Die NATO- ein Machtinstrument Washingtons gegen Russland?

In der New York Times vom 16. Mai 2024 heißt es: “The chairman of the Joint Chiefs of Staff, Gen. Charles Q. Brown Jr., said that a NATO deployment of trainers appeared inevitable.”(„Der Chef des amerikanischen Generalstabs, General Charles Q. Brown Junior sagt, dass eine Stationierung von NATO Ausbildern (gemeint ist, in der Ukraine) unvermeidbar erscheint.“) Weiter schreibt die New York Times, dass die bisherige Position der USA, keine amerikanischen Berater oder Ausbilder direkt in die Ukraine zu schicken, aktuell überdacht wird. Wörtlich heißt es in der New York Times dazu: : „White House is now reviewing its ban on allowing American defense contractors in Ukraine, although a small number have already been allowed in, under State Department authorities, to work on specific weapons systems like Patriot air defenses.” (“ Das Weiße Haus überdenkt gerade sein Verbot, amerikanische Verteidigungsunternehmer/-berater in die Ukraine zu schicken, obwohl sich unter Führung des US-Außenministeriums bereits eine kleine Zahl von Beratern in der Ukraine befindet, um in speziellen Waffensystemen, wie z.B. dem Raketenabwehrsystem „Patriot“ zu arbeiten.“)

In vielen Konferenzen und besonders auch in der „Ukraine Defence Contact Group“ wurde und wird klar, dass die USA die alleinige Federführung „des Westens“ in der Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland innehaben. Zum Auftrag der Kontaktgruppe, die unter Führung des US Verteidigungsministers regelmäßig auf der Amerikanischen Air Base in Ramstein tagt, heißt es bei Wikipedia: „Die Ukraine Defence Contact Group ist ein Koordinierungsgremium der westlichen Partner und Verbündeten zur Unterstützung der Ukraine mit Ausrüstung und Waffen bei ihrem Abwehrkampf gegen Russland.“

Es wird von Fachleuten nicht bestritten, dass es sich in der Ukraine um einen amerikanischen Stellvertreterkrieg gegen Russland handelt, aber die Frage in diesem Zusammenhang ist, ob die NATO dabei als ein Machtinstrument der USA gegen Russland fungiert.

Die Kriegsziele der USA

Die europäischen Unterstützer der Ukraine haben bislang ihre Ziele nicht definiert, sondern immer nur wiederholt, dass sie die Ukraine unterstützen würden, so lange dies nötig ist. Ist darunter zu verstehen bis die Ukraine den Krieg gewonnen hat oder bis Kiew im Kampf so erfolgreich war, dass auf Augenhöhe mit Moskau verhandelt werden kann? Könnte das auch heißen, so lange, bis Russland den Krieg verloren hat oder Verhandlungsbereitschaft signalisiert? Impliziert diese Formulierung vielleicht auch, so lange, bis in einem oder mehreren europäischen Ländern die Bevölkerung mit der kostspieligen militärischen Unterstützung der Ukraine nicht mehr einverstanden ist oder die Belastung durch ukrainische Flüchtlinge zu groß geworden ist und damit für die eine oder andere Regierung die Gefahr besteht, aus dem Amt gewählt zu werden? Was wirklich unter dieser Formulierung „So lange wie nötig“ zu verstehen ist, das bleibt dem Urteil aller Beobachter selbst überlassen.

Ganz anders verhält es sich mit den USA. Dort haben der Präsident und auch der Verteidigungsminister die amerikanischen Ziele exakt formuliert.

Am 26. März 2022 hat Präsident Biden in seiner Rede in Warschau über Präsident Putin gesagt: „For God´s sake this man can not remain in Power.“ („Um Gottes Willen, dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben.“) Damit hat er indirekt sogar einen „Regime Change“ in Russland nicht ausgeschlossen. Sein Verteidigungsminister Lloyd, James Austin III, wurde unmittelbar nach seinem Besuch in Kiew konkreter und sagte am 25. April 2022: “We want to see Russia weakened to the degree it cannot do the kind things that it has done in invading Ukraine,” ( „Wir wollen Russland in einem Maße geschwächt sehen, dass es es nicht mehr in der Lage ist, derartige Dinge zu tun, wie es sie durch die Invasion der Ukraine getan hat.“

Und am Ende der Pressekonferenz gab er das optimistische Statement ab: “Russia is failing and Ukraine is succeeding.” („Russland scheitert und die Ukraine hat Erfolg.“)

Und genau das ist das Problem. Russland ist bislang nicht gescheitert, ganz im Gegenteil, und die Ukraine hat trotz aller Unterstützung nur kurzfristige Teilerfolge erzielen können. Wenn man der Realität wirklich ins Auge sieht, muss man konstatieren, dass die Ukraine den Krieg militärisch verloren hat.

Die Position Washingtons

Genau diese Realität will man im Weißen Haus nicht sehen, weil man sich sonst eingestehen müsste, dass die USA mit ihrer Strategie in der Ukraine und auch mit ihrer von Sanktionen geprägten Russlandpolitik gescheitert sind. Stattdessen liefert Washington immer mehr Waffen und fordert die europäischen NATO-Staaten auf, ihre militärische Unterstützung noch zu steigern. Das forderte aktuell auch die scheidende amerikanische Botschafterin Amy Gutmann in Berlin von der Bundesregierung. Bei der militärischen Unterstützung liefern die USA seit geraumer Zeit auch Waffen, die international geächtet sind, wie z.B. Streumunition. Auch die kürzlich gelieferten amerikanischen „ATACMS“ Boden –Boden Raketen, mit der auch Ziele auf der Krim erreicht werden können, verfügen zum Teil über Sprengköpfe mit Streumunition. Selbst Uran haltige Munition wurde und wird der Ukraine zur Verfügung gestellt, obwohl man sich in der US-Regierung sehr wohl über die Spätfolgen im Klaren ist. Regionen, in denen diese Granaten eingesetzt werden, sind auf Jahrzehnte verseucht, damit unbewohnbar und auch für die Landwirtschaft nicht mehr nutzbar. Man könnte sagen, dass Washington die Ukraine militärisch nach dem Motto unterstützt, koste es, was es wolle. Leider ist damit nicht nur die finanzielle Dimension für Waffenkäufe gemeint, sondern auch die Folgen für die Ukraine.

Die aktuelle militärische Lage

Die aktuelle militärische Gesamtlage kann aus der Distanz nicht zuverlässig beurteilt werden. Fest steht aber, dass – auch nach Aussage der militärischen und politischen Führung der Ukraine- sich die Situation für die Ukraine in allen Bereichen ständig weiter verschlechtert. Das Gesetz des Handelns liegt eindeutig auf der russischen Seite, und es gibt überhaupt keine Hinweise, dass diese Entwicklung in absehbarer Zeit gestoppt werden kann.

Durch die Kampfhandlungen fallen immer mehr ukrainische Soldaten oder werden schwer verwundet, auch die Verluste in der Zivilbevölkerung steigen, und die Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur nimmt dramatisch zu. Das größte Problem ist aber aktuell neben dem Nachschub an Luftverteidigungssystemen und Artilleriegranaten die personelle Situation in den Streitkräften. Das könnte nur dadurch gelöst werden, dass „der Westen“ die Ukraine mit eigenen Soldaten unterstützt. Die USA schließen das für ihr eigenes Land zwar (noch?) aus nach der Devise „no boots on the ground“, scheinen aber keine Probleme damit zu haben, dass andere NATO Staaten eigene Soldaten in die Ukraine schicken. Von ukrainischer Seite heißt es nach einem Bericht der New York Times ganz aktuell: “Ukrainian officials have asked their American and NATO Counterparts to help train 150,000 new recruits closer to the front line for faster deployment.” („Ukrainische Offizielle haben ihre amerikanischen und ihre NATO Partner gebeten, dabei zu helfen, 150.000 neue Rekruten näher an der Front zu trainieren, um sie schneller einsetzen zu können.“) Kiew hat zwar das Rekrutierungssystem geändert, so dass jetzt auch junge Männer ab dem 25sten Lebensjahr eingezogen werden können, aber ob das funktioniert, weiß niemand. Außerdem dauert so eine militärische Grundausbildung mindestens 3 Monate bis junge Männer die handwerklichen Fähigkeiten eines Soldaten erlernt haben. Aber damit sind sie noch lange nicht kriegstüchtig. Nach dem Erlernen der militärischen Grundfähigkeiten, wie Verhalten, im Gefecht oder Waffen- und Schießausbildung ist eine zusätzliche Ausbildung an den vom „Westen“ gelieferten Waffensystemen erforderlich, die mindestens 3 weitere Monate bis zu 1 Jahr dauert. Unklar ist auch, was das eigentlich bedeutet „train closer to the front“. Die Front befindet sich im Osten der Ukraine, und wo konkret sollten denn da „NATO-Soldaten“ bei der Ausbildung unterstützen?

Die NATO- ein Machtinstrument Washingtons gegen Russland?

Die NATO ist zwar ein Bündnis von 32 Saaten, die theoretisch gleichberechtigte Mitglieder sind, aber de facto sind die USA der „Primus inter Pares“. Der NATO-Oberbefehlshaber ist immer ein amerikanischer General, und Washington legt größten Wert darauf, dass die USA in der NATO das Sagen haben. Anders ausgedrückt: In der NATO passiert nichts gegen den Willen, aber alles auf Initiative der USA, der mit Abstand größten Militärmacht im Bündnis. Das gilt nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen des Bündnisses. Diese wurden letztlich immer in Washington entschieden und dann mit Hilfe der europäischen NATO Partner umgesetzt. Das war im Irak der Fall, aber auch im Kosovo, in Libyen, vor allem in Afghanistan und jetzt in der Ukraine. Bei all diesen Einsätzen standen die nationalen Interessen der USA im Vordergrund und wurden mit Unterstützung von europäischen NATO Staaten umgesetzt. Im Klartext heißt das, dass die NATO letztlich ein Machtinstrument der USA ist. Überdeutlich wurde das in Afghanistan, wo die USA ohne Rücksprache mit ihren Verbündeten die Kampfoperation 2014 beendet und in eine Unterstützungsmission überführt hatten. Als man in Washington feststellen musste, dass die gesamte Afghanistan Operation gescheitert war, wurden alle US-Truppen im August 2021 ohne vorherige Absprache mit ihren Alliierten abgezogen. Diesen blieb nichts Anderes übrig, als den USA völlig überhastet und wenig organisiert zu folgen.

Vor diesem Hintergrund muss man die Situation in der Ukraine einordnen und beurteilen. De facto führen die USA, wie bereits festgestellt, einen Stellvertreterkrieg gegen Russland, den die US Administration kontinuierlich und gezielt durch die Lieferung von immer schwereren und weitreichenderen Waffen eskaliert hat. Im Unterschied zu allen anderen Kriegen, die Washington zusammen mit seinen NATO Partner geführt hat, ist Russland, der Gegner im Ukrainekrieg, aber von einem ganz anderen Kaliber und hat mit China einen mächtigen Verbündeten. Der ehemalige CIA Mitarbeiter Ray McGovern, hat anlässlich von Präsident Putins jetzigem Besuch in China dazu in „Consortium News“ am 17. Mai 2024 einen Artikel geschrieben unter der Überschrift „„Russia & China -Two Against One“. Es würde zu weit führen, auf diesen Beitrag im Detail einzugehen, in dem Ray McGovern China und Russland eindeutig als gemeinsame Akteure gegenüber den USA einordnet, im Gegensatz zu denjenigen, die immer wieder behaupten, Putin und Xi würden sich nicht auf Augenhöhe begegnen. Als Beweis dafür zitiert er aus der Vergangenheit die gegenseitige Begrüßung der beiden Präsidenten in ihrer Video-Konferenz vom 15. Dezember 2021. Darin begrüßt Präsident Putin seinen chinesischen Kollegen mit den Worten: „Dear Friend, dear President Xi Jinping“ („Lieber Freund, lieber Präsident Xi Jinping“) und dieser erwidert: „Dear President Putin, my old friend“ („Lieber Präsident Putin, mein alter Freund“) und erinnert daran, dass sie sich in dieser Konferenz bereits zum 37sten Mal seit 2013 austauschen.

Wenn es also die USA darauf ankommen ließen, dass es durch immer weitere Eskalation, wie z.B. durch NATO-Soldaten in der Ukraine, zum Krieg zwischen der NATO und Russland käme, müssten sich alle NATO Mitgliedsstaaten darüber im Klaren sein, dass Peking mit Moskau grundsätzlich ein einem Boot sitzt. Das wurde aktuell auch noch einmal deutlich, indem sich beide Präsidenten bei ihrem Treffen in Peking für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg offen zeigen, um diesen zu beenden.

Ein zweites Szenario, auf das sich die europäischen NATO-Staaten einstellen sollten, ist ein plötzlicher und nicht abgesprochener Rückzug der USA aus dem Ukrainekrieg, – wie 2021 in Afghanistan- vielleicht verbunden mit einem Ende der amerikanischen Sanktionspolitik gegenüber Russland. So eine Situation wäre möglich, falls die massive Unterstützung der USA für die Ukraine und auch ihre aktuelle Politik gegenüber Russland für Präsident Biden zu einem die Wahl entscheidenden Thema werden könnten. Alternativ darf nicht ignoriert werden, dass bei einem Wahlsieg von Donald Trump alle Karten neu gemischt würden.

In beiden Fällen läge der „Schwarze Peter“ bei den europäischen NATO-Staaten.

Fazit:

Die beste Lösung wäre, Peking und Moskau in puncto Verhandlungsbereitschaft beim Wort zu nehmen. Darauf sollten die Europäer in Washington drängen.

Greven, 19. Mai 2024

Jürgen Hübschen

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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