der baltischen Staaten mit Polen und damit dem einzigen
anderen NATO Land dar.

Durch Litauen selbst führen Transitverbindungen zwischen dem
Kaliningrader Oblast und Weißrussland, um die russische Bevölkerung, ca. 1,1
Millionen Menschen, und auch die russischen Truppen in der Oblast zu versorgen.

Aus russischer Sicht stellt die dauerhafte Stationierung
einer schweren deutschen Brigade nicht nur eine Bedrohung der Oblast dar,
sondern auch einen Verstoß gegen die mit der deutschen Wiedervereinigung
gemachten Zusage, in den Staaten und Republiken der ehemaligen Sowjetunion
dauerhaft keine NATO-Truppen zu stationieren. Sollte es zu einer militärischen
Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland kommen, wäre die deutsche
Brigade de facto auf sich allein gestellt, weil die Armeen der baltischen
Staaten nur über eine sehr geringe Kampfkraft verfügen. Die möglichen
Konsequenzen für die Familienangehörigen der deutschen Soldaten liegen damit
auf der Hand.

 

Zusammenfassende
Bewertung der dauerhaften Stationierung einer schweren deutschen Kampfbrigade
in Litauen

 

Es ist völlig unklar, was konkret zu der Zusage des
deutschen Verteidigungsministers geführt hat, eine schwere deutsche
Kampfbrigade dauerhaft in Litauen zu stationieren. Es gab dazu keinen
Kabinettsbeschluss und vor allen Dingen auch kein Mandat des Deutschen Bundestages.
Da es sich bei der Bundeswehr um eine Parlamentsarmee handelt, ist für jeden
Auslandseinsatz ein Mandat der Volksvertretung erforderlich. Bei den bisherigen
Auslandseinsätzen, die immer zeitlich befristet waren, hatte das
uneingeschränkt Gültigkeit. Das Argument, dass es sich bei der Kampfbrigade um
die Verlegung von deutschen Soldaten in ein anderes NATO Land handelt und
deswegen eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich sei, mag juristisch
stichhaltig sein, ist aber unter dem Gesichtspunkt einer richtig verstandenen Demokratie,
sprich der Beteiligung der Bevölkerung, nicht überzeugend.  Das gilt besonders deshalb, weil auch
Familienangehörige der Soldaten von dieser Stationierung betroffen sind und es
sich außerdem um ein NATO Land in einer sehr exponierten geostrategischen Lage
handelt. Wenn der Verteidigungsminister immer davon redet, dass die Bundeswehr
kriegstüchtig werden müsse, ist damit vor allem eine mögliche militärische
Auseinandersetzung mit Russland gemeint, und in einem solchen Fall läge die
deutsche Brigade direkt an der Front.

Die Aufstellung der Brigade ist nur zu Lasten der deutschen
Landesverteidigung zu leisten, und diese ist bereits jetzt nicht gewährleistet.
Der Abzug von zwei gepanzerten Bataillonen von deutschem Territorium ist ein
echter Aderlass, den die Bundeswehr auf Grund der Kampfkraft der beiden
Verbände nicht kompensieren kann. Das gilt besonders auch unter dem Aspekt,
dass bereits jetzt ein Großteil der militärischen Unterstützung der Ukraine nur
noch aus dem Bestand der Streitkräfte geleistet werden kann. Hinzu kommt, dass
es aktuell völlig unklar ist, wie die Bundeswehr die bis 2031 geplante Personalstärke
von 203.000 Soldaten erreichen kann. Und noch zwei Aspekte, die man nicht
übersehen sollte: Für Oberviechtach und Augustdorf ist der Abzug der Verbände
wirtschaftlich vermutlich nur schwer zu kompensieren und auch für die dortigen
Kitas und Schulen sicherlich ein Problem. Für die Partner und Partnerinnen der
Soldaten wird sich zudem die Frage stellen, ob sie überhaupt bereit sind, nach
Litauen umzuziehen, weil es dort sicherlich keine vergleichbaren Arbeitsplätze
geben wird.

Last but not least stellt sich auch die Frage, warum
Deutschland sowohl in der militärischen Unterstützung der Ukraine und jetzt
auch mit der Stärkung der NATO-Ostflanke eine europäische Führungsrolle
übernehmen soll, die gleichzeitig aus russischer Sicht eine immer größer
werdende Provokation darstellt. Hinzu kommt, dass niemand weiß, ob die USA an
ihrer aktuellen Ukraine- und Russlandpolitik festhalten, sollte diese zu einem
Wahl entscheidenden Thema werden, ganz zu schweigen davon, wie die
US-Außenpolitik aussähe, falls Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnen
sollte.

Es ist innerhalb der NATO immer wieder von einem notwendigen
Burden Sharing zwischen den USA und Europa die Rede. Das ist nachvollziehbar,
vor allem in Bezug auf den Schutz Europas. Es stellt sich allerdings die Frage,
warum ein solches Burden Sharing nicht auch innerhalb der europäischen
NATO-Staaten gefordert und vor allem auch praktiziert wird. Es wird höchste
Zeit, dass zu diesem Thema eine umfassende Bundestagsdebatte geführt wird. Dazu
gehört auch, dass in der Diskussion militärische Stärke und kompetente
Diplomatie eine gleichwertige Rolle spielen müssen.

 

Greven, 25. Mai 2024

 

Jürgen Hübschen

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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