Der ukrainische Raketenangriff auf Sewastopol und die möglichen Konsequenzen für den weiteren Kriegsverlauf



















































































Während „der Westen“ in seiner üblichen Vorgehensweise-
Strategie möchte ich das nicht nennen- verharrt und erneut Sanktionen gegen
Russland verhängt hat, deren Wirkung, wie immer, ausgesprochen zweifelhaft ist,
hat sich in der militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der
Ukraine ein „Eskalationsprung“ ereignet, dessen Folgen noch nicht absehbar
sind. Der ukrainische Raketenangriff
auf Sevastopol 
Nach vorliegenden Informationen hat die Ukraine kurz nach
Mittag des 23. Juni 2024 Sevastopol mit 5 von den USA gelieferten Boden-Boden-Raketen
vom Typ ATACAMS (Army Tactical Missile System), die mit Gefechtsköpfen aus
Splittermunition ausgestattet waren, angegriffen. Am Sonntag hatten die
orthodoxen Christen den Dreifaltigkeit- Feiertag begangen, so dass sich viele
Badegäste am Strand und im Wasser befanden. Nach russischen Angaben wurden die
Raketen zwar abgefangen, aber durch die herabfallenden Trümmer wurden 4
Menschen, darunter 2 Kinder getötet und weitere 151 Personen verletzt, darunter
27 Kinder. 82 Badegäste wurden in Krankenhäuser eingeliefert, davon 13 mit
lebensgefährlichen Verletzungen. Nach Einschätzungen Moskaus wurden die Raketen
aus dem Raum Nikolaev abgefeuert, also aus einer Entfernung von mindestens 300km
zur Krim.  Die russische Reaktion Als erste Reaktion erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow
unmittelbar nach dem Angriff: „Es
versteht sich, dass die unmittelbare Beteiligung der USA an Kampfhandlungen, in
deren Ergebnis russische Zivilisten ums Leben kommen, nicht ohne Folgen bleiben
kann
.“ Das russische Außenministerium bestellte zugleich die
US-Botschafterin in Moskau, Lynne Tracy, ein und übergab ihr eine Protestnote. Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte um
16:00 Uhr die nachfolgende Meldung:Quelle: John Helmer) Das Verteidigungsministerium zum Raketenangriff auf
Sewastopol:(„Heute um 12:15 hat
gegen Sevastopol ein wohlüberlegter terroristischer Raketenangriff von 5
amerikanischen taktischen „ATACAMS“ Raketen mit Splitter-Sprengköpfen
stattgefunden. 4 der amerikanischen „ATACAMS“ wurden in der Luft abgefangen.
Die Zerstörung des 5 Splitter-Gefechtskopf führte zur Verlusten unter der
Zivilbevölkerung von Sevastopol.
(Meine Ergänzung: Gemeint ist durch
herabfallende Trümmerteile.) Alle
Zieldaten in den taktischen US-Raketen werden von amerikanischen Experten
eingegeben, basierend auf den eigenen Daten der Satellitenaufklärung der USA.
Deshalb tragen die USA zwar die Hauptverantwortung für diesen vorsätzlichen
Raketenangriff auf die Zivilbevölkerung von Sevastopol, weil sie diese Waffen
an die Ukraine geliefert haben, aber auch das Regime in Kiew ist
verantwortlich, weil es diesen Angriff von ihrem eigenen Territorium
durchgeführt hat.So eine Aktion wird
nicht unbeantwortet bleiben.“)
Der russische Präsident Putin äußerte sich um 17:15 zu dem
Angriff und sagte allen Betroffenen umfassende Hilfe zu. Er kontaktierte die
zuständigen militärischen Stellen und stellte sich der Presse in Moskau. Auf
die Frage eines Journalisten, ob er die Angriffe westlicher Langstreckenwaffen
im Donbass, auf der Krim und in anderen Regionen als Aggression einstufen
würde, antwortete der Präsident: „This
matter requires further investigation, but it is close.“
(„Der Fall muss näher untersucht werden, ab
es kommt dem nahe.“) und
er erklärte weiter: „Those who supply these weapons believe that they are not in war with us. As I have already said, including in Pyongyang, we reserve the right to
supply our weapons to other regions of the world.”
(„Diejenigen, die
diese Waffen liefern, glauben, dass sie sich nicht im Krieg mit uns befinden.
Wie ich schon gesagt habe, auch in Pjöngjang, behalten wir uns das Recht vor
unsere Waffen in anderen Regionen der Welt zu liefern.“)
Im Gegensatz zu der eher verhaltenen Reaktion des russischen
Präsidenten äußerte sich der frühere Präsident und stellevertretende Sekretär
des Security Council, Dmitry Medvedev, am Sonntagabend wesentlich aggressiver:“
“Bastards from the United States supply
rockets with a cluster charge to Bandera and help bring them to the target. Bastards in Kiev choose a beach with peaceful people as a target and
press the button. Both will burn in hell. Hopefully, not only in the sacred
fire, but even earlier, in the one on earth.   All that happened was
not military action, but a vile and heinous terrorist attack against our
people, committed on an Orthodox holiday. As well as the massacre in Dagestan
which was staged by extremists. Therefore, now all of them – the American
authorities, the Bandera regime and the insane fanatics – are no different for
us.”
(„Amerikanische Bastarde
liefern Raketen mit Splitter-Sprengköpfen an Bandera und helfen ihm dabei diese
ins Ziel zu bringen. Bastarde in Kiew wählen als Ziel einen Strand mit
friedlichen Menschen aus und drücken auf den Knopf. Beide werden in der Hölle
brennen. Hoffentlich nicht nur im Fegefeuer, sondern schon früher, in einem auf
dieser Erde. Alles, was passiert ist, war keine militärische Aktion, sondern
ein abscheulicher und schrecklicher Angriff auf unsere Bevölkerung, an einem
orthodoxen Feiertag. Ebenso wie das Massaker in Dagestan, für das Terroristen
verantwortlich waren. Deshalb sind alle für uns gleich, die USA, das Bandera
Regime und die kranken Fanatiker.“)
 Die Reaktion der USA Ale Reaktion auf den Raketenangriff rief der amerikanische
Verteidigungsminister Lloyd Austin III am 25. Juni 2024 seinen russischen
Amtskollegen an. Das Telefonat mit dem russischen Verteidigungsminister Andrej
Beloussow war der erste Kontakt auf dieser Ebene seit dem 15. März 2023.Während des Gesprächs mit Andrej Beloussow habe Austin
betont, dass es angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wichtig
sei, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder am
Dienstag. Weitere Details zu dem Telefonat nannte er nicht. Das russische Verteidigungsministerium teilte in der Nacht
zum Mittwoch mit, dass sich beide Seiten über den Krieg in der Ukraine ausgetauscht
hätten. Beloussow habe dabei im Zusammenhang mit den fortlaufenden
US-Waffenlieferungen an die Ukraine auf die zunehmende Gefahr einer Eskalation
der Lage in dem Land hingewiesen. Es seien auch andere Fragen besprochen
worden. Details nannte auch das Ministerium in Moskau nicht. Zusammenfassende
Bewertung 
Die amerikanische Reaktion ist ein Beweis dafür, dass es
sich bei dem ukrainischen Raketenangriff um einen Eskalationssprung im
Ukrainekrieg handelt. Das liegt zum einen in dem Angriff selbst, aber zum
anderen auch darin, dass man in Moskau die Lieferanten dieser Raketen, also die
USA, ganz konkret mitverantwortlich macht. Diese Mitverantwortung sieht
Russland nicht nur an den Raketen selbst, sondern darin, dass die Zieldaten für
diese Waffensysteme aus amerikanischen Quellen stammen und die Raketen mit
hoher Wahrscheinlichkeit – eigentlich könnte man auch sagen mit Sicherheit- von
amerikanischen Experten programmiert wurden. Das weiß man natürlich in Russland
schon lange, aber man hat es noch nie in dieser Deutlichkeit öffentlich gesagt,
und das ist ganz bewusst geschehen. Für die Datenerfassung, als das eigentliche
Targeting, stehen Washington viele Möglichkeiten zur Verfügung. Im Wesentlichen
handelt es sich um die Satelliten gestützte Aufklärung und um die
Datengewinnung durch amerikanische Drohnen vom Typ „RQ-4 Global Hawk“ die rund
um die Uhr im internationalen Luftraum über dem Schwarzen Meer präsent sind.Dies alles trägt wesentlich dazu bei, dass sich in Moskau
mittlerweile zwei Lager gebildet haben, die völlig unterschiedlicher Meinung
sind was die russische Kriegsführung in der Ukraine angeht. Das eine hält die Politik von Präsident Putin für zu weich
und das militärische Vorgehen in der Ukraine für viel zu zögerlich. Man fordert
eine militärische Dekapitierung der Ukraine, anstatt, wie bislang, mühsam Ort
für Ort zu erobern.Die Hardliner hatten z.B. das jüngste Verhandlungsangebot
von Präsident Putin als zu weitreichend, geradezu als generös bezeichnet und rundherum
abgelehnt. Zu dem gemäßigten Lager in Moskau gehören neben Präsident Putin u.a.
auch Außenminister Lawrow und der ehemalige Verteidigungsminister Schoigu,
mittlerweile „Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen
Föderation“, die die bisherige militärische Vorgehensweise in der Ukraine
beibehalten wollen. Ob auch der neue Verteidigungsminister, Andrej Beloussow,
diesem Lager zuzurechnen ist, kann man (noch) nicht mit Sicherheit sagen. Zum
Lager der „Falken“ gehört zweifellos der ehemalige russische Präsident Dmitry
Medvedev. Wie groß der Anteil der militärischen Führung in den beiden Lagern
ist, kann nur vermutet werden. Sicher ist allerdings, dass auch Medwedjew
militärische Unterstützer hat, die z.B. der Ansicht sind, man müssen den
Raketenangriff auf Sewastopol, vor allem auch wegen der zivilen Opfer, mit
direkten Angriffen auf US oder NATO Einrichtungen reagieren. Diese Militärs
machen den amerikanischen Generalstab expressive verbis für den Raketenangriff
verantwortlich.Es gibt Experten, die davon ausgehen, dass die Kämpfe in der
Ukraine „im jetzigen Stil“ so lange weitergehen werden bis die
Ukraine kapituliert. Sie sind allerdings der Meinung, dass sich die Strategie
ändern würde, falls die Ukraine mit Hilfe „des Westens“ Ziele im russischen
Kernland angreifen würde und dabei auch Zivilisten zu Tode kämen. Das wäre aus
ihrer Sicht ein „Game Changer“. Die Frage, die sich jetzt stellt,
ist, ob es sich bei diesem Angriff um einen solchen „Game Changer“ handelt. Die
Schwierigkeit in diesem Zusammenhang ist, dass die Krim aus der Sicht Moskaus
zu Russland gehört, während die Ukraine der Meinung ist, dass die 2014 erfolgte
Annexion völkerrechtswidrig war und die Krim nach wie vor ein Teil der Ukraine
ist. Diese unterschiedliche Sichtweise ist übrigens nicht nur ein russisches
und ukrainisches Problem, sondern auch für „den Westen“, wenn dieser von der
Ukraine verlangt, dass die gelieferten Raketen nicht gegen Ziele auf russischem
Territorium eingesetzt werden dürfen. Die aktuelle Ausnahme „des Westens“, dass
dies nicht für das russisch-ukrainische Grenzgebiet mehr gilt, deckt Angriffe
auf die Krim sicherlich nicht ab.Die USA sind nicht an einem Krieg mit Russland interessiert,
was der Anruf von Verteidigungsminister Austin sicherlich unterstreicht. Das
ändert aber nichts dran, dass die Stimmen in Moskau nach jedem abgelehnten
Verhandlungsangebot des Präsidenten immer lauter werden, gegen die Ukraine massiver
militärisch vorzugehen und eine Entscheidung herbeizuführen. Der ukrainische
Raketenangriff auf Sewastopol ist Wasser auf die Mühlen der Hardliner und
sollte „den Westen“ dringend veranlassen, eine Verhandlungsinitiative zu
starten, um erst einmal einen Waffenstillstand zu erreichen, bevor die Lage
außer Kontrolle gerät. Das Risiko dafür war noch nie so hoch wie aktuell.Weitere Sanktionen gegen Russland und die Lieferung von
immer mehr Munition und immer leistungsfähigeren Waffen sind dazu keine
Alternative. Greven, 27. Juni 2024Jürgen Hübschen

Über Jürgen Hübschen

Jahrgang 1945, Oberst a.D. der Luftwaffe
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